L 4 R 515/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2724/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 515/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.


Der 1967 in Italien geborene Kläger, Vater zweier 2012 und 2015 geborener Kinder, verließ nach seinen eigenen Angaben die Grundschule in der siebten Klasse und erlernte keinen Beruf. Er arbeitete sodann auf Baustellen. Im Jahr 1984 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über und war seither als Gipser beschäftigt. Im Jahr 2007 zog er in die Schweiz. Seit Juni 2018 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und übt seither keine Beschäftigung mehr aus. Seit Oktober 2019 erhält er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom schweizerischen Sozialamt.

Bereits am 9. August 2018 beantragte der Kläger bei der schweizerischen Ausgleichskasse die Gewährung einer Invalidenrente. Am 11. März 2020 wurde der Antrag - nach medizinischen Ermittlungen und der Ablehnung des Antrags durch die schweizerische Behörde - von dort an die Beklagte übermittelt. Die Beklagte zog daraufhin die medizinischen Unterlagen aus dem Verfahren der schweizerischen Invalidenversicherung bei, unter anderem das Gutachten der „Polydisziplinären medizinischen Abklärungen“ (PDMA) vom 23. Oktober 2019, wonach für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten aus neurologischer Sicht keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestehe. Auffällig sei eine Diskrepanz zwischen den anamnestischen Angaben zum Schmerzniveau und dem nicht durchgängig schmerzgeplagt wirkenden klinischen Eindruck.

Mit Bescheid vom 7. April 2020 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die medizinischen Ermittlungen hätten ergeben, dass er trotz der bestehenden Krankheiten oder Behinderungen noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten nach Einholung der sozialmedizinischen Stellungnahmen der Fachärztin für Chirurgie Dr. B.-K. vom 4. Mai 2020 und des Facharztes für Chirurgie Dr. Sch. vom 8. Juli 2020 mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2020 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, zwar leide der Kläger an einer Minderbelastbarkeit der Halswirbelsäule bei degenerativen Veränderungen bei mäßig mehrsegmentalen Bandscheibenvorfällen mit chronischem Schulter-Arm-Nacken-Symptom (bisher ohne neurologische Ausfälle), an einer chronischen Epicondylitis humeri lateralis beidseits, an einer Minderbelastbarkeit beider Schultern, an einem leichten Carpaltunnelsyndrom beidseits, an einem leichten Sulcus-Ulnaris-Syndrom rechts, an Bluthochdruck, an leichtgradiger COPD, an Gicht, an Adipositas Grad 2, an einer Refluxkrankheit, an Schwerhörigkeit und Tinnitus beidseits sowie an einer Erblindung des linken Auges mit Normalsichtigkeit. Der Kläger sei aber noch in der Lage, unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Hiergegen erhob der Kläger am 11. September 2020 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, er sei seit Juni 2018 arbeitsunfähig und seitdem in ärztlicher Behandlung. Er leide an einer chronischen Wirbelsäulenerkrankung, die nicht operativ behoben werden könne, was dazu führe, dass sein rechter Arm ohne Gefühl bzw. taub sei und er nicht bis zu sechs Stunden arbeiten könne. Zur weiteren Begründung hat er zahlreiche Arztbriefe und Befundberichte vorgelegt, unter anderem die Ambulanzbriefe des Kantonsspital A. vom 10. Februar 2020 (Diagnose: Radikuläres Reiz- und sensibles Ausfallssyndrom C6 rechts mit chronischem zervikospondylogenem Schmerzsyndrom C5-C7; es liege ein Rentenbegehren vor) und vom 29. April 2020, das ärztliche Zeugnis des Dr. Schi. vom 4. Juli 2020 (Arbeitsunfähigkeit 100 % seit 16. Juli 2018, 0 % seit 1. Dezember 2019, 100 % seit 1. Januar 2020 und 0 % seit 1. März 2020), den Arztbrief des Facharztes für Neurologie Dr. Schw. vom 27. Oktober 2020 (der Kläger sei lediglich in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten mit speziellen Pausenmodalitäten in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von Zwangshaltungen primär halb Schichtdicke, max. vier Stunden pro Tag, zu verrichten).

