L 8 R 3671/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 1725/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3671/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die 1966 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1979 in Deutschland und war hier zuletzt über eine Zeitarbeitsfirma als Bandarbeiterin und Montagearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 08.02.2016 war sie wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig und bezog ab März 2016 Krankengeld. Nach Aussteuerung aus dem Krankengeld bezog die Klägerin ab 07.08.2017 bis 05.11.2018 Arbeitslosengeld.

Die Klägerin beantragte im Januar 2017 auf Aufforderung der Krankenkasse Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bei der Beklagten.

Vom 22.06. bis 20.07.2017 führte die Beklagte daher bei der Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik G durch. In dem Entlassungsbericht vom 27.07.2017 wurden dort eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine Dysthymia, eine chronische Schmerzstörung mit physischen und psychischen Anteilen diagnostiziert. Daneben wurden ein metabolisches Syndrom, Asthma bronchiale, Adipositas, Katarakt beidseits sowie Osteoporose genannt. Die Klägerin könne ihre letzte körperlich belastende Tätigkeit als Monteurin im Akkord nur noch weniger als 3 Stunden täglich verrichten. Sie könne auch leichte körperliche Tätigkeiten allenfalls 3 bis unter 6 Stunden verrichten.

Nach einem Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit G1 (Dr. L) vom 02.08.2017 bestand nach Aktenlage ein Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden täglich.

Mit Schreiben vom 04.08.2017 lehnte die Beklagte gegenüber der Krankenkasse eine Umdeutung des Reha-Antrages in einen Rentenantrag ab, da die Klägerin noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne und ein Berufsschutz bei der nach dem 01.01.1961 geborenen Klägerin nicht in Betracht komme.

Die Klägerin beantragte am 04.09.2017 Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten, da sie seit mehreren Jahren u.a. wegen mittelgradiger depressiver Episode bei Verlust mehrerer Familienangehöriger und chronischer Schmerzstörung erwerbsgemindert sei.

Die Beklagte ließ die Klägerin von dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B begutachten. Dieser diagnostizierte nach Untersuchung am 30.01.2018 in seinem Gutachten vom 06.03.2018 eine mittelgradige depressive Episode, eine somatoforme Schmerzstörung, ein HWS- und LWS-Syndrom, Asthma bronchiale, Adipositas, einen Zustand nach Cataract-Operation rechts bei Cataract beidseits sowie eine Osteoporose. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter qualitativen Leistungseinschränkungen in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich auszuführen. Die letzte Tätigkeit sei hingegen unter Akkordbedingungen nicht mehr leidensgerecht gewesen.

Mit Bescheid vom 27.03.2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Nach medizinischer Beurteilung könne sie noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Die Klägerin legte hiergegen, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, am 23.04.2018 Widerspruch ein. Wegen multipler Erkrankungen insbesondere auch auf psychiatrischem Fachgebiet sei sie nicht mit der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 3 Stunden und mehr täglich auszuüben. Die Haupteinschränkung liege auf psychiatrischem Fachgebiet. In dem Entlassungsbericht der Rehaklinik G sei das Leistungsvermögen auf 3 bis unter 6 Stunden eingeschätzt worden. Die Abweichung hiervon sei in dem Bescheid nicht begründet worden. Der Bevollmächtigte hat einen Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis vom 17.02.2016 über eine Untersuchung der HWS sowie das Attest von Dr. W vom 29.03.2016 und Atteste des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. T vom 04.12.2017 und 17.05.2018 über Erkrankungen der Wirbelsäule sowie einen das linke Knie betreffenden Befundbericht des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. K  vom 20.12.2017 und einen Arztbrief von Dr. H  vom 01.02.2018 über ein obstruktives Schlafapnoesyndrom und Mischformen des Asthma bronchiale vorgelegt.

