L 13 AL 437/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 2525/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 437/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Die im Jahr 1963 geborene Klägerin, slowenischer Staatsangehörigkeit, bei der das Landratsamt L wegen der Funktionsbeeinträchtigung „Degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Chronisches Schmerzsyndrom“ mit Bescheid vom 14. Mai 2014 einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit dem 13. Dezember 2013 feststellte, ist seit Januar 2009 bei der O GmbH & Co. KG (O GmbH) als K beschäftigt.

Am 3. Dezember 2014 beantragte sie bei der Beklagten (formlos) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Hierzu gab sie unter dem 8. und dem 31. Dezember 2014 an, infolge ihrer Erkrankungen könne sie nicht mehr an einem rotierenden Arbeitsplatz und im Schichtbetrieb arbeiten. Sie leide an starken Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, an Fibromyalgie, Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und Übelkeit. Wegen der Erkrankungen sei es ihr nicht mehr möglich, eine Arbeit in Vollzeit zu verrichten. Sie sei deshalb vom 27. August 2012 - 14. Januar 2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Seit dem 15. Januar 2014 werde (bis zum 16. Januar 2015) versucht, sie in einem Umfang von (derzeit) fünf Stunden täglich wieder einzugliedern. Der Arbeitgeber habe ihr bereits angeraten, einen Austritt aus dem Betrieb in Betracht zu ziehen. Sie habe gegenüber dem Arbeitgeber beantragt, die Arbeitszeit auf 25 wöchentliche Arbeitsstunden zu reduzieren. Mit dem Antrag legte sie eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage des S, die dieser im Verfahren der Klägerin vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG - S 5 SB 2947/14 -) gegen das Land Baden-Württemberg erstattet hatte, vor. Die Klägerin fügte ihrem Antrag ferner ein Vorerkrankungsverzeichnis ihrer Krankenkasse, der AOK Baden-Württemberg, bei.

Auf Anfrage der Beklagten teilte K1 für den Betriebs- bzw. Personalrat der O GmbH unter dem 30. Januar 2015 mit, dass die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin zu häufigen Fehlzeiten, einem eingeschränkten Arbeitseinsatz und geringen betrieblichen Einsatzmöglichkeiten führten. Der derzeitige Arbeitsplatz der Klägerin sei aus Sicht des Betriebsrats nicht geeignet. Eine Verbesserung könne durch technische Hilfen und organisatorische Veränderungen erreicht werden. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei nicht vorgesehen. Der Arbeitsplatz sei wegen häufigen Fehlzeiten gefährdet. Eine Gefährdung trete auch auf, wenn die Teilnahme an der Rotation neue gesundheitliche Probleme mache. Eine Kündigung sei nicht ausgesprochen. Sollte sich der aktuelle Gesundheitszustand durch die Teilnahme an der Rotation wieder verschlechtern, sei die Unterstützung durch den Betriebsrat und externe Stellen unbedingt erforderlich.

Für die O GmbH führte F unter dem 17. Februar 2015 aus, dass am 16. Januar 2015 vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (- 26 Ga 24/14 -) ein Vergleich geschlossen worden sei, nach dem die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin ab dem 15. Januar 2015 auf 25 Stunden wöchentlich verkürzt werde und die Klägerin allein auf dem Arbeitsplatz „Preisauszeichnung“ eingesetzt werde. Ferner sei vereinbart worden, dass die Klägerin im Rahmen der Arbeitsplatzrotation ab dem 1. Februar 2015 einmal pro Woche (ab dem 1. März 2015 zweimal wöchentlich) auch auf dem Arbeitsplatz „Vereinzelung“ eingesetzt werden dürfe. Ab dem 1. Juni 2015 sei der Arbeitgeber berechtigt, die Klägerin rotierend auf den Arbeitsplätzen „Vereinzelung“ und „Verpackung“ einzusetzen. Hinsichtlich des Arbeitsplatzes „Verpackung“ gelte dies nur, wenn der Einsatz der Klägerin nach betriebsärztlicher Einschätzung und gegebenenfalls nach Umorganisation des Arbeitsplatzes möglich sei. Der Einsatz auf den Arbeitsplatz „Vereinzelung“ erfolge maximal zweimal pro Woche, alternativ einmal pro Woche auf dem Arbeitsplatz „Verpackung“. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei nach diesem Vergleich für die Klägerin geeignet; er, der Arbeitsplatz, sei nicht gefährdet.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gleichstellung mit einem behinderten Menschen ab. Infolge des gerichtlichen Vergleichs sei der Arbeitsplatz der Klägerin nicht aus gesundheitlichen Gründen gefährdet.

