L 12 U 3845/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 1753/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 3845/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.10.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung weiterer Unfallfolgen streitig.

Die 1980 geborene Klägerin nahm am 23.09.1994 an einem im Rahmen eines Schullandheimaufenthalts durchgeführten Gokart-Rennen teil, sprang dabei vom Rücksitz eines Gokarts, stolperte und fiel mit dem Rücken bzw. der Wirbelsäule auf eine Bordsteinkante (Unfallanzeige vom 11.10.1994 sowie D-Arzt-Bericht vom 29.09.1994).

Die Klägerin wurde noch am selben Tag im Krankenhaus B aufgenommen, wobei dort ausweislich der ärztlichen Unfallmeldung des Dr. Z, Facharzt für Allgemeinmedizin – weitere Unterlagen über die dortigen Behandlungen liegen nicht mehr vor – röntgenologisch kein Anhalt für eine knöcherne Verletzung des Thorax, der Brustwirbelsäule, der Lendenwirbelsäule und des rechten Handgelenks gefunden wurde und eine Prellung des Thorax, der Brustwirbelsäule, der Lendenwirbelsäule und des rechten Handgelenks und eine Contusio spinalis diagnostiziert wurde. Die Klägerin wurde am 26.09.1994 aus dem Krankenhaus B entlassen und bereits am 28.09.1994 bei persistierenden Brustwirbelsäulenbeschwerden wieder im Krankenhaus E stationär aufgenommen. Bei der dortigen Aufnahmeuntersuchung konnten keine äußeren Verletzungszeichen im Bereich des Rückens festgestellt werden. Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule zeigten keinen Anhalt für knöcherne Verletzungen. Bei 2 neurologischen Untersuchungen durch den Chefarzt der Neurologischen Klinik am Krankenhaus E, Dr. S, unter der Verdachtsdiagnose einer leichten Contusio spinalis am 28. und 30.09.1994 fand sich ein regelrechter neurologischer Befund und ließen sich Symptome einer Contusio spinalis nicht objektivieren, insbesondere sei auch das Nervus tibialis-SSEP beidseits regelrecht ausgefallen. Dr. S diagnostizierte letztlich eine Rückenprellung ohne sicheren Nachweis einer spinalen Komplikation.

Die Klägerin wurde in beschwerdefreiem Zustand aus dem Krankenhaus E entlassen und aufgrund nach wenigen Tagen wiederkehrenden Sensibilitätsstörungen und einer ausgeprägten Gangstörung in der Zeit vom 11.10.1994 bis 09.11.1994 in der Neurologischen Akutklinik Z1 stationär behandelt. Ausweislich des dortigen Entlassungsberichts vom 28.11.1994 mit der Entlassdiagnose einer psychogenen Gangstörung ergaben die intensiven apparativen Untersuchungen unauffällige Befunde und zeigten sich in Gesprächen mit der Klägerin multiple schulische und private Konflikte, welche die Diagnose einer psychogenen Gangstörung begründet hätten, welche sich während des stationären Aufenthalts deutlich gebessert hätte.

Am 30.07.2012 beantragte die Klägerin die Feststellung von Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Rente. Sie habe, nachdem sich ihre Fortbewegung zu Fuß immer weiter verschlechtert habe, wiederholt Ärzte aufgesucht. Erst im Jahre 2002 sei ein Hydrocephalus diagnostiziert worden, der im Jahr 2004 mit einem Shuntsystem versorgt worden sei. Dessen ungeachtet hätten sich die Gangprobleme in der Folgezeit verschlechtert. Erst im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) U sei im Jahr 2009 eine Arachnoidalzyste im Bereich des Brustwirbelkanals 5/6 festgestellt worden, die gefenstert worden sei. Da der Sturz am 23.09.1994 genau den Bereich der Wirbelsäule geschädigt habe, in welchem die Arachnoidalzyste festgestellt worden sei, welche sehr wahrscheinlich Ursache für ihre Rückenproblematik sei, führe sie diese auf den Unfall zurück. Im beigefügten Entlassungsbericht des BWK Ulm vom 11.01.2010 wurde über die Arachnoidalzyste, welche die Beschwerden der Klägerin wenigstens teilweise erklären könne, und über die operative Therapie durch Fensterung der Arachnoidalzyste berichtet.