Das SG hat zu weiteren Aufklärung des Sachverhalts das Gutachten des Facharztes für Neurologie (Spezielle Schmerztherapie und Sozialmedizin) Dr. Be. vom 4. Januar 2021 eingeholt. Dieser gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Chronische Schmerzerkrankung/-störung mit somatischen und psychischen Faktoren und mäßiger funktioneller Beeinträchtigung durch myofasciale Schulter-/Nacken-Arm-Schmerzen rechtsbetont, pseudoradikuläre Sensibilitätsstörungen mit Ausstrahlung in die rechte Hand, degenerative Veränderung der Halswirbelsäule mit Bandscheibenvorfällen HWK 3-7 und degenerativen knöchernen Veränderungen (Osteochondrose), Epicondylitis humeri laterlais beidseits, Arthrose linkes Acromioclaviculargelenk, elektrophysiologisch leichtes Carpaltunnelsyndrom links, Schmerz im Bereich beider Kleinfinger (bislang ungeklärter Ursache), Migräne ohne Aura seit Kindheit, wahrscheinlich depressive Anpassungsstörung, Schlafstörung, Tinnitus beidseits seit 2012 (dekompensiert 2013) und vermehrte Tagesmüdigkeit. Im Übrigen bestehe ein Zielkonflikt im Hinblick auf die bestehenden finanziellen Sorgen. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen, Stehen ohne besondere körperliche und geistige Beanspruchung sechs Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche ausführen. Zu vermeiden seien dauerndes oder überwiegendes Stehen oder Gehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten über Kopf und mit Armvorhalte, an laufenden Maschinen, Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, Arbeiten in Kälte, Nässe, im Freien oder Wärmeeinfluss unter Einwirkung von Staub, Gasen, Dämpfen, bei starker Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens, mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art, vermehrter Publikumsverkehr und Arbeiten mit besonderer nervlicher Beanspruchung. Das entspreche etwa auch der Einschätzung des Klägers, der sich lediglich Phasen des Liegens wünsche, um die Nackenmuskulatur zu entspannen. Dazu wären aber aktive Verfahren, wie z.B. die Durchführung eines regelmäßigen Entspannungsverfahrens, eine Gewichtsreduktion, regelmäßige Physiotherapie mit Aufbau eines entsprechenden Muskelkorsetts zur Stabilisierung der Halswirbelsäule, ebenso geeignet. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht notwendig. Auch sei der Kläger in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als fünfhundert Metern innerhalb von über 20 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu nutzen. Innerhalb eines Jahres sei auch eine Besserung seines Gesundheitszustands zu erwarten, wenn er sich einer entsprechenden multimodalen Schmerz- und gegebenenfalls psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung stelle. Zu beachten sei, dass in den Vorberichten wiederholt Inkonsistenzen mit unplausibler, zum Teil stärkster Schmerzintensität, teilweise nicht durchgeführten/angenommenen Therapieangeboten, ein sog. „Rentenbegehren“ erwähnt und zudem Schmerzmedikamente nicht in der angegebenen Dosis eingenommen worden seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 4. Februar 2021 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen schränkten die berufliche Leistungsfähigkeit nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. Be. sowie dem Gutachten der PDMA vom 23. Oktober 2019. Zwar sei der von Dr. Be. erhobene psychische Befund mit einer chronischen Schmerzstörung und einer leichten depressiven Episode bzw. depressiven Anpassungsstörung vereinbar. Das klägerische Erleben von Schmerzen habe aber auch durch die Begutachtung durch Dr. Be. nicht objektiviert werden können. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf eine fehlende Beeinträchtigung der Durchhalte- und Konzentrationsfähigkeit. Als Ursache der anamnestisch geschilderten Tagesmüdigkeit gehe Dr. Be. von einem zugrundeliegenden Schlaf-Apnoe-Syndrom aus, dessen Abklärung jedoch bei dem deutlich adipösen Kläger noch nicht erfolgt sei. Im Ergebnis beeinträchtige die bestehende Schmerzsymptomatik den Kläger in seinem Tagesablauf objektiv nicht derart stark, wie subjektiv von diesem empfunden. So habe er gegenüber dem Gutachter selbst angegeben, nach dem Aufstehen als erstes regelmäßig 30 Minuten spazieren zu gehen und seine bei der Mutter lebenden Töchter morgens oft noch 200 m zur Schule zu begleiten. Weiterhin betreue er seine Töchter zweimal wöchentlich über den Nachmittag bei deren Schularbeiten und führe mit ihnen alle zwei Wochen Freizeitausflüge, beispielsweise in eine Spielhalle, durch. Zusätzlich unterhalte er in 200 m Entfernung zur Wohnung einen Schrebergarten mit einer Fläche von 80 m² mit einem Chalet, was er mit einer Küche und einem Kamin ausgestattet habe. Im Garten pflanze er zwar kein Gemüse an, jedoch versuche er des Öfteren, sich im Chalet bei einem Feuer und Musik am Kamin zu entspannen. Auch hier bestehe ein Anhalt für das Auseinanderfallen der klägerseits angegebenen Schmerzen mit der zu beobachtenden Wirklichkeit. Insgesamt seien wiederholt Inkonsistenzen aufgefallen. Hinzu komme, dass bei dem deutlich zu Tage tretenden Rentenbegehren des Klägers seine anamnestischen Angaben kritisch zu hinterfragen seien. Leitliniengerechte Therapieverfahren, wie eine multimodale Schmerztherapie, eine Psychotherapie bei vermehrter seelischer Belastung, eine regelmäßige körperliche Aktivität oder Entspannungsverfahren, führe der Kläger nicht durch, da er für entsprechende Therapien nicht aufgeschlossen sei. Im Befundbericht des Kantonsspital A. vom 26. Juni 2020 sei die Rede von einer anamnestisch aggravierten Schmerzproblematik. Danach sehe der Kläger die Medikation mit Ibuprofen als einzige Option. Er habe keinen Therapieversuch gewünscht. Aus dem Befundbericht des Kantonsspital A. vom 10. März 2020 werde deutlich, dass für den Kläger keine weiteren Infiltrationen und auch keine Operation infrage kämen, weil er diese Therapieangebote vehement ablehne. Im Bericht der Klinik für Rheumatologie des Kantonspitals A. vom 15. Mai 2019 werde postuliert, dass als Grund für das Therapieversagen ein Rentenbegehren gesehen werde (laut Aussage des Klägers wäre dieser mit 6.000 CHF Rente zufrieden).