Hiergegen erhob die Klägerin am 6. März 2015 Widerspruch, mit dem sie vorbrachte, das gerichtliche Verfahren sei erforderlich gewesen, weil der Arbeitgeber sie, die Klägerin, angewiesen habe, die Arbeit trotz anderslautender ärztlicher Stellungnahme einerseits in Vollzeit und andererseits in der vollen Rotation auf sämtlichen Arbeitsplätzen (Preisauszeichnung, Vereinzelung und Verpackung) zu verrichten. Im Vergleichswege sei das Direktionsrecht des Arbeitgebers stark begrenzt worden. Gerade daraus ergebe sich aber, dass die Klägerin behinderungsbedingt nur noch eingeschränkt im Betrieb des Arbeitgebers einsetzbar sei. Dies sei ein Anzeichen für einen Ursachenzusammenhang zwischen Behinderung und dem Erfordernis der Gleichstellung. Außerdem gelte es abzuwarten, ob ihr die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit auf den anderen Arbeitsplätzen gelinge.

Auf Anfrage der Beklagten ist am 11. Juni 2015 telefonisch durch die O GmbH mitgeteilt worden, dass die Wiederaufnahme der Arbeit durch die Klägerin entsprechend den Vorgaben im gerichtlichen Vergleich vom 16. Januar 2016 erfolgt sei. In den Arbeitsgebieten „Preisauszeichnung“ und „Vereinzelung“ sei dies gut gelungen, im Bereich „Verpackung“ hingegen nicht. Nach Absprache mit dem Betriebsarzt arbeite die Klägerin derzeit 25 Stunden pro Woche in den Bereichen „Preisauszeichnung“ und „Vereinzelung“, im Bereich „Verpackung“ sei sie nicht tätig. Dies sei eine Dauerlösung. Alle Punkte, die das Arbeitsverhältnis hätten gefährden können, seien, so die O GmbH, ausgeräumt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Der von der Klägerin innegehaltene Arbeitsplatz sei, so die Beklagte begründend, geeignet. Die Klägerin könne auf diesem Arbeitsplatz auch in Ansehung der gesundheitlichen Einschränkungen tätig sein.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. August 2015 Klage zum SG erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, sie verrichte ihre derzeitige Tätigkeit nur in den Bereichen „Preisauszeichnung“ und „Vereinzelung“. Im Bereich „Verpackung“ könne sie hingegen nicht tätig sein, weswegen nunmehr eine ungünstige Konkurrenzsituation im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern bestehe, die umfassend eingesetzt werden könnten. Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung führte dies dazu, dass sie betreffend keine Sozialauswahl anzustellen sei, da sie auf keinen anderen Arbeitsplatz versetzt werden könne.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie betont, dass die O GmbH eine Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers verneint habe. Der Umstand, dass der Arbeitgeber in seinem Direktionsrecht hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt sei, rechtfertige keine Gleichstellung, da zwischen der Behinderung und der Gefährdung des Arbeitsplatzes eine kausale Verknüpfung bestehen müsse.

