Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Anerkennung einer chronisch-lymphatischen Leukämie (CLL) als Berufskrankheit (BK) nach Ziff. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, im Folgenden BK 1318) streitig.
Der am 1960 geborene Kläger ist seit 1975 bei der R C GmbH beschäftigt. Von 1975 bis 1979 absolvierte er eine Ausbildung zum Feinmechaniker, von 1979 bis 1982 war er im Bereich „Fertigung/Hauptmontage und Kundenreparatur“ tätig und mit der Instandsetzung und Montages von Getriebebauteilen von elektronischen Anzeigegeräten für Militärjets betraut. Von 1982 bis 1992 war der Kläger in der Pauserei beschäftigt, von 1992 bis 2005 in der Abteilung „Technische Instandsetzung Super-Clean-Raum-Kreisel“, wo seine Aufgabe u.a. in der Wartung/Instandsetzung von Kreiselinstrumenten zur Navigation bestand. Seit 2005 arbeitet der Kläger im Bereich „Kundenservice-Service-Center“. In diesem Bereich werden hauptsächlich optisch-mechanische Geräte für militärische Luftfahrzeuge repariert und gewartet.
Am 14.06.2016 wurde bei der betrieblichen Vorsorgeuntersuchung der Verdacht auf das Vorliegen einer chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) geäußert, der durch die onkologische Schwerpunktpraxis H am 22.08.2016 nach einer immunzystologischen Untersuchung des Universitätsklinikums H vom 04.08.2016 bestätigt wurde. Die CLL war zunächst nicht behandlungs-, sondern nur kontrollbedürftig.
Aufgrund ärztlicher Verdachtsanzeige der Fachärztin für Arbeitsmedizin E erlangte die Beklagte im Oktober 2016 Kenntnis von der Erkrankung des Klägers. Der Anzeige war der Befundbericht der onkologischen Gemeinschaftspraxis H vom 22.08.2016 beigefügt.
Die Beklagte befragte den Kläger zu seinem Umgang mit Gefahrstoffen, holte Befundberichte der behandelnden Ärztin und die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Dipl.-Chem. Dr. S vom 20.02.2017 ein. Dr. S führte aus, der Kläger habe nach seinen Angaben Umgang mit verschiedenen Gefahrstoffen gehabt. Eine nennenswerte Exposition gegenüber Benzol dürfte während der üblichen Arbeitsabläufe nicht vorgelegen haben. Die eingesetzten Kohlenwasserstoffgemische Kerosin oder auch Terapin seien jeweils so hochsiedend, dass hier keine relevanten Gehalte an Benzol zu unterstellen seien. Soweit der Kläger 1981/1982 bei einer einmaligen Reinigungsaktion, die etwa zwei bis drei Tage gedauert habe, von sog. Reaktorstellgetrieben in einem großen Speißkübel im Freien Benzin verwendet habe, habe es sich hierbei (nach Angaben der Gesprächsteilnehmer) sehr wahrscheinlich um Waschbenzin gehandelt. Von einer Verwendung von Ottokraftstoff sei nach Einschätzung der Gesprächsteilnehmer nicht auszugehen. Nach Information des IFA-Ringbuchs Nr. 9105 („Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition“) sei bei dem mutmaßlich verwendeten Waschbenzin von einem Benzolgehalt von ca. 0,003 Gew.-% auszugehen. Die sonstigen verwendeten Lösemittel seien entweder definitiv benzolfrei (z.B. Alkohol, Aceton, Tri, Per) oder enthielten vermutlich kein oder bestenfalls vernachlässigbare Spuren an Benzol.
Der Staatliche Gewerbearzt E1 schlug mit Stellungnahme vom 10.03.2017 die BK 1318 und die BK 2402 nicht zur Anerkennung vor. Die haftungsbegründende Kausalität habe nicht wahrscheinlich gemacht werden können.
Mit Bescheid vom 25.07.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1318 ab. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei der Kläger während seiner Berufstätigkeit keinen Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die geeignet seien, eine BK 1318 zu verursachen. Der Präventionsdienst sei in seiner Stellungnahme vom 20.02.2017 zu dem Ergebnis gelangt, dass keine Einwirkung durch Benzol bestanden habe.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, nach seiner Einschätzung sei bei der einmaligen Reinigungsaktion Ottokraftstoff verwendet worden, der in Kraftstoffkanistern (Blech, 20 Liter) bereitgestellt worden sei.
