Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 05.02.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig, ob der Kläger einen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Der 1950 geborene Kläger war in der Zeit vom 15.03.2016 bis zum 23.04.2016 als Fahrzeugreiniger bei der Fa. A (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt.
Am 27.04.2016 beantragte er bei der Beklagten telefonisch, die bei ihm bestehenden Atemwegsbeschwerden als Berufskrankheit anzuerkennen. Er führe diese auf seine berufliche Tätigkeit als Fahrzeugreiniger zurück.
In einem von ihm unter dem 27.07.2016 unterzeichneten Fragebogen gab der Kläger an, die Erkrankung habe sich erstmals am 29.03.2016 in Gestalt von Atemnot bemerkbar gemacht. Zuvor habe er ein Stechen in der Nase bei der Fahrzeugreinigung gehabt. Er führe die Erkrankung auf die bei der Fahrzeugreinigung verwendeten Reinigungsmittel zurück und sei deswegen bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin G und dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt M in Behandlung. Seit dem 29.03.2016 liege Arbeitsunfähigkeit vor.
Die Beklagte zog daraufhin ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers bei und holte einen Befundbericht des M ein. Dieser gab an, der Kläger habe ihn am 30.06.2016 konsultiert und habe über eine Behinderung der Nasenatmung und „Asthma“ geklagt. Bei der Untersuchung habe sich eine Verlegung der Nasenhaupthöhlen mit Schleimhautpolypen gezeigt. Diagnostiziert habe er eine Polyposis nasi et sinuum. Über Fragen des Berufs habe man nicht gesprochen (Befundbericht vom 07.09.2016). Zudem holte die Beklagte eine Auskunft der Arbeitgeberin ein, die unter dem 12.09.2016 angab, der Kläger sei in Ausübung seiner Tätigkeit mit Reinigungsmitteln und Kaltreinigern in Berührung gekommen. Sie habe keine Kenntnis von einem Arbeitsunfall des Klägers.
Mit Schreiben vom 18.10.2016 legte der Kläger u.a. einen Befundbericht der A1 vom 13.10.2016 vor, die ein partiell kontrolliertes gemischtförmiges Asthma bronchiale und eine Sinusitis maxillaris chronica diagnostiziert hatte. Weiter legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Spacek vor, wonach beim Kläger seit dem 15.04.2016 wegen der Diagnose „J44.90 G“ (chronische obstruktive Lungenerkrankung) Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte, sowie den Befundbericht über eine am 11.10.2016 durchgeführte CT-Untersuchung des Thorax (Befundbericht der Fachärzte für Radiologie L und K vom 12.10.2016.
In einem an die Beklagte gerichteten Schreiben der A1 vom 18.10.2016 gab diese an, sie habe den Kläger erstmals am 29.03.2006 behandelt. Damals habe der Kläger über starke Atemnot geklagt. Sie habe die Diagnosen „bekanntes gemischtförmiges Asthma bronchiale, Polyposis nasi“ gestellt. Erneut habe sie den Kläger am 10.08.2016 behandelt. Zu diesem Zeitpunkt habe er über intermittierende Atemnot geklagt. Das Asthma bronchiale sei am ehesten intrinsischer Genese. Es bestehe zudem eine Polyposis nasi. Eine berufliche Verursachung der Erkrankung sei eher unwahrscheinlich.
Im Rahmen eines zwischen den Beteiligten am 27.10.2016 geführten Telefonats, gab der Kläger an, während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bei der Arbeitgeberin sei es zu einem Arbeitsunfall gekommen, bei dem er durch das Einatmen von Reinigungsmitteln, Ölen, Benzin und AdBlue Schädigungen der Atemwege, der Lunge sowie der Nasennebenhöhlen erlitten habe. Konkretisierend führte der Kläger mit Schreiben vom 28.11.2016 aus, am 23.03.2016 sei es zu einem Unfallereignis mit dem Wirkstoff AdBlue gekommen. Er habe auf Anweisung AdBlue in ein Fahrzeug gefüllt, bei dem sich der Einfüllstutzen im Kofferraum des Fahrzeuges befunden habe. Hierbei sei der Wirkstoff übergeschwappt und er sei den hieraus entstandenen Dämpfen ausgesetzt gewesen. Ab dem nächsten Tag sei er arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe sich über längere Zeit bei mehreren Ärzten in Behandlung befunden, die die dem Schreiben beigefügten Atteste ausgestellt hätten. Beigefügt war dem Schreiben ein Attest des Facharztes für Innere Medizin und Gastroenterologie S vom 05.04.2016, demzufolge eine allergische Rhinitis und Sinusitis vorliege, die am ehesten als Allergie auf Putzmittel einzuordnen sei, sowie die bereits aktenkundigen Befundberichte der A1 vom 13.10.2016 und der L und K vom 12.10.2016.