Hiergegen richtet sich die am 11. Februar 2021 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers, mit der er geltend macht, er könne lediglich eine Wegstrecke von 500-600 m gehen. Danach müsse er sich für ca. 15 Minuten hinsetzen, bis sich die Muskulatur wieder lockere. Beim Gehen müsse er den Kopf senken, sonst fühle es sich wie Stromschläge in seinem Arm an. Auch beim Treppensteigen müsse er ständig Pausen machen. Er habe auch während der Begutachtung durch Dr. Be. nicht durchgängig auf dem Stuhl gesessen. Er sei zwischendurch auf die Toilette gegangen, um sich durch Bewegung ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Er habe beim Sitzen sehr gelitten und habe durch ständige Positionswechsel seinen tauben Arm aktivieren müssen, da er unter Blockaden seiner Muskulatur leide. Auch im Nacken sei alles blockiert. Zudem leide er unter einem fortgeschrittenen, sekundär axonalem Carpaltunnesyndrom links. Dr. Be. habe lediglich ein leichtes Kapitaltunnelsyndrom festgestellt. Dieses sei mittlerweile operativ behandelt worden. Die Carpaltunneloperation habe aber seine Beschwerden nicht gemildert. Er habe größere Probleme als vorher. Zudem leide er nunmehr an einer Anpassungsstörung sowie an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom. Aus dem Bericht des Kantonsspitals A. vom 7. Februar 2020 folge zudem, dass zu den beschriebenen Beschwerden ein eindeutiges anatomisches und pathologisches Korrelat mit Kompression der Nervenwurzel C6 rechts bestehe. Diese Ausführungen widersprächen den Feststellungen des Dr. Be., der kein objektives Korrelat zu seinem Schmerzempfinden entdeckt habe. Darüber hinaus leide er seit Jahren an einem dekompensierten Tinnitus beidseitig sowie an einer Hörminderung links. Schließlich bestehe auch eine Sehbehinderung. Nach der Einschätzung des Dr. Schw. in seinem Schreiben vom 27. Oktober 2020 sei er lediglich in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von Zwangshaltungen primär halbschichtig (max. vier Stunden pro Tag) zu verrichten. Diese Einschätzung habe Dr. Schw. in seiner Stellungnahme vom 5. März 2021 bekräftigt. Das Institut für Arbeitsmedizin komme in seiner Stellungnahme vom 27. April 2020 zu dem Ergebnis, dass seine Arbeitsfähigkeit bei einem Arbeitstag von 8 Stunden nur 3,2 Stunden betrage. Die seit 2018 angewendeten Therapien zeigten bei ihm keine Wirkungen. Zur weiteren Begründung hat der Kläger zahlreiche medizinische Unterlagen vorgelegt, unter anderem die Arztbriefe des Dr. Schw. vom 27. Oktober 2020, 5. März 2021 (Diagnosen: Progredientes, vorbeschriebenes sekundär axonales Carpaltunnelsyndroms links mit mäßiger Beeinflussung unter Schienenversorgung; chronisches zerviko-spondylogenes Schmerzsyndrom weiterhin ohne Zeichen einer klinisch und neurophysiologisch nachweisbaren zerviko-radikulären bzw. spinalen Schädigungssymptomatik) und 3. August 2021 (Diagnosen: Protrahierter Verlauf eines fortgeschrittenen, sekundär axonalen Carpaltunnelsyndroms links, offene Carpaldachspaltung links), die Ambulanzbriefe des Kantonsspitals A. vom 10. Februar 2020, 23. März 2021 (Diagnose: Hand links adominant - Fortgeschrittenes, sekundär axonales Carpaltunnelsyndrom) und 1. Juli 2021, den Arztbrief der HNO-Ärztin Prof. Dr. W.