Die Covid-19-Ausnahmeregelung in § 141 Abs. 2 SGB XII gilt ausnahmslos für alle (Erst-)Antragsteller im Rahmen des vorgegebenen Zeitfensters. Eine Beschränkung auf die unter anderem insbesondere in der Gesetzesbegründung benannten Gruppen von Kleinunternehmern, Solo-Selbstständigen oder auch Minijober ist dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. September 2021 insoweit abgeändert, dass der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nur für den Zeitraum vom 1. September 2020 bis zum 29. Februar 2021 zu gewähren sind.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum September 2020 bis März 2021 sowie die Notwendigkeit der Hinzuziehung einer Rechtsanwältin im Streit.
Die im Jahr 1994 geborene Klägerin bezog zuletzt Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Das zuständige Jobcenter hob die Leistungsbewilligung wegen der Aufnahme der Klägerin in den Eingangsbereich/Berufsbildungsbereich einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) zum 31. August 2020 auf (Bescheid vom 5. August 2020). Die Klägerin leidet an einer psychischen Erkrankung, bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt (Ausweis vom 4. März 2020).
Im Hinblick darauf beantragte die Klägerin beim Beklagten am 25. September Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Sie gab in dem Zusammenhang an, mit ihrem Lebensgefährten, dem Studenten L (im folgenden L.), in einer von ihrer Mutter (Vermieterin) angemieteten Wohnung (laut Mietvertrag: Grundmiete 350,00 €, Nebenkostenvorauszahlung 300,00 €, Stellplatz 50,00 €) zu wohnen und machte Angaben zu den bei ihr und L. vorhandenen Vermögenswerten in Höhe von insgesamt rund 15.000,00 € (Bankguthaben, Geschäftsanteile, Bausparvertrag, Auto).Die Klägerin hatte als monatliches Einkommen 150,00 € Taschengeld von ihren Eltern sowie 119,00 € Ausbildungsgeld. L. erhielt seit Aufnahme des Studiums in T im September 2019 von seiner Mutter nur das Kindergeld in Höhe von 192 € monatlich.
Das Einkommen der Eltern der Klägerin betrug 90.767,00 € brutto im Jahr 2019 (Einkommensteuerbescheid 2019 vom 23. November 2020).
Mit Bescheid vom 18. Februar 2021 lehnte der Beklagte die Gewährung von Grundsicherung ab. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin und L. verfügten über Vermögen, das die maßgeblichen Freibeträge nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch wie auch nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB II und SGB XII) um 2.644,36 € (siehe im einzelnen Berechnung Bl. 166 Verwaltungsakte – VA –) übersteige.
Hiergegen erhob die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Widerspruch.
Mit Abhilfebescheid vom 23. März 2021 (Bl. 204 VA) bewilligte der Beklagte der Klägerin Grundsicherung ab dem 1. April 2021 unter Berücksichtigung von 264,19 € Unterkunftskosten und des Regelsatzes (Regelbedarfsstufe 2) in Höhe von 401,00 €, hieraus ergab sich unter Berücksichtigung des Einkommens aus der Taschengeldzahlung der Eltern 150,00 € ein Zahlbetrag in Höhe von 515,19 €. Der Beklagte war hierbei von einem inzwischen erfolgten (teilweisen) Verbrauch des Vermögens ausgegangen.
Auch hiergegen erhob die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Widerspruch und wies unter anderem darauf hin, dass die Zahlung des Taschengelds durch die Eltern zum 1. April 2021 eingestellt worden sei.
Seit 1. April 2021 erhält die Klägerin eine bedarfsdeckende, befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrages von 930,46 € (Bescheid der DRV Baden-Württemberg vom 28. April 2021).
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2021 (Bl. 247 VA) hob der Beklagte die Bewilligung der Grundsicherung ab dem 1. April 2021 wegen der inzwischen erfolgten Rentengewährung wieder auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Außerdem stellte der Beklagte fest, die Hinzuziehung einer Bevollmächtigten sei nicht notwendig gewesen, die Klägerin hätte die maßgeblichen Unterlagen auch ohne ihre Anwältin vorlegen können.
Dagegen hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte am 21. Juni 2021 beim Sozialgericht (SG) Reutlingen Klage erhoben und sich gegen die Versagung von Leistungen für den Zeitraum September 2020 bis März 2021 sowie der Feststellung zur fehlenden Notwendigkeit der Hinzuziehung einer Bevollmächtigten gewandt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, sie berufe sich auf die Übergangsregelung aus Anlass der Covid-19-Pandemie, nach der nicht erhebliches Vermögen für die Dauer von sechs Monaten keine Berücksichtigung finde (§ 141 Abs. 2 SGB XII). Die Anwendung dieser Regelung stehe nicht im Belieben des Beklagten. Die Beiziehung einer Bevollmächtigten sei im Übrigen notwendig gewesen.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat ausgeführt, § 141 Abs. 2 SGB XII sei angesichts des Zwecks der Regelung, Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige, die vorübergehend von erheblichen Einkommenseinbußen betroffen seien, die aber in der Regel keinen Anspruch auf vorrangige Sozialleistungen hätten, für die Dauer der Krise schnell und unbürokratisch abzusichern, bei der Klägerin, die schon vor Beginn der Corona-Pandemie Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen habe, nicht anzuwenden. Hilfsweise sei vom Vorhandensein erheblichen Vermögens im Sinne der Vorschrift auszugehen, wobei bei Anwendung der für L. korrekten Maßstäbe nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) anfänglich ein die Freibeträge übersteigendes Vermögen von 1.510,08 € vorgelegen habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Beklagte im Übrigen Zweifel am Vorliegen eines tatsächlich gelebten Mietverhältnisses zwischen der Klägerin als Mieterin und ihrer Mutter als Vermieterin geäußert.
