L 7 AS 111/21 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 142/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 111/21 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.11.2020 wird zurückgewiesen.      

Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen ein Urteil, mit dem das Sozialgericht ihn zur Zahlung von Eingliederungsleistungen an die Klägerin verurteilt hat.

Die 1986 geborene Klägerin war im Irak nach einem Studium der Medizin nach ihren Angaben als Ärztin tätig. Nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern bezog sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Integrationsbemühungen des Beklagten waren in der Folge im Wesentlichen auf eine Vermittlung der Klägerin in den Arztberuf gerichtet. Am 27.04.2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Kostenübernahme für einen Lehrgang im Bereich „Fachsprache Medizin“ an der Freiburg International Academy. Der Beklagte stellte der Klägerin in diesem Zusammenhang eine Förderung beim A-Institut Medizin in Köln in Aussicht. Gemäß einem Vermerk des Beklagten erklärte die Klägerin hierzu, sie habe gehört, dass die Ausbildung in Freiburg besser sei. Auch solle der Erwerb der deutschen Approbation in Baden-Württemberg leicht sein, in Nordrhein-Westfalen hingegen schwierig, und das wolle sie nicht. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 ab. Die Klägerin erhob diesbezüglich keine Klage.

Am 22.03.2018 und am 26.03.2018 beantragte die Klägerin beim Beklagten fernmündlich und am 02.04.2022 schriftlich Leistungen aus dem Vermittlungsbudget für eine in Baden-Württemberg durchzuführende Gleichwertigkeitsprüfung ihres im Irak erworbenen Abschlusses mit einer in Deutschland erworbenen medizinischen Qualifikation. Mit Bescheid vom 06.06.2018 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Entscheidung beruhe auf
§ 16 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB III und erfolge in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget könne nur erfolgen, wenn diese für die berufliche Eingliederung notwendig sei. Die in Baden-Württemberg gängige Gleichwertigkeitsprüfung sei für die Eingliederung der Klägerin nicht notwendig, weil Absolventen ausländischer Medizinstudiengänge in Nordrhein-Westfalen ohne vorherige Gleichwertigkeitsprüfung eine Kenntnisstandprüfung vor der Ärztekammer abzulegen hätten. Die Klägerin erhob am 28.06.2018 gegen diesen Bescheid Widerspruch. Für den Erwerb einer deutschen Approbation sei entweder eine Kenntnisstandprüfung vor der Ärztekammer oder die Bescheinigung der Gleichwertigkeit ihrer bisherigen Ausbildung mit einer in Deutschland erworbenen Ausbildung erforderlich. Sie habe sich für eine Gleichwertigkeitsprüfung in Baden-Württemberg entschieden, die mit einem von ihr zu erbringenden Kostenvorschuss iHv ca.
500 € verbunden gewesen sei. Die Kenntnisstandprüfung in Nordrhein-Westfalen wäre mit 605 € teurer gewesen.

