L 10 R 1879/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 542/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1879/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15.05.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1960 geborene Kläger absolvierte nach eigenen Angaben von Juli 1979 bis Juni 1982 eine Ausbildung zum Maurer und schloss diese erfolgreich ab. Von 1988 bis 1989 qualifizierte er sich fort zum Maurerpolier. Von Juli 1982 bis März 2014 war er als Maurer und Betonbauer (Vorarbeiter) versicherungspflichtig beschäftigt, jedoch bereits ab November 2012 wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit als solcher nicht mehr tätig. Von November 2012 bis März 2014 bezog der Kläger Krankengeld, im Anschluss hieran bis März 2015 Arbeitslosengeld, im Anschluss hieran erneut Krankengeld bis September 2016 und sodann bis August 2017 wiederum Arbeitslosengeld. Wegen der weiteren Einzelheiten der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 02.02.2021 (Bl. 77 ff. der Senatsakte) Bezug genommen. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 15.11.2013 anerkannt.

Der Kläger beantragte am 30.06.2016 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte ließ die Beklagte den Kläger durch den B (Tag der Untersuchung 31.08.2016) begutachten, der ein degeneratives HWS- und LWS-Syndrom mit Bandscheibenvorfällen C5/6, C6/7, L4/5 und L5/S1 ohne höhergradige Funktionseinschränkungen und ohne wesentliche radikuläre Symptomatik, eine chronische Bronchitis ohne bedeutsame Einschränkung der Lungenfunktion, einen medikamentös nicht vollständig befriedigend eingestellten Bluthochdruck ohne kardiovaskuläre Folgekrankheiten diagnostizierte und den Verdacht auf ein Schlafapnoesyndrom äußerte, der sich im Oktober 2016 bestätigte und mittels CPAP-Therapie behandelt wird. B gelangte zu der Einschätzung, der Kläger könne die letzte berufliche Tätigkeit als Maurer nur noch unter drei Stunden, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten, ohne Überkopfarbeiten und ohne inhalative Belastungen jedoch sechs Stunden und mehr ausüben.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 29.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2017 ab, da der Kläger nicht erwerbsgemindert und nicht berufsunfähig sei. Zwar könne er seine Tätigkeit als Maurer nicht mehr ausüben, jedoch sei ihm eine Tätigkeit als Registrator, Poststellenmitarbeiter oder Lagerverwalter in einem Umfang von sechs Stunden und mehr zumutbar.

Hiergegen hat der Kläger am 21.02.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben.

Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der S hat mitgeteilt, dass bei dem Kläger eine Multimorbidität vorliege und es zu einer massiven Chronifizierung sowie zu einer progredienten Verschlimmerung gekommen sei. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es bestehe „Arbeitsunfähigkeit“ unter drei Stunden, wobei der Schwerpunkt der klägerischen Leiden auf orthopädisch-schmerztherapeutischem Fachgebiet liege.

Der M, Praxisnachfolger des zuvor behandelnden M1, hat mitgeteilt, den Kläger seit März 2017 zu behandeln. Leichte Tätigkeiten im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche seien für ca. drei Stunden unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (wechselnd sitzende und stehende Tätigkeit ohne schweres körperliches Heben und tiefes Bücken) möglich. Eine Tätigkeit als Maurer oder Lagerverwalter erscheine deshalb nicht mehr möglich.

