S 10 AS 658/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 10 AS 658/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 94/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Monat Juli 2017.

Der 1975 geborene Kläger steht bei dem Beklagten laufend im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er war früher Zeitsoldat und ist Oberstleutnant der Reserve. In den vergangenen Jahren nahm er regelmäßig an Reservistenübungen der Bundeswehr teil.

Mit Bescheid vom 09.02.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2017 bis 31.10.2017 i.H.v. 856,70 EUR und für die Zeit vom 01.11.2017 bis 28.02.2018 i.H.v. 782,50 EUR.

Gemäß Heranziehungsbescheid zu einer Übung vom 09.06.2017 nahm der Kläger in der Zeit vom 26.06.2017 bis 30.06.2017 an einer Reservistenübung der Bundeswehr teil. Nach den von ihm vorgelegten Bescheiden über die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG) jeweils vom 26.07.2017 wurde der Betrag der Mindestleistung nach § 9 Abs. 1 S. 1 USG auf 498,75 EUR und die Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG auf fünf Tagessätze zu je 26,52 EUR festgesetzt. Der Gesamtbetrag i.H.v. 631,35 EUR wurde am 31.07.2017 auf das Konto des Klägers überwiesen.

Mit Schreiben vom 10.08.2017 hörte der Beklagte den Kläger zu einer Überzahlung im Monat Juli 2017 an. Aufgrund der Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz bestehe eine um 601,35 EUR geringere Hilfebedürftigkeit. Von dem anzurechnenden Einkommen i.H.v. 631,35 EUR sei ein Betrag i.H.v. 30,00 EUR abzusetzen. Damit ergäbe sich eine Überzahlung i.H.v. 601,35 EUR.

Am 28.08.2017 erließ der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem er die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.07.2017 bis 31.07.2017 teilweise aufhob und den zu erstattenden Betrag auf 601,35 EUR festsetzte. Der Kläger habe im Monat Juli 2017 Einkommen erzielt, das anzurechnen sei.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 08.09.2017 Widerspruch. Er verwies zur Begründung seines Widerspruchs auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 23.08.2017 (Az.: L 6 AS 452/15). Reservistendienste seien als Erwerbseinkommen zu werten und daher mit entsprechenden Freibeträgen anzurechnen.

Mit Schreiben vom 11.10.2017 wies der Beklagte darauf hin, dass das Hessische Landessozialgericht in seinem Urteil zwischen Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz, Wehrsold, Verpflegungsgeld, Leistungszuschlag, Fahrtkosten und durch die Bundeswehr bereitgestellte Verpflegung differenziert habe. Die „Vergütung“ der freiwillig Reservedienstleistenden habe sich geändert und sei anscheinend im Unterhaltssicherungsgesetz zusammengefasst worden. Es werde daher um Einschätzung der Anrechenbarkeit der Bezüge unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage sowie um Mitteilung, an welchen Tagen im Übungszeitraum in welchem Umfang Verpflegung durch die Bundeswehr bereitgestellt wurde, gebeten. 

Mit Schreiben vom 30.10.2017 teilte der Kläger mit, dass er nur die in der Bezügeabrechnung enthaltenen Bezüge zuzüglich Fahrtkosten erhalten habe. Für die Verpflegung seien keine Leistungen erbracht worden. Er habe auch keine weiteren Leistungen erhalten. Von dem erhaltenen Betrag i.H.v. 631,35 EUR sei ein Freibetrag i.H.v. 206,25 EUR abzusetzen. § 6 Abs. 3 Alg-II VO komme nicht zur Anwendung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017 ergingen folgende Entscheidungen:
 
1. In Abänderung des Bescheides vom 28. August 2017 wird die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 01.07.2017 bis 31.07.2017 teilweise in Höhe von lediglich noch 524,83 EUR aufgehoben.
2. Der Widerspruchsführer hat für den Zeitraum 01.07.2017 bis 31.07.2017 einen Betrag in Höhe von 524,83 EUR zu erstatten.
3. Es wird festgestellt, dass dem Widerspruchsführer für den Zeitraum 01.07.2017 bis 31.07.2017 ein Leistungsanspruch in Höhe von 331,87 EUR endgültig zusteht.
4. Im Übrigen wird der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
5. Die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen werden in Höhe von 50 vom Hundert auf Antrag bei der oben bezeichneten Dienststelle erstattet.

