- "Mehrere Bandscheiben" im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 setzt voraus, dass wenigstens drei Bandscheiben betroffen sind.
- Um festzustellen, ob bei der Erfüllung der Voraussetzungen der Befundkonstellation B3 eine Berufskrankheit vorliegt, bedarf es einer konkreten Einzelfallbeurteilung des Ursachenzusammenhangs (Anschluss an BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R).
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 02.02.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV streitig.
Der im Jahr 1966 geborene Kläger war vom 28.05.1990 bis zum 02.02.2012 als Kommissionierer berufstätig. Er war ab 03.02.2012 arbeitsunfähig erkrankt, bezog ab 17.03.2012 Krankengeld sowie ab 02.08.2013 Arbeitslosengeld und bezieht seit 01.01.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Im Rahmen eines auf die Feststellung eines Ereignisses vom 03.02.2012 als Arbeitsunfall gerichteten und unter dem Aktenzeichen S 10 U 152/13 geführten Klageverfahrens holte das Sozialgericht (SG) Ulm die Gutachten des F vom 27.06.2013 und des K vom 05.11.2013 ein. F diagnostizierte ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, links mehr als rechts. K diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule im Rahmen eines generalisierten chronischen Schmerzsyndroms im Chronifizierungsgrad II nach Gerbershagen mit wechselnder pseudoradikulärer aber auch radikulärer Komponente links betont, deutlicher antalgisch bedingter Beweglichkeitseinschränkung und röntgenologisch beziehungsweise kernspintomographisch nachgewiesenen eher leichtgradigen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und kernspintomographisch nachgewiesenem subligamentärem Bandscheibenvorfall ohne Nachweis einer Sequestrierung L5/S1, rechts exzentrischer Protrusion L4/L5 mit rechts rezessaler Irritation der L5-Nervenwurzel und kernspintomographisch nachgewiesener aktivierter osteochondraler Begleitreaktion L4-S1.
Bereits am 16.08.2013 zeigte K1 unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen den Verdacht auf eine Berufskrankheit an. Unter dem 16.09.2013 machte der Kläger Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit und dem Verlauf seiner Erkrankung.
Der Präventionsdienst der Beklagten gelangte in seiner Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 21.11.2013 zu dem Ergebnis, für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers berechne sich eine Gesamtdosis von 23,4 MNh, so dass der hälftige Orientierungswert von 12,5 MNh für Männer überschritten sei. Eine besonders intensive Belastung im Sinne des Erreichens des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren liege nicht vor, da die Jahresdosis 814,7 kNh im Jahr 1990 und 1.364,0 kNh jährlich in den Jahren 1991 bis 1997 betragen habe. Ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des Erreichens der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes bei Männern ab 6 kN liege nicht vor. Die Tagesdosis habe 8,2 x 10³ Nh vom 28.05.1990 bis zum 31.12.1997, 3,3 x 10³ Nh vom 01.01.1998 bis zum 30.06.2007, 3,3 x 10³ Nh vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2011 und 4,3 x 10³ Nh vom 01.07.2011 bis zum 03.02.2012 betragen.
Im weiteren Verlauf zog die Beklagte die im Rahmen des auf die Feststellung eines Ereignisses vom 03.02.2012 als Arbeitsunfall gerichteten Verfahrens angefallenen ärztlichen Unterlagen bei. Sodann holte die Beklagte das Gutachten des H vom 21.05.2014 ein. Der Gutachter führte aus, es handele sich um eine multi-etagere altersphysiologische Chondrose im Zervikal-, Thorakal- und Lumbalbereich. Diese altersphysiologischen Veränderungen könnten nicht als Berufskrankheit angesehen werden. In seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 03.11.2014 führte H aus, es liege keine bandscheibenbedingte Erkrankung als Berufskrankheit vor. Vielmehr handele es sich um eine schwere somatoforme Schmerzstörung mit ausgeprägten Depressionen und eine multi-etagere Verschmälerung der Bandscheibenräume im gesamten Wirbelsäulenbereich, die als altersphysiologisch zu werten seien.
Mit Bescheid vom 26.01.2015 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ab. Ansprüche auf Leistungen bestünden daher nicht. Den hiergegen am 16.02.2015 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2015 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 07.05.2015 Klage zum SG Ulm erhoben.
H1 führte in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.09.2015 aus, nach den magnetresonanztomographischen Aufnahmen der Lendenwirbelsäule vom 10.02.2012 und 20.03.2013 zeigten sich ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1, eine breitbasige Bandscheibenprotrusion im Segment L4/L5, eine Dehydrierung und Höhenminderung der Bandscheiben L5/S1 und L4/L5 sowie unauffällige Bandscheiben in den Segmenten L3/L4, L2/L3 und L1/L2. In den Röntgen-Aufnahmen der Halswirbelsäule vom 20.05.2014 zeige sich kein gravierender krankhafter Befund. In den Röntgen-Aufnahmen der Brustwirbelsäule vom 20.05.2014 zeige sich insgesamt eine altersentsprechende Darstellung. In der Röntgen-Aufnahme der Lendenwirbelsäule vom 20.05.2014 zeigten sich eine nicht-verklammernde Spondylosis deformans in den Segmenten L3/L4, L2/L3 sowie L2/L3 und damit keine Begleitspondylose, eine krankhafte Höhenminderung im Sinne einer Chondrose Grad II bis III im Segment L4/L5 und eine diskrete Höhenminderung in dem vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment L5/S1. Es handele sich daher aus rein medizinischer Sicht nur um die Befundkonstellation B3 und nicht um die Befundkonstellation B2 der Konsensempfehlungen.
