L 2 R 266/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 592/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 266/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 291/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2018 wird zurückgewiesen. 

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer höheren Altersrente unter Anerkennung von weiteren Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung.

Der 1952 geborene Kläger beantragte im Jahr 1984 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ausweislich des Antragsvordruckes gab er an, in der Zeit von 1966 bis 1969 eine Kellnerlehre absolviert sowie sich von 1969 bis 1970 in Israel aufgehalten und in einem Kibbuz gearbeitet zu haben. Von 1970 bis 1980 habe er teilweise als Kellner und Bürohilfe gearbeitet, sei jedoch auch für längere Zeiträume arbeitsunfähig erkrankt und arbeitslos gewesen. Ausweislich des Versicherungsverlaufes sind für den Kläger aufgrund der Versicherungskarte 01 Pflichtbeitragszeiten vom 1. April 1966 bis 20. Juli 1969, aufgrund der Versicherungskarte 02 Pflichtbeitragszeiten vom 15. Juli 1969 bis 15. August 1969, aufgrund der Versicherungskarte 01 Pflichtbeitragszeiten vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1970 und 1. März 1971 bis 31. Dezember 1971 und aufgrund der Versicherungskarte 03 ab 1. Januar 1972 verzeichnet. Der Kläger bezog seit dem 1. November 1984 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer.

Seit dem 1. Juli 2017 bezieht der Kläger aufgrund Bescheides der Beklagten vom 6. Juni 2017 eine Regelaltersrente. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 3. Juli 2017 Widerspruch ein und trug vor, dass der Zeitraum von September 1969 bis September 1970 als rentenrechtliche Zeit zu berücksichtigen sei. Er habe sich von September 1969 bis einschließlich September 1970 für 13 Monate in einem Heim des kirchlichen Heimträgers C. (Zweiganstalt D.) in K-Stadt (Niedersachsen) aufgrund einer Unterbringungsanordnung des zuständigen Jugendamtes aufgehalten. Während des Aufenthalts habe er für den Heimträger Arbeit verrichten müssen, ohne Arbeitsentgelt zu erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Rentenrechtliche Zeiten ergäben sich aus § 54 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), Beitragszeiten aus § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI. Danach seien Pflichtbeitragszeiten auch solche Zeiten, für die zwar kein Beitrag gezahlt worden sei, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften jedoch als gezahlt gelten. Die von ehemaligen Heimkindern geleistete Arbeit könne nicht als rentenrechtliche Beitragszeit angerechnet werden. Der Heimträger habe keine Beiträge gezahlt, auch habe kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorgelegen, da es sich nicht um ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe. Heimkindern sei es nicht möglich gewesen, nicht zu arbeiten. Die im Rahmen der Unterbringung erbrachten Leistungen, wie Kost und Logis, stellten kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt dar.

Hiergegen hat der Kläger am 6. November 2017 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Er hat vorgetragen, dass die rechtswidrige Einschränkung von Grundrechten nicht berücksichtigt worden sei. Seine Beschäftigung während des Heimaufenthaltes sei als Beitragszeit zu werten. Der Kläger hat wörtlich beantragt,
1) festzustellen, dass die Monate September 1969 bis September 1970 als Beitragszeiten gelten;
2) festzustellen, dass die Beitragszeit von September 1969 bis September 1970 bereits 1984 bei der Berechnung bzw. Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente hätte berücksichtigt werden müssen;
3) festzustellen, dass es in der C.-ler Anstalt D. Zwangsarbeit gegeben habe.
Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2018 hat der Kläger seine Klage dahingehend erweitert,
4) den Rentenbescheid bezüglich der Erwerbsminderungsrente von 1984 zu überprüfen.