Die Beklagte zog eine Vielzahl an ärztlichen und Krankenhausberichten über die seit Mitte der 2000er Jahre erfolgten Behandlungen, unter anderem den Bericht der A-Klinik S1 vom Januar 2010 über den dortigen stationären Aufenthalt im November und Dezember 2009, bei und beauftragte Prof. Dr. M und Dr. N, Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum T, mit der Erstattung eines Gutachtens. Diese teilten in ihrem Gutachten vom 22.04.2013 mit, eine traumatische Rückenmarksverletzung könne im Verlauf zu einer chronischen Liquorzirkulationsstörung führen, welche mit der Ausbildung eines Hydrocephalus sowie einer Arachnoidalzyste assoziiert sein könne. Mangels aus den Unterlagen ersichtlichen konstitutionellen Besonderheiten, die zur Entwicklung der Symptomatik beigetragen haben könnten, seien die Liquorzirkulationsstörungen, der Hydrocephalus sowie die Arachnoidalzyste Unfallfolgen.

Die Beklagte teilte der Klägerin im November 2013 mit, ihr Beratungsarzt halte es für erforderlich, zu dem Gutachten eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage auf neurologisch-neurochirurgischem Fachgebiet einzuholen. Man habe hiermit die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in M1 beauftragt.

Unter dem 30.04.2014 erstatteten Dr. B1 und Dr. S2 von der Abteilung für Neurochirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M1 die erbetene gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage. Sie gelangten zum Ergebnis, dass unfallbedingte Verletzungsfolgen spätestens ab 09.11.1994 nach Entlassung aus der Neurologischen Akutklinik Z1 ausgeschlossen gewesen seien, da insbesondere keine morphologischen Veränderungen am Rückenmark bei den Behandlungen nach dem Unfall vom 23.09.1994 festgestellt worden seien. Unfallfolge sei nur eine Brustwirbelsäulenprellung.

Hinsichtlich der gutachterlichen Stellungnahme vom 30.04.2014 rügte die Klägerin unter dem 08.08.2014 einen Verstoß gegen § 200 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und legte unter anderem einen Entlassungsbericht der Zentralklinik B2, Klinik für Wirbelsäulenchirurgie und Querschnittsgelähmte, vom Juli 2014 vor. Mit Bescheid vom 06.02.2015 stellte die Beklagte fest, dass ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die gutachterliche Stellungnahme vom 30.04.2014 nicht bestehe und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2015 zurück. Die Klägerin erhob hiergegen keine Klage; sie teilte der Beklagten vielmehr mit Schreiben vom 12.08.2015 unter anderem mit, sie verzichte auf weitere Schritte hinsichtlich eines möglichen Beweiswertungsverbots und insbesondere auf eine noch mögliche Klage.

Bereits mit Bescheid vom 26.03.2015 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 23.09.1994 als einen Versicherungsfall nach § 548 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie als dessen Unfallfolge nur eine folgenlos ausgeheilte Prellung der Brustwirbelsäule. Es habe eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis zum 09.11.1994 bestanden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin insbesondere auch die Arachnoidalzyste als Unfallfolge geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 zurück. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall vom 23.09.1994 und den von der Klägerin geltend gemachte Gesundheitsschäden könne nicht bewiesen werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.06.2016 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und zuletzt die Verpflichtung der Beklagten begehrt, als Unfallfolgen die Liquorzirkulationsstörung, den Hydrocephalus und die Arachnoidalzyste festzustellen.

Das SG hat von Amts wegen Dr. P, Oberärztin für Neurochirurgie am Bezirkskrankenhaus G, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Diese ist in ihrem Gutachten vom 19.01.2017 zum Ergebnis gelangt, die von der Klägerin geltend gemachten Unfallfolgen seien mangels anderweitiger Ursachen auf das angeschuldigte damalige traumatische Ereignis zurückzuführen, was sich allerdings bei fehlenden MRT-Bildern aus dem Jahre 1994 nicht beweisen lasse.

Das SG hat sich in der Folgezeit vergeblich bemüht, die MRT-Aufnahmen aus dem Jahr 1994 beizuziehen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom Mai 2017 hat die Sachverständige darauf hingewiesen, dass sich Arachnoidalzysten nicht ohne Anlass, wie z.B. Blutungen durch Traumata, Tumore, Entzündungen oder kongenitale Fehlbildungen der Spinalachse, ausbilden würden, was aber bei der Klägerin nicht der Fall gewesen zu sein scheine. Zuletzt hat die Sachverständige in einer Stellungnahme vom Februar 2019 auf ihre Stellungnahme vom Mai 2017 verwiesen und dargelegt, eine Klärung lasse sich nur mit der Sichtung der leider nicht mehr verfügbaren Bilder aus dem Jahr 1994 herbeiführen.