Sodann hat das SG Ulm von Amts wegen das Gutachten des B vom 27.04.2016 eingeholt. Der Sachverständige hat ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom mit chronisch rezidivierenden Lumboischialgien links, ein sensibles S1-Nervenwurzelsyndrom links, einen Bandscheibenvorfall L5/S1, einen magnetresonanztomographisch am 14.10.2013 festgestellten kleinen rechts lateral bis intraforaminal reichenden Bandscheibenvorfall L4/L5, eine Osteochondrose Grad II im Segment L4/L5 und aktivierte Osteochondrosen in den Segmenten L4-S1 sowie ein chronisches Schmerzsyndrom Grad III nach Gerbershagen und Depressionen diagnostiziert. Es handele sich um die Befundkonstellation B2, da beim Kläger Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L5/S1 und L3/L4 vorlägen. Wenn man den kleinen Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 links lateral, intraforaminal nicht werte, da in der letzten Magnetresonanztomographie-Aufnahme wiederum nicht nachweisbar, so liege doch im Segment L4/L5 eine Osteochondrose Grad II mit Pseudoretrolistese vor, also deutlich altersüberschreitende degenerative Veränderungen, so dass auch hierdurch die Befundkonstellation B2 erfüllt sei. Altersunübliche degenerative Veränderungen in der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule lägen nicht vor. Prädiskotische Deformitäten seien nicht zu eruieren. Belastungsadaptive Veränderungen in der oberen Lendenwirbelsäule beziehungsweise in der unteren Brustwirbelsäule seien zu erkennen. Eine sogenannte Begleitspondylose liege bei einem unter 50jährigen Probanden vor, wenn die ventralen Spondylophyten 3 bis 5 Millimeter groß seien, was beim Kläger auf Höhe der Deckplatte von LWK 3 erfüllt sei. Bei fehlender Begleitspondylose ergebe sich die Befundkonstellation B2 in medizinischer Hinsicht, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben oder bei monosegmentalem Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 eine black disc im magnetresonanztomographischen Befund in mindestens zwei angrenzenden Segmenten vorlägen. Vorliegend zeige sich in der magnetresonanztomographischen Aufnahme vom 04.10.2013 im Segment L4/L5 ein rechts mediolateraler bis lateraler intraforaminaler Bandscheibenvorfall und im Segment L5/S1 ein links mediolateraler Bandscheibenvorfall, so dass rechts die Nervenwurzel L4 und links die Nervenwurzel S5 betroffen sein könne. Zusammengefasst wäre bezüglich der Befundkonstellation B2, also bei fehlender Begleitspondylose, das Zusatzkriterium, nämlich das Vorliegen einer Höhenminderung und/oder eines Prolapses an mehreren Bandscheiben, gegeben, da zwei Bandscheibenvorfälle beziehungsweise ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine Osteochondrose Grad II im Segment L4/L5 vorlägen. Seines Erachtens zeige sich aber sogar eine Begleitspondylose, da sich auf Höhe der Deckplatte von LWK 3 ventral ein 5 Millimeter großer Spondylophyt zeige. Nach alledem empfehle er die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.
H1 hat in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2016 dargelegt, unbestritten lägen Vorfälle in den Segmenten L5/S1 und L4/L5 vor. Ferner liege eine krankhafte Höhenminderung Grad II im Segment L4/L5 vor. Alle anderen Lendenbandscheiben seien nicht signifikant höhengemindert. B habe die Auffassung vertreten, dass das Vorliegen von zwei Bandscheibenvorfällen und einer Höhenminderung im Segment L4/L5 bereits einer Befundkonstellation B2 entspreche, also dass die Erkrankung der unteren beiden Segmente einer Befundkonstellation B2 entspreche. Dies sei unrichtig. Dies werde gerne verwandt, um den Begriff „mehrere“ auf zwei Segmente zu reduzieren. Hier seien in der Terminologie der Konsenskriterien Unschärfen in der Begrifflichkeit durchgeführt worden, die zu sehr vielen Missverständnissen Anlass böten. Nach der Ansicht von G, der Qualitätsbeauftragter der Konsenskriterien sei, reiche es aber bei der Befundkonstellation B2 nicht aus, dass zwei Bandscheiben erkrankt seien, sondern es müssten mindestens drei Bandscheiben erkrankt sein. Es genüge also ein Bandscheibenvorfall in einem Segment und eine black disc in zwei angrenzenden Segmenten. Dies sei die Minimalforderung. Anerkennungsfähig wäre beispielsweise auch ein Vorfall im Segment L4/L5 und im Segment L5/S1 und eine black disc im Segment L3/L4. Es müssten also immer drei Segmente erkrankt sein, zwei genügten nicht. Entgegen der Ansicht von B liege eine Begleitspondylose nicht vor. B meine, dass eine einzige Spondylose an LWK3 einer Begleitspondylose entspreche. Bei einer Begleitspondylose müsse diese krankhaft ausgeprägte Spondylosis deformans, um relevant zu sein, zum einen altersvorauseilend sein, des Weiteren müssten zwei Segmente mit spondylotischen Kantenreaktionen vorauseilend verändert sein, und zwar in den Segmenten außerhalb des Vorfalles. Wenn also eine Begleitspondylose vorliegen solle, so müsse sie oberhalb des Segmentes L4/L5 in zwei Segmenten in altersvorauseilender Form vorliegen, was definitiv nicht der Fall sei. Es liege keine einzige altersvorauseilende Spondylose vor. H1 hat den Aufsatz des G, „20 Jahre Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule (BK 2108)“, ASUMed 49, 3/2000, S. 167 ff., vorgelegt, wonach unter „mehrsegmental“ im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Befundkonstellation B2 zu verstehen sei, dass mindestens drei Segmente einen Bandscheibenschaden aufwiesen, wie dies auch eindeutig aus dem Anhang 1 der Konsensempfehlungen zu den nicht im Konsens beurteilten Befundkonstellationen hervorgehe.