Mit Schreiben vom 01.10.2018 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aufgrund ihres Wohnsitzes in C für ihre Approbation die Bezirksregierung Köln zuständig sei. Da der Beklagte im Land Nordrhein-Westfalen ansässig sei, habe er ein Interesse daran, dass die Prüfung nach den dort einschlägigen Vorschriften erfolge. Zum einen solle sichergestellt werden, dass die Klägerin nach Erwerb der Approbation in Nordrhein-Westfalen als Ärztin tätig werden könne, zum anderen, dass die Klägerin die in Nordrhein-Westfalen als erforderlich angesehenen Fach- und Sprachkenntnisse habe. Der Beklagte bat die Klägerin, mitzuteilen, warum sie die Gleichwertigkeitsprüfung in Baden-Württemberg eingeleitet  und von wem sie den Betrag iHv 500 € erhalten habe. Zudem forderte er sie auf, Unterlagen über die Gleichwertigkeitsprüfung, eine Quittung über die gezahlte Gebühr und eine etwaige Einstellungszusage aus Baden-Württemberg zu übersenden. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 17.10.2018 mit, sie habe den Betrag von 515 € von ihrer Schwester, einer Zahnärztin, erhalten. Sie habe sich für eine Stellenaufnahme für Baden-Württemberg entschieden, weil ihre Schwester in der Nähe von Karlsruhe wohne. Die Klägerin übersandte eine Quittung, aus der sich eine Überweisung dieses Betrages an das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg am 29.03.2018 ergab. Weiter übersandte sie ein Schreiben der Arztpraxis U aus Heidelberg vom 19.10.2017, wonach sie im November 2017 im Falle des Vorliegens einer Approbation eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen könne. Gemäß Feststellung der Kultusministerkonferenz als Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe vom 24.10.2018 lag keine Gleichwertigkeit der Ausbildung der Klägerin mit einer deutschen Ausbildung vor. Es fehle an Nachweisen für verschiedene Fachinhalte sowie an Kenntnissen des deutschen Gesundheits- und Rechtssystems.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In Betracht kommende Anspruchsgrundlage sei § 16 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB III. Gemäß § 44 SGB III müsse die Förderung für die Eingliederung notwendig sein. Dies sei der Fall, wenn hierdurch die Eingliederungsaussichten deutlich verbessert würden und wenn ohne die Förderung der gleiche Erfolg wahrscheinlich nicht oder deutlich später eintrete. Die Prüfung der Anerkennung irakischer Abschlüsse in Medizin werde zwischen den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Während Nordrhein-Westfalen immer eine Kenntnisstandprüfung voraussetze, komme in Baden-Württemberg auch eine alleinige Prüfung der Gleichwertigkeit des ausländischen Abschlusses in Betracht. Die für die Prüfung zuständige Behörde bestimme sich nach dem voraussichtlichen Einstellungsort, falls ein solcher nicht vorhanden sei, nach dem Wohnort. Die Klägerin habe nur eine vage Einstellungszusage aus 2017 vorgelegt, deren Fortbestand fraglich sei. Sie habe gegenüber dem Beklagten nie geäußert, in Baden-Württemberg tätig werden zu wollen, und auch eine entsprechende Einstellungszusage nicht vorgelegt. Es sei davon auszugehen, dass es ihr darum gehe, ihre Approbation schneller und einfacher zu erhalten. Bei einer Gleichwertigkeitsprüfung bestehe immer die Gefahr eines Scheiterns, so dass eine Kenntnisstandprüfung erforderlich werde und doppelte Kosten entstünden. Die deutsche Botschaft in Bagdad und das Generalkonsulat Erbil nähmen im Übrigen aufgrund der Fälschungsgefahr keine Legalisation irakischer Urkunden mehr vor. Diese Erfahrung liege auch der Entscheidung nordrhein-westfälischer Behörden zugrunde. Zudem weiche die medizinische Ausbildung in arabischen Ländern teilweise massiv von der deutschen Ausbildung ab. Der Beklagte habe ein Interesse daran, dass die Prüfung gemäß dem Verfahren der örtlich zuständigen Stelle erfolge. Zum einen solle sichergestellt werden, dass die Klägerin im Tagespendelbereich ihres Wohnorts eine Stelle erhalte, was durch die Approbation in einem anderen Bundesland erschwert werde. Zum anderen solle die Einhaltung der für Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Vorgaben sichergestellt werden. Nach Abwägung dieser Aspekte komme eine Kostenübernahme nicht in Betracht. Da die Gleichwertigkeitsprüfung jedenfalls zunächst gescheitert sei und die Klägerin nunmehr eine Kenntnisstandprüfung in Nordrhein-Westfalen ablegen müsse, habe sie den Integrationsprozess tatsächlich verlangsamt.