Daraufhin holte die Beklagte eine Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin S1 ein, der in seiner schriftlichen Mitteilung vom 23.01.2017 angab, der Kläger habe sich nicht wegen eines Unfalls bei ihm in Behandlung befunden. Auf erneute Anfrage der Beklagten gab die Arbeitgeberin mit Email vom 13.03.2017 an, besondere Vorkommnisse während der Beschäftigung des Klägers seien nicht bekannt.
Mit Bescheid vom 27.04.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung des angegebenen Ereignisses vom 23.03.2016 als Arbeitsunfall ab. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe nicht. A1 habe in der Untersuchung im Juni 2016 ein Asthma bronchiale intrinsischer Genese festgestellt. Anzeichen einer Exposition gegenüber Reinigungsmitteln seien nicht gefunden worden. Somit sei weder ein plötzliches äußeres Ereignis noch ein unfallbedingter Gesundheitsschaden nachgewiesen.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, A1 habe ihn nach dem Unfall Anfang August 2016 gesehen. Zudem forderte er die Übersendung des Sicherheitsdatenblatts zu „AdBlue u.a.“ an. Nach Übersendung des angeforderten Sicherheitsdatenblatts wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2017 zurück. Es könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass es am 23.03.2016 während der beruflichen Tätigkeit zu einem Unfallereignis gekommen sei. Der Arbeitgeberin seien keine besonderen Vorkommnisse bekannt. Auch gegenüber der Beklagten habe der Kläger keine zeitnahen Angaben gemacht. Ebenso wenig gehe aus den ärztlichen Berichten hervor, dass es am 23.03.2016 zu einem Unfallereignis gekommen sei. Vielmehr gehe aus den der Beklagten vorliegenden Unterlagen ein seit vielen Jahren bestehendes Asthma bronchiale bei Polyposis nasi hervor, das auch bei den aktuellen Arztkontakten diagnostiziert worden sei.
Die deswegen vom Kläger zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene, unter dem Az. S 14 U 3133/17 geführte Klage wurde gemäß Schreiben des SG vom 11.05.2018 zurückgenommen.
Mit gleichlautenden Schreiben vom 25.09.2018 und vom 22.10.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Zudem führte er u.a. aus, bei seiner früheren Arbeitgeberin habe er mit aggressiven Reinigungsmitteln gearbeitet, leide noch heute unter Luftnot und einer Putzmittelallergie und gehe von einer Berufskrankheit, andernfalls von einem Arbeitsunfall aus.
Mit Bescheid vom 28.02.2019 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 ab. Aus dem Vortrag des Klägers ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, weshalb sie sich auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 berufe.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, das Einatmen der Dämpfe am 23.03.2016 sei als plötzliches äußeres Ereignis anzusehen und stelle einen Arbeitsunfall dar. Der unfallbedingte Gesundheitsschaden liege mit den noch heute bestehenden Atembeschwerden vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es habe nicht festgestellt werden können, dass bei der Verwaltungsentscheidung vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Der Kläger habe auch keine neuen Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen, die für die Entscheidung wesentlich gewesen seien und bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt geblieben seien. Die Verwaltung habe sich deshalb ohne Sachprüfung auf die Bindungswirkung der getroffenen Entscheidung berufen können.