Das SG hat mit Urteil vom 8. September 2021 aufgrund der mündlichen Verhandlung der Klage stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 18. Februar 2021 in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2021 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum vom 1. September 2020 bis zum 31. März 2021 zu gewähren. Das SG hat ferner festgestellt, dass die Hinzuziehung einer Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen sei.
Das SG hat hierbei die Rechtsauffassung vertreten, dass der Klägerin in den Monaten September 2020 bis März 2021 dem Grunde nach ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zugestanden habe. Das SG habe nur über den Anspruch dem Grunde nach und nicht über die konkrete Höhe entschieden, insbesondere nicht über die vom Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung geäußerten Zweifel am Vorliegen eines Unterkunftsbedarfs der Klägerin. Eine Entscheidung dem Grunde nach sei möglich, da selbst bei vollständiger Außerachtlassung des Unterkunftsbedarfs feststehe, dass der Klägerin Leistungen zu gewähren gewesen seien. Allein schon der Regelsatz sei jedenfalls nicht vollständig durch Einkommen gedeckt gewesen.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage sei § 41 Abs. 1 SGB XII, dessen Voraussetzungen im streitbefangenen Zeitraum dem Grunde nach erfüllt seien.
Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Sie sei aufgrund ihrer Aufnahme in eine WfbM leistungsberechtigt nach § 41 Abs. 3a SGB XII. Ihren Bedarf habe sie gemäß §§ 42, 42a SGB XII nicht durch laufendes Einkommen decken können.
Das vom Beklagten zuletzt in Höhe von 1.510,08 € errechnete, die maßgeblichen Freibeträge übersteigende Vermögen der Klägerin und des L. von rund 15.000,00 € habe einer Hilfegewährung im streitbefangenen Zeitraum nicht entgegengestanden. Grund hierfür sei § 141 Abs. 2 SGB XII, wonach abweichend zu § 41 Abs. 1 SGB XII Vermögen, das nicht erheblich sei, für die Dauer von sechs Monaten nicht zu berücksichtigen sei. Anzuwenden sei diese Regelung nach § 141Abs. 1 SGB XII für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 31. Dezember 2021 beginnen würden.
Diese Regelung sei vorliegend anzuwenden. Wie vom Beklagten zutreffend ausgeführt, habe der Gesetzgeber mit § 141 SGB XII – noch mehr mit dem parallel geschaffenen § 67 SGB II – Kleinunternehmern und Solo-Selbstständigen in der Covid-19-Pandemie einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu Grundsicherungsleistungen ermöglichen wollen. Daneben sei es auch darum gegangen, die ebenfalls durch die Pandemie belasteten Träger der Leistungen von administrativem Aufwand zu entlasten (mit Hinweis auf JurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand 16. Juli 2021, § 141 Rn. 12 f.). Der Regelung werde eine hohe praktische Bedeutung beigemessen; sie setze vorübergehend prinzipielle Grundsätze des Fürsorgerechts außer Kraft (mit Hinweis auf JurisPK-SGB XII a.a.O. Rn. 9 und 11). Die ursprünglich enge Begrenzung der Geltungsdauer der Regelung auf die Zeit vom 1. März bis 30. Juni 2020 sei in mehreren Schritten inzwischen bis zum 31. Dezember 2021 ausgeweitet worden (zum Teil mit hier nicht einschlägigen inhaltlichen Änderungen). Inwieweit die ursprünglichen Zielsetzungen des § 141 SGB XII zum Zeitpunkt der Verlängerungen der Geltungsdauer noch gerechtfertigt gewesen seien, sei eine rein gesetzgeberische Entscheidung und vom Gericht nicht zu bewerten.
Die beiden genannten ursprünglichen Zielsetzungen des § 141 SGB XII ließen sich im Gesetzeswortlaut nicht finden. Ohne jede Einschränkung nach der Ursache der Bedürftigkeit werde die Berücksichtigung von Vermögen für sechs Monate ausgesetzt. In der Kommentarliteratur werde unter Hinweis auf den Sinn und Zweck der Regelung eine einschränkende Auslegung des Wortlauts für bestimmte Fallkonstellationen wie Bestandsfälle und nach bereits vorangegangener Prüfung abgelehnte Fälle diskutiert (mit Hinweis auf Hauck/Noftz, SGB II, Werkstand 07/20, § 67 Rn. 17 ff.; anderer Ansicht mit Verweis allein auf den Wortlaut: Hauck/Noftz SGB XII, Werkstand 8/21, § 141 Rn. 15).
Für das SG stehe fest, dass der Klägerin nicht entgegengehalten werden könne, keine Solo-Selbstständige oder Kleinunternehmerin zu sein. Hätte der Gesetzgeber eine solch deutliche Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 141 SGBXII haben wollen, hätte er das in das Gesetz schreiben müssen. Dafür spreche insbesondere, dass die Existenzsicherungssysteme des SGB XII gerade nicht vorrangig auf Erwerbstätige abzielten. Das SG halte es zudem für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 141 SGBXII nur an geringfügige Erwerbstätige gedacht habe (eventuell anderer Ansicht: JurisPK-SGB XII, siehe oben, § 141 Rn. 12).