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2018 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger eine Altersrente, bei deren Berechnung der Zeitraum von September 1969 bis September 1970 als rentenrechtliche Beitragszeiten berücksichtigt werde, begehre. Dieses Klageziel könne er mit einer Anfechtung des Rentenbescheides einerseits und einer Leistungsklage bzgl. einer derart berechneten Altersrente erreichen. Streitgegenständlich hinsichtlich des Klageantrags zu 1) sei daher der Bescheid vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2017. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente, bei deren Berechnung der Zeitraum von September 1969 bis September 1970 als rentenrechtliche Zeiten anerkannt werden könne. Der Bescheid vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2017 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Zeitraum von September 1969 bis September 1970 im Heim C. stelle keine rentenrechtliche Zeit dar. Für diese Zeiten seien weder freiwillige Beiträge, § 55 Abs. 1 Satz 1 2. Var. SGB VI, noch Beiträge nach Bundesrecht, § 55 Abs. 1 Satz 1 1. Var. SGB VI, geleistet worden. Mangels Meldung eines Beschäftigungsverhältnisses greife die Vermutung gezahlter Beiträge nach § 199 Abs. 1 SGB VI nicht ein. Die Vermutungsregelung des § 203 SGB VI greife ebenfalls nicht ein. Hierfür fehle es an einer Zahlung von Arbeitsentgelt an den Kläger. Dieser habe vielmehr selbst vorgetragen, dass er kein Arbeitsentgelt erhalten habe. Vielmehr sei die Weigerung der Arbeit durch körperliche Züchtigung durch die Erzieher bestraft worden. Die einzige Leistung, die der Kläger durch das Heim erhalten habe, seien Nahrung und Unterkunft, Kleidung und sonstige Gegenstände des täglichen Lebens gewesen. Zudem fehle es an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass von diesen „Gegenleistungen" Beiträge an die Rentenversicherung für die jeweils untergebrachte Person abgeführt worden seien. Vielmehr sei die Arbeit der Kinder in den Heimen zur damaligen Zeit als nicht versicherungspflichtig angesehen worden (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2017, L 8 R 1261/16). Die Beweiserleichterung des § 286 Abs. 5 SGB VI komme ebenfalls nicht in Betracht. Es fehle bereits an der Glaubhaftmachung der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Der 17 bzw. 18 Jahre alte Kläger sei auf der Grundlage des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1961 in dem Kinderheim C. ohne seine Zustimmung untergebracht gewesen. In der damals vorherrschenden Meinung habe diese Erziehung dazu gedient, den Minderjährigen zu einem brauchbaren und ordentlichen Menschen zu erziehen, in erster Linie, ihn zu gewissenhafter und regelmäßiger Arbeitsleistung anzuhalten (Verweis auf BSG, Urteil vom 30. Januar 1975, 2 RU 200/72). Die Unterbringung habe Erziehung und Ertüchtigung für ein späteres selbständiges Leben umfasst. Als „Ersatzfamilie" seien dem Kläger die für das Leben notwendigen Dinge, neben Unterkunft und Verpflegung u.a. Kleidung, zur Verfügung gestellt worden. Zudem sei eine Schulausbildung angeboten worden (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2017, L 8 R 1261/16). Der Kläger habe selbst vorgetragen, dass die Berufsschulausbildung grundsätzlich angeboten worden sei, wenn auch nur durch einen Lehrer, und er an diesem Unterricht grundsätzlich teilgenommen habe. Glaubhaft sei, dass der Kläger durch den Heimträger zu Arbeiten herangezogen worden sei, die über die reine Haushaltsmithilfe hinausgegangen seien. Diese stellten jedoch keine versicherungspflichtige Beschäftigung dar. Das Gericht schließe sich der ausführlichen Begründung des LSG Baden-Württemberg in dessen Urteil vom 24. Februar 2017 (L 8 R 1261/16) insoweit an. Zwischen dem der staatlichen Fürsorge unterstellten Minderjährigen und der Unterbringungsanstalt fehle es an einem auf freiwilliger Entscheidung beruhenden Arbeitsverhältnis. Insbesondere fehle es an einem Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die geleistete Arbeit, da die durch das Heim gewährten Leistungen (Kost, Logis, Gegenstände des Alltags) auch dann angefallen wären, wenn der Kläger sich geweigert hätte, die aufgetragenen Arbeiten auszuführen (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juni 2005, L 12 R 2441/04). Die Klageanträge zu 2) bis 4) seien bereits unzulässig. Für die Klageanträge zu 2) und 3) fehle es am besonderen Feststellungsinteresse i.S.d. § 55 Abs. 1 SGG. Die mit dem Klageantrag zu 2) begehrte Feststellung, dass bereits bei Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente der streitgegenständliche Zeitraum als rentenversicherungsrechtlich relevante Zeiten hätte Berücksichtigung finden müssen, decke sich mit dem Begehr des Klägers, welches im Klageantrag zu 4) ausgedrückt werde, den Rentenbescheid bzgl. der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente aus dem Jahr 1984 zu überprüfen. Die Überprüfung dieses Bescheides sei der einfachere Weg, die vom Kläger begehrte Feststellung zu erreichen. Das Feststellungsbedürfnis fehle ebenso hinsichtlich des Klageantrages zu 3). Denn ob Zwangsarbeit vorgelegen habe, sei bereits inzident im Klageantrag zu 1) bzgl. der Rechtmäßigkeit der Rentenbewilligung und der damit festgestellten Rentenzeiten zu prüfen. Der Klageantrag zu 4) sei unzulässig, da der Rentenbescheid bzgl. der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente bestandskräftig geworden sei. Ein weiteres Verwaltungsverfahren zur Überprüfung des Rentenbescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei nicht durchgeführt worden.

