I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 2019 aufgehoben.
Der Bescheid des Beklagten vom 28. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 wird dahingehend geändert, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. bis 31. Juli 2017 ein Leistungsanspruch i.H.v. 431,62 € zusteht und dass von ihm lediglich ein Überzahlungsbetrag i.H.v. 425,08 € zu erstatten ist.
II. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der für den Monat Juli 2017 zu erbringenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bzw. die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung einschließlich der Höhe des Erstattungsbegehrens des Beklagten streitig.
Der 1975 geborene Kläger erhält von dem Beklagten laufende Grundsicherungsleistungen. Er war früher Zeitsoldat und ist Oberstleutnant der Reserve, wobei er regelmäßig an Reservistenübungen der Bundeswehr teilgenommen hat, so auch in der Zeit vom 26. bis 30. Juni 2017.
Mit Bewilligungsbescheid vom 9. Februar 2017 erbrachte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom März 2017 bis Februar 2018 (1. März bis 31. Oktober 2017 i.H.v. 856,70 € (davon die vollen Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 447,70 €) und 1. November 2017 bis 28. Februar 2018 i.H.v. 782,50 €). Mit späterem Änderungsbescheid vom 3. November 2017 setzte der Beklagte die monatlichen Leistungen im Zeitraum Dezember 2017 bis Februar 2018 mit 856,70 € und mit weiterem Änderungsbescheid vom 25. November 2017 für Januar und Februar 2018 mit 863,70 € fest.
Aufgrund der Heranziehung zur Reserveübung in der Zeit vom 26. bis 30. Juni 2017 erhielt der Kläger folgende Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG): Mindestleistung nach § 9 Abs. 1 USG i.H.v. 498,75 € und Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG i.H.v. 5 Tagessätzen zu je 26,52 €, insgesamt 631,35 € (Bewilligungsbescheide des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 26. Juli 2017). Die Auszahlung auf das Konto des Klägers erfolgte am 31. Juli 2017.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 10. August 2017 hob der Beklagte durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 28. August 2017 die Leistungsbewilligung für den Monat Juli 2017 teilweise auf und regelte zugleich die Erstattung eines Betrages von 601,35 €. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei aufgrund der erhaltenen Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz in geringerer Höhe hilfebedürftig gewesen, so dass die Leistungsbewilligung wegen der Erzielung von Einkommen in Anwendung von § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) bzw. i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufzuheben sei. Bei der Festsetzung der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens setzte der Beklagte einen Betrag von 30,00 € ab.
Aus dem aktenkundigen weiteren (Änderungs-) Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 26. August 2017 ergibt sich, dass die dem Kläger aufgrund der Teilnahme an der Reserveübung zu gewährende Mindestleistung auf 521,70 € angehoben wurde mit einem Nachzahlungsbetrag von 22,95 €.
Gegen den Bescheid des Beklagten vom 28. August 2017 erhob der Kläger Widerspruch am 8. September 2017 und machte unter Hinweis auf das von ihm erstrittene Senatsurteil vom 23. August 2017 (L 6 AS 452/15) geltend, Bezüge aufgrund seiner Reservistendienste seien als Erwerbseinkommen zu werten und mit den entsprechenden Freibeträgen anzurechnen. Im weiteren Verlauf führte der Kläger ergänzend aus, abzusetzen sei ein Freibetrag von 206,27 €. § 6 Abs. 3 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-VO) komme nicht zur Anwendung.
