1. Nach Abschluss der Instanz ist ein Befangenheitsantrag offensichtlich unzulässig.
2. Dem Abschluss der Instanz steht es nicht entgegen, dass gegen die gerichtliche Entscheidung noch eine Anhörungsrüge erhoben werden kann.
3. Ein Befangenheitsantrag auf Vorrat, also für ein nur angekündigtes, aber noch nicht anhängiges Verfahren, ist nicht zulässig.
Der mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.05.2022 im Berufungsverfahren L 2 U 140/13 gestellte Antrag des Klägers auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Bayer. Landessozialgericht N wegen Besorgnis der Befangenheit wird als unzulässig verworfen.
G r ü n d e:
I.
Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren mit dem Aktenzeichen L 2 U 140/13 war die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 10.02.2010 mit gegebenenfalls daraus resultierenden Leistungsansprüchen des Klägers streitig.
Mit Urteil des Senats vom 11.05.2022 wurde die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.03.2013 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom Folgetag, dem 12.05.2022, haben die Bevollmächtigten des Klägers den Vorsitzenden des erkennenden Senats, den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht (LSG) N wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Zurückweisung von vier Terminsverlegungsanträgen der Bevollmächtigten durch den Vorsitzenden von ihnen "als nachgerade schikanös und willkürlich wahrgenommen" (S. 2 des Schriftsatzes) werde, irreführende Hinweise erteilt worden seien und der Eindruck einer einseitigen Verfahrensführung entstanden sei.
II.
Das gegen den Vorsitzenden Richter am Bayer. LSG N gerichtete Ablehnungsgesuch im Schreiben vom 12.05.2022 ist offensichtlich unzulässig.
Das LSG entscheidet über die Ablehnung durch Beschluss (§ 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).
1. Zuständigkeit für die Entscheidung über den Befangenheitsantrag
Zuständig für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Klägers ist der 2. Senat in der Besetzung mit dem vom Kläger als befangen abgelehnten Richter. Entgegen § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO hat der abgelehnte Richter an der Entscheidung mitwirken können, da der Befangenheitsantrag offensichtlich unzulässig ist (vgl. unten Ziff. 2.).
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) lässt "in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs" (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 3084/06) eine Selbstentscheidung der abgelehnten Richter über das Gesuch zu (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG gerät bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des Vorliegens eines klar unzulässigen, d.h. gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 3084/06) eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01). Dabei ist aber eine enge Auslegung der Voraussetzungen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.02.2006, 2 BvR 836/04). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15.06.2015, 1 BvR 1288/14). Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs in diesem Sinn ist dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.03.2013, 1 BvR 2853/11). Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch den abgelehnten Richter als unzulässig aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.07.2006, 2 BvR 513/06). Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/0). Diese Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag sind verfassungsrechtlich so durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.07.2007, 1 BvR 2228/06).
2. Offensichtliche Unzulässigkeit des Befangenheitsgesuchs
Der Befangenheitsantrag ist schon deshalb offensichtlich unzulässig, weil er erst am 12.05.2022, einen Tag nach der Entscheidung durch Urteil, und somit verspätet gestellt worden ist. Nach Erlass des Urteils ist ein Befangenheitsantrag wegen des dann fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses offensichtlich unzulässig, weil er keinen Einfluss mehr auf das Verfahren haben kann.
Aus Sinn und Zweck des Ablehnungsgesuchs folgt, dass dieses nur bis zum Erlass der die Instanz, dem der betreffende Richter angehört, abschließenden Entscheidung zulässig ist.
Abgeschlossen ist die Instanz dann, wenn die die Instanz beendende Entscheidung verkündet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2011, 1 BvR 2411/10; Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 11.07.2007, IV ZB 38/06; Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 30.12.2015, B 13 R 349/15 B) worden oder zumindest die Urteilsfällung (§ 309 ZPO) einschließlich der Unterzeichnung (§ 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO) erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2001, III ZR 45/00; Bayer. LSG, Beschluss vom 20.08.2015, L 15 SF 238/15 AB). Dem (vollständigen) Abschluss einer Instanz steht es dabei nicht entgegen, dass gegen die gerichtliche Entscheidung noch eine Anhörungsrüge erhoben werden kann (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 18.09.2020, L 11 SF 249/20 AB, und vom 18.09.2020, L 11 SF 250/20 AB; Flint, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. Stand: 10.12.2021, § 60, Rdnr. 93).
