L 3 R 667/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 193/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 667/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 20.04.2021 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist die Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die Tätigkeit für die Beigeladene zu 2.) für die Zeit vom 01.03.2013 bis zum 31.12.2016.

Die am 00.00.1983 geborene Klägerin war seit dem 12.10.2011 Mitglied der Beigeladenen zu 1.) und 3.). Sie war zunächst als Rechtsanwältin tätig und wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 13.01.2012 für die Zeit ab dem 12.10.2011 für diese Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht befreit. Diese Befreiung wurde mit Bescheid vom 02.11.2012 im Rahmen des § 6 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) auf eine befristete Tätigkeit bei der R Krankenversicherung AG für die Zeit vom 18.09.2012 bis 17.12.2012 erstreckt. Seit dem 01.03.2013 war die Klägerin bei der Beigeladenen zu 2.) unbefristet im Bereich „Vermögensschaden-Haftpflicht“ beschäftigt. Die Beigeladene zu 2.) bestätigte ihr unter dem 12.04.2013, dort als Rechtsanwältin tätig zu sein.

Die Klägerin beantragte am 19.04.2013 die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2.).

Mit Bescheid vom 15.08.2013 lehnte die Beklagte eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die ab 01.03.2013 ausgeübte Tätigkeit ab, weil es sich bei dieser Tätigkeit um keine berufsspezifische Tätigkeit handele.

Dagegen legte die Klägerin am 11.09.2013 Widerspruch ein und machte geltend, anwaltlich tätig zu sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, es könne aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u.a. BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R) keine Befreiung für bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern beschäftigte Rechtsanwälte ausgesprochen werden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 19.03.2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln (S 4 R 853/17 WA = L 3 R 666/19). Das Verfahren ruhte zunächst in Hinblick auf die beabsichtigte gesetzliche Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte.

Am 21.03.2016 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen zu 3.) die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin. Weiterhin beantragte sie am 22.03.2016 bei der Beklagten die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin, ebenso die rückwirkende Befreiung für die Zeit ab dem 01.03.2013. Am 31.12.2016 beendete die Klägerin ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 2.), da sie ab dem 02.01.2017 verbeamtet worden ist. Eine Entscheidung über den Zulassungsantrag durch die Beigeladene zu 3.) erfolgte nicht mehr. Am 05.01.2017 widerrief die Beigeladene zu 3.) die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Wirkung zum 31.12.2016, nachdem die Klägerin auf die Rechte aus ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) verzichtet hatte.

Mit Bescheid vom 09.08.2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 22.03.2016 auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab. Eine Befreiung könne nur für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgesprochen werden, wegen der der Versicherte aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sei. Die Klägerin sei nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer aufgrund ihrer Beschäftigung, weil eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) aufgrund der Beendigung der Beschäftigung zum 31.12.2016 nicht vorliege.

Dagegen legte die Klägerin am 04.09.2017 Widerspruch ein und machte geltend, in Literatur und Rechtsprechung (SG Berlin, Urteil vom 11.01.2017 – S 11 R 645/16 WA) werde die Auffassung vertreten, dass eine rückwirkende Befreiung auch für bereits beendete Tätigkeiten gelten solle, wenn während dieser Zeit eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe.

Mit weiterem Bescheid vom 14.09.2017 lehnte die Beklagte des Weiteren den Antrag der Klägerin vom 22.03.2016 auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin sowie eine Erstattung von zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträgen ab. Für die Klägerin liege keine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung vor, weil eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO aufgrund der Beendigung der Beschäftigung zum 31.12.2016 nicht habe getroffen werden können.

Dagegen legte die Klägerin am 09.10.2017 Widerspruch ein und trug erneut vor, dass eine rückwirkende Befreiung zu erteilen sei, da die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2016 vorgelegen hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.08.2017 zurück, da eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO aufgrund der Beendigung der Beschäftigung zum 31.12.2016 nicht vorliege.

