L 10 AS 2286/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 206 AS 12325/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 2286/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufungen der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 01. Oktober 2018 geändert.

 

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom  Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  Mai 2015 und des (ersten) Änderungsbescheides vom  April 2016 und unter Änderung des (zweiten) Änderungsbescheides vom  April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  April 2016 verurteilt, den Klägern weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Juni 2015 und für Februar 2016 bis Juli 2016 zu gewähren, und zwar für März 2015 bis Juni 2015 der Klägerin in Höhe von  monatlich 5,65 EUR und dem Kläger in Höhe von monatlich 5,65 EUR und für Februar 2016 bis Juli 2016 öheHöhe von Höhder Klägerin in Höhe von monatlich 8,03 EUR und dem Kläger in Höhe von monatlich 8,02 EUR.

 

 

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

 

Die Revisionen werden nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Kläger begehren vom Beklagten weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Dezember 2015 und für Februar 2016 bis Juli 2016.

 

Der am  1966 geborene Kläger und die am  1951 geborene Klägerin, die seit  2007 miteinander verheiratet sind und die deutsche Staatsangehörigkeit (seit Geburt) besitzen, leben seit  2016 in einer Wohnung unter der im Rubrum genannten Adresse im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Jobcenters B M-H.

 

Zuvor lebte die Klägerin bereits seit  1974, zunächst zusammen mit ihrem damaligen Ehemann, und seit dem Jahre 2000 zusammen mit dem Kläger in einer ca 117,42 qm großen Dreizimmerwohnung in einem vor 1918 errichteten Haus mit einer Gesamtwohnfläche von mehr als 1000 qm in der Estraße in B. Diese Wohnung wurde mit einer Gasetagenheizung – ohne Warmwasserbereitung – beheizt. In der Zeit von März 2015 bis Dezember 2015 war für diese Wohnung eine Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 507,29 EUR und an das Energieversorgungsunternehmen eine Vorauszahlung für die Belieferung mit Gas in Höhe von monatlich 124,00 EUR, insgesamt also monatlich 631,29 EUR, im Januar 2016 eine Bruttokaltmiete in Höhe von 507,29 EUR und an das Energieversorgungsunternehmen eine Vorauszahlung für die Belieferung mit Gas in Höhe von 2,15 EUR, insgesamt also 509,44 EUR, und in der Zeit von  Februar 2016 bis Juli 2016 eine Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 507,29 EUR und an das Energieversorgungsunternehmen eine Vorauszahlung für die Belieferung mit Gas in Höhe von monatlich 104,00 EUR, insgesamt also monatlich 611,29 EUR, zu zahlen.

 

Die Kläger standen seit 2005 durchgehend im Leistungsbezug des Rechtsvorgängers des Beklagten bzw des Beklagten (im Folgenden nur noch Beklagter genannt).

 

Bereits mit „Bescheid“ vom A 2009 (im Folgenden: Kostensenkungsaufforderung genannt) hatte der Beklagte den Klägern mitgeteilt, dass ihre Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft den angemessenen Umfang überstiegen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie die Wohnung bereits länger als 15 Jahre bewohnten, ergebe sich eine individuelle Mietobergrenze in Höhe von (monatlich) 488,40 EUR, woraus folge, dass sie ihre derzeitigen Kosten der Unterkunft künftig senken müssten. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft würden solange übernommen, wie es den Klägern nicht möglich sei, durch einen Wohnungswechsel oder auf die beschriebene Art die Kosten für die Unterkunft zu senken. Diese Zusage gelte jedoch nicht länger als zwölf Monate nach Zugang dieses Schreibens. Nach Ablauf dieser Frist würden die Kosten der Unterkunft nur noch in der angemessenen Höhe berücksichtigt.

 

Seit Mai 2010 berücksichtige der Beklagte bei der Berechnung der Leistungsansprüche der Kläger nicht mehr die tatsächlichen, sondern nur noch die aus seiner Sicht jeweils angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, und zwar kopfteilig ausgehend von einem Zweipersonenhaushalt.

 

Auf den für die Zeit ab März 2015 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte den Klägern für März 2015 bis Februar 2016 jeweils ua – ausgehend von einem als angemessen erachteten Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich insgesamt 555,50 EUR - Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 277,75 EUR (Bescheid vom 24. Februar 2015).

 

Ihren Widerspruch (Widerspruchsscheiben vom 02. März 2015), der darauf gerichtet war, ihnen für März 2015 bis Februar 2016 kopfteilig – ausgehend von ihren tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung – Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu bewilligen, begründeten die Kläger damit (Widerspruchsbegründung vom 11. März 2015), inzwischen keinerlei Einkünfte durch Erwerbsarbeit mehr zu haben, um den monatlichen Differenzbetrag zwischen den tatsächlichen und den vom Beklagten als angemessen erachteten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auszugleichen. Ihre permanenten Bemühungen, eine angemessene Wohnung zu finden, seien erfolglos geblieben. Sie hätten schon über 100 erfolglose Bewerbungen für die Anmietung einer angemessenen Wohnung unternommen. Zum Beweis dessen legten sie eine von ihnen für den Zeitraum vom 19. Oktober 2013 bis zum 10. Februar 2015 erstellte Liste vor, auf die hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

 

Nachdem der Beklagte den Klägern – unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasseraufbereitung – für März 2015 bis Februar 2016 höhere Leistungen bewilligt hatte, wobei er die Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in derselben Höhe festsetzte wie zuvor (Änderungsbescheid vom  Mai 2015), wies er den wegen der „Bedarfe für Unterkunft und Heizung“ erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom  Februar 2015 „in der Fassung des Änderungsbescheides vom  Mai 2015“ als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom  Mai 2015). In welcher Höhe im Land Berlin Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen iS des § 22 Absatz 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) seien, sei bisher in der  Wohnaufwendungenverordnung (WAV) geregelt gewesen, die das Bundessozialgericht (BSG) jedoch am 04. Juni 2014 für unwirksam erklärt habe. Bis eine Neuregelung vorliege, würden übergangsweise die Richtwerttabellen (der WAV) weiter gelten. Als abstrakte Richtwerte für eine angemessene Bruttowarmmiete würden die jeweils von der Gebäudefläche des Wohnhauses, der Heizenergieart sowie der Bedarfsgemeinschaftsgröße abhängigen Beträge festgelegt. Als abstraker Richtwert sei vorliegend eine Bruttowarmmiete in Höhe von (monatlich) 553,30 EUR als angemessen anzuerkennen. Hierbei seien die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (503,00 EUR) aufgrund der längeren Wohndauer um 10 % erhöht worden. Fälschlicherweise sei jedoch als Bedarf für Unterkunft und Heizung ein Betrag in Höhe von monatlich 555,50 EUR berücksichtigt worden. Da für die getroffene Entscheidung jedoch Vertrauensschutz bestehe, sei die angefochtene Entscheidung insoweit zu bestätigen.