Das SG hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des R eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 22.05.2017 folgende Diagnosen gestellt hat: Verschleißveränderungen der HWS der Etagen C5/6 und C6/7 bei Bandscheibenschädigung mit Höhenminderung des Bandscheibenzwischenraumes, in Höhe C6/7 Einengung der Nervenaustrittsöffnungen mit endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit und anamnestisch angegebenem morgendlichen Taubheitsgefühl der Finger 4 und 5, linksführend gegenüber rechts ohne Nachweis motorischer Paresen; angedeutete linkskonvexe Thorakalskoliose nach Cobb unter 5° mit leicht vermehrter Kyphosierung des oberen und mittleren BWS-Drittels ohne vorauseilende Abnutzungserscheinungen im mittleren BWS-Drittel bei angedeuteter Verdichtung der Rund- und Deckplatten ohne weitergehende Ausziehungen, funktionell freie Entfaltbarkeit, ohne Vorliegen höhergradiger muskulär-statischer Schmerz- und Reizzustände; statische rechtskonvexe Lumbalskoliose bei kernspintomographisch nachgewiesenen Chondrosen des lumbosakralen Übergangsbereiches, Wirbelkörperhämatom L3 mit nativ radiologischer mäßiger Höhenminderung des Bandscheibenzwischenraumes und sehr diskreter Sklerosierung der Wirbelgelenke mit statischer und pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in das kleine Becken, Leistenregion rechts, ohne funktionelle höhergradige Einschränkung der Beweglichkeit oder Nervenwurzelkompressionszeichen; Beinverkürzung rechts um nahezu 3 cm bei kindlicher Schenkelhalsfraktur rechts mit funktionell endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit im Seitenvergleich zu links, Schmerzsymptomatik leistenseitig, teilweise pseudoradikulär aus dem lumbosakralen Übergangsbereich ausstrahlend ohne erkennbare funktionelle Einschränkung der Wegefähigkeit; geklagte belastungsabhängige Kniegelenksbeschwerden bei funktionell guter Beweglichkeit, ohne vorauseilende Abnutzungserscheinungen; degenerative Verschleißveränderungen der Schultergelenke, nativ radiologisch geringgradig mit funktionell allenfalls endgradiger Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit nach subacromialer Dekompression 2013 des rechten Schultergelenkes; reizloses Ellengelenk rechts nach Epicondylitis-humeri-radialis-Operation 2013; Einsteifung des Daumenend-
gliedes links nach Kreissägenverletzung 2003 mit umschriebenem Taubheitsgefühl des Daumens; belastungsabhängige Sprunggelenksbeschwerden bei fremdradiologisch nur mäßigen Verschleißveränderungen, derzeit ohne funktionelle Einschränkung der Gang- und Standvaria als auch der Wegefähigkeit. R hat ausgeführt, der Kläger sei aufgrund der Verschleißveränderungen in den Bereichen der HWS, LWS und Schultergelenke nicht mehr in der Lage, als Maurer zu arbeiten. Einer Tätigkeit als Registrator und Poststellenmitarbeiter könne er in einem Umfang von sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nachgehen, ebenso als Lagerverwalter, soweit die Tätigkeiten qualitative Leistungseinschränkungen berücksichtigten. Qualitative Leistungseinschränkungen bestünden für Tätigkeiten in Armvorhalte und über Kopf, für grob- als auch feinmotorische Tätigkeiten, für wiederkehrende repetitive monotone Belastungen, wie z.B. Erschütterungen und Vibrationen sowie für ausschließlich gehende und stehende Tätigkeiten. Auch sei der Kläger in der Lage, viermal täglich 500 m in weniger als 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Er besitze einen Führerschein, fahre PKW und sei auch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu den Hauptverkehrszeiten zu benutzen.

Das SG hat nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des R1 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 05.02.2018 wegen im Vordergrund bestehender verstärkter Kreuzschmerzen sowie cervicobrachialgieformer Beschwerden mit Ausstrahlung in die rechte untere Extremität zu der Einschätzung gelangt ist, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer Tätigkeit als Maurer oder Lagerverwalter nachzugehen. Die Arbeit als Registrator oder Poststellenmitarbeiter sei für ca. drei Stunden täglich möglich und auch nur dann, wenn ein Wechsel von sitzender und stehender Tätigkeit ohne schweres Heben und Tragen und unter Vermeidung von Zwangshaltungen berücksichtigt werde. Bei sitzender Tätigkeit solle ihm in jedem Fall die Möglichkeit zum Positionswechsel am Arbeitsplatz sowie die Möglichkeit, eine Pause einzulegen, gegeben werden; auch solle gegebenenfalls die Versorgung mit einem höher verstellbaren Schreibtisch und orthopädischem Stuhl und/oder Stehpult erfolgen. Eine Gehstrecke von viermal täglich 500 m in weniger als 20 Minuten sei dem Kläger zumutbar, ebenso wie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Mit Urteil vom 15.05.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (kein Heben und Tragen von schweren Lasten, keine Tätigkeiten in Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, keine ausschließlich gehenden oder stehenden Tätigkeiten), leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten und daher nicht erwerbsgemindert. Hierbei hat es sich auf das Sachverständigengutachten von R gestützt und dargelegt, dass und warum es dem Gutachten des R1 nicht folgt. Das SG hat weiter dargelegt, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei, da er zwar die erlernte und zuletzt ausgeübte Facharbeitertätigkeit als Maurer nicht mehr ausüben könne, jedoch auf eine Tätigkeit als Registrator nach der Entgeltgruppe 3 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder verwiesen werden könne und ihm diese Tätigkeit sozial und gesundheitlich zumutbar sei.