Dipl.-Chem. Dr. S führte in einer ergänzenden Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 11.09.2017 aus, auch nach Rücksprache mit dem Betrieb habe nicht mit Sicherheit festgestellt werden können, ob benzolhaltiger Ottokraftstoff verwendet worden sei. Es könne weder bestätigt noch dementiert werden, dass für die diskutierten Reinigungen Ottokraftstoff statt Benzin verwendet worden sei. Nach Einschätzung des Technischen Aufsichtsdienstes könne eine Anwendung von Ottokraftstoff als eher unüblich angesehen werden, gänzlich auszuschließen sei dies indes nicht. Die Verwendung von Blechkanistern sei kein hinreichender Beweis für die Verwendung von Ottokraftstoff. Ottokraftstoff habe in der BRD zum Zeitpunkt um 1981/82, je nachdem, ob Super- oder Normalkraftstoff verwendet werde, üblicherweise zwischen 2,0 und 3,7 Vol% Benzol enthalten. Ergänzend wurde auf die Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexpositionen (Stand: 26.04.2016) verwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, da eine Exposition gegenüber Benzol nicht nachgewiesen worden sei.
Mit Schreiben vom 27.04.2018 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 25.07.2017; zur Begründung nahm er auf den bisherigen Schriftwechsel Bezug.
Mit Bescheid vom 05.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine unrichtige Anwendung des Rechts oder ein unrichtiger Sachverhalt ergebe sich bei Erlass des Bescheides vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2017 nicht. Es hätten sich keine neuen Aspekte ergeben, zumal der Kläger selbst dazu nichts vorgetragen habe.
Hiergegen hat der Kläger am 29.08.2018 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, während der Reparatur der Durchflussmessgeräte direkten Kontakt mit Kerosin gehabt zu haben. Die Beklagte habe keinerlei Anhaltspunkte für die Beurteilung des Benzolgehalts der in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren benutzten Reinigungs- und Lösungsmittel. Gerade in dieser Zeit seien die Lösungsmittel stark ätzend und für den Körper stark belastend gewesen. Benzol sei Teil des Rohöls und damit Bestandteil von Produkten der Erdölraffination. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass ein Zusammenspiel von Benzol und ionisierender Strahlung zu der Erkrankung geführt habe. Er habe die Reinigungsarbeiten gerade in den früheren Zeiten mit Lappen und Pinsel durchgeführt und somit auch Hautkontakt mit den entsprechenden Reinigungs- und Lösungsmitteln gehabt. Die Giftstoffaufnahme sei somit höchstwahrscheinlich nicht durch die Atemwege, sondern durch die Haut erfolgt. Für den Ursachenzusammenhang spreche außerdem, dass auch ein Kollege, der den gleichen Stoffen wie er selbst ausgesetzt gewesen sei, an der gleichen Art von Krebserkrankung leide.
Die Beklagte hat eine ergänzende Stellungnahme des Dipl.-Chem. Dr. S vom 08.11.2018 vorgelegt, der dargelegt hat, die ggf. gesundheitlichen Effekte und Auswirkungen, die die Exposition gegenüber Trichlorethen, Aceton, Isopropanol sowie weiteren Kohlenwasserstoffen haben könnten, seien unbestritten, ließen aber keine relevante Exposition mit Benzol begründen bzw. plausibel machen. Der Kläger habe Umgang mit Produkten, die aus der Raffination von Erdöl bzw. hochselektiven Weiterverarbeitungs- und Produktionsverfahren resultierten, gehabt. Man könne aber nicht schlussfolgern, dass z.B. in Benzin per se auch relevante Mengen an Benzol vorhanden seien. In einer weiteren Stellungnahme vom 14.12.2018 hat Dr. S ausgeführt, bei der einmaligen Reinigungsaktion 1981/82 sei die Verwendung von Waschbenzin wahrscheinlicher als die Anwendung von Ottokraftstoff. Selbst bei der eher unwahrscheinlichen Verwendung von Ottokraftstoff hätte lediglich eine Exposition von 0,7 ppm-Benzoljahren vorgelegen. Der Kläger leide an einer chronisch lymphatischen Leukämie der Gruppe A der anerkennungsfähigen Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems. Bei einer solchen Erkrankung liege die Verursachungswahrscheinlichkeit erst ab 8-10 ppm-Benzoljahren (hoher einstelliger bzw. unter zweistelliger Bereich) über 50 %. Erst ab einem Wert oberhalb von 50 % könne man von einer beruflich bedingten Erkrankung ausgehen. Dieser Wert werde auch bei der theoretischen Annahme der Reinigungsarbeiten mit Ottokraftstoff bei weitem nicht erreicht.
Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.02.2019 abgewiesen. Der Kläger habe im Überprüfungsverfahren keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung als BK 1318, weil er keinen ausreichenden Kontakt zu Benzol gehabt habe. Einen den Kausalzusammenhang zwischen Erkrankung und Exposition gegenüber Benzol wahrscheinlich machenden Kontakt des Klägers mit Benzol habe der technische Aufsichtsdienst der Beklagten nicht ermitteln können. Eine Dosis-Wirkungsbeziehung für die CLL werde angenommen, wenn die Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 % liege, was bei einer Benzolbelastung oberhalb von 8 ppm-Jahren angenommen werde (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 2017, Seite 981). Eine solche Exposition sei beim Kläger nicht feststellbar. Eine solche folge nicht aus dem – nicht nachgewiesenen – Fall der Verwendung von Ottokraftstoff anstelle von Waschbenzin bei der Reinigung von Reaktorstellgetrieben in den 80er-Jahren. Im Übrigen habe der Präventionsdienst der Beklagten allenfalls geringe oder keine Mengen Benzol in den verwendeten Reinigungsmitteln ermitteln können. Die Annahme eines herstellungsbedingt allenfalls sehr geringen Benzolgehalts des vom Kläger für eine Exposition herangezogenen Kerosins erscheine plausibel, weil bei der Raffination von Erdöl eine Trennung der Bestandteile nach ihrem Siedepunkt (Destillation) erfolge und Benzol aufgrund des niedrigen Siedepunktes (ca. 80°) in den Produkten mit höherem Siedepunkt (Diesel, Kerosin) kaum mehr vorhanden sei. Da die BK 1318 lediglich Erkrankungen durch Benzol beinhalte, könne in diesem Rahmen eine Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen nicht berücksichtigt werden. Ein Zusammenwirken von Benzol und ionisierender Strahlung könne allenfalls im Rahmen einer Wie-BK berücksichtigt werden, über deren Vorliegen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden aber nicht entschieden habe.
Gegen den ihm am 04.03.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.04.2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Beklagte habe keinerlei Anhaltspunkte für die Beurteilung der Benzolhaltigkeit der in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren benutzten Reinigungsmittel und Lösungsmittel. Gerade während dieser Zeit seien die Lösungsmittel stark ätzend und für den Körper stark belastend gewesen. Dies sei schon aus der Tatsache zu schließen, dass er bei den Reinigungsarbeiten zum Teil mit einer Abzugshaube habe arbeiten müssen. Diese Vorrichtung sei jedoch völlig sinnleer gewesen, da er mit seinem Kopf direkt in der Abzugsluft gestanden habe und somit noch stärkeren (Geruchs-)Belastungen ausgesetzt gewesen sei als ohne Absaugvorrichtung. Dies deshalb, da Benzol schwerer als Luft sei und durch die Absaugvorrichtung nach oben gesaugt worden sei und somit direkt in das Gesicht bzw. die Nase des Klägers gekommen sei. Grundsätzlich sei Benzol Bestandteil des Rohöls und damit Bestandteil von Produkten der Erdölraffination. Es sei in Benzin, also auch Kerosin, und Kokereiprodukten enthalten. Es werde als Ausgangs- und Zwischenprodukt der chemischen Industrie sowie als Laborchemikalie eingesetzt und sei als Extraktions- und Lösungsmittel auch heute noch weit verbreitet. Benzol sei eindeutig blutschädigend, fruchtschädigend und erbgutverändernd. Vergiftungssymptome seien Reizwirkungen auf Haut und Schleimhäute, Schwindel, Kopfschmerz, Brechreiz, Trunkenheitsgefühl und Euphorie. Diese Symptome hätten zum Teil während der Reinigungsarbeiten über dem Tetrachlorethenbad bestanden. Folgen der Einatmung auch schwachkonzentrierter Dämpfe über einen längeren Zeitraum seien die Abnahme der roten Blutkörperchen, Blutungen in der Haut, Blutgefäßveränderungen, Leukämie in Folge der Schädigung des blutbildenden Stammzellenknochenmarks und Knochenmarkschädigungen. Folgen der Einatmung konzentrierten Benzols seien Schwindel, Krämpfe, Bewusstlosigkeit, Herzrhythmusstörungen und Tod. Es könne davon ausgegangen werden, dass allein das Benzol zu der Erkrankung geführt habe. Er habe die Reinigungsarbeiten in den früheren Zeiten mit Lappen und Pinsel durchgeführt und auch sonst Hautkontakt mit den entsprechenden Reinigungsmitteln gehabt. Die Giftstoffaufnahme sei somit höchstwahrscheinlich nicht nur durch die Atemwege, sondern auch durch die Haut erfolgt. Auch der Kollege des Klägers R. Oppermann, der mit ihm an den Geräten gearbeitet habe, die in Kampfjets eingebaut und mit Kerosin benetzt gewesen seien, sei an einer chronisch lymphatischen Leukämie erkrankt. Ein Kausalzusammenhang zwischen Erkrankung und Exposition sei sehr wahrscheinlich.