Mit seiner hiergegen am 28.10.2019 zum SG erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter Verweis auf seine Widerspruchsbegründung weiterverfolgt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 05.02.2020 abgewiesen. Es könne offenbleiben, ob sich die Beklagte mangels neuen rechtserheblichen Sachvortrags rechtsfehlerfrei auf die Bestandskraft der Ausgangsbescheide habe berufen dürfen. Denn selbst wenn sie verpflichtet gewesen wäre, in eine neue Sachprüfung einzusteigen, wäre festzustellen gewesen, dass der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger am 23.03.2016 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Soweit der Kläger vorgetragen habe, dass es durch die tagelange Benutzung von Reinigungsmitteln zu gesundheitlichen Beschwerden gekommen sei, ließen sich unter Zugrundelegung dieses Vorbringens die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht bejahen. Ein Arbeitsunfall verlange dessen Eintreten innerhalb einer Schicht und nicht über einen längeren Zeitraum. Selbst wenn man dem später präzisierten Vortrag des Klägers folgen würde, wonach er beim Überlaufen von AdBlue Dämpfe eingeatmet habe, lasse sich ein Arbeitsunfall nicht feststellen. Es sei bereits fraglich, ob sich das geschilderte Geschehen vom 23.03.2016 tatsächlich so ereignet habe. Im Übrigen bleibe unklar, worin der hierdurch verursachte Gesundheitsschaden liege. Die vom Kläger geschilderten Beschwerden hätten lange vor dem 23.03.2016 vorgelegen. Auch seien ausschließlich gesundheitliche Beeinträchtigungen beschrieben worden, die nicht mit Wahrscheinlichkeiten auf ein Unfallgeschehen zurückgeführt werden könnten, was letztlich auch A1 so gesehen habe, die eine berufliche Verursachung der Erkrankungen für eher unwahrscheinlich gehalten habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Attest von S. Denn hieraus gehe hervor, dass er nicht von einer körperlichen Reaktion auf ein besonderes Ereignis, sondern auf bestehende Arbeitsbedingungen ausgehe. Auf dieser Grundlage käme allenfalls eine Berufskrankheit in Betracht, die nicht Streitgegenstand sei. Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 07.02.2020 zugestellt worden.
Zur Begründung seiner hiergegen am 05.03.2020 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegten Berufung hat der Kläger insbesondere ausgeführt, das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung schütze den Betroffenen in dem gesundheitlichen Zustand, in dem er einen Arbeitsunfall erleide. Es sei allenfalls eine Frage der Kausalität, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung durch den Arbeitsunfall verursacht worden sei. Dies habe das SG aber in keiner Weise geprüft. Auch die Argumentation, dass ein Arbeitsunfall schon deshalb nicht eingetreten sein könne, weil dies erfordere, dass die schädigende Einwirkung in einer Arbeitsschicht aufgetreten sei, trage das Urteil nicht, weil das SG nicht aufgeklärt habe, ob dies vorliegend tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Selbst wenn eine richtungsweisende Verschlimmerung noch nicht eingetreten sein sollte, hätte er ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfalls. Er habe einen konkreten Geschehensablauf vorgetragen, aus dem sich ergebe, dass es am 23.03.2016 beim Einfüllen des Stoffes AdBlue zu einem Arbeitsunfall gekommen sei. Da das schädigende Ereignis während einer einzelnen Arbeitsschicht eingetreten sei, lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vor. Zudem habe das SG keine eigenen Ermittlungen bei der früheren Arbeitgeberin durchgeführt. Da die ehemalige Arbeitgeberin bestätigt habe, dass der Kläger unmittelbar nach dem Ereignis arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass sein Vortrag zutreffend sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 05.02.2020 und den Bescheid der Beklagten vom 28.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Rücknahme des Bescheides vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 das Ereignis vom 23.03.2016 als Arbeitsunfall festzustellen,
hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass es am 23.03.2016 zu einem Arbeitsunfall gekommen ist, bei dem der Kläger durch das Einatmen von Reinigungsmitteln, Ölen, Benzin und AdBlue Schädigungen der Atemwege, der Lunge und der Nasennebenhöhle erlitten hat, Herrn S2 als Geschäftsführer der A Verwaltungsgesellschaft mbH, der persönlich haftenden Gesellschafterin der A Autovermietung GmbH & Co. KG als Zeugen zu vernehmen, sowie
hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass es am 23.03.2016 zu einem Arbeitsunfall gekommen ist, bei dem der Kläger durch das Einatmen von Reinigungsmitteln, Ölen, Benzin und AdBlue Schädigungen der Atemwege, der Lunge und der Nasennebenhöhlen erlitten hat bzw. es zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Asthmas bronchiale gekommen ist, ein lungenfachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die als kombinierte Anfechtungs- und, Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 05.02.2020 und der Bescheid vom 28.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2019, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 und die Feststellung des vom Kläger angegebenen Ereignisses vom 23.03.2016 als Arbeitsunfall abgelehnt hat.