Mit Urteil vom 15.10.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die in Rede stehenden Gesundheitsschäden nicht als Unfallfolgen anerkannt. Das SG sei in Übereinstimmung mit der gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage der Drs. B1 und S2, welche auch verwertbar sei, zum Ergebnis gelangt, dass weder die Liquorzirkulationsstörung noch der Hydrocephalus oder die Arachnoidalzyste mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Unfall vom 23.09.1994 zurückgeführt werden könnten. Denn bereits 1994 habe man während des Aufenthalts der Klägerin in der Neurologischen Akutklinik Z1 eine traumatische Rückenmarksverletzung ausschließen können, weshalb das Gutachten von Dr. N und Prof. Dr. M nicht überzeugen könne. Gegen die Argumentation von Dr. P sei einzuwenden, dass bei Nichtvorhandensein eines feststellbaren konkreten Konkurrenzfaktors nicht ohne weiteres von der wesentlichen Mitursächlichkeit des Mitwirkungsfaktors aus dem versicherten Bereich ausgegangen werden könne. Voraussetzung sei ein klar erkennbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, welcher vorliegend, auch im Hinblick auf die Komplexität der in Rede stehenden Gesundheitsstörungen und den zeitlichen Ablauf, nicht gegeben sei. Vielmehr sei eine über eine bloße Prellung der Wirbelsäule hinausgehende Schädigung gerade nicht nachgewiesen. Nach alledem bestehe lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem als Versicherungsfall anerkannten Unfall vom 23.09.1994 und den vorliegend geltend gemachten Unfallfolgen, was aber nicht ausreichend sei.

Gegen das der Klägerin am 23.10.2019 zugestellte Urteil hat diese am 13.11.2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, die Sachverständige Dr. P habe klar bejaht, dass die Arachnoidalzyste durch das Unfallereignis verursacht worden sei. Zwar habe sich die Sachverständige mangels der MRT-Bilder aus 1994 keinen eigenen Eindruck verschaffen können. Aufgrund des Arztbriefes über diese Untersuchung könne man jedoch eine angeborene Arachnoidalzyste ausschließen. Die Wahrscheinlichkeit der Verursachung durch den Unfall werde auch durch weitere Nachweise unterstützt, wie z.B., dass die Arachnoidalzyste nicht unmittelbar nach dem Sturzereignis mit traumatischer Rückenmarkschädigung, sondern nach längerem symptomfreien Intervall von mehreren Jahren entstanden sei und ausweislich des D-Arzt-Bericht vom 28.09.1994 als Verdachtsdiagnose eine Spinalaffektion festgehalten worden sei. Auch habe Dr. P hervorgehoben, dass es eine umfangreiche und lückenlose Dokumentation der gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin gebe. Deshalb müsse man andere Alternativursachen ausschließen. Auch könne sich das SG nicht auf die Stellungnahme von Dr. B1 und Dr. S2 stützen, sondern hätte Begutachtungen durch einen weiteren Gutachter durchführen müssen. Auch sei das Beweiserhebungsverbot zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.10.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu verurteilen, als weitere Folgen des Unfalls vom 23.09.1994 die Liquorzirkulationsstörung, den Hydrocephalus und die Arachnoidalzyste anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass auch wenn keine anlagebedingten Erkrankungen nachgewiesen werden konnten, eben auch keine traumatische Rückenmarksverletzung nachgewiesen worden sei. Für die Entstehung der Arachnoidalzyste gebe es darüber hinaus zahlreiche weitere mögliche Ursachen. Das angefochtene Urteil sei deshalb überzeugend und im Übrigen ausführlich begründet.

Die Beteiligten sind unter dem 07.07.2020 darauf hingewiesen worden, dass die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt sei und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden.

Die Klägerin ist der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss entgegengetreten und hat eine ergänzende Befragung der Sachverständigen Dr. P, hilfsweise eines anderen Sachverständigen, zur Frage, ob die bei der Klägerin festgestellte Liquorzirkulationsstörung, der Hydrocephalus und die Arachnoidalzyste Folgen des Unfallereignisses seien, beantragt. Der Senat könne sich nicht auf den Standpunkt stellen, dem Gutachten von Dr. P sei nicht zu folgen, ohne eine ergänzende oder anderweitige Begutachtung zu veranlassen.