Die Beklagte ließ die Klägerin am 12.09.2018 auf Hinweis ihres sozialmedizinischen Dienstes zusätzlich von dem Facharzt für Orthopädie Dr. H1 begutachten. Nach Untersuchung am 12.09.2018 stellte dieser in seinem Gutachten vom 14.09.2018 eine mittelgradige Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei chronischem subacromialem Schmerzsyndrom rechts bei RM-Tendinopathie [degenerative Erkrankung der Rotatorenmanschette] fest. Er diagnostizierte bezüglich der Wirbelsäule bzw. des Rumpfes ferner ein rezidivierendes dorsolumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Anhalt für eine Nervenwurzelirritation und ein rezidivierendes cervicodorsales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Anhalt für eine Radikulopathie. Daneben bestehe eine rezidivierende Gonarthrose beidseits. Die Klägerin sei noch für in der Lage, leichte Arbeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die letzte Tätigkeit sei jedoch nicht mehr leidensgerecht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach Auffassung des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Der Widerspruchsausschuss schließe sich dieser Beurteilung an. Als Montagearbeiterin sei sie nur noch unter 3 Stunden einsatzfähig. Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit sei jedoch für Versicherte, die ab dem 02.01.1961 geboren seien, nicht mehr von Bedeutung. Auch könne aus einer Arbeitsunfähigkeit nicht auf eine Erwerbsminderung geschlossen werden.

Die Klägerin hat, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, am 12.04.2019 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Der Bevollmächtigte hat zur Begründung auf die Leistungseinschätzung in dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik G verwiesen und hat zudem auf bereits im Widerspruchsverfahren vorgelegte ärztlichen Unterlagen hingewiesen. Da die Klägerin nicht mehr der Lage sei, auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 3 Stunden täglich auszuüben, bestehe ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Das SG hat durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte Beweis erhoben.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. U hat mit Datum vom 18.07.2019 von einer Behandlung 2007 und sodann wieder ab 28.03.2019 wegen Schmerzen der rechten Schulter berichtet. Er habe eine Rotatorenmanschettenruptur der Schulter rechts, eine Bursitis subacromialis rechts sowie eine Schultereckgelenksarthrose rechts sowie Rückenschmerzen im Zervikalbereich festgestellt. Am 19.06.2019 sei die Operation der rechten Schulter (Rotatorenmanschettenrekonstruktion) im Klinikum E erfolgt. Der Schwerpunkt der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit liege auf seinem Fachgebiet. Die Klägerin könne nach seiner Einschätzung noch regelmäßig eine leichte körperliche Erwerbstätigkeit von 6 Stunden pro Tag ausüben.

Der Neurologe und Psychiater Dr. W hat seiner Aussage vom 31.07.2019 von einer fortlaufenden ambulanten Behandlung seit Mai 2016 berichtet. Es handele sich um eine anhaltende depressive Störung sowie um eine chronische Schmerzstörung. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten. Der Schwerpunkt der Leistungsbeeinträchtigung liege auf seinem Fachgebiet. Aus seiner Sicht bestehe eine Leistungsfähigkeit für Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt von unter 3 Stunden täglich.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. T hat in seiner Aussage vom 12.09.2019 von einer Behandlung seit 2013 bis zuletzt Mai 2019 berichtet. Die Klägerin habe über multiple Schmerzen im Körper mit Bewegungseinschränkung, Minderbelastbarkeit und Antriebslosigkeit geklagt. Eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten. Er hat auf seinen Karteikartenauszug verwiesen, in dem in dem Zeitraum seit Antragstellung im September 2017 im Wesentlichen eine manifeste Osteoporose, Gonarthrose Grad I links, Fersensporn rechts, Senk-Spreizfüße, Cervikodorsalgie, Dorsolumbalgie, Rundrücken, Interkostalneuralgie sowie ab Januar 2019 ein Impingementsyndrom der rechten Schulter mit V.a. Rotatorenmanschettenruptur als Diagnosen genannt sind. Der Schwerpunkt der Leistungsbeeinträchtigung liege auf dem Gebiet der Psychiatrie und Orthopädie. Die Klägerin sei aus orthopädischer Sicht in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten unter näher genannten qualitativen Leistungseinschränkungen 6 Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Nach Stellungnahme von Dr. G2 vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten vom 07.10.2019 stand aktuell der postoperative Verlauf nach der Schulteroperation rechts im Vordergrund. Bei weiterhin positiven Verlauf nach der Schulteroperation rechts sei weiterhin von einem mindestens 6-stündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten mit näher genannten qualitativen Leistungseinschränkungen auszugehen.