B hat in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 16.06.2016 ausgeführt, die Formulierungen in den Konsensempfehlungen seien insofern missverständlich, als dort wörtlich „Höhenminderung, Chondrose Grad II und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben“ ausgeführt werde. Er habe aus der wörtlichen Formulierung in den Konsensempfehlungen „mehrere“ geschlossen, dass das Betroffensein von zwei Segmenten genüge. Es sei ihm bekannt, dass zur Annahme belastungsadaptiver Reaktionen im Sinne einer Begleitspondylose, in der oberen Lendenwirbelsäule und dorsolumbal in wenigstens in zwei Segmenten altersunübliche ventrale Spondylophyten vorliegen müssten. Er habe diesbezüglich ausgeführt beziehungsweise beurteilt, dass ein einzelner ventraler Spondylophyt eventuell in diese Richtung interpretiert werden könne, da die hier vorliegende Lokalisation mit der deutlichen Ausprägung zumindest ungewöhnlich sei. Nach alledem müsse er leider von seiner bisherigen Beurteilung mit der Empfehlung einer Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV abrücken. Eine Begleitspondylose liege nicht vor, so dass die Befundkonstellation B1 nicht vorliege. Es seien im Falle des Klägers nur die Bandscheiben L5/S1 und L4/L5 betroffen, so dass auch die Befundkonstellation B2 nicht vorliege, da bei Fehlen einer Begleitspondylose mindestens drei lumbale Bandscheiben betroffen sein müssten und eine besonders intensive Belastung sowie ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen ebenfalls nicht nachgewiesen seien.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2017 hat das SG Ulm die Klage abgewiesen. Beim Kläger liege ein Bandscheibenvorfall in den Segmenten L5/S1 und L4/L5 und damit an zwei Segmenten vor. Damit liege kein drei- und damit kein mehrsegmentaler Schaden der Lendenwirbelsäule vor, so dass die Voraussetzungen der Befundkonstellation B2 nicht gegeben seien. Da auch keine zusätzliche Begleitspondylose bestehe, sei auch die Befundkonstellation B1 zu verneinen. Auch liege beim Kläger weder eine besonders intensive Belastung noch ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen vor. Das Bestehen einer besonders intensiven Belastung – wobei hierfür als Anhaltspunkt das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren gelte – oder eines besonderen Gefährdungspotentials durch hohe Belastungsspitzen – wofür als Anhaltspunkt das Erreichen der Hälfte des Tagesdosisrichtwertes durch hohe Belastungsspitzen bei Männern ab 6 kN verlangt werde – sei weder ersichtlich noch werde dies vom Kläger behauptet. Damit sei lediglich von der Befundkonstellation B3 auszugehen. Liege diese Befundkonstellation vor, bedürfe es einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalles. Umstände, welche die Annahme eines Kausalzusammenhanges rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich.
Hiergegen hat der Kläger am 16.02.2017 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Den Konsensempfehlungen lasse sich im Wortlaut nicht entnehmen, dass bei der Befundkonstellation B2 mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssten.
Der Kläger beantragt,
„den Gerichtsbescheid des SG Ulm vom 02.02.2017 sowie den Bescheid vom 06.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.“
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach den Ausführungen der H1 reiche bei der Befundkonstellation B2 eine nur bisegmentale Schädigung nicht aus, sondern es müssten mindestens drei Bandscheiben betroffen sein.
Der Berichterstatter hat die in dem beim LSG Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen L 9 U 5101/12 geführten Berufungsverfahren abgegebene beratungsärztliche Stellungnahme des S vom 15.02.2016 beigezogen. Darin wird ausgeführt, dass der in den Konsensempfehlungen verwendete Begriff „mehrere Bandscheiben“ mindestens drei Bandscheiben umfasse.
Auf Anfrage des Berichterstatters hat die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 24.08.2017 vorgelegt. Danach seien die vom Kläger vorgebrachten Änderungen übernommen worden und hätten vollständig Einfluss in die Berechnungen gefunden. Es ergebe sich eine Gesamtdosis von 23,4 MNh. Da innerhalb des gesamten Beschäftigungszeitraums von 21,7 Jahren der Richtwert für die Lebensdosis von 25,0 MNh nicht erreicht worden sei, sei die Bedingung für das zweite Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2 „Erreichen des MDD-Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren“ zu keinem Beschäftigungsabschnitt erfüllt. Hohe Belastungsspitzen seien während des gesamten Beschäftigungszeitraums von 21,7 Jahren zu keinem Zeitpunkt aufgetreten. Die Bedingung für das dritte Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2 „Erreichen der Hälfte des MDD-Tages-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (bei Männern 6 kN)“ sei somit nicht erfüllt.
Ferner hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme der H1 vom 29.08.2017 vorgelegt. Sie hat ausgeführt, bei der ursprünglichen Fassung der Konsenskriterien seien verbale Unschärfen produziert worden. Strittig sei schon immer der Begriff „mehrere“. Für einen Teil der Gutachter seien „mehrere“ zwei, für einen Teil der Gutachter seien „mehrere“ drei oder noch mehr Bandscheiben. Eine arbeitsmedizinische plausible Erklärung werde es dafür nicht geben. Dazu habe sich eben die Konsensarbeitsgruppe zusammengesetzt, um einen Konsensus zu fassen, was unter „mehrere“ zu verstehen sei. Um die Unschärfe zu beseitigen, sei G als Qualitätsbeauftragter eingesetzt worden, der den von ihr bereits vorgelegten Grundsatzartikel verfasst habe. Biomechanische Analysen, warum drei Bandscheiben betroffen sein müssten, gebe es ihres Wissens nicht.
Im Hinblick auf das unter dem Aktenzeichen B 2 U 13/17 beim Bundessozialgericht (BSG) geführte Verfahren hat der Senat auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 05.10.2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Das Verfahren ist auf Antrag des Klägers mit Schreiben vom 10.12.2020 wieder fortgeführt worden.
