L 6 SB 3914/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 1125/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3914/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt zum zweiten Mal die höhere Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB), diesmal mit mehr als 40.

Sie ist 1973 geboren, hat nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre zur Kauffrau im Einzelhandel abgeschlossen und ist seit 1992 als Sparkassenangestellte, zuletzt in Teilzeit tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei volljährige Kinder.

Am 26. Juni 2015 beantragte sie bei dem Landratsamt K (LRA) erstmals die Feststellung des GdB, welches den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums S über die stationäre Rehabilitation vom 14. Mai bis 11. Juni 2015 beizog.

Danach seien Beschwerden in der Halswirbelsäule (HWS) mit Ausstrahlung in den Schulterbereich beschrieben worden. Die Kernspintomographie (MRT) habe einen Bandscheibenvorfall C 6/7 gezeigt. Ereignisse in der Kindheit und im Erwachsenenleben belasteten die Klägerin noch heute, Depressionen und Ängste bestünden. Die psychologische Diagnostik habe eine depressiv gefärbte Belastungsreaktion vor dem Hintergrund einer familiären Problematik ergeben. Die Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie sei empfohlen worden, bezüglich Stimmung, schmerz- und stressbezogenem sowie persönlichem Kompetenzerleben hätten leichte Verbesserungen erzielt werden können. Eine stufenweise Wiedereingliederung werde empfohlen, das Leistungsvermögen liege bei sechs Stunden und mehr täglich. Die Klägerin sei aus ärztlicher Sicht in der Lage, den Lebensalltag ausreichend zu bewältigen und sich selbst zu versorgen.

Nachdem H versorgungsärztlich einen Teil-GdB von 20 für die seelische Störung und einen Teil-GdB von 10 für den Bandscheibenschaden sah, stellte das LRA mit Bescheid vom 22. Juli 2015 einen GdB von 20 seit dem 26. Juni 2015 fest.

Am 6. Dezember 2016 beantragte die Klägerin zum ersten Mal die Neufeststellung des GdB und machte eine mittelgradige depressive Episode mit posttraumatischen Symptomen geltend.

Der K gab in seinem Befundschein vom 3. Januar 2017 an, die Klägerin seit dem 19. Januar 2016 zu behandeln. Die Sitzungen seien in wöchentlicher Frequenz durchgeführt worden, es bestehe eine deutliche depressive Symptomatik mit Stimmungseintrübungen, Antriebshemmung, sozialem Rückzug und reduzierter Belastbarkeit. Es werde eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie durchgeführt, in deren Rahmen daran gearbeitet werde, die biographisch bedingten Verursachungsfaktoren der bestehenden Symptomatik aufzulösen. Eine weitere Besserung durch die Behandlung stehe zu erwarten, gänzlich auflösen lassen werde sich die Problematik nicht.

Weiter zog das LRA den Entlassungsbericht der F-Klinik Büber die teilstationäre Behandlung vom 2. Mai bis 24. Juni 2016 bei. Dort gab die Klägerin an, zusammen mit ihren drei Brüdern bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen zu sein. Ihr vor fünf Jahren verstorbener Vater sei Alkoholiker gewesen und habe noch eine Zweitfamilie gehabt. Dadurch habe sie weitere zwei Halbbrüder. Sie habe als erste aus der Familie von der Zweitfamilie erfahren. Es sei schließlich zur Trennung der Eltern gekommen, was bei ihr noch heute Schuldgefühle auslöse. Ihre Mutter habe sie viel geschlagen und sie sei durch einen guten Freund der Familie missbraucht worden. Erst jetzt, ausgelöst durch die ambulante Psychotherapie, habe sie ihrem Ehemann hiervon erzählt. Seit 18 Jahren sei sie verheiratet und habe zwei Kinder.

Psychisch sei die Klägerin wach und zu allen Qualitäten orientiert, dabei freundlich zugewandt, aber deutlich belastet und angestrengt gewesen. Es bestünden starke Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Seit mehreren Wochen bestehe eine ausgeprägte Dranginkontinenz, sie müsse rasch eine Toilette aufsuchen um nicht einzunässen. Ebenso neige sie zu Durchfall. Im Alter von fünf Jahren habe sie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) nach einem Schlittenunfall erlitten und sei sechs Wochen stationär behandelt worden. Die Entlassung sei als arbeitsunfähig in stabilisiertem Zustand erfolgt, es werde einige wenige Tage eine Krankschreibung empfohlen, in Folge derer ein rascher Einstieg in den beruflichen Alltag erfolgen solle. Zur Weiterbehandlung werde die Fortführung der bereits begonnenen ambulanten Richtlinien-Psychotherapie empfohlen.

G bewertete die seelische Störung nunmehr mit einem Teil-GdB von 30, sodass das LRA mit Bescheid vom 1. Februar 2017 einen GdB von 30 seit dem 6. Dezember 2016 feststellte.

Im Widerspruchsverfahren kamen die Befundberichte des F aus 2010 zur Vorlage, in denen ein Karpaltunnelsyndrom beidseits beschrieben wurde, sowie des H vom 5. April 2016, wonach sich der Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung ergeben habe.

Vom 3. bis 6. März 2017 wurde die Klägerin stationär in der neurochirurgischen Klinik des Städtischen Klinikums Kwegen einer akuten Lumbago behandelt. Zum Entlassungszeitpunkt habe nur noch eine moderate Druckdolenz über dem unteren LWS-Bereich, keine Paresen der unteren Extremitäten und eine seitengleiche Sensibilität bestanden.

Die MRT der LWS vom 11. März 2017 (Radiologe Dr. Rinck) ergab eine Chondrose LWK 4/5, einen kleinen medialen Bandscheibenvorfall ohne Wurzelkompression sowie ganz diskrete Bandscheibenprotusionen LWK 3/4 und LWK 5/SWK 1, Spinalkanalstenosen, Foraminalstenosen und Wurzelkompressionen wurden verneint.

