L 12 AS 199/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 359/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 199/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 330/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 23.12.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklag­ten für den Monat September 2019.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit von August 2019 bis Januar 2020 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ohne Anrechnung von Einkommen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung sowie eines Mehrbedarfes für dezentrale Warmwasserversorgung (Bescheid vom 01.08.2019).

Am 09.09.2019 teilte die Klägerin dem Beklagten unter Vorlage des Arbeitsvertrages mit, dass sie zum 10.09.2019 eine abhängige Beschäftigung bei dem Unternehmen „U-GmbH & Co.KG“ aus A aufnehmen werde.

Ausweislich der aufforderungsgemäß eingereichten Lohnabrechnung für den Monat Sep­tember 2019 ergab sich ein Gehalt in Höhe von 1.522,50 Euro brutto und 1.059,23 Euro netto. Der Lohn ging am 30.09.2019 auf dem Konto der Klägerin ein.

Mit Bescheid vom 10.10.2019 hob der Beklagte die Leistungen für den Monat September 2019 in Höhe von 759,23 Euro auf und forderte den überzahlten Betrag von der Klägerin erstattet. Dabei legte er dar, wie sich der Betrag auf die Bedarfsarten (Regel-, Mehrbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung) verteilte.

Hiergegen legte die Klägerin am 05.11.2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie sei trotz der Aufnahme der Beschäftigung im Monat September 2019 mittellos gewesen, da das Gehalt erst am Ende des Monats an sie ausgezahlt worden sei. Dieses sei zudem dazu bestimmt gewesen, ihren Lebensunterhalt im Monat Oktober 2019 zu bestreiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2019 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Einkommen sei im Monat des Zuflusses anzurechnen. 

Die Klägerin hat am 12.12.2019 Klage vor dem Sozialgericht Freiburg erhoben, das die Klage an das Sozialgericht Dortmund verweisen hat.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe unberücksichtigt gelassen, dass es sich um ei­nen atypischen Fall handele. Sie habe auch im Monat Sep­tember 2019 Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt, da sie ansonsten nicht in der Lage gewesen wäre, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Bescheid sei zudem auch insofern rechtswidrig, als der Beklagte als Rechtsgrundlage nicht den § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 des Dritten Sozialgesetzbuches (SGB III) genannt habe.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 10.10.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13.11.2019 aufzuheben.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung seinen Vortrag aus dem Verwaltungs- und Widerspruchs­verfahren wiederholt.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.12.2020 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei. Die Aufhebung sei zu Recht erfolgt, weil die Klägerin nach der Leistungsbewilligung laufende Einnahmen erzielt habe, die aufgrund des erstmaligen Zuflusses im Monat September 2019 leistungsmindernd zu berücksichtigen seien.

Gegen den ihr am 05.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 04.02.2021 Berufung eingelegt.

Sie vertritt weiterhin die Ansicht, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Sie sei bis zum 30.09.2019 mittellos gewesen. Hätte sie ihren Lohn einen Tag später erhalten, wäre wohl kein Bescheid erlassen worden. Die Abhängigkeit von dieser Zufälligkeit sei willkürlich, menschenverachtend und verfassungswidrig, weil sie faktisch mit ihrem Septembereinkommen zwei Monate bestreiten müsse.

Nach einer Kommentierung sei von einer Rückzahlung abzusehen, wenn die Leistung gutgläubig verbraucht worden sei.

Die Klägerin beantragt,           

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 10.10.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13.11.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,           

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitverhältnis wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) Berufung ist unbegründet, weil die zulässige Klage unbegründet ist.

Denn die Klägerin ist durch den Bescheid vom 10.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2019 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Der Beklagte hat zu Recht die Leistungen für den Monat September 2019 in Höhe von 759,23 Euro aufgehoben (I.) und erstattet (II.) verlangt hat.

I. 1. a) Die Aufhebung ist formell rechtmäßig.

Eine Anhörung vor Erlass des angefochtenen Bescheides war gem. § 24 Abs. 2 Nr. 5 des Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) entbehrlich, da eine einkommensabhängige Leistung (vgl. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II) den geänderten Verhältnissen angepasst worden ist (vgl. Franz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage 2017, § 24 SGB X Rn. 50).

b) Soweit die Klägerin in tatsächlicher Hinsicht zutreffend beanstandet, dass im Bescheid vom 10.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2019 als Ermächtigungsgrundlage allein § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X angeführt worden ist, ohne dass zutreffend ergänzend auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) Bezug genommen worden wäre, bleibt dies unbeachtlich.

Die Bezeichnung der Ermächtigungsgrundlage ist grds. Teil der rechtlichen Begründung des Bescheides als Formerfordernis nach § 35 Abs. 1 S. 2 SGB X (BSG Urteil vom 08.10.1998, B 10 LW 3/97 R, juris Rn. 13; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, 04/2013, § 35 Rn. 24). Sollte – was hier offenbleiben kann – die Nichterwährung der die Entscheidung als bindend kennzeichnen o.a. Vorschriften gegen das Begründungserfordernis verstoßen, wäre indes der Aufhebungsbescheid gleichwohl nicht aufzuheben, gerade weil keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden konnte (§ 42 S. 1 SGB X). Ein Begründungsmangel schlüge damit nicht durch, weil der Beklagte verpflichtet und befugt war, die Leistungsbewilligung (teilweise) aufzuheben bzw. zu ändern (vgl. BSG, a.a.O.; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, 12/2008, § 42 Rn. 13, 18; dazu 2.).

