L 5 KR 535/17 KL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 535/17 KL
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 19.949,05 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand:

Umstritten ist (jetzt noch), ob die Beklagte durch den Bescheid vom 14.07.2017 zu Recht Beitrags- und Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin in Höhe von 10.932,30 Euro geltend gemacht hat.

Die Beklagte führte bei der Klägerin im Beitragszentrum C in der Zeit vom 18.05.2015 bis 28.07.2015 eine Prüfung nach § 252 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. der Prüfverordnung „Sonstige Beiträge“ durch. Diese betrifft Beiträge i.S.d. § 252 Abs. 2 Satz 2 SGB V, die von den zur Zahlung Verpflichteten nicht an den Gesundheitsfonds, sondern vielmehr an die Einzugsstellen zu entrichten sind. Diese leiten die Beiträge einschließlich der Zinsen auf Beiträge und Säumniszuschläge arbeitstäglich an den Gesundheitsfonds weiter (§ 252 Abs. 2 Satz 3 SGB V).

Im Anschluss an die Prüfung erteilte die Beklagte den Bescheid vom 14.07.2017, mit dem sie Beitrags- und Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 59.414,58 Euro geltend machte. Der Prüfbericht als Bestandteil dieses Bescheides enthält u.a. Feststellungen zu der Fehlerkategorie 7 (keine Prüfung der selbständigen Tätigkeit im Hinblick auf die hauptberufliche Ausübung) sowie der Fehlerkategorie 1.2 (versicherungsrechtliche Beurteilung im Hinblick auf das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft nicht korrekt). Innerhalb der Fehlerkategorie 7 rügte die Beklagte, dass die Klägerin, bezogen auf die Fallnummern 4, 10, 12, 15, 18, 28, 55, 59, 66 und 68 der Anlage 1 zum Prüfbericht Mitglieder als nebenberuflich selbständige Erwerbstätige eingestuft und die Beitragseinstufung unterhalb der Mindestbemessungsgrenze von 1/40 der monatlichen Bezugsgröße bzw. trotz nicht vorliegender Nachweise in Form der Einkommensteuerbescheide unterhalb der Bemessung in Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt habe. Zum Fall Nr. 53 (Fehlerkategorie 1.2) der Anlage 1 rügte die Beklagte, dass die Mitgliedschaft aufgrund der Kündigung seitens des Mitglieds zum 30.11.2011 und damit einen Monat zu früh beendet worden sei (Kündigung am 07.10.2011; Bescheid der aufnehmenden privaten Krankenversicherung über die anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zum 01.01.2011).

Nachdem die Klägerin mit den von ihr erhobenen Einwendungen gegen die Festsetzungen in den zuvor aufgeführten sowie weiteren Fällen bei der Beklagten keinen Erfolg hatte, hat sie am 14.08.2017 und 15.08.2017 Klage vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erhoben, mit der sie den Bescheid vom 14.07.2017 im Umfang von 19.949,05 Euro angefochten hat. Am 23.04.2018 hat die Klägerin den Rechtsstreit in Höhe von 9.016,75 Euro für erledigt erklärt.