Der Kläger hat gegen den ihm am 11. Juli 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 2. August 2018 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Er ist der Ansicht, dass für ihn weitere Pflichtbeitragszeiten im Zeitraum von September 1969 bis September 1970 wegen seiner Beschäftigung in der Einrichtung D. zu gewähren seien. Er macht geltend, dass er sich in dieser Zeit gegen seinen Willen in diesem einem Heim aufgehalten habe und nicht in Israel. Er habe dort seine Arbeitsleistung aufgrund eines freiwilligen Entschlusses erbracht und als Gegenleistung zumindest ein Taschengeld erhalten. Die damalige Entscheidung, seine Tätigkeit nicht als versicherungspflichtig einzustufen, sei rechtwidrig gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2018 aufzuheben sowie den Bescheid vom 6. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung der Zeiten von September 1969 bis September 1970 als Beitragszeiten zu gewähren.
 Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Berücksichtigung weiterer Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung nicht in Betracht komme, da weder eine freiwillige Beschäftigung vorgelegen habe noch eine Gegenleistung für die Tätigkeit gewährt worden sei, sondern diese im Rahmen des Erziehungsauftrages durch den Heimträger angeordnet worden sei. Zudem seien keine Beiträge abgeführt worden.

Der Senat hat die Stiftung C., Diakonie D. und das Jugendamt der Stadt E-Stadt um Auskunft gebeten. Auf deren Antworten vom 26. November 2018, 1. Oktober 2019 und 16. Juli 2020 wird Bezug genommen.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 155 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2018 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 6. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2017 war nicht abzuändern, denn er ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der Zeiten von September 1969 bis September 1970 als Beitragszeiten.

In diesem Zeitraum sind keine weiteren Beitragszeiten anzuerkennen. 

Beitragszeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Sowohl Pflichtbeiträge als auch freiwillige Beiträge müssen materiell und formell wirksam entrichtet werden, damit die Beitragszeiten ihre Wirkung entfalten können. Eine formell und materiell wirksame Beitragszahlung liegt vor, wenn die Beiträge entsprechend ihrer rechtlichen Bestimmung (als freiwillige Beiträge oder Pflichtbeiträge) tatsächlich gezahlt werden (Flecks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 55 SGB VI (Stand: 01.04.2021), Rn. 22). 

Für den Kläger wurden im streitgegenständlichen Zeitraum keine Beiträge gezahlt. Weder der zuständige Jugendhilfeträger noch der Heimträger haben Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Der Kläger selbst ebenfalls nicht. Die Beitragsentrichtung muss nachgewiesen werden. Ein solcher Nachweis kann vorliegend nicht erbracht werden. Insbesondere ergibt sich die Beitragsentrichtung nicht aus den Versicherungskarten, die der Beklagten vorlagen. Ausweislich des Versicherungsverlaufs der Beklagten weisen die Versicherungskarten 01 und 02 lediglich Beitragszahlungen vor und nach dem streitigen Zeitraum aus. 