Der Kläger hat am 06.06.2019 gegen das - seinen Prozessbevollmächtigten am 27.05.2019 zugestellte - Urteil Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass das Sachverständigengutachten R1 sowie die Auskünfte der behandelnden Ärzte R1 und R1 sein Klagebegehren stützen. Weiter hat er vorgetragen, dass er sich nach der letzten gutachterlichen Untersuchung weiter in ärztlicher Behandlung befinde und ärztliche Befundunterlagen vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15.05.2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.06.2016 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im August 2019 hat der H bei dem Kläger ein Karpaltunnelsyndrom links diagnostiziert und die Dekompression des Nervus medianus empfohlen.

Der Kläger hat sich vom 18. bis 29.09.2019 zur stationären Behandlung in der Vulpius Klinik, Bad Rappenau, befunden wegen einer chronisch therapieresistenten Lumboischialgie rechts sowie Leistenschmerzen rechts bei NPP L5/S1 mit Tangierung der L5-Wurzel beidseits, aktivierter Spondylarthrose und Osteochondrose L5/S1, multisegmentalen Protrusionen L1 bis L4 sowie einer Coxalgie rechts bei Coxarthrose, beginnender Coxarthrose links und Schmerzen im OSG links. Dort ist eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie, eine Triggerpunkt-Stoßwellentherapie und eine Infiltration des Sakroiliakalgelenkes, der sakroiliakalen Bänder und der Spina ilikaposterior superior beidseits durchgeführt worden, wodurch es ausweislich des Entlassungsberichtes zu einer Beschwerdelinderung gekommen ist. Eine OP-Indikation haben die Ärzte nicht gesehen.

Auf Grund thorakaler Beschwerden hat sich der Kläger auf Veranlassung des behandelnden I im August 2020 in der Tklinik H1 vorgestellt. Dort haben die Ärzte eine Sarkoidose bei mediastinaler Lymphadenopathie (histologisch gesichert, Nachweis von epitheloidzelligen Granulomen ohne Nekrosen und ohne Anhalt für Malignität) diagnostiziert. Gegenüber den behandelnden Ärzten in der Tklinik H1 hat der Kläger angegeben, dass keine Ruhedyspnoe und eine stabile Belastungsdyspnoe ohne schwere Alltagseinschränkungen besteht und sich die Schmerzen unter Belastung verschlimmern. Bei der durchgeführten Bodyplethysmographie hat sich keine Obstruktion und eine Einsekundenkapazität von FEV1 3,3 l (89 %), Tiffeneau-Index 82 %, bei der Bronchoskopie ein unauffälliger endoskopischer Befund des Bronchialsystems gezeigt. Eine Indikation zur Steroidtherapie haben die Ärzte nicht gesehen.

Die schriftlich als sachverständige Zeugin befragte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H2 hat dem Senat mitgeteilt, der Kläger sei bei ihr einmalig im Februar 2019 vorstellig geworden und sie sei damals diagnostisch von rezidivierenden depressiven Episoden mit aktuell leichter bis mittelschwerer Depression sowie einer chronischen Schmerzstörung ausgegangen. Bei nur einmaliger Vorstellung sei eine Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens nicht möglich.