Der Berichterstatter hat mit Aufklärungsverfügung vom 12.08.2020 dargelegt, dass an einer Entscheidung durch Beschluss festgehalten werde.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten sowie die Prozessakten verwiesen.

 

II.

Der Senat konnte die Berufung der Klägerin nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen nicht vor. Solche Gründe hat auch die Klägerin nicht vorgebracht. Sie hat vielmehr die aus ihrer Sicht unzureichende Amtsermittlung geltend gemacht.

Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) erhoben, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wehrt sich mit ihrer Berufung gegen das Urteil des SG vom 15.10.2019, mit welchem dieses die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen abgelehnt hat. Dieses Urteil ist indes nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu Recht die Anerkennung einer Liquorzirkulationsstörung, eines Hydrocephalus und einer Arachnoidalzyste als weitere Unfallfolgen abgelehnt. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung die rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Gesundheitsstörungen als Folge des von der Beklagten anerkannten Unfalls vom 23.09.1994 zutreffend dargelegt und gleichermaßen zutreffend ausgeführt, weshalb vorliegend die Liquorzirkulationsstörung, der Hydrocephalus und die Arachnoidalzyste nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden können. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung in vollem Umfang an, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Insbesondere ist keine weitere Begutachtung von Amts wegen veranlasst. Soweit die Klägerin eine neuerliche Befragung der Sachverständigen Dr. P zur Klärung der Frage beantragt hat, ob die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf neurologischen Gebiet Folge des Unfallereignisses vom 23.09.1994 seien, ist dieser Beweisantrag bereits deshalb abzulehnen, weil die Sachverständige diese Frage, allerdings unter Verkennung der unfallversicherungsrechtlichen Beweismaßstäbe – wie vom SG dargelegt – bereits beantwortet hat. Sowohl in ihrem Gutachten wie auch ihren ergänzenden Stellungnahmen ist die Sachverständige von einer wahrscheinlichen Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die neurologischen Gesundheitsstörungen ausgegangen.

Die Sachverständige Dr. P hat die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs dabei allein darauf gestützt, dass keine Anhaltspunkte für mögliche andere Ursachen der neurologischen Erkrankungen der Klägerin vorliegen würden. Wie bereits das SG aber dargelegt hat, existiert keine zwingende Regel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17.12.2015, B 2 U 11/14 R, juris, m.w.N., auch zum Nachfolgenden). Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung dieser alleine für die Bejahung der Kausalität genügt, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Ursache für die Erkrankung bestehen. Solch ein klar erkennbarer Zusammenhang besteht vorliegend aber gerade nicht.

Dies haben die Gutachter Dr. B1 und Dr. S2, deren Gutachten entgegen der Auffassung der Klägerin verwertbar ist (1.), auch zur Überzeugung des Senats schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet (2.), weshalb es keiner (weiteren) Beweiserhebung durch einen Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren bedurfte.

1.

Das Gutachten der Drs. B1 und S2 ist verwertbar.

Das Gutachten ist im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises (vgl. BSG, Beschluss vom 26.05.2000, B 2 U 90/00 B, juris, m.w.N.) verwertbar, obwohl es im Verwaltungsverfahren durch die Beklagte veranlasst wurde. Richtig ist zwar, dass ein von einem Beteiligten in das gerichtliche Verfahren eingebrachtes Privatgutachten nicht als Beweismittel, sondern als Bestandteil des Parteivorbringens zu werten ist. Jedoch ist ein im Verwaltungsverfahren von der Behörde eingeholtes Gutachten kein Privatgutachten in diesem Sinne, sondern es ist im gerichtlichen Verfahren wie erwähnt urkundlich grundsätzlich verwertbar, weil die das Verwaltungsverfahren führende Behörde zur Objektivität und zur Amtsermittlung (vgl. § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>) verpflichtet ist (BSG, Urteil vom 20.05.1992, 14a/6 RKa 9/90, juris). Allein die Tatsache, dass das Gutachten auf Veranlassung der Beklagten und im Rahmen der Amtsermittlung erstattet wurde, lässt somit auch nicht den Schluss auf mangelnde Objektivität zu. Im Übrigen gibt es keine Beweisregel, dass einem Verwaltungsgutachten stets, also unabhängig von seinem Inhalt und ggf. erhobenen Einwänden, ein geringerer Beweiswert zukommt, als einem gerichtlichen Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 14.12.1994, 3/1 RK 65/93, juris).