Auf Anfrage des SG ist seitens der O GmbH durch M unter dem 2. August 2016 mitgeteilt worden, dass die Einsatzmöglichkeiten der Klägerin eingeschränkt seien. Man setze sie entsprechend dem gerichtlichen Vergleich ein. Ergänzend wurden die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin im Zeitraum 2015 und 2016 mitgeteilt. Seit dem 17. Januar 2015, dem Zeitpunkt, zu dem die Arbeitszeit reduziert worden sei und der Arbeitsplatz angepasst worden sei, gebe es keine Klagen über körperliche Beschwerden mehr.
Mit Urteil vom 17. Januar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Nach dieser Regelung seien behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50 aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichzustellen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. Ein „nicht Behalten können“ i.S.d. § 2 Abs. 3 2. Alt. SGB IX sei anzunehmen, wenn der behinderte Mensch einen grds. geeigneten Arbeitsplatz innehalte und prognostisch festzustellen sei, dass er diesen Arbeitsplatz infolge behinderungsbedingter Schwierigkeiten nicht dauerhaft ausüben könne. Die Gefährdung des bisherigen Arbeitsplatzes sei nicht erst bei einer drohenden Kündigung anzunehmen, sondern bereits dann, wenn als Folge der Behinderung Umbesetzungen mit einer deutlichen Unter- oder Überforderung des Behinderten drohten. Die Behinderung müsse wesentliche Ursache für eine mögliche Arbeitsplatzgefährdung sein. Die anzustellende Prognose sei im vorliegenden Fall anhand der aktuell ausgeübten Tätigkeit zu bestimmen, die sich aus dem Inhalt des arbeitsgerichtlichen Vergleichs ergebe. Nach diesem sei die Klägerin aktuell in einem zeitlichen Umfang von 25 Stunden pro Woche hauptsächlich auf dem Arbeitsplatz „Preisauszeichnung“ tätig. Dieser Arbeitsplatz der Klägerin sei nach der Auskunft der O GmbH geeignet. Er, der Arbeitsplatz, sei auch nicht gefährdet. Dies habe der Arbeitgeber verneint. Eine Kündigung sei weder beabsichtigt noch angedacht. Soweit die Klägerin auf Nachteile bei einer möglichen Sozialauswahl im Falle von betriebsbedingten Kündigungen hinweise, sei dies nicht geeignet, eine Gefährdungsprognose zu tragen. In die Prognose seien allein Gründe einzustellen, die ihren Grund in der Behinderung der Klägerin und den darauf beruhenden Schwierigkeiten, die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, hätten. Die klägerseits angeführten Nachteile gründeten i.d.S. nicht in der Behinderung der Klägerin. Diese fänden ihre Ursache vielmehr in betriebsbedingten Kündigungen, die grds. unabhängig von der Frage, ob ein Arbeitnehmer behindert, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt oder nicht behindert sei, zu beurteilen seien.

Gegen das ihr am 1. Februar 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Februar 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zu deren Begründung bringt sie vor, das SG habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Es sei insb. fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Arbeitsplatz der Klägerin nicht gefährdet sei. Hierfür sei ausreichend, dass der Arbeitsplatz des behinderten Menschen durch die Gleichstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
sicherer gemacht werde, eine Kündigungsabsicht sei hingegen nicht erforderlich. Auch sei ihre, der Klägerin, Behinderung ursächlich für die Gefährdung des Arbeitsplatzes. Dies folge aus den Arbeitsunfähigkeitszeiten (40 Arbeitstage binnen eines Jahres ab Juni 2015) und dem Umstand, dass die O GmbH zunächst eine Reduzierung der Arbeitszeit abgelehnt habe. Schließlich habe das SG nicht ausreichend berücksichtigt, dass seitens der O GmbH gegenüber dem SG mitgeteilt worden sei, dass sie, die Klägerin, nicht als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt werden könne, ihre konkreten Arbeitszeiten betriebsunüblich seien, sie nicht rollierend tätig werden könne und ihr von anderen Mitarbeitern zugearbeitet werden müsse. Auch das nach dem arbeitsgerichtlichen Vergleich eingeschränkte Zuweisungsrecht des Arbeitgebers schütze ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht. Schließlich vermittle der Vergleich keinen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber habe sie bereits zu einem Gespräch betr. dem betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen und hierbei auf die bestehenden Arbeitsunfähigkeitszeiten hingewiesen. Sie sei behinderungsbedingt im Jahr 2015 27 Tage, im Jahr 2016 24 Tage, im Jahr 2017 53 Tage, im Jahr 2018 52 Tage und im Jahr 2019 126 Tage arbeitsunfähig gewesen. Darüber hinaus lägen weitere, nicht behinderungsbedingte Krankheitszeiten vor. Zuletzt hat die Klägerin mitgeteilt, am 2. September 2019 einen Hirninfarkt erlitten zu haben. Der deswegen gestellte Antrag auf Neufeststellung des Behinderungsrechtsverhältnisses sei jedoch abschlägig beschieden worden (Bescheid des Landratsamts L vom 6. April 2020, Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2020). Hiergegen habe sie ein Klageverfahren beim SG angestrengt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Januar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 20. Juli 2015 zu verurteilen, sie mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie betont, die Klägerin werde derzeit von ihrem Arbeitgeber, dem arbeitsgerichtlichen Vergleich entsprechend, auf einem geeigneten Arbeitsplatz eingesetzt. Eine Gefährdung dieses Arbeitsplatzes sei nicht ersichtlich, konkrete Anhaltspunkt hierzu fehlten. Die angeführten Arbeitsunfähigkeitszeiten seien für den Arbeitgeber kein Anlass gewesen, den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Zweifel zu ziehen. Die klägerseits angeführte „ungünstige Konkurrenzsituation“ und allgemeine Erwägungen zu Kriterien einer Sozialauswahl änderten hieran nichts.