R1 hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit seiner letzten Auskunft gegenüber dem SG verschlechtert habe, insbesondere bezüglich der lumbalen Beschwerden. Zudem hat er auf die neu diagnostizierte Sarkoidose und auf eine im November 2020 bestandene Belastungsdyspnoe bei Verdacht auf Progress einer koronaren Herzkrankheit (KHK) verwiesen.

Der Kläger hat sich Ende November/Anfang Dezember 2020 zur stationären Behandlung im Klinikum am P, Bad Friedrichshall, befunden, in der die Ärzte eine KHK-Eingefäßerkrankung mit geringgradigen Veränderungen der LAD bei normaler systolischer linksventrikulärer (LV) Funktion unter Ausschluss einer kardialen Beteiligung bei bekannter Sarkoidose und unter Ausschluss eines myokardialen Perfusionsdefizits (Durchblutungsstörung des Herzens) diagnostiziert haben. Die Ärzte empfahlen bei kardiovaskulärem Risikoprofil eine konsequente antihypertensive Therapie. Die Lungenfunktionsprüfung hat eine geringgradige restriktive Ventilationsstörung und eine Einsekundenkapazität FEV1 von 2,53 l (72,1 %), Tiffeneau-Index 105,5 %; das Langzeit-EKG einen normalen Sinusrhythmus, kein Vorhofflimmern und keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen gezeigt.

Der Senat hat von Amts wegen das weitere Gutachten des R eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 24.06.2021 ausgeführt hat, dass es im Vergleich zur letzten gutachterlichen Untersuchung vom Mai 2017 auf orthopädischem Fachgebiet zu keiner wesentlichen Verschlechterung gekommen ist. Aufgrund der Verschleißveränderungen vornehmlich der HWS, der Fehlstatik der LWS sowie der oberen und unteren Extremitäten bestünden qualitative Leistungseinschränkungen (keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten, keine Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Rumpfneige, Rumpfrotation, keine einseitige Körperhaltung, keine Zwangshaltung, keine Hebe- und Tragebelastungen über 10 kg ohne mechanische Hilfsmittel, keine Tätigkeiten in Armvorhalte und über Kopf, kein Heben und Tragen beidhändig über 12 kg ohne mechanische Hilfsmittel, keine Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, keine knienden und hockenden Tätigkeiten, keine ausschließlich gehenden und stehenden Tätigkeiten). Der Kläger könne Tätigkeiten unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen noch im Umfang von sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht. Es bestünden unverändert seine bereits getroffenen sozialmedizinischen Einschätzungen im Gutachten von 2017.

Die Beklagte hat die sozialmedizinischen Stellungnahmen der B1 vom 23.03.2020, 16.11.2020 und 05.05.2021 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid vom 29.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGV VI -) weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weswegen ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht zusteht. Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) kann er nicht mit Erfolg beanspruchen, weil er nicht berufsunfähig ist.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI sowie auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) zutreffend dargelegt und gestützt auf das gerichtliche Sachverständigengutachten des R aus dem Jahr 2017 mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (s. dazu oben im Tatbestand) zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Mit zutreffender Begründung hat das SG dargelegt, dass und warum das Sachverständigengutachten des R1 nicht überzeugt. Ebenso zutreffend hat das SG begründet, dass der Kläger auch nicht berufsunfähig ist, weil er jedenfalls die (leichte) Verweisungstätigkeit eines Registrators trotz der bei ihm bestehenden qualitativen Einschränkungen noch (ohne zeitliche Leistungslimitierung) ausüben kann und ihm als Facharbeiter - entsprechend der Rechtsprechung des LSG und auch des erkennenden Senats (vgl. etwa Senatsurteil vom 17.10.2019, L 10 R 2778/17, m.w.N.) - eine derartige Tätigkeit sozial und gesundheitlich zumutbar ist. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Zu ergänzen sind die von dem Sachverständigen R in seinem Gutachten aus dem Jahr 2017 - mit Ausnahme der Einschränkungen für grob- und feinmotorische Tätigkeiten - sowie im Gutachten aus dem Jahr 2021 zusätzlich genannten qualitativen Einschränkungen (s. dazu oben im Tatbestand,), die der Senat einer Beurteilung auch zu Grunde legt.