Der Umstand, dass die Klägerin vor dem 1. September 2020 Grundsicherung nach dem SGB II bezogen habe, stehe der Anwendung des § 141 SGB XII nicht entgegen. In der Kommentarliteratur würden zur Frage, ob § 141 SGB XII nur für Erstbewilligungen oder auch für Folgebewilligungen gelten, unterschiedliche Auffassungen vertreten (nur bei Erstbewilligungen: JurisPK-SGB XII a.a.O., § 141 Rn. 19; auch bei Folgebewilligungen: Beck Sozialrecht, 61. Edition, 1. Juni 2021, § 141 SGB XII Rn. 6 und Hauck/Noftz, SGB XII, a.a.O. § 141 Rn. 15). Das SG brauche sich für keine dieser sich widersprechenden Meinungen entscheiden, denn es stehe fest, dass hier eine Erstbewilligung streitig sei.
Entscheidend sei, dass die Klägerin am 1. September 2020 vom Bereich des SGB II in den Bereich des SGB XII gewechselt sei. Zwar würden beide hier maßgeblichen Leistungen als Grundsicherung bezeichnet. Gerade bei der Vermögensanrechnung würden jedoch nach § 12 SGB II und § 90 SGB XII unterschiedliche Maßstäbe und Freibeträge gelten. Die Klägerin sei kein Bestandsfall im SGB XII und auch kein abgelehnter Fall im SGB II – vielmehr habe sie bis zum 31. August 2020 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Beendigung der Leistungen nach dem SGB II habe während der Covid-19-Pandemie erstmalig zur Vermögensprüfung nach dem SGB XII und dem (vermeintlichen) Ausschluss von Leistungen nach dem SGB XII anhand der dort normalerweise geltenden Maßstäbe für die Vermögensanrechnung geführt. Der Beklagte habe hier die Prüfung der Vermögensverhältnisse der Klägerin vorgenommen, die ihm der Gesetzgeber durch § 141 SGB XII habe ersparen wollen und die nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 2 SGB II, den das SG jedenfalls hier für maßgeblich erachte, nicht hätte erfolgen dürfen.
Schließlich sei das bei der Klägerin und L. vorhandene Vermögen von rund 15.000,00 € nicht erheblich im Sinne von § 141 Abs. 2 SGB XII. Ein Vermögen sei erst dann als erheblich zu qualifizieren, wenn es so deutlich oberhalb der Vermögensfreigrenzen des SGB XII liege, dass für jedermann offenkundig sei, dass die Gewährung existenzsichernder Leistungen nicht gerechtfertigt sei. Nur ein solches Begriffsverständnis werde den Zielen des Gesetzes, insbesondere selbstständig Tätigen in der Notlage des Lockdowns eine unbürokratische Nothilfe zu gewähren, hinreichend gerecht (JurisPK-SGB XII, a.a.O., Rn. 23). Das zuletzt vom Beklagten berechnete Übersteigen der Vermögensfreigrenzen um 1.510,08 € sei nicht so deutlich, dass Leistungen offenkundig nicht gerechtfertigt gewesen seien.
Damit sei das Vermögen für die Dauer von sechs Monaten, also genau für den streitbefangenen Zeitraum, nicht zu berücksichtigen gewesen.
Der Streit um die Anwendung des § 141 SGB XII habe die Hinzuziehung einer Bevollmächtigten im Sinne des § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) notwendig gemacht. Die Covid-19-Übergangsregelung sei neu, ihr Anwendungsbereich werde – wie dargelegt – in verschiedener Hinsicht kontrovers diskutiert. Von einem rechtlichen Laien könne nicht erwartet werden, sich eigene Argumentationslinien gegenüber der Behörde zu erarbeiten.
Der Beklagte hat gegen das ihm mit Empfangsbekenntnis am 27. September 2021 zugestellte Urteil mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 am 12. Oktober 2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung macht der Beklagte geltend, die Klägerin habe in der Zeit vom 1. Februar 2020 bis 31. August 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter Zollernalbkreis erhalten. Das Jobcenter habe die Leistungsgewährung wegen der Aufnahme in das Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich einer WfbM ab dem 1. September 2020 aufgehoben. Nach dem vorliegenden Bescheid habe die Klägerin bereits am 12. Februar 2020 diese Leistungen nach dem SGB II beantragt, die mit Bescheid vom 27. April 2020 in Höhe von 426,00 € bewilligt worden seien. Das Jobcenter habe eine Leistungsgewährung an den Lebensgefährten der Klägerin abgelehnt, da dieser keinen Anspruch zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Der Lebensgefährte absolviere eine Ausbildung, die im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57, 58 SGB II dem Grunde nach förderungsfähig sei und er hieraus keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe.
Aufgrund des Wechsels in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich habe die Klägerin mit Antrag vom 25. September 2020 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII beantragt. Sie habe nachweislich in eheähnlicher Gemeinschaft mit L. gelebt, sodass gemäß den §§ 20, 27 Abs. 2, 39, 43 SGB XII sowohl die Einkommens- als auch die Vermögensverhältnisse der Klägerin wie auch deren Lebensgefährten zu prüfen gewesen seien. Diese Prüfung habe ergeben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung über Vermögen in Höhe von 1.570,84 € und der Lebensgefährte über Vermögen in Höhe von 13.139,24 € verfügt habe und somit Vermögen über der gültigen Vermögensfreigrenze durchgängig vorhanden gewesen sei, welches jeden Monat der Hilfegewährung entgegengestanden habe. Bei diesem Vermögen habe es sich um einzusetzendes nicht geschütztes Vermögen gehandelt. Härtegründe, die einem Vermögenseinsatz entgegenstünden, seien nicht dargelegt worden.