Der Senat hat bei der O GmbH eine Auskunft zum Arbeitsverhältnis der Klägerin eingeholt. Die G hat hierzu unter dem 29. Oktober 2018 mitgeteilt, dass seit der zuletzt am 17. Februar 2015 erteilten Auskunft keine Änderungen im Arbeitsbereich der Klägerin eingetreten seien. Diese werde an drei wöchentlichen Arbeitstagen am Arbeitsplatz „Preisauszeichnung“ und an zwei wöchentlichen Arbeitstagen am Arbeitsplatz „Vereinzelung“ eingesetzt. Sie werde unverändert nicht am Arbeitsplatz „Verpackung“ eingesetzt. Der ausgeübte Arbeitsplatz sei weiterhin für die Klägerin geeignet. Eine (weitere) betriebliche Umsetzung sei nicht vorgesehen. Eine Kündigung sei weiterhin nicht ausgesprochen worden. Die Teilnahme an einem Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement habe die Klägerin abgelehnt.

Mit Schriftsätzen vom 25. Februar 2021 haben die Beklagte und die Klägerin jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des sach- und Streitstandes, insb. des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig.

Die Berufung führt jedoch für die Klägerin inhaltlich nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 20. Juli 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 des § 2 SGB IX vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden (gleichgestellte behinderte Menschen). Im Regelfall („sollen“) besteht hierbei ein Rechtsanspruch des behinderten Menschen, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX vorliegen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. März 2000 - B 7 AL 46/99 R -; Urteil vom 1. März 2011 - B 7 AL 6/10 R -, beide in juris).

Die Behinderungsmerkmale des § 2 Abs. 2 SGB IX liegen in der Person der Klägerin vor, da diese als EU-Bürgerin ihren Wohnsitz (und auch ihre Beschäftigung) rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX hat. Auch ist bei ihr i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX aktuell ein GdB von 30 festgestellt.

Die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen setzt voraus, dass der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX nicht erlangen oder behalten kann.

Funktion der Gleichstellung ist die Integration des Behinderten auf dem Arbeitsmarkt trotz geringerer Einschränkungen als bei Schwerbehinderten im Falle einer konkreten Arbeitsmarktproblematik durch Feststellung seines erhöhten Arbeitsmarktrisikos im Rahmen des Gleichstellungsverfahrens mit dem vordringlichen Ziel der Gewährung von Sonderkündigungsschutz (bei Beschäftigten) oder bei Arbeitssuchenden durch Erzielung von Beschäftigungsanreizen mittels Anrechnung des Gleichgestellten auf die Pflichtplatzquote (vgl. BT-Drs. 7/656; BT-Drs. 7/1515).