Eine Fiktion der Beitragszahlung – entsprechend § 2 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) – existiert nicht.

Auch eine Anerkennung als Beitragszeit infolge einer Glaubhaftmachung gemäß § 286 Abs. 5 SGB VI scheidet vorliegend aus. Nach § 286 Abs. 5 SGB VI ist eine Beitragszeit anzuerkennen, wenn Versicherte für Zeiten vor dem 1. Januar 1973 glaubhaft machen, dass sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt haben, die vor dem Ausstellungstag der Versicherungskarte liegt oder nicht auf der Karte bescheinigt ist, und für diese Beschäftigung entsprechende Beiträge gezahlt worden sind. § 286 Abs. 5 SGB VI betrifft Beschäftigungszeiten, die vor dem 1. Januar 1973, also vor Einführung des maschinellen Meldeverfahrens, zurückgelegt worden sind und die entweder vor dem Ausstellungstag der Versicherungskarte liegen oder die aus anderen Gründen nicht in der Versicherungskarte vermerkt sind. Voraussetzung ist jedoch, dass die Beschäftigung in einer Versicherungskarte einzutragen gewesen wäre. Welche Gründe dazu geführt haben, dass die Beschäftigungszeit nicht in die Versicherungskarte eingetragen wurde, ist unerheblich; es kommt auch nicht darauf an, ob den Versicherten an der Nichteintragung ein Verschulden trifft. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt wurde, richtet sich nach dem im damaligen Zeitraum der ausgeübten Beschäftigung geltenden Recht. Maßgeblich ist daher, ob die Beschäftigung in dem Zeitraum, in dem sie ausgeübt wurde und für den die Glaubhaftmachung begehrt wird, nach dem damals geltenden Recht (renten-)versicherungspflichtig war. Die Glaubhaftmachung der Beitragszahlung ist neben der Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt unerlässliche Voraussetzung der Anerkennung einer Beschäftigungszeit als Beitragszeit i.S.d. § 286 Abs. 5 SGB VI (Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 286 SGB VI (Stand: 01.04.2021), Rn. 31). Der Versicherte hat beide Merkmale, das der Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit sowie das der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen hierauf, jeweils glaubhaft zu machen (Bayerisches LSG, Urteil vom 28. Januar 2009, L 13 R 610/08, juris; KassKomm/Wehrhahn SGB VI § 286 Rn. 20). Es handelt sich um zwei untereinander nicht verknüpfte, voneinander unabhängige Tatbestandsmerkmale, die jeweils gesondert glaubhaft zu machen und von der Behörde sowie den Gerichten auch getrennt zu prüfen sind (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Mai 2013, L 18 KN 52/10, juris). So muss die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zugleich die Beitragsabführung aus dem daraus erzielten Entgelt bedeuten. Auch gibt es keinen Rechtssatz, wonach eine nachgewiesene Beschäftigung die Entrichtung von Beiträgen glaubhaft werden lässt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1986, 11a RA 59/85, SozR 5745 § 1 Nr. 2; BSG, Urteil vom 7. September 1989, 5 RJ 79/88, juris). Ein Verzicht auch auf die Glaubhaftmachung der Beitragszahlung widerspricht der Gesetzeslage und ist deshalb unzulässig (LSG, Urteil vom Berlin-Brandenburg, 27. Januar 2015, L 8 R 510/14, juris). Eine Tatsache ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Zur Glaubhaftmachung müssen vom Versicherten wenigstens ausreichende positive Indizien für die glaubhaft zu machende Tatsache beigebracht werden. 

Der Kläger hat weder eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt, die nach damaligen Recht versicherungspflichtig gewesen ist, noch eine Beitragszahlung glaubhaft gemacht.