1. Die Beklagte hat es vorliegend im Ergebnis zu Recht abgelehnt, auf die Überprüfungsanträge des Klägers vom 25.09.2018 und 22.10.2018 den Bescheid vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 zurückzunehmen und das vom Kläger angegebene Ereignis vom 23.03.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
a) Rechtsgrundlage des Überprüfungsbegehrens ist § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Das Gebot zur rückwirkenden Rücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen einer Bösgläubigkeit (Abs. 1 Satz 2 a.a.O.), für die hier indes keine Anhaltspunkte bestehen. Im Übrigen „kann“ (Ermessen) der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, d.h. außerhalb des Abs. 1 Satz 1 a.a.O., für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2 a.a.O.).
aa) Im vorliegenden Fall findet § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anwendung. (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 R, juris Rn. 11; ebenso BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R, juris Rn. 10; BSG, Urteil vom 30.01.2020 – B 2 U 2/18 R, juris Rn. 15; Baumeister, in: jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 44 Rn. 64.1 <Stand 23.03.2020>).
bb) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 R, juris Rn. 12). Dabei bestimmt der Antrag grundsätzlich den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (BSG, Urteil vom 12.10.2016 – B 4 AS 37/15 R, juris Rn. 13). Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 R, juris Rn. 12).
cc) Vorliegend hat der Kläger mit seinen Überprüfungsanträgen vom 25.09.2018 und vom 22.10.2018 im Kern die Tatbestandsalternative des unrichtigen Sachverhalts geltend gemacht. Denn er hat den Überprüfungsantrag unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens zum angegebenen Unfallereignis und den angeblich dadurch eingetretenen Gesundheitsstörungen begründet und damit unter Nennung eines Sachverhalts, den die Beklagte für nicht erwiesen erachtet hat.
Ob sich die Beklagte vorliegend zu Recht in Anwendung der in den Entscheidungen des 9. und des 4. Senats des BSG (BSG, Urteil vom 03.02.1988 – 9/9a RV 18/86, juris und BSG, Urteil vom 03.04.2004 – B 4 RA 22/00 R, juris) aufgestellten Grundsätze, die in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§ 578 ff. ZPO) oder an § 51 VwVfG ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich sind - Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) fordern (offen gelassen BSG, Urteile vom 30.01.2020 – B 2 U 2/18 R, juris Rn. 19 und vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 R, juris Rn. 13), ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 berufen hat, kann offenbleiben. Denn selbst wenn eine erneute Sachprüfung vorzunehmen gewesen wäre, hätte die Beklagte die Überprüfungsanträge im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vorliegen.
b) Zwar ist der zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 nach Klagerücknahme in dem Verfahren S 14 U 3133/17 bestandskräftig geworden. Die Beklagte ist aber bei Erlass des Bescheides nicht von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger am 23.03.2016 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
aa) Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (st.Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 26.11.2019 – B 2 U 24/17 R, juris Rn. 9; BSG, Urteil vom 20.12.2016 – B 2 U 16/15 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 16/14 R, juris Rn. 9; BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 9). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R, juris Rn 16).
bb) In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2017 das vom Kläger angegebene Unfallereignis vom 23.03.2016 zu Recht nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII anerkannt, weil unabhängig von der Frage, ob ein Unfallereignis im Vollbeweis vorliegt, jedenfalls ein auf das vom Kläger geschilderte Ereignis vom 23.03.2016 mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit ursächlich zurückführbarer Gesundheitserstschaden nicht vorliegt.