Am 28.12.2018 hat die Klägerin beim Sozialgericht Köln Klage gegen den Bescheid vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018 erhoben und eine Verurteilung des Beklagten zur Übernahme des Betrages von 515 € beantragt. Die Gleichwertigkeitsprüfung sei noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der Stellenzusage habe sie ein nachvollziehbares Interesse, die Prüfung in Baden-Württemberg durchzuführen. Aufgrund der Entbehrlichkeit der Kenntnisstandprüfung könnten Kosten gespart werden. Zudem könne mit einer in einem Bundesland erworbenen Approbation in jedem Bundesland eine Stelle angetreten werden. Mit Schriftsatz vom 12.03.2019 hat die Klägerin ein Schreiben des Landesgesundheitsamts Baden-Württemberg übersandt, wonach im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung ein Nachgutachten eingeholt würde. Ausweislich der im weiteren Verlauf des Verfahrens vorgelegten Kontoauszüge hatte die Klägerin den hierfür verlangten Betrag von (weiteren) 515 € am 07.03.2019 an das Landegesundheitsamt Baden-Württemberg überwiesen. Weiter hat die Klägerin ein Schreiben der Dres. U vom 08.02.2019 übersandt, wonach sie bei ihnen eingestellt würde, falls es wieder eine offene Stelle gebe.

Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass das Schreiben der Dres. U keine konkrete Stellenzusage darstelle. Nunmehr werde eine neue Begutachtung erforderlich, für die erneut derselbe Betrag anfalle. Die in Baden-Württemberg praktizierte Gleichwertigkeitsprüfung berge zu viele Risiken, weil die Echtheit der dort vorgelegten Unterlagen nicht festgestellt werden könne. Nach fernmündlicher Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf wiesen irakische Ärzte oft erhebliche Wissenslücken auf. Das Verfahren der alleinigen Gleichwertigkeitsprüfung solle vom Beklagten nicht unterstützt werden. Der Beklagte sei bereit gewesen, höhere Kosten für Weiterbildungs- und Prüfungsmaßnahmen zu tragen, wenn damit der erforderliche Wissensstand der Klägerin sichergestellt worden wäre.

Mit Schreiben vom 20.03.2019 hat die Kultusministerkonferenz im Rahmen der Nachbegutachtung unter Berücksichtigung weiterer von der Klägerin nachgereichter Unterlagen der Universität Bagdad die Gleichwertigkeit des Abschlusses der Klägerin mit einem in Deutschland erworbenen Abschluss festgestellt. Die Klägerin hat in der Folge ihre Approbation erhalten. Aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 15.08.2018 wurde sie zum 01.09.2019 zunächst befristet bis zum 29.02.2020 als Assistenzärztin bei der Krankenhaus E gGmbh eingestellt.

Die Klägerin hat nunmehr ergänzend vorgetragen, die Approbation und jetzige Anstellung widerlege die Auffassung des Beklagten, die Gleichwertigkeitsprüfung sei nicht erforderlich gewesen. Allein diese Integration und nicht die mögliche Unterschiedlichkeit des Prüfungsverfahrens in einzelnen Bundesländern sei indes  zulässiger Gegenstand der vom Beklagten anzustellenden Ermessenserwägungen. Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, die jetzige Arbeitsaufnahme der Klägerin in C zeige, dass sie an einer Arbeitsaufnahme in Baden-Württemberg nicht ernsthaft interessiert gewesen sei. Unklar sei, ob die Klägerin ihrem Arbeitgeber der Durchführung des Verfahrens in Baden-Württemberg mitgeteilt habe. Es sei davon auszugehen, dass nordrhein-westfälische Kliniken grundsätzlich annähmen, dass ausländische Ärzte mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen auch das hier maßgebliche Verfahren durchlaufen hätten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.11.2020 hat das Sozialgericht die Beteiligten nach Zwischenberatung darauf hingewiesen, dass es von einem Anspruch der Klägerin ausgehe und im Falle einer Entscheidung Verschuldenskosten iHv 1.000 € gegen den Beklagten zu verhängen beabsichtige. Die Vertreterin des Beklagten hat daraufhin den Sitzungssaal verlassen.