Zur Begründung bringt sie vor: Im Einvernehmen mit der Beklagten habe sie das Vorliegen des Merkmals der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit nach den „Grundsätzlichen Hinweisen zum Begriff der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit“ des GKV Spitzenverbandes vom 23.07.2015 vorgenommen. Die „Grundsätzlichen Hinweise“ des GKV Spitzenverbandes stellten eine Hilfe zur Beurteilung des Merkmals der selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit dar. Unter dem Gliederungspunkt 3.2 behandelten die Hinweise die Beurteilung einer selbständigen Tätigkeit, sofern eine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Sie habe die „Grundsätzlichen Hinweise“ in ihrer Verwaltungspraxis dahingehend ausgelegt, dass sie immer dann, wenn im Rahmen der Grundannahmen nicht beide Merkmale (zeitlicher Aufwand und wirtschaftliche Bedeutung) kumulativ erfüllt gewesen seien, sie immer von einer nebenberuflichen selbständigen Tätigkeit ausgegangen sei. Eine Gesamtschau sei in allen diesen Fällen nicht vorgenommen worden. Ihrer Auffassung nach entspreche diese Interpretation dem Wortlaut und der Intension der „Grundsätzlichen Hinweise“. Dies habe sie auch in einer „Arbeitshilfe“ für ihre Bediensteten so festgelegt. Die Auffassung der Beklagten, eine eindeutige Bestimmung nach den Grundannahmen könne bereits dann nicht erfolgen, wenn nur ein Kriterium der Grundannahmen nicht erfüllt sei, sei nicht schlüssig. Eine Pflichtverletzung ihrerseits als Voraussetzung einer Schadensersatzforderung sei deshalb nicht gegeben. Sofern man dennoch von einer Pflichtverletzung ausgehe, sei diese jedenfalls nicht schuldhaft erfolgt. Sie habe die versicherungsrechtliche Einordnung der Mitglieder als hauptberuflich/nebenberuflich Selbständige unter Beachtung aller relevanten Rechtsquellen vorgenommen. Die Einordnung habe sich auch an den „Grundsätzlichen Hinweisen“ orientiert. Zudem habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte ihre Auffassung teile. Die beschriebene Prüfpraxis sei der Beklagten bekannt gewesen und habe nicht zu Beanstandungen geführt. So habe sie mit Schreiben vom 17.09.2017 an die Beklagte zu einer Eingabe der A zum Fall zweier Versicherter Stellung genommen, die sie als nebenberuflich selbständig beurteilt habe. Diesem Schreiben sei die von ihr verwendete Arbeitshilfe beigefügt gewesen. Die Beklagte habe diese Beurteilung bzw. die Arbeitshilfe nicht beanstandet. Entsprechendes gelte für ihr Schreiben vom 19.01.2016 an die Beklagte und deren Antwortschreiben vom 10.03.2016.

