L 6 AS 699/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 41 SF 53/21 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 699/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.03.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung der von ihm als Landeskasse zu erstattenden Kosten in Höhe von 1.151,33 € für die Führung eines erstinstanzlichen Klageverfahrens.

Die Klägerin wandte sich mit der am 19.11.2019 erhobenen Klage gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ganz aufgehoben hatte. Am 16.02.2021 wurde die Sache in einer Videokonferenz mit den Beteiligten erörtert, nachdem ein früherer Erörterungstermin bereits einmal aufgehoben worden war. In dem Termin, der 32 Minuten dauerte, schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich. Der Klägerin wurde im Anschluss auf ihren mit Klageerhebung gestellten Antrag unbeschränkt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin bewilligt.

Am 17.02.2021 beantragte die Beschwerdegegnerin beim Sozialgericht (SG) die Festsetzung zu erstattender Kosten in Höhe von insgesamt 1.151,33 €. Dabei legte sie in ihrer Kostennote folgende Gebühren und Auslagen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. dem Vergütungsverzeichnis (VV) zugrunde:

Verfahrensgebühr gemäß § 14 RVG, Nr. 3102 VV RVG:                                                                             360,00 €

Terminsgebühr gemäß § 14 RVG, Nr. 3106 S. 1 VV RVG:                                                                           270,00 €

Einigungsgebühr gemäß § 14 RVG, Nr. 1006, 1005 VV RVG:                                                                   360,00 €

Pauschale für Post und Telekommunikation gemäß Nr. 7002 VV RVG:                                                   20,00 €

abzüglich hälftige Beratungshilfe:                                                                                                                     - 42,50 €

 

Daraus ergab sich ein Nettohonorar in Höhe von 967,50 €, nach Hinzuziehung der Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 19 % also der beantragte Gesamtbetrag. Zur Begründung führte die Beschwerdegegnerin aus, die Angelegenheit sei für die Klägerin von besonderer Bedeutung gewesen. Es habe erhebliche sprachliche Barrieren gegeben, so dass die Beschwerdegegnerin nicht nur mit der Klägerin und der Tochter, sondern auch mit einem Bekannten der Klägerin habe Kontakt aufnehmen und Termine gemeinsam wahrnehmen müssen. Dies sei aufgrund der sprachlichen Probleme besonders zeitintensiv gewesen, was sich daran zeige, dass auch im laufenden Verfahren Vortrag abzuändern gewesen sei. Darüber hinaus sei die Angelegenheit für die Klägerin, welche ihren sich im Wachkoma befindlichen Ehemann pflege und ihre Wohnung aufgrund der Nichtzahlung des Jobcenters habe räumen müssen, sehr belastend gewesen. Auch die persönlichen Sorgen seien Gegenstand häufiger Gespräche gewesen. Vor diesem Hintergrund werde die leicht erhöhte Verfahrensgebühr für angemessen gehalten, zumal der Gesetzgeber die Gebühren zum 01.01.2021 angehoben habe, so dass die erhöhte Gebühr der aktuellen Mittelgebühr entspreche. Die Terminsgebühr sei aufgrund der durchschnittlichen Dauer als Mittelgebühr angesetzt worden.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte am 25.02.2021 die zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 770,53 € fest, wobei er abweichend von der Beschwerdegegnerin von einer jeweils auf 200 € abgesenkten Verfahrens- und Einigungsgebühr ausging. Auf die als Erinnerung ausgelegte sofortige Beschwerde der Beschwerdegegnerin vom 02.03.2021, womit sie ergänzend geltend machte, dass die Teilnahme an der Online-Verhandlung mit einem erhöhten Vorbereitungsaufwand verbunden gewesen sei, setzte das SG mit Beschluss vom 23.03.2021 die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 1.151,33 € fest. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei vorliegend (noch) durchschnittlich gewesen. Die Beschwerdegegnerin habe die Klageschrift nebst Begründung eingereicht. Darüber hinaus berücksichtige das Gericht, dass die Durchführung einer Online-Verhandlung mit einem erhöhten Aufwand verbunden gewesen sei. Damit stelle sich der Umfang der Tätigkeit als (noch) durchschnittlich dar. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei vorliegend weit überdurchschnittlich gewesen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Bedarfsberechnung für die Klägerin äußerst kompliziert gewesen sei. Es hätten sich komplizierte tatsächliche und rechtliche Fragen gestellt. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei überdurchschnittlich gewesen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin seien unterdurchschnittlich gewesen, wobei dieser Aspekt allein jedoch nicht eine Unterschreitung der Mittelgebühr rechtfertige, da in Konstellationen wie der vorliegenden in aller Regel angespannte wirtschaftliche Verhältnisse vorlägen und der beigeordnete Rechtsanwalt bei anderer Betrachtung nicht die Gebühr erhalten könne, die bei Vorliegen der weiteren Bemessungskriterien gerechtfertigt sei. Nach wertender Gesamtbetrachtung sei es gerechtfertigt, eine Verfahrensgebühr in Höhe von 360 € anzusetzen. Die Einigungsgebühr sei in Höhe von 360 € festzusetzen, denn diese Gebühr entstehe in Höhe der nicht erhöhten Verfahrensgebühr. Die Festsetzung der weiteren Gebühren und Auslagen sei nicht beanstandet worden.