Gegen den Bescheid vom 09.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018 hat die Klägerin am 09.02.2018 Klage vor dem SG Köln erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht seien erfüllt, da sie im Zeitpunkt der rechtzeitigen Antragstellung bei der Beklagten alle Voraussetzungen erfüllt habe, die für die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin erforderlich seien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie für die Zeit vom 01.03.2013 bis zum 31.12.2016 für die bei der Beigeladenen zu 2.) ausgeübte Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien und die Beiträge an das beigeladene Versorgungswerk zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Mit Urteil vom 11.07.2019 (S 4 R 193/18) hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Bescheid vom 09.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018 seien nicht Gegenstand des Klageverfahrens Az. S 4 R 1468/17 WA nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geworden, da keine Identität der Regelungsgegenstände vorliege. Nicht streitgegenständlich sei der Bescheid vom 14.09.2017, da die Beklagte den Widerspruch der Klägerin bisher nicht beschieden habe. Die Klägerin könne für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2.) nicht ab Antragstellung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit werden, weil es an der hierfür erforderlichen Zulassung als Syndikusrechtsanwältin mangele. Alleine das Ausüben einer solchen Tätigkeit führe noch nicht zur Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk, hierzu bedürfe es vielmehr einer förmlichen Zulassung nach § 46a BRAO durch die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 231 Abs. 4b SGB VI. Auch hiernach könne nicht auf die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin verzichtet werden, weil diese konstitutive Voraussetzung der Befreiung von der Versicherungspflicht ab Antragstellung sei.

Mit weiterem Urteil vom 11.07.2019 (S 4 R 853/17 WA = L 3 R 666/19) hat das SG die Klage in diesem Verfahren ebenfalls abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Bescheid vom 09.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018 sowie der Bescheid vom 14.09.2017 seien nicht Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 SGG geworden, da keine Identität der Regelungsgegenstände vorliege. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R u.a.) sei eine Befreiungsmöglichkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber ausgeschlossen.

Gegen das ihr am 18.07.2019 zugestellte Urteil (S 4 R 193/18 = L 3 R 667/19) hat die Klägerin am 15.08.2019 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer sei keine konstitutive Voraussetzung für die Befreiung. Dies sei bereits dem Wortlaut des § 6 SGB VI nicht zu entnehmen. Die Frage, ob die Voraussetzungen einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt vorlägen oder nicht, sei gleichermaßen eine Frage der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierfür streite auch die Regelung des § 231 Abs. 4b S. 2 SGB VI, wonach die Befreiung auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an wirke, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe. Hierauf stelle auch das SG Berlin in dem Urteil vom 11.01.2017 – S 11 R 645/16 WA ab. Bei ihr habe eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden. In den Fällen rückwirkender Befreiung bestehe selten eine Zulassung für davorliegende Beschäftigungen. Nach Sinn und Zweck der §§ 46, 46a BRAO und § 6 SGB VI könne es nicht darauf ankommen, dass zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung der [Rechtsanwalts-]Kammer die entsprechende Tätigkeit noch ausgeübt werde. Sonst würde es von Zufälligkeiten abhängen, ob in den Fällen einer beendeten Tätigkeit eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht erfolge oder nicht. Dies könne die Gesetzessystematik nicht gewollt haben. Sie habe alles in ihrer Macht stehende getan, nämlich rechtzeitig entsprechende Anträge gestellt. Zu einer Entscheidung sei es nur deswegen nicht gekommen, weil sie die Tätigkeit aufgegeben und in ein Beamtenverhältnis gewechselt habe. Diese Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt. Es liege auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit vor durch den faktischen Zwang, die entsprechende Beschäftigung so lange aufrecht zu erhalten, bis über den Antrag entschieden sei.

Mit Bescheid vom 20.04.2021 hat die Beklagte den Antrag vom 22.03.2016 erneut abgelehnt, weil eine Entscheidung über den Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach § 46 a BRAO aufgrund der Beendigung der Beschäftigung zum 31.12.2016 nicht vorliege. Dieser Bescheid ersetze den Bescheid vom 09.08.2017 vollständig.