 

Später bewilligte der Beklagte den Klägern für Juli 2015 bis Februar 2016 höhere Leistungen, und zwar jeweils ua – ausgehend von dem in den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII vom  Juni 2015  (Amtsblatt für Berlin S 1339, AV-Wohnen 2015), die am 01. Juli 2015 in Kraft getreten sind, als angemessen erachteten Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich insgesamt 572,54  EUR (481,14 EUR <437,40 EUR Richtwert für eine angemessene Bruttokaltmiete für einen Zweipersonenhaushalt nach Nr 3.2 AV-Wohnen 2015  zzgl eines Zuschlages von 10 % wegen längerer Wohndauer <mindestens 15 Jahre> nach Nr 3.4.1 Buchst b der AV-Wohnen 2015> zzgl Heizkostenvorauszahlung 91,40 EUR <Grenzwert nach der Anlage 2 zur AV-Wohnen 2015 für Heizung mit Erdgas bei einem Zweipersonenhaushalt und einer beheizten Gebäudefläche von 100 bis 250 qm in Höhe von 101,40 EUR abzüglich Abschlag für dezentrale Warmwasserversorgung bei einem Zweipersonenhaushalt in Höhe von 10,00 EUR>) - Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 286,27 EUR (erster Änderungsbescheid vom  April 2016).

 

Auf den für die Zeit ab März 2016 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte den Klägern für März 2016 bis Juli 2016 jeweils ua – ausgehend von einem als angemessen erachteten Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich insgesamt 565,94 EUR (Bruttokaltmiete 481,14 EUR <437,40 EUR zzgl 10 %> zuzüglich Heizkostenvorauszahlung 84,40 EUR <Grenzwert nach der Anlage 2 zur AV-Wohnen 2015 in der geänderten Fassung vom 24. November 2015, die am 01. Dezember 2015 in Kraft getreten ist, für Heizung mit Erdgas bei einem Zweipersonenhaushalt und einer beheizten Gebäudefläche von 100 bis 250 qm in Höhe von 94,80 EUR abzüglich Abschlag für dezentrale Warmwasserversorgung bei einem Zweipersonenhaushalt in Höhe von 10,00 EUR>) – Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 282,97 EUR (Bescheid vom 15. Februar 2016). Gegen die Höhe der ihnen bewilligten Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhoben die Kläger – nunmehr von ihrem Prozessbevollmächtigten vertreten – Widerspruch. In der Folge änderte der Beklagte wegen der Bestandsschutzregelung in Nr 14 der AV-Wohnen 2015 die Bewilligungsentscheidungen zugunsten der Kläger ab, indem er ihnen  jeweils ua - ausgehend von einem nunmehr wieder als angemessen erachteten Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt monatlich 572,54 EUR (Bruttokaltmiete 481,14 EUR <437,40 EUR zzgl 10 %> zuzüglich Heizkostenvorauszahlung 91,40 EUR) - Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 286,27 EUR bewilligte (zweiter Änderungsbescheid vom  April 2016). Sodann wies der Beklagte den „wegen der Bedarfe für Unterkunft und Heizung“ erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Februar 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom  April 2016 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom  April 2016).

 

Die von den Klägern vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen, auf weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung ihrer „tatsächlichen“ Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Februar 2016 in Höhe von monatlich631,29 EUR gerichteten Klagen (), haben sie am  Juni 2016 –  nach einem entsprechenden Hinweis des Kammervorsitzenden des SG (Schreiben vom  Mai 2016) - für Januar 2016 zurückgenommen (Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom  Juni 2016).

 

Sodann hat das SG die unter dem Aktenzeichen S 206 AS 12325/15 erhobenen Klagen der Kläger und deren zwischenzeitlich unter dem  Aktenzeichen S 53 AS 7327/16 erhobenen Klagen, mit denen sie höhere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung ihrer tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für März 2016 bis Juli 2016 begehrt haben, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des zuerst genannten Aktenzeichens verbunden (Beschluss vom 20. Juli 2016).

 

In der mündlichen Verhandlung vom 01. Oktober 2018 haben die Kläger beantragt, (1.) den Bescheid vom  Februar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom  Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom  Mai 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom  April 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen für März 2015 bis Juni 2015 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 75,79 EUR, für den Zeitraum von Juli 2015 bis Dezember 2015 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 58,75 EUR und für Februar 2016 weitere Leistung für Unterkunft und Heizung in Höhe von 38,75 EUR zu gewähren, (2.) den Bescheid vom  Februar 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom  April 2016 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom  April 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen für März 2016 bis Juli 2016 weitere Leistung für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 38,75 EUR zu gewähren.

 

