L 7 AS 1753/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 378/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1753/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.10.2021 aufgehoben.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Wege der Klage Akteneinsicht und Auskunft über seine personenbezogenen Daten.

Der Kläger steht seit Jahren im Leistungsbezug nach dem SGB II. Er beantragte im April 2020 beim Jobcenter des Kreises L, des Beklagten, vollständige Akteneinsicht in alle dort und den zehn angeschlossenen Bezirksstellen geführten Akten sowie Auskunft, an welche Stellen personenbezogene Daten übermittelt bzw. von welchen Stellen solche Daten abgerufen oder angefordert worden seien. Der Beklagte hat ihm mit Schreiben vom 26.08.2020 zuletzt mitgeteilt, dass er Akteneinsicht in einem Büro des Rathauses der Stadt I erhalten solle und man ihm zeitnah einen Termin anbieten werde.

Nachdem ihm in der Folge – angabegemäß – weder Akteneinsicht noch Auskunft gewährt worden war, hat der Kläger am 13.02.2021 unter Schilderung des Sachverhalts Klage beim Sozialgericht Gelsenkirchen „gegen den Kreis L, Jobcenter“ erhoben. Sollte das angerufene Gericht örtlich oder sachlich nicht zuständig sein oder sich für nicht zuständig erklären, stelle er vorsorglich den Antrag, die Streitsache an das zuständige Gericht zu verweisen. Er hat seinen Antrag auf Akteneinsicht und Auskunft auf datenschutzrechtliche Vorschriften gestützt.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger sei es zumutbar gewesen, den Beklagten an ein Terminangebot zu erinnern. Zugleich hat er zwei Termine zur Akteneinsicht angeboten.

Das Sozialgericht hat den Kläger darauf hingewiesen, für die Klage sei in Bezug auf die Akteneinsichtnahme das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Das Gericht verweise auf § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Grundsätzlich liege die Entscheidung, wie Akteneinsicht gewährt werde, im Ermessen der Behörde. Werde die Klage nicht zurückgenommen, sei beabsichtigt, sie durch Gerichtsbescheid als unzulässig zu verwerfen.

Der Kläger hat hierzu darauf hingewiesen, er beziehe sich nicht auf ein Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X. Er habe bereits mehrfach dargelegt, dass er sich auf die Datenschutzgrundverordnung beziehe.

Mit weiterer gerichtlicher Verfügung hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, momentan werde die Stadt I als Beklagte geführt, weil dies aus Sicht des Gerichts auch dem wohlverstandenen Interesse des Klägers entspreche. Nach geltender Rechtslage werde die Stadt I eigenverantwortlich für den Kreis L im eigenen Namen tätig. Der Streitgegenstand des Verfahrens gehöre zu den durch Heranziehungssatzung übertragenen Aufgaben. Dem Kläger stehe es frei, seine Klage, wie in der Klageschrift sowie nachfolgenden Schreiben angegeben, gegen den Kreis L zu richten. In diesem Fall dürfte die Klage unzulässig sein. Er werde darum gebeten klarzustellen, ob sich die Klage gegen den Kreis L richte. Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, er habe sich bereits im Vorfeld der Klage an den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Nordrhein-Westfalen gewandt. Der Kreis L erhebe, speichere und verarbeite mit seiner Rechtsbehelfsstelle Daten zu seiner Person, z.B. bei der Bearbeitung eines Widerspruchs. Seine Klage richte sich daher explizit gegen den Kreis L. Ohnehin seien die vom Gericht erteilten Hinweise nicht nachvollziehbar. Gegen die kreisangehörigen Städte werde er gesondert Klage erheben, da dortige Anträge auf Akteneinsicht und Aktenauskunft bislang nicht bearbeitet worden seien. Das Gericht könne das Verfahren aber auch an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verweisen. Er sei vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit darauf hingewiesen worden, dass Klagen nach der Datenschutzgrundverordnung gegen Behörden, die Daten der Grundsicherung erheben, verarbeiten und speichern, auch vor den Verwaltungsgerichten zulässig seien.

In einem Erörterungstermin vom 06.09.2021 ist protokolliert: „Der Kläger beantragt, das Verfahren an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen.“ Ein Zusatz dahingehend, dass dieser Antrag laut diktiert, vorgespielt und vom Kläger genehmigt worden sei, fehlt. Der Kläger hat nachfolgend darauf hingewiesen, die mündliche Erörterung habe sich lediglich auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bezogen. Dieses sei nicht anwendbar.