Mit Urteil vom 25.11.2020 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018 verurteilt, die Kosten für das erste im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung der Klägerin eingeholte Gutachten iHv 515 € zu übernehmen. Weiter hat es dem Beklagten Verschuldenskosten iHv 1.000 € auferlegt. Der Anspruch der Klägerin beruhe auf § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II iVm § 44 SGB III. Für eine berufliche Tätigkeit der Klägerin als Ärztin sei gemäß §  2 BÄO eine Approbation erforderlich. Der diesbezügliche  Förderbedarf der Klägerin liege damit vor. § 3 Abs. 3 BÄO sehe bei Abschlüssen aus Drittstaaten eine obligatorische Eignungsprüfung nur vor, wenn die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstands verneint werde, und lasse damit verschiedene Verfahren zu. Der Beklagte gehe indes davon aus, seine Förderung auf eines mehrerer möglicher Approbationsverfahren beschränken zu können.  Er habe das ihm im Rahmen des § 16 Abs. 1 SGB II iVm  § 44 SGB III zugestandene Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt. Dieses habe sich am Zweck des § 16 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB III zu orientieren, die Eingliederung in Arbeit zu fördern. Bei einer im Rahmen des § 44 SGB III zu treffenden Prognose sei grundsätzlich anzunehmen gewesen, dass eine erfolgreiche Gleichwertigkeitsprüfung zu einer Eingliederung der Klägerin in das Erwerbsleben führen werde. Das Verfahren für die Erteilung der Approbation werde von den Bundesländern geregelt. Für die Erteilung der Approbation sei gemäß § 3 Abs. 3 BÄO iVm § 12 Abs. 3 BÄO die Behörde zuständig, in deren Zuständigkeitsbereich die Tätigkeit ausgeübt werden solle. Der Wohnort sei ohne Belang. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin im Hinblick auf ihre Absicht, in Baden-Württemberg arbeiten zu wollen, getäuscht habe, zumal ihre Schwester dort lebe. Die Klägerin sei zudem nicht in der Situation gewesen, sich aussuchen zu können, in welchem Bundesland sie arbeiten wolle. Dies sei letztlich auch unerheblich, weil die in Baden-Württemberg tätig gewordene Behörde ihre Zuständigkeit angenommen habe. Die vom Beklagten angestellten Erwägungen zum Gesundheits- und Patientenschutz seien nicht vom Zweck der Ermächtigung gedeckt und damit sachfremd. Wirtschaftlichkeitserwägungen kämen nicht in Betracht, weil das alternativ in Betracht kommende Verfahren in Nordrhein-Westfalen teurer gewesen wäre. In Anbetracht der Vorstellung der Klägerin, in Baden-Württemberg arbeiten zu wollen, sei gemäß § 12 Abs. 2 BÄO nur eine Prüfung in diesem Bundesland in Betracht gekommen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Sofern der Beklagte bei seinen Erwägungen an die Staatsangehörigkeit der Klägerin anknüpfe, offenbare er eine rechtsferne Haltung.

Gegen diese ihm am 23.12.2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 21.01.2021 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es gelte zu klären, ob ein Leistungsträger in seine Ermessensentscheidung im Rahmen von § 16 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB III nicht auch übergeordnete Gesichtspunkte wie den Patientenschutz und den Schutz des Gesundheitswesens einfließen lassen dürfe und ob im Rahmen des Ermessens nicht auch zu berücksichtigen sei, dass die Zuständigkeit einer anderen Behörde „erschlichen“ worden sei. Der Beklagte habe im Gegensatz zu den baden-württembergischen Behörden Hintergrundwissen gehabt, dass die Klägerin nicht ernsthaft an einer Arbeitsaufnahme in Baden-Württemberg interessiert gewesen sei. In Nordrhein-Westfalen sei zumindest bei irakischen Abschlüssen in Anbetracht der Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 3 BÄO eine Kenntnisstandprüfung obligatorisch, weil die Echtheit irakischer Urkunden in Zweifel gezogen werde. Würden die Voraussetzungen für die Ausübung des ärztlichen Berufes nicht hinreichend festgestellt, könne auch dies einer dauerhaften Integration im Wege stehen. Jedenfalls sei nicht nachvollziehbar, dass das Sozialgericht eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen habe. Es liege auch ein Verfahrensfehler vor, denn das Sozialgericht habe nicht ermittelt, ob die Klägerin tatsächlich in Baden-Württemberg arbeiten wollte und ob die Stellenzusage der Dres. U echt gewesen sei. Die Auferlegung von Verschuldenskosten iHv 1.000 € sei unangemessen gewesen, auch wenn dem Beklagten bewusst sei, dass das Urteil nicht hierauf beruhe.