Mit weiterem Bescheid vom 20.04.2021 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 19.04.2013 ebenfalls erneut abgelehnt, da die Klägerin nicht wegen ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2.) Pflichtmitglied bei den Beigeladenen zu 1.) und 3.) gewesen sei. Dieser Bescheid ersetze den Bescheid vom 15.08.2013 vollständig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2021 zu verpflichten, sie für die Zeit vom 01.03.2013 bis zum 31.12.2016 für die bei der Beigeladenen zu 2) ausgeübte Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien und die Beiträge an das beigeladene Versorgungswerk zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, grundlegende Voraussetzung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 SGB VI für Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern sei zunächst eine entsprechende Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt gem. § 46a BRAO in der seit dem 01.01.2016 geltenden Fassung gerade für die zu befreiende Beschäftigung. Eine solche habe die Klägerin nicht (mehr) erwirken können. Die Gründe hierfür seien gänzlich irrelevant, die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI („… wegen der …“) seien nicht erfüllt. Voraussetzung für eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI sei wiederum nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt worden sei. Eine solche liege jedoch nicht vor. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg habe mit Urteil vom 03.07.2019 (L 16 R 549/18) die von der Klägerin angeführte Entscheidung des SG Berlin vom 11.07.2017 (S 11 R 645/16 WA) aufgehoben und dort (Rn. 17) ausgeführt, anders als vom SG entschieden, sei § 231 Abs. 4b SGB VI nicht entsprechend anzuwenden. Erst im Anschluss an die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, die hier nicht vorliege, weil der Kläger seine Tätigkeit bereits im Jahre 2015 beendet hätte, könne beim Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale die Befreiung von der Versicherungspflicht erfolgen, an der es hier fehle. Zugelassene Rechtsanwälte, die eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht (mehr) erwirken können bzw. konnten seien weder fortlaufend noch rückwirkend als Syndikusrechtsanwalt befreiungsfähig, ohne dass die konkreten Gründe hierfür relevant wären. Auch das LSG Baden-Württemberg habe im Urteil vom 20.03.2019 (L 2 R 3561/18 Rn. 18) richtigerweise festgestellt, dass unabdingbare Voraussetzung für die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI als Syndikusrechtsanwalt nach § 46a BRAO in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung und die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI jeweils eine bestandskräftige Zulassung als Syndikusrechtsanwalt durch die Rechtsanwaltskammer sei.

Hierzu hat die Klägerin vorgetragen, im Unterschied zu den von der Beklagten zitierten Entscheidungen der Landessozialgerichte Berlin-Brandenburg und Baden-Württemberg hätte sie den Antrag am 21.03.2016 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 46a BRAO gestellt, als die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin noch nicht beendet gewesen sei.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.01.2022 hat die Klägerin die Klage in dem Verfahren L 3 R 666/19 zurückgenommen, nachdem die Vertreterin der Beklagten erklärt hat, dass die Beklagte sich nicht auf die Vorschrift des § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI berufen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 3.) sowie auf die Gerichtsakte L 3 R 666/19, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ausschließlich der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 20.04.2021 bezüglich des Befreiungsantrags vom 22.03.2016. Hiermit ist der Bescheid vom 09.08.2017 vollständig ersetzt worden, so dass nicht mehr auf die Berufung, sondern erstinstanzlich „auf Klage“ zu entscheiden ist. Das erstinstanzliche Urteil ist gegenstandslos geworden (§§ 153 Abs. 1, 96 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2010 – B 13 R 61/09 R –, Rn. 15 m.w.N.).

Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 15.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2015 hinsichtlich einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI als Syndikusanwältin und der Bescheid vom 14.09.2017 (rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI), da es sich um andere Regelungsgegenstände handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 22.03.2018 – B 5 RE 12/17 B -, Rn. 26).

Die Klage ist aber unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2.) nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der Regelungen in §§ 46, 46a BRAO hinsichtlich der Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwaltes.

Von der Versicherungspflicht werden danach befreit

1. Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn

a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,

b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und

c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

In der streitigen Zeit vom 01.03.2013 bis zum 31.12.2016 war die Klägerin nicht als Syndikusrechtsanwältin tätig, da sie als solche durch die Beigeladene zu 3.) nicht zugelassen war.