(1) Nach dem Vorbringen des Klägers sei am 23.03.2016 beim Einfüllen von AdBlue in den im Kofferraum eines Autos befindlichen Tank ein Teil des Kraftstoffs übergeschwappt und er, der Kläger, sei den daraus entstandenen Dämpfen ausgesetzt gewesen. Es bestehen zwar durchaus Zweifel am Wahrheitsgehalt dieses Vorbringens, nachdem sich jenseits des eigenen Vorbringens des Klägers keine belastbare Bestätigung des Ereignisses feststellen lässt. Insbesondere hat der Kläger seine Arbeitgeberin nicht in Kenntnis des angegebenen Ereignisses gesetzt. So hat diese in der im Wege des Urkundsbeweises verwerteten schriftlichen Auskunft vom 12.09.2016 angegeben, keine Kenntnis von einem Arbeitsunfall zu haben. Auch in der Email vom 13.03.2017 hat die Arbeitgeberin mitgeteilt, ihr seien keine besonderen Vorkommnisse während der Beschäftigung des Klägers bekannt. Darüber hinaus hat der Kläger das angegebene Ereignis auch der Beklagten nicht zeitnah, sondern erst im Oktober 2016 und damit mit sieben Monaten Verzug mitgeteilt. Ausweislich der schriftlichen Stellungnahme des Hausarztes S1 vom 23.01.2017, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, hat der Kläger auch diesem nicht von dem angegebenen Ereignis berichtet, obwohl er ihn drei Wochen nach dem berichteten Vorfall konsultiert hat. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Hausarzt ihm ab dem 15.04.2016 wegen der Diagnose „J44.90 G“ (chronische obstruktive Lungenerkrankung) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, die nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie eine persönliche Untersuchung voraussetzt. Gleiches gilt in Bezug auf den Hals-Nasen-Ohrenarzt M, der den Kläger wegen Beschwerden der Atemwege im Juni 2016 behandelt hat. Ausweislich dessen schriftlicher Stellungnahme vom 07.09.2016, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, hat der Kläger auch ihm gegenüber eine berufliche Implikation nicht erwähnt. Letztlich kann es aber dahinstehen, ob sich das Unfallereignis, wie es der Kläger vorgetragen hat, tatsächlich so ereignet hat. Denn selbst wenn man den Vortrag des Klägers als wahr unterstellen würde, lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht vor, weil, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ein unfallbedingter Gesundheitserstschaden nicht vorliegt. Bereits vor diesem Hintergrund hat entgegen des – darüber hinaus auch unsubstantiierten – Vorbringens des Klägers kein Anlass zu erneuten Sachverhaltsermittlungen bei der Arbeitgeberin bezüglich des angegebenen Unfallereignisses bestanden.
(2) Ein unfallbedingter Gesundheitserstschaden liegt nicht vor. Gesundheitserstschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Versicherungsfalls gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolgen) oder der versicherten Tätigkeit aufgrund der Spezialvorschrift des § 11 SGB VII als Versicherungsfall zuzurechnen sind (mittelbare Unfallfolgen). Das Vorliegen von Unfallfolgen gleich welcher Art ist keine Tatbestandsvoraussetzung des Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 16/11 R, juris Rn. 19).
Der Kläger hat vorgetragen, das angegebene Ereignis vom 23.03.2016 habe bei ihm zu Lungen-, Atemwegs- und Nasen-Nebenhöhlenbeschwerden geführt. Im Rahmen seines schriftlichen Antrags vom 28.11.2016 hat er angeben, er habe sich wegen der genannten Beschwerden „bei mehreren Ärzten zur Behandlung vorgestellt, die die anliegenden Atteste ausgestellt“ hätten. Dem Schreiben haben die Atteste bzw. Befundunterlagen des Facharztes für Innere Medizin, Gastroenterologie PD S vom 05.04.2016, der Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie/Allergologie/Diabetologie A1 vom 13.10.2016 und der Fachärzte für Radiologie L und K vom 12.10.2016 beigelegen. Nach Auswertung dieser Unterlagen, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, haben beim Kläger in der Zeit nach dem 23.03.2016 folgende Gesundheitsstörungen der Lunge, Atemwege und Nasennebenhöhlen vorgelegen: allergische Rhinitis, Sinusitis maxillaris chronica, partiell kontrolliertes gemischtförmiges Asthma bronchiale, Polyposis nasi und Lungenemphysem. Diese Gesundheitsstörungen beruhen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit naturwissenschaftlich-kausal auf der vom Kläger angegebenen Einatmung der AdBlue-Dämpfe am 23.03.2016. Insoweit stützt sich der Senat insbesondere auf die von der Beklagten eingeholte Arztauskunft der A1 vom 18.10.2016. Danach ist das Asthma bronchiale bei bekannter polyposis nasi am ehesten intrinsischer Genese, während eine berufliche Verursachung unwahrscheinlich ist. Diese Einschätzung wird bestätigt durch das von der Beklagten eingeholte Vorerkrankungsverzeichnis. Hieraus ergibt sich, dass sowohl das Asthma bronchiale, als auch die Polyposis nasi und die Nasennebenhöhlenbeschwerden seit vielen Jahren bestehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers bestätigt auch das von ihm vorgelegte Attest des S vom 05.04.2016 keinen unfallbedingten Gesundheitserstschaden. Denn S hat in diesem Attest angegeben, die von ihm diagnostizierte allergische Rhinitis und Sinusitis seien „auf Basis der vorhandenen Befunde am ehesten als Allergie auf Putzmittel einzuordnen“. Er hat die Rhinitis und Sinusitis damit in einen Zusammenhang mit einem Putzmittelkontakt gestellt. Einen Kausalzusammenhang zu den angeblich eingeatmeten AdBlue-Dämpfen hat er nicht bestätigt.