Die Klägerin hält einen Arbeitsplatz bei der O GmbH inne, weswegen vorliegend eine Gleichstellung nach der Alternative des „Behaltens eines Arbeitsplatzes“ im Raum steht. Der dort vermittelte Schutz setzt jedoch voraus, dass der zu schützende Arbeitsplatz für den behinderten Menschen geeignet ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. August 2014 - B 11 AL 16/13 R -, in juris, dort Rn. 18). Dies ist dann der Fall, wenn der behinderte Mensch durch die geschuldete Arbeitsleistung gesundheitlich nicht überfordert wird, wenn der behinderte Mensch m.a.W. die Tätigkeit unter Berücksichtigung von Art und Schwere seiner Behinderung auf Dauer ausüben kann. Die Geeignetheit des Arbeitsplatzes ist individuell nach dem Eignungs- und Leistungspotential des Behinderten zu bestimmen (BSG, Urteil vom 6. August 2014, a.a.O. Rn. 19), wobei geringfügige behinderungsbedingte Einschränkungen der Aktionsfähigkeit am Arbeitsplatz die Eignung des Arbeitsplatzes nicht ausschließen. Allgemeine und insb. von der Behinderung unabhängige Risiken des beruflichen Abstiegs sind ebenfalls unerheblich. Ungeeignet für einen konkreten Arbeitsplatz ist somit derjenige, der behinderungsbedingt nicht in der Lage ist, unverzichtbare Tätigkeiten an seinem Arbeitsplatz auszuüben oder diese nur unter Inkaufnahme sofort oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft deswegen auftretender gesundheitsschädlicher Folgen noch verrichten kann. Dagegen ist der Arbeitsplatz nicht schon deshalb ungeeignet, weil Behandlungsbedürftigkeit oder gesundheitlich bedingte Fehlzeiten aufgetreten sind, solange darin ohne Mitwirkung der Arbeitsplatzbelastung nur die Erscheinungsform der Behinderung zum Ausdruck kommt oder trotz Mitwirkung der Arbeitsplatzbelastung keine substanzielle Verschlechterung der Erkrankung oder Ausweitung des Behinderungszustandes zu erwarten ist (Urteil des LSG vom 23. Oktober 2015 - L 8 AL 4146/14 -, in juris, dort Rn. 33). Aktuell ist die Klägerin in Umsetzung des gerichtlichen Vergleichs vom 16. Januar 2015 an drei wöchentlichen Arbeitstagen am Arbeitsplatz „Preisauszeichnung“ und an zwei wöchentlichen Arbeitstagen am Arbeitsplatz „Vereinzelung“ tätig. Am Arbeitsplatz „Verpackung“ wird sie hingegen nicht eingesetzt. Diese tatsächlich verrichtete Tätigkeit ist für die Klägerin in Ansehung ihres körperlichen und psychischen Leistungsprofils weiterhin geeignet. Die mit den Behinderungen einhergehenden funktionellen Einschränkungen stehen dem nicht entgegen. I.d.S. hat bereits M von der O GmbH gegenüber dem SG unter dem 2. August 2016 mitgeteilt, dass es seitens der Klägerin seit der Umgestaltung der Tätigkeit keine Klagen über körperliche Beschwerden mehr gegeben habe. Auch die seit der Umsetzung aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten stehen dem nicht entgegen. Obschon sich diese gegenüber der Zeit vor Beginn des Jahres 2015 signifikant reduziert haben, verkennt der Senat nicht, dass diese auch ab Januar 2015 aufgetreten sind. So bestand nach der von der O GmbH vorgelegten Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Klägerin bei einer Planquote von 3 % im Jahr 2015 eine Krankheitsquote von 15,77 %, im Jahr 2016 von 14,18 %, im Jahr 2017 eine solche von 17,69 % und im Jahr 2018 eine Krankheitsquote von 31,73 %. Diese Krankheitszeiten lassen jedoch nach den, dem vorliegenden Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Baden-Württemberg vom 6. September 2019 zu entnehmenden zu Grunde liegenden Erkrankungen keine substanzielle Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder eine Ausweitung des Behinderungszustandes erkennen, weswegen der Senat keine Zweifel daran hat, dass der von der Klägerin innegehaltene Arbeitsplatz geeignet ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Klägerin auch bei den von ihr ausgeführten Verrichtungen teilweise zugearbeitet werden muss, da das Auftreten einer behinderungsbedingten (qualitativen) Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens für sich genommen noch nicht zum Wegfall der Geeignetheit des Arbeitsplatzes führt, wenn, wie vorliegend, hieraus keine Rückschlüsse auf eine dauerhaft eingeschränkte Einsatzfähigkeit ableitbar sind.