Durch Widerspruchsbescheid vom 7. November 2017 stellte der Beklagte fest, dass dem Kläger für den Monat Juli 2017 ein Leistungsanspruch i.H.v. 331,87 € endgültig zustehe. Er reduzierte den Erstattungsbetrag auf 524,83 € und änderte die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung entsprechend ab. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte er aus, für die Heranziehung der von dem Kläger genannten Senatsentscheidung vom 23. August 2017 (L 6 AS 452/15) sei zu berücksichtigen, dass sich die Rechtslage für den nun streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund einer umfassenden Reform des Wehrsoldgesetzes einerseits und des Unterhaltssicherungsgesetzes andererseits geändert habe. Demgegenüber befasse sich die in Bezug genommene Senatsentscheidung mit einer Differenzierung der einzelnen Bezügebestandteile aufgrund der Teilnahme an einer Wehrübung noch nach altem Recht. Im Übrigen habe das Landessozialgericht lediglich zu der Berücksichtigung eines Erwerbstätigenfreibetrages auf den Wehrsold, ausdrücklich aber nicht zu der nach § 13c Abs. 1 S. 2 USG a.F. von der Unterhaltssicherungsbehörde gewährten Mindestleistung Stellung genommen. In Anlehnung an dieses Urteil und unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zur Reform der die freiwillig Reservedienst Leistenden betreffenden Regelungen (Hinweis auf Bundestagsdrucksache – BT-Drucks – 18/4851 und 18/4632) komme die Einräumung von Erwerbstätigenfreibeträgen nach § 11b SGB II nur für jene Vergütungsbestandteile in Betracht, die nach neuem Recht dem Wehrsold entsprechen würden. Nach der Gesetzesbegründung sei der Wehrsold nach altem Recht in der Reservistendienstleistungsprämie gemäß § 10 Abs. 1 USG aufgegangen, so dass auch nur insoweit die Erwerbstätigenfreibeträge zu berücksichtigen seien. Ein entsprechender Abzug von der gemäß § 9 Abs. 1 USG gewährten Mindestleistung komme dagegen nicht in Betracht, weil die Mindestleistung nicht mit einem Erwerbseinkommen zu vergleichen sei, sondern eine soziale Mindestsicherung ohne Entgeltcharakter darstelle. So habe auch bereits das Sozialgericht Nordhausen entschieden (Hinweis auf das Urteil vom 4. Dezember 2014, S 17 AS 8239/11). Im Ergebnis ging der Beklagte von folgendem leistungsmindernden Einkommen des Klägers im Monat Juli 2017 aus: Bezüge nach § 10 Abs. 1 USG 26,08 € (5 x 26,52 € = 132,60 €, abzüglich Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II von 100,00 € sowie abzüglich Freibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II von 6,52 € < 20 % von 32,60 €>) und Bezüge nach § 9 Abs. 1 S. 1 USG i.H.v. 498,75 €, mithin Gesamteinkommen 524,83 €. Dieser Betrag sei auf den Bedarf für Juli 2017 von 856,70 € anzurechnen, so dass ein Leistungsanspruch nach dem SGB II von 331,87 € verbleibe. Die Bewilligungsentscheidung sei deshalb in Höhe des Betrages von 524,83 € aufzuheben gewesen mit der Folge, dass der Kläger diesen Betrag zu erstatten habe.
Mit seiner hiergegen am 6. Dezember 2017 zum Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und im Wesentlichen unter erneuter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 23. August 2017 (L 6 AS 452/15) vorgetragen, der Senat habe in der Entscheidung ausgeführt, die freiwillige Teilnahme an den Wehrübungen ermögliche es, zumindest teilweise für die Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Es handele sich deshalb um eine Erwerbstätigkeit. Mangels einer Soldaten ausschließenden Regelung in § 11b Abs. 2 SGB II habe der Senat eine Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrages auf den Wehrsold als gegeben angesehen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass dies auch für die Leistungen der Unterhaltssicherung gelte und auch diese wie Einkommen Beschäftigter zu behandeln seien, so dass die Freibetragsregelung zur Anwendung komme. Im Ergebnis sei eine Erstattungsforderung lediglich i.H.v. 425,08 € gerechtfertigt.