Das einzusetzende nicht geschützte Vermögen habe somit insgesamt 14.710,08 € betragen und die maßgebliche Vermögensfreigrenze von insgesamt 12.900,00 € um 1.810,08 € überstiegen und der Gewährung von SGB XII-Leistungen entgegengestanden. Mit Hinweis auf das übersteigende und nicht geschützte, somit einzusetzende Vermögen sei mit Bescheid vom 18. Februar 2021 der Antrag auf Grundsicherungsleistungen daher zu Recht abgelehnt worden.
Entgegen der Auffassung des SG in seinem Urteil vom 8. September 2021 falle die Klägerin bezüglich der hier streitigen Zeit ab 1. September 2020 bis 31. März 2021 nicht unter die Sondervorschrift des § 141 SGB XII und der Aussetzung der Vermögensfreigrenzen.
Die Klägerin habe erstmals am 12. Februar 2020, also weit vor der Covid-19-Pandemie und Einführung der Sozialschutzpakete, Leistungen für den Lebensunterhalt beantragt und habe fortwährend unter dem Leistungsbezug nach dem SGB II gestanden. Allein durch die Aufnahme der Klägerin in den Eingangsbereich und Berufsbildungsbereich einer WfbM habe sie nicht mehr zum Personenkreis des SGB II, sondern zum Personenkreis des § 41 SGB XII gehört, habe aber dauerhaft ihren Lebensunterhalt nicht sichern können. Allein der Wechsel vom SGB II-Leistungsbezug in den Leistungsbezug nach dem SGB XII könne nicht dazu führen, dass die Klägerin nunmehr unter das Sozialschutzpaket des SGB XII falle. Dies würde dem Sinn und Zweck des Sozialschutzpaketes vollständig zuwiderlaufen. Die Sozialschutzpakete seien eingeführt worden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus SARS-CoV-2 (Covid 19) abzumildern, da es dazu führen könne, dass nicht nur erwerbsfähige Menschen, sondern auch Personen im Anwendungsbereich des SGB XII erhebliche wirtschaftliche Einbußen treffen könnten. Dies gelte insbesondere im Falle einer gemischten Bedarfsgemeinschaft, wenn das Einkommen beim Hauptverdienenden wegfalle. Darüber hinaus könne auch bei Personen im Rentenalter oder mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit Einkommen z.B. aus Minijobs oder Solo-Selbstständigkeit wegfallen, sodass Bedürftigkeit entstehe oder sich vertiefe. All diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben.
Allein der Umstand, dass die Klägerin seit Februar 2020 im Sozialleistungssystem der existenzsichernden Leistungen fortdauernd gestanden habe, zeige, dass weder das Sozialschutzpaket des SGB II noch des SGB XII für die Klägerin in Frage kommen könne, da Bedürftigkeit vor Einführung der Sozialschutzpakete eingetreten sei und ununterbrochen bestanden habe.
Allein der Umstand, dass gerade zufälligerweise im September 2020 die Aufnahme der Klägerin in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM erfolgt sei und dort im SGB XII das Sozialschutzpaket unter § 141 SGB XII verankert gewesen sei, könne nicht dazu führen, dass die Klägerin unter diesen Umständen nunmehr in den Genuss eines erleichterten Zugangs zu den Sozialleistungen nach dem SGB XII kommen könne und die Anrechnung von Vermögen für sechs Monate ausgesetzt werde. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 141 SGB X. Dies ergebe sich eindeutig aus der Gesetzeskommentierung. Die eingetretene Bedürftigkeit – unabhängig, ob im SGB II oder SGB XII – habe nachweislich vor der Corona-Pandemie bestanden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. September 2021 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Gemäß § 141 Abs. 2 SGB XII werde Vermögen, das nicht erheblich sei, für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt, wenn der Beginn des Bewilligungszeitraums in das Zeitfenster des § 141 Abs. 1 SGB XII (i.V.m. § 1 Abs. 1 VZVV) falle. Dies sei vorliegend der Fall. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei diese Regelung nicht nur auf Klein-Unternehmer und Solo-Selbstständige anzuwenden. Hier sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Regelungen des Sozialschutzpaketes einen doppelfunktionalen Ansatz verfolgt hätten. Einerseits sollten die Zugangsvoraussetzungen zu den Existenzsicherungssystemen kurzfristig abgesenkt werden, andererseits gehe es auch darum, die Träger der Leistungen, die ihrerseits vor allem personalwirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und der bundesweit zu ihrer Eindämmung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes erlassenen Beschränkungen zu bewältigen hätten, von administrativem Aufwand zu entlasten, indem für die Sachbearbeitung aufwändige Prüfungen im Rahmen von Neuanträgen und Weiterbewilligungsentscheidungen wegfallen würden.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 31. Januar 2022 (Klägerin) und 11. Februar 2022 (Beklagter) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG im Übrigen statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig.
II.