Das SG hat die Klage(n) abgewiesen (Urteil vom 01. Oktober 2018). Die Kläger hätten für März 2015 bis Dezember 2015 und Februar 2016 bis Juli 2016 keinen Anspruch auf die Gewährung höherer (Leistungen für die) Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Bei den Aufwendungen für die Unterkunft gölten – anhand eines von Richtern des SG Berlin entwickelten Modells – festgelegte Angemessenheitsgrenzen auf der Grundlage des Mietspiegels des Landes Berlin 2015 (Amtsblatt für Berlin 2015, Nr 20 vom 18. Mai 2015). Dieser Mietspiegel sei in Anbetracht der Änderungsbescheide vom 26. April 2016 maßgebend, weil grundsätzlich auf den Mietspiegel abzustellen sei, der zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bereits veröffentlich sei (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 65/09 R). Bei einer abstrakt angemessen Wohnfläche von 60 qm für einen Zweipersonenhaushalt ermittle sich ein Wert von monatlich 437,40 EUR (5,71 EUR/qm Nettokaltmiete und 1,58 EUR/qm Betriebskosten). Die Heizkosten seien nach Grenzwerten des bundesweiten Heizkostenspiegel zu bestimmen. Für den hier vorliegenden Zweipersonenhaushalt und die Heizungsart Erdgas sei für März 2015 bis Dezember 2015 nach dem bundesweiten Heizkostenspiegel von 2016, der Vergleichswerte für 2015 enthalte, von einem Grenzwert in Höhe von monatlich höchstens 96,00 EUR auszugehen, und für Februar 2016 bis März 2016  nach  dem bundesweiten Heizkostenspiegels für 2017, der Vergleichswerte für 2016 enthalte, von einem Grenzwert in Höhe von höchstens monatlich 94,00 EUR. Daher sei ein Bedarf für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Dezember 2015 in Höhe von monatlich 533,40 EUR (437,40 EUR zzgl 96,00 EUR) und für Februar 2016 bis Juli 2016 in Höhe von monatlich 531,40 EUR (437,40 EUR zzgl 94,00 EUR) angemessen. Diese Beträge seien nicht zu erhöhen. Ein Anspruch auf Übernahme unangemessener Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz  3 SGB II scheide aus, weil kein Ausnahmefall vorliege, der eine über die sechsmonatige Schonfrist hinausgehende Übernahme unangemessener Unterkunfts- und Heizkosten rechtfertigen könne. Im Ergebnis stünde den Klägern ein Anspruch auf Gewährung von (Leistungen für die) Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für den Zeitraum von März 2015 bis Dezember 2015 in Höhe von monatlich 533,40 EUR und für den Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016 in Höhe von monatlich 531,40 EUR zu. Da der Beklagte den Klägern für März 2015 bis Juni 2015 aber bereits (Leistungen für die) Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 555,50 EUR bzw für Juli 2015 bis Juli 2016 in Höhe von monatlich 572,54 EUR bewilligt habe, sei die Klage unbegründet.

 

Die Kläger haben mit ihren Berufungen zunächst ihre erstinstanzlichen Begehren im vollen Umfang unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens weiter verfolgt. Soweit der Beklagte im Berufungsverfahren nunmehr in Reaktion auf die Entscheidungen des BSG vom 03. September 2020 (B  14 AS 37/19 R  und B 14 AS 40/19 R) Datenmaterial der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin vorgelegt habe, mit den er zu belegen versuche, dass in den streitigen Zeiträumen angemessene  Wohnungen – hier für eine 2-Personen- Bedarfsgemeinschaft -  in einer hinreichenden Anzahl tatsächlich anmietbar gewesen seien, werde dem widersprochen. Insoweit werde auf die Antwort der Bundesregierung vom 19. Juli 2021 (BT-Drucksache 19/31600) auf die kleine Anfrage ua der Fraktion DIE LINKE vom 21. Juni 2021 (BT-Drucksache 19/30857) Bezug genommen.

 

Die Kläger haben zuletzt - unter Rücknahme ihrer Klagen im Übrigen -  beantragt,

 

das Urteil das Sozialgerichts Berlin vom 01. Oktober 2018 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom  Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  Mai 2015 und des (ersten) Änderungsbescheides vom  April 2016 und unter Änderung (zweiten) Änderungsbescheides vom  April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  April 2016 zu verurteilen, ihnen weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Juni 2015 und für Februar 2016 bis Juli 2016 zu gewähren, und zwar für März 2015 bis Juni 2015 der Klägerin in Höhe von monatlich 5,65 EUR und dem Kläger in Höhe von monatlich 5,65 EUR und für Februar 2016 bis Juli 2016 der Klägerin in Höhe von monatlich 8,03 EUR und dem Kläger in Höhe von monatlich 8,02 EUR.

 

 

Der Beklagte beantragt,

 

                                    die Berufungen zurückzuweisen.

 

Er trägt sinngemäß vor, den für die Zeit bis Juni 2015 weiter angewandten Richtwerttabellen der WAV und der für die Zeit danach herangezogenen AV-Wohnen 2015 liege jeweils ein schlüssiges Konzept iS der Rechtsprechung des BSG zugrunde.

Er hat ferner in Reaktion auf die Entscheidungen des BSG vom 03. September 2020 (B  14 AS 37/19 R  und B 14 AS 40/19 R) und nach entsprechender Aufforderung des erkennenden Senats (Schreiben vom  Februar 2021) mit Schriftsatz vom  Mai 2021 das bereits bezeichnete Datenmaterial der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin vorgelegt, auf das hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.

 

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten S 206 AS 12325/15 und S 53 AS 7327/16, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, sowie die Verwaltungsakte (Bd I bis IV) Bezug genommen.

 

   Entscheidungsgründe

 

Soweit die Kläger ihre Klagen in der mündlichen Verhandlung am 07. April 2022 zurückgenommen haben (§ 102 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), mithin bezüglich aller von den zuletzt gestellten Anträgen nicht mehr erfassten Ansprüche, sind die Verfahren in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG) mit der Folge, dass das angefochtene Urteil des SG im Umfang der Klagerücknahmen wirkungslos geworden ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 269 Abs 3 Satz 1 Zivilprozessordnung; vgl BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R, juris RdNr 36). Im Übrigen sind die zulässigen Berufungen der Kläger begründet.

 

Gegenstand der Klageverfahren (iS von § 95 SGG) der Kläger, die ihren Berufungen zugrunde liegen und vor dem Verbindungsbeschluss des SG allein unter dem Aktenzeichen S 206 AS 12325/15 geführt wurden, ist zunächst der Bescheid vom 24. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2015. Dies allerdings unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei den Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auch nach dem seit Januar 2011 geltenden Recht des SGB II um abtrennbare Verfügungssätze vom Gesamtbescheid handelt (vgl insoweit ausführlich BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 - B 14 AS 42/13 R, juris RdNr 10f), nur, soweit es der Beklagte damit abgelehnt hat, den Klägern für März 2015 bis Juni 2015 jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu gewähren, und zwar zuletzt auch nur noch in Höhe von jeweils monatlich 5,65 EUR.

 

Nicht Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 Halbs 1 SGG wurde der Änderungsbescheid vom  Mai 2015, soweit damit den Klägern Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in unveränderter Höhe wie im Ausgangsbescheid bewilligt worden sind. Denn insoweit handelte es lediglich um sogenannte wiederholende Verfügungen, die keine Verwaltungsakte iS des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellen (vgl BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 7/20 R, juris RdNr 16).