Im Fall Nr. 53 (Schadenssumme 126,90 Euro zuzüglich 6,93 Euro Zinsen) lägen ebenfalls die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nicht vor. Tatsächlich sei hier die freiwillige Mitgliedschaft eines Mitglieds entgegen den Voraussetzungen des § 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V um einen Monat zu früh beendet worden. Die Beklagte mache den entgangenen Beitrag für den Monat Dezember 2011 als Schadensersatz geltend. Dem Gesundheitsfonds sei insoweit aber kein Schaden entstanden. Zwar sei ein Monatsbeitrag nicht an den Gesundheitsfonds abgeführt worden; diesem Umstand stehe jedoch das fehlende Leistungsrisiko für diesen Monat entgegen. Sie, die Klägerin, habe auch für diesen Monat keine Risikostrukturausgleichszuweisung für die Versicherungszeit aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Bei der Ermittlung des von § 28r SGB IV umfassten Vermögensschadens seien auch die Regelungen der §§ 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergänzend heranzuziehen. Die danach anzuwendende Differenzhypothese ergäbe hier, dass ein Schaden bei der Beklagten nicht eingetreten sei. Auch seien die ersparten Leistungsaufwendungen als Vorteilsausgleich von dem Schaden in Höhe des entgangenen Beitrags in Abzug zu bringen. Die Höhe der konkreten Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds für den konkret in Rede stehenden Versicherten könne sie allerdings nicht angeben. Hilfsweise sei dabei auf die durchschnittlichen bzw. standardisierten Leistungsausgaben zurückzugreifen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2017 im Hinblick auf die Fälle 4, 10, 12, 15, 28, 53, 59, 56 und 58, die einen Zahlungsanspruch in Höhe von 10.932,01 Euro umfassen, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den Bescheid vom 14.07.2017 – auch soweit er jetzt noch von der Klägerin angegriffen werde - für rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz und Zinsen sei § 28r Abs. 1 und 2 SGB IV, der über § 252 Abs. 4 SGB V Anwendung finde. Bezogen auf die Fehlerkategorie 7 habe die Klägerin die selbständige Tätigkeit der betroffenen Versicherten fehlerhaft als nebenberuflich anstatt hauptberuflich beurteilt. Hierdurch seien die Beiträge entsprechend niedriger bemessen worden, wodurch dem Gesundheitsfonds ein Schaden in Höhe der Differenz zu den eigentlich zu zahlenden – höheren - Beiträgen entstanden sei. Dieser beruhe auf der Prüfpraxis der Klägerin zur Entscheidung über die Frage, ob eine nebenberufliche oder hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit vorliege. Hier habe jeweils eine Einzelfallprüfung stattzufinden. Entsprechend der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 5 SGB V liege dann eine hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit vor, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteige und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstelle (Bundestagsdrucksache 11/2237 S. 159). Demzufolge sei die Abgrenzung zwischen haupt- und nebenberuflich selbständiger Erwerbstätigkeit anhand der Kriterien „zeitlicher Aufwand“ und „Arbeitseinkommen“ vorzunehmen und eine entsprechende wertungsmäßige Entscheidung zu treffen. Im Zweifelsfall sei daher stets eine Prüfung anhand der vorliegenden Gesamtumstände, also eine Gesamtschau, durchzuführen. Anknüpfend an die Gesetzesbegründung habe das Bundessozialgericht die Notwendigkeit einer Gesamtschau hervorgehoben in den Fällen, in denen ein geringes Zurückbleiben bei einem Kriterium mit einem deutlichen Übersteigen beim anderen Kriterium zusammentreffe (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.1997, Az.: 10 RK 2/97, juris Rdn. 14). Gemeint seien die Fälle, in denen die beiden Kriterien nicht kumulativ vorlägen. Zur vereinfachten Prüfung der Hauptberuflichkeit enthalte der Gliederungspunkt 3.2 der „Grundsätzlichen Hinweise“ drei Grundannahmen, bei deren Vorliegen von einer hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden könne. Diese drei Grundannahmen stellten jeweils den zeitlichen Aufwand und die wirtschaftliche Bedeutung der Tätigkeit in ein Verhältnis zueinander. Eine hauptberuflich selbständige Tätigkeit könne dann angenommen werden, wenn alle genannten Kriterien einer der drei Grundannahmen erfüllt seien. Die „Grundsätzlichen Hinweise“ regelten jedoch weiter, dass dann, wenn sich nach diesen Grundannahmen das Vorliegen einer hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit nicht eindeutig bestimmen lasse oder Anhaltspunkte für andere Gegebenheiten hinsichtlich der Hauptquelle zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorlägen oder Einwände gegen diese Grundannahmen zu prüfen seien, die Beurteilung im Rahmen einer Gesamtschau vorzunehmen sei. Hieraus sei der Schluss zu ziehen, dass die Anwendung der beiden Kriterien „zeitlicher Umfang der selbständigen Tätigkeit“ und „Einkommen“ kumulativ eindeutig zu einer Bewertung der Tätigkeit als hauptberuflich selbständig führen müsse, damit von weiteren Ermittlungen im Verwaltungsverfahren abgesehen werden könne. Dann sei auch eine Gesamtschau nicht notwendig. Sei aber nur ein Kriterium nicht eindeutig erfüllt, habe eine Gesamtschau zu erfolgen. Eine solche Gesamtschau habe die Klägerin in den beanstandeten Fällen nicht vorgenommen. Sie sei vielmehr schematisch derart vorgegangen, dass sie immer dann, wenn nicht sowohl das zeitliche als auch das wirtschaftliche Kriterium in den unter 3.2 der „Grundsätzlichen Hinweise“ genannten Annahmen erfüllt seien, sie im Wege eines Umkehrschlusses von einer nebenberuflichen Tätigkeit ausgegangen sei, ohne den Sachverhalt weiter zu untersuchen. Diese Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“, einen Umkehrschluss vornehmen zu dürfen, wenn die Kriterien der unter 3.2 aufgeführten Grundannahmen nicht kumulativ erfüllt seien, entspreche nicht der in 3.2 festgelegen Vorgehensweise. Die Verpflichtung zur Vornahme einer Gesamtschau ergebe sich letztlich auch aus dem in §§ 20 Abs. 1, 21 SGB X normierten Untersuchungs- und Amtsermittlungsgrundsatz. Diese habe in den genannten Einzelfällen zu dem Ergebnis geführt, dass die selbständige Tätigkeit in allen Fällen hauptberuflich und nicht nebenberuflich ausgeübt worden sei. Indem die Klägerin pflichtwidrig auf die Durchführung einer Gesamtschau verzichtet und ihre Ermittlungspflichten nicht beachtet habe, habe sie die Versicherten zu Unrecht als nebenberuflich selbständig erwerbstätig eingestuft. Dieser Pflichtenverstoß sei auch fahrlässig erfolgt, denn bei verständiger rechtlicher Würdigung hätte die Klägerin erkennen müssen, dass sie zu weiteren Ermittlungen des Sachverhalts verpflichtet gewesen sei. Ein Mitverschulden der Beklagten sei nicht anzunehmen. Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass sie in den von der Klägerin bezeichneten Einzelfällen als Aufsichtsbehörde tätig geworden sei, hier jedoch als Verwalterin des Gesundheitsfonds. Eine generelle Zustimmung zu der von der Klägerin praktizierten verkürzten Prüfpraxis sei in keinem Fall erteilt worden. Bei den geführten Schriftwechseln zu Eingaben von Versicherten seien die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen gewesen. Außerdem habe die Klägerin auch nicht ausdrücklich um Mitteilung der Rechtsansicht der Beklagten zu ihrer Verwaltungspraxis gebeten. Im Fall Nr. 53 habe die Klägerin die freiwillige Mitgliedschaft aufgrund der Kündigung seitens des Mitglieds um einen Monat zu früh beendet. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, dass die Voraussetzungen des § 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht eingehalten worden seien. Mit dem Einwand, es sei kein Schaden entstanden, könne die Klägerin nicht gehört werden. Es bestehe eine strikte Trennung von Beitragsentrichtung und Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich und dem Leistungsgeschehen der Krankenkasse. Eine finanzielle Aufrechnung bzw. Gegenrechnung komme übergreifend nicht in Betracht. Insbesondere könnten unbezahlte Beiträge einzelner Mitglieder und nicht erfolgte Zuweisungen nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Sofern sich die Klägerin auf ersparte Leistungsaufwendungen beziehe, seien diese bereits hypothetischer Natur.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beteiligten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben. Nach dieser Vorschrift entscheidet das LSG NRW im ersten Rechtszug über Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen oder ihren Verbänden und dem Bundesamt für Soziale Sicherung betreffend den Risikostrukturausgleich, die Anerkennung von strukturierten Behandlungsprogrammen und die Verwaltung des Gesundheitsfonds. Die vorliegende Streitigkeit betrifft die Verwaltung des Gesundheitsfonds i.S.v. § 271 SGB V.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 14.07.2017 ist – auch in dem hier noch zur Entscheidung gestellten Umfang – rechtmäßig. Die Beklagte hat zu Recht in den Fällen 4, 10, 12, 15, 28, 53, 59, 66 und 68 der Fehlerkategorie 7 sowie dem Fall Nr. 53 der Fehlerkategorie 1.2. einen Zahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 10.932,01 Euro gegen die Klägerin geltend gemacht.

Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch findet sich in § 252 Absatz 4 SGB V. Diese Vorschrift bestimmt: Für die Haftung der Einzugsstellen wegen schuldhafter Pflichtverletzung beim Einzug von Beiträgen nach Absatz 2 Satz 2 gilt § 28r Abs. 1 und 2 des Vierten Buches entsprechend. Absatz 1 des § 28r SGB IV lautet: Verletzt ein Organ oder ein Bediensteter der Einzugsstelle schuldhaft eine diesem nach diesem Abschnitt auferlegte Pflicht, haftet die Einzugsstelle dem Träger der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit sowie dem Gesundheitsfonds für einen diesem zugefügten Schaden. Die Schadensersatzpflicht wegen entgangener Zinsen beschränkt sich auf den sich aus Absatz 2 ergebenden Umfang. Diese Haftungsbeschränkung wegen entgangener Zinsen regelt § 28r Absatz 2 SGB IV wie folgt: Werden Beiträge, Zinsen auf Beiträge oder Säumniszuschläge schuldhaft nicht rechtzeitig weitergeleitet, hat die Einzugsstelle Zinsen in Höhe von 2 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu zahlen.

Hier hat die Klägerin die ihr nach § 252 Absatz 2 Satz 2 SGB V obliegende Pflicht beim Einzug von Beiträgen verletzt; sie haftet der Beklagten deshalb nach den o.g. Vorschriften auf Schadensersatz und entgangene Zinsen.

Gemäß § 252 Abs. 2 Satz 2 SGB V erfolgt die Beitragszahlung an die nach § 28i SGB IV zuständige Einzugsstelle, sofern – wie hier – kein Fall des § 252 Absatz 2 Satz 1 SGB V vorliegt. Aus der Verweisung auf § 28r Absatz 1 SGB IV ergibt sich insbesondere auch die Verpflichtung der Klägerin als Einzugsstelle dafür Sorge zu tragen, dass die von den Versicherten geschuldeten Beiträge entsprechend den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften entrichtet werden.

Dies ist in den hier zur Entscheidung stehenden Fällen der Fehlerkategorien 7 und 1.2 nicht geschehen.

Zu den Fällen der Fehlerkategorie 7 hat die Klägerin eine Pflichtverletzung selbst eingeräumt. Ihr Prozessbevollmächtigter hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.11.2019 ausweislich der Sitzungsniederschrift erklärt: „Wenn man in den hier streitigen geprüften Fällen eine Gesamtschau vorgenommen hätte, so wäre man zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich jeweils um eine hauptberuflich selbständige Tätigkeit gehandelt hätte.“ Folgerichtig hat die Klägerin die (im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommende) Auffassung der Beklagten, in den hier streitgegenständlichen Fällen der Fehlerkategorie 7 habe es sich um Versicherte gehandelt, die richtigerweise als hauptberuflich Selbständige hätten beurteilt werden müssen, zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt. Diese demnach unzutreffende Beurteilung von Versicherten als nebenberuflich Selbständige stellt – da sie Recht und Gesetz nicht entsprach – eine Pflichtverletzung dar. Die Klägerin hat die ihr obliegende Pflicht zur vollständigen und richtigen Erhebung von Beiträgen hauptberuflich Selbständiger verletzt. Sie hat in den genannten Fallgestaltungen zu Unrecht eine nebenberufliche selbständige Tätigkeit festgestellt und die Beiträge entsprechend zu niedrig bemessen.

Demgegenüber kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, sie habe die „Grundsätzlichen Hinweise“ zutreffend angewandt und sei so zu dem Ergebnis gelangt, dass die Versicherten nebenberufliche Selbständige gewesen seien. Eine Pflichtverletzung der Klägerin läge nämlich auch dann vor, wenn ihre Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“ im Hinblick auf die Prüfung des Vorliegens einer hauptberuflichen Selbständigkeit zutreffend gewesen wäre und die „Grundsätzlichen Hinweise“ in dieser Hinsicht als unrichtig beurteilt werden müssten – was indes nicht der Fall ist.