Zunächst hat der Kläger schon den Zeitraum eines Aufenthaltes in der Einrichtung in D. nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Belegt ist nur sein Übergang zum 20. September 1970 in eine weitere Betreuung in dem Jugendheim „F.“ des Ev. H. e.V. in G-Stadt. Denn über diesen Aufenthalt hat der Kläger einen Nachweis in Form einer Beurteilung vom 17. Oktober 1979 vorgelegt. Akten und Unterlagen über den Heimaufenthalt in der Einrichtung in D. existieren weder beim Jugendhilfeträger noch beim Heimträger und konnten auch 2013 schon bei einer Anfrage des bundesweiten Entschädigungsfonds nicht vorgelegt werden. Der Kläger verfügt selbst auch nicht über entsprechende Dokumente. Bei seiner Antragstellung zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit 1984 hatte der Kläger keinen Aufenthalt in der Einrichtung in D. angegeben, sondern mitgeteilt, dass er sich in Israel in einem Kibbuz aufgehalten habe. Der Kläger selbst hat auch wenig konkrete Aussagen über seinen Aufenthalt und eine von ihm ggf. verrichtete Tätigkeit gemacht. Seine eher allgemeinen Angaben sind für eine Glaubhaftmachung des Aufenthaltes und erst recht für eine Beschäftigung nicht ausreichend.

Selbst wenn der Aufenthalt jedoch als für den angegeben Zeitraum gegeben angenommen würde, ergäbe sich lediglich aus der vom Senat recherchierten Literatur (Kraul/Schumann/Elzer/Kirchberg, Zwischen Verwahrung und Förderung, Heimerziehung in Niedersachsen 1949 bis 1975, 2012; Verspätete Modernisierung, Henkelmann/Pierlings/Kaminsky/Swiderek/Banach, Öffentliche Erziehung im Rheinland – Geschichte der Heimerziehung in Verantwortung des Landesjugendamtes (1945 – 1972), 2010; Benad/Schmuhl/Stockhecke, Endstation D., Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten C. bis in die 1970er Jahre, 2. Auflage 2011) als allgemeine Tatsache, dass Heimbewohner in Fürsorgejugendheimen zu der hier streitigen Zeit wie Arbeiter Tätigkeiten verrichten mussten, um den Heimbetrieb aufrecht zu erhalten und diesen wirtschaftlich abzusichern. So mussten Hausarbeiten erledigt und diverse handwerkliche Tätigkeiten verrichtet werden. In der Einrichtung D. kamen Tätigkeiten wie Torfstechen hinzu. Sicher lässt sich dieser Literatur auch entnehmen, dass in fast allen Heimen dieser Zeit, erhebliche Strafen und Nachteile zu erfahren waren, wenn Heimbewohner sich weigerten, die Tätigkeiten zu verrichten. Demgegenüber konnten sie bei guter Leistung ein Taschengeld erhalten. Allerdings lässt sich dem Werk „Endstation D.“ entnehmen, dass ab 1969 sich die Ausbildungs- und Erziehungssituation in D. änderte und ein modernerer Erziehungsansatz verfolgt wurde. Jedoch ließe sich auch ohne Berücksichtigung sich verändernder Verhältnisse in D. ab 1969 unter Heranziehung der Rechtsprechung des BSG zu den Ghetto-Renten (siehe z. B. BSG, Urteil vom 20. Mai 2020, B 13 R 9/19 R, BSGE 130, 171-199, SozR 4-5075 § 1 Nr. 10 m.w.N.) vertreten, dass es sich bei den von den Jugendlichen verrichteten Tätigkeiten um eine Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts gehandelt hatte, weil sie nicht vollständig unfrei war und ein gewisses Entgelt in Form eines Taschengeldes oder von Sachprämien erzielt wurde. Gegen eine Arbeitnehmereigenschaft spricht aber, dass auch der Kläger selbst die Beschäftigung in D. als „Zwangsarbeit“ bezeichnet hat. Der Zwangscharakter gehörte zum damaligen Wesen der Heimerziehung, weshalb der Heimträger den Zöglingen regelmäßig nicht als Arbeitgeber, sondern als Organ der Erziehungsbehörde gegenübertrat (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1975, 2 RU 200/72, juris). 

Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausgeübt wurde, richtet sich nach dem im streitigen Zeitraum geltenden Recht. Versicherungspflichtig in der Rentenversicherung der Arbeiter bzw. Angestellten waren nach § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) alle Personen, die als Arbeitnehmer bzw. als Angestellte gegen Entgelt oder die als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Diese unter der RVO und dem AVG geltenden Regelungen entsprechen dem heute geltenden Recht des in § 7 Abs. 1 SGB IV definierten Begriffs der „unselbständigen Arbeit“. Hierzu hat das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18. Juni 1997, BSGE 80, 250, 252) ausgeführt, ein - nach der RVO bzw. dem AVG versicherungspflichtiges - Beschäftigungsverhältnis komme durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande. Typisch sei, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert werden. Dies gelte auch für die Abgrenzung zwischen freien und unfreien Beschäftigungen (= Zwangsarbeitsverhältnissen). Frei sei ein Beschäftigungsverhältnis, wenn es aus eigenem Antrieb zu einem Vertragsabschluss gekommen sei. Allerdings setzte ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis nicht notwendig den Abschluss eines Arbeitsvertrages nach zivilrechtlichen Grundsätzen voraus (vgl. § 7 SGB IV). Gemessen an diesen Kriterien sei eine unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (z.B. als Strafgefangener oder KZ-Häftling) grundsätzlich nicht als eine Beschäftigung einzustufen, die - nach den Bestimmungen der RVO bzw. des AVG - der Versicherungspflicht unterlegen habe (BSG, Urteil vom 21. April 1999, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; BSG, Urteil vom 14. Juli 1999, SozR 3-5070 § 14 Nrn. 2 und 3; BSG, Urteil vom 23. August 2001, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 4 R 29/06 R, juris). Mithin ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nach dieser benannten Rechtsprechung des BSG von der Freiwilligkeit und der Entgeltlichkeit geprägt. Die Beschäftigung muss aus „eigenem Willensentschluss“ aufgenommen worden sein. Diese Rechtsprechung hat das BSG in seiner Ghetto-Rechtsprechung (teilweise) korrigiert und entschieden, dass auch in einem Ghetto ein auf freiwilliger Basis begründetes Beschäftigungsverhältnis bestanden haben konnte (beginnend mit BSG, Urteil vom 18. Juni 1997, BSGE 80, 250). So wurde Zwangsarbeit angenommen, wenn der Betroffene auf Anordnung „von hoher Hand“ unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung die Arbeit verrichten musste. Keine Zwangsarbeit lag danach vor, wenn die „hohe Hand“ für die Beschäftigungsaufnahme noch irgendeinen Raum für eine freie Willensbetätigung gelassen hatte (BSG, Vorlagebeschluss, 20. Dezember 2007, B 4 R 85/06 R, juris). Insoweit reicht für die „Freiwilligkeit“ danach aus, dass bei der Aufnahme der Beschäftigung von „hoher Hand“ nur nicht jede freie Willensbetätigung ausgeschlossen war. Hierbei bleiben die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassten (etwa Bedarfsdeckung, Gewinn- bzw. Einkommensmaximierung, Selbstverwirklichung), ebenso die allgemeinen Lebensumstände, die nicht die Arbeit und das Arbeitsentgelt als solches betreffen, außer Betracht (BSG, Urteil vom 21. April 1999, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; BSG, Urteil vom 14. Juli 1999, SozR 3-5070 § 14 Nrn. 2 und 3; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 4 R 29/06 R, juris).