Mit einem gerichtlichen Hinweis vom 15.09.2021 hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, einschlägige Auskunfts- und Akteneinsichtsansprüche könnten sich in dem Verfahren ausschließlich gegen die Stadt I richten. Die Beteiligtenfähigkeit sei eine stets zu prüfende Prozessvoraussetzung. Nach § 69 Nr. 2 SGG sei dies die Stadt I. Beklagter sei derjenige, den der Kläger in der Klageschrift als solchen bezeichnet und gegen den er die staatliche Rechtsschutzhandlung begehrt. Der Kläger richte seine Klage explizit gegen den Kreis L. Im hiesigen sozialgerichtlichen Verfahren bestünden insoweit keine Auskunfts- und Akteneinsichtsansprüche. Ansprüche gegen den Kreis L könnten sich lediglich aus der Datenschutzgrundverordnung oder dem Informationsfreiheitsgesetz ergeben. Hierfür sei jedoch nach § 40 Abs. 1 VwGO die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts begründet (Verweis auf VG Köln Beschluss vom 18.07.2019 – 13 L 1109/19). Es sei beabsichtigt den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu verweisen. Mit diesem Vorgehen hat der Kläger sich einverstanden erklärt. Er hat ergänzend darum gebeten, das Passivrubrum im Vorfeld einer Verweisung zu ändern. Werde das Passivrubrum nicht geändert, werde die Klageschrift vom Verwaltungsgericht dem Rechtsamt der Stadt I zugestellt. Im Übrigen habe er sich beim Sozialgericht Detmold erkundigt. Dort werde in vergleichbaren Angelegenheiten gänzlich anders verfahren. In einem Verfahren betreffend ein Hausverbot habe das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen darüber hinaus unter Auslegung der Heranziehungssatzung den Kreis L als richtigen Beklagten angesehen und das Rubrum nach vorheriger Anhörung geändert. Er werde das Landesverfassungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen als nächsthöheres Gericht für das Sozialgericht Gelsenkirchen und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zur Klärung anrufen.

Mit Beschluss vom 18.10.2021 hat das Sozialgericht, ohne Änderung des Rubrums, d.h. unter Nennung der Stadt I als Beklagte, den Sozialrechtsweg als unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen. Es hat hierzu den Inhalt seines gerichtlichen Hinweises vom 15.09.2021 im Wesentlichen wiederholt.

Gegen den ihm am 26.10.2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 24.11.2021 Beschwerde eingelegt und ausschließlich geltend gemacht, dass der Kreis L in das Passivrubrum aufzunehmen sei. Er hat darauf hingewiesen, dass seine Klage durchgehend gegen den Kreis L erhoben worden sei. Der Verweisungsbeschluss bezeichne als Beklagte jedoch die Stadt I. Er habe lediglich einer Verweisung des Verfahrens gegen den Kreis L an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zugestimmt. In dem Verweisungsbeschluss sei ausgeführt, dass sich die Klage gegen den Kreis L richte und nicht gegen die Stadt I. Deshalb sei das Rubrum des Beschlusses völlig unverständlich. Er bitte um Korrektur des Rubrums und sodann an Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Der Antragsgegner hat (erneut) auf die Regelungen der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Kreis L (Heranziehungssatzung SGB II) verwiesen. Die Stadt I entscheide und arbeite als kreisangehörige Stadt in den „herangezogenen“ Aufgabenbereichen im eigenen Namen und mit eigenem Personal und führe auch die Leistungsakte vor Ort.

 

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 202 SGG iVm § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft. § 98 SGG steht dem nicht entgegen, weil dessen Anwendungsbereich nur innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit im Geltungsbereich des SGG eröffnet ist und lediglich dort zu unanfechtbaren Beschlüssen führt (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 98 Rn. 2). Dabei ist die Rechtswegbeschwerde nach § 202 SGG iVm § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG kein eigener Rechtszug, sondern ein Zwischenstreit über eine Sachurteilsvoraussetzung während des erstinstanzlichen Verfahrens (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 51 Rn. 56).