Die Berufung des Beklagten ist jedoch nur zu einem geringen Teil begründet, im Übrigen unbegründet. Im Ergebnis hat das SG zutreffend der Anfechtungs- und Leistungsklage der Klägerin gemäß § 54 Abs. 4 SGG insoweit stattgegeben, als für den Zeitraum September 2020 bis Februar 2021 die Klägerin Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB XII hat, wohingegen allerdings für den Monat März 2021 kein Anspruch besteht (dazu später im Einzelnen).
Das SG konnte hier auch dem Grunde nach entscheiden, da der Beklagte letztlich für den streitigen Zeitraum bislang keine Berechnung durchgeführt hatte. Dies geht sogar aus zwei Gründen: zum einen ist, auch wenn der Beklagte vor dem SG in der mündlichen Verhandlung die Frage, ob tatsächlich ein gelebtes Mietverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Mutter bestanden habe, ins Gespräch gebracht hat, dies schon vor dem Hintergrund anzuzweifeln, da der Beklagte selbst im Abhilfebescheid vom 23. März 2021 der Klägerin ab dem 1. April 2021 Leistungen unter Berücksichtigung der anteiligen Kosten der Unterkunft (KdU) gewährt und ganz offensichtlich keine Bedenken hinsichtlich des Mietverhältnisses zwischen der Klägerin und ihrer Mutter hatte. Darüber hinaus wäre aber zum anderen, selbst wenn man die Kosten der Unterkunft nicht berücksichtigen würde, dennoch bei der Klägerin definitiv in der streitigen Zeit im Hinblick auf die der Klägerin zur Verfügung stehenden Einnahmen in Höhe von 119,00 € Ausbildungsgeld und 150,00 € Taschengeld letztlich der maßgebliche Bedarf nach der Regelbedarfsstufe 2 in 2020 mit 389,00 € bzw. in 2021 mit 401,00 € bei Einnahmen in einer Größenordnung von insgesamt 269,00 € auf keinen Fall gedeckt gewesen.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage ist § 41 Abs. 1 SGB XII, wonach nach diesem Kapitel (Anm.: 4. Kapitel Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten können leistungsberechtigt sind, wenn sie die Voraussetzungen nach Abs. 2, 3 oder 3a erfüllen.
Gemäß § 41 Abs. 3 sind leistungsberechtigt Personen nach Abs. 1 wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.
Gemäß § 41 Abs. 3a SGB XII sind leistungsberechtigt Personen nach Abs. 1, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, für den Zeitraum, in dem sie
1. in einer Werkstatt für behinderte Menschen § 57 SGB IX) oder bei einem anderen Leistungsanbieter (§ 60 SGB IX) das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich durchlaufen oder
2. in einem Ausbildungsverhältnis stehen, für das sie ein Budget für Ausbildung (§ 61a SGB IX) erhalten.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII gelten für den Einsatz des Einkommens die §§ 82 bis 84 und für den Einsatz des Vermögens die §§ 90 und 91 SGB XII, soweit in den folgenden Absätzen nichts Anderes geregelt ist. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerähnlichen Gesellschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII übersteigen, sind zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).
Hinsichtlich der Klägerin ist festzustellen, dass diese erstens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und sie zweitens aufgrund ihrer Aufnahme in die WfbM gemäß § 41 Abs. 3a Nr. 2 SGB XII leistungsberechtigt ist.
Festzustellen ist ferner, dass die Klägerin ihren Bedarf nach den §§ 42, 42a SGB XII (Regelsatzbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) nicht durch ihr laufendes Einkommen in Höhe von 150,00 € Taschengeld sowie 119,00 € Ausbildungsgeld und laut den Feststellungen der Beklagten im Abhilfebescheid vom 23. März 2021 weiteren 36,00 € Entgelt aus der Tätigkeit bei der WfbM sowie anteiliges Weihnachts- und Urlaubsentgelt in Höhe von umgerechnet monatlich 10,83 €, das allerdings vollständig unter den für die Klägerin geltenden Freibetrag fällt, decken kann.
In dem Zusammenhang ist aus Sicht des Senates weiter festzustellen, dass die Klägerin auch Anspruch auf anteilige Übernahme der Kosten der Unterkunft auf der Grundlage des zum 1. September 2019 zwischen der Mutter der Klägerin als Vermieterin und der Klägerin sowie ihrem Lebensgefährten L. als Mieter geschlossenen Mietvertrag in dem von der Beklagten im Abhilfebescheid vom 23. März 2021 anerkannten Umfang hat.
Auf dieser Grundlage wäre zwar grundsätzlich das Einkommen des eheähnlichen Lebenspartners der Klägerin L. zu berücksichtigen. Tatsächlich aber erhält dieser seit Studienbeginn am 18. September 2019 an der Universität T lediglich das Kindergeld seiner Mutter in Höhe von ursprünglich 192,00 €, sodass insoweit auch kein anzurechnendes Einkommen des L. bei der Bedarfsdeckung für die Klägerin zu berücksichtigen ist.
Daneben bestand auch kein zu berücksichtigender (Unterhalts-)Anspruch der Klägerin gegen ihre Eltern, denn deren Einkommen lag im Jahr 2019 mit 90.767,00 € unter der gem. § 94 Abs. 1a Satz 1 SGB XII maßgeblichen Grenze in Höhe von 100.000,00 €. Anhaltspunkte dafür, dass diese Grenze in 2020 überschritten wurde, sind nicht ersichtlich.
