L 11 KR 427/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3853/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 427/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die vom OPS-Kode 2014 (Neurologische Kompexbehandlung des akuten Schlaganfalls) verlangte Behandlung mit ätiologischer Diagnostik und Differentialdiagnostik ist bedarfsangepasst und nach medizinischer Notwendigkeit durchzuführen. Deshalb kann die Vornahme einer transösophagealen Echokardiographie (TEE) unterbleiben, wenn das Ergebnis der TEE im konkreten Fall keinerlei therapeutischen Konsequenzen hat.

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12.01.2021 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 2.408,08 € zzgl Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.11.2018 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auf 2.408,08 € festgesetzt.


Tatbestand


Streitig ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und hier insbesondere die Frage, ob eine transösophageale Echokardiografie (TEE) notwendig gewesen wäre, um die Fallpauschale B69A (OPS-Code 8.981.1) abrechnen zu können.

Die Klägerin ist Trägerin des Diakonie-Klinikums S-H eines nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses. Dort wurde die bei der beklagten Krankenkasse versicherte R, geboren 1930, vom 30.08.2014 bis 03.09.2014 vollstationär wegen einer Transitorischen Ischämischen Attacke (TIA) bei passagerer Dysarthrie, Hemiparese und fazialer Parese links bei anamnestischem Verdacht auf Persistierendes Foramen Ovale (PFO; angeborene Verbindung zwischen dem rechten und linken Vorhof des Herzens) behandelt. Die Klägerin berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2014 <DRG>) B69A (Transitorische Ischämische Attacke <TIA> und extrakranielle Gefäßverschlüsse mit neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, mehr als 72 Stunden) und erhielt hierfür von der Beklagten zunächst den eingeforderten Rechnungsbetrag in voller Höhe. Die Beklagte verrechnete jedoch am 13.11.2018 den Betrag von 2.408,08 € auf der Grundlage zweier Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 12.02.2015 und 29.08.2018. Abzurechnen sei die geringer vergütete DRG B69D (Transitorische Ischämische Attacke <TIA> und extrakranielle Gefäßverschlüsse ohne neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, ohne äußerst schwere CC), weil die ätiologische Diagnostik nicht komplettiert sei. Bei anamnestischem Verdacht auf PFO sei die Durchführung einer TEE indiziert, die hier nicht erfolgt sei. Die Klägerin erwiderte erfolglos, die TEE sei medizinisch nicht notwendig gewesen, hätte keine therapeutischen Konsequenzen nach sich gezogen und die Patientin habe auf Entlassung gedrängt.

Am 05.12.2019 hat die Klägerin zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben unter Wiederholung der bisherigen Begründung.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage von W, B. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18.05.2020 dargelegt, begrifflich interpretiert beziehe sich die Formulierung der Mindestmerkmale der OPS 8-981.1 auf die Ätiologie, also die Bestimmung der Ursache des Schlaganfalles, nicht dagegen auf die etwaige Therapierelevanz eines Befundes. Die im Rahmen des stationären Aufenthaltes durchgeführte transthorakale Echokardiografie (TTE) sei aus methodischen Gründen nicht ausreichend, die für die Ätiologie des Schlaganfalles relevante Verdachtsdiagnose PFO zu bestätigen oder auszuschließen. Vielmehr sei die TEE das diagnostische Mittel der Wahl zur Verifizierung der Verdachtsdiagnose PFO. Die Klägerin sei demnach nicht berechtigt, die DRG B69A, sondern lediglich die DRG B69D abzurechnen.

Hierzu hat die Klägerin eine Stellungnahme der H vom 16.06.2020 vorgelegt, wonach die Möglichkeit der TEE-Diagnostik in der Klinik vorgehalten werden müsse. Dies sei der Fall. Dies sei aber nicht gleichzusetzen mit der unbedingten Notwendigkeit, alle Untersuchungen auch wirklich durchzuführen. Bei einer 83jährigen Patientin begründe die anamnestische Angabe eines PFO nicht eine „automatische“ Indikation zur TEE. Die Relevanz eines PFO nehme mit dem Alter ab, da andere kardiovaskuläre Risikofaktoren mit steigendem Lebensalter an Bedeutung gewönnen, die viel schlimmer wögen, wie im Fall der Versicherten zB die arterielle Hypertonie. Die Klinik sei nicht verpflichtet, invasive Untersuchungen durchzuführen, die keinerlei therapeutische Konsequenz gehabt hätten.

W hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.08.2020 erneut betont, die Therapierelevanz spiele im begrifflichen Kontext der Mindestmerkmale keine Rolle und zur Klärung der Verdachtsdiagnose PFO sei die TEE das Mittel der Wahl.

Die Klägerin hat hierzu eine Stellungnahme des J sowie des Z vom 21.09.2020 vorgelegt, wonach in der ätiologischen Klärung eines Schlaganfalls oder TIA routinemäßig eine Echokardiografie durchgeführt werde. Bei dieser habe sich im Fall der Versicherten kein relevanter Hinweis auf einen Herzfehler ergeben. Ein Atriumseptumdefekt (ASD) sowie ein Ventrikelseptumdefekt (VSG) hätten weitgehend ausgeschlossen werden können, auch sei kein relevanter Shunt (Blutübertritt) durch ein PFO aufgefallen. Die TEE sei tatsächlich der Goldstandard für die Diagnose des PFO. Allerdings sei sie belästigend und müsse häufig unter leichter Sedierung durchgeführt werden. Diese könne zu sehr seltenen, aber letztlich aufklärungspflichtigen Komplikationen bis zum Sedierungszwischenfall und zur Ösophagusperforation führen. Selbst ein kleines Risiko sei nicht gerechtfertigt, wenn keinerlei Nutzen für die Versicherte zu erwarten sei, ganz abgesehen von der Frage der Unwirtschaftlichkeit. Das vom Gutachter zitierte Konsensuspapier zum PFO stamme aus 2018, die zugrundeliegenden Studien beschränkten sich auf Patienten zwischen 18 und 60 Jahren. Zum hier relevanten Zeitpunkt 2014 habe es keine eindeutig positiven Studien gegeben. Nach damaligem Erkenntnisstand habe die Versicherte die Voraussetzungen für einen Verschluss eines PFO nicht erfüllt.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.01.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, die DRG B69A (Transitorische Ischämische Attacke <TIA> und extrakranielle Gefäßverschlüsse mit neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, mehr als 72 Stunden) unter Zugrundelegung des OPS 8.981.1 (Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, mehr als 72 Stunden) abzurechnen. Bei dem OP S-Kode 8-981 sei als Unterpunkt die „ätiologische Diagnostik und Differentialdiagnostik des Schlaganfalls" genannt, die ua mit der Vornahme eines EEG, einer sog TEE oder anderen Verfahren durchgeführt werden könne. Die Frage der Ursache des Schlaganfalls - mithin seine Ätiologie - sei hier lediglich durch TEE zu klären. Demnach habe die Klägerin diesen Unterpunkt des OPS 8.981 nicht erfüllt und könne daher dessen Abrechnung hier nicht beanspruchen. Die Argumente der Klägerin, dass die Durchführung des TEE letztlich keine Änderung der Therapie bewirkt hätte bzw dass lediglich die technischen Voraussetzungen der TEE vorzuhalten seien, überzeugten nicht, da dieser Unterpunkt des OPS 8.981 eben keine Therapie oder Behandlung voraussetze, sondern nach seinem Wortlaut die Durchführung von Diagnostik, nicht nur die bestehende Möglichkeit der Diagnostik. Die Abrechnungsbestimmungen einschließlich der hierzu vereinbarten Anwendungsregeln seien wegen ihrer Funktion, die zahlreichen Behandlungsfälle routinemäßig abzuwickeln, im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen blieben außer Betracht. Auf den weiteren Einwand der Klägerin, die Versicherte habe auf Entlassung gedrängt, sei zu erwidern, dass dies wohl schwerlich je ein sachliches Argument im Rahmen der Abrechnung einer notwendigen Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.02.2021 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht mit der Begründung, der hier streitige OPS liste beispielhaft verschiedene Verfahren zur Diagnostik auf. Entscheidend sei, dass eine ätiologische Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Schlaganfalles erfolge, nicht, dass in jedem Behandlungsfall stets alle möglichen Verfahren durchzuführen seien. Insofern widerspreche die Auffassung des SG sowie des Sachverständigen, es müsse zwingend eine TEE erfolgen, dem Wortlaut der OPS. Des Weiteren hätten J sowie Frau H ausführlich ausgezeigt, dass eine TEE nicht notwendig gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12.01.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 2.408,08 € zzgl Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.11.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,