-L. vom 30. März 2021 (Diagnosen: sehr schwerer, dekompensierter Tinnitus bds. bei hochtonbetonter sensorineuraler Hörminderung links ausgeprägter als rechts; anamnestisch chronisches zervikospondylogenes Schmerzsyndrom bei multiplen zervikalen Diskushernien; Arterielle Hypertonie; Carpaltunnelsyndrom links) und den Ambulanzbrief vom 28. Juli 2021 (Diagnosen: Chronisches radikuläres Reiz- und sensibles Ausfallssyndrom C6 rechts mit chronischem zervikospondylogenen Schmerzsyndrom C4-C7, EM 2013), den Operationsbericht vom 31. März 2021 (offene Carpaldachspaltung links) des Kantonsspitals A., den Kurzbericht „Ergotherapie Handrehabilitation“ vom 29. Juni 2021 („Beweglichkeit: gleich bleibend, noch durch einschießende Nervenschmerzen eingeschränkt; Kraft: gleich bleibend, die Hand kann noch nicht wie vor der Operation im Alltag eingesetzt werden; Koordination: gleich bleibend; Sensibilität: gleich bleibend […]; Trophik/Ödem: gleich bleibend; Wunde/Narbe: verbessert; Schmerz: gleich bleibend […]“), den Rehabilitationsbericht des Zentrums für Rehabilitation S. vom 23. Juli 2021 (stationäre Aufenthalt vom 5. Juli bis 23. Juli 2021), den Bericht der psychiatrischen Dienste A. AG vom 9. August 2021 und 13. September 2021, deren Bestätigungsschreiben über die Aufnahme einer ambulanten Behandlung vom 5. Oktober 2021 (einmalige dortige Vorstellung des Klägers am 8. September 2021), den Bericht des Instituts für Arbeitsmedizin vom 30. August 2021 sowie den Bericht des Gesundheitszentrums H. K. AG vom 7. Oktober 2021 über den aktuellen Stand der physiotherapeutischen Behandlung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. Februar 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2020 zu verurteilen, ihm ab dem 1. August 2018 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zur weiteren Begründung hat sie die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. Sch. vom 3. Mai 2021 vorgelegt, wonach die vom Kläger eingereichten und überwiegend aus dem Jahr 2020 stammenden ärztlichen Berichte bereits durch Dr. Be. berücksichtigt worden seien. Aufgrund der komplikationslosen Operation am 31. März 2021 sei davon auszugehen, dass das Carpaltunnelsyndrom inzwischen beseitigt sei. Insofern sei die Situation besser als bei der Begutachtung durch Dr. Be. Bezüglich der sonstigen Erkrankungen ergäben sich keine geänderten Befunde. Bei der Untersuchung in der HNO-Klinik des Kantonsspitals A. am 30. März 2021 sei zwar eine progrediente Hochtonschwerhörigkeit festgestellt worden, diese sei aber immer noch als leichtgradig bezeichnet worden. Insgesamt ergebe sich aus den aktuellen Berichten nichts anderes, als das, was Dr. Be. detailliert in seinem Gutachten geschildert habe. Daran ändere nichts, dass der behandelnde Neurologe Dr. Schw. auch vor der Begutachtung durch Dr. Be. nur eine primär halbschichtige Tätigkeit für zumutbar gehalten habe. Zudem seien die Beurteilungskriterien des Schweizer Sozialrechts andere als die hiesigen, da hier viel stärker auf eine idealtypische Tätigkeit Bezug genommen werde als dort. Die Beklagte hat zudem die weitere Stellungnahme des Dr. Sch. vom 22. September 2021 und den Versicherungsverlauf vom 3. März 2021 vorgelegt, der unter anderem seit dem 1. Januar 2009 Pflichtbeitragszeiten in der Schweiz enthält (bis 31. Dezember 2019; Bl. 20 bis 24 der Senatsakte); hierauf wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn der Kläger begehrt laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr.

2. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. August 2018 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Der Bescheid vom 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2020 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in dem mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheid vom 4. Februar 2021 die rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend dargestellt und deren Vorliegen unter Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme überzeugend verneint. Der Senat macht sich die dortigen Feststellungen zu eigen, weist darauf hin, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach dem Versicherungsverlauf vom 3. März 2021 erfüllt sind und schließt sich der Beurteilung des SG aufgrund eigener Prüfung und insbesondere im Hinblick auf das überzeugende und schlüssige Gutachten von Dr. Be. vom 4. Januar 2021 an. Er nimmt daher auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren und die von ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen vermögen die Einschätzung des Sachverständigen Dr. Be., wonach der Kläger noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mehr als sechs Stunden täglich auszuüben, nicht zu erschüttern. Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, er leide insbesondere unter Blockaden seiner Muskulatur, er könne seinen Arm nicht bewegen, ohne dass dieser taub werde, und auch im Nacken sei alles blockiert, so hat er diese Beschwerden bereits gegenüber Dr. Schw. am 5. März 2021 angegeben. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief des Dr. Schw. vom 5. März 2021. Aus den darin mitgeilten Befunderhebungen folgt aber, dass eine Befundverschlechterung, die zu einer quantitativen Leistungsminderung führen könnte, nicht eingetreten ist. Das Gegenteil ist der Fall. Dies ergibt sich aus Folgendem: Dr. Schw. konnte (weiterhin) keine Zeichen einer klinisch und neurophysiologisch nachweisbaren zerviko-radikulären bzw. spinalen Schädigungssymptomatik feststellen. Dies entsprach auch dem von ihm erhobenen neurologischen Befund. Danach bestand bei der Untersuchung des Klägers eine freie Beweglichkeit von Kopf und Hals, keine meningeale Reizsymptomatik und auch die zervikalen Foramenokklusionszeichen waren negativ. Die Pupillen waren isokor, mittelweit und prompt auf Licht und Konvergenz reagierend, es bestanden keine Gesichtsfeldeinschränkungen sowie ein regelrechter Visus. Der übrige Hirnnervenbereich war ebenfalls unauffällig. Es fanden sich im Bereich beider Hände und Unterarme keine Paresen, Feinmotorikstörungen oder Muskelatrophien. Auch konnte Dr. Schw. reproduzierbare Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität, Koordination und Gangbildprüfung nicht dokumentieren. Ebenso wenig fanden sich Zeichen einer autonomen Regulationsstörung und auch keine Paresen der eutrophen, normotonen Muskulatur. Die Muskeleigenreflexe waren vielmehr seitengleich mittellebhaft auslösbar. Pyramidenbahnzeichen der Babinskigruppe fanden sich nicht. Dr. Schw. hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf eine Verbesserung des Befundes hingewiesen. Denn nach seinem Arztbrief vom 27. Oktober 2020 waren die Zeichen nach Babinski auf der linken Seite noch suspekt. Aus den Befundmitteilungen in seinem Arztbrief vom 5. März 2021 folgt weiter, dass hinsichtlich der Oberflächensensibilität für Schmerz- und Berührungsempfinden sowie bei der Tiefensensibilität in Form von Lagesinn und Vibrationsempfinden sämtlich regelrechte Befunde vorlagen. Zudem dokumentierte Dr. Schw. eine sichere Koordinationsprüfung in Form des Finger-Nase- und Knie-Hacke-Versuchs sowie ein intaktes Gangbild mit Demonstration der üblichen Gangvarianten (Zehen-, Fersen- und Seiltänzergang). Soweit er eine Progredienz des sekundären axonalen Carpaltunnelsyndroms links feststellte, empfahl er eine baldige operative Sanierung, die nunmehr bereits durchgeführt worden ist.