Durch die Änderung von § 46 Abs. 2 BRAO und Einführung von § 46a BRAO zum 01.01.2016 wurde die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt möglich. Dabei wirkt nach       § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO in der Fassung vom 12.05.2017 (mit Rückwirkung ab 01.01.2016) die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, abweichend von § 12 Abs. 3 BRAO rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Zulassung bei der Rechtsanwaltskammer eingegangen ist. Gem. §§ 46c Abs. 1, 12 Abs. 1 BRAO wird die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wirksam mit der Aushändigung einer von der Rechtsanwaltskammer ausgestellten Urkunde. Dies ist im Falle der Klägerin nie geschehen. Sie ist als Syndikusrechtsanwältin nie wirksam zugelassen worden, so dass sie nicht wegen dieser Tätigkeit Pflichtmitglied bei dem Beigeladenen zu 1.) geworden ist. Die weiter bestehende Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen zu 1.) hat nicht wegen einer Syndikusrechtsanwaltstätigkeit, sondern wegen der zuvor ausgeübten Rechtsanwalttätigkeit, die gesondert zu betrachten ist, bestanden (vgl. auch BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R).

An dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. §§ 46, 46a BRAO für eine Befreiung als Syndikusrechtsanwältin ändert auch nichts, dass die Klägerin noch während der Ausübung der Tätigkeit für die Beigeladene zu 1.) bei der Beigeladenen zu 3.) am 21.03.2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin beantragt hatte. Soweit die beigeladene Rechtsanwaltskammer diesen Antrag nicht bis zur Beendigung der Tätigkeit am 31.12.2016 beschieden hatte, kann diese fehlende Bescheidung nicht durch eine Entscheidung der Beklagten ersetzt werden. Insoweit hätte es auch der Klägerin oblegen, ggf. Einfluss auf das Verwaltungsverfahren der Beigeladenen zu 3.) zu nehmen, z.B. Untätigkeitsklage nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung zu erheben. Nicht zu prüfen ist insoweit, ob der Klägerin eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach §§ 46, 46a BRAO hätte erteilt werden können. Die Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts wird zwar in §§ 46, 46a BRAO legaldefiniert, deren tatbestandliche Erfüllung ist jedoch nach dem Wortlaut des § 46a Abs. 2 S. 1 BRAO durch die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer zu prüfen, die gegebenenfalls in der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 46 Abs. 2 S. 2 BRAO mündet. Dem Träger der Rentenversicherung steht dabei lediglich nach § 46a Abs. 2 S. 1 BRAO ein Anhörungs- jedoch kein Entscheidungsrecht zu, weshalb die Voraussetzungen der §§ 46, 46a BRAO mangels entsprechender Entscheidung durch den Rentenversicherungsträger auch nicht im sozialgerichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Dies verkennt das SG Berlin in dem von der Klägerin angeführten Urteil vom 11.01.2017 - S 11 R 645/16 WA. Erst im Anschluss an die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, die hier, wie ausgeführt, nicht erfolgt ist, kann bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI erfolgen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.07.2019 – L 16 R 549/18, Rn. 17; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.03.2019 - L 2 R 3561/18 Rn. 18).

Dem steht auch nicht der objektivierte Wille des Gesetzgebers entgegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 21.05.1952 - 2 BvH 2/52 -, Rn. 56). Die Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt als Voraussetzung für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht sollte gerade in Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG vom 03.04.2014 (B 5 RE 13/14 R u.a.) nach der Gesetzesbegründung erreicht werden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, BT Drs. 18/5201 vom 16.06.2015, S. 2, 20). Darin wird ausgeführt, dass „der rein sozialrechtliche Lösungsansatz“ nicht hinreichend berücksichtige, „dass zunächst im jeweiligen Berufsrecht geklärt werden muss, ob die Tätigkeit eines freien Berufs auch im Anstellungsverhältnis ausgeübt werden kann und welche Voraussetzungen hierfür jeweils vorliegen müssen“ und „dass bestandskräftige Entscheidungen über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt den Träger der Rentenversicherung bei der Entscheidung über die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB VI binden. […] Mit der erteilten Zulassung als Syndikusrechtsanwalt stellt die zuständige fachkundige Rechtsanwaltskammer nach den Regeln des Berufsrechts […] grundsätzlich das Vorliegen einer Tätigkeit, die zur Mitgliedschaft im Versorgungswerk führt, auch für den Träger der Rentenversicherung verbindlich fest.“. Eine hypothetische Prüfung der Voraussetzungen für eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt - innerhalb des Befreiungsverfahrens – durch den Rentenversicherungsträger war durch den Gesetzgeber gerade nicht gewollt.