Demgegenüber hat der Beklagte an seiner Auffassung festgehalten und auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Durch Urteil um 29. Januar 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, unstreitig sei zwischen den Beteiligten, dass von der Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG i.H.v. 5 Tagessätzen zu je 26,52 € der Erwerbstätigenfreibetrag in Form des Grundfreibetrages nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II sowie des Freibetrages nach § 11b Abs. 3 SGB II abzusetzen seien. Die Mindestleistung nach § 9 USG sei dagegen zur Überzeugung der Kammer nicht als Einkommen aus einer der nichtselbständigen Arbeit vergleichbaren Erwerbstätigkeit zu behandeln. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts, auf die sich der Kläger gestützt habe. Der Senat habe vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den entschiedenen Fall Ausführungen zu Leistungen nach dem USG entbehrlich seien. Der Erwerbstätigenfreibetrag gelte nur für jene Vergütungsbestandteile, die dem früheren Wehrsold entsprechen würden. Damit sei auf die Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG der Erwerbstätigengrundfreibetrag anzuwenden, nicht jedoch auf die Mindestleistungen nach § 9 Abs. 1 USG. Dies habe bereits zutreffend das Sozialgericht Nordhausen mit Urteil vom 4. Dezember 2014 (S 17 AS 8239/11) entschieden und darin ausgeführt, es handele sich bei den Mindestleistungen um eine soziale Mindestsicherung des Dienstpflichtigen und seiner Angehörigen und diese stellten damit gerade kein Entgelt für die Dienstleistung selbst dar. Dem schließe sich die Kammer vollumfänglich an. An dem Charakter der Mindestleistung als Leistung zur sozialen Mindestsicherung ändere sich auch nichts dadurch, dass die Mindestleistung zur Angleichung an die Nettobesoldung der Soldatinnen und Soldaten erhöht worden sei. Abschließend hat das Sozialgericht ausgeführt, der Zulassung der Berufung bedürfe es nicht, weil insbesondere grundsätzliche Bedeutung nicht anzunehmen sei. Die streitgegenständliche Rechtsfrage lasse sich aus dem Gesetz beantworten.
Gegen das am 5. Februar 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2019 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und Zulassung der Berufung beantragt. Dem hat der Senat durch Beschluss vom 13. Februar 2020 (L 6 AS 115/19 NZB) stattgegeben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zugelassen. Dabei hat sich der Senat im Wesentlichen darauf gestützt, dass die vorliegend aufgeworfenen Rechtsfragen weder durch das Senatsurteil vom 23. August 2017 noch das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 4. Dezember 2014 geklärt seien. Von der von dem Sozialgericht Nordhausen wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung sei kein Gebrauch gemacht worden. Im Übrigen hat der Senat die Auffassung vertreten, dass sich die aufgeworfenen Rechtsfragen auch nicht allein aus den gesetzlichen Vorschriften beantworten ließen, denn sowohl Abs. 2 Satz 1 als auch Abs. 3 Satz 1 von § 11b SGB II erstreckten den erfassten Personenkreis auf Leistungsberechtigte, „die erwerbstätig sind“. Ob und inwieweit hierunter auch Reservisten fielen, die Leistungen aufgrund der Teilnahme an einer Wehrübung erhielten, ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut gerade nicht.
Aufgrund der Zulassung der Berufung ist das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt worden.
Der Kläger trägt im Berufungsverfahren vor, eine eigene Regelung oder Anhaltspunkte für die Begriffsbestimmung „Erwerbstätigkeit“ enthalte das SGB II selbst nicht. Erwerbstätigkeit erfasse jede auf das Erzielen eines Einkommens gerichtete Verwertung der eigenen Arbeitskraft gegen Entgelt in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder in selbstständiger oder freiberuflicher Tätigkeit. Erwerbstätig sei allgemein, wer unter Einsatz und Verwertung seiner Arbeitskraft eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringe, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 5. Juli 2017, B 14 AS 27/16 R). Sinn und Zweck des Erwerbstätigenfreibetrages sei es, einen Anreiz zur Beschäftigung zu bieten und ihren Fortbestand zu sichern. Entsprechend fehle der Bezug zu einer Erwerbstätigkeit in der Regel bei „mühelosem“ Einkommen in Form von Sozialleistungen, Einnahmen aus Kapitalvermögen uÄ. Ebenso seien echte Lohnersatzleistungen wie z.B. das Krankengeld kein Erwerbseinkommen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R). Bei der Mindestleistung nach § 9 USG handele es sich um Einkommen aus Erwerbstätigkeit, weil der der Leistung zu Grunde liegende Reservistendienst einer wirtschaftlich verwertbaren Leistung gleichzusetzen sei. Die Reserve sei ein wichtiger Bestandteil der Bundeswehr und seit dem Aussetzen der Wehrpflicht seien Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr für die Einsatzbereitschaft wichtiger denn je. Entsprechend vergüte die Bundeswehr Reservistendienste nach den Regelungen des USG. Die Mindestleistung sei angeglichen an die Nettobesoldung von Soldatinnen und Soldaten. Dass viele Reservistendienstleistende während dieser Zeit über weiteres Einkommen verfügten, welches angerechnet werde, ändere an dem Charakter einer Geldzahlung für eine freiwillige Arbeitsleistung und damit für eine Erwerbstätigkeit im Sinne von § 11b Abs. 2 und 3 SGB II nichts. Dies habe der erkennende Senat mit seinem Urteil vom 23. August 2017 in Bezug auf ergänzende Leistungen bereits entschieden. Wenn der Reservistendienst grundsätzlich als Erwerbstätigkeit im Sinne des SGB II betrachtet werde, müsse sich dies folgerichtig auch auf die Anrechnung der Mindestleistung nach § 9 USG auswirken.