Der Kläger hat diverse ärztliche Unterlagen über Behandlungen in den Jahren 2018 bis 2020 vorgelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Belastungen zurückzuführen sei. In dem unter dem Aktenzeichen B 2 U 13/17 R ergangenen Urteil des BSG vom 06.09.2018 sei zwar die Revision nicht erfolgreich gewesen, da das LSG der Auffassung gefolgt sei, dass die Befundkonstellation B2 nur vorliege, wenn mindestens drei Bandscheibenschäden vorlägen. Jedoch habe das BSG auch erwähnt, dass hierzu auch andere Auffassungen vertreten würden, wonach ein bisegmentaler Schaden zur Erfüllung dieses Zusatzkriteriums ausreiche. In dem unter dem Aktenzeichen B 2 U 10/17 R ergangenen Urteil vom 06.09.2018 habe das BSG ausgeführt, das Tatsachengericht müsse sich sachverständiger Hilfe bedienen, insbesondere sei eine fachkundige Bestätigung bei der Interpretation der Konsensempfehlungen erforderlich, wenn in der medizinischen Fachliteratur auch andere Auffassungen vertreten würden. Daher sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens notwendig.
Die Beklagte hält ein weiteres Sachverständigengutachten nicht für erforderlich. Zwar sei dem Kläger zuzustimmen, dass das BSG in den genannten Urteilen daran festgehalten habe, dass die Frage, ob zwei oder drei Bandscheiben betroffen sein müssten, um das Zusatzkriterium „Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben“ zu erfüllen, nur durch einen Sachverständigen beurteilt werden könne. Unabhängig von der Praxistauglichkeit dieser Urteile, ein und dieselbe abstrakte Frage in jedem einzelnen Fall erneut durch einen Sachverständigen beurteilen zu lassen, sei den durch das Urteil aufgestellten Anforderungen hier bereits Genüge getan. B habe als durch das SG Ulm befragter Sachverständiger bereits ausgeführt, dass drei Bandscheiben betroffen sein müssten. Dies entspreche auch der herrschenden Meinung der medizinischen Fachwelt, wie sich insbesondere in dem Aufsatz von G, Qualitätssicherheitsbeauftragter der Konsenskriterien, zeige. Zudem sei auch in dem vom BSG entschiedenen Fall die Betroffenheit von drei Bandscheiben durch den Sachverständigen gefordert worden. Ein Gutachten werde auch nicht durch die vorgelegten Arztberichte erforderlich. Denn deutlich nach der Tätigkeitsaufgabe eingetretene Verschlimmerungen seien für das Vorliegen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht von Bedeutung. Zu berücksichtigen seien nur solche Beschwerden, bei denen eine plausible zeitliche Korrelation zwischen der ausreichenden beruflichen Belastung und dem Auftreten bestehe. In der Mehrzahl der Berichte stünden bandscheibenbedingte Erkrankungen auch nicht im Vordergrund. Vor allem aber seien keine „neuen“ Bandscheiben betroffen, so dass sich insofern kein Unterschied zu den bisherigen Feststellungen ergebe.
Der Kläger hat in dem am 16.06.2021 stattgefundenen Erörterungstermin diverse ärztliche Unterlagen über Behandlungen in den Jahren 2020 und 2021 vorgelegt.
Sodann hat der Senat die Akten des beim SG Münster unter dem Aktenzeichen S 10 U 428/12 anhängig gewesenen Verfahrens und des beim LSG Nordrhein-Westfalen unter dem Aktenzeichen L 17 U 275/14 anhängig gewesenen Verfahrens, die Gegenstand des vom BSG unter dem Aktenzeichen B 2 U 13/17 R entschiedenen Verfahrens gewesen sind, beigezogen. Darin sind insbesondere enthalten gewesen die Veröffentlichung des G im Handbuch für Gutachter u.a., „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule“ (Zusatzkriterium 1: Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren [mindestens drei] Bandscheiben, Minimalanforderung: bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 black disc im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten) und die Stellungnahme des G für das LSG Nordrhein-Westfalen in einer anderen Rechtssache vom 03.01.2008 (das in der Konstellation B2 aufgeführte Zusatzkriterium „Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben“ sei so zu verstehen, dass mehr als zwei, also mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssten), die Stellungnahme des S vom 09.05.2012 (fehle eine Begleitspondylose, fehle der black disc, fehle eine besonders intensive Belastung und fehlten hohe Belastungsspitzen, könne nur noch eine dreisegmentale Erkrankung zur Anerkennung führen; in der Konsensarbeitsgruppe habe Einigkeit darüber bestanden, dass unter „mehrere Segmenten“ mehr als zwei Segmente zu verstehen seien, was sich aber lediglich auf die sogenannten Basisannahmen, nicht auf die Hilfskriterien der B2-Konstellation beziehe), die ergänzende Stellungnahme des S vom 21.11.2013, das von Amts wegen eingeholte Gutachten des V vom 16.01.2015, das auf Antrag und Kostenrisiko des dortigen Klägers eingeholte Gutachten der B-Z vom 16.10.2015 und die ergänzende gutachterliche Stellungnahme des V vom 02.02.2016 (bei der Konstellation B2 seien altersuntypische Veränderungen in drei Segmenten der Lendenwirbelsäule als Zusatzkriterium zu fordern, um eine ausreichende Trennschärfe zu nicht beruflich verursachten Bandscheibenerkrankungen zu erzielen).
