- Der Antrag wird abgelehnt.
- Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
- Der Streitwert beträgt 333,83 €.
Gründe I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Festsetzung eines Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V).
Die Antragstellerin ist Trägerin eines zur Behandlung von gesetzlich Versicherten zugelassenes Krankenhauses. Im Hause der Antragstellerin wurde der bei der Antragsgegnerin versicherte Patient ….. in der Zeit vom 27.04.2021 bis zum 10.05.2021 stationär behandelt. Die Antragstellerin stellte der Antragsgegnerin diese Behandlung am 12.05.2021 in Höhe von 5.700,99 € in Rechnung.
Die Antragsgegnerin beauftragte am 28.05.2021 den Sozialmedizinische Dienst (SMD) mit einer Prüfung der Abrechnung des Behandlungsfalls. Der SMD teilte dies der Antragstellerin am 01.06.2021 mit und kam in seinem Gutachten vom 20.01.2022 zu dem Ergebnis, dass der OPS 8-550.1 zu streichen sei.
Die Antragsgegnerin machte daraufhin eine Rückforderung in Höhe von 3.338,30 € bei der Antragstellerin geltend, die von der Antragstellerin akzeptiert wurde.
Die Antragsgegnerin setzte mit Bescheid vom 18.02.2022, der der Antragstellerin am 26.02.0222 zugegangen ist, eine Aufschlagszahlung in Höhe von 333,83 € nach § 275c Abs. 3 SGB V fest und kündigte eine Aufrechnung dieses Betrages an.
Die Antragstellerin legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 25.02.2021 – Eingang am 02.03.2022 – Widerspruch ein.
Die Antragsgegnerin bestätigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.03.2022 den Zugang des Widerspruchs und erläuterte in diesem Schreiben die Begründung für die festgesetzte Aufschlagszahlung und gab der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu.
Das Widerspruchsverfahren ist am Tag der Entscheidung noch nicht abgeschlossen.
Die Antragstellerin hat am 04.03.2022 einen Antrag auf gerichtliche Anordnung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und zur Begründung vorgetragen, dass der angegriffene Bescheid formell und materiell rechtswidrig sei. Die formelle Rechtswidrigkeit ergebe sich aus der fehlenden Anhörung nach § 24 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Der Bescheid sei materiell rechtswidrig, da die Aufschlagszahlungen nach § 275c SGB V erst ab dem Jahr 2022 möglich seien. Hierbei sei auf den Zeitpunkt des Beginns der Krankenhausbehandlung abzustellen, hilfsweise auf den Zeitpunkt des Rechnungszugangs bei der Antragsgegnerin und äußerst hilfsweise auf den Zeitpunkt der Einleitung der Prüfung durch den SMD. Alle diese Ereignisse lägen vor dem Stichtag 01.01.2022.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.02.2022 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt zur Begründung vor, dass der Bescheid rechtmäßig sei. Die Anhörung gemäß § 24 SGB X sei nachgeholt worden. Da dies noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides erfolgt sei, sei eine Heilung des formellen Fehlers eingetreten. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig, jedoch insbesondere nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie trägt vor, dass es für den gesetzlich festgelegten Stichtag allein auf die dem medizinischem Gutachten nachfolgende leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse ankomme, denn erst durch diese Entscheidung stehe die Minderung des Rechnungsbetrags fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.
Gründe II:
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen.
§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist hier anwendbar, da die Antragstellerin am 02.03.2022 Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.02.2022 eingelegt hat und dieser Widerspruch nach § 275c Abs. 5 Nr. 1 SGB V keine aufschiebende Wirkung hat.
In § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist kein Maßstab geregelt anhand dessen das Gericht die Entscheidung zur aufschiebenden Wirkung trifft. In Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird einhellig von einer Entscheidung anhand einer Interessensabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem Interesse der Bescheid-Adressatin an der aufschiebenden Wirkung ausgegangen (u.a. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG, Stand: 28.03.2022, Rn. 155, 166; Jüttner/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 86b SGG, Rn. 40 jeweils mwN). Einzubeziehen sind in diese Interessenabwägung vor allem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache – also die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides – und die Folgen für die Antragstellerin bei Vollzug des Bescheides und das öffentliche Interesse am Vollzug des Bescheides; hierbei ist auch die getroffene Wertungsentscheidung des Gesetzgebers zur aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln zu berücksichtigen (u.a. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG, Stand: 28.03.2022, Rn. 166 ff. mwN). Dabei wird überwiegend der Schwerpunkt der Interessensabwägung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gesehen, da bei einer Rechtswidrigkeit des Bescheides kein wesentlichen öffentliches Interesse an dem Vollzug bestehen könne (u.a. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG, Stand: 28.03.2022, Rn. 168, 173 ff.; Jüttner/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 86b SGG, Rn. 45 ff. jeweils mwN).
Nach dem Sinn und Zweck eines Eilverfahrens im einstweiligen Rechtschutz kann es jedoch nicht alleine auf die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren ankommen. Vielmehr ist dies ein Aspekt der Abwägung, welcher in seiner Gewichtigkeit nicht unabhängig von den anderen Abwägungsaspekten betrachtet werden kann (vgl. u.a. Cantzler in BeckOK Sozialrecht, Hrsg.: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 64. Edition, Stand: 01.03.2022, § 86b, Rn. 8 ff.). Diese Wechselbeziehung der Abwägungselemente ergibt sich unter anderem aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Demnach sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs in der Hauptsache und die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung bei einer sofortigen Vollziehung des Bescheides je geringer umso schwerer die drohende Rechtsverletzung ist (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09).
Nach diesem Abwägungsmaßstab war hier zunächst festzustellen, dass der Gesetzgeber für die zwischen den Beteiligten strittige Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 SGB V in § 275c Abs. 5 Nr. 1 SGB V ausdrücklich geregelt hat, dass ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat. Die sofortige Vollziehbarkeit ist somit der gesetzlich geregelte Regelfall, weswegen besondere Gründe vorliegen müssen von diesem Regelfall ausnahmsweise abzuweichen (vgl. u.a. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.02.2004 – L 15 B 69/03 KR ER –, Rn. 5; Wahrendorf in beck-online.GROSSKOMMENTAR; Hrsg: Roos/Wahrendorf/Müller; Stand: 01.02.2022; § 86b, Rn. 116).
Ein besonderes Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung im Sinne einer Betroffenheit von erheblichen Rechtsgütern der Antragstellerin durch die Vollziehung des Bescheides wurde durch die Antragstellerin nicht vorgetragen und drängt sich bei einem Streitwert von 333,83 € auch nicht auf, da diese Summe im Verhältnis zu dem Gesamtumsatz der Antragstellerin wirtschaftlich nicht erheblich ist. Andere als wirtschaftliche Interessen der Antragstellerin sind nicht betroffen. Der Bescheid betrifft nicht die laufenden Behandlungen oder den sonstigen laufenden Betrieb der Antragstellerin.
Die Antragstellerin stellt zu Begründung ihres Antrages vielmehr ausschließlich auf die – ihrer Ansicht nach – offensichtliche Rechtswidrigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin ab.
Eine formelle Rechtswidrigkeit liegt nicht vor, da die Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X im laufenden Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde und der Formfehler somit nach § 41 SGB X geheilt wurde.
Materiell ist der Bescheid der Antragsgeberin vom 18.02.2022 möglichweise rechtwidrig. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit kann jedoch nicht festgestellt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Erfolg in der Hauptsache derzeit offen ist.
Es handelt sich zwar ausschließlich um eine strittige Rechtsfrage, da der Sachverhalt zwischen den Beteiligten unstrittig ist, jedoch kann der Erfolg in der Hauptsache auch dann offen sein, wenn lediglich über eine Rechtsfrage entscheiden werden muss (vgl. u.a. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, 2020, § 86b Rn. 16c mwN). Denn vorliegend sind beide Auslegungen der streitigen Norm vertretbar, so dass letztlich offen bleiben muss wie die vollständig besetzte Kammer in der Hauptsache entscheiden wird.