Die Klägerin hat vom 22.10. bis 12.11.2019 eine stationäre orthopädische Rehabilitationsmaßnahme in der M-Klinik absolviert. In dem Entlassungsbericht wurden ein Funktionsdefizit der rechten Schulter bei Zustand nach arthroskopischer Operation mit Rotatorenmanschetten-Naht am 19.06.2019, ein Belastungsschmerz der HWS bei degenerativen Veränderungen, eine mittelgradige depressive Episode, postmenopausale Osteoporose sowie eine arterielle Hypertonie festgestellt. Die Klägerin werde wegen der psychiatrischen / depressiven Situation arbeitsunfähig entlassen. Die Klägerin sei von orthopädischer Seite in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen und Gehen sowie ständig im Sitzen 6 Stunden und mehr zu verrichten. Nachtschichten seien aufgrund der Depression nicht zu empfehlen. Langanhaltende Zwangshaltungen, vornübergebeugte oder Überkopftätigkeiten mit überstreckter Wirbelsäule sowie Heben von Lasten über das Schultergelenksniveau hinaus sollten vermieden werden.

Das SG hat die Klägerin sodann durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie O-P untersuchen und begutachten lassen. Die Sachverständige hat ihr Gutachten aufgrund Untersuchung der Klägerin unter Hinzuziehung eines vereidigten Dolmetschers am 11.02.2020 mit Datum vom 30.04.2020 schriftlich erstattet. Sie hat eine abgeklungene mittelgradige depressive Episode mit einem noch überdauernden dysthymen Bild sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit – in dem Gutachten näher genannten – qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich auszuführen. Die Einschränkungen bestünden seit der Rentenantragstellung. Im Verlauf zeige sich eine Besserung der depressiven Symptomatik, wobei hier auch schon dem Vorgutachten vollschichtige Leistungsfähigkeit verzeichnet worden sei. Die in dem Vorgutachten festgestellte mittelgradige depressive Episode lasse sich mittlerweile nicht mehr finden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat noch einen Arztbrief von Dr. T vom 13.05.2020 vorgelegt, in dem eine manifeste Osteoporose festgestellt worden sei. Der Bevollmächtigte hat ferner eine Stellungnahme von Dr. W vom 26.05.2020 vorgelegt, in dem dieser darauf hingewiesen hat, dass in dem Gutachten im Beck‘schen Depressionsinventar (BDI) ein Punktwert von 47 erhoben worden sei, was auf eine schwere depressive Symptomatik hinweise. Aus seiner Sicht handele sich um eine anhaltende chronifizierte depressive Störung, die eine verminderte Leistungsfähigkeit bedinge. Der Bevollmächtigte hat ausgeführt, dass er das Gutachten daher für widersprüchlich halte.

Das SG hat daraufhin noch eine ergänzende Stellungnahme bei der Sachverständigen O-P eingeholt, die diese mit Datum vom 04.09.2020 schriftlich erstattet hat. Die Sachverständige hat dort darauf hingewiesen, dass das BDI auf der Selbstbeurteilung durch den Patienten beruhe und in der Behandlung zur Beurteilung des Verlaufs einer psychischen Störung diene. Es sei hingegen kein objektives Instrument zur Erstellung einer Diagnose oder gar zur Erstellung einer Prognose. Sie habe bereits im Gutachten angemerkt, dass es eine Diskrepanz der Selbsteinschätzung im BDI und dem eigentlichen Untersuchungsbefund gebe. Bei der Klägerin handele sich um eine Anpassungsreaktion nach Verlust des Arbeitsplatzes, die in einer Verbitterungsreaktion gemindert sei. Bei weiteren biografisch belastenden Faktoren mit Todesfällen in der Familie und vermehrter Trauer habe sich eine depressive Episode entwickelt. Eine schwere depressive chronifizierte Symptomatik, die eine intensivierte psychiatrische und auch stationäre Behandlung erfordere, sei nicht zu belegen. Unter Beachtung der Einwände der Klägerin gebe es keinen Anhalt, von der bisherigen Einschätzung in dem Gutachten abzuweichen.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.10.2020 hat das SG die auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung gerichtete Klage – nach Anhörung der Beteiligten – abgewiesen. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Klägerin sei nach Überzeugung der Kammer in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Das SG hat sich dabei auf die Verwaltungsgutachten von Dr. B und Dr. H1, auf die eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte, soweit ihnen habe gefolgt werden können, und insbesondere auf das Gutachten der Sachverständigen O-P und die dort gestellten Diagnosen und erhobenen Befunde gestützt. Aus dem von der Sachverständigen festgestellten dysthymen Bild und der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ergäben sich die von ihr genannten qualitativen Einschränkungen. Die Klägerin könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit möglichen Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen, ohne häufiges Bücken und ohne Arbeiten über Kopf ausführen. Zu vermeiden seien Akkordtätigkeit, Nachtarbeit, Tätigkeiten mit erhöhter Konfliktfähigkeit und mit inhalativen Belastungen. Die Gesundheitsstörungen führten jedoch nicht zu einer zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf unter 6 Stunden täglich für Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Hierfür spreche insbesondere der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf, nach dem sie noch zu einer hinreichenden Strukturierung der Lage sei. Die Klägerin weise zudem auch Alltagskompetenz und soziale Kompetenzen auf. Die Beurteilung durch die Sachverständige sei daher überzeugend. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Behandlungsoptionen noch nicht ausgeschöpft seien. Psychische Erkrankungen seien erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung davon auszugehen sei, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden könne. Eine erweiterte stationäre Maßnahme oder ambulante Psychotherapie habe die Klägerin noch nicht durchgeführt. Hinsichtlich der Schmerzstörung erfolge bislang eine Behandlung nach Stufe 1 der WHO. Eine erweiterte neuropathisch wirksame Medikation oder eine ambulante Schmerztherapie oder ein multimodales Schmerztherapieprogramm seien nicht durchgeführt worden. Diese Einschätzung werde auch durch das Gutachten von Dr. B gestützt, der auch noch ausgehend von einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer somatoformen Schmerzstörung eine Leistungsfähigkeit im Umfang von 6 Stunden täglich angenommen habe. Dr. B habe auch auf den Eindruck eines sekundären Krankheitsgewinns der Klägerin und ihre daher fehlende Veränderungsmotivation hingewiesen. Der Tagesablauf und die Fähigkeit zur sozialen Interaktion stimmten im Wesentlichen mit den Ausführungen der Sachverständigen O-P überein und bestätigten damit die Leistungseinschätzung.