Das Rügerecht wegen eines Verstoßes gegen das Auswahlrecht nach § 200 Abs. 2 SGB VII geht gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) verloren, wenn der Beteiligte ausdrücklich auf das Rügerecht verzichtet oder nach Erhalt des unter Verstoß gegen § 200 Abs. 2 2. Halbs. SGB VII vom Unfallversicherungsträger eingeholten Gutachtens in der nächsten mündlichen Verhandlung, in welcher er vertreten war, den Mangel nicht gerügt hat (Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, 01/18, § 200 Rn. 27c, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 17/ 09 R, juris) gilt die Rügeobliegenheit auch im Verwaltungsverfahren. Dies ergibt sich aus dem den oben genannten prozessualen Vorschriften zugrundeliegenden Rechtsgedanken des Verbots rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.

Vorliegend hat die Klägerin zwar gegenüber der Beklagten die Verletzung ihres Auswahlrechts aus § 200 Abs. 2 SGB VII ausdrücklich gerügt. Dies allerdings erst, nachdem sie Kenntnis vom Inhalt dieses Gutachtens erhalten hat. Zuvor hatte sie sich auf den Hinweis der Beklagten mit Schreiben vom 15.11.2013, dass diese beabsichtige, eine gutachterliche Stellungnahme in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M1 einzuholen, mit Schreiben vom 12.12.2013 mit der dargelegten Vorgehensweise ausdrücklich einverstanden erklärt. Weiterhin hat die auch im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin mit Schreiben vom 12.08.2015 ausdrücklich auf weitere Schritte wegen eines möglichen Beweisverwertungsverbots im Hinblick auf eine Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens verzichtet.

Ungeachtet dessen, ob überhaupt ein Verstoß gegen das Auswahlrecht nach § 200 Abs. 2 SGB VII vorliegt, ist ein etwaiges Rügerecht der Klägerin nach dem vorstehenden Grundsatz des Verbots des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens mit dem Schreiben der Klägerin vom 12.12.2013, spätestens aber mit dem Verzicht auf weitere Beanstandung eines möglichen Verstoßes im Schreiben vom 12.08.2015, untergegangen.

2.

Drs. B1 und S2 haben, gestützt auf die im Krankenhaus E und in der Neurologischen Akutklinik  Z1 erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen überzeugend herausgearbeitet, dass die Klägerin beim Unfall am 23.091994 – entgegen der dem Gutachten des Dr. N und des Prof. Dr. M zugrundeliegenden Annahme – nur eine Prellung der Brustwirbelsäule erlitten hat, wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat und worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Lediglich ergänzend sei nochmals hervorgehoben, dass die im Krankenhaus E und in der Neurologischen Akutklinik Z1 wiederholt und intensiv, auch apparatetechnisch, durchgeführten neurologischen, kernspintomographischen und röntgenologischen Untersuchungen sämtlich unauffällige Befunde und gerade keine morphologischen Veränderungen an der Wirbelsäule, am Rückenmark oder sonstige Traumafolgen ergeben haben. Die ursprüngliche Verdachtsdiagnose einer leichten Contusio spinalis im D-Arztbericht vom 29.09.1994, die definitionsgemäß morphologische Veränderungen am Rückenmark voraussetzt, konnte somit ausgeschlossen werden.