 

Gegenstand der Klageverfahren der Kläger, die ihren  Berufungen zugrunde liegen und ursprünglich allein unter dem Aktenzeichen S 206 AS 12325/15 geführt wurden, ist darüber hinaus (iS des § 96 Abs 1 SGG) kraft Gesetzes der (erste) Änderungsbescheid vom  April 2016, der den Ausgangbescheid vom  Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom  Mai 2015, soweit dieser die Ansprüche der Kläger auf Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für Juli 2015 bis Februar 2016 geregelt hatte, jedenfalls insoweit „auf sonstige Weise“ iS von § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat, so dass diese Bescheide insoweit nicht (mehr) Gegenstand der Verfahren sind. Der (erste) Änderungsbescheid vom 26. April 2016 ist allerdings nur noch insoweit der Gegenstand der Verfahren  der Kläger, soweit es der Beklagte damit abgelehnt hat, ihnen für Februar 2016 jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu gewähren, nämlich der Klägerin in Höhe von 8,03 EUR und dem Kläger in Höhe von 8,02 EUR. Soweit die Kläger ursprünglich vor dem SG auch für Januar 2016 jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung begehrt hatten, haben sie ihre Klagen bereits am  Juni 2016 vor dem SG zurückgenommen, was ihre Klagen insoweit in der Hauptsache erledigt hat (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG).

 

Die Kläger verfolgen ihre Begehren für März 2015 bis Juni 2015 und für Februar 2016 statthaft jeweils mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 SGG, § 56 SGG).

 

Diese Klagen sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist die Klage der Klägerin nicht deshalb verspätet erhoben worden, weil auf der Aktivseite des Rechtsstreits vor dem SG zunächst allein der Kläger nach außen in Erscheinung getreten ist und die Einbeziehung der Klägerin erst am  Juli 2015 (Schreiben der Kläger vom  Juni 2015) nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs 1 iVm Abs 2 SGG) - ausgehend von der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides am  Mai 2015 (Angabe des Klägers in der Klageschrift vom  Juni 2015) – förmlich angezeigt worden ist. Das steht der Wahrung der Klagefrist hier ausnahmsweise nicht entgegen (vgl zu den Maßstäben und deren Anwendung zuletzt BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 12/18 R, juris RdNr 10ff; BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 - B 14 AS 15/18 R, juris RdNr 11; BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 - B 14 AS 20/18 R, juris RdNr 9), weil die  Klagen unter Gesamtwürdigung des Verfahrensgangs von Anfang an auch für die Klägerin erhoben worden waren. Denn der damals noch nicht anwaltlich vertretene Kläger hat nicht nur in seiner Klageschrift vom 16. Juni 2015 das Begehren dahingehend beschrieben, „uns die von uns tatsächlich zu zahlende Miete“ in Höhe von (monatlich) 631,29 EUR für März 2015 bis Februar 2016 zu gewähren, sondern er hatte darüber hinaus der Klageschrift auch den Ausgangsbescheid vom 24. Februar 2015, den Änderungsbescheid vom  Mai 2015 und den Widerspruchbescheid vom  Mai 2015 beigefügt. Somit ging es ihm ersichtlich auch um die Verfolgung der prozessualen Ansprüche der Klägerin. Nicht entschieden zu werden braucht daher, ob der (erste) Änderungsbescheid vom  April 2016, soweit er die Klägerin betrifft, deshalb nicht nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden sein kann, weil sie ihre Klage nach Ablauf der Klagefrist erhoben hat (dazu Bienert, NZS 2011, 732, 733). Denn ein solcher Fall liegt nicht vor.

 

Gegenstand der Klageverfahren der Kläger, die ihren Berufungen überdies zugrunde liegen und ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 53 AS 7327/16geführt wurden, ist nur der im laufenden Widerspruchsverfahren erlassene (zweite) Änderungsbescheid vom  April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  April 2016, soweit es der Beklagte damit abgelehnt hat,  den Klägern für März 2016 bis Juli 2016 jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu bewilligen, nämlich der Klägerin in Höhe von monatlich 8,03 EUR und dem Kläger in Höhe von monatlich 8,02 EUR.  Der Ausgangsbescheid vom  Februar 2016, soweit damit weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für den  bezeichneten Zeitraum abgelehnt worden sind, ist durch den (zweiten) Änderungsbescheid vom  April 2016, der nach § 86 Halbs 1 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden ist, vollständig ersetzt und damit erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X) worden.

 

Die Kläger verfolgen auch insoweit ihre Begehren statthaft und auch im Übrigen in zulässiger Weise jeweils mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 SGG, § 56 SGG).

 

Die Klagen sind begründet. Die Kläger können für die Zeit von März 2015 bis Juni 2015 und von Februar 2016 bis Juli 2016 in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung beanspruchen.

 

Rechtsgrundlage für die Ansprüche auf weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Dezember 2015 und Februar 2016 bis Juli 2016 sind § 19 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II  iVm §§ 7ff SGB II  und § 22 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II idF, die das SGB II für den streitbefangenen  Zeiträume zuletzt durch das am 01. Januar 2014 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 02. Dezember 2014 (BGBl I 1922) erhalten hat. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeit­räume ist das da­mals geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl nur BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R, juris RdNr 21 mwN).

 

Die Kläger erfüllten in den streitigen Zeiträumen als leistungsberechtigte Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten, das ua die jeweiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung abdeckt.

 

Der Kläger ist 1966 und die Klägerin am  1951 geboren, so dass sie sich in den  streitigen Zeiträumen innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II bewegten. Sie hatten auch in diesen Zeiträumen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II) und sie waren in diesen Zeiträumen auch erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II), wobei von ihrer Erwerbsfähigkeit im gesundheitlichen Sinne (§ 8 Abs 1 SGB II) schon aus rechtlichen Gründen wegen der in § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II statuierten ʺNahtlosigkeitsregelung“ auszugehen ist, weil kein Feststellungsverfahren eingeleitet worden ist (stRspr des BSG, vgl nur Urteil vom 05. August 2015 - B 4 AS 9/15 R, juris RdNr 14 mwN). Die miteinander verheirateten (und nicht dauerhaft getrennt lebenden) Kläger waren in den streitigen Zeiträumen auch hilfebedürftig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 SGB II), weil  sie über keinerlei Einkommen oder Vermögen verfügten, mit dem der Bedarf ihrer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 1 und 3 Buchst a SGB II) gedeckt werden konnte. Schließlich unterlagen die Kläger in den streitigen Zeiträumen auch keiner der in § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4, 4a oder 5 SGB II genannten Ausschlusstatbestände.