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 2019 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 28. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 dahingehend zu ändern, dass zu seinen Gunsten der Erwerbstätigenfreibetrag auch für die Mindestleistung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz berücksichtigt wird und von ihm lediglich ein Betrag i.H.v. 425,08 € zu erstatten ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Beide Beteiligte haben übereinstimmend erklärt, dass sie mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Beklagten, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 Abs. 1 SGG) war nach erfolgter Zulassung durch den Senat als statthafte Berufung fortzuführen (§ 145 Abs. 5 SGG).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 2019 der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 28. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 und damit die Höhe der für Juli 2017 zustehenden Leistungen nach dem SGB II. Ebenso streitbefangen ist die Erstattungsforderung des Beklagten bezogen auf Juli 2017. Insoweit enthält der angefochtene Verwaltungsakt zwei Regelungen, nämlich die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Juli 2017 im Umfang von 524,83 € sowie die Feststellung einer Erstattungspflicht des Klägers in Höhe dieses Betrages. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG, denn der Kläger strebt die (teilweise) Aufhebung des angefochtenen Bescheides des Beklagten an.
Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid vom 28. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 kann nicht aufrechterhalten bleiben, soweit die Leistungsbewilligung für Juli 2017 über den Betrag von 425,08 € hinaus aufgehoben und Erstattung geltend gemacht worden ist, die diesen Betrag (um 99,75 €) übersteigt.
Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung auf die Rechtsgrundlage des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III weiter i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt hat. Indes hat der Beklagte das leistungsmindernd anzurechnende Einkommen des Klägers im Monat Juli 2017 um 99,75 € zu hoch bzw. den Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II um diesen Betrag zu niedrig angesetzt.
Nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, anstelle der Beträge nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100,00 € monatlich abzusetzen.
Nach § 11b Abs. 3 SGB II ist bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen (S. 1). Dieser beläuft sich für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 € übersteigt und nicht mehr als 1.000,00 € beträgt, auf 20 % (S. 2 Nr. 1).
Ausgehend von diesen Regelungen ist zunächst festzustellen, dass die Anwendung von § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II und damit die einkommensmindernde Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrages von 100,00 € zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Ebenso ist die Anwendung des weiteren Freibetrags gemäß § 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II auf die dem Kläger zuerkannte Dienstleistungsprämie für die Teilnahme an der Reserveübung im Juni 2017 i.H.v. 132,60 € nicht umstritten. Dreh- und Angelpunkt des Streitverfahrens ist vielmehr die weitere Frage, ob auch die dem Kläger im Juli 2017 ausgezahlte Mindestleistung i.H.v. 498,75 € als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu behandeln ist mit der Folge, dass der Freibetrag gemäß § 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II aus der Summe der beiden Bezüge zu errechnen ist.
Der Senat bejaht dies in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 23. August 2017, L 6 AS 452/15) und hat sich hierbei von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Gesetzlich ist weiterhin nicht im Einzelnen geregelt, welche Vergütungen für welche Tätigkeiten als Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne des § 11b Abs. 2 und 3 SGB II anzusehen sind. Wie bereits in der genannten Senatsentscheidung ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes erwerbstätig nur jemand, der eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als Erwerbstätigkeit kann daher auch nur eine Tätigkeit angesehen werden, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt, sodass der Hilfeempfänger durch eigenes Erwerbseinkommen in der Lage ist, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Nur unter diesen Voraussetzungen können die Absetzbeträge ihren Sinn und Zweck erfüllen, der einerseits darin liegt, einen pauschalierten Ausgleich für arbeitsbedingte Mehraufwendungen zu schaffen und andererseits einen Anreiz zur Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens zu bieten (BSG, Urteile vom 16. Juni 2015, B 4 AS 37/14 R und 27. September 2011, B 4 AS 180/10 R).