Schließlich hat H1 in ihrer von der Beklagten auf Anfrage des Senats vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 14.02.2022 ausgeführt, aufgrund der epidemiologischen Lage sei davon auszugehen, dass bei der Konstellation B3 der Konsensempfehlungen deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung spreche. Beim Kläger bestünden auch keine individuell zu berücksichtigenden besonderen Voraussetzungen, die zu einer anderen Bewertung führen könnten. Er sei über 45 Jahre alt, weise keine Begleitspondylose auf und habe über 20 Jahre Schwerarbeit geleistet und es ließen sich an der mittleren und oberen Lendenwirbelsäule nicht einmal Minimalveränderungen nachweisen. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung sei daher im Fall des Klägers abzulehnen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Ulm vom 02.02.2017 sowie nach sinngemäßer Auslegung des Berufungsantrags des Bescheides der Beklagten vom 26.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2015 und die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Diese prozessualen Ziele verfolgt der Kläger gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung (vergleiche Art. 7 Nr. 3 und Art. 28 Abs. 6 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze [7. SGB-IV-ÄndG] vom 12.06.2020 [BGBl I, S. 1248]) (n. F.). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII n. F. sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII n. F. wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. Die weitere in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (a. F.) normierte Einschränkung, dass auch bestimmt werden kann, dass Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist ab dem 01.01.2021 entfallen. Zugleich hat der Verordnungsgeber zum 01.01.2021 den Unterlassungszwang aus allen Berufskrankheiten-Tatbeständen gestrichen, somit auch aus dem Tatbestand der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Nach der ebenfalls zum 01.01.2021 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Rückwirkungsregelung in § 9 Abs. 2a Nr. 1 SGB VII n. F. sind Krankheiten in den Fällen des § 9 Abs. 1 SGB VII n. F., die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, rückwirkend frühestens zu dem Zeitpunkt als Berufskrankheit anzuerkennen, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist. Es handelt sich um eine zukunftsgerichtete tatbestandliche Rückanknüpfung beziehungsweise „unechte“ Rückwirkung, wonach die mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs verbundenen Anerkennungserleichterungen für bereits vor dem 01.01.2021 Erkrankte gelten (vergleiche Römer/Keller, Neues vom Gesetzgeber im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, SGb 2020, 651 [655]).
Bis zum 31.12.2020 war der Tatbestand der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wie folgt umschrieben: „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.“ Die Voraussetzung, wonach die bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben müssen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist mit Wirkung zum 01.01.2021 entfallen (vergleiche Art. 24 Nr. 3 Buchst. a, Art. 28 Abs. 6 des 7. SGB-IV-ÄndG). Zeitgleich ist der Tatbestand der Berufskrankheit Nr. 2108 um eine weitere Voraussetzung, wonach die bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben müssen, erweitert worden (vergleiche Art. 24 Nr. 3 Buchst. c, Art. 28 Abs. 6 des 7. SGB-IV-ÄndG). Seit dem 01.01.2021 wird der Tatbestand der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wie folgt umschrieben: „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben.“
Diese Änderung der Rechtslage zum 01.01.2021 hat indes auf den vorliegenden Fall keine Auswirkungen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht beim Kläger bereits keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das durch die versicherte Tätigkeit veranlasste Heben und Tragen schwerer Lasten verursacht worden ist.
Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R, juris Rn. 12 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 25/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 22/10 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30/07 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 9/08 R, juris).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers nicht vor.
Zwar gehört der Kläger zu dem versicherten Personenkreis. Er war in der Zeit vom 28.05.1990 bis zum 02.02.2012 als Kommissionierer versicherungspflichtig beschäftigt und war damit Versicherter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.
Auch liegen die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen in Bezug auf die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vor.
Der Kläger war ausweislich des Ermittlungsergebnisses des Präventionsdienstes der Beklagten vom 21.11.2013, das der Senat als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO verwertet hat, in seiner versicherten Tätigkeit langjährig, nämlich knapp 21,7 Jahre Kisten oder Kartons mit einem Gewicht von 5, 7, 15, 10, 20 und 22 kg ausgesetzt, indem er diese Lasten in jährlich 220 Schichten und je Schicht zwischen 50- und 500mal hat heben und umsetzen müssen. Diese Lasten sind jedenfalls in Bezug auf die 20 und 22 kg schweren und beidhändig gehandhabten Kisten und Kartons „schwer“ im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV gewesen. Denn zur Beantwortung der Frage, wann Lasten „schwer“ sind und demnach mit einem erhöhten Risiko für die Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen einhergehen, enthält das Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 01.09.2006 (Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff.), das jedenfalls als Interpretationshilfe herangezogen werden kann (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R, juris Rn. 15), als Richtwerte für Männer für beidhändiges Heben 20 kg, einhändiges Heben 10 kg, beidhändiges Umsetzen 30 kg, einhändiges Umsetzen 10 kg und beidseitiges Tragen neben dem Körper, auf den Schultern oder dem Rücken 30 kg. Da es sich hierbei um bloße Orientierungswerte handelt, können jedoch auch die übrigen vom Kläger gehandhabten Lasten mit geringerem Gewicht bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen hat, nicht von vorneherein unberücksichtigt bleiben.
Die Bestimmung der für die Verursachung einer Wirbelsäulenerkrankung erforderlichen Belastungsdosis erfolgt anhand des Mainz-Dortmunder Dosismodells. Hierbei handelt es sich um eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung, um die im Text der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV mit den unbestimmten Rechtsbegriffen „langjähriges“ Heben und Tragen „schwerer“ Lasten oder „langjährige“ Tätigkeit in „extremer Rumpfbeugehaltung“ nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen zu konkretisieren (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R, juris Rn. 19). Allerdings legt das Mainz-Dortmunder Dosismodell selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder – so der Titel der Veröffentlichung in ASUMed 1999, S. 101 ff. – ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, werden von seinen Verfassern nicht als Grenz-, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge bezeichnet (ASUMed 1999, S. 101, 109). Auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das Mainz-Dortmunder Dosismodell verweist, geht von bloßen Orientierungswerten aus (Bundesarbeitsblatt 10-2006, Heft 10, S. 30 ff.). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden. Umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht von vornherein aus. Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier relevanten Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R, juris Rn. 18, 19). In diesem Sinne gilt als unterer Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im Mainz-Dortmunder Dosismodell vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R, juris Rn. 25; siehe zudem BSG Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R, juris Rn. 27; BSG, Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R, juris Rn. 31; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R, juris Rn. 20). Für Männer legt das Mainz-Dortmunder Dosismodell als Gesamtbelastungsdosis 25 MNh fest (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 17). Der hälftige Orientierungswert beläuft sich damit auf 12,5 MNh.
Ob eine weitere Absenkung dieser Schwellenwerte im Hinblick auf die Ergebnisse der von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung geförderten und im Internet abrufbaren Studie „Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte“ angezeigt ist, lässt der Senat hier dahinstehen (offen gelassen auch in BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R, juris Rn. 17), da der Kläger nach den in sich stimmigen Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 21.11.2013 während seiner Beschäftigung als Kommissionierer einer Gesamtdosis von 23,4 MNh unterlag und damit seine Gesamtbelastungsdosis deutlich den hälftigen Orientierungswert überschritten hat.