Die Klägerin hält die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 SGG nicht für erfüllt. Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte mitgeteilt, ihm sei kein weiterer gleichgelagerter Fall bekannt. Allerdings mache die Klägerin auch die Übernahme der Kosten für das zweite Gutachten geltend. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden.

 

II.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist zulassungsbedürftig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt angesichts der Verurteilung des Beklagten zur Erstattung eines Betrages von 515 € nicht 750 € iSv § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Es sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr iSv § 144 Abs.1 Satz 2 SGG betroffen.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist eine Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung iSv § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft (Klärungsfähigkeit), deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit).  Ein Individualinteresse genügt nicht.

Der Rechtsstreit wirft entgegen der Auffassung des Beklagten weder hinsichtlich der nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II iVm § 44 Abs. Satz 1 SGB III gebotenen Prüfung der Notwendigkeit der Förderung noch der in diesem Zusammenhang zu treffenden Ermessensentscheidung, ob Kosten für die Durchführung einer Gleichwertigkeitsprüfung in einem anderen Bundesland zu übernehmen sind, klärungsbedürftige Rechtsfragen auf. Es stellen sich zur Überzeugung des Senats schon keine Rechtsfragen mit Breitenwirkung, d.h. um  Fragen mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung in unbestimmt vielen Fällen oder wenigstens einer Mehrzahl weiterer Fälle, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit das Recht fortentwickeln oder vereinheitlichen würde (vgl. hierzu Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 05.11.2021, § 144 Rn. 31,  Leitherer in: Meyer ­­­­­­­­­­– Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 160 Rn. 7b). Die Fallgestaltung des vorliegenden Verfahrens ist erkennbar einzelfallgeprägt; der Beklagte hat im Beschwerdeverfahren eingeräumt, ihm sei außer dem Fall der Klägerin in Nordrhein-Westfalen kein Fall mit einer vergleichbaren Problematik bekannt.

Darüber hinaus sind die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfragen – etwa ob ein Träger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in die im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs gemäß § 16 Abs. 1 SGB II iVm § 44 SGB III gebotene Ermessensausübung über integrationsbezogene Gesichtspunkte hinaus auch übergeordnete Gesichtspunkte wie den Patientenschutz und den Schutz des Gesundheitswesens einfließen lassen kann – im vorliegenden Verfahren auch nicht klärungsfähig, weil der Rechtsstreit schon aus anderen Gründen zu entscheiden ist (gewesen wäre) und es daher auf die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt (vgl. hierzu Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 05.11.2021, § 144 SGG Rn.21).