Nach Beendigung der Instanz ist ein Befangenheitsantrag, unabhängig davon, wann der potentielle Befangenheitsgrund bekannt geworden ist, offensichtlich unzulässig (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 30.08.2016, L 15 SF 119/16 AB, und vom 10.01.2018, L 20 SF 332/17 AB). Ihm fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da die in der Hauptsache ergangene Entscheidung unabhängig davon, ob ein Befangenheitsgrund vorgelegen hat oder nicht, nicht mehr durch das angegangene Gericht abänderbar ist und das Ablehnungsgesuch daher prozessual überholt ist (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 27.01.1993, 6 RKa 2/91, Beschlüsse vom 06.06.2007, B 8 KN 8/07 B, und vom 17.08.2020, B 14 AS 240/19 B; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.10.1969, VIII CB 129, 130.67, VIII CB 129.67, VIII CB 130.67, und Beschlüsse vom 09.05.1989, 8 CB 27/89, und vom 29.06.2016, 2 B 18/15; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.08.1989, VII B 70/89; BGH, Urteil vom 08.02.2001, III ZR 45/00, und Beschluss vom 11.07.2007, IV ZB 38/06; Bayer. LSG, Beschlüsse vom 20.08.2015, L15 SF 238/15 AB, vom 05.02.2018, L 20 SF 46/18 AB, und vom 18.09.2020, L 11 SF 250/20 AB; Hess. LSG, Beschluss vom 28.01.2016, L 3 SF 7/16 AB).
Im zugrunde liegenden Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 2 U 140/13 ist am 11.05.2022 ein Urteil ergangen und im Termin verkündet worden (§ 132 Abs. 1 Satz 2 SGG), womit das Berufungsverfahren vor dem Bayer. LSG abgeschlossen worden ist. Erst am Tag nach Erlass des Urteils und somit zu spät haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12.05.2022 ihren Befangenheitsantrag gestellt. Dieses Ablehnungsgesuch ist offensichtlich unzulässig.
An der Unzulässigkeit infolge prozessualer Überholung ändert auch die Ankündigung der Bevollmächtigten, "es wird eine Anhörungsfüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs mit Blick auf die Frage der fristgerechten Klageerhebung erhoben werden" (S. 4 des Schriftsatzes vom 12.05.2022), nichts. Denn die bloße Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge steht dem Abschluss des Berufungsverfahrens als zeitliche Grenze für die Stellung des Befangenheitsantrags nicht entgegen (vgl. oben).
Als Befangenheitsantrag im Verfahren einer Anhörungsrüge im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren L 2 U 140/13 kann der Befangenheitsantrag im Schriftsatz vom 12.05.2022 nicht ausgelegt werden. Unabhängig von der Frage, ob ein Befangenheitsantrag in einem Verfahren der Anhörungsrüge überhaupt zulässigerweise gestellt werden kann (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 29.04.2019, L 20 SF 12/19 AB, vom 23.09.2020, L 11 SF 263/20 AB, und vom 24.09.2020, L 11 SF 283/20 AB; Flint a.a.O., § 60, Rdnr. 161.1 ff.), ist ein Verfahren einer Anhörungsrüge derzeit nicht anhängig, sondern von den Bevollmächtigten des Klägers lediglich für die Zukunft angekündigt worden (S. 4 des Schriftsatzes vom 12.05.2022: "wird eine Anhörungsfüge ... erhoben werden"). Ein Befangenheitsantrag auf Vorrat ist aber nicht zulässig (vgl. Reichsgericht, Urteil vom 20.06.1932, II 583 [RGSt 66, 385, 391]; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 13.08.1982, 2 Ws 176/82 Vollz - 2 Ws 171/82 -; Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 08.03.2017, 2 Ws 36/17).
Da das Ablehnungsgesuch als offensichtlich unzulässig zu verwerfen ist und es deshalb bei der Entscheidung auf die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters nicht ankommen kann, hat es der Abgabe einer dienstlichen Stellungnahmen des abgelehnten Richters nicht bedurft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.07.2013, 1 BvR 782/12; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 60, Rdnr. 11c).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.