Der Senat hat keine Zweifel, dass die Berechnung des Präventionsdienstes vom 21.11.2013 zutreffend ist, weshalb er sie seiner Entscheidung zugrunde legt. Der zuständige Mitarbeiter des Präventionsdienstes hat am 29.10.2013 den ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers begutachtet, am 15.11.2013 telefonisch ergänzende Informationen beim ehemaligen Arbeitgeber eingeholt sowie bei der Abfassung seiner Stellungnahme die Änderungen des Klägers im Ermittlungsbericht, der ihm vorab zur Prüfung übersandt worden war, berücksichtigt und auf dieser Grundlage die Arbeitsbelastungen des Klägers zutreffend dargestellt und berechnet.
Die berufliche Tätigkeit des Klägers war mithin geeignet, bandscheibenbedingte Erkrankungen auszulösen.
Der Kläger erfüllt jedoch nicht die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV und der Bandscheibenerkrankung.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulen-Erkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen beziehungsweise Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht – wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung – die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) die Ursache eines Erfolgs ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 15).
Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen. Nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht. Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule nicht automatisch auf die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 19).
Bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sind die Konsensempfehlungen der auf Anregung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe (Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, S. 211 ff.) zu Grunde zu legen. Die Heranziehung der Konsensempfehlungen ist eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob ein Bandscheibenschaden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde. Denn die Konsensempfehlungen stellen weiterhin eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands dar (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 20, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R, juris; BSG vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R, juris; BSG vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R, juris). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des SGB VII begegnet daher deren Anwendung keinen Bedenken.
Nach den Konsensempfehlungen ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bei einem Betroffensein der unteren Lendenwirbelsäulensegmente anzunehmen, wenn
die bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und
es sich bei der bandscheibenbedingten Erkrankung um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall handelt und
die Voraussetzungen der Befundkonstellation
B1 gegeben sind, also
wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und
eine Begleitspondylose vorliegt oder
B2 gegeben sind, also
wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und
eine Begleitspondylose nicht vorliegt und
zusätzlich
eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben vorliegt (bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten) oder
eine besonders intensive Belastung (Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren) oder
ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen (Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN; Männer ab 6,0 kN)
vorliegt (vergleiche insoweit BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 24, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R juris),
B4 gegeben sind, also wie Befundkonstellation B2, aber mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der schwächer ausgeprägt ist als an der Lendenwirbelsäule,
B7 gegeben sind, also wie Befundkonstellation B1, aber mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der gleich stark ausgeprägt ist wie an der Lendenwirbelsäule oder
B9 gegeben sind, also wenn wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren erkennbar sind, eine Begleitspondylose vorliegt und die konkurrierenden Krankheitsursachen das Schadensbild nicht durch eine überragende Qualität erklären.
Ferner bestand nach den Konsensempfehlungen kein Konsens für die Beurteilung einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bei einem Betroffensein der unteren Lendenwirbelsäulensegmente, wenn die Befundkonstellation B3 (wie Befundkonstellation B2, „aber keins der unter B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt“) gegeben ist, also die bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und es sich bei der bandscheibenbedingten Erkrankung um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall handelt sowie wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und eine Begleitspondylose nicht vorliegt, aber weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben (bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten), noch eine besonders intensive Belastung, noch ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen vorliegt.
Bei den Konsensempfehlungen handelt es sich nicht um einen verbindlichen normativen Text, weil diese ihre Geltung nicht auf den demokratisch legitimierten Gesetzgeber zurückführen können. Die Konsensempfehlungen sind für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter folglich nicht unmittelbar verbindlich, so dass sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre verbietet. Sie dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können. Ihre Interpretation als im Wesentlichen medizinisch-naturwissenschaftlicher Text ist daher zuvorderst sachkundigen Medizinern vorbehalten. Eine rein am Wortlaut und den klassischen juristischen Auslegungsmethoden orientierte Interpretation eines solchen primär naturwissenschaftlichen Textes ist nicht ausreichend. So lässt sich nach dem allgemeinem Sprachverständnis der in der Befundkonstellation B2 verwendete Wortlaut „mehrere Bandscheiben“ dahin auslegen, dass es genügt, wenn der Betroffene mehr als einen Bandscheibenvorfall aufweist. Aus dem Kontext und insbesondere der Formulierung „bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten black discs“ abzuleiten, dass auch bei einem bisegmentalen Befall zumindest ein weiteres Segment zumindest eine black disc aufweisen muss, ist indes ebenfalls eine schlüssige Argumentation (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 26).
Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssen, damit von einer Höhenminderung und/oder einem Prolaps an „mehreren Bandscheiben“ im Sinne der Befundkonstellation B2 ausgegangen werden kann. Diese Auslegung folgt der juristischen Methodik und entspricht dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand.
Nach den Ausführungen der H1 in ihren beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 12.09.2015 sowie 27.05.2016, die der Senat als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt, und des B in seinem Gutachten vom 27.04.2016 und seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 16.06.2016 liegen beim Kläger
in L1/L2, L2/L3 und L3/L4 keine Begleitspondylosen,
in L4/L5 ein Bandscheibenvorfall oder eine Chondrose Grad II und
in L5/S1 ein Bandscheibenvorfall
vor.
Nach den Ausführungen des Präventionsdienstes der Beklagten in seinen arbeitstechnischen Stellungnahmen vom 21.11.2013 und 24.08.2017 liegt beim Kläger eine besonders intensive Belastung nicht vor, da der Gesamtdosiswert von 25,0 x 106 Nh in weniger als 10 Jahren nicht erreicht ist (vergleiche Hessisches LSG, Urteil vom 23.01.2017 – L 9 U 111/14, juris Rn. 50), und hohe Belastungsspitzen mit 6 kN zu keinem Zeitpunkt auftraten. Dies hat der Präventionsdienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 24.08.2017, die der Senat ebenfalls als Urkundenbeweis im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 415 ff. ZPO verwertet hat, bestätigt.