Die Überzeugungskraft des Gutachtens werde auch nicht durch die Auskunft von Dr. W erschüttert, der dort auf ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen schließe. Diese Bewertung sei im Hinblick auf den geschilderten Befund unschlüssig. Die erneute Stellungnahme von Dr. W enthalte keine Befunde oder genauere Beschreibungen der Funktionsbeeinträchtigungen. Aus dem Punktwert von 47 im BDI könne auch im Hinblick auf die Klarstellung der Sachverständigen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit erkannt werden. Eine schwere chronifizierte depressive Symptomatik sei hier nicht belegbar. Die Beeinträchtigungen auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet bedingten jeweils nur qualitative Leistungseinschränkungen. Hinsichtlich der orthopädischen Beeinträchtigungen ergebe sich dies aus dem Entlassungsbericht der M-Klinik vom 12.11.2019 und den dort mitgeteilten Befunden und Diagnosen. Dr. Hiemer habe schlüssig qualitative Leistungseinschränkung abgeleitet. Auch aus den Aussagen von Dr. U und Dr. T ergäben sich jeweils nur qualitative Leistungseinschränkungen. Der Leistungseinschätzung der Rehaklinik G folge die Kammer nicht, da sie insbesondere durch das Gutachten der Sachverständigen O-P und die Einschätzung von Dr. B überholt sei. Die depressive Episode sei danach inzwischen abgeklungen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit bestehe nicht, da die Klägerin nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei. Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 04.11.2020 zugestellt worden.

Der Bevollmächtigte hat hiergegen am 26.11.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und hat zugleich eine Antragstellung und Begründung angekündigt.