Hat der erkennende Senat im Urteil vom 23. August 2017 noch entscheidend darauf abgestellt, dass jedenfalls die freiwillige Teilnahme an einer Wehrübung dazu führt, dass von einer der Erwerbstätigkeit vergleichbaren Tätigkeit bzw. für den bezogenen Wehrsold von Einkommen aus Erwerbstätigkeit auszugehen ist, vertritt der Senat in Fortführung und Erweiterung dieser Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass das Merkmal der Freiwilligkeit letztlich kein entscheidendes Abgrenzungskriterium sein kann. Vielmehr ist als Kernargument – zumindest im Falle von ehemaligen Zeit- und damit Berufssoldaten, wie dem Kläger – zu berücksichtigen, dass es sich bei dieser Dienstleistung als Soldat um einen Beruf und damit eine auf eigener Arbeitsleistung beruhende und auf Erwerb und Existenzsicherung abzielende Tätigkeit handelt (so Sozialgericht Nordhausen, Urteil vom 4. Dezember 2014, S 17 AS 8239/11, dem der Senat insoweit beitritt). Davon ausgehend kann nichts Anderes für Dienstleistungen als Soldat im Rahmen von Wehrübungen gelten, die grundsätzlich an eine frühere Tätigkeit als Berufssoldat anknüpfen (vgl. § 59 Abs. 1 und 2 Soldatengesetz <SG>). Dies gilt unabhängig davon, ob die Heranziehung zu einer Wehrübung auf einer freiwilligen Verpflichtung – wie sie für bestimmte Einsätze vorgeschrieben ist – beruht oder nicht. Entscheidend ist vielmehr die Anknüpfung an die frühere Tätigkeit als Berufssoldat, wobei ohnehin vorliegend davon auszugehen ist, dass die Teilnahme des Klägers an der Wehrübung im Juni 2017 – wie bereits die Wehrübungen in den vorangegangenen Jahren – auf seiner freiwilligen Bereitschaft beruht. Einer weiteren Vertiefung bedarf es jedoch aus den genannten Gründen nicht.
Ist damit im Kern auf die (ehemalige) Stellung des Klägers als Berufssoldat abzustellen, kann es weiter für die Qualifizierung der aufgrund einer mit dieser Stellung verknüpften Wehrübung erhaltenen Bezüge bzw. für die Frage, ob sie als Erwerbseinkommen zu behandeln sind, nicht darauf ankommen, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Bezüge beruhen bzw. wie der Gesetzgeber sie im Einzelnen benannt hat.
Für den aufgrund der Teilnahme an einer Wehrübung nach der bis zum 31. Oktober 2015 geltenden Rechtslage erhaltenen Wehrsold (§ 2 Wehrsoldgesetz) war in der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – geklärt, dass es sich um mit dem Erwerbseinkommen vergleichbare Bezüge gehandelt hat (so der erkennende Senat, Urteil vom 23. August 2017 sowie SG Nordhausen, Urteil vom 4. Dezember 2014, jew. a.a.O.). Mit der zum 1. November 2015 erfolgten Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber die finanziellen Leistungen für Reservistendienst Leistende im Unterhaltssicherungsgesetz zusammengefasst, wobei die darin geregelte Reservistendienstleistungsprämie (§ 10 USG in der Fassung vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019, jetzt § 11 USG) an die Stelle des Wehrsolds getreten ist (vgl. BT-Drucks. 18/4632, 31). Weiterhin Regelungsgegenstand des Unterhaltssicherungsgesetzes ist die Mindestleistung (§ 13c USG in der bis 31. Oktober 2015 geltenden Fassung, § 9 USG in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung und jetzt § 8 USG).