Damit betrifft zwar im Sinne der Konsensempfehlungen die bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegend einen Vorfall in L5/S1 sowie eine Chondrose Grad II oder einen Vorfall in L4/L5. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Befundkonstellation B1 nicht gegeben, da eine Begleitspondylose nicht vorliegt, und sind die Voraussetzungen für die Befundkonstellation B2 nicht gegeben, da weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an „mehreren“ – also drei – Bandscheiben oder ein/e monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 mit im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten black discs, noch eine besonders intensive Belastung, noch ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen vorliegen. Daher ist auch die Befundkonstellation B4 nicht gegeben, da schon die Voraussetzungen der Befundkonstellation B2 nicht vorliegen, die Befundkonstellation B7 nicht gegeben, da schon die Voraussetzungen der Befundkonstellation B1 nicht vorliegen und die Befundkonstellation B9 nicht gegeben, da eine Begleitspondylose nicht vorliegt. Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht erforderlich.
Eine Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen ergibt sich nicht aus dem unter dem Aktenzeichen B 2 U 13/17 R ergangenen Urteil des BSG vom 06.09.2018. Zwar ist darin ausgeführt worden, dass eine rein am Wortlaut und den klassischen juristischen Auslegungsmethoden orientierte Interpretation eines primär naturwissenschaftlichen Textes nicht ausreichend sei, weil sich nach dem allgemeinen Sprachverständnis der Wortlaut „mehrere Bandscheiben“ auch dahin auslegen lasse, dass es genüge, wenn der Betroffene mehr als einen Bandscheibenvorfall aufweise. Sofern man aus dem Kontext und insbesondere der Formulierung der Befundkonstellation „bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten black discs“ ableite, dass auch bei einem bisegmentalen Befall zumindest ein weiteres Segment zumindest eine black disc aufweisen müsse, handele es sich ebenfalls um eine schlüssige Argumentation. Eine solche allein das Ergebnis nicht tragende, der juristischen Methodik folgende Auslegung müsse sich aber das Gericht naturwissenschaftlich-medizinisch durch gerichtliche Sachverständige bestätigen lassen. Das Gericht müsse durch eine Beweiserhebung absichern, dass die von ihm bevorzugte Lesart der Konsensempfehlungen auch dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspreche beziehungsweise diesem zumindest nicht offensichtlich widerspreche (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 25, 26).
Dies ist aber vorliegend durch die Einholung des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen B vom 27.04.2016 und dessen ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 16.06.2016 geschehen. Dieser hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 16.06.2016 seine ursprünglich anderslautende Einschätzung aufgegeben und unter Hinweis auf den von H1 mit ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2016 vorgelegten Aufsatz des G in ASUMed 49, 3/2014, S. 167 ff., ausgeführt, dass Minimalanforderung für die Befundkonstellation B2 eine Erkrankung von mindestens drei Bandscheiben ist. Er hat wörtlich ausgeführt: „... es genügt ein Bandscheibenvorfall in einem Segment und black disc in 2 angrenzenden Segmenten, dies ist die Minimalanforderung, es genügen auch nicht 2 Vorfälle, es müssten 3 sein, bzw. 3 x Chondrose mindestens °II, oder 2 Vorfälle und 1 x Chondrose mindestens °II, oder 1 Vorfall und 2 x Chondrose °II“. Ferner hat H1 in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.08.2017 nochmals ausgeführt, warum aus ihrer Sicht für die Bejahung der Befundkonstellation B2 drei Bandscheiben betroffen sein müssen. Dasselbe Ergebnis wird auch von S in seiner in dem unter dem Aktenzeichen L 9 U 5101/12 geführten Berufungsverfahren abgegebenen beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2016 vertreten, welche der Senat hier zwar als Urkundenbeweis, aber unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich im dortigen Verfahren um qualifiziertes Parteivorbringen gehandelt hat, verwertet hat,.
Der Senat verkennt nicht, dass die beratungsärztlichen Stellungnahmen der H1 im Gegensatz zu dem gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 402 f. ZPO als Sachverständigenbeweis zu wertenden Gutachten des B als qualifiziertes Parteivorbringen keine Beweismittel sind. Qualifiziertes Parteivorbringen kann aber dennoch bei der Überzeugungsbildung zu berücksichtigen und ebenfalls (sogar alleinige) Entscheidungsgrundlage sein (BSG, Beschluss vom 06.10.2020 – B 2 U 94/20 B, juris Rn. 11 mit weiteren Nachweisen). Vorliegend hat sich der Senat bei seiner Entscheidung von den beratungsärztlichen Stellungnahmen der H1, denen sich der Sachverständige B angeschlossen hat, leiten lassen, da diese in Bezug auf die Bewertung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV überzeugend gewesen sind.
Mithin ist die vom BSG geforderte naturwissenschaftlich-medizinische Bestätigung durch einen gerichtlichen Sachverständigen erfolgt.
Dass Minimalanforderung für die Befundkonstellation B2 eine Erkrankung von mindestens drei Bandscheiben ist, ergibt sich ferner aus den vom Senat beigezogenen ärztlichen Unterlagen der unter dem Aktenzeichen S 10 U 428/12 und L 17 U 275/14 anhängig gewesenen Verfahren beim SG Münster und LSG Nordrhein-Westfalen, die Gegenstand des vom BSG unter dem Aktenzeichen B 2 U 13/17 R entschiedenen Verfahrens gewesen sind. Darin haben G in seiner Veröffentlichung im Handbuch für Gutachter u.a., „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule“ sowie in seiner Stellungnahme vom 03.01.2008, S in seiner Stellungnahme 09.05.2012 und V in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 02.02.2016 dargelegt, dass und warum unter „mehrere Segmenten“ im Sinne der Befundkonstellation B2 mehr als zwei Segmente zu verstehen sind. Der Senat macht sich diese Beurteilung zu eigen.