Diese Einschätzung wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass die Klägerin zeitnah zum Unfall vom 23.09.1994 eine Gangstörung entwickelt hat, die nach ihrem Abklingen in der Folgezeit wiedergekehrt ist und von der Klägerin auf die 2009 im BWK U erstmals diagnostizierte Arachnoidalzyste zurückgeführt wird. In der Neurologischen Akutklinik Z1 wurden bei im Übrigen blanden Befunden in Gesprächen mit der Klägerin multiple schulische und private Konflikte herausgearbeitet und eine hierauf beruhende psychogene Gangstörung diagnostiziert, die sich, was gleichfalls gegen eine neurologische Ursache spricht, während des dortigen stationären Aufenthalts deutlich gebessert hat. Zuvor hatte bereits Dr. S, Krankenhaus E, im Rahmen seiner neurologischen Untersuchungen einen auffällig demonstrativen Schongang und eine auffällige funktionelle Ausgestaltung der Beschwerden festgestellt. Im Entlassungsbericht der Asklepios Klinik S1 vom Januar 2010 ist in Kenntnis der zwischenzeitlich diagnostizierten Gesundheitsstörungen in Gestalt eines Hydrocephalus und einer Arachnoidalzyste ausgeführt worden, die Gangstörung könne nicht einer klassischen neurologischen Gangstörung zugeordnet und nicht allein auf die spinale Pathologie bezogen werden. Es würden sich in dieser Gangstörung „unentwirrbar somatische und nichtsomatische Faktoren verknüpfen“. Die Ärzte der Zentralklinik Bad Berka wiederum haben im Juli 2014 „aus der Zusammenschau vorliegender Befunde, Verhaltensbeobachtungen sowie klinischer Eindrücke Hinweise auf psychosoziale Bedingungen und Faktoren, welche eine Mitverursachung bzw. Aufrechterhaltung des langjährigen komplexen Beschwerdebildes vermuten lassen,“ festgestellt. Angesichts einer danach wiederholt von behandelnden Ärzten vertretenen Auffassung einer psychisch zumindest mitbedingten Gangstörung sind die Drs. B1 und S2 auch für den Senat schlüssig und nachvollziehbar zum Ergebnis gelangt, dass die Gangstörung nicht mit dem Unfall vom 23.09.1994 in Verbindung gebracht werden kann und nicht als Ausdruck einer bei diesem Unfall erlittenen, allerdings im Rahmen der erhobenen Befunde (wie dargestellt) nicht festgestellten, neurologischen Schädigung gewertet werden kann.

Damit fehlt es, so zu Recht Drs. B1 und S2, am Nachweis einer durch den Unfall vom 23.09.1994 verursachten, über die bloße Wirbelsäulenprellung hinausgehenden Gesundheitsschädigung, welche geeignet gewesen wäre, die von der Klägerin als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen zu verursachen, weshalb der Argumentation von Dr. N und des Prof. Dr. M, welche ohnehin nur von einer möglichen Verursachung durch ein Rückenmarkstrauma ausgegangen sind, aber auch derjenigen der Sachverständigen Dr. P, von vornherein der Boden entzogen ist. Soweit Dr. P darüber hinaus in ihrem Gutachten (wohl) eine bloße Rückenprellung als ausreichend für eine spätere Entstehung der von der Klägerin geltend gemachten Unfallfolgen erachtet, steht sie damit in Widerspruch zu den Gutachtern Dr. N und Prof. Dr. M sowie Dr. B1 und Dr. S2, die in Übereinstimmung mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine Rückenmarksverletzung als Voraussetzung für eine spätere Ausbildung einer Liquorzirkulationsstörung, eines Hydrocephalus und/oder einer spinalen Arachnoidalzyste fordern. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10.05.2017 führt die Sachverständige dann zu Recht selbst aus, dass eine spinale Arachnoidalzyste, soweit sie nicht bereits (wie in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle) angeboren ist, sich im Lauf eines Lebens nur bei konkretem Anlass wie z.B. bei Blutungen durch Traumata, bei Tumoren oder Hirnhautentzündungen ausbildet. Ein solches Trauma mit Blutung bzw. vergleichbarer Ausprägung hat sich am 23.09.1994 aber unstreitig nicht ereignet. Weiterer Ermittlungen von Amts wegen bedarf es daher nicht.

Ohne dass es hierauf noch ankäme, ist auch die Einschätzung der Sachverständigen, mögliche andere Ursachen der neurologischen Erkrankungen der Klägerin könnten ausgeschlossen werden, weshalb die Gesundheitsstörungen auf neurologischem Gebiet nur auf den Unfall vom 23.09.1994 zurückgeführt werden könnten, nicht überzeugend. Denn gerade die kongenitale Fehlbildung der spinalen Arachnoidalzyste als deren überwiegende Genese kann die Sachverständige nach eigener Einschätzung nicht ausschließen. Zwar haben sich laut dem schriftlichen Befund der kernspintomographischen Aufnahmen vom 11.10.1994 die anatomischen Strukturen der Wirbelsäule regelrecht mit einem freien Spinalkanal (und ohne direkte Hinweis auf Traumafolgen) gezeigt, was gegen eine zu diesem Zeitpunkt (und damit möglicherweise seit Geburt) bereits vorhandene Arachnoidalzyste spricht. Für einen sicheren Ausschluss hätte es allerdings einer Sichtung dieser Aufnahmen bedurft, so die Sachverständige, was indes aufgrund der nach Ablauf der 10-jährigen Aufbewahrungsfrist erfolgten Vernichtung der Bilder nicht mehr möglich war.

Nach alledem bleibt die Berufung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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