Der Senat vermag dem Sozialgericht Nordhausen nicht zu folgen, soweit für Leistungen der Mindestsicherung nach dem USG eine Vergleichbarkeit mit Erwerbseinkommen nicht gegeben sei. Aus der in Bezug genommenen Vorschrift des § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II ergibt sich lediglich, dass Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, dahingehend privilegiert sind, dass sie als Einkommen nicht berücksichtigt werden, soweit sie nicht im Einzelfall demselben Zweck dienen wie die SGB II-Leistungen. Aus der Vorschrift kann dagegen nicht abgeleitet werden, dass im Falle von Zweckidentität von vornherein Erwerbseinkommen bzw. Entgelt für eine Dienstleistung zu verneinen ist. Die Mindestleistung nach der hier anzuwendenden Vorschrift des § 9 USG a.F. hat zwar unzweifelhaft den Zweck, den Unterhalt des Reservistendienst Leistenden zu sichern. Die Leistung geht aber weit über eine Grundsicherung nach dem SGB II hinaus, wie der Bewilligungsbescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 26. Juli 2017 zeigt. Danach ist dem Kläger im Rahmen der Mindestleistung ein Tagessatz von 99,75 € zuerkannt worden, was bei einem Monat mit 30 Tagen einen Monatsbetrag von 2.992,50 € ergibt. Mit dem Änderungsbescheid vom 26. August 2017 ist der Tagessatz auf 104,34 € angehoben worden, hochgerechnet auf einen Monat mit 30 Tagen ergibt sich der Betrag von 3.130,20 €. Auch die Höhe der Mindestleistung spricht dafür, dass es sich hierbei um ein Entgelt für die erbrachte Dienstleistung handelt, das als Erwerbseinkommen im Sinne des § 11b Abs. 2 und 3 SGB II und gerade nicht als existenzsichernde Leistung ohne Gegenleistung anzusehen ist. Ebenso kann nicht übersehen werden, dass die Höhe der Mindestleistung gemäß der Tabelle in Anl. 1 zum Unterhaltssicherungsgesetz abhängig von dem Dienstgrad des Reservedienst Leistenden gestaffelt ausgewiesen wird.
Mit der Berücksichtigung der Mindestleistung als Erwerbseinkommen steht im Einklang, dass nach § 4 S. 1 und S. 2 Nr. 4 Alg II-VO auf die Berechnung des Einkommens aus Einnahmen, die nicht unter die §§ 2 und 3 fallen, § 2 zur Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend anzuwenden ist, und hierzu insbesondere Einnahmen aus Wehr-, Ersatz- und Freiwilligendienstverhältnissen gehören. Damit hat der Verordnungsgeber klargestellt, dass Einnahmen u.a. aus Wehrdienstverhältnissen wie Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit zu behandeln sind, ohne dass er im Übrigen zwischen Mindestleistung und Reservistendienstleistungsprämie differenziert hat.
Dem gewonnenen Ergebnis steht weiter § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-VO (in der bis zum 29. Februar 2020 geltenden a.F.) nicht entgegen, wonach der Auslandsverwendungszuschlag und der Leistungszuschlag bei Soldaten nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Insoweit ist – wie bereits in der Senatsentscheidung vom 23. August 2017 ausgeführt – nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine abschließende Regelung zur Nichtanrechnung des Einkommens von Soldaten handelt. Vielmehr schließt die Beschränkung auf den Auslandsverwendungszuschlag und den Leistungszuschlag nicht aus, dass der Verordnungsgeber darüber hinaus Einnahmen von Soldaten durch kumulative Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags privilegieren wollte.
Im Ergebnis stellt der Senat entscheidend auf die (ehemalige) Stellung des Klägers als Berufssoldat und den daran anknüpfenden Reservistendienst sowie darauf ab, dass aus dem komplexen Regelungsgefüge und insbesondere § 11b Abs. 2 und 3 SGB II eine Soldaten ausschließende Regelung weder im Hinblick auf die Mindestleistung noch die Dienstleistungsprämie abgeleitet werden kann.
Für den Monat Juli 2017 ist mithin folgende Berechnung maßgeblich:
Regelbedarf | 409,00 € |
Bedarf KdU und Heizung | 447,70 € |
Gesamtbedarf | 856,70 € |
Einkommen aus Reservistendienst Mindestleistung (zugeflossen im Juli 2017) Dienstleistungsprämie |
498,75 € 132,60 € |
Gesamteinkommen ohne Freibeträge | 631,35 € |
Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II | 100,00 € |
Erwerbstätigenfreibeitrag nach § 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II | 106,27 € (20% von 531,35 €) |
Gesamtfreibetrag | 206,27 € |
Anzurechnendes Einkommen | 425,08 € |
Gesamtanspruch | 431,62 € |
Erstattungsbetrag | 425,08 € |
Der Berufung des Klägers war stattzugeben
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu den in der vorliegenden Entscheidung angesprochenen Rechtsfragen vorliegt.