Ferner hat das BSG die auf einer solchen Grundlage erfolgte Annahme, dass mindestens drei Bandscheiben betroffen sein müssen, damit von einer Höhenminderung und/oder einem Prolaps an „mehreren Bandscheiben“ im Sinne der Befundkonstellation B2 ausgegangen werden kann, nicht beanstandet. Es hat insoweit dargelegt, dass der vom Gericht durch Sachverständigenbeweis gewonnene, zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der Schädigung mehrerer Segmente für das erste Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2 in der Wissenschaft nicht allgemein angegriffen werde und deshalb dem aktuellen Erkenntnisstand nicht offenkundig widerspreche. Allein, dass auch eine andere Auffassung vertreten werde, reiche nicht aus, die Feststellungen des Gerichts zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 27).
Der vom Senat durch Sachverständigenbeweis gewonnene, zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der Schädigung mehrerer Segmente für die Befundkonstellation B2 wird in der Wissenschaft nicht allgemein angegriffen und widerspricht deshalb nicht offenkundig dem aktuellen Erkenntnisstand. Allein, dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (Seidler und Bolm-Audorff in Grosser und andere, BK 2108, 2014, S. 134, 138) und die Landessozialgerichte hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (bisegmental genügend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.02.2016 – L 9 U 5101/12, juris Rn. 56-60; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.7.2013 – L 6 U 59/11, juris Rn. 70-75; Sächsisches LSG, Urteil vom 21.06.2010 – L 2 U 170/08 LW, juris Rn. 46; bisegmental nicht genügend Bayerisches LSG, Urteil vom 31.01.2013 – L 17 U 244/06, juris Rn. 28; Hessisches LSG, Urteil vom 27.03.2012 – L 3 U 81/11, juris Rn. 38; Bayerisches LSG, Urteil vom 20.08.2009 – L 2 U 330/07, juris Rn. 31), reicht nicht aus, die Feststellungen des Senats zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem unter dem Aktenzeichen B 2 U 10/17 R ergangenen Urteil des BSG vom 06.09.2018. Denn dieser Entscheidung hat ein Sachverhalt zugrunde gelegen, in dem die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerade nicht erfolgt ist (BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R, juris Rn. 33).
Nach alledem liegen, worauf auch bereits H1 in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12.09.2015 hingewiesen hat, die Voraussetzungen der Befundkonstellation B3 vor. Denn die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/L5, es handelt sich bei der bandscheibenbedingten Erkrankung um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall, es liegt eine Begleitspondylose nicht vor und es liegen weder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren oder ein/e monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 mit im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten black discs, noch eine besonders intensive Belastung, noch ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen vor.
Für diese Befundkonstellation B3 war die Einschätzung des Zusammenhangs durch die Teilnehmer der Konsensarbeitsgruppe offensichtlich unterschiedlich und es wurde folglich auch keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen. Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Vielmehr ist es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend festzustellen, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R, juris Rn. 26; BSG, Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R, juris Rn. 52).
Vorliegend sind keine individuellen, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechenden Umstände gegeben, die im konkreten Einzelfall des Klägers den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Der Senat stützt sich dabei auf die beratungsärztliche Stellungnahme der H1 vom 14.02.2022, die der Senat ebenfalls als qualifiziertes Parteivorbringen berücksichtigt hat. Danach ist der Kläger bei der Erstmanifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung 46 Jahre alt gewesen und hat zu diesem Zeitpunkt eine Gesamtdosis von 23,4 MNh vorgelegen, ist also der hälftige Orientierungswert von 12,5 MNh für Männer überschritten gewesen. Der Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung im 46. Lebensjahr wäre kein Kriterium, um hier von einem besonders frühen Beginn der bandscheibenbedingten Erkrankung zu sprechen. Vielmehr weist nach den überzeugenden Ausführungen der H1 nach dem 30. Lebensjahr jeder Mensch degenerative Veränderungen in seinen Bandscheiben auf und erreicht die Häufigkeit der Spondylose und Osteochondrose als Ausdruck durchgemachter Bandscheibenlockerungen auf degenerativer Basis mit zunehmendem Alter eine ständige Steigerung mit einer Annäherung von 100% bei 80- bis 90-Jährigen. Die Richtlinien der Zusammenhangsbeurteilung sehen aber vor, dass bei einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV die Ausprägung der strukturellen Bandscheibenschäden deutlich über die Schwankungsbreite der altersentsprechenden Norm hinausgehen muss. Ferner hat H1 zutreffend dargelegt, dass beim Kläger die Veränderungen im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich den altersüblichen Rahmen darstellen, sich hier also keine wesentlichen vorauseilenden Veränderungen finden lassen. An der Lendenwirbelsäule begrenzt sich der Schaden auf die unteren beiden Segmente und es liegen überhaupt keine Abnutzungen an den Nachbarsegmenten, auch keine Minimalveränderungen und insbesondere keine Begleitspondylose vor. Die Begleitspondylose ist aber nach den überzeugenden Darlegungen der H1 ein wichtiges Indiz für körperliche Schwerarbeit. Fehlt sie und fehlen auch Abnutzungserscheinungen an den Segmenten oberhalb L4/5, spricht dies eindeutig gegen einen Zusammenhang. Ferner hat H1 zu Recht darauf hingewiesen, dass nach über 20 Jahren körperlicher Schwerarbeit eine Betonung der Bandscheibenschäden an der unteren Lendenwirbelsäule zu erwarten ist, wobei Spuren der Belastung jedoch auch in den höheren Lendenwirbelsäulensegmenten erkennbar sein sollten. H1 ist mithin schlüssig zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger keine individuell zu berücksichtigenden besonderen Voraussetzungen vorliegen, die es in seinem Fall rechtfertigen könnten, den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Nach alledem liegen die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht vor. Die Beklagte hat daher zu Recht die Feststellung dieser Berufskrankheit abgelehnt. Der mit der Berufung angegriffene Gerichtsbescheid des SG Ulm ist mithin rechtmäßig. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.