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Februar 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2018 zu verurteilen, den Bescheid vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. November 2017 aufzuheben und die chronisch lymphatische Leukämie des Klägers als Berufskrankheit nach Ziffer 1318 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Kausalzusammenhang sei gerade zu verneinen, weil die Exposition für die in Frage kommende BK 1318 in dem erforderlichen Maße gerade nicht gegeben sei. Ein Zusammenhang sei bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 % und mehr anzunehmen, diese wiederum bei einer Benzolbelastung von 8-10 ppm (Benzol-)Jahren und mehr gegeben. Von diesem Wert sei der Kläger selbst dann weit entfernt, wenn eine Exposition gegenüber Ottokraftstoff anstelle von Waschbenzin in den 1980er Jahren bei der Reinigung von Reaktorstellgetrieben unterstellt werde. Eine derartige Exposition habe aber nicht vorgelegen, sei jedenfalls nicht im Vollbeweis gesichert.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 18.06.2021 und 23.06.2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige und statthafte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 05.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2018, mit dem die Beklagte den Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2017 mit dem Ziel der Anerkennung einer BK 1318 abgelehnt hat.
Mit der erhobenen Anfechtungsklage begehrt der Kläger zulässigerweise die Aufhebung der den Antrag auf Rücknahme ablehnenden Bescheide, mit der Verpflichtungsklage begehrt er die Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2017 und - mit einer weiteren Verpflichtungsklage in Anknüpfung an das Rücknahmebegehren - zur Anerkennung einer BK 1318.
Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf Rücknahme des Bescheids vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2017 ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 der Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen - so Abs. 2 Satz 1 - ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2), wobei eine solche Entscheidung im Ermessen der Verwaltung steht. Diese Bestimmungen ermöglichen eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.
Auch wenn vorliegend nicht über Sozialleistungen im engeren Sinne, sondern über das Vorliegen einer BK entschieden wurde, ist § 44 SGB X auch diesbezüglich anwendbar (ohne weitere Problematisierung zum Arbeitsunfall vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, zur Anerkennung von Unfallfolgen vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2017 - B 2 U 6/16 R -, Juris).
Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes. Dabei führt § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen an, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden seien, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommen.
Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, Juris). Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist. Weitergehende Sachermittlungen sind im Rahmen der ersten Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine völlige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991 - 9b RAr 7/90 -, Juris). Würde hingegen bereits im Rahmen der ersten Alternative eine umfassende Sachprüfung, d. h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrundeliegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen für die zweite Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt wird. Im Rahmen der ersten Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zu Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend, unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.11.2014 – L 15 VS 4/13 –, Juris).
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheids vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2017 liegen nicht vor, da weder das Recht unrichtig angewandt wurde noch der Kläger nachweisen konnte, dass von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist.
Die Beklagte hat zu Recht die Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ablehnung der streitgegenständlichen BK 1318 abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der bei ihm diagnostizierten Erkrankung CLL als Folge der BK 1318.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV (im Folgenden: BK 1318). BKen sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken (Satz 2).