Gegen den ihm am 25.03.2021 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 06.04.2021 Beschwerde eingelegt. Er trete der Auffassung, dass der Rechtsstreit überdurchschnittlich komplex und schwierig gewesen sei, nicht bei. Umfangreiche Berechnungen haben die Prozessbevollmächtigte nicht vorgenommen, sondern nur auf einer Neuberechnung durch das beklagte Jobcenter bestanden. Da auch nicht umfangreich vorgetragen worden und kein medizinischer oder sonst schwieriger Sachverhalt aufzuklären oder zu ermitteln gewesen sei, halte er die Festsetzung einer unterdurchschnittlichen Gebühr in Höhe von 200 € für angemessen. Die Schwierigkeit, den Termin online durchzuführen, wirke sich allenfalls bei der Festsetzung der Terminsgebühr aus. Die Einigungsgebühr falle in Höhe der Verfahrensgebühr an; ein Ermessen sei hier nicht gegeben.

Die Beschwerdegegnerin hält den Beschluss des SG für zutreffend und verweist auf die Entscheidungsgründe sowie auf ihre Ausführungen in der Erinnerungsbegründung. Ergänzend trägt sie vor, die anwaltliche Tätigkeit bestehe gerade darin, den Sachverhalt mit der Klägerin und ihren Vertrauensperson zu erörtern, den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht aufzuarbeiten und sodann nach Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile Schriftsätze zu fertigen; die zur Akte gereichten Schriftsätze könnten daher den tatsächlichen Aufwand und die tatsächliche Schwierigkeit nicht vollständig abbilden.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

 

II.

1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat mit drei Berufsrichtern (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG), weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Mit der auch entscheidungserheblichen Frage, ob sich die Vorbereitung eines Termins, der auf Grundlage des § 110a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Form einer Videokonferenz durchgeführt wird, gebührenerhöhend auswirken kann, hat sich der Senat noch nicht befasst.

2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

a) Die Beschwerde ist zulässig gemäß § 56 Abs. 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG und insbesondere statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt. Der Beschwerdeführer ist beschwerdeberechtigt und hat die zweiwöchige Beschwerdefrist (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingehalten. Eine Nichtabhilfeentscheidung des SG
(§ 33 Abs. 4 Satz 1 RVG) liegt vor.

b) Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat die aus der Staatskasse gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG zu erstattenden Kosten zutreffend festgesetzt. Die Höhe des Vergütungsanspruchs richtet sich nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. dem Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG). Vorliegend entstehen Betragsrahmengebühren, weil das Gerichtskostengesetz (GKG) keine Anwendung findet, denn das Verfahren ist gemäß § 183 Satz 1 SGG für die Klägerin kostenfrei.