die Berufung zurückzuweisen.

Sie argumentiert, in den FAQ des DIMDI zum OPS 8-891 werde unter der laufenden Nummer OPS-8017 ausgeführt, dass die Diagnostik individuell und nach medizinischer Notwendigkeit anzupassen sei. Den Gutachten des MDK sowie des gerichtlichen Sachverständigen sei zu entnehmen, dass eine TEE im Behandlungsfall durchzuführen gewesen wäre. Sie sei für die im OPS vorgeschriebene Diagnostik zur Ätiologie unabdingbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs-, Patientenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG), sie ist auch in der Sache begründet. Zu Unrecht ist das SG von einer wirksamen Aufrechnung eines Erstattungsanspruchs der Beklagten gegen den Vergütungsanspruch der Klägerin ausgegangen.

Streitgegenstand ist die Zahlung der Vergütung iHv 2.408.08 € aus der Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 30.08.2014 bis 03.09.2014.

Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).

Der Klägerin steht noch ein Vergütungsanspruch für die Behandlung eines Versicherten (Hauptforderung) iHv 2.408,08 € zu. Da die Beklagte sich gegenüber der Klage ausschließlich im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Klageforderung (Hauptforderung) selbst außer Streit (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R; BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R; BSG 26.10.2016, B 1 KR 9/16 R). Die Beklagte konnte gegen die Hauptforderung der Klägerin jedoch nicht in Höhe von 2,408,08 € aufrechnen, da ihr kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zustand. Vielmehr hat die Beklagte in diesem Umfang für die stationäre Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 30.08.2014 bis 03.09.2014 das Krankenhausentgelt mit Rechtsgrund gezahlt, weil der Klägerin insoweit ein Vergütungsanspruch zustand. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie die Versicherte im genannten Zeitraum stationär behandelte.


Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Verbindung mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils idF vom 15.07.2013, BGBl I 2423) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; idF vom 15.07.2013, BGBl I 2423) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2014 (Fallpauschalenvereinbarung 2014 - FPV-2014). Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (st Rspr BSG 16.12.2008, B 1 KN 1/07 R, BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2).

In seiner Höhe wird der Vergütungsanspruch durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelation sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in der Fallpauschalenvereinbarung auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KHEntgG.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom DIMDI (seit Mai 2020 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte - BfArM) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V" (OPS-301) verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 S 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS-301 eine bestimmte DRG angesteuert (vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 16).

Vorliegend durfte die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten die DRG B39A - Version 2014 - (neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls mit bestimmter OR-Prozedur, mehr als 72 Stunden mit komplexem Eingriff oder komplizierenden Diagnosen) in Rechnung stellen und hierbei den OPS 8-981.1 in Ansatz bringen. Diese Prozedur ist im OPS 2014 wie folgt beschrieben:
8-981
Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls
Exkl.:

Andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls (
8-98b ff.)
Hinw.:
Dieser Kode kann auch beim Vorliegen einer TIA angegeben werden
Besteht über die Therapiemöglichkeiten der vorhandenen Schlaganfalleinheit hinaus die Indikation zu einer Behandlung auf der Intensivstation, kann, wenn die Mindestmerkmale dieses OPS-Kodes erfüllt sind, die dortige Behandlungszeit auch für die Kodierung der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls berücksichtigt werden, auch wenn auf der Intensivstation nicht ausschließlich Patienten mit einem akuten Schlaganfall behandelt werden
Mindestmerkmale: Behandlung auf einer spezialisierten Einheit durch ein multidisziplinäres, auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes Team unter fachlicher Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie mit:
24-stündiger ärztlicher Anwesenheit (Von Montag bis Freitag wird tagsüber eine mindestens 12-stündige ärztliche Anwesenheit (Der Arzt kann ein Facharzt für Neurologie oder ein Assistenzarzt in der Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie sein.) gefordert, bei der sich der jeweilige Arzt auf der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten ausschließlich um diese Patienten kümmert und keine zusätzlichen Aufgaben zu erfüllen hat. Er kann sich in dieser Zeit nur von der Spezialeinheit entfernen, um Schlaganfallpatienten zum Beispiel zu untersuchen, zu übernehmen und zu versorgen. Während der 12-stündigen ärztlichen Anwesenheit in der Nacht sowie während der 24-stündigen ärztlichen Anwesenheit an Wochenenden und an Feiertagen ist es zulässig, dass der Arzt der Spezialeinheit noch weitere Patienten mit neurologischer Symptomatik versorgt, sofern sich diese in räumlicher Nähe befinden, so dass er jederzeit für die Schlaganfallpatienten der Spezialeinheit zur Verfügung steht)
24-Stunden-Monitoring von mindestens 6 der folgenden Parameter: Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Atmung, Sauerstoffsättigung, Temperatur, intrakranieller Druck, EEG, evozierte Potentiale. Das Monitoring darf nur zur Durchführung spezieller Untersuchungen oder Behandlungen unterbrochen werden
6-stündlicher (maximaler Abstand nachts 8 Stunden) Überwachung und Dokumentation des neurologischen Befundes durch den Arzt zur Früherkennung von Schlaganfallprogression, -rezidiv und anderen Komplikationen
Durchführung einer Computertomographie oder Kernspintomographie, bei Lyseindikation innerhalb von 60 Minuten, ansonsten innerhalb von 6 Stunden nach der Aufnahme, sofern diese Untersuchung nicht bereits extern zur Abklärung des akuten Schlaganfalls durchgeführt wurde
Durchführung der neurosonologischen Untersuchungsverfahren inklusive der transkraniellen Dopplersonographie. Sie ist bei nachgewiesener primärer Blutung entbehrlich
ätiologischer Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Schlaganfalls (z.B. transösophageale Echokardiographie, Hämostaseologie, Angiitisdiagnostik, EEG und andere Verfahren) im eigenen Klinikum. Spezialisierte Labordiagnostik darf auch in Fremdlabors erfolgen
24-Stunden-Verfügbarkeit der zerebralen Angiographie, der digitalen Subtraktionsangiographie, der CT-Angiographie oder der MR-Angiographie
kontinuierlicher Möglichkeit zur Fibrinolysetherapie des Schlaganfalls
Beginn von Maßnahmen der Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie spätestens am Tag nach der Aufnahme in die Schlaganfalleinheit mit mindestens einer Behandlungseinheit pro Tag pro genannten Bereich bei Vorliegen eines entsprechenden Defizits und bestehender Behandlungsfähigkeit
unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende). Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist. Wenn der Transport eines Patienten erforderlich ist und das Zeitlimit nur mit dem schnellstmöglichen Transportmittel eingehalten werden kann, muss dieses auch tatsächlich verwendet werden. Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden.)