Nach § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V haben ab dem Jahr 2022 die Krankenhäuser bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen.
Der Wortlaut des § 275c Abs. 3 SGB V ist nicht nur auslegungsfähig, sondern auslegungsbedürftig, da in § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht angegeben ist, nach welchem Merkmal entschieden wird, ob der Stichtag (01.01.2022) im Einzelfall eingetreten ist.
Für die Ansicht der Antragstellerin spricht, dass sich der zeitliche Anwendungsbereich von Regelungen im SGB V und insbesondere im Rahmen der Prüfung von Krankenhausabrechnungen zumeist nach dem Tag der stationären Aufnahme richtet (vgl. u.a. § 14 Abs. 1 PrüfvV; vgl. auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23.05.2017 – B 1 KR 24/16 R).
Sachlich zwingend ist dies jedoch nicht, da § 275c Abs. 3 SGB V den Ablauf des stationären Aufenthaltes in keiner Weise beeinflusst und der zeitliche Geltungsbereich der Norm somit für die Behandlung des Versicherten unerheblich ist. Des Weiteren spricht gegen diesen zeitlichen Bezug, dass § 275c Abs. 3 SGB V nicht die Vergütung der Behandlung regelt.
Der Zweck der Norm zielt vielmehr darauf ab Einfluss auf die der Behandlung nachfolgende Abrechnung des Behandlungsfalls zu nehmen. Dies legt nahe, dass es für den zeitlichen Anwendungsbereich auf den Zeitpunkt der Abrechnung des Behandlungsfalles ankommt. Auch nach dieser Auslegung wäre der Bescheid rechtswidrig; ebenso wenn sich der zeitliche Geltungsbereich der Norm nach dem Zeitpunkt der Einleitung des Prüfverfahrens richten würde.
Der sachliche Bezug der Aufschlagszahlung ist jedoch, wie die Antragsgegnerin zutreffend vorträgt, der von der Krankenkasse nach § 8 PrüfvV mitgeteilte Erstattungsanspruch aus welchem sich die in § 275c SGB V genannte Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag ergibt. Durch diesen sachlichen Bezug der Abschlagszahlung ist auch die durch die Antragsgegnerin, welche der Einschätzung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) folgt, vorgenommene Auslegung von § 275c Abs. 3 SGB V vertretbar. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Aufschlagszahlung dann an ein Verhalten des Krankenhaus anknüpfen würde, dass vor dem zeitlichen Anwendungsbereich der Norm liegt. Weder der Zweck der Regelung steht dem entgegen, noch das Vertrauen des Krankenhauses auf die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Abrechnung. Die strittige Regelung war dem Krankenhaus schon zum Zeitpunkt der stationären Behandlung und der Abrechnung der Behandlung bekannt, da die Regelung ursprünglich bereits zum 01.01.2020 Anwendung finden sollte und lediglich pandemiebedingt der Wortlaut des § 275c Abs. 3 SGB V von 2020 auf 2022 geändert wurde.
Folgt man der Argumentation, dass es erst nach der Prüfung der Abrechnung zu einer Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag kommen kann (an die die Aufschlagszahlung anknüpft), ist ein weiterer für das Entstehen der Forderung maßgeblicher Zeitpunkt der Abschluss des Prüfverfahrens durch den MD (vgl. § 275c Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB V). Auch wenn man an den Abschluss der Prüfung durch den MD als maßgebliches Kriterium anknüpft, wäre der Bescheid rechtmäßig, da der SMD sein Gutachten im Januar 2022 erstellt und übersendet hat.
Angesichts der nur geringen Belastung der Antragstellerin durch den strittigen Bescheid liegen bei dem dargelegten unklaren Ausgang der Hauptsache keine ausreichend gewichtigen Gründe vor, um abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 275c Abs. 5 Satz 1 SGB V eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, da in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre (§ 172 Abs 3 Nr. 1 SGG).
Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zu Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).