Der Senat hat den Bevollmächtigten mit Verfügung vom 08.12.2020 zur Begründung der Berufung aufgefordert und hat mit Verfügung vom 15.03.2021 hieran erinnert. Der Berichterstatter hat den Bevollmächtigten sodann mit Verfügung vom 12.05.2021 aufgefordert, bis zum 15.06.2021 die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren bzw. Gerichtsverfahren sich die Klägerin beschwert fühle. Zugleich seien auch die Beweismittel zu bezeichnen, die den hier wohl geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung stützen sollten. Zugleich ist auf die Möglichkeit der Zurückweisung verspäteten Vorbringens sowie auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 109 SGG bis zu dem genannten Datum hingewiesen worden. Die Verfügung ist dem Bevollmächtigten am 12.05.2021 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 28.06.2021 hat der Bevollmächtigte die Anträge gestellt und die Berufung begründet. Die Ausführungen des SG überzeugten nicht, soweit es sich auf das orthopädische Gutachten von „Dr. H“ (gemeint: Dr. Hiemer) stütze. Der Bevollmächtigte hat einen Befundbericht des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. U vom 26.01.2021 über eine Untersuchung der rechten Schulter vorgelegt. Er hat dazu noch einen Befundbericht von Dr. T vom 09.03.2021 vorgelegt, worin Lumbosacralgie, Beckentiefstand rechts und Senk- Spreizfuß sowie Fersensporn beidseits festgestellt wurden. Der Bevollmächtigte hat ferner einen Befundbericht des Radiologen Dr. P vom 05.02.2021 über eine MRT-Untersuchung der HWS vorgelegt, wonach bei angegebenen Zervikalgien ein linksseitiger Prolaps im Segment Th2/Th3 bestand. Der Bevollmächtigte hat ausgeführt, dass die Leistungsfähigkeit insbesondere durch das Impingementsyndrom der rechten Schulter qualitativ eingeschränkt sei. Von dem SG wäre abzuklären gewesen, welche Tätigkeit die Klägerin bei einer darin liegenden wesentlichen Gebrauchseinschränkung des rechten Armes noch ausüben könne. Soweit sich das SG auf das Gutachten der Sachverständigen O-Ptütze, sei dieses nicht in sich widerspruchsfrei. Aus der dortigen Schilderung des Tagesablaufes könne entnommen werden, dass wohl von einer mittelgradigen Depression auszugehen sei. Vor allem imponiere die geschilderte Antriebslosigkeit, die auch alltägliche Verrichtungen verunmögliche. Es sei wenig überzeugend, wenn die Gutachterin dies unter Hinweis auf einen Versorgungswunsch und ein gezeigtes Verdeutlichungsverhalten relativiere. Gerade Versicherte türkischer Herkunft zeigten ein anderes Verhalten bei psychiatrischen Untersuchungen und äußerten psychische Beschwerden in der Regel in körperlichen Beschwerden ohne organisches Korrelat. Nach wie vor liege zumindest eine mittelgradige depressive Episode vor. Sie sei daher nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Eine erneute fachpsychiatrische Begutachtung werde daher angeregt.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2020 und den Bescheid vom 27.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.09.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren,

äußerst hilfsweise, den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie W1 nach § 109 SGG gutachtlich zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf den Gerichtsbescheid.

Mit Schriftsatz vom 08.09.2021 hat der Bevollmächtigte die Berufung weiter begründet. Er hat nunmehr ausgeführt, dass die wesentlichen Leistungseinschränkungen durch die psychische Erkrankung bedingt würden. Der auf das Gutachten der Ärztin O-P gestützte Gerichtsbescheid könne einer Überprüfung nicht standhalten, da nach einer fachärztlichen Stellungnahme von Dr. W vom 28.07.2021 die Diagnosen „depressive Stimmung, Affektlabilität, Schlafstörungen, verminderter Antrieb, Angstsymptomatik, sozialer Rückzug“ vorlägen und bei fehlender Besserungsmöglichkeit auch durch umfangreiche therapeutische Maßnahmen keine Besserung habe erzielt werden können. Das Leistungsvermögen sei auf unter 3 Stunden abgesunken. Neben den bereits in der Berufungsbegründung geltend gemachten Einwendungen gegen das Gutachten der Sachverständigen O-P hat der Bevollmächtigte auch ausgeführt, dass die Sachverständige bereits das Bekenntnis der Klägerin, eine Berentung anzustreben, als Zeichen für eine zu unterstellende Aggravation werte.

Mit Schriftsatz vom 15.11.2021 hat der Bevollmächtigte angefragt, ob noch ein psychiatrisches Gutachten beabsichtigt sei, und hat anderenfalls einen Antrag nach § 109 SGG angekündigt. Der Berichterstatter hat hierzu auf die Verfügung vom 12.05.2021 und die dort gesetzte Frist hingewiesen. Der Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 24.11.2021 nach § 109 SGG beantragt, ein Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie W1 einzuholen. Er hat sich zugleich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte hat sich ebenso mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des erstinstanzlichen Verfahrens und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2019 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da sie keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat. Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 30.10.2020 ist daher nicht zu beanstanden.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung dargelegt und hat schlüssig begründet, dass die Klägerin die Voraussetzungen für diese Ansprüche nicht erfüllt, weil sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verfügt und auch keine Berufsunfähigkeit geltend gemacht werden kann. Das SG hat dabei ausführlich die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten der niedergelassenen Fachärzte Dr. B und Dr. H1, die eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen und das fachärztliche Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen O-P gewürdigt und ist nachvollziehbar und überzeugend zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin noch leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit möglichem Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen ohne häufiges Bücken und ohne Arbeiten über Kopf ausüben kann. Zu vermeiden sind Akkordtätigkeit, Nachtarbeit, Tätigkeiten mit erhöhter Konfliktfähigkeit und inhalativen Belastungen.

Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Insgesamt stellt der Senat daher gestützt auf das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen fest, dass die Klägerin auf dem – auch nach ihrer Auffassung für das zeitliche Restleistungsvermögen maßgebenden – psychiatrischem Fachgebiet unter einer mittelgradigen depressiven Episode gelitten hat, die bis zu der Begutachtung bei der Sachverständigen abgeklungen ist und nur noch mit einem dysthymen Bild fortbesteht. Die Klägerin leidet daneben unter einer somatoformen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das überzeugende Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen. Die Klägerin leidet daneben unter einer manifesten Osteoporose, Gonarthrose Grad I links, Fersensporn rechts, Senk-Spreizfüßen sowie Wirbelsäulenbeschwerden. Sie litt an der rechten Schulter ab Januar 2019 unter einem Impingementsyndrom der bei Rotatorenmanschettenruptur, die im Juni 2019 operiert wurde. Insoweit ist ein Funktionsdefizit der rechten Schulter bei Zustand nach arthroskopischer Operation mit Rotatorenmanschetten-Naht verblieben. Der Senat stützt sich hierfür auf die Aussagen der sachverständigen Zeugen Dr. U, Dr. T und auf den als Urkunde verwertbaren Entlassungsbericht der M-Klinik. Eine zeitliche Leistungsminderung ergab sich hieraus nach den übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. U und Dr. T und nach dem Entlassungsbericht der M-Klinik nicht. Der Senat stellt nach alledem fest, dass die Klägerin im Zeitraum von dem Rentenantrag bis zu seiner Entscheidung noch in der Lage war bzw. ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes leichte Tätigkeiten arbeitstäglich sechs Stunden auszuüben.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren Folgendes auszuführen:

Der Schwerpunkt der beruflichen Leistungsbeeinträchtigung liegt auch nach dem letzten Vorbringen der rechtskundig vertretenen Klägerin auf dem psychiatrischen Fachgebiet. Das SG hat den medizinischen Sachverhalt durch die Einholung des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme bei der Fachärztin O-P umfassend aufgeklärt. Der Senat vermag auch im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren keinen inneren Widerspruch in dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen O-P festzustellen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass aufgrund der erhobenen Anamnese und hier aus dem von ihr geschilderten Tagesablauf wohl nicht nur von einer Dysthymie, sondern von einer mittelgradigen Depression auszugehen sei. Sie wendet sich zudem dagegen, dass die Sachverständige einen im Vordergrund stehenden Versorgungswunsch und ein im Rahmen der Exploration erkennbares Verdeutlichungsverhalten festgestellt habe. Damit beschreibt die Klägerin jedoch keinen Widerspruch des Gutachtens in sich, sondern wendet sich lediglich gegen die aus ihrer Sicht unzutreffende gutachterliche Würdigung des Sachverhaltes durch die Sachverständige. Die Überlegungen der Sachverständigen sind jedoch auch für den Senat – ebenso wie bereits für das SG – nachvollziehbar. Soweit die Klägerin erneut auf die von Dr. W geäußerte Kritik an der gutachterlichen Würdigung des im BDI erhobenen Wertes abstellt, hat sich die Sachverständige bereits in ihrer ausführlichen ergänzenden Stellungnahme dazu geäußert und hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass das BDI auf der Selbstbeurteilung durch den Patienten beruht und damit kein objektives Instrument zur Erstellung einer Diagnose oder gar zur Erstellung einer Prognose ist. Die Sachverständige hat ferner zu Recht ausgeführt, dass sie bereits in dem Gutachten auf die Diskrepanz der Selbsteinschätzung im BDI und dem eigentlichen von ihr erhobenen Untersuchungsbefund hingewiesen hatte. Soweit die Klägerin auf das Attest von Dr. W vom 28.07.2021 verweist, handelt es sich bei den dort aufgezählten Symptomen bereits nicht um Diagnosen. Zudem sind diese Symptome von Dr. W bereits in seiner Aussage vor dem SG genannt worden. Dem Attest lässt sich entnehmen, dass Dr. W aufgrund der genannten Symptomatik weiterhin von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen der Klägerin auf dem Arbeitsmarkt ausgeht. Diese Leistungseinschätzung hat Dr. W ebenfalls bereits in seiner Aussage vor dem SG geäußert. Den Ausführungen von Dr. W lässt sich auch entnehmen, dass es sich dabei aus seiner Sicht um einen im Wesentlichen unverändert bestehenden Zustand handelt. Der Senat stellt damit fest, dass der medizinische Sachverhalt durch das danach eingeholte fachärztliche Gutachten geklärt ist.