Hinsichtlich der Freiwilligkeit im Zusammenhang mit in Erziehungsheimen untergebrachten Jugendlichen hat das BSG (Urteil vom 30. Januar 1963, 3 RK 36/59, BSGE 18, 246) darauf hingewiesen, dass ein Beschluss eines Vormundschaftsgerichts keinen Strafcharakter habe und auch keine Maßnahme der Sicherungsverwahrung darstelle. Der Beschluss weise auch nicht den Jugendlichen in eine Fürsorgeanstalt ein. Der vormundschaftsgerichtliche Beschluss beschränke sich vielmehr auf die Anordnung der Fürsorgeerziehung und habe zur Folge, dass das Recht und die Pflicht der Eltern zum Unterhalt, zur Erziehung und zur Beaufsichtigung des Minderjährigen als Teil des den Eltern zustehenden Gesamtpersonensorgerechts kraft öffentlichen Rechts auf die Organe der öffentlichen Jugendhilfe übergehe. Damit richte sich der mit der Anordnung der Fürsorgeerziehung verbundene staatliche Zwang in erster Linie gegen die Eltern – nicht gegen den Jugendlichen. Die elterlichen Rechte würden nach Erlass des vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses weitgehend von der Fürsorgeerziehungsbehörde wahrgenommen. Hiervon sei aber ein Lehr- und somit auch ein Beschäftigungsverhältnis streng zu trennen. Ein solches Lehr- und Arbeitsverhältnis könne nur durch Vertrag begründet werden. Da es zum Wesen der Fürsorgeerziehung und zum Erziehungszweck gehört habe (BSG, Urteil vom 30. Januar 1975, 2 RU 200/72, BSGE 39, 104-108), den Minderjährigen zu einem brauchbaren und ordentlichen Menschen zu erziehen, sei er in erster Linie zu gewissenhafter und regelmäßiger Arbeitsleistung anzuhalten gewesen. Das mit der Durchführung dieser Erziehungsaufgabe betraute Heim (Heimträger) trat dem Fürsorgezögling daher regelmäßig nicht als Arbeitgeber entgegen, sondern als Organ der Erziehungsbehörde. Das schließe allerdings nicht generell aus, dass auch während der Fürsorgeerziehung ein freies Beschäftigungsverhältnis oder Ausbildungsverhältnis bestehen könne (BSG, Urteil vom 30. Januar 1975, 2 RU 200/72, BSGE 39, 104-108). Dies ergibt sich auch aus § 1 Jugendarbeitsschutzgesetz in der Fassung vom 9. August 1960, wonach die Regelungen dieses Gesetzes nicht zur Anwendung gelangten, wenn die Beschäftigung überwiegend Zwecken der Erziehung, der Heilung oder des Schulunterrichtes dient. Bei der Ausführung der Fürsorgeerziehung galt die Erziehungsbehörde nach § 69 Abs. 4 Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG – aufgehoben m.W.v. 1. Januar 1991) als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen für Rechtsgeschäfte, welche die Eingehung, Änderung oder Aufhebung eines Arbeits- oder Berufsausbildungsverhältnisses betrafen. Sie konnte daher, sofern es der Erziehungszweck erforderte, für den Minderjährigen auch bei Heimunterbringung ein freies Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis begründen.

Der Kläger hat (auch) keine Tatsachen dargetan und glaubhaft gemacht, aus denen sich in seinem Fall im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte Beschäftigung eine schriftliche, mündliche oder konkludente Vereinbarung feststellen ließe. Der Kläger selbst war als Minderjähriger insoweit nicht in der Lage, alleine eine entsprechende Erklärung wirksam abzugeben. Eine Erklärung der Erziehungsbehörde oder eines Amtsvormundes, sei sie ausdrücklich oder konkludent, ist nicht feststellbar. Das bloße Schweigen zu der damals üblichen Heranziehung der Heimkinder zu Arbeitsleistungen bedeutet nicht, dass die Erziehungsbehörde oder der Amtsvormund stillschweigend eine entsprechende Vereinbarung akzeptiert oder bloß geduldet hätten. Dass die Einrichtung in D. die mögliche Arbeitsleistung des Klägers wirtschaftlich ausgenutzt haben könnte, führt nicht per se zur Versicherungspflichtigkeit der von dem Kläger ggf. geleisteten Arbeiten. Denn insoweit ist nicht maßgeblich, wie das Arbeitsergebnis vom Auftraggeber verwertet wird oder ob es zu einem Gewinn oder Einsparungen führt, sondern in welchem Verhältnis der Kläger