Der Gewährung von Leistungen steht auch nicht das vom Beklagten zuletzt in Höhe von 1.810,08 € die maßgeblichen Freibeträge übersteigende Vermögen der Klägerin und des L. in Höhe von insgesamt rund 15.000,00 € für den Zeitraum September 2019 bis Februar 2020 entgegen.
Denn aufgrund der Übergangsregelung aus Anlass der Covid-19-Pandemie in § 141 SGB XII in der Fassung vom 27. März 2020 und der hier zum Antragszeitpunkt maßgeblichen Fassung der Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung – VZVV – vom 25.06.2020 mit Wirkung vom 30. Juni 2020 und Gültigkeit bis 30. September 2020 (im Übrigen ist mit der 1. Verordnung zur Änderung der Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung vom 16. September 2020 der maximale Zeitraum verlängert worden bis zum 31. Dezember 2020 und folgten noch weitere Verlängerungsregelungen, die hier aber nicht von Bedeutung sind) werden Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 30. Juni 2020 bzw. 30. September 2020 bzw 31. Dezember 2020 beginnen, nach Maßgabe der Abs. 2 bis 4 erbracht.
Gemäß § 141 Abs. 2 Satz 1 SGB XII wird abweichend von § 2 Abs. 1, § 19 Abs. 1, 2 und 5, § 27 Abs. 1 und 2, § 39, § 41 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 43a Abs. 2 und § 90 SGB XII Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Satz 1 gilt gemäß § 141 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die leistungsnachsuchenden Personen dies im Antrag erklären.
Gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII gelten im Übrigen abweichend von § 35 und § 42a Abs. 1 SGB XII die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen.
Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass diese auch im Hinblick auf den von der Klägerin am 25. bzw. 30. September 2020 gestellten Antrag auf Gewährung von Grundsicherung Anwendung findet.
Der Auffassung des Beklagten, § 141 SGB XII finde nur Anwendung auf Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige, kann der Senat nicht folgen.
Der Gesetzgeber hat in dem Gesetzentwurf in der BT-Drucksache 19/18107 S. 25 f. im Besonderen Teil zu Art. 1 (Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) zu Nr. 2 (betreffend Neufassung von § 67) u.a. ausgeführt:
„Mit den befristeten Sonderregelungen für ein vereinfachtes Verfahren bei Bewilligungszeiträumen, die vom 1. März 2020 bis zum 30. Juni 2020 beginnen, sollen wirtschaftliche Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abgemildert werden. Von vorübergehenden erheblichen Einkommenseinbußen können alle Erwerbstätigen betroffen sein. Dabei sind selbstständig tätige Personen, insbesondere Kleinunternehmer und sogenannte Solo-Selbstständige, besonders betroffen. Bei diesem Personenkreis bestehen in der Regel keine Ansprüche auf vorrangige Leistungen wie Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld oder Insolvenzgeld. Einkommenseinbußen, die zu Hilfebedürftigkeit führen, können aber auch z.B. durch die Einführung von Kurzarbeit entstehen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II werden auf Antrag erbracht. Dabei ist es vorübergehend erforderlich, diese Leistungen möglichst schnell und unbürokratisch zugänglich zu machen. Es soll zum einen niemand aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise in existenzielle Not geraten, zum anderen müssen auch die Jobcenter bei der Bearbeitung einer Vielzahl von Anträgen durch Verfahrenserleichterungen unterstützt werden. Diesem Ziel dienen die Maßgaben in den Absätzen 2 bis 4.“
Weiter ist noch ausgeführt zu Abs. 2:
„Abs. 2 regelt ein wesentlich vereinfachtes Verfahren bei der Berücksichtigung von Vermögen für die Bewilligungszeiträume nach Abs. 1. Die Prüfung, ob erhebliches verwertbares Vermögen vorliegt, ist insbesondere bei Erstanträgen oft sehr aufwändig. Die Prüfung kann erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass in den Jobcentern wegen der hohen Zahl der Fälle und wegen möglicherweise eingeschränkter Personalressourcen nur sehr beschränkte Kapazitäten für die Durchführung des Bewilligungsverfahrens vorhanden sind. Aus diesen Gründen ist es sachgerecht, auch hinsichtlich der Prüfung erheblichen Vermögens ein vereinfachtes Verfahren vorzusehen. Es beschränkt sich auf eine Eigenerklärung der Antragstellerinnen und Antragsteller, nicht über erhebliche Vermögenswerte zu verfügen. Nach Ablauf von sechs Monaten werden Leistungen unter Berücksichtigung von Vermögen nach den üblichen Vorschriften erbracht.“
In Anlehnung daran führt der Gesetzgeber zu der hier maßgeblichen Regelung in § 141 SGB XII in der Begründung zu Art. 5 (Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) zu Nr. 2 (§ 141 SGB XII) aus:
„Die inhaltliche Übernahme der Übergangsregelung des SGB II für das 3. und 4. Kapitel des SGB XII stellt sicher, dass in beiden Existenzsicherungssystemen der Sozialhilfe ein dem SGB II vergleichbarer Schutz besteht. Die Regelungen erleichtern eine schnelle Hilfestellung für Personen, die ein der Altersgrenze entsprechendes Lebensalter bereits erreicht bzw. überschritten haben oder zeitlich befristet bzw. dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, wenn bei ihnen Einkommen wegfällt. Dies können Erwerbseinkommen aus Minijobs, Einkünfte aus künstlerischer oder sonstiger Tätigkeit oder andere Einnahmequellen sein. Daraus kann ein existenzsicherer Bezug von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII oder von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII vorübergehend notwendig werden. Von besonderer Relevanz sind die vergleichbaren Regelungen für ältere Solo-Selbstständige, die auch über die Regelaltersgrenze hinaus tätig sind und für Personen in gemischten Bedarfsgemeinschaften. Dies bezieht sich auf die Prüfung, ob Hilfebedürftigkeit vorliegt und auch die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung während der Krisenzeit, indem diese als angemessen anerkannt werden. Dadurch sollen die Gemeinsamkeiten mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und damit zwischen den existenzsichernden Systemen aufrechterhalten werden.“
Zu Abs. 2 wird ferner ausgeführt:
„Abs. 2 regelt die Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen für einen Zeitraum von sechs Monaten für Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die in den Bewilligungszeiträumen nach Abs. 1 beginnen. Insoweit findet der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz für einen begrenzten Zeitraum nur eingeschränkt Anwendung. Während die Einkommensprüfung weiterhin erfolgt, sollen für einen Zeitraum von sechs Monaten, die Leistungen unabhängig vom Einsatz des Vermögens erbracht werden. Allerdings gilt dies nach Satz 2 nicht uneingeschränkt. Ist ein erhebliches Vermögen vorhanden, liegt keine Leistungsberechtigung vor. Satz 2 beinhaltet allerdings eine Vermutungsregelung, die davon ausgeht, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist. Diese ist anzuwenden, wenn dies Hilfesuchende nach dem 3. Kapitel angeben, bzw. Antragstellerinnen und Antragsteller nach dem 4. Kapitel dies im Antrag erklären. ... Dadurch wird zugleich gewährleistet, dass die Leistungsbewilligung sich nicht durch die manchmal zeitaufwändige Prüfung der Vermögensverhältnisse verzögert. Durch die fortbestehende Berücksichtigung von Einkommen wird zudem sichergestellt, dass Personen, die Einnahmen aus Vermögen beziehen, wie beispielsweise Miete oder Zinsen, nur dann zu Leistungsbezieherinnen und Leistungsbeziehern werden, wenn das Einkommen unter dem Existenzminimum liegt. Nach Ablauf von sechs Monaten, gerechnet ab dem ersten Tag des maßgeblichen Bewilligungszeitraums nach Abs. 1, werden die existenzsichernden Leistungen unter Berücksichtigung von Vermögen nach den üblichen Vorschriften erbracht.“
Im Weiteren wird noch zu Abs. 5 ausgeführt:
„... Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus SARS-COV-2-Pandemie kann auch im 4. Kapitel des SGB XII eine steigende Anzahl von Anträgen auf Leistungen nicht ausgeschlossen werden. Zugleich besteht das Risiko eingeschränkter personeller Ressourcen bei den ausführenden Trägern der Sozialhilfe. Deshalb sollen mit der Übergangsregelung die ausführenden Träger entlastet und somit dazu beigetragen werden, deren Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. Anträge von Menschen, die infolge der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie vorübergehend erhebliche Einkommenseinbußen erfahren und deshalb vorübergehend nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, sollen zügig bearbeitet werden.“
Auf der Grundlage der oben dargestellten Erwägungen in der Gesetzesbegründung ist festzustellen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und insbesondere des ab Mitte März 2020 geltenden (fast vollständigen) Lockdowns mit einer deutlich steigenden Anzahl von Anträgen sowohl im SGB II- als auch im SGB XII-Bereich rechnete und hier insbesondere in erster Linie an Kleinunternehmer bzw. Solo-Selbstständige dachte, bei denen aufgrund dieses Lockdowns unter Umständen Einnahmen teilweise oder sogar ganz weggebrochen sind. Auf der anderen Seite wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die damit zu erwartenden deutlich steigenden Antragszahlen dennoch sowohl von den Jobcentern als auch den Sozialhilfeträgern im Hinblick darauf, dass auch mit Ausfällen bei den Personalressourcen der Sozialleistungsträger aufgrund der Pandemie zu rechnen war, aufgrund dieses vereinfachten Verfahrens die Antragsflut zügig bearbeitet werden kann und es nicht zu entsprechenden Antragsrückstaus kommt mit der Folge, dass die Betroffenen unter Umständen erst nach Wochen und Monaten die ersten Zahlungen erhalten.
Der Gesetzgeber hat hier zwar in der Tat insbesondere wie er selbst formuliert, Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige bei den Antragstellern gesehen, er hat aber andererseits im Gesetzestext keineswegs eine Beschränkung oder Begrenzung auf diesen Personenkreis vorgenommen. Die Regelung bezieht sich ohne Unterschied vollumfänglich auf alle Anträge. Dies macht im Übrigen auch vor dem Hintergrund Sinn, dass es dem Gesetzgeber gerade auch um eine Entlastung der Verwaltung bei der Abarbeitung des zu erwartenden Antragsstaus ging.