Systematisch spricht auch die Regelung in § 6 Abs. 4 S. 1 SGB VI hinsichtlich einer möglichen Rückwirkung der Befreiung dafür, dass eine tatsächlich erfolgte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt vorliegen muss. Denn in § 6 Abs. 4 S. 1 SGB VI wird auf das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen abgestellt. Zu den auslösenden Voraussetzungen gehört jedoch auch die Bestätigung i.S.v. § 6 Abs. 3 SGB VI durch die entsprechenden Stellen (vgl. Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 6 SGB VI (Stand: 03.12.2021) Rn. 206) – wie der Rechtsanwaltskammer-, die gerade nicht vorliegt.

Weiterhin kommt auch keine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in Betracht. Es fehlt insoweit innerhalb des geschlossenen Systems der Zuständigkeiten für Zulassung und Befreiung an einer planwidrigen Regelungslücke.

Schließlich stehen dem Ausschluss der Klägerin von der rückwirkenden Befreiung in der Rentenversicherung auch keine verfassungsrechtlichen Erwägungen entgegen (vgl. auch BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R –, Rn. 56 f).

Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.02.2020 – B 5 RE 2/19 R –, Rn 41). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365, 385). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199, 220). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 110, 412, 432). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BSG, Urteil vom 26.09.2019 - B 5 R 6/18 R -, Rn. 19 m.w.N.). Die in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI und §§ 46, 46a BRAO angelegte unterschiedliche Behandlung der Gruppe von Personen, die als Syndikusrechtsanwalt zugelassen worden sind und denen, bei denen dies nicht der Fall ist, ist sachlich gerechtfertigt. Das im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich formulierte Ziel (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 18/5201 S. 2 und 22), wonach die Neuregelungen ermöglichen sollen, „dass Syndikusanwälte wie bisher - unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend - von der Rentenversicherungspflicht befreit werden und in den anwaltlichen Versorgungswerken verbleiben können“ und „durch Einräumung eines rückwirkenden Befreiungsrechts für diejenigen, die nach der geänderten BRAO als Syndikusrechtsanwälte […] zugelassen und von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können, auch für die Vergangenheit der Status quo hergestellt werden“ solle, knüpft an die Fortführung der Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt an. Damit sollten insbesondere Brüche der Zugehörigkeit zu einem System der Alterssicherung während eines laufenden Beschäftigungsverhältnisses bzw. der fortgeführten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt vermieden werden. Dies ist bei der Klägerin, die ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2.) beendet hatte, bevor die Beigeladene zu 3.) über die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin entschieden hatte, jedoch nicht der Fall.

Weiterhin liegt auch kein Verstoß gegen Art. 12 GG vor. Die Sozialversicherungspflicht einer Tätigkeit steht weder infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs noch lässt sie - objektiv - eine berufsregelnde Tendenz erkennen. Sie soll nach der Intention des Gesetzgebers nicht etwa den Entschluss zur Wahl oder zur Art der Ausübung eines bestimmten Berufs steuern, sondern knüpft lediglich formal an berufliche Tätigkeiten an, um die Mitfinanzierung der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 909/82 –, Rn. 115).

Schließlich besteht auch kein Verstoß gegen Art. 14 GG. Dieses Grundrecht schützt nicht das Vermögen als solches gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten. Die Funktion der Eigentumsgarantie, den Bestand der durch die Rechtsordnung anerkannten einzelnen Vermögensrechte gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zu bewahren, wird durch die Erhebung von Sozialabgaben nicht berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 909/82 –, Rn. 116). Im Übrigen sind die durch die Klägerin geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für diese nicht verloren. Insoweit besteht für sie die Möglichkeit nach Zahlung von weiteren Rentenversicherungsbeiträgen (z.B. freiwilligen Beiträgen nach § 7 SGB VI) zukünftig eine Rentenleistung zu beziehen oder bei Erreichung der Regelaltersgrenze eine Beitragserstattung nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zu erhalten.

Auch eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b S. 2 SGB VI ist für die streitige Zeit nicht möglich. Voraussetzung hierfür wäre ebenfalls eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt, die bei der Klägerin nie vorgelegen hat.

Da die Klägerin keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hat, sind auch keine Beiträge an das beigeladene Versorgungswerk zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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