Von diesen Mindestmerkmalen ist vorliegend zwischen den Beteiligten nur streitig, ob die Klägerin den Unterpunkt „Behandlung (...) mit ätiologischer Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Schlaganfalls (z.B. transösophageale Echokardiographie, Hämostaseologie, Angiitisdiagnostik, EEG und andere Verfahren) im eigenen Klinikum“ erfüllt hat.
Die Klägerin hat eine Hämostaseologie-Diagnostik durchgeführt in Form von Labordiagnostik (PTT, Quick, INR, Thrombozyten) ebenso wie eine Angiitisdiagnostik (CRP, Blutbild), auch erfolgten ein Duplex der hirnversorgenden Gefäße, ein CMRT, eine Echokardiographie transthorakal sowie ein EEG. Dies entnimmt der Senat zum einen den Angaben des W im Gutachten vom 18.05.2020, zum anderen den Angaben der Klägerin (Schreiben vom 21.05.2021 an den Senat) sowie der Patientenakte (vgl Bl 27 Patientenakte: Kumulativ-Befund des Labors über Substrate [ua CRP], Blutbild [ua Thrombozyten], Gerinnung [ua Quick, INR, PTT]; Bl 3 Patientenakte: Doppler-/Duplexsonographie der hirnversorgenden Gefäßstämme; Bl 5 Patientenakte: Echokardiografie; Bl 30 Patientenakte: Computertomographie des Schädels; Bl 36 Patientenakte: EEG-Befund). Lediglich die transösophageale Echokardiographie ist unstreitig nicht durchgeführt worden. Dies hält der Senat aber für unschädlich.
Die Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinien und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 17 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, Rn 27; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im OPS vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 Rn 12 ff). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27 mwN; s zum Ganzen auch BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 Rn 12 ff mwN; vgl auch BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3, Rn 13).