Aufgrund dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung die BKVO vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. In der Anlage 1 zur BKVO wird die Erkrankung des Klägers, wie eingangs dargestellt, von der hier streitgegenständlichen BK 1318 „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lympathischen Systems durch Benzol“ erfasst.
Voraussetzung für die Anerkennung als BK ist, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben muss (Einwirkungskausalität), und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises erwiesen sein, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (st. Rspr., vgl. u.a. BSG Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 -, Juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt jeweils das Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit. Danach muss bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteile vom 2.11.1999 - B 2 U 47/98 R - und vom 2.05.2001 - B 2 U 16/00R -, Juris). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zulasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zulasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 -, Juris).
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Berufskrankheitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung, die das BSG in der Entscheidung vom 06.05.2006 (- B 2 U 1/05 R -, Juris) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedingung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Einwirkungen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit.
Die Frage, welche Voraussetzungen zur Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung an einer BK vorliegen müssen, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten. Als solcher sind durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnene Erkenntnisse anzunehmen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 5/05 R -, Juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Verursachung der Erkrankung CLL durch die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht hinreichend wahrscheinlich im genannten Sinne.
Der Senat stellt insoweit zunächst fest, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als abhängig beschäftigter Mitarbeiter der R C GmbH grundsätzlich dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterlag (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Von 1975 bis 1979 absolvierte er dort eine Ausbildung zum Feinmechaniker, von 1979 bis 1982 war er im Bereich „Fertigung/Hauptmontage und Kundenreparatur“ tätig und mit der Instandsetzung und Montages von Getriebebauteilen von elektronischen Anzeigegeräten für Militärjets betraut. Von 1982 bis 1992 war der Kläger in der Pauserei beschäftigt, von 1992 bis 2005 in der Abteilung „Technische Instandsetzung Super-Clean-Raum-Kreisel“, wo seine Aufgabe u.a. in der Wartung/Instandsetzung von Kreiselinstrumenten zur Navigation bestand. Seit 2005 arbeitet der Kläger im Bereich „Kundenservice-Service-Center“. In diesem Bereich werden hauptsächlich optisch-mechanische Geräte für militärische Luftfahrzeuge repariert und gewartet.
Unstreitig leidet der Kläger unter einer grundsätzlich als BK 1318 anerkennungsfähigen Erkrankung (vgl. zu den anerkennungsfähigen Erkrankungen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 980; Merkblatt zur BK 1318 „Erkrankung des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol – Bek. des BMAY vom 30.12.2009 – Iva4-45222-1318 – GMBl 5/6/2010, S. 94 ff.) in Form der CLL.
Der Senat konnte sich aber nicht im hierfür erforderlichen Vollbeweis davon überzeugen, dass der Kläger bei seiner konkreten Tätigkeit Benzol in schädigendem Umfang ausgesetzt war.