Denn als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die Klägerin verpflichtet, die maßgeblichen Rechtsvorschriften (hier: § 5 Absatz 5 SGB V) zutreffend anzuwenden und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung (z.B. BSG, Urteil vom 16.11.1995, 4 RK 2/94, BSGE 77,93; BSG, Urteil vom 29.04.1997, 10/4 RK 3/96, SozR 3-5420 § 3 Nr. 2; BSG, Urteil vom 23.07.2014, B 12 KR 16/12 R) zu beachten. Dies ist in den von der Beklagten gerügten Fällen nicht geschehen, denn sonst wäre die Klägerin – wie sie selbst eingeräumt hat - zu der zutreffenden Beurteilung der Versicherten als hauptberuflich Selbständige gelangt. Dabei sieht der Senat – da die Klägerin die unrichtige Beurteilung der Versicherten zugestanden hat - keinerlei Veranlassung, in eine Prüfung der Einzelfälle einzutreten.

Im Fall Nr. 53 der Fehlerkategorie 1.2. liegt ebenfalls eine objektive Pflichtverletzung der Klägerin vor, denn sie hat – was sie auch einräumt – die Mitgliedschaft des Versicherten aufgrund der Kündigung zu Unrecht um 1 Monat zu früh beendet.

Diese Pflichtverletzungen sind auch schuldhaft erfolgt.

In den streitgegenständlichen Fällen der Fehlerkategorie 7 hat die Klägerin nämlich fahrlässig – unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB) – die Versicherten als nur nebenberuflich Selbständige angesehen. Schon der Umstand, dass sie sich hierbei ausschließlich auf die von ihr vorgenommene Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“ des GKV Spitzenverbandes gestützt hat, begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Zwar ist der Klägerin zu zugeben, dass es grundsätzlich ohne weiteres auch möglich ist, Arbeitshilfen wie die „Grundsätzlichen Hinweise“ zu berücksichtigen. Eine darauf fußende Rechtsanwendung bedarf allerdings der fortlaufenden Kontrolle, ob die so gefundenen Ergebnisse tatsächlich dem geltenden Recht entsprechen. Deshalb hätte sich die Klägerin vergewissern müssen, ob die von ihr vorgenommene Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“ regelmäßig zu zutreffenden Ergebnissen führt. Hierzu hätte sie – die als eine der größten Krankenkassen Deutschlands zahlreiche mit der Rechtsmaterie vertraute Volljuristen beschäftigt - lediglich stichprobenartig in einer Reihe von Fällen, in denen sie aufgrund ihrer Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“ zu dem Ergebnis „nebenberuflich selbständig“ gelangt war, eine umfassende Einzelfallprüfung („Gesamtschau“) vornehmen müssen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass ihr Verständnis der „Grundsätzlichen Hinweise“ nicht (immer) zu zutreffenden Ergebnissen führt. Von einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung der Rechtslage und einer hierauf beruhenden Rechtsanwendung, die – bis zu einer höchstrichterlichen Klärung – den Verschuldensvorwurf entfallen lassen kann (vergl. insoweit BSG, Urteil vom 12.11.2003, B 8 KN 1/02 U R mit weiteren Nachweisen) kann deshalb im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Auch im Fall 53 der Fehlerkategorie 1.2. ist die zu frühe Beendigung des Versicherungsverhältnisses nach den dargestellten Maßstäben schuldhaft erfolgt.

Demgemäß ist die Klägerin der Beklagten zum Ersatz des durch die Pflichtverletzungen verursachten Schadens verpflichtet.