 

Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Die Prüfung der Angemessenheit des Bedarfs für die Unterkunft und des Bedarfs für die Heizung haben grundsätzlich getrennt voneinander zu erfolgen (stRspr; vgl nur BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R, juris RdNr 18 mwN; BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 14), unbeschadet der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Kostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs 1 Satz 4 SGB II) und der erst nach dem hier streitbefangenen Bewilligungszeitraum eingeführten Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 10 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 2016 (BGBl I 1824).

 

Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 15). Will das Jobcenter nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren durchführen und der leistungsberechtigten Person den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (§ 22 Abs 1 Satz 3 SGB II; so schon BSG, Urteil  vom 07. November 2006 - B 7b AS 10/06 R, juris RdNr 29; BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr. 15 mwN). Daher muss der Leistungsabsenkung eine Kostensenkungsaufforderung vorausgehen, die die leistungsberechtigte Person in verständlicher Form über die Unangemessenheit seiner Unterkunftskosten und den von der Behörde für angemessen erachteten Betrag in Kenntnis setzt, ohne dass die

Richtigkeit der bezeichneten Grenze ausschlaggebend wäre (BSG, Urteil vom 19. März 2008 – B 11b AS 43/06 R, juris RdNr 15f; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R, juris RdNr 40; BSG, Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 41/08 R, juris RdNr 34). Weiter muss über die Folgen mangelnder Kostensenkung informiert werden (BSG, Urteil vom 19. März 2008 – B 11b AS 41/06 R, juris RdNr 21). Dagegen trifft das Jobcenter nicht von vornherein eine weitergehende Verpflichtung, im Einzelnen darüber aufzuklären, wie und in welcher Weise die Kosten auf den seiner Auffassung nach angemessenen Betrag gesenkt werden könnten bzw welche Wohnungen dieser anmieten könne (BSG, Urteil vom 19. März 2008 – B 11b AS 43/06 R, juris RdNr 15; BSG, Urteil  vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R, juris RdNr 40). Diesen Anforderungen genügten die vom Beklagten gegebenen Hinweise in der Kostensenkungsaufforderung vom  April 2009. Es ist auch ohne Belang, dass die Kläger in der Kostensenkungsanforderung lediglich auf die beklagtenseitig für angemessen erachtete Bruttowarmmiete hingewiesen worden sind, ohne dass zwischen Nettokaltmiete, „kalten" Nebenkosten und Heizkosten differenziert wurde (BSG, Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 41/08 R, juris RdNr 33 mwN). 

 

Der Begriff der „Angemessenheit“ iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (stRspr;  vgl nur BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24718 R, juris RdNr 16; BSG,  Urteil vom 03. September 2020 – B 14 AS 37/19 R, juris RdNr 16, jeweils mwN). Bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen werden die Aufwendungen grundsätzlich nach Kopfteilen auf die nutzenden Personen aufgeteilt (soge­nanntes Kopfteilprinzip). Das Kopfteilprinzip zielt auf die generalisierende und typisierende Zu­weisung individueller Bedarfe für alle wohnungsnutzenden Personen, unabhängig von ihren schuldrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten und davon, ob alle Personen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind sowie unabhängig von Alter und Nutzungsintensität (stRspr: zuletzt BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 - B 14 AS 35/19 R, juris RdNr 13).

 

Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in „zwei größeren Schritten“ zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen zu prüfen (stRspr seit BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 10/06 R, juris RdNr 24f; zusammenfassend BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 19). Erst soweit die Aufwendungen konkret unangemessen sind, ergeben sich aus § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II weitere Voraussetzungen ihrer nur teilweisen Berück­sichtigung als Bedarfe.

 

Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, hat die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft unter Anwendung der Produkttheorie („Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis“) in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: (1) Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), (2) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, (3) Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, (4) Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (vgl zur Produkttheorie grundlegend BSG, Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 18/06 R, juris RdNr 20; zuletzt BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 20). Zudem ist nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zu prüfen, ob angemessener Wohnraum tatsächlich zur Verfügung steht und in hinreichender Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten wird (vgl BSG, Urteil vom 03. September 2020 – B 14 AS 37/19 R, juris <Berlin> RdNr 27).

 

Der Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept ist ausgehend von der zuvor angeführten Rechtsprechung zugrunde zu legen: Der Vergleichsraum ist der Raum, für den ein grundsätzlich einheitlicher abstrakter Angemessenheitswert zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 22), innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Aufwendungen auf die bisherigen führt (vgl in Abgrenzung hierzu: Umzug in anderen Vergleichsraum BSG, Urteil vom 01. Juni 2010 - B 4 AS 60/09 R, juris RdNr 18ff). Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der

Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 22 mwN).

 

Insoweit ist auf das gesamte Stadtgebiet von Berlin abzustellen. Denn bei der Stadt Berlin handelt es sich um einen solchen homogenen Lebens- und Wohnbereich. Eine Beschränkung auf bestimmte Bezirke (oder Ortsteile) mit besonders verdichteter Bebauung und damit vorwiegend günstigem Wohnraum birgt zudem das Risiko einer Gettoisierung (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R, juris <Berlin> RdNr 24 mwN und BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R, juris <Berlin> RdNr 18). 

 

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R, juris RdNr  24). Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Es muss gewährleisten, dass danach angemessene Wohnungen tatsächlich verfügbar, also anmietbar sind (BSG, Urteil vom 03. September 2020, B 14 AS 37/19 R, juris <Berlin> RdNr 24).

 

Zur Umsetzung der gerichtlichen Kontrolle ist es auf eine entsprechende Klage hin zunächst Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit des vom beklagten Jobcenter ermittelten abstrakten Angemessenheitswerts sowohl im Hinblick auf die Festlegung des Vergleichsraums als auch die Erstellung eines schlüssigen Konzepts zu überprüfen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 - B 14 AS 24/18 R, juris RdNr 27). Ist die Ermittlung dieses abstrakten Angemessenheitswerts rechtlich zu beanstanden, ist dem Jobcenter Gelegenheit zu geben, diese Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren eigenen Ermittlungen, auszuräumen (BSG, aaO,  RdNr 28 mwN; BSG, Urteil vom  03. September 2020 - B 14 AS 37/19 R, juris RdNr 22). Gelingt es dem Jobcenter nicht, die Beanstandungen des Gerichts auszuräumen, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits eine eigene Vergleichsraumfestlegung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept – ggf mit Hilfe

von Sachverständigen – zu erstellen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 -  B 14 AS 24/18 R, juris RdNr  29; BSG, Urteil vom 03. September 2020 - B 14 AS 37/19 R, juris <Berlin> RdNr 23f).