Eine Dosis-Wirkungsbeziehung u.a. für die CLL wird bei einer kumulativen Benzolexposition „im hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich“ der ppm-Benzoljahre (durchschnittliche Expositionskonzentration am Arbeitsplatz in ppm als Schichtmittelwert mal Expositionsdauer in Jahren) angenommen; dabei wird in der wissenschaftlichen Begründung eine Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50 % ab einem Bereich von 10 ppm-Jahren als auch oberhalb ca. 8 ppm-Jahren genannt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 981 f.; in der Wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 Bek. des BMSA vom 01.09.2007 – Iva 4-45222 – GMBl. 49-51/2007, S. 974 ff. war noch von einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 % ab einem Bereich von 10 ppm-Benzoljahren ausgegangen worden). Eine solche Exposition ist beim Kläger nicht nachgewiesen. Der Präventionsdienst der Beklagten hat in seiner Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 20.02.2017 nach umfangreichen Ermittlungen am Arbeitsplatz des Klägers, Befragung des Klägers sowie Befragung der maßgeblichen Mitarbeiter der Firma die Arbeitsplätze des Klägers hinsichtlich der Gefahrstoffe, mit denen der Kläger in Kontakt gekommen ist, umfassend geprüft. Danach steht für den Senat fest, dass der Kläger während seiner Ausbildung zum Feinmechaniker von 1975 bis 1979 bei der Bearbeitung metallischer Werkstücke an Drehbänken wasserbasierte Kühlschmierstoffe verwendet hat. Mit Hilfe von Pinsel und einem Lösemittel wurden nach Bearbeitung der metallischen Werkstücke diese in offenen Laborgläsern gereinigt. Als Lösemittel kam für eine erste Grobreinigung üblicherweise „Tri“ (Trichlorethen) zum Einsatz. Für die End- bzw. Feinreinigung wurde eher Aceton verwendet und für empfindlichere Flächen Alkohol (Isopropanol). Bei Bedarf wurden metallische Werkstücke auch mit Hilfe einer Spraydose lackiert. Im Anschluss an seine Ausbildung war der Kläger von 1979 bis 1982 im Bereich „Fertigung/Hauptmontage und Kundenreparatur“ tätig. Hier war er mit der Instandsetzung und Montage von Getriebebauteilen von elektronischen Anzeigegeräten für Militärjets betraut. Auch hier wurde die Reinigung mit Trichlorethen, Aceton und Isopropanol durchgeführt. Für die finale Endreinigung mechanischer Bauteile wurden auch Reinigungen im Freonbad vorgenommen. Außerdem wurden Reparaturen von Durchflussmessgeräten der Militärjets vorgenommen. Durch die darin anhaftenden Kerosinreste ist bei der Reparatur der Durchflussmessgeräte von direktem Kontakt mit Kerosin auszugehen. Die Funktionskontrolle der Durchflussmessgeräte erfolgte nicht mit Kerosin, sondern mit Terapin. Darüber hinaus hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben in dem Zeitraum 1979 bis 1982 etwa die Hälfte der Arbeitszeit Arbeiten an Anzeigeinstrumenten, die Leuchtziffern enthielten, vorgenommen. Soweit der Kläger hierbei in Kontakt mit Zinksulfit, radioaktivem Radium 226, Tritium und Silikonklebern kam, ist dies für den hier in Streit stehenden Kontakt mit Benzol nicht relevant. Von 1982 bis 1992 war der Kläger in der Pauserei beschäftigt, wo zur Anfertigung größerer Lichtpausen die Lichtpausmaschine mit einer 33%-igen Ammoniaklösung betrieben wurde. Normalerweise wurden die Ammoniakkanister, wenn sie leer waren, ausgetauscht, in Ausnahmefällen mussten sie jedoch auch umgefüllt werden, wodurch es zu einer Geruchsbelästigung kam. Bei Reparaturen an der Lichtpausmaschine wurden auch Reinigungsmittel wie Aceton und Alkohol (Isopropanol) eingesetzt. Von 1992 bis 2005 war der Kläger in der Abteilung „Technische Instandsetzung Super-Clean-Raum-Kreisel“ beschäftigt. Seine Aufgabe bestand hier u.a. in der Wartung/Instandsetzung von Kreiselinstrumenten zur Navigation. Auch in dieser Abteilung wurden zu Reinigungszwecken Freon, Alkohol und Aceton verwendet. Weiterhin bestand auch hier beim Umgang mit Durchflussmessgeräten, Kontakt mit Kerosin, Terapin und Sprühlack. Auch hier wurden Reparaturarbeiten an Instrumenten mit Leuchtziffern durchgeführt. Der Kläger hatte in diesem Zeitraum auch Umgang mit einer sog. ELMA-Reinigungsflüssigkeit (für die Reinigung feinmechanischer Komponenten, z.B. Zahnräder) und einem Ultraschallbad. Im sog. „Ferranti-Keller“ wurden während dieses Zeitabschnitts in einer abgesaugten Sprühkabine Teile der Kreisel mit „Per“ (Perchlorethen = Tetrachlorethen) abgespült und auch Füllölverunreinigungen von Kreiselkomponenten in einem abgesaugten Tetrachlorbad gereinigt. Diese Reinigungen fanden etwa alle zwei Wochen statt und dauerten jeweils 10 Minuten. Der Kläger stand beim Einhängen der Körbe im Absaugbereich, so dass die Ausdünstungen des Tetrachlorethenbades durch seinen Atembereich gezogen wurden. Außerdem wurden zu reparierende Teile der Kreiselkomponenten geschliffen und poliert. Diese Komponenten bestanden teilweise aus Beryllium, Aluminium oder Edelstahl. Seit 2005 arbeitet der Kläger im Bereich „Kundenservice-Service-Center“, in dem hauptsächlich optisch-mechanische Geräte für militärische Luftfahrzeuge repariert und gewartet werden. Auch hierbei werden Reinigungen mit Isopropanol (Alkohol) und Aceton vorgenommen. Auch in diesem Bereich besteht Umgang mit Kerosin, Terapin und Betalights. Für Montagezwecke werden Zweikomponentenharze als Vergussmassen sowie Silikonkleber, Dichtmassen und Sprühlack verwendet. Gegen diese grundsätzliche Arbeitsplatzbeschreibung des Dipl.