In den Fällen der Fehlerkategorie 7 besteht dieser in der Differenz zwischen den eigentlich geschuldeten Beiträgen der Versicherten als hauptberuflich Selbständige und den tatsächlich von der Klägerin erhobenen Beiträgen (als nebenberuflich Selbständige). Gegen die Berechnung des Schadens hat die Klägerin keine Einwände erhoben; es ist auch nichts für eine unzutreffende Berechnung ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist in diesen Fällen der Fehlerkategorie 7 ein Mitverschulden der Beklagten nicht anzunehmen. Nach der Regelung des § 254 BGB ist es erforderlich, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden der Beklagten mitgewirkt hat (Absatz 1) oder dass es die Beklagte unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern (Absatz 2). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Klägerin meint, die Beklagte habe über ihr bekannt gewordene Einzelfälle Kenntnis von ihrer Verwaltungspraxis sowie der von ihr verfassten Arbeitshilfe gehabt, die auf der oben beschriebenen Auslegung der „Grundsätzlichen Hinweise“ beruhte. Dazu verweist sie auf Schreiben vom 19.01.2016 und 17.09.2017 und ein Antwortschreiben der Beklagten vom 10.03.2016. Indes können diese in den Jahren 2016 und 2017 stattgefundenen Vorgänge nicht ursächlich für die zeitlich davor liegende fehlerhafte Verwaltungspraxis der Klägerin entfaltet haben. Die von Mai bis Juli 2015 durchgeführte Prüfung der Beklagten konnte nur bereits abgeschlossene Fallgestaltungen erfassen, für deren rechtliche Beurteilung das behauptete Verhalten der Beklagten aus den Jahren 2016/2017 nicht ursächlich gewesen sein kann. Bereits deshalb fehlt jegliche Grundlage, hier ein Mitverschulden der Beklagten anzunehmen.  Von einem Mitverschulden wäre aber auch dann nicht auszugehen, wenn der Beklagten auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt Einzelfälle aus der Verwaltungspraxis der Klägerin  sowie die verwendete Arbeitshilfe bekannt geworden wären.  Die Klägerin will aus dieser Kenntnis eine Verpflichtung der Beklagten zur Beratung bzw. Hinweiserteilung ableiten. Die Annahme einer derartigen Verpflichtung der Beklagten käme dann aber vom Ergebnis her  einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf der Ebene zwischen der Klägerin als Krankenkasse und der Beklagten als (Aufsichts-) Behörde gleich. Hierzu besteht aber keinerlei Anlass, weil die Klägerin als eigenständige Körperschaft des Öffentlichen Rechts über alle Mittel, insbesondere auch das rechtliche Wissen verfügt, um die ihr zugewiesen Aufgaben gemäß Recht und Gesetz zu erfüllen. Deshalb ist die Beklagte  jedenfalls dann, wenn sich eine Krankenkasse nicht ausdrücklich mit dem Ersuchen um Äußerung einer Rechtsauffassung an sie wendet, nicht von sich aus verpflichtet, im Zusammenhang mit ihr bekannt gewordenen Einzelfällen eine rechtliche Beratung der Krankenkasse vorzunehmen. 

Im Fall 53 der Fehlerkategorie 1.2. hat die Pflichtverletzung der Klägerin ursächlich zu Folge, dass für 1 Monat kein Beitrag für den Versicherten an den Gesundheitsfonds weitergeleitet worden ist. Von dieser Schadenshöhe ist keine fehlende (fiktive) Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds an die Klägerin in Abzug zu bringen. Insoweit fehlt es an der sachlichen Kongruenz zwischen Beitrag und Zuweisung. Dies verdeutlicht der Umstand, dass die Klägerin die Höhe der entgangenen Zuweisung nicht zu beziffern vermochte.

Schließlich hat die Beklagte auch zutreffend die Verzinsung der nicht gezahlten Beiträge nach § 28r Abs. 2 SGB IV  i.V.m. § 247 BGB geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert war auf 19.949,05 Euro festzusetzen, § 197a Absatz 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Absatz 2, 52 GKG.

Anlass zur Zulassung der Revision hat nicht bestanden.

 

Rechtskraft
Aus
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