 

Bei Anwendung dieser Maßstäbe in dem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung  vorgegebenen mehrstufigen Verfahren zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft unter Anwendung der Produkttheorie („Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis“) lassen sich zwar die abstrakt angemessene Wohnungsgröße für die leistungsberechtigten Personen und der angemessene Wohnungsstandard bestimmen. Der erkennende Senat vermag jedoch nicht, die aufzuwendende Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung im maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum auf ein schlüssiges Konzept der Sozialverwaltung des Landes Berlin stützen, das diesen Anforderungen genügt.

 

Der erkennende Senat geht mit dem SG davon aus, dass für einen Zweipersonenhaushalt eine Wohnungsgröße von 60 qm zu veranschlagen ist.  Denn zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen. Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen § 27 Abs 4, § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13. September 2001 (BGBl I 2376: „Wohnungsförderungsgesetz" im Folgenden: WoFG) wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die „Bestimmungen" des jeweiligen Landes. Das Land Berlin hat zu § 10 WoFG keine Ausführungsvorschriften erlassen. Zu § 27 WoFG liegen nur unveröffentlichte Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 vor, die wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße an die zuvor ergangenen Bekanntmachungen anknüpfen. Danach darf entsprechend der Bekanntmachung der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen vom 20. Oktober 1995 (ABl für Berlin, 4462) an Zweipersonenhaushalte Wohnraum bis zu 60  qm überlassen werden. Auf diese Regelungen ist für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zurückzugreifen (vgl  BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 85/09 R, juris <Berlin> RdNr 18).

 

Nach der dargestellten Rechtsprechung des BSG ist ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard zugrunde zu legen. Die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen, ohne einen gehobenen Wohnstandard aufzuweisen. Mit diesen Vorgaben, hat das BSG geklärt, dass Wohnungen, die nicht den einfachen, sondern den untersten Stand abbilden, von vornherein nicht zu dem Wohnungsbestand gehören, der überhaupt für die Bestimmung einer Vergleichsmiete heranzuziehen ist (BSG, Urteil vom 18. November 2014 - B 4 AS 9/14 R, juris  <Dresden> RdNr 18). Solche Wohnungen mit besonders niedrigem Ausstattungsgrad sind insbesondere Wohnungen mit Ofenheizung und Wohnungen ohne Bad (mit Innen-WC), in denen sich die Bewohner nur mit fließendem Wasser am Waschbecken (sei es in WC oder Küche) waschen, aber nicht duschen können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R, juris <Berlin> RdNr 24), Wohnungen ohne Heizung, ohne Bad, ohne Warmwasser im Bad (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - B 4 AS 19/11 R, juris <Duisburg> RdNr 28); Wohnungen, deren Toilette, Küche oder Bad von anderen Mietparteien mitbenutzt werden, die nicht über Küche und Toilette verfügen und Wohnungen im Untergeschoss (BSG, Urteil vom 10. September 2013 - B 4 AS 77/12 R, juris <München> RdNr 21).

 

Ein schlüssiges Konzept für derart charakterisierte Wohnungen ist für Berlin in den hier streitigen Zeiträumen von März 2015 bis Dezember 2015 und Februar 2016 bis Juli 2016 nicht vorhanden.

 

Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft ist – wovon auch das SG und der Beklagte ausgegangen sind – nicht am Maßstab der WAV zu messen. Die Unwirksamkeitserklärung erstreckte sich zwar nur auf den Geltungszeitraum von Mai 2012 bis Juli 2013 (BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 - B 14 AS 53/13 R, juris RdNr 15f). Jedoch ist die WAV auch für die Folgezeiträume aufgehoben worden (WAV-Aufhebungsverordnung vom 16. Juni 2015, GVBl Berlin S 275).

 

Dass den bis Juni 2015 weiter angewandten Richtwerttabellen der WAV ein schlüssiges Konzept hinsichtlich der Ermittlung der Nettokaltmiete zugrunde lag, lässt sich ebenso wenig feststellen wie für die AV-Wohnen 2015.

 

 

Dies scheitert daran, dass nicht festgestellt werden kann, ob vorliegend Wohnraum zu den hier als angemessen erachteten Kosten tatsächlich zur Verfügung stand und damals in hinreichender Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten wurde. Dem erkennenden Senat liegen hierzu für die vorliegenden Streitzeiträume keine belastbaren Erkenntnisse vor, um eine Verfügbarkeit preiswerteren Wohnraums im Vergleich zu dem konkret in Rede stehenden Wohnraum auf dem außerordentlich dynamischen und deshalb nach Ablauf von so vielen Jahren regelmäßig nicht mehr rekonstruierbaren Wohnungsmarkt von Berlin zu prüfen, zumal hier nicht nur auf ein einzelnes Angebot, sondern aus materiell-rechtlichen Gründen auf eine hinreichende Anzahl von Wohnungen sowie auf die Zahl der Nachfragenden in dem entsprechenden Preissegment abgestellt werden muss. Eine entsprechende Unterstützung zu dieser Frage durch den Beklagten bzw die Sozialverwaltung des Landes Berlin ist trotz des Hinweisschreibens des Senats vom  Februar 2021 ausgeblieben.

 

Das vom Beklagten hierauf vorgelegte „Schlüssigkeitskonzept“ ist nicht geeignet, die tatsächliche Verfügbarkeit von Wohnraum in den streitigen Zeiträumen zu belegen und die weiter angewandten Richtwerttabellen der WAV bzw die AV-Wohnen 2015 „nachzubessern“; dass diese kein schlüssiges Konzept iS der BSG-Rechtsprechung darstellen, folgt schon daraus, dass das Land Berlin zur Festlegung der Angemessenheitswerte weder das Wohnungsangebot noch die Nachfrage bestimmt hat.