-Chem. Dr. S, die unter Mitwirkung des Klägers erstellt worden ist, sind keine Einwände vorgebracht worden. Ausgehend von dieser Arbeitsplatzbeschreibung konnte sich der Senat im Wesentlichen aufgrund der Ausführungen des Dipl.-Chem. Dr. S nicht von einer nennenswerten Exposition mit Benzol überzeugen. Eine solche lag nach dessen Einschätzung während der üblichen Arbeitsabläufe nicht vor. Die Kohlenwasserstoffgemische Kerosin und Terapin sind nach Angaben des Präventionsdienstes jeweils so hochsiedend, dass hier keine relevanten Gehalte an Benzol zu unterstellen sind. Die darüber hinaus verwendeten Lösemittel sind entweder definitiv benzolfrei (wie z.B. Alkohol, Aceton, Tri und Per) oder enthalten nach Angaben des Dipl.-Chem. Dr. S entweder keine oder höchstens vernachlässigbare Spuren an Benzol. Diese Ausführung des Präventionsdienstes, die auch unter Berücksichtigung der maßgeblichen Sicherheitsdatenblätter sowie der Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition (IFA-Ringbuch Nr. 9105, Stand: 26.04.2016) erstellt wurden, sind für den Senat überzeugend und wurden durch den Kläger nicht widerlegt.
Eine relevante Einwirkung von Benzol liegt damit nicht vor. Eine solche ist auch unter Berücksichtigung der durch den Kläger berichteten „Reinigungsaktion“ 1981/82 nicht belegt. Der Kläger berichtet, dabei seien in einem ca. 50-60 l großen Speißkübel mit Benzol Reaktorgestellgetriebe gereinigt worden. Diese Reinigungsaktion habe im Freien stattgefunden und ca. zwei bis drei Tage gedauert. Sie sei unter Zuhilfenahme von Lappen und Pinseln sowie Handschuhen, über deren Eignung aber keine Angaben mehr gemacht werden können, erfolgt. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dieser Reinigungsaktion tatsächlich, wie der Kläger vorträgt, Ottokraftstoff oder – was nach Einschätzung des Dipl.-Chem. Dr. S wahrscheinlicher ist – Waschbenzin mit vergleichsweise niedrigem Benzolgehalt verwendet wurde. Nach der durch den Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten durchgeführten Vergleichsberechnung hätte selbst bei der Verwendung von Ottokraftstoff lediglich eine Exposition von 0,7 ppm-Benzoljahren vorgelegen.
Die für die Annahme einer Dosis-Wirkungsbeziehung erforderliche Einwirkung von mindestens 8 ppm-Benzoljahren wird damit jedenfalls nicht erreicht.
Der Senat konnte sich daher nicht davon überzeugen, dass der Kläger Benzol in schädigendem Ausmaß ausgesetzt gewesen ist.
Im Falle der Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen, wie hier bezogen auf eine schädigende Einwirkung, gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des BSG der Grundsatz der objektiven Beweislast, insbesondere der Feststellungslast, wonach die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache von demjenigen Beteiligten zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes widersprechen dagegen dem in § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 9/19 R -, Juris). Der Senat verkennt nicht, dass der Nachweis einer Einwirkung von Benzol rückblickend nur schwer möglich bis ausgeschlossen erscheint. Die vorgetragene Erkrankung eines weiteren Kollegen kann insoweit als Indiz gewertet werden, sie vermag jedoch unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses und insbesondere aufgrund fehlender weiterer Indizien schon aufgrund der geringen Anzahl betroffener Personen nicht die Überzeugung des Senats im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung zu begründen, die zu beweisende Tatsache, eine (schädigende) Einwirkung durch Benzol, sei nachgewiesen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).