Das hier streitige Merkmal „Behandlung (...) mit ätiologischer Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Schlaganfalls“ zählt im Klammerzusatz einzelne Maßnahmen ausdrücklich nur bespielhaft auf. Zudem sind diese nicht abschließend, wie der Zusatz „und andere Verfahren“ zeigt. Insofern ist das Merkmal dem Wortlaut nach bereits erfüllt, wenn die Klinik einzelne Maßnahmen zur ätiologischen Diagnostik und Differenzialdiagnostik in Bezug auf das Vorliegen eines Schlaganfalles durchführt und auf andere Maßnahmen (hier: transösophageale Echokardiografie) verzichtet. Allerdings hat das DIMDI Mindestmerkmale zum Kodebereich 8-981 festgelegt, die wie folgt lauten (
https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/ops/kodierfragen/):
Wie sind die Mindestmerkmale zum Kode 8-981 Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls zu verstehen? (OPS Nr. 8017)
OPS 2008 bis 2020
(…)
4. Wie umfangreich muss die ätiologische Diagnostik für die Mindestmerkmale des Kodes 8-981 sein und wann muss sie erfolgen?
Die ätiologische Diagnostik für die Mindestmerkmale des Kodes 8-981 ist bedarfsangepasst nach medizinischer Notwendigkeit durchzuführen und individuell unterschiedlich. Sie ist bei bekannter Ätiologie entbehrlich.* Einzelne diagnostische Maßnahmen können sowohl vor Beginn als auch noch nach Beendigung der 24-Stunden-Monitoringphase in derselben Klinik durchgeführt werden. Der Zeitpunkt der Durchführung geht dann aber nicht in die Berechnung der Dauer der Komplexbehandlung ein. Spezialisierte Labordiagnostik darf auch in Fremdlabors erfolgen.
* Dieser Satz wurde gemäß einer entsprechenden Änderung im OPS Version 2018 ergänzt.
Hiernach ist die ätiologische Diagnostik bedarfsangepasst nach medizinischer Notwendigkeit durchzuführen. Was medizinisch notwendig ist, wird nicht definiert. Wie W und mit ihm übereinstimmend auch J und Z dargelegt haben, ist die transösophageale Echokardiografie der Goldstandard für die Diagnostik des PFO. Hieraus zieht W den Schluss, eine solche transösophageale Echokardiografie hätte zwingend erfolgen müssen, wenn sich - wie hier - Anhaltspunkte für ein PFO ergeben. J, Z und auch H kommen hingegen zu dem Schluss, mangels Relevanz eines (bestätigten) PFO im Hinblick auf nachfolgende Behandlungsschritte sei diese Untersuchung entbehrlich. Dieser Argumentation schließt sich der Senat an. Eine ätiologische Diagnostik ist gerade nicht medizinisch notwendig, wenn sie keinerlei Auswirkungen auf die nachfolgende Behandlung hat. Wie H in ihrer Stellungnahme vom 16.06.2020 für den Senat anschaulich und nachvollziehbar geschildert hat, nimmt die Relevanz eines PFO mit dem Alter ab, da andere kardiovaskuläre Risikofaktoren mit steigendem Lebensalter an Bedeutung gewinnen, die viel schlimmer wiegen, hier etwa die arterielle Hypertonie. Selbst bei bestätigter PFO wäre lediglich mit einer Thrombozytenhemmung mit ASS 100 mg/d begonnen worden - die aber ohnehin erfolgte. Eine Operation des PFO im Sinne eines Verschlusses wäre - Stand 2014 - nicht erfolgt, wie J und Z in ihrer Stellungnahme vom 29.09.2020 unter Verweis auf die damalige Studienlage erörtert haben. Beide weisen zudem darauf hin, dass sich auch das von W zitierte Konsensuspapier zum PFO aus dem Jahr 2018 (und damit Jahre nach dem hier streitigen Zeitpunkt) nur auf Patienten bezog, die zwischen 18 und 60 Jahre alt waren. Die Versicherte hingegen hatte bereits das 80. Lebensjahr überschritten. Dass Diagnostik nicht um ihrer selbst willen durchzuführen ist, sondern nur bei medizinischer (Behandlungs-)Relevanz erfolgen darf, folgt auch aus den damit verbundenen Gefahren, die J und Z anschaulich geschildert haben: Nicht nur ist die transösophageale Echokardiografie belästigend, sondern sie muss häufig unter leichter Sedierung durchgeführt werden. Sowohl die Sedierung als auch das Einführen des Geräts können zu Komplikationen führen, die bis zum Sedierungszwischenfall und zur Ösophagusperforation führen können. Es lässt sich schwerlich argumentieren, eine Diagnostik sei medizinisch notwendig, wenn sie zwar Risiken birgt, aber keinen medizinischen Nutzen mit sich bringt.
Diese Argumentation hat der S im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.04.2022 dem Senat erneut anschaulich und überzeugend dargelegt: Im Falle der Versicherten konnten durch Computertomographie, Ultraschall, Kernspintomographie und EEG die Ursachen der TIA eindeutig bestimmt werden, nämlich die Verkalkungen der Halsschlagadern gepaart mit der Hypertonie. Die PFO war den Ärzten im Klinikum bekannt, doch spielte sie für die TIA und deren weitere Behandlung keine Rolle. Insofern sahen die behandelnden Ärzte diesbezüglich von einer weiteren Diagnostik ab. Dies ist für den Senat nachvollziehbar.
Im Ergebnis bedurfte es daher der transösophagealen Echokardiografie nicht, um die OPS 8-981 abrechnen zu können. Die übrigen Mindestmerkmale der OPS 8-981 sind zwischen den Beteiligten nicht streitig und werden daher auch vom Senat nicht in Zweifel gezogen. Auch wenn amtliche Sachaufklärung nicht von Beteiligtenvorbringen (Tatsachenbehauptungen, Beweisanregungen, Beweisanträgen) abhängig ist, begründet der Amtsermittlungsgrundsatz keine Pflicht von Behörden und Gerichten, Tatsachen zu ermitteln, für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige konkrete Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern. In diesem Sinne findet die amtliche Sachaufklärungspflicht ihre Grenze an der Mitwirkungslast der Verfahrensbeteiligten. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - beide Beteiligten, für die jeweils spezialisierte Abrechnungsunternehmen handeln, eine besondere professionelle Kompetenz aufweisen (BSG 06.03.2012, B 1 KR 14/11 R, SozR 4-2500 § 130 Nr 2, Rn 17 mwN; vgl hierzu auch BSG 21.04.2015, B 1 KR 9/15 R, BSGE 118, 225-238, SozR 4-2500 § 109 Nr 45, Rn 29).

Die Beklagte war somit antragsgemäß zu verurteilen.
Der Zinsanspruch folgt aus § 19 Abs 3 des Vertrags nach § 112 Abs 1 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO, da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Hs 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz (GKG).

Gründe für die Zulassung der Revision (§
 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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