Ebenso wenig hat das angegebene Unfallereignis zu einer wegweisenden Verschlechterung der beim Kläger bestehenden Erkrankungen zur Zeit des angegebenen Unfallereignisses geführt. Auch insoweit stützt sich der Senat auf die Stellungnahme der A1, die eine berufliche Genese der von ihr diagnostizierten Gesundheitsstörungen verneint hat. Dies gilt umso mehr, als sich aus den von A1 vorgelegten Befundunterlagen keine Verschlechterung, sondern eine im Vergleich zur Voruntersuchung verbesserte Lungenfunktion ergibt. Während ausweislich des von ihr vorgelegten Befundberichts vom 29.03.2006 im Jahr 2006 eine schwere obstruktive Ventilationsstörung mit einer Sauerstoffsättigung von 95% bestanden hat, ist das Lungenemphysem im August 2016 mit einer nur leichten Überblähung und einer Sauerstoffsättigung von 98% einhergegangen. Vor diesem Hintergrund haben keine Anhaltspunkte für weitere Sachverhaltsermittlungen bestanden. Allein der unsubstantiierte Vortrag, der Sachverhalt sei bezüglich einer Verschlimmerung nicht aufgeklärt, genügt nicht, um weitere Amtsermittlungspflichten auszulösen. Weder ist die Verwaltung verpflichtet, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln „ins Blaue hinein“ zu überprüfen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.10.2017 – L 7 AS 2722/17 B, juris Rn. 26; vgl. auch Schütze, in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, SGB X § 44 Rn. 44), noch sind die Gerichte zu Ermittlungen „ins Blaue“ hinein verpflichtet (BSG, Urteil vom 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R, juris Rn. 31; Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 1 Rn. 23).
cc) Soweit der Kläger das für einen Arbeitsunfall erforderliche zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignis darin begründet sieht, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei der Arbeitgeberin Kontakt zu Reinigungsmitteln hatte, hat das SG zu Recht das Tatbestandsmerkmal „Unfallereignis“ verneint. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt als zeitliche Grenze, bis zu der das Merkmal „zeitlich begrenzt“ noch bejaht wird, eine Arbeitsschicht (BSG, Urteil vom 31.01.2012– B 2 U 2/11 R, juris Rn. 24). Diesen zeitlichen Umfang hat der Kläger überschritten, nachdem der Kontakt zu Reinigungsmitteln ausweislich der Arbeitgeberauskunft vom 31.10.2016 in jeder der vier Arbeitsschichten stattgefunden hat und auch nicht vom Kläger auf eine bestimmte Arbeitsschicht beschränkt gewesen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers hat auch insoweit kein Anlass für weitere Sachverhaltsermittlungen bestanden, nachdem der Kläger ein konkretes Unfallereignis im Zusammenhang mit dem Einsatz von Reinigungsmitteln nicht vorgetragen hat. „Ermittlungen ins Blaue hinein“ musste der Senat auch hier nicht vornehmen. Der länger als eine Arbeitsschicht andauernde Kontakt zu Reinigungsmitteln kann allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Berufskrankheit von Bedeutung sein, die hier aber nicht Streitgegenstand ist.
dd) Soweit der Kläger zuletzt hilfsweise beantragt hat, „zum Beweis der Tatsache, dass es am 23.03.2016 zu einem Arbeitsunfall gekommen ist, bei dem er durch das Einatmen von Reinigungsmitteln, Ölen, Benzin und AdBlue Schädigungen der Atemwege, der Lunge und der Nasennebenhöhle erlitten hat“, den Geschäftsführer der früheren Arbeitgeberin S2 als Zeugen zu vernehmen, musste der Senat dem Antrag nicht nachgehen.