Auch die weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren, insbesondere die erneute Begutachtung des Klägers auf Grund seiner im Vordergrund stehenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet durch R führen zu keiner anderen Beurteilung, da R - wenn auch bei Annahme weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen - weiterhin von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers ausgegangen ist. Diese Leistungseinschätzung ist für den Senat unter Berücksichtigung der von R in beiden gutachterlichen Untersuchungen erhobenen Befunde an Nacken, Schultergürtel, oberen Gliedmaßen, Rumpf und Rumpfwirbelsäule sowie am Becken und an den unteren Gliedmaßen (Bl. 74 bis 80 SG-Akte, Bl. 121 bis 128 der Senatsakte) und angesichts der erhobenen Tagesstruktur des Klägers (Bl. 73 SG-Akte, Bl. 119 f. der Senatsakte: alleinstehend, versorgt sich selbst, sonntags Ausflug mit Wandergruppe, 2x/Woche Rehasport für 1 Stunde mit Gerätetraining und Fahrradergometer, auf dem Heimtrainer fahren) sowie angesichts der auf dieser Grundlage getätigten Äußerung, dass es seit der letzten Begutachtung zu keiner wesentlichen Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet gekommen ist, überzeugend.

Soweit R allerdings in seinem ersten Gutachten zu der Einschätzung gelangt ist, dem Kläger seien grob- und feinmotorische Tätigkeiten unzumutbar, überzeugt dies den Senat in Ansehung der von ihm sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Begutachtung erhobenen Befunde nicht. Die Handgelenke haben bei der Untersuchung keine funktionellen Einschränkungen der Beweglichkeit, keinen Reizzustand, keine Ergussbildung und keine Überwärmung gezeigt. Zudem waren die Hohlhandbeschwielung beidseits unauffällig und die Daumen- und Langfingerfunktionen, auch hinsichtlich der unterschiedlichen Greifarten, intakt. Soweit der Kläger bei beiden Untersuchungen Taubheitsgefühle in Fingern der linken Hand angegeben hat, ist dieses auf das von H diagnostizierte Karpaltunnelsyndrom der linken Hand zurückzuführen. Dieses führt jedoch zu keiner rentenrelevanten und zu berücksichtigenden Beeinträchtigung, da es - wie aus dem Befundbericht von H zu entnehmen - mittels Nervendekompression behandelbar ist und daher keine längerüberdauernde Leistungseinschränkungen begründet. Überdies hat R selbst im zweiten Gutachten an dieser (qualitativen) Leistungseinschränkung nicht mehr festgehalten.

Auch die zwischenzeitlich im Berufungsverfahren diagnostizierte Gesundheitsstörung auf pulmologischem Fachgebiet begründet keine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens des Klägers und damit keine Erwerbsminderung. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die Stellungnahme von B1 vom 05.05.2021, die unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befunde zu der nachvollziehbaren Einschätzung gelangt ist, dass sich aus diesen keine zeitliche Leistungsminderung ableiten lässt. Der Kläger leidet an einer chronischen Bronchitis und an einer Sarkoidose bei mediastinaler Lymphadenopathie, wobei jedoch - wie dem ärztlichen Bericht der Tklinik H1 zu entnehmen ist - keine Ruhedyspnoe und eine stabile Belastungsdyspnoe ohne schwere Alltagseinschränkungen besteht und die Funktionsuntersuchungen der Lunge und Bronchien im Wesentlichen unauffällig gewesen sind. Auf Grund dessen haben die Ärzte auch keine Veranlassung für eine Steroidtherapie gesehen. Auch die im Dezember 2020 im Klinikum am P durchgeführte Lungenfunktionsprüfung hat keine relevanten Funktionseinschränkungen der Lunge ergeben. Wesentliche Einschränkungen, die über die ohnehin auf Grund der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden qualitativen Gesundheitsstörungen hinaus zu berücksichtigen sind und ein zeitlich vermindertes Leistungsvermögen begründen, lassen sich daher aus dieser Erkrankung im aktuellen Erkrankungsstadium nicht ableiten. Hierauf hat B1 zutreffend hingewiesen und dies ist vereinbar mit einer (nur) vierteljährlichen Kontrolluntersuchung bei dem behandelnden I (Angaben des Klägers, Bl. 119 der Senatsakte).