Im Hinblick auf den vom Kläger angegebenen Tinnitus und die mitgeteilte Hörminderung ist darauf hinzuweisen, dass auch dies nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung führt. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief der Prof. Dr. med. W.-L. vom 30. März 2021. Der danach bestehende schwere dekompensierte Tinnitus bei hochbetonter sensorineuraler Hörminderung links (ausgeprägter als rechts) ist nach Einschätzung der Prof. Dr. med. W.-L. häufig ein Gradmesser für die jeweilige psychosoziale Belastungssituation, wobei Angst und Aufmerksamkeit Faktoren seien, die den Tinnitus weiter im Vordergrund hielten. In Anbetracht der psychosozialen Belastungssituation des Klägers empfahl sie daher psychotherapeutische Konsultationen. Dies zeigt, dass auch Prof. Dr. med. W.-L. von einem Zustand ausgeht, der durch den Kläger beeinflusst werden kann. Eine durch den Tinnitus bedingte andauernde Funktionsbeeinträchtigung, die sich auf die zeitliche Leistungsfähigkeit des Klägers bei leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der von Dr. Be. festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auswirken würde, kann der Senat vor diesem Hintergrund nicht feststellen.

Soweit der Kläger vorträgt, dass er auch nach der Carpaltunneloperation Schmerzen und größere Probleme als zuvor habe, lässt dies nicht den Schluss zu, dass sein Leistungsvermögen deswegen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in quantitativer Hinsicht eingeschränkt ist. Dies entnimmt der Senat dem Befundbericht des Dr. M. vom Kantonsspital A. im Ambulanzbrief vom 1. Juli 2021. Danach bestand bei der Untersuchung am 30. Juni 2021 an der linken Hand eine trockene, reizlose Operationsnarbe bei freier Fingerbeweglichkeit. Eine Muskelatrophie, die für eine Schonung der linken Hand sprechen könnte, hat Dr. M. nicht beschrieben. Er gab vielmehr ausdrücklich an, dass keine Muskelatrophie besteht. Auch Dr. Schw. gab in seinem Arztbrief vom 3. August 2021 an, dass im Bereich beider Hände und Unterarme keine Paresen, Feinmotorikstörungen oder eine Muskelatrophie bestanden. Der Kläger hat ihm gegenüber zudem bestätigt, dass keine motorischen Einschränkungen bestehen. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief des Dr. Schw. vom 3. August 2021. Auch Dr. Ke. (Kantonsspital A.) fand bei der Untersuchung des Klägers keine motorischen Defizite der oberen Extremitäten (mit Kraftgrad M5 [= normale Muskelkraft] aller Kennmuskeln beidseits). Dies entnimmt der Senat dem Ambulanzbrief des Kantonsspital A. vom 28. Juli 2021. Dr. M. hat des Weiteren in seinem Ambulanzbrief vom 1. Juli 2021 lediglich eine subjektive (nicht objektive) Hypästhesie (= herabgesetzte Druck- bzw. Berührungsempfindung) im Bereich „Dig IV und V“ angegeben und empfahl die Weiterführung der Handtherapie mit Nervengleitübungen, Narbenbehandlung, schrittweisem Belastungsaufbau und Desensibilisierung. Dr. Schw. hat in seinem Arztbrief vom 3. August 2021 zudem angegeben, dass Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität nicht zu dokumentieren waren. Auch konnte er autonome Regulationsstörungen nicht dokumentieren. Im Hinblick auf das Carpaltunnelsyndrom geht Dr. Schw. in seinem Arztbrief vom 3. August 2021 zudem von einer signifikanten Besserung der sensiblen Neurodermitis des Nervus medianus links bei weiterhin leicht verzögerter, distal-motorischer Latenz aus. Im Hinblick auf die Normalisierung der Nervenleitgeschwindigkeiten empfahl er deswegen frühestens in drei Monaten nochmals eine Kontrolle des Nervus medianus links. Auch Dr. M. hat in seinem Befundbericht vom 9. August 2021 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ca. vier Monate postoperativ zwar eine starke Beschwerdesymptomatik vom Kläger geschildert worden sei, jedoch objektiv eine signifikante Besserung der sensiblen Neurographie des nervus medianus links bei weiterhin leichtverzögerter distal motorischer Latenz besteht. Daraus folgt auch, dass der objektive Befund (wiederum) nicht den subjektiven Angaben des Klägers entspricht, mithin die Carpaltunneloperation durchaus den medizinisch gewünschten Erfolg, nämlich die Entlastung des Nervus medianus links, als Ergebnis hatte. Hierauf hat Dr. Sch. in seiner Stellungnahme vom 22. September 2021 zutreffend hingewiesen. Schließlich entnimmt der Senat dem Arztbrief des Dr. Schw. vom 3. August 2021 auch, dass der übrige neurologische Befund in Form des Hirnnervenbefundes, der übrigen Motorik, der Muskeleigenreflexe, die seitengleich mittellebhaft auslösbar waren, bei fehlenden Pyramidenbahnzeichen, intakter Oberflächen- und Tiefensensibilität weiterhin sämtlich regelrecht war.