2. Der streitgegenständliche Aufhebungsbescheid ist auch materiell­ rechtmäßig

Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III sind erfüllt.

Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, dass zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruches geführt haben würde.

a) Nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 01.08.2019 hat die Klägerin infolge des am 09.09.2019 unterzeichneten Arbeitsvertrages Arbeitsentgelt erzielt, dass ihr in Form des Septembergehaltes erstmals am 30.09.2019 zugeflossen ist. Bei dieser Lohnzahlung handelt es sich um eine laufende Einnahme, da die Gehaltszahlungen während des Arbeitsverhältnisses ausweislich § 9 Abs. 2 des Arbeitsvertrages in monatlichen Abstän­den erbracht werden sollten (vgl. zur Abgrenzung zur einmaligen Einnahme: BSG Urteil vom 30.07.2008, B 14 AS 26/07 R, juris; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, 12/2019, § 11 Rn. 407; Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 11, Rn. 76).

Gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 SGB II ist diese laufende Einnahme in dem Monat, in dem sie zugeflossen ist, zu berücksichtigen. Hierdurch reduzierte sich der Leistungsanspruch gegenüber dem Bescheid vom 01.08.2019.

Soweit die Klägerin meint, ihr Gehalt habe nicht im September 2019 leistungsmindernd berücksichtigt werden dürfen, da es erstmals zum Ende dieses Monats zugeflossen sei und insofern erst im Folgemonat zur Verfügung gestanden habe, deckt sich diese Einschätzung offensichtlich nicht mit der gesetzlichen Anordnung des § 11 Abs. 2 S. 1 SGB II. Die Auffassung ist unvertretbar. Wann innerhalb des Monats der Zufluss erfolgt, berührt die leistungsmindernde Wirkung der Einnahmen in diesem Monat nicht, sondern ist allenfalls bedeutsam für die Frage, ob eine die vorübergehende Bedarfsunterdeckung überbrückende Leistung (insbesondere ein Darlehen gem. § 24 Abs. 4 S. 1 SGB II) in Betracht kommt (vgl. BSG Urteil vom 30.07.2008, B 14 AS 26/07 R, juris Rn. 27; Striebinger in Gagel, SGB II/SGB III, 06/2021, § 11 Rn. 58; Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Auflage 2011, § 11 Rn. 18). Dies entspricht der modifizierten Zuflusstheorie (hierzu: BSG Urteil vom 25.10.2017, B 14 AS 35/16 R, juris Rn. 27; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, 12/2019, § 11 Rn. 173 ff. m.w.N.), widerspricht nicht der Fiktion (vgl. BSG, Urteil vom 06.11.1985, 10 RKg 3/84, juris Rn. 15) des § 48 Abs. 1 S. 3 SGB X und steht auch im Einklang mit dem sonstigen Recht, insbesondere der eine monatliche Betrachtungsweise voraussetzenden Darlehensregelung des § 24 Abs. 4 S. 1 SGB II (vgl. Behrend in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 24, juris Rn. 17) sowie der Festlegung der Zahlungsabschnitte in §§ 41 Abs. 1 S. 2, 3 i.V. m. 42 Abs. 1 SGB II. Demgegenüber ist nicht darauf abzuheben, ob die Zuflüsse der Bedarfsdeckung in einem anderen Zeitraum dienen sollten (sog. Zeitraumidentitätstheorie; früher vom BVerwG vertreten: Urteil vom 24.04.1968, V C 62.67, juris, hiergegen schon: BSG Urteil vom 20.06.1978, 7 RAr 47/77, juris Rn. 30; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, 12/2019, § 11 Rn. 416).

Die von der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht bzw. vermag sich von der gerügten Verfassungswidrigkeit der §§ 11 Abs. 2 S. 1, 24 Abs. 4 S. 1 SGB II nicht zu überzeugen (zum Maßstab: BVerfG Beschluss vom 18.06.2008, 2 BvL 6/07, juris Rn. 44; BVerfG Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, juris Rn. 60). So hat das Bundesverfassungsgericht mit grundlegendem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 –, BVerfGE 125, 175-260, Rn. 150) ausdrücklich unbeanstandet gelassen, eine kurzfristige Unterdeckung des Existenzminimums darlehensweise ggfs. zu überbrücken (vgl. a.a.O., juris Rn. 150), wie dies gerade auch bei bevorstehend zufließendem Einkommen der Fall ist.

b) Der Beklagte hat die Leistungen auch in der richtigen Höhe aufgehoben. Einkommen im Sinne des § 11 SGB II ist mit Ausnahme der in § 11a SGB II gennannten Einnahmen ab­züglich der in § 11b SGB II genannten Absetzungsbeträge leistungsmindernd zu berücksichtigen.

Von dem Einkommen der Klägerin in Höhe von 1.522,50 Euro brutto war – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - neben den Ab­zügen gemäß § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 SGB II in Höhe von 463,27 Euro zunächst der Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 S. 1 in Höhe von 100,00 Euro abzusetzen. Zudem war ein Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 S. 1, 2 SGB II in Höhe von 200,00 Euro zu berücksichtigen (900,00 Euro x 0,2 + 200,00 Euro x 0,1). Nach Abzug verbleibt ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 759,23 Euro, das den Leistungsanspruch der Klägerin entsprechend minderte (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).

II. Da der entsprechende Betrag für den Monat September 2019 der Klägerin bereits gewährt worden ist, ist er gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe die Revision zuzulassen bestehen nicht.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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