Die Erwerbstätigenfreibeträge nach § 11b SGB II seien nur von den nach § 10 Abs. 1 USG gewährten Bezügen abzuziehen. Ein Abzug der Erwerbstätigenfreibeträge hinsichtlich der nach § 9 Abs. 1 USG gewährten Mindestleistung komme nicht in Betracht. Das Hessische Landessozialgericht habe sich in seiner Entscheidung vom 23.08.2017 (Az.: L 6 AS 452/15) ausdrücklich nicht mit der nach § 13c Abs. 1 S. 1 USG a.F. gewährten Mindestleistung erfasst. Die Erwerbstätigenfreibeträge könnten in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts nur für jene Vergütungsbestandteile gelten, die dem Wehrsold, über den das Hessische Landessozialgericht entschieden hat, entsprechen. Damit sei auf die Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG n.F. der Erwerbstätigengrundfreibetrag anzuwenden, nicht jedoch auf die Mindestleistungen nach § 9 Abs. 1 USG n.F., die nach der Gesetzesbegründung dem § 13c USG a.F. entsprechen. Die Mindestleistung sei nicht mit einem Erwerbseinkommen zu vergleichen. Daraus ergebe sich folgende Berechnung:

Bezüge nach § 10 Abs. 1 USG n.F. 132,60 EUR (5 x 26,52)
./. Grundfreibetrag § 11b Absatz 2 Satz 1 SGB II 100,00 EUR
Freibetrag nach § 11b Absatz 3 SGB II (20% v. 32,60 EUR)     6,52 EUR
Anrechenbares Einkommen insoweit   26,08 EUR

                  
Der Kläger ist der Auffassung, dass auch hinsichtlich der Mindestleistung nach § 9 USG nach der Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts der Erwerbstätigenfreibetrag anzuwenden sei. Auch wenn keine ausdrückliche Entscheidung über diese Leistung erfolgt sei, sei dem Urteil jedoch zu entnehmen, dass das Hessische Landessozialgericht der Auffassung sei, dass dem Kläger der Freibetrag für Erwerbstätige für alle Leistungen zustehe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2017 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2017 bis 31.07.2017 ein Leistungsanspruch i.H.v. 431,62 EUR zusteht und dass von ihm lediglich ein Betrag i.H.v. 425,08 EUR zu erstatten ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte hält an seiner Auffassung in den angefochtenen Bescheiden fest und verweist insbesondere auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 28.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte ist berechtigt, von dem Kläger für den Monat Juli 2017 einen Betrag i.H.v. 524,83 EUR zurückzufordern.

Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. 

Dabei sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen.

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass von der Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG i.H.v. fünf Tagessätzen zu je 26,52 EUR der Erwerbstätigenfreibetrag in Form des Grundfreibetrags nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II sowie der Freibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II abzusetzen ist.

Die Mindestleistung nach § 9 USG ist dagegen zur Überzeugung der Kammer nicht als Einkommen aus einer nichtselbständigen Arbeit vergleichbaren Erwerbstätigkeit zu behandeln.

Eine gegenteilige Entscheidung hat das Hessische Landessozialgericht entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zu der Mindestleistung nach dem § 13c USG a.F. getroffen. Vielmehr hat das Hessische Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 23.08.2017 (Az.: L 6 AS 452/15) ausdrücklich folgendes entschieden (Zitat): 

 „Soweit das Sozialgericht Ausführungen zu Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG) macht, sind Ausführungen des Senats hierzu entbehrlich. Zwar hat der Kläger Unterhaltssicherungsleistungen für beide Wehrübungen nach § 13c Abs. 1 S. 2 USG (…) erhalten (…). Diese Monate sind hier indessen nicht streitgegenständlich.“ (Zitat Ende)

Die Erwerbstätigenfreibeträge gelten nur für jene Vergütungsbestandteile, die dem früheren Wehrsold entsprechen, über den das Hessische Landessozialgericht entschieden hat. Damit ist auf die Reservistendienstleistungsprämie nach § 10 Abs. 1 USG der Erwerbstätigengrundfreibetrag anzuwenden, nicht jedoch auf die Mindestleistungen nach § 9 Abs. 1 USG, welche nicht mit einem Erwerbseinkommen zu vergleichen sind. 

Wie das Sozialgericht Nordhausen mit Urteil vom 04.12.2014 (Az.: S 17 AS 8239/11) bereits zutreffend im Hinblick auf Leistungen nach § 13c USG a.F. entschieden hat, sind nach § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen würden, was bei den Mindestleistungen nach § 13c USG a.F. der Fall ist. Es handelt sich dabei um Leistungen, die eine soziale Mindestsicherung des Dienstpflichtigen und seiner Angehörigen bezweckt und stellen damit gerade kein Entgelt für die Dienstleistung selbst dar. Dem schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung hinsichtlich der Mindestleistungen nach § 9 Abs. 1 USG n.F. vollumfänglich an. Diese Vorschrift entspricht § 13c USG a.F. (vgl. BT-Drucks 18/4632 S. 31).

An dem Charakter der Mindestleistung als Leistung zur sozialen Mindestsicherung ändert sich auch dadurch nichts, wie der Beklagte zutreffend im Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017 ausgeführt hat, dass die Mindestleistung zur Angleichung an die Netto-Besoldung der Soldatinnen und Soldaten erhöht wurde.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Zulassung der Berufung bedurfte es nicht. Wie ausgeführt, hat das Hessische Landessozialgericht nicht über die Mindestleistung nach § 9 USG (§ 13c USG a.F.) in seinem Urteil vom 23.08.2017 entschieden. Eine grundsätzliche Bedeutung ist ebenfalls nicht anzunehmen. Die streitgegenständliche Rechtsfrage lässt sich aus dem Gesetz beantworten.
 

Rechtskraft
Aus
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