Zwar folgt aus dem vom Kläger vorgelegten Ambulanzbrief des Dr. Bec. vom Kantonsspital A. vom 19. August 2021, dass bei ihm mittlerweile eine Rotatorenmanschettenläsion mit LBS-Luxation der Schulter links besteht . Gegenüber Dr. Beca hat der Kläger jedoch angegeben, dass er weder eine Cortison-Infiltration zur Schmerzlinderung oder eine Operation wünscht. Zudem hat Dr. Beca darauf hingewiesen, dass die Situation an der Schulter relativ schmerzkompensiert ist. Anhaltspunkte dafür, dass durch die Rotatorenmanschettenläsion links eine quantitative Leistungseinschränkung eingetreten ist, liegen danach nicht vor. Dr. Sch. weist in seiner Stellungnahme vom 22. September 2021 zutreffend darauf hin, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben mit einer Einnahme von Ibuprofen (Schmerzmittel WHO Gruppe 1) in mittlerer Dosierung kompensiert ist und sich nach den vorliegenden aktuellen Berichten weder größere Funktionseinschränkungen an der linken Hand, noch an der Schulter, noch im Bereich der Halswirbelsäule finden. Der Senat folgt der Einschätzung des Dr. Sch. vom 22. September 2021, wonach die vorhandenen Gesundheitsstörungen weiterhin nur qualitative Leistungseinschränkungen bedingen, und zwar im Hinblick auf die Schulter und die HWS-Region das Vermeiden von längerem Überkopfarbeiten, Arbeiten in HWS-Zwangshaltungen sowie Arbeiten mit häufigem schweren Heben.

Die von der Psychiatrischen Klinik Dienste A. AG (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) in ihren Berichten vom 9. August 2021 angegebene Beurteilung (Anpassungsstörung mit Angst und depressive Reaktion, gemischt; DD: Mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom) und 13. September 2021 (Wiedervorstellung am 8. September 2021) bzw. deren Bestätigung vom 5. Oktober 2021 über eine Aufnahme einer ambulanten Behandlung (einmalige dortige Vorstellung des Klägers am 8. September 2021) führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn der dort erhobene psychopathologische bzw. neurologische Befund bietet ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die quantitative Leistungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist. Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Kläger wurde in gutem Allgemein-und Ernährungszustand beschrieben, sowie wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert. Im Kontaktverhalten war er angespannt und die Konzentration war vermindert. Das Gedächtnis war grobkursorisch erhalten. Im formalen Denken war der Kläger logisch und kohärent, inhaltlich eingeengt auf seine Situation/Schmerzen. Er schilderte diffuse Ängste mit Zukunftsangst, aber keine Zwänge. Es bestanden auch keine Hinweise auf Wahn, Halluzinationen oder Ich-Störungen. Auch bestanden keine Hinweise auf eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung. Der Affekt wurde als „bedrückt, deprimiert, verzweifelt, innerlich unruhig und angespannt“ wahrgenommen. Der affektive Rapport wurde als „gut herstellbar“ angegeben, d.h. die affektive Schwingungsfähigkeit war erhalten, auch der Antrieb und die Psychomotorik wurden als „unauffällig“ dargestellt. All dies entnimmt der Senat dem genannten Bericht vom 9. August 2021. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass - genauso wie von Herrn Dr. Be. - primär von einer Anpassungsstörung ausgegangen wird mit ängstlicher und depressiver Reaktion und nur differentialdiagnostisch (mithin keineswegs gesichert) eine mittelgradige depressive Episode als möglich angesehen wurde. Dr. Sch. weist in seiner Stellungnahme vom 22. September 2021 nachvollziehbar darauf hin, dass angesichts des wenige Tage vorher durch den Psychologen der Rehabilitationsklinik erhobenen Befundes („Pat. bekannt redebedürftig mit vorwiegendem Fokus auf negativen oder hypothetischen Inhalten. Pat. wird das Kreisen um negative Themen gespiegelt. Versuch der Auslenkung auf Dinge, die der Pat. selbst beeinflussen kann. Förderung von realistischen Zielen und Erwartungen. Pläne für nach Austritt werden besprochen. Pat. freue sich auf die gemeinsame Zeit mit seinen Töchtern. Ermutige Pat. ambulant am Thema Emotionsregulation [insbes. Umgang mit Wut/Frustration] dran zu bleiben. Pat. bedankt sich für die supportive Begleitung“; Bl. 90 der Senatsakte) mit klar dargestellter Freudfähigkeit, nicht viel für die Differentialdiagnose spricht. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da sich aus dem Bericht keine so schwere psychiatrische Erkrankung ableiten lässt, die eine generelle Minderung des quantitativen Leistungsvermögens auf mehr als sechs Monate belegt oder auch nur wahrscheinlich macht. Diese Einschätzung von Dr. Sch. überzeugt auch den Senat, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bislang bestehende Tagesstrukturierung des Klägers, wie er sie gegenüber Dr. Be. angegeben hat, nunmehr gestört ist. Die Tagesstruktur, die der Kläger Dr. Be. gegenüber mitgeteilt hat, zeigt keinen krankheitsbedingten Verlust seiner fortdauernden Fähigkeit zum Zeitmanagement oder der erfolgreichen Ausübung seiner Führungs- und Kontrollfunktion. Dies ergibt sich daraus, dass er in der Lage ist, Termine einzuhalten (etwa seine zahlreichen ärztlichen Termine oder auch das Begleiten seiner Töchter zur Schule) und seine Tagesstruktur den Bedürfnissen anderer (etwa Schulaufgabenbetreuung seiner Kinder, Ausflüge mit den Kindern) anzupassen. Auch aus dem Bericht der Psychiatrischen Klinik Dienste A. AG vom 13. September 2021 folgt, dass es dem Kläger nach seinen eigenen Angaben hilft, mit seinen Töchtern zu spielen und zu sprechen und er (weiterhin) keine medikamentöse antidepressive Behandlung wünscht. Eine rentenrelevante Reduktion vorhandener sozialer Kompetenzen und Alltagskompetenzen erkennt der Senat mithin nicht. Soweit in dem zuletzt genannten Bericht mittelgradige Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen angegeben werden, so lässt sich dies mit dem von Dr. Be. in seinem Gutachten vom 4. Januar 2021 erhobenen Befund in Einklang bringen, wonach kein Anhalt für eine „wesentliche“ Störung von Auffassung, Gedächtnis und Konzentration existierte. Insoweit besteht lediglich eine qualitative Leistungseinschränkung dahingehend, dass der Kläger nur noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besondere geistige Beanspruchung auszuüben. Der Senat schließt sich auch insoweit der Auffassung von Dr. Be. an.