Soweit die Klägerin in dem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28.06.2021 daneben auch die Bewertung der Funktionsbehinderungen auf orthopädischem Fachgebiet rügt, greift dies hier ebenfalls nicht durch. Bei dem Verweis auf den Befundbericht von Dr. T vom 09.03.2021 mit einer genannten Lumbosacralgie, einem Beckentiefstand rechts, Senk- und Spreizfüßen und einen Fersensporn beidseits, ist bereits nicht ersichtlich, welche rentenrechtlich relevanten Auswirkungen diese – anlässlich einer Vorstellung wegen Schmerzen im Bereich der LWS bzw. der Leiste – genannten Befunde bzw. Diagnosen auf das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin haben sollten. Dr. T hat zudem bereits in seiner Aussage vor dem SG unter Verweis auf seine Karteikartenauszüge vergleichbare Diagnosen genannt. Er hat in dieser Aussage zugleich eine dezidierte Leistungseinschätzung abgegeben, wonach unter Beachtung nicht unüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen Arbeiten im Umfang von 6 Stunden und mehr möglich sind. Dr. T hat in dem jetzt vorgelegten Befundbericht zudem therapeutische Maßnahmen sowie die Versorgung mit Einlagen empfohlen. Auch für die in dem Befundbericht vom 05.02.2021 genannten radiologischen Befunde ist kein Bezug zu einer rentenrechtlich relevanten Leistungsminderung erkennbar. Dr. T und Dr. U haben die Klägerin in ihren Aussagen als sachverständige Zeugen auch übereinstimmend für fähig erachtet, eine leichte körperliche Erwerbstätigkeit noch mindestens 6 Stunden am Tag auszuüben.

Soweit die Klägerin unter Verweis auf den jetzt vorgelegten Befundbericht von Dr. U vom 26.01.2021 von einer wesentlichen Gebrauchseinschränkung des rechten Armes durch das dort genannte Impingementsyndrom der Schulter ausgeht und daher sinngemäß die fehlende Prüfung und Benennung einer Verweisungstätigkeit durch das SG in seinem Gerichtsbescheid vom 30.10.2020 beanstandet, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Zuordnung von Arbeitsfeldern, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste) möglich, um dadurch Zweifel an der Einsetzbarkeit von Versicherten zu beseitigen. Insoweit ist zunächst darauf abzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten typische Verrichtungen wie z.B. Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen ermöglicht. Dieser Kern an typischen körperlichen Verrichtungen ist nicht überholt. Die Aufzählung der Arbeitsfelder und Verrichtungen ist nicht abschließend. Sie kann etwa um einfache Büro- oder Montagetätigkeiten erweitert werden; im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung von Prozessen können etwa auch Verrichtungen wie das Messen, Prüfen, Überwachen und die (Qualitäts-)Kontrolle von Produktionsvorgängen in Betracht gezogen werden (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R –, in juris Rn. 32).