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger vordergründig nicht die Verweisung an sich angreift, sondern lediglich die Aufnahme der Stadt I als Beklagte und damit die Änderung des Rubrums durch das Sozialgericht. Nach dem wohlverstandenen Interesse des Klägers wendet er sich gegen die Verweisung (jedenfalls) eines Rechtsstreits gegen die Stadt I an das Verwaltungsgericht. Zudem hat er erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei auch für das von ihm angestrengte Klageverfahren gegen den Kreis L, Jobcenter, eröffnet. Dass der Kläger – nach dem gesamten Inhalt seines erstinstanzlichen Vorbringens (hilfsweise)  – im Erörterungstermin die Verweisung beantragt hat, bindet den Senat ungeachtet der Tatsache, dass (jedenfalls) nicht entsprechend § 202 SGG iVm § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO in dem Protokoll vermerkt ist, dass der Antrag vorgespielt oder vorgelesen wurde und die Genehmigung erteilt worden ist, nicht.

Der Kläger hat ausdrücklich Klage gegen den Kreis L erhoben und dies mehrfach bekräftigt. Für eine Rubrumsberichtigung von Amts wegen durch das Sozialgericht –noch dazu ohne Anhörung des Klägers – war kein Raum. Grundsätzlich ist das Passivrubrum bei Falschbezeichnung des Beklagten zwar von Amts wegen zu berichtigen, wenn erkennbar ist, gegen wen sich die Klage richten soll (BVerwG Urteil vom 03.03.1989 – 8 C 98/85 –, Rn. 12, juris). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Der Kläger hat der durch das Sozialgericht vorgenommenen Rubrumsberichtigung wiederholt und eingehend unter Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung begründet widersprochen und darauf hingewiesen, er beabsichtige, gegen die Stadt I gesondert Klage zu erheben. Ein Beteiligtenwechsel war seitens des Klägers ersichtlich zu keinem Zeitpunkt gewollt. Mit der Stadt I, die vom Sozialgericht unverständlicherweise noch im Verweisungsbeschluss als Beklagte geführt wird, bestand zu keinem Zeitpunkt ein wirksames Prozessrechtsverhältnis. Dies hat zur Folge, dass der Verweisungsbeschluss im Ergebnis ins „Leere geht“, jedenfalls aber keinen Bestand haben kann. Allein die (erneute) Rubrumsberichtigung von Amts wegen durch den Senat wird bei dieser Sachlage dem Interesse des Klägers erkennbar nicht gerecht.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die erfolgte Verweisung – auch für den Fall eines gegen die Stadt I gerichteten Verfahrens – auch inhaltlich nicht nachvollziehbar ist. Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Entscheidung über die Zulässigkeit des von einem Kläger zu einem Gericht beschrittenen Rechtsweges ist die wahre, vom Richter festzustellende Natur des im Sachvortrag des Klägers behaupteten Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 51 SGG <Stand: 15.11.2021>, Rn. 335). Der Kläger macht – wie das Sozialgericht in dem Verweisungsbeschluss auch erkennt – Ansprüche nach der Datenschutzgrundverordnung geltend (jedoch keine Ansprüche nach dem IFG). § 81b Abs. 1 SGB X (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17.07.2017, BGBl. I <2017> S. 2541) sieht ausdrücklich vor, dass für Klagen der betroffenen Person u.a. gegen einen Verantwortlichen wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person bei der Verarbeitung von Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 und 2 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist (vgl. auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 24.03.2021 – L 12 AS 2102/19 –, juris, Rn. 50). In Betracht kommt vorliegend u.a. ein Auskunftsrecht aus Art. 15 der Datenschutzgrundverordnung, das sich gegen den Verantwortlichen richtet. Verantwortlicher ist nach der Begriffsbestimmung des Art. 4 Nr. 7 Hs. 1 Datenschutzgrundverordnung die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Der Kläger beruft sich insoweit darauf, dass der Kreis L – jedenfalls im Widerspruchsverfahren nach dem SGB II und damit im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 und 2 SGG – als Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet und gespeichert hat. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist und ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gegen den beklagten Kreis zusteht, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu klären.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG (zur Notwendigkeit eines Ausspruchs zu den Kosten im Beschwerdeverfahren eingehend: BSG Beschluss vom 01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R –, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, Rn. 19).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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