Die Gleichstellung nach der Alternative des „Behaltens eines Arbeitsplatzes“ setzt ferner voraus, dass, wie aus der Formulierung „infolge“ deutlich wird, zwischen der Behinderung und der Erforderlichkeit der Gleichstellung ein Ursachenzusammenhang besteht. Dies ist nicht anhand einer Differenzierung zwischen einer entweder nur abstrakten oder konkreten Prognose betr. die Arbeitsplatzgefährdung zu beurteilen. Der behinderte Mensch soll in das Arbeitsleben integriert bleiben. Er kann deshalb einerseits nicht darauf verwiesen werden abzuwarten, bis der Arbeitgeber Maßnahmen ergreift, die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zielen. In einer solchen Situation käme eine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX in aller Regel zu spät. Andererseits reicht eine rein abstrakte Gefährdung nicht aus, weil - „abstrakt“ betrachtet - das Arbeitsverhältnis des leistungsgeminderten behinderten Menschen stets gefährdet sein kann (LSG, Urteil vom 23. Oktober 2015, a.a.O., Rn. 40 m.w.N.). Ein ursächlicher Zusammenhang ist vielmehr gegeben, wenn der behinderte Mensch bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt ist und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Hierfür ist es einerseits ausreichend, wenn die Behinderung zumindest eine wesentliche Mitursache für die Arbeitsmarktprobleme des behinderten Menschen ist, andererseits genügt es nicht, wenn lediglich betriebliche Defizite bestehen, die nicht auf der Behinderung beruhen. Für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs genügt es, dass der Arbeitsplatz durch die Gleichstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicherer gemacht werden kann, wobei jedoch auch insofern jedenfalls objektive Anhaltspunkte für eine Gefährdung erforderlich sind. Anknüpfungstatsachen für die Kausalitätsprüfung können sich durch die Befragung des Arbeitgebers, Betriebsrates oder Personalvertretungen, aus behinderungsbedingten Fehlzeiten, die Rückschlüsse auf die Gefährdung der Teilhabe am Arbeitsleben zulassen, dem Ob und dem Umfang des Bedarfs an technischen Hilfen, aus Abmahnungen oder Abfindungsangeboten im Zusammenhang mit behinderungsbedingt verminderter Leistungsfähigkeit oder notwendigen Hilfeleistungen anderer Mitarbeiter sowie einer eingeschränkten beruflichen Mobilität ergeben. I.d.S. vermag der Senat nicht festzustellen, dass der Arbeitsplatz der Klägerin wegen ihrer Behinderung gefährdet ist. Das Arbeitsverhältnis ist weder konkret durch eine Kündigung bedroht, noch lassen die Fehlzeiten Rückschlüsse auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses zu, da diese, wie bereits ausgeführt, keine substanzielle Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder eine Ausweitung des Behinderungszustandes erkennen lassen. Da der konkrete Arbeitsplatz der Klägerin behinderungsgerecht ausgestaltet ist, bestehen auch im Hinblick auf die konkret zu verrichtenden Tätigkeiten keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Arbeitsplatzes (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2010 - L 19 AL 51/09 -, in juris, dort Rn. 27).

Dass die O GmbH die Klägerin zu einem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements eingeladen hat, bedingt insofern keine abweichende Beurteilung, da dies ein freiwilliges Angebot an die Klägerin dargestellt hat. Zwar ist seitens der O GmbH unter dem 29. Oktober 2018 mitgeteilt worden, dass der Klägerin bei diversen Tätigkeiten mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand zugearbeitet wird, trotz dessen ist jedoch gleichermaßen ausgeführt worden, dass der Arbeitsplatz der Klägerin weder krankheitsbedingt noch aus anderen Gründen gefährdet ist. Hiernach ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der innegehaltene Arbeitsplatz infolge der Behinderung gefährdet ist. Eine Gleichstellung ist hiernach nicht erforderlich; die Klägerin kann eine solche nicht beanspruchen.

Soweit klägerseits vorgebracht wird, eine Gefährdung liege bereits deswegen vor, weil die Klägerin im Falle einer (betriebsbedingten) Kündigung nicht in eine zu treffende Sozialauswahl einbezogen werden könnte, begründet dies keine abweichende Beurteilung, da eine Gleichstellung jedenfalls nicht bereits deswegen beansprucht werden kann, um einer abstrakten Gefährdung, vorliegend i.S. betriebsbedingter Kündigungen, vorzubeugen (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).

Wegen des ungekündigten Arbeitsverhältnisses bzw. des Fehlens einer bevorstehenden Kündigung besteht auch keine Konkurrenzsituation in Bezug auf den Arbeitsmarkt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 2. März 2000, a.a.O., Rn.18), in der ein Wettbewerbsnachteil der Klägerin aufgrund ihrer Behinderung durch eine Gleichstellung ausgeglichen werden muss.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 20. Juli 2015 ist hiernach rechtmäßig; die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 17. Januar 2017 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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