(1) Soweit er den Zeugen zum Nachweis des Unfallereignisses mit AdBlue angegeben hat, musste der Senat dem bereits deshalb nicht nachkommen, weil der Senat das Vorliegen dieses Unfallereignisses bei seiner rechtlichen Würdigung unterstellt hat und es deshalb auf die zum Beweis gestellte Tatsache nicht ankommt (vgl. B. Schmidt, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 8).
(2) Soweit sich der Antrag auf einen Unfall mit „Reinigungsmitteln, Ölen und Benzin“ bezieht, handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.
Voraussetzung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags ist nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch, dass aufgezeigt wird, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte mit welchem voraussichtlichen Ergebnis Beweis erhoben werden sollte. Denn wesentliche Merkmale eines hinreichend substantiierten Beweisantrags sind eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst eindeutig und präzise zu bezeichnen und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Dem Beweisantragsteller obliegt es daher, die behauptete Tatsache zu individualisieren, d.h. insbesondere in örtlicher und zeitlicher Hinsicht fassbar zu machen. (BSG, Beschluss vom 13.08.2015 – B 9 V 13/15 B, juris Rn. 10). Fehlt dem Antrag die Bestimmtheit bei der Angabe der Tatsachen oder Beweismittel, oder aber gibt der Beweisführer für seine Behauptung nicht genügend Anhaltspunkte an und will erst aus der Beweisaufnahme die Grundlage für seine Behauptungen gewinnen, liegt ein Ausforschungsbeweis vor (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.1979 – 1 RA 84/78, juris; BSG, Beschluss vom 19.112009 – B 13 R 303/09 B, juris Rn. 12), dem das Gericht nicht nachkommen muss (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 33/11 R –, Rn. 24, juris).
In Bezug auf „Reinigungsmittel, Öle und Benzin“ fehlt es an einer bestimmten Tatsachenbehauptung, die der Zeuge bestätigen soll. Einen konkreten, einen Unfallhergang beschreibenden Geschehensablauf hat der Kläger nämlich nur in Bezug auf das angegebene Ereignis mit AdBlue vorgetragen, nicht aber in Bezug auf „Reinigungsmittel, Öle und Benzin“. Vor diesem Hintergrund war der Senat zu der beantragten Zeugenvernehmung nicht verpflichtet.
ee) Ebensowenig musste der Senat dem Antrag auf Einholung eines lungenfachärztlichen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass es am 23.03.2016 zu einem Arbeitsunfall gekommen ist, bei dem der Kläger durch das Einatmen von Reinigungsmitteln, Ölen, Benzin und AdBlue Schädigungen der Atemwege, der Lunge und der Nasennebenhöhle erlitten hat bzw. es zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Asthmas bronchiale gekommen ist, nachkommen. Auch insoweit fehlt es in Bezug auf die Stoffe „Reinigungsmittel, Öle, Benzin“ an einem hinreichend substantiierten Vortrag zu einem konkreten Unfallereignis mit diesen Stoffen. In Bezug auf das angegebene Ereignis mit AdBlue liegt ein ordnungsgemäßer Beweisantrag nicht vor, weil ein hinreichend konkretes Vorbringen zu dem hypothetischen Ergebnis der Beweisaufnahme fehlt, nachdem der Kläger sämtliche Gesundheitsstörungen – Schädigungen der Atemwege, der Lunge und der Nasennebenhöhle bzw. richtungsweisende Verschlimmerung eines Asthmas bronchiale – nebeneinander aufgezählt hat. Im Hinblick auf den Ausdruck „bzw.“ bleibt unklar, ob die Aufzählung alternativ oder kumulativ gemeint ist. Darüber hinaus steht für den Senat angesichts der schriftlichen Auskunft der A1 und des Vorerkrankungsverzeichnisses des Klägers fest, dass die bei ihm bestehenden Erkrankungen der Atemwege, der Lunge und der Nasenebenhöhle nicht beruflicher, sondern intrinsischer Genese sind und sämtlich bereits Jahre vor der kurzzeitigen Tätigkeit bei der Fa. AVIS im Frühjahr 2016 vorbestanden haben. Auch hat A1 angesichts der zuletzt erhobenen verbesserten Befunde keine im zeitlichen Zusammenhang mit dem 23.03.2016 stehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes festgestellt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3025/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 776/20
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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