Ein zeitlich vermindertes Leistungsvermögen lässt sich auch nicht aus der auf kardiologischem Fachgebiet diagnostizierten KHK-Eingefäßerkrankung ableiten. Dies hat B1 in ihrer Stellungnahme vom 05.05.2021 zutreffend unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befunde ausgeführt. Die Sarkoidose hat sich - wie dem Entlassungsbericht des Klinikums am P zu entnehmen ist - nicht auf das Herz ausgedehnt. Das im Dezember 2020 durchgeführte Langzeit-EKG hat keine relevante Einschränkung der Herzfunktion gezeigt, kardiologische Kontrolluntersuchungen finden (nur) halbjährlich statt (Angaben des Klägers, Bl. 119 der Senatsakte). Auch dieser Erkrankung wird daher mit den bereits bestehenden und berücksichtigten qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen.

Auch auf psychiatrischem Fachgebiet liegen keine Gesundheitsstörungen vor, die eine Leistungsminderung des Klägers im rentenrelevanten Umfang begründen. Der Kläger war lediglich einmalig im Jahr 2019 bei der H2 vorstellig, der daher eine Beurteilung der aktuellen Leistungsfähigkeit des Klägers nicht möglich gewesen ist. Indes kann bereits aus dem Umstand, dass der Kläger seitdem nicht mehr bei ihr in Behandlung war und auch sonst keine fachärztliche psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung stattfindet, abgeleitet werden, dass der Leidensdruck des Klägers nicht sehr ausgeprägt ist. In Bezug auf die von dem Kläger im Jahr 2019 geschilderte depressive Symptomatik hat H2 ausgeführt, dass eine reaktive Störung nach Trennung von der Partnerin vorlag, die wiederum vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, nicht jedoch eine längerüberdauernde Erwerbsunfähigkeit als Maurer begründet. Soweit sie ausgeführt hat, dass die von ihm geklagte Schmerzproblematik des Rückens eine Tätigkeit als Maurer „problematisch erschein(en)“ lasse, folgen dem sowohl die Beklagte als auch das SG und der Senat, denn insoweit gehen alle übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger eine Tätigkeit als Maurer nicht mehr zumutbar ist, was indes zu keiner anderen Beurteilung der Erwerbsfähigkeit führt.

Soweit R1 und R1 die Auffassung vertreten, der Kläger sei selbst unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen nur noch in einem Umfang von unter drei Stunden bzw. von drei Stunden für Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig und sie dies mit den Erkrankungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet bzw. den komplexen multiplen Beschwerden begründen, ist diese Auffassung durch die Gutachten des R sowie die fachärztlichen Befundunterlagen der Tklinik H1 und des Klinikums am P widerlegt.

Auch der Umstand, dass bei dem Kläger ein GdB anerkannt ist, ist für das vorliegende Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ohne entscheidende Bedeutung. Denn der Schwerbehinderteneigenschaft eines Versicherten kommt hinsichtlich seiner zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit keinerlei Aussagekraft zu (BSG, Beschluss vom 19.09.2015, B 13 R 290/15 B, in juris).

Damit steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass er weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dass er seinen Beruf als Maurer nicht mehr ausüben kann - wovon auch die Beklagte ausgeht -, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Was den erhobenen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) anbelangt, hat das SG zutreffend dargelegt, dass und warum der Kläger nicht berufsunfähig ist. Darauf wird hier Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch unter Berücksichtigung der von R in seinem Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2021 zusätzlich genannten (qualitativen) Einschränkungen kommt eine abweichende Beurteilung nicht in Betracht.