aa) Eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG ist entstanden. Die Bestimmung der Gebühr in Höhe von 360 € durch die Beschwerdegegnerin ist auch verbindlich und damit vom Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach § 45 Absatz 1 Satz 1 RVG umfasst. Der sich aus Nummer 3102 VV RVG ergebende Rahmen beträgt in der hier noch anzuwendenden bis zum 29.06.2020 geltenden Fassung des VV RVG 50 bis 550 €. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt die Rechtsanwältin die Gebühr unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien. Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.10.2016, 19 AS 646/16 B, juris Rn. 64). Die von der Beschwerdegegnerin getroffene Bestimmung in Höhe von 360 € stellt sich jedoch als angemessen und damit als verbindlich dar. Die Gewichtung der hier maßgeblichen Kriterien sind von dem SG zutreffend und nachvollziehbar erläutert worden. Hierauf nimmt der Senat Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 142 Abs. 1 Satz 3 SGG). Insbesondere ist die Einschätzung, dass es sich um einen durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit gehandelt hat, nicht zu beanstanden. Der Begriff des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit bezieht sich auf den tatsächlichen zeitlichen Aufwand bei der Bearbeitung des konkreten Mandates, wobei auch die persönliche Situation des Mandanten zu berücksichtigen ist (Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, § 14 Rn. 16). Mit der Verfahrensgebühr wird der Aufwand für Besprechung und Beratung des Mandanten, das Anfordern und die Sichtung von beigezogenen und eingeholten Unterlagen, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, der Schriftverkehr mit dem Mandanten und dem Gericht, Besprechungen mit dem Mandanten sowie alle Tätigkeiten, für die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht eine besondere Gebühr angesetzt werden kann, vergütet; die Zahl der gefertigten Schriftsätze, einschließlich ihres Inhalts, kann ein Indiz für den zeitlichen Aufwand der anwaltlichen Tätigkeit darstellen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.07.2021, L 19 AS 404/21 B). Es kommt aber für den Umfang der Tätigkeit nicht nur auf diese Zahl an (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R). Vorliegend haben sich, wie von der Beschwerdegegnerin plausibel dargelegt, auch die Notwendigkeit von zeitintensiven Besprechungen nicht nur mit der Mandantin, sondern auch mit deren Tochter und einer weiteren Person auf den zeitlichen Aufwand, den sie in der Sache betrieben hat, ausgewirkt. Dies und auch die Dauer des Verfahrens sowie der Aufwand für die Vorbereitung des Termins, der als Videokonferenz durchgeführt wurde, sprechen jedenfalls nicht für einen unterdurchschnittlichen Umfang der Angelegenheit. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wirken sich Tätigkeiten, die der Vorbereitung eines Termins dienen, auf die Bemessung der Verfahrensgebühr und nicht auf die Höhe der Terminsgebühr aus (vgl. dazu etwa Ahlmann in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, VV Vorbemerkung 3 Rn. 24, 48). Jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt Anfang 2021 kann nach Überzeugung des Senats auch davon ausgegangen werden, dass nicht nur die Sozialgerichte, sondern auch Rechtsanwälte nicht regelhaft über die Erfahrung und Übung im Umgang mit der erforderlichen Technik zur Übertragung von Bild und Ton verfügt haben, da erst seit dieser Zeit die durch § 110a SGG ermöglichte Übertragung der Verhandlung in Bild und Ton in nennenswerterem Umfang praktisch angewendet wurde. Dies bezieht sich auch und gerade auf die vorbereitenden Tätigkeiten (wie etwa das Vertrautmachen mit dem vom Gericht genutzten Konferenzsystem), durch die die Durchführung einer Videokonferenz als Verhandlungs- oder Erörterungstermin und damit die eigentliche Terminswahrnehmung für den Rechtsanwalt erst ermöglicht wird.

Wegen des daher mindestens durchschnittlichen Umfangs und der auch aus Sicht des Senats überdurchschnittlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, für die die Beschwerdegegnerin nachvollziehbar und zu Recht auch auf tatsächliche Herausforderungen im Umgang mit der Klägerin und ihrer auch den Rechtsstreit betreffenden Lebenssituation abgestellt hat, sowie der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit, in der es um die Aufhebung der Bewilligung existenzsichernder Leistungen ging, stellt sich eine Gebührenbestimmung in Höhe von 360 €, also in einer Höhe, die um nur ein Fünftel über der Mittelgebühr liegt, nicht als unbillig dar.

bb) Die Einigungsgebühr ist gemäß Nr. 1005, 1006 i.V.m. 1000 VV RVG in Höhe der Verfahrensgebühr, also in Höhe von 360 €, entstanden.

cc) Die Höhe der Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit; die Festsetzung ist auch nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden. Sie liegt mit 270 € noch unterhalb der Mittelgebühr in Höhe von 280 €, die im Hinblick auf die Dauer des Termins und den Umstand, dass der Termin in Form einer Videokonferenz durchgeführt wurde, jedenfalls angemessen wäre. Wegen der Bindung an den Antrag der Beschwerdegegnerin und des zugunsten des Beschwerdeführers geltenden Verböserungsverbotes (vgl. dazu ausführlich LSG NRW, Beschluss vom 25.10.2010, L 19 AS 1513/10 B, juris Rn. 64) muss der Senat nicht entscheiden, ob die Teilnahme an einem Termin, der gemäß § 110a SGG in Form einer Videokonferenz durchgeführt wird, eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Termin selbst begründen kann.

dd) Unter Berücksichtigung der Auslagenpauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG, des Abzugs der hälftigen Beratungshilfe in Höhe von 42,50 € gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG und der auf den Gesamtbetrag in Höhe von 967,50 € anzusetzenden Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG ergibt sich der von dem SG festgesetzte Betrag von 1.151,33 €.

3. Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

           

Rechtskraft
Aus
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