 

Das nachgebesserte Schlüssigkeitskonzept stützt sich auf die im sog Marktmonitor des Verbandes der Berlin-Brandenburger Wohnungsunternahmen eV (im Folgenden BBU) angegebene Leerstandsquote von 1,7 % (vgl BBU-Marktmonitor 2016, abrufbar im Internet) bzw 1,6 % (vgl BBU-Marktmonitor 2017). Dabei lässt die Berechnung jedoch unberücksichtigt, dass von diesem Wert bereits nach den Angaben des BBU nicht auf eine Verfügbarkeit von Wohnraum geschlossen werden kann. Denn der BBU führt im Marktmonitor 2016 (S 45) selbst aus, dass das Gros der Wohnungen nur kurzfristig leer steht. Der Anteil der Wohnungen, die wegen laufender Modernisierungsmaßnahmen, Mieterwechsel oder sonstiger Gründe leer stehen, macht mehr als 90 Prozent der leer stehenden Wohnungen aus. Mehr als ein Drittel der leer stehenden Wohnungen war zum Jahresende 2016 aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen nicht bewohnt. Lediglich 9,8 % der leerstehenden Wohnungen standen Ende 2016 aufgrund von Vermietungsschwierigkeiten längerfristig leer. Wohnungen, in denen Modernisierungsmaßnahmen ausgeführt werden, stehen dem Wohnungsmarkt ebenso nicht zur Verfügung wie Wohnungen, die bereits an einen Mieter für Folgemonate vergeben wurden, die unbewohnbar sind bzw verkauft werden sollen. Darüber hinaus lässt die Betrachtung des Beklagten außer Betracht, dass auch andere Personen als die im Vergleichsjahr zur Kostensenkung aufgeforderten SGB II-Empfänger nach Wohnungen suchten. Denn die aus der Leerstandsquote hochgerecht als verfügbar angesehenen Wohnungen werden vom Beklagten allein mit dem Bedarf derjenigen Leistungsberechtigten verglichen, die im gleichen Zeitraum zur Kostensenkung neu aufgefordert wurden. Dies lässt zum einen die Nachfrage der Leistungsberechtigten außer Betracht, die in Vorzeiträumen zur Kostensenkung aufgefordert wurden und nun eine neue Wohnung suchen. Unberücksichtigt bleibt darüber hinaus die Nachfrage andere Bezieher von Sozialleistungen, wie Sozialhilfe, BAföG, Wohngeld, und die Nachfrage von Haushalten mit einem geringen Einkommen, ohne Fürsorgeleistungen zu beziehen  (so bereits Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Dezember 2021 – L 18 AS 1667/18, unveröffentlicht).

 

Es liegt daher ein Erkenntnisausfall zur angemessenen Referenzmiete vor. Deshalb ist zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten auf die Werte nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl eines Sicherheitszuschlages von 10 %  iS einer Angemessenheitsobergrenze zurückzugreifen (vgl zu dieser Möglichkeit, wenn das Gericht keine Möglichkeit sieht, abstrakte Angemessenheitswerte selbst festzulegen: BSG, Urteil vom 03. September 2020 – B 14 AS 37/19 R, juris <Berlin> RdNr 24).

 

Unter Berücksichtigung der Mietenstufe IV, in welche die Stadt Berlin in den streitgegenständlichen Zeiträumen gehörte (vgl Anlage zu § 1 Abs 3 Wohngeldverordnung), ergibt sich eine Angemessenheitsobergrenze für eine Bruttokaltmiete (vgl § 9 Abs 1 WoGG) für den Zweipersonenhaushalt der Kläger für den Zeitraum von März 2015 bis Juni 2015 in Höhe von monatlich 478,50 EUR (Höchstbetrag für die genannten Mietenstufe nach § 12 Abs 1 WoGG in der vom 01. November 2011 bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung: 435,00 EUR zzgl eines Sicherheitszuschlages von 10 %) und für den Zeitraum von Februar 2016 bis Juli 2016 in Höhe von monatlich 578,60 EUR (Höchstbetrag für die genannte Mietenstufe nach § 12 Abs 1 WoGG in der vom 01. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung: 526,00 EUR zzgl eines Sicherheitszuschlages von 10 %).

 

Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung ist – mangels anderer Zahlen –  so lange zu bejahen, wie die Kosten unter dem Grenzbetrag eines bundesweiten oder kommunalen Heizspiegels liegen, der abhängig von der jeweiligen Heizungsart, der Wohnanlagengröße und der abstrakt angemessenen Quadratmeterzahl ein eklatant kostspieliges bzw unwirtschaftliches Heizen indiziert (BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, juris RdNr 15).

Als Grenzwert ist auf die ungünstigste Verbrauchskategorie des Bundesweiten Heizspiegels zurückzugreifen, solange kein entsprechender lokaler Heizkostenspiegel existiert (BSG, aaO). Der für Berlin bestehende lokale Heizspiegel kann auch nach der Ansicht des Beklagten für die Bestimmung der nach dem SGB II angemessenen lokalen Heizkosten nicht verwendet werden, weil er nicht repräsentativ ist. Heranzuziehen sind grds die Vergleichswerte des Bundesweiten Heizspiegels  für öl‑, erdgas- und fernwärmebeheizte Wohnungen, gestaffelt nach der von der jeweiligen Heizungsanlage zu beheizenden Wohnfläche, die hinsichtlich des Heizenergieverbrauchs zwischen „niedrig“, „mittel“, „erhöht“ und „zu hoch“ unterscheiden. Der Grenzwert, der der Angemessenheitsprüfung zugrunde zu legen ist, ist das Produkt aus dem Wert, der sich für den Haushalt des Hilfebedürftigen aus abstrakt angemessener Wohnfläche und dem Wert für „zu hohe" Heizkosten bezogen auf den jeweiligen Energieträger und die Größe der Wohnanlage ergibt. Insofern wird der Wert für zu hohe Heizkosten nur bezogen auf die angemessene Quadratmeterzahl berücksichtigt, um ein Korrektiv hinsichtlich der Höhe der Heizkosten zu erhalten und zugleich die Vergleichbarkeit der Heizkosten mit denen einer typischerweise angemessenen Wohnung zu ermöglichen.

 

Im vorliegenden Fall wurde die Wohnung der Kläger mit Erdgas durch eine Etagenheizung beheizt. Gegen die Heranziehung des Bundesweiten Heizspiegels kann vorliegend nicht eingewandt werden, dass Wohnungen, die nicht durch eine zentrale Heizungsanlage, sondern durch eine Gasetagenheizung beheizt werden, vom Bundesweiten Heizspiegel nicht erfasst werden. Mit dem Grenzwert soll nur ermittelt werden, ob von einem Heizkostenverbrauch ausgegangen werden muss, der vom Verbraucher üblicherweise als überhöht angesehen wird. Dabei können als "Standardverhältnisse" durchaus die Werte für die drei am weitesten verbreiteten Energieträger bei einer zentralen Beheizung herangezogen werden (vgl BSG, Urteil vom 12. Juni 2013 – B 14 AS 60/12 R, juris RdNr 24).