Die Tätigkeit eines Registrators umfasst das Sortieren der von den zuständigen Bürofachkräften zu bearbeitenden Schriftstücke nach den Vorgaben von Aktenplänen oder anderen Merkmalen, das Erledigen von anfallenden Schreibarbeiten, wie das Führen von Statistiken, Terminüberwachungslisten und Karteien, das Ziehen und Abstellen von Ordnern/Akten, das Weiterleiten der zu bearbeitenden Vorgänge zu den sachbearbeitenden Stellen innerhalb des Betriebs bzw. der Behörde mit Registraturwagen, das Abhängen von Akten oder das Abstellen von Ordnern nach der jeweiligen Bearbeitung. Die schwierigere Tätigkeit im Sinne der (ehemaligen) Vergütungsgruppe BAT VIII umfasst die Mitwirkung bei der Bearbeitung laufender oder gleichartiger Geschäfte nach Anleitung, das Entwerfen von dabei zu erledigenden Schreiben nach skizzierten Angaben, die Erledigung ständig wiederkehrender Arbeiten in Anlehnung an ähnliche Vorgänge, auch ohne Anleitung, die Führung von Brieftagebüchern schwieriger Art, die Führung von Karteien, buchhalterische Übertragungsarbeiten und Kontenführung (vgl. Senatsurteil vom 17.10.2019, L 10 R 2778/17; Senatsurteil vom 11.04.2016, L 10 R 5272/12, jeweils unter Hinweis auf das Urteil des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 25.09.2012, L 13 R 6087/09, in juris, auf der Grundlage umfangreicher Auskünfte von Arbeitgebern im Bereich des Öffentlichen Dienstes, der gesetzlichen Krankenkassen, der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen und unter Hinweis auf die tarifliche Erfassung des Registrators unter Teil 3 Nr. 16 der Entgeltordnung der Länder; s. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 16.12.2015, L 13 R 250/14 m.w.N., in juris).

Tätigkeiten als Registraturkraft in größeren Unternehmen und im öffentlichen Dienst sind als körperlich leichte Tätigkeiten zu qualifizieren, welche bereits aus arbeitsorganisatorischen Gründen im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichtet werden. Schweres Heben und Tragen wird nicht gefordert, da in den Registraturen die erforderlichen Hilfsmittel (Registraturwagen, Ablagemöglichkeiten etc.) in der Regel vorhanden sind. In Einzelfällen kann das Heben und Tragen von Lasten bis zu 5 kg, Arbeiten auf Stehleitern und Zwangshaltungen wie Überkopfarbeiten anfallen. Die körperlichen Belastungen hängen weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsplatzorganisation ab; folglich sind das Handhaben schwerer Aktenvorgänge, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell mit der Tätigkeit einer Registraturkraft verbunden (vgl. Senatsurteil vom 11.04.2016, L 10 R 5272/12; Bayerisches LSG, a.a.O.).
Das oben dargelegte Leistungsvermögen des Klägers entspricht diesem Anforderungsprofil. So ist die Tätigkeit des Registrators leichter Art und sie wird nicht ausschließlich im Gehen und Stehen, sondern im Wechselrhythmus zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt. Sie trägt auch den weiteren qualitativen Einschränkungen Rechnung.

Schließlich sind entsprechende Arbeitsplätze für Registratoren auf dem Arbeitsmarkt auch in nennenswerter Zahl vorhanden (s. erneut Senatsurteil vom 17.10.2019, L 10 R 2778/17, und Senatsurteil vom 11.04.2016, L 10 R 5272/12, jeweils wiederum unter Hinweis auf die vom 13. Senat des LSG Baden-Württemberg durchgeführten berufskundlichen Ermittlungen, s. erneut Urteil vom 25.09.2012, L 13 R 6087/09, in juris). Unerheblich ist, ob dem Kläger ein für ihn geeigneter, freier Arbeitsplatz angeboten werden kann, denn das Risiko, ob ein Versicherter auch tatsächlich einen für ihn geeigneten und zumutbaren Arbeitsplatz erhält, fällt in den Bereich der Arbeitslosenversicherung und ist deshalb nicht von der Rentenversicherung zu tragen, die ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat (BSG, Urteil vom 14.05.1996, 4 RA 60/94, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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