Ungeachtet der Frage, ob der Beklagte im Rahmen der Leistungsablehnung überhaupt Ermessen ausgeübt hat, entscheidet sich der Rechtsstreit an dem bereits vor der Ermessensausübung zu prüfenden Tatbestandsmerkmal (vgl. zur vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit etwa Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 44 SGB III <Stand: 09.02.2022>, Rn. 102) der Notwendigkeit der Förderung der von der Klägerin begehrten Maßnahme für ihre berufliche Eingliederung iSv § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Da es sich bei § 16 SGB II um eine Rechtsgrundverweisung handelt, müssen die Voraussetzungen der jeweils in Bezug genommenen Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts vorliegen (vgl. hierzu Kohte in: Gagel, SGB II, SGB III; Stand der Ergänzungslieferung: 12/2018, § 16 SGB II Rn. 15). Der Begriff der Notwendigkeit iSv § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB III bezieht sich auf die konkret beantragte Maßnahme und setzt ihre Geeignetheit und Erforderlichkeit für das Integrationsziel voraus (Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl, Stand: 09.02.2022, § 144 Rn. 106). Geeignetheit und Erforderlichkeit sind in einer Prognoseentscheidung zu bestimmen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Richtigkeit der Erfolgsprognose der Beklagten ist jedenfalls dann, wenn die Maßnahme noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids begonnen wurde, der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides (vgl. hierzu BSG Urteil vom 11.05.2000 – B 7 AL 18/99 R zur Vorschrift des § 36 Abs. 2 AFG). Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018 hatte sich die im März 2018 eingeleitete Begutachtung der Kultusministerkonferenz, deren Kosten hier im Streit stehen, jedoch bereits als ungeeignet für die Integration der Klägerin erwiesen, weil die Kultusministerkonferenz mit Schreiben vom 24.10.2018 die Gleichwertigkeit des Berufsabschlusses der Klägerin verneint hatte. Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass die Kultusministerkonferenz aufgrund einer weiteren Begutachtung am 20.03.2019 zu einem anderen Ergebnis gekommen ist und die Klägerin letztlich eine Approbation als Ärztin erhalten hat. Zwar kann sich eine ursprünglich richtige Prognoseentscheidung aufgrund einer Veränderung der Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als unrichtig erweisen und ist dann als falsifiziert zu betrachten (BSG Urteil vom 11.05.2000 a.a.O.) Dies ist hier jedoch nicht der Fall, denn die Feststellung der Gleichwertigkeit des Berufsabschlusses beruht auf einer eigenständigen Begutachtung der Kultusministerkonferenz vom 20.03.2019, für die erneut Kosten iHv 515 € erhoben wurden, deren Übernahme nicht Gegenstand des vorliegenden, sondern eines von der Klägerin gesondert eingeleiteten Verfahrens ist. Der Erfolg einer späteren, wenn auch artverwandten Maßnahme, führt jedoch nicht zur Falsifikation einer abschlägigen Prognose für die streitgegenständliche Maßnahme, wenn diese gescheitert ist (vgl. BSG Urteil vom 11.05.2000 a.a.O. zum nachträglichen Erfolg einer gesondert zu beantragenden Wiederholungsprüfung nach gescheiterter erster Abschlussprüfung).

Eine Klärungsfähigkeit der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage scheitert im Übrigen auch daran, dass der Beklagte die von ihm thematisierten Gesichtspunkte des Gesundheits- und Patientenschutzes in den angefochtenen Bescheiden gar nicht zum Gegenstand einer Ermessensausübung gemacht, sondern einen Anspruch der Klägerin unter Verweis auf die fehlende Erforderlichkeit der Maßnahme abgelehnt hat. So verweist der Ausgangsbescheid vom 06.06.2018 zwar auf eine „Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens“, lässt den Anspruch in der Begründung jedoch am Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit scheitern, die aufgrund der alternativ zur Verfügung stehenden Möglichkeit einer Kenntnisstandprüfung in Nordrhein-Westfalen nicht gegeben sei. Auch im Widerspruchsbescheid vom 10.12.2018 führt der Beklagte seine Argumente bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Notwendigkeit aus, selbst wenn er auf eine „Abwägung aller Interessen“ Bezug nimmt. Letztere ist jedoch neben dem sorgfältigen Zusammentragen aller entscheidungserheblichen Fakten (z.B. individuelle Bedarfe, Integrationsschwierigkeiten etc.) bereits zwingendes Erfordernis für die im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit zu treffende Prognose (vgl. Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 44 SGB III <Stand: 09.02.2022>, Rn. 119) und hat nicht erst im Rahmen einer abschließenden Ermessensausübung zu erfolgen.

Auch dass der Beklagte im Widerspruchsbescheid auf das negative Ergebnis der Prüfung der Gleichwertigkeitsprüfung und auf die hierdurch bedingte Verlangsamung des Integrationsprozesses verweist, indiziert eine Verneinung der Geeignetheit und damit der Notwendigkeit der streitgegenständlichen Gleichwertigkeitsprüfung. Eine Klärungsfähigkeit der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage ist – unabhängig von den vorstehenden Ausführungen zur Notwendigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme – jedoch selbst dann nicht gegeben, wenn man von einer Ermessensausübung im Widerspruchsbescheid ausgeht, denn der Beklagte hat seine Ausführungen kumulativ auf eine aus seiner Sicht schlechtere Vermittelbarkeit der Klägerin im Tagespendelbereich sowie auf das Risiko zusätzlicher Kosten durch eine gleichwohl erforderliche Kenntnisstandprüfung und damit unzweifelhaft auf bei Eingliederungsleistungen im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB II unstreitig zu berücksichtigende Aspekte gestützt, die die Integration der Klägerin betreffen.

Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (vgl. BSG Beschluss vom 05.10.2010 – B 8 SO 61/10 B mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum insoweit gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 11.07.2019 – L 7 AS 689/19 NZB). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Breitkreuz/Schreiber in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 35). Ob – wie der Beklagte ausführt – das Sozialgericht von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteil vom 04.09.2014 – L 16 AS 1066/13) abgewichen ist, kann mithin dahinstehen. Das Sozialgericht hat darüber hinaus keinen abweichenden Rechtssatz im beschriebenen  Sinne aufgestellt.

Ebenso wenig liegt  der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Die vom Beklagten gerügte Unterlassung weiterer Ermittlungen des Sozialgerichts zu der Absicht der Klägerin, in Baden-Württemberg zu arbeiten, sowie zur Ernsthaftigkeit des von ihr vorgelegten Stellenangebots begründet – unabhängig davon, ob die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhte – keinen Verfahrensfehler iSv § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Die Ermittlung des Sachverhalts iSv § 103 SGG betreffende Mängel des Verfahrens können nur dann einen für die Zulassungsentscheidung beachtlichen Verfahrensmangel bilden, wenn sich das Sozialgericht von seiner Rechtsauffassung her hätte gedrängt fühlen müssen, diesbezügliche Ermittlungen anzustellen (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 05.11.2021, § 144 Rn. 41). Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Sozialgerichts waren weitere Ermittlungen jedoch nicht erforderlich, denn das Sozialgericht hat ausgeführt, unabhängig von den Einstellungschancen und -absichten der Klägerin sei die Bejahung der Zuständigkeit durch die baden-württembergische Landesbehörde maßgeblich. Zudem sei es für die Klägerin aufgrund ihrer Gesamtsituation gar nicht erkennbar gewesen, in welchem Bundesland sie arbeiten wolle.

Hinsichtlich der monierten Auferlegung von Verschuldenskosten (§ 192 SGG) durch das Sozialgericht weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Entscheidung des Sozialgerichts auf einem diesbezüglichen Verfahrensfehler nicht beruhen kann. Ebenso wie allein wegen der Kostenentscheidung in einem Urteil eines Landessozialgerichts die Revision nicht zugelassen werden kann (BSG Beschluss vom 13.01.2020 – B 4 AS 1/20 B –, juris) und § 192 SGG nicht isoliert Gegenstand einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung sein kann und derentwegen eine Revision zugelassen werden kann (vgl. BSG Beschluss vom 25.01.2018 – B 1 KR 31/17 B –, Rn. 14, juris), kommt insoweit die Zulassung der Berufung in Betracht (vgl. auch § 144 Abs. 4 SGG).

Abschließend sieht sich der Senat ergänzend zu folgenden Hinweisen veranlasst: Soweit der Beklagte es für geboten hält, darauf hinzuweisen, er habe sich bei seiner Entscheidung nicht von der Nationalität der Klägerin leiten lassen, vermag der Senat der Bescheid- und Aktenlage auch keine sachfremden Erwägungen zu entnehmen, die eine entsprechende Annahme begründen könnten. Dass sich konkret schon wegen der erforderlichen Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und im Ausland erworbener Abschlüsse unweigerlich tatsächliche und rechtliche Fragen mit Auslandsbezug stellen, liegt auf der Hand. Der Senat muss es sich jedoch versagen, zur rechtlichen Nachvollziehbarkeit der materiellrechtlichen Ausführungen des Sozialgerichts einerseits und zur Begründung der Verschuldenskosten andererseits Stellung zu beziehen. Grundsätzlich ist die inhaltliche Richtigkeit der sozialgerichtlichen Entscheidung, die der Beklagte mit seiner Beschwerde im Kern bezweifelt, im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu prüfen (vgl. zur allgemeinen Auffassung etwa auch  BSG Beschluss vom 28.10.2020 – B 10 EG 1/20 BH, Rn. 7, 11 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

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