Im Hinblick auf die eben genannten Befunde überzeugt auch die Einschätzung des Instituts für Arbeitsmedizin vom 30. August 2021, wonach beim Kläger derzeit von einer hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit auch für eine den Leiden gut angepasste Verweisungstätigkeit bestehe, nicht. Begründet wurde dies als Folge der psychischen Verschlechterung. Wie bereits dargelegt, lässt sich jedoch aus den von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mitgeteilten Befunde keine quantitative Leistungsminderung feststellen.

Soweit Dr. Schw. in seinem Arztbrief vom 5. März 2021 abschließend darauf hingewiesen hat, dass „in sozial-medizinischer Hinsicht […] jene Einschätzungen [gelten], wie sie bereits in meinem Schreiben vom 27.10.2020 formuliert worden sind“, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die von ihm mitgeilten Befunde begründen weiterhin - wie bereits dargelegt - keine quantitative Leistungseinschränkung

3. Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage ist gemäß § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI nicht zu berücksichtigen. Das BSG geht weiterhin vom Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes aus (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 26). Es hält daran fest, dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein (vgl. BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Im vorliegenden Fall ist der Kläger, wie vorstehend dargelegt, mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen trotz qualitativer Einschränkungen in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten.

Der Arbeitsmarkt gilt dem Kläger auch nicht trotz seines vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögens ausnahmsweise als verschlossen.

Die Einsatzfähigkeit des Klägers unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist ausnahmsweise nicht gegeben, wenn der Versicherte die Vollzeittätigkeit nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen ausüben kann (sog. Katalogfall 1), wenn das Vermögen des Versicherten, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (Wegefähigkeit), relevant eingeschränkt ist (sog. Katalogfall 2) oder wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29 m.w.N.). Keiner dieser Ausnahmefälle ist hier erfüllt.

Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist gegeben. Das BSG hat das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 – B 5 RJ 51/04 R – juris, Rn. 15 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29). Im vorliegenden Fall liegt eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit nicht vor. us dem Rehabilitationsbericht vom 23. Juli 2021 folgt, dass die Wegefähigkeit des Klägers weiterhin nicht eingeschränkt ist. Denn dem Kläger gelang es innerhalb von sechs Minuten, 442 m ohne Hilfsmittel und ohne Pause zurückzulegen. Das Bewältigen von Treppen gelang über 20 Stufen ohne Handlauf selbständig und sicher. Insofern ergeben sich keine Änderungen zu den Befundmitteilungen im Arztbrief des Dr. Schw. vom 5. März 2021, der ein intaktes Gangbild mit Demonstration der üblichen Gangvarianten (Zehen-, Fersen- und Seiltänzergang) dokumentierte.

4. Der im Jahr 1967 geborene Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI, da er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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