 

Bei Wohnungen, die mit einer Etagenheizung beheizt werden, legt der erkennende Senat ebenso wie der Beklagte  zugunsten der Hilfebedürftigen den Wert für eine Gebäudefläche von 100 bis 250 qm zugrunde, weil diese den Verbrauchswerten einer Einzelheizanlage am nächsten kommen (vgl BSG, aaO, RdNr 25).

 

Da die Wohnung der Kläger dezentral mit Warmwasser versorgt wurde, die Vergleichswerte in den Tabellen des Bundesweiten Heizspiegels sich demgegenüber aber auf die Gesamtfläche eines zentral beheizten Gebäudes (Gesamtheit aller Wohnflächen) und die Kosten für die Raumwärme und Warmwasserbereitung beziehen, sind, um eine Vergleichbarkeit – der tatsächlich geschuldeten – reinen Heizkosten mit den abstrakt angemessen Heizkosten zu gewährleisten, die Aufwendungen für die Warmwasseraufbereitung von dem sich aus dem Bundesweiten Heizspiegel ergebenden Wert für die Raumwärme und die Warmwasseraufbereitung in Abzug zu bringen. Der erkennende Senat stützt sich zur Ermittlung der aus den Vergleichswerten herauszurechnenden Warmwasserkosten auf die in § 9 Abs 2 Satz 4 der Verordnung über die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten (Verordnung über Heizkostenabrechnung – HeizkostenV) ausgewiesene Möglichkeit der Ermittlung eines Pauschalwerts der Kosten der zentralen Warmwasserbereitung (vgl dazu etwa Lammel in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 9 HeizkostenV, RdNr 20ff). Für Erdgas beträgt der Wert gemäß § 9 Abs 2 Satz 6 Nr 1 HeizkostenV 35,52 kWh/qm (32 kWh/qm x 1,1). Diese Beträge hat der erkennende Senat aus den Vergleichswerten des Bundesweiten Heizkostenspiegels herausgerechnet.

 

Für die Zeit von März 2015 bis Juni 2015 ergibt sich ein Grenzwert für angemessene Heizkosten in Höhe von monatlich 88,30 EUR. Denn der Vergleichswert nach dem Bundesweiten Heizspiegel 2014, der im Oktober 2014 veröffentlich worden ist und deshalb zur Bestimmung des Grenzwertes für die Zeit von März 2015 bis Juni 2015 relevant ist, weil maßgebend die Daten sind, die im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier der Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2015 –  verfügbar sind (vgl BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 65/09 R, juris RdNr 28), beträgt für ein mit Erdgas beheiztes Gebäude bei einer beheizten Fläche von 100 bis 200 qm 273 kWh/qm, wovon 35,52 kWh/qm herauszurechnen sind. Überträgt man diese Herausrechnung auf den Vergleichswert des Heizspiegels 2014 für die unangemessenen Kosten, welcher für ein mit Erdgas beheiztes Gebäude bei einer beheizten Fläche von 100 bis 200 qm 20,30 EUR beträgt, ergibt sich ein jährlicher Grenzwert von 17,66 EUR/qm (237,48 kWh/qm : 273 kWh/qm x 20,30 EUR/qm), somit 1,47166 EUR je Quadratmeter und Monat, der mit der höchsten angemessenen Wohnungsgröße für einen Zweipersonenhaushalt in Berlin – mithin  60 qm – zu multiplizieren ist.

 

Für die Zeit von Februar 2016 bis Juli 2016 ergibt sich ein Grenzwert für angemessene Heizkosten in Höhe von monatlich 81,30 EUR. Denn der bereinigte Faktor nach dem Bundesweiten Heizspiegel 2015, der im Oktober 2015 veröffentlich wurde und deshalb im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidungen für diesen Zeitraum heranzuziehen war  - für Februar 2016 der erste Änderungsbescheid vom 26. April 2016 und für März 2016 bis Juli 2016 der Widerspruchsbescheid vom 27. April 2016 –beträgt 16,26 EUR/qm jährlich (218,48 kWh/qm : 254 kWh/qm x 18,90 EUR/qm), somit 1,355 EUR je Quadratmeter und Monat, der mit der höchsten angemessenen Wohnungsgröße für einen Zweipersonenhaushalt in Berlin – mithin  60 qm – zu multiplizieren ist.

 

Da die Kläger tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für März 2015 bis Juni 2015 in Höhe von monatlich 631,29 EUR hatten, ihre abstrakt angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) für diesen Zeitraum insgesamt monatlich 566,80 EUR (478,50 EUR zzgl 88,30 EUR) betragen haben und der Beklagte für diesen Zeitraum lediglich Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 555,50 EUR zugrunde gelegt hat, können die Kläger vom Beklagten für diesen Zeitraum noch jeweils weitere Leistungen zur Deckung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 5,65 EUR (566,80 EUR abzgl 555,50 EUR : 2) beanspruchen.

Da die Kläger tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für Februar 2016 bis Juli 2016 in Höhe von monatlich 611,29 EUR (507,29 EUR zzgl 104,00 EUR)  hatten, ihre abstrakt angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) für diesen Zeitraum insgesamt monatlich 659,90 EUR (578,60 EUR zzgl 81,30 EUR) betragen haben und der Beklagte für diesen Zeitraum lediglich Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 572,54 EUR (481,14 EUR zzgl 91,40 EUR) zugrunde gelegt hat, können die Kläger für diesen Zeitraum noch jeweils weitere Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung beanspruchen, nämlich die Klägerin in Höhe von monatlich 8,03 EUR und der Kläger in Höhe von monatlich 8,02 EUR (tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft: 507,29 EUR zzgl  angemessener Bedarf für die Heizung: 81,30 EUR = 588,59 EUR – 572,54 EUR = 16,05 EUR : 2).

 

Nachdem die Kläger ihre Anträge auf die ihnen vom erkennenden Senat zugesprochenen Beträge beschränkt haben, bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu der von den ihnen ursprünglich in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gestellten Auffassung, ihre tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in den streitigen Zeiträumen iS von § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II seien subjektiv angemessen gewesen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auch wenn die Kläger – bezogen auf die ursprünglich anhängig gemachten Ansprüche - nur im geringfügigen Umfange obsiegt haben, hielt es der erkennende Senat aus Veranlassungsgründen für angemessen, die gesamten Kosten des Rechtsstreits der Kläger auf den Beklagten  zu überwälzen.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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