Die von dem SG in Übereinstimmung mit der gerichtlichen Sachverständigen dargestellten qualitativen Leistungseinschränkung stehen solchen Tätigkeitsfeldern nicht entgegen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die bereits alleine ein weites Feld an Einsatzmöglichkeiten versperren und daher die Benennung einer Verweisungstätigkeit erfordern würde (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R –, in juris Rn. 28; Urteil vom 11.12.2019 – a.a.O. Rn. 33), besteht hier nicht. Als solche wurde in der Rechtsprechung des BSG etwa eine Einarmigkeit angesehen (BSG, Urteil vom 09.05.2012 – a.a.O. Rn. 28) oder wenn dem Versicherten – neben anderen qualitativen Leistungseinschränkungen – schnelle Arm- und Handbewegungen nicht zumutbar waren (BSG, Urteil vom 28.08.1991 – 13/5 RJ 47/90 –, in juris Rn. 20). Die von der Klägerin hierfür angeführte in dem Bericht vom 26.01.2021 dargestellte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter entspricht im Vergleich zu dem präoperativen Befund vom 28.03.2019 (Befundbericht vom 18.07.2019, u.a. Bl. 158 der Verwaltungsakte) und dem Befund in dem Rehabilitations-Entlassungsbericht vom 12.11.2019 bei möglicher Flexion von 115 Grad und Abduktion von 70 Grad zunächst einer Verbesserung. Das von Dr. U festgestellte positive Impingement und der Kraftverlust hinsichtlich des Supraspinatus (SSP) betreffen die Beweglichkeit des Schultergelenks und damit nicht zugleich auch der Hand und sind offensichtlich nicht mit einer Einarmigkeit oder der genannten Einschränkung der Arm- und zugleich auch Handbeweglichkeit gleichzusetzen. Es kann damit dahingestellt bleiben, ob der bereits im Januar 2021 erstellte Befundbericht bereits im Hinblick auf § 106a Abs. 3 SGG zurückzuweisen ist, weil er ohne Angabe von Gründen erst nach Ablauf der nach § 106a SGG in der von dem BSG geforderten Form (vgl. – auch zur Anwendbarkeit im Berufungsverfahren – BSG, Urteil vom 08.09.2015 – B 1 KR 16/15 R –, in juris Rn. 23) bis 15.06.2021 gesetzten Frist vorgelegt wurde.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen und die Aussagen der sachverständigen Zeugen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Die rechtskundig vertretene Klägerin hat ihrerseits auch keine weitere Beweiserhebung beantragt, so dass sich der Senat auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt sieht (vgl. BSG, Beschluss vom 28.09.2020 – B 13 R 45/19 B –, in juris Rn. 11). Ihrer Anregung, ein weiteres psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen, war im Hinblick auf das bereits vorliegende Gutachten nicht nachzukommen. Das Gericht ist insoweit nach der Rechtsprechung des BSG nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG, Beschluss vom 27. 01.2021 – B 13 R 119/19 B –, juris). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Dem nach § 109 Abs. 1 SGG gestellten Antrag auf Anhörung des Sachverständigen W1 vom 24.11.2021 war nach dem Ermessen des Senats nicht nachzukommen. Der Antrag hatte sich durch das von der Klägerin zugleich erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG nicht erledigt (vgl. BSG, Beschluss vom 25.11.2013 – B 13 R 339/13 B –, in juris Rn. 6, mit insoweit allerdings unzutreffender Zusammenfassung in dem bei juris veröffentlichten Orientierungssatz; noch offen gelassen von BSG, Beschluss vom 01.09.1999 – B 9 V 42/99 B –, in juris Rn. 5). Das Gericht kann einen Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Die Einholung des beantragten Gutachtens würde hier die Erledigung des bereits zur mündlichen Verhandlung durch den Senat terminierten Rechtsstreits verzögern. Der Antrag ist zur Überzeugung des Senats auch aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden. Der Beteiligte muss den Antrag spätestens dann binnen angemessener Frist von etwa einem Monat stellen, wenn er erkennen muss, dass das Gericht keine Ermittlungen von Amts wegen durchführt. Das ist anzunehmen, wenn ihn das Gericht auf die Möglichkeit eines Antrages nach § 109 SGG hinweist und bei sachkundig vertretenen Beteiligten auch dann, wenn der Rechtsstreit ohne weitere Ermittlungen terminiert wird (MKLS/Keller, 13. Aufl. 2020, SGG § 109 Rn. 11). Neben der Verfügung vom 12.05.2021 und dem dort gegebenen Hinweis auf § 109 SGG musste die anwaltlich vertretene Klägerin jedenfalls der ersten Terminsbestimmung des Senatsvorsitzenden zur mündlichen Verhandlung vom 06.07.2021 entnehmen, dass der Senat auch in Kenntnis der Berufungsbegründung vom 28.06.2021 keine weitere Beweiserhebung von Amts wegen mehr durchführen werde. Dass auch die zweite Fassung der Berufungsbegründung im Schriftsatz vom 08.09.2021 hieran nichts geändert hatte, war der Terminsverlegung vom 21.09.2021 zu entnehmen. Der erst am 24.11.2021 gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens bei dem benannten Sachverständigen war mithin verfristet. Einen hinreichenden Grund hat die Klägerin hierfür nicht geltend gemacht.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
Saved