Wollte man der Auffassung des Beklagten folgen, dass unter diese Privilegierung nur die Gruppen der Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige und allenfalls im Bereich des SGB XII noch möglicher Minijobber fallen würden, würde dies gerade wieder einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursachen. Denn der Sozialhilfeträger müsste dann zunächst prüfen, ob der jeweilige Antragsteller unter die besondere Gruppe der Kleinunternehmer und Solo-Selbständige bzw. Minijobber fällt oder aber nicht mit der weiteren Folge, dass der Sozialhilfeträger dann bei den übrigen Antragstellern gerade doch wieder die unter Umständen zeitaufwändige Vermögensprüfung durchführen müsste. Die Folge wäre, dass die vom Gesetzgeber eigentlich beabsichtigte zügige Bearbeitung dieser Anträge dadurch ad absurdum geführt würde.
Des Weiteren steht mit dem SG auch zur Überzeugung des Senates fest, dass der Umstand, dass die Klägerin vor dem 1. September 2020 Grundsicherung nach dem SGB II bezogen hat, der Anwendung des § 141 SGB XII nicht entgegensteht. In der Kommentarliteratur werden zwar zur Frage, ob § 141 SGB XII nur für Erstbewilligungen oder auch für Folgebewilligungen gilt, unterschiedliche Auffassungen vertreten (nur bei Erstbewilligungen: Groth in: Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 141 SGB XII <Stand 15. Dezember 2021> Rn. 19; auch bei Folgebewilligungen: Hauck/Noftz, SGB XII Werksstand 08/21, § 141 Rn. 15).
Mit dem SG steht jedoch auch für den Senat fest, dass es sich im Fall der Klägerin um eine Erstbewilligung handelt und es insoweit auf diese Streitfrage nicht ankommt. Denn entscheidend ist hier, dass die Klägerin am 1. September 2020 vom Bereich des SGB II in den Bereich des SGB XII wechselte. Zwar werden beide hier maßgeblichen Leistungen als Grundsicherung bezeichnet. Gerade bei der Vermögensanrechnung gelten jedoch nach § 12 SGB II und § 90 SGB XII unterschiedliche Maßstäbe und Freibeträge. Die Klägerin war kein Bestandsfall im SGB XII und auch kein abgelehnter Fall im SGB II – sie bezog vielmehr bis zum 31. August 2020 Leistungen nach dem SGB II. Die Beendigung der Leistungen nach dem SGB II führte während der Covid-19-Pandemie erstmalig zur Vermögensprüfung nach dem SGB XII und dem (vermeintlichen) Ausschluss von Leistungen nach dem SGB XII anhand der dort normalerweise geltenden Maßstäbe für die Vermögensanrechnung. Der Beklagte hat hier die Prüfung der Vermögensverhältnisse der Klägerin vorgenommen, die ihm eigentlich der Gesetzgeber durch die Regelung in § 141 SGB XII – siehe die Ausführungen oben – hatte ersparen wollen und die nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 2 SGB XII auch nach Überzeugung des Senates hier gar nicht hätte erfolgen dürfen.
Schließlich war das bei der Klägerin und dem L. hier festzustellende vorhandene Vermögen von insgesamt rund 15.000,00 € (1.570,84 € bei der Klägerin und 13.139,24 € bei L., insgesamt 14.710,08 €) bzw. das zu berücksichtigende Vermögen in Höhe von 1.510,00 € bzw. nach der letzten Berechnung des Beklagten (bei einer maßgeblichen Freibetragsgrenze von 12.900,00 € für die Klägerin und L.) 1.810,08 € auch nach Überzeugung des Senates nicht erheblich im Sinne des § 141 Abs. 2 SGB XII. Ein Vermögen ist erst dann als erheblich zu qualifizieren, wenn es so deutlich oberhalb der Vermögensfreigrenzen des SGB XII liegt, dass für jedermann offenkundig ist, dass die Gewährung existenzsichernder Leistungen nicht gerechtfertigt ist. Nur ein solches Begriffsverständnis wird den Zielen des Gesetzes, insbesondere selbstständig Tätigen in der Notlage des Lockdowns eine unbürokratische Nothilfe zu gewähren, hinreichend gerecht (siehe Groth in: Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB XII, 3. Auflage, § 141 SGB XII Rn. 23). Das zuletzt vom Beklagten berechnete Übersteigen der Vermögensfreigrenzen um 1.810,08 € ist nicht so deutlich, dass Leistungen offenkundig nicht gerechtfertigt waren.
Damit war das Vermögen für die Dauer von sechs Monaten, - insoweit allerdings entgegen der Auffassung des SG – nur für den Zeitraum vom 1. September 2020 bis zum 29. Februar 2021 nicht zu berücksichtigen. Der Monat März 2021 liegt außerhalb des privilegierten Sechsmonatszeitraums, mit der Folge, dass insoweit im Hinblick auf das übersteigende Vermögen kein Anspruch bestand. Aus diesen Gründen ist auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG insoweit abzuändern.
Soweit im Übrigen hier auch um die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung einer Bevollmächtigten im Sinne von § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) gestritten wird, hat das SG ebenfalls zutreffend festgestellt, dass im Hinblick darauf, dass die Covid-19-Übergangsregelung neu ist und ihr Anwendungsbereich in verschiedener Hinsicht kontrovers diskutiert wird (siehe oben), von einem rechtlichen Laien nicht erwartet werden kann, sich eigene Argumentationslinien gegenüber der Behörde zu erarbeiten, mit der Folge, dass der Beklagte in der Tat der Klägerin auch diese Kosten zu erstatten hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Im Hinblick auf das nur geringe Obsiegen des Beklagten bestand aus Sicht des Senates keine Veranlassung für eine Kostenquotelung.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.