B beschrieb in seinem Befundschein vom 11. Mai 2017, die Klägerin vom 2. November 2016 bis 3. April 2017 ambulant behandelt zu haben. Sie habe Anfang März 2017 über akute Schmerzen geklagt. Die MRT-Untersuchungen hätten Bandscheibenvorfälle an HWS und Lendenwirbelsäule (LWS) gezeigt, eine OP-Indikation bestehe nicht, die Behandlung sei mit Krankengymnastik erfolgt.

S1 hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Einschätzung fest. Die neuen orthopädischen Befunde bestätigten die bisherige Bewertung. Die kleinen Bandscheibenschäden seien gewürdigt, die akuten passageren Schmerzen Anfang März 2017 begründeten keine Erhöhung des GdB. Gestützt hierauf wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2017 zurück.

Am 2. Juli 2019 beantragte die Klägerin wiederum die Neufeststellung des GdB und legte die „Medizinische Stellungnahme“ der SRH K2 – Zentrum für Schmerztherapie – bezüglich der stationären Behandlung vom 23. April bis 14. Mai 2019 vor. Danach fanden sich im psychischen Befund keine Hinweise auf Bewusstseins- oder Orientierungsstörungen, ebenso keine Störungen der Auffassung, Konzentration oder Merkfähigkeit. Im formalen Denken sei die Klägerin auf die schwierige Bewältigung von Alltagsanforderungen eingeengt gewesen. Es habe sich eine deutliche Erschöpfung mit psychophysischer Belastungsminderung gezeigt. Es liege eine frühkindliche Traumatisierung vor, die Symptome bestünden nach wenig erfolgreicher Psychotherapie fort. Die psychischen Störungen führten zu mittelgradigen Behinderungen in der Teilhabe. Die berufliche Durchhaltefähigkeit sei auf halbtags eingeschränkt. Bei der emotionalen Selbstfürsorge, Freizeitgestaltung, Familien- und Intimleben zeigten sich erhebliche Einschränkungen. Die Durchsetzungsfähigkeit und die Vertretung eigener Interessen gegenüber Dritten oder in der Gruppe seien mittelgradig gemindert. Ein GdB von 40 auf psychischem Gebiet sei deshalb gerechtfertigt.

Im zugehörigen Entlassungsbericht wurde angegeben, dass die Beweglichkeit der HWS bei Aufnahme in alle Richtungen endgradig eingeschränkt gewesen sei. Das Gangbild sei etwas steif und schwerfällig, jedoch ohne formal fassbare Gangstörung. Die Medikation erfolge mit Paracetamol, Novalgin und Pantozol, jeweils bei Bedarf, sowie Cetrizin. Unter Ibuprofen, Tilidin, Lyrica und anderen Analgetika habe die Klägerin eine nur geringfügige Verbesserung erlebt, sodass die Medikation wieder beendet worden sei.
Die MRT der LWS vom 17. Dezember 2018 zeigte einen kleinen Einriss des Anulus fibriosus LWK 4/5. Beschrieben wurde eine großbogige lumbosakrale Hyperlordosierung mit vermehrter Spondylarthrose LWK 5/SWK 1. Eine spinale oder neuroforaminale Enge habe nicht bestanden, von dem kleinen Einriss gehe keine einengende Wirkung aus. In der MRT der HWS vom 2. November 2018 zeigte sich im Segment HWK 6/7 unverändert eine beidseitige dorsolaterale Spondylose mit gering größenprogredienten flachen Bandscheibenvorfall. Weiter bestand im Segment HWS 4/5 ein neu aufgetretener flacher Bandscheibenvorfall, eine mäßige dorsolaterale Spondylose sowie eine konsekutiv überwiegende knöcherne Enge des rechten Neuroforamens C 5.

Das LRA erhob einen weiteren Befundschein des B, der angab, dass die Klägerin seit August 2018 an Nackenschmerzen mit teilweiser Ausstrahlung in den rechten Arm und in das rechte Bein leide, außerdem beschreibe sie lumbale Schmerzen. Reklination und Rechtsrotation der HWS seien um ein Viertel eingeschränkt gewesen, peripher sensomotorische Ausfälle bestünden keine.

Z verneinte versorgungsärztlich eine wesentliche Änderung. Es sei bereits eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anerkannt. Die chronische Schmerzstörung sowie die posttraumatische Belastungsstörung seien darin mitberücksichtigt. Eine schwere Störung liege sicher nicht vor. Auch sei der Bandscheibenschaden ausreichend hoch gewürdigt. Eine spinale oder neuroforaminale Enge bestehe nämlich nicht.

Den Antrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 2. Dezember 2019 ab, da die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung des GdB nicht vorlägen.

Im Widerspruchsverfahren führte G versorgungsärztlich aus, dass der Tenor hinsichtlich der guten Funktion der Wirbelsäule auf der einen und der Schmerzen auf der anderen Seite aufgeteilt worden sei. Die komplexe seelische Störung könne zusammen mit der Schmerzstörung mit einem Teil-GdB von 40 bewertet werden.

Mit Teilabhilfebescheid vom 4. März 2020 stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 2. Juli 2019 fest.

Den Widerspruch im Übrigen wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2020 zurück. Der GdB sei mit dem Teilabhilfebescheid vom 4. März 2020 mit 40 festgestellt worden, eine darüberhinausgehende Bewertung könne nicht beansprucht werden. Bei angeborenem und erworbenen Wirbelsäulenschäden ergebe sich der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wenn bei der Bemessung des GdB von einem Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen ausgegangen worden sei, entspreche dies den aktenkundigen Befundunterlagen. Die psychische Erkrankung sei als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bewertet worden, eine schwere Störung wäre nicht erkennbar.

Am 24. April 2020 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und das ärztliche Attest des  A vorgelegt. Danach bestehe seit Jahren ein massiv quälender Tinnitus mit Ein- und Durchschlaf- sowie Konzentrationsstörungen. Die progredient verlaufende Innenohrschwerhörigkeit habe rechts zwischen 35 und 50 dB und links zwischen 35 und 40 dB gelegen. Weiter hat sie den Befundbericht des K3   über die ambulante Untersuchung am 20. Juli 2020 vorgelegt, wonach ein chronifiziertes Schmerzsyndrom im Sinne einer Fibromyalgie bestehe. Anhaltspunkte für eine entzündlich-rheumatische Erkrankung ergäben sich nicht.

Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte erhoben.

Der Facharzt K hat bekundet, die Klägerin vom 2. Dezember 2019 bis 13. Juli 2020 behandelt zu haben. Das Karpaltunnelsyndrom links werde neurologisch therapiert, der Befund an der HWS sei unauffällig, Rechts- und Linksrotation nicht eingeschränkt gewesen. Die MRT der LWS habe einen größenprogredienten Bandscheibenprolaps LWK 4/5 mit Wurzelkompression rechts gezeigt.

B1 eine letzte Behandlung der Klägerin am 9. Januar 2019 angegeben, sodass über den weiteren Verlauf keine Angaben gemacht werden könnten.

K5 hat beschrieben, dass es bei den Behandlungen 2019 um wieder aufgetauchte Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch durch einen Onkel bis zum 11. Lebensjahr und eine chronifizierte somatoforme Schmerzstörung gegangen sei. Die in einer psychosomatischen Rehabilitation begonnene Medikation mit Elontril 150 mg sei fortgesetzt, zusätzlich gegen Schmerzen und Durchschlafstörungen Amitriptylin 10 mg zur Nacht gegeben worden. Im Februar habe die Klägerin berichtet, die Arbeitsprobleme deutlich besser geregelt zu bekommen und bei der Sparkasse auf einer halben Stelle nunmehr Überweisungen einzubuchen. Am 18. Juni 2020 habe sie mitgeteilt, darum zu kämpfen, weiter nur 50 % arbeiten zu können und sich dafür um eine Schwerbehinderten-Einstufung zu bemühen. Weiter habe sie Beeinträchtigungen durch einen ab Mitte 2019 nach zweimaligem Hörsturz 2016 und 2018 aufgetretenen Tinnitus angegeben.

S3 hat bekundet, die Klägerin im Juli 2019 wegen einer somatisierten Depression bei bekannter Reizdarmproblematik und degenerativem LWS-Syndrom krankgeschrieben zu haben. Ab dem 23. Juli 2019 habe sich die Klägerin zur Kur befunden und darüber berichtet, mit deren Verlauf sehr zufrieden gewesen zu sein. Eine Wiedereingliederung solle ab Oktober 2019 beginnen. Am 17. März 2020 sei er zu einem Hausbesuch aufgefordert worden. Die Klägerin sei kürzlich aus einem Urlaub in Ägypten zurückgekehrt und habe nun Bauchkrämpfe. Die Untersuchung des Abdomens habe einen leichten diffusen Druckschmerz ohne Abwehrspannung bei weichen Bauchdecken und reger Peristaltik ergeben. Auf seinem Fachgebiet bestünden keine höhergeradigen Behinderungen. Er gehe von mittel- bis schwergradigen Behinderungen am Bewegungsapparat inklusive Muskel- und Sehnensystem aus. Die rheumatologisch diagnostizierte Fibromyalgie sei versorgungsärztlich noch nicht berücksichtigt worden. Ein GdB von 60 sei angemessen. Ergänzend hat er den Bericht über die MRT der LWS vom 11. Juli 2020 vorgelegt. Danach habe sich ein nicht wesentlich größenprogredienter Bandscheibenvorfall LWK 4/5 mit mäßiger Einengung des rechten und leichter Einengung des linken Neuroformanens gezeigt. An LWK 3/4 bestehe eine geringe Bandscheibenprotusion sowie eine leichte Einengung der LWK 3-Neuroforamina. Eine Spinalkanalstenose habe sich nicht nachweisen lassen.

Weiter ist der Entlassungsbericht des Reha-Zentrums S über die stationäre Rehabilitation vom 23. Juli bis 3. September 2019 zu den Akten gelangt. Darin sind als Diagnosen eine mittelgradige depressive Episode einer rezidivierenden depressiven Störung, eine somatische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Posttraumatische Belastungsstörung/chronische Traumafolgestörung, chronische Cervicobrachialgien und Lumboischialgie sowie ein Reizdarmsyndrom bei Adipositas (Body-Mass-Index [BMI] 31,2) benannt worden. Durch die Maßnahme hätten sich die Beschwerden und Befinden positiv beeinflussen lassen, die Klägerin habe sich in Bezug auf die depressive Symptomatik etwas stabilisieren können. Aus psychischer Sicht bestünden keine qualitativen und quantitativen Einschränkungen, die Tätigkeit als Angestellte einer Sparkasse sei weiter leidensgerecht. Eine Wiedereingliederung sei eingeleitet, der Leistungseinschätzung von der Klägerin nur teilweise zugestimmt worden.

Weiter habe sie angegeben, auf den Namen der Geliebten des Vaters getauft worden zu sein, mit der der Vater zwei weitere Kinder habe. Die Mutter habe der Klägerin die Schuld am Scheitern ihrer Ehe gegeben. Sie sei von dieser häufig geschlagen worden. Vom 6. bis zum 13. Lebensjahr habe ihr Patenonkel sie regelmäßig sexuell missbraucht, was ihr zu Hause niemand geglaubt habe. Mit 16 Jahren sei sie mit ihrer Mutter und den zwei Brüdern wegen massiver Gewalt des Vaters gegenüber der Mutter in eine andere Wohnung geflüchtet. Mit 19 Jahren sei sie bei ihrer Mutter ausgezogen, habe ihren Ehemann mit 23 Jahren kennen gelernt und ein Jahr später geheiratet, danach seien die beiden Kinder geboren worden. Mit dem Tod ihres Vaters 2011 sei es ihr schlechter gegangen, die Vergangenheit sei seitdem wieder „aufgelebt“. Ende 2018 sei ihr klargeworden, dass ihre eigene Tochter ebenfalls unter psychischen Problemen leide, diese zeige bulimisches und selbstverletzendes Verhalten. Die Klägerin erkläre sich ihre aktuellen psychischen Beschwerden durch die problematische Vergangenheit und ihre andauernden Schmerzen. Sie habe keine Bewältigungsstrategien bezüglich ihrer Beschwerden. Es bestünden Ein- und Durchschlafstörungen sowie eine Dranginkontinenz.

A hat einen Tinnitus beidseits sowie eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit angegeben und letztere mit einem Teil-GdB von 15 bewertet. Zusammen mit dem Tinnitus ergebe sich auf seinem Fachgebiet ein Teil-GdB von 20. Ergänzend hat er den Bericht über die MRT des Neurocraniums vom 27. April 2020 (Radiologe Dr. Flesch), wonach sich ein Status idem zur Voruntersuchung gezeigt habe, vorgelegt. Eine intraaxiale Raumforderung und ein Vestibularis-Schwannom habe ausgeschlossen werden können.

Danach hat das SG auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des Z1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 4. Mai 2021 erhoben. Diesem gegenüber hat die Klägerin angegeben, als Sparkassenangestellte vier Stunden pro Tag zu arbeiten. Sie sei in der Datenerfassung und müsse Zahlen in den PC eingeben. Sie habe Schulterschmerzen an der Außenseite des Oberarmes, rechts mehr als links, radial und ulnar auch an der Hand. Lumbale Rückenschmerzen strahlten zur Vorderseite des rechten Oberschenkels aus, ein Bandscheibenvorfall LWK 4/5 sei bekannt. Urologisch sei eine Stressinkontinenz für Urin vorhanden. Durch Stehen oder auch durch Husten oder Niesen könne Urin abgehen. Sie trage seit 2020 Einlagen. Chirurgisch sei ein Reizdarm festgestellt, Hämorrhoiden seien verödet worden. Der Reizdarm gehe an fünf Tagen die Woche mit fünf bis sechs wässrigen Durchfällen einher, die vier- bis fünfmal pro Woche auch in die Windel gehen könnten.

Sie träume nachts von ihrem sexuellen Missbrauch, den sie vom 5. bis 12. Lebensjahr jedes Wochenende über sich habe ergehen lassen müsse. Sie selbst habe sich ihrer Mutter soweit geöffnet, dass sie Andeutungen gemacht habe. Daraufhin habe sie eine Ohrfeige erhalten. Dieser Patenonkel sei kein Verwandter gewesen, sondern ein Fußballer, den der Vater vom Verein her gekannt habe. Dieses Erleben habe heute noch Auswirkungen. Sie träume mehrfach pro Woche davon. Sie könne keine Nähe zulassen, den Sexualverkehr mit ihrem Mann habe sie nur als Pflicht empfunden. Ihre Psychotherapeutin ermahne sie immer, sich nicht zu viel vorzunehmen, sondern ihre Grenzen zu beachten. Sie habe früher gerne gebastelt, gehäkelt und gestrickt. Das mache sie auch nicht mehr. Sie entwickele dadurch ein Taubheitsgefühl in den Fingern, dass sich beim Stricken kontinuierlich verstärke. Es entstünden dabei auch Kopfschmerzen, die vom Nacken zu den Ohren und von dort in den Kieferbereich ziehen könnten. Sie könne nicht alleine einkaufen gehen, sondern müsse von ihrem Mann oder ihrer Tochter begleitet werden. Bei der Beerdigung ihres Vaters 2011 sei alles hochgekommen. Sie habe neben dem besagten Patenonkel gesessen und dieser habe ihr seine Hand auf den Schenkel gelegt. Sie habe den Onkel einmal auf den Missbrauch angesprochen. Er habe ihn zugegeben, aber gleichzeitig gesagt, dass ihr das sowieso keiner glaube. Ihr Mann könne damit nicht umgehen, das sei alles ein rotes Tuch für ihn. Er rede nicht darüber und schiebe es weg. In der Tagesklinik in B sei aber alles hochgekommen, damals habe eine Mitpatientin während der Gruppensitzung von ihrer Vergewaltigung berichtet. Die Klägerin selbst sei innerlich zusammengebrochen und rausgelaufen. Der Therapeut habe nicht lockergelassen, bis sie ihm alles erzählt habe. Erst da, 2016 habe ihr Mann davon erfahren, obwohl sie seit 1997 mit ihm verheiratet sei.

Seit einem Jahr nehme sie massiv zu. Sie schaffe die Hausarbeit nicht mehr, diese erledigten der Mann und die Kinder. Sie könne wegen der Magenschmerzen nichts zu sich nehmen, aber auch nicht abnehmen. Bei einer Körpergröße von 163 cm wiege sie jetzt 86 kg. Einmal die Woche gehe sie zur Psychotherapie. Sie nehme 150 mg Elontril und 50 mg Amitriptylin, außerdem noch Novalgin und Paracetamol bei Bedarf.

Zum Tagesablauf hat die Klägerin angegeben, morgens um 6.00 Uhr aufzustehen, die 9 km zur Arbeit mit dem Auto zu fahren und von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr zu arbeiten. Zu Hause überlege sie, ob sie Hunger habe und etwas essen wolle. Dann lege sie sich hin. Ihr Mann wecke sie gegen 17.00 Uhr, dieser müsse abends häufig noch einkaufen gehen und kochen. Sie esse im Schlafzimmer und ziehe sich früh ins Bett zurück. Gegen 22.00 Uhr schlafe sie meist schon wieder.

In der psychopathologischen Untersuchung habe die Klägerin zur Betonung der Symptomatik und zu Verdeutlichungen geneigt. Im Querschnitt hätten sich keine Bewusstseins- oder Orientierungsstörungen gefunden. Mnestische Defizite hätten nicht bestanden, eine hirnorganische Symptomatik sei nicht zu erfassen gewesen. Der Gedankengang habe sich formal und inhaltlich richtig gezeigt, eine psychotische Symptomatik sei nicht zu erfassen gewesen. Der Affekt sei in der Untersuchungssituation nicht durchgehend verändert, der Antrieb nicht beobachtbar gestört gewesen. Zur weiteren Stabilisierung sei die fortlaufende ambulante Psychotherapie notwendig. Eine explizite Traumatherapie habe bisher nicht stattgefunden, sodass die regelmäßigen und wiederholten Traumatisierungen nicht aufgearbeitet seien.

Klinisch habe sich bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen der derzeit nicht akute Bandscheibenvorfall ohne akute radikuläre motorische Ausfallsymptomatik gezeigt. Anamnestisch bestehe eine Stressinkontinenz für Urin, fraglich diskogen.

Die Klägerin könne sich an Regeln und Routinen noch soweit anpassen, dass sie pünktlich zur Arbeit erscheine und ihre Arbeit, wenn auch mit vermindertem Tempo, leiste. Ihre tägliche Routine in der Hausarbeit stelle sie in Frage, lege sich vornehmlich ins Bett. Mit Druck und Stress könne sie schlecht umgehen, fühle sich schnell zu etwas gezwungen und verweigere sich. Die Erinnerung an die früheren Wochenenden mit sexuellem Missbrauch diene zur Rationalisierung. Die Klägerin lasse nicht erkennen, dass sie ihrer Kompetenz als Sparkassenangestellte nicht nachkommen könne, sie könne Entscheidungen treffen und Urteile abgeben. Sie verweigere sich ihrem Freundeskreis, nehme nicht mehr an Unternehmungen teil, kaufe aber noch ein, wenn auch mit dem Ehemann gemeinsam. Andererseits bringe die Klägerin aus ihrer Wut heraus immer noch die Kraft auf, die Verweigerungen durchzuhalten. Sie könne sich behaupten und lasse nicht erkennen, dass sie nicht auch zur Konversation mit anderen fähig sei. Sie habe die zweistündige Untersuchung ohne Schwierigkeiten, insbesondere ohne beobachtbare Konzentrationsstörungen bestritten. Die Klägerin könne sich selbst versorgen, selbst pflegen und anscheinend auch die morgendliche Routine leisten, sich damit soweit strukturieren, dass sie pünktlich ihre Berufstätigkeit aufnehme.

Die bestimmenden psychischen Erkrankungen seien schon im Dezember 2017 vorlegen und bis dahin in der Akte dokumentiert gewesen. Die zervikalen und lumbalen Auswirkungen zusammengenommen dürften einem GdB von 20 entsprechen. Dauerhafte radikuläre Ausfälle seien nicht zu verzeichnen, sodass von geringen bis mittelgradigen funktionellen Auswirkungen auszugehen sei. Die psychische Störung sei als stärker behindernde Störung zu klassifizieren und der GdB an der Obergrenze mit 40 zu bewerten. Eine schwere Störung liege nicht vor. Der fachfremde Anteil mit den Bandscheibenvorfällen, die derzeit allenfalls subakut seien, aber mit angegebener Stressinkontinenz für Urin, pathogenetisch nicht bewiesen vom lumbalen Bandscheibenvorfall ausgelöst, erhöhe mit den derzeit geringen funktionellen Auswirkungen und bei Überschneidungen mit der psychischen Schmerzsymptomatik den von der Traumafolgestörung bestimmten GdB von 40 nicht. Der zudem geklagte Tinnitus und die Innenohrschwerhörigkeit könnten ebenfalls keine weitere Erhöhung begründen. Die Untersuchung habe kein anderes Ergebnis als in der Klinik S 2019 und der Schmerzklinik K2 2019 gezeigt.
Auf weiteren Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des B2 vom 18. August 2021 erhoben. Dieser hat ausgeführt, dass die Klägerin den Untersuchungsraum ohne erkennbares Schonhinken betreten habe. Der Barfußgang sei ohne Einschränkungen möglich gewesen, ebenso beidseits der Einbeinstand, Zehenspitzen- und Hackengang. Der Finger-Boden-Abstand (FBA) habe bei 45 cm gelegen, das Zeichen nach Ott bei 30:31 cm, das Zeichen nach Schober bei 10:13 cm. Im Rahmen der orientierenden Untersuchung der oberen Extremität hätten sich keine mehr als altersentsprechenden krankhaften Veränderungen gezeigt. Die muskulären Ausprägungen seien regelrecht und ohne Zeichen einer seitendifferenten Muskelhypotrophie gewesen. Beim gekreuzten Handgriff habe sich keine wesentlich seitendifferente, aber eine verminderte Kraftentfaltung gezeigt, die insgesamt nicht wesentlich gewesen sei. Die Beweglichkeit beider Hüft- und Kniegelenke habe keine Einschränkungen aufgewiesen, ein Erguss nicht bestanden.

Es bestehe ein chronisch endgradig schmerzhaftes HWS-Syndrom ohne Zeichen einer Nervenwurzelreizung zum Zeitpunkt der Untersuchung, eine solche habe sich lumbal ebenfalls nicht gezeigt. Hinsichtlich des Karpaltunnelsyndrom sei der GdB mit 10 einzuschätzen, der GdB in Bezug auf die Wirbelsäule mit 20. Die Einschätzung des Gesamt-GdB hänge vom Ergebnis des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens ab, da auf diesem Fachgebiet die wesentlichen Beeinträchtigungen bestünden.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2021 abgewiesen. Im Funktionssystem „Nervensystem und Psyche“ leide die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer chronischen Schmerzstörung, sodass sich ein Teil-GdB von 40 ergebe. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten seien nicht gegeben. Das Funktionssystem „Rumpf“ sei mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Es seien zwar zwei Abschnitte, nämlich die HWS und LWS betroffen, die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei aber indessen nur leichtgradig eingeschränkt. Neurologisch lägen keine Nervenwurzelreizungen und keine Paresen vor. Dies entspreche der Einschätzung des nach § 109 SGG gehörten B2. Auf dem Funktionsgebiet Hör- und Gleichgewichtsorgan betrage der Teil-GdB ebenfalls 20. Die Klägerin leide nach den Angaben des sachverständigen Zeugen A unter einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit mit Tinnitus. Nach Auswertung der Audiogramme und unter Berücksichtigung des Tinnitus ergebe sich ein Teil-GdB von 20. Aus den Teil-GdB-Werten von 40, 20 und 20 sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden, da es auch bei leichteren Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt sei, auf eine wesentliche Zunahme des (Gesamt-)Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Am 21. Dezember 2021 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und weitere Befundberichte vorgelegt. K5 hat nach ambulanter Untersuchung vom 20. Mai 2021 dargelegt, dass sich bei Schmerzen in der rechten Handwurzel und Druckdolenz bei der radiologischen Abklärung kein erklärender Befund gezeigt habe. Falls die Amplitude weiter abfalle, komme eine Neurolyse in Betracht. Bei Polyneuropathie mit Reizparästhesien müsse ein latenter Diabetes ausgeschlossen werden. Die A-Kliniken haben nach ambulanter Untersuchung vom 16. November 2021 aufgrund der klinischen Symptomatik und der Befunde einen Hinweis auf eine rheumatische Grunderkrankung verneint. Eine spezifische Therapieindikation liege nicht vor, die Beschwerden seien am ehesten funktionell-degenerativ. S4 hat im Befundbericht vom 9. September 2021 angegeben, dass gegen die Dranginkontinenz zunächst Spasmex und dann Betmiga rezeptiert worden sei, worunter sich die Dranginkontinenz gebessert habe. Allerdings werde weiterhin ein schwallartiger Urinverlust unter körperlicher Bewegung angegeben, der einen Vorlagenverbrauch von sechs bis acht nötig mache. Eine Urodynamik zum Ausschluss einer neurogenen Komponente sei besprochen worden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 2. Dezember 2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 4. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2020 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 1. Februar 2017 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 17. Juni 2019 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 11. Dezember 2021, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB als 40 unter Abänderung des Bescheides vom 2. Dezember 2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides (§ 86 SGG) vom 4. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 7. April 2020 sowie unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 1. Februar 2017 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 2. Dezember 2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 4. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Senat ist, ebenso wie der Beklagte und ihm folgend das SG, zu der Überzeugung gelangt, dass die dokumentierten medizinischen Befunde, auch die von den beiden nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen erhobenen, keine höhere Bewertung des GdB rechtfertigen. Auf die GdB-Einschätzung der Sachverständigen kommt es nicht an, da es sich um eine rechtliche Bewertung handelt. Im Übrigen hat aber auch keiner der beiden Sachverständigen einen Gesamt-GdB von 50 bestätigt, wie in die Klägerin wenigstens begehrt. Soweit die Klägerin die höhere Neufeststellung des GdB vor dem 2. Juli 2019 begehrt, sind Klage und Berufung schon deshalb unbegründet, da der Antrag erst am 2. Juli 2019 bei dem LRA eingegangen und ein besonderes Interesse für eine höhere Neufeststellung des GdB für Zeiten vor der Antragstellung (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX) weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich ist. Das SG hat die Klage daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigstens 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, da sich der Senat schon nicht davon überzeugen konnte, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse gegenüber dem maßgeblichen Vergleichsbescheid vom 1. Februar 2017 überhaupt in einem Ausmaß geändert haben, dass eine Neufeststellung des GdB beansprucht werden kann. Jedenfalls besteht aber kein Anspruch auf eine höhere Neufeststellung des GdB mit mehr als 40, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Gesamt-GdB nicht mit mehr als 40 festzustellen ist.

Die vorwiegenden Beeinträchtigungen der Klägerin liegen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ und sind mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Eine Ausschöpfung des Bewertungsrahmens rechtfertigt sich entgegen der versorgungsärztlichen Beurteilung, der sich der Sachverständige Z1 angeschlossen hat, nicht.


Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Nach diesen Maßstäben besteht bei der Klägerin eine stärker behindernde Störung, die einer dauerhaften antidepressiven Medikation mit Elontril und Amitriptylin bedarf, wie aus den Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Z1 folgt. Dieser hat in klinischer Hinsicht indessen keine Bewusstseins- und Orientierungsstörungen befundet, mnestische Defizite verneint und eine hirnorganische Symptomatik ausgeschlossen. Der Gedankengang zeigte sich formal und inhaltlich richtig, eine psychotische Symptomatik bestand nicht. Der Affekt wird als nicht durchgehend verändert beschrieben, der Antrieb als nicht gestört. Der Sachverständige verweist ausdrücklich zum einen darauf, dass seine Befunde den Vorbefunden der Kliniken entsprechen und dass sich in der psychopathologischen Untersuchung Verdeutlichungstendenzen gezeigt haben.

Anhand des von ihm erhobenen Tagesablaufs der Klägerin hat er schlüssig herausgearbeitet, dass sie sich noch an Regeln und Routinen anpassen, pünktlich zur Arbeit erscheinen und ihre Arbeit verrichten kann. Die Strukturierungsfähigkeit ist mithin erhalten. Daneben wird aus der von dem S3 beschriebenen Ägypten-Reise deutlich, dass die Klägerin noch zu Fernreisen in der Lage ist, was gegen eine schwergradige Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit spricht. Weiter sieht der Sachverständige die erhaltene Fähigkeit, sich zu behaupten und Konversationen mit anderen zu führen. Während der Untersuchung ergaben sich keine Anhaltspunkte für Konzentrationsstörungen, sodass die gegenteilige Angabe des A, dass durch den geklagten Tinnitus Konzentrationsstörungen bedingt seien, schlüssig widerlegt ist.

Die Ausschöpfung des Bewertungsrahmens rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der erhaltenen Fähigkeiten somit nicht, eine schwere Störung ist von dem Sachverständigen überzeugend ebenso ausgeschlossen worden wie das Bestehen mittelgradiger Anpassungsschwierigkeiten.

Soweit der Sachverständige und zuvor die Rehabilitationskliniken auf eine Posttraumatische Belastungsstörung oder Traumafolgestörung abstellen, kommt es hierauf nicht entscheidungserheblich an. Denn die Beurteilung hat anhand von Funktionseinschränkungen zu erfolgen und nicht anhand von Diagnosen. Lediglich ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass in tatsächlicher Hinsicht erhebliche Zweifel an einem erlebnisbasierten Vorbringen hinsichtlich des vermeintlichen sexuellen Missbrauchs, den der Sachverständige Z1 unkritisch seiner Beurteilung zu Grunde gelegt hat, bestehen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Angaben hierzu deutliche Widersprüche aufweisen. Während gegenüber dem K5 ein Missbrauch nur bis zum 11. Lebensjahr beschrieben worden ist, soll dieser nach den Angaben gegenüber der Rehabilitationsklinik S vom 6. bis 13. Lebensjahr angedauert haben und gegenüber dem Sachverständigen Z1 ist ein solcher vom 5. bis zum 12. Lebensjahr beschrieben worden. Bei allen Erzählungen ist in keiner Weise hinterfragt worden, was sich überhaupt zugetragen haben soll. Inkonsistent sind die Angaben weiter dahingehend, dass einerseits behauptet wird, dass die Erinnerungen 2011 bei der Trauerfeier des Vaters wieder hochgekommen sein sollen, andererseits aber dargelegt wird, dass die Erinnerungen durch die ambulante Psychotherapie 2016 zurückgekehrt seien und dem Ehemann erst dann davon berichtet worden ist. Dafür, dass es sich nicht um mehr als Pseudoerinnerungen handelt, spricht weiter, dass die Klägerin gegenüber Z1 angegeben hat, dass in der Tagesklinik B alles hochgekommen sei, als eine Mitpatientin von ihrer Vergewaltigung berichtet habe. Korrespondierend hierzu hat der Sachverständige Z1 darauf verwiesen, dass die Erinnerung an den sexuellen Missbrauch zur Rationalisierung diene. In tatsächlicher Hinsicht verhält es sich so, dass die Klägerin trotz des behaupteten sexuellen Missbrauchs nicht an einer normalen Entwicklung gehindert war, so durchaus in der Lage gewesen ist, eine Familie zu gründen und zwei Kinder zu bekommen. Daneben hat sie sowohl einen Schul- als auch einen Ausbildungsabschluss erzielt und ist seit geraumer Zeit als Sparkassenangestellte tätig. Für diese Tätigkeit ist ihr in den Rehabilitationen wiederholt ein vollschichtiges Leistungsvermögen bescheinigt worden.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren einen weiteren Befundbericht der A-Kliniken vorgelegt hat, ergibt sich daraus nicht, dass über die beschriebenen Schmerzen hinaus eine entzündlich-rheumatische Krankheit (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.2.1) zu berücksichtigen ist. Vielmehr weist der Bericht aus, dass sich aufgrund der klinischen Symptomatik und der Befunde kein sicherer Hinweis auf eine entzündlich-rheumatische Grunderkrankung bestanden hat und deshalb kein Therapiebedarf besteht. Einen identischen Befund hat bereits der K3 nach ambulanter Untersuchung am 20. Juli 2020 erhoben und auf ein Schmerzsyndrom im Sinne einer Fibromyalgie verwiesen. Dass die beschriebene Schmerzstörung bei der Bewertung als stärker behindernde Störung bereits Berücksichtigung gefunden hat, ist von Z versorgungsärztlich überzeugend herausgestellt worden, die abweichende Bewertung des G vermag angesichts der dokumentierten Befunde nicht zu überzeugen. Aus den Ausführungen des Z wird gleichzeitig deutlich, dass die Darlegungen des S3, dass die Fibromyalgie nicht berücksichtigt sei, unzutreffend sind. Zu bewerten sind Funktionsbehinderungen und keine Diagnosen, was der Internist verkennt. Seine Einschätzung auf einen GdB von 60 wird weder durch die mitgeteilten Befunde noch durch die einschlägigen Bewertungsvorgaben gestützt. Dies kann aber schon deshalb dahinstehen, da es sich um eine rechtliche und nicht um eine medizinische Bewertung handelt (vgl. bereits oben).

Im Funktionssystem „Rumpf“ wird ein Teil-GdB von 20 entgegen der versorgungsärztlichen Einschätzung, der sich der Sachverständige B2 angeschlossen hat, nicht erreicht.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten „Postdiskotomiesyndrom“) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte „Wirbelsäulensyndrome“ (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.

Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz-dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z.B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose - sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Nach diesen Maßstäben sind bei der Klägerin durch die radiologischen Befunde zwar Veränderungen in mehreren Segmenten der Wirbelsäule beschrieben, indessen kommt es nach den Vorgaben der VG, Teil B, Nr. 18.1 nicht auf den radiologischen Befund, sondern die Bewegungseinschränkungen an. Solche bestehen bei der Klägerin in relevantem Ausmaß jedoch nicht. Im Bereich der HWS hat der K4 einen unauffälligen Befund erhoben, die Rechts- und Linksrotation war nicht eingeschränkt. Der Sachverständige B2 hat ebenso nur ein endgradig schmerzhaftes HWS-Syndrom befundet und Zeichen einer Nervenwurzelreizung ausdrücklich verneint. Das Zeichen nach Schober hat er mit 10:13 cm (Norm: 10:15 cm) und damit weniger als hälftig eingeschränkt bestimmt, das Zeichen nach Ott mit 30:31 cm (Norm 30:32 cm) und damit zwar hälftig eingeschränkt, indessen hat er Zeichen einer Nervenwurzelreizung ebenso wie an der HWS verneint. Solche hat zuvor bereits B1 in seinem Befundschein verneint und Z hat versorgungsärztlich darauf hingewiesen, dass keine spinale oder neuroforaminale Enge besteht. In neurologischer Hinsicht hat Z1 erhoben, dass durch die derzeit nicht akuten Bandscheibenvorfälle keine radikuläre motorische Ausfallsymptomatik besteht, die radiologisch sichtbaren Veränderungen also keine neurologischen Folgen haben. Letztlich konnte B2 keine Einschränkungen der Hüftgelenksbeweglichkeit erheben. Anhaltspunkte für GdB-relevante Einschränkungen an den unteren Extremitäten (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14) bestehen auch im Übrigen nicht. B2 hat auch die Kniegelenke als frei beweglich, ohne Ergusszeichen befundet. Das Gangbild wird folglich als normal beschrieben, was dem Befund der SRH-Kliniken entspricht.

Dass in der MRT vom 17. Dezember 2018 ein kleiner Einriss des Anulus fibriosus L 4/5 beschrieben worden ist, führt schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung, da von diesem keine einengende Wirkung ausgeht, wie der Senat dem Entlassungsbericht der SRH K2 über die stationäre Behandlung vom 23. April bis 14. Mai 2019 entnimmt. Relevante Funktionseinschränkungen hierdurch sind weder von Dr. Zimmerer aus neurologischer Sicht noch durch B2 aus orthopädische Sicht beschrieben worden.

Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung, die im Funktionssystem „Rumpf“ zu berücksichtigen wäre, ist fachärztlich ausgeschlossen worden, wie oben dargelegt.

Im Funktionssystem „Ohren“ kommt kein höherer Teil-GdB als 15 in Betracht. Der sachverständigen Zeugenauskunft des A entnimmt der Senat das Bestehen einer Innen-ohrschwerhörigkeit beidseits, die er als geringgradig beurteilt und mit einem Teil-GdB von 15 bewertet hat, was den Vorgaben der VG, Teil B, Nr. 5.2.4 entspricht. Soweit er daneben den Tinnitus mit einem weiteren Einzel-GdB von 10 bewertet, entspricht dies nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 Ohrgeräuschen ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen (Bewertungsrahmen 0 bis 10), woraus sich eine Erhöhung des Teil-GdB im Funktionssystem nicht rechtfertigt (vgl. auch den Rechtsgedanken aus VG, Teil A, Nr. 3 d ee).
Im Funktionssystem „Harnorgane“ wird ebenfalls kein Teil-GdB von 20 erreicht.

Nach den VG, Teil B, Nr. 12.2.4 ist eine relative Harnkontinenz mit leichtem Harnabgang bei Belastung (z. B. Stressinkontinenz Grad I) mit einem GdB von 0 bis 10, bei Harnabgang tags und nachts (z. B. Stressinkontinenz Grad II bis III) mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten.

Zwar wird eine anamnestisch angegebene Inkontinenz in der Aktenlage immer wieder dokumentiert (vgl. den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums S). Der Sachverständige Z1 hat zu diesen anamnestischen Angaben der Kläger nur ausgeführt, dass die angegebene Inkontinenz fraglich durch den lumbalen Bandscheibenvorfall ausgelöst ist. Demengegenüber hat der S4 in seinem im Berufungsverfahren vorgelegten Attest ausdrücklich betont, dass unter medikamentöser Therapie eine Besserung der Dranginkontinenz zu verzeichnen gewesen ist, den von der Klägerin behaupteten „schwallartigen“ Urinverlust hat er indessen nicht bestätigt und nur weitere Untersuchungen hinsichtlich einer möglichen neurogenen Komponente vorgeschlagen. Vor diesem Hintergrund sind keine Befunde objektiviert, die mehr als einen leichten Harnabgang belegen.

Letztlich kommt kein Teil-GdB im Funktionssystem „Arme“ in Betracht, nachdem K5 in ihrem im Berufungsverfahren vorgelegten Befundbericht schon keine Funktionseinschränkung bei angegebenen Schmerzen in der Handwurzel beschrieben hat, sondern vielmehr vermerkt, dass sich kein pathologischer Befund sichern ließ.

Aus den Teil-GdB von 30 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ und 15 im Funktionssystem „Ohren“ lässt sich ein höherer Gesamt-GdB als 40, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat, nicht begründen. Selbst wenn im Funktionssystem „Ohren“ und im Funktionssystem „Harnorgane“ weitere Teil-GdB von je 20 angenommen würden, ergäbe sich kein anderes Gesamtergebnis. Z1 hat nämlich überzeugend herausgearbeitet, dass so deutliche Überschneidungen mit dem Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ bestehen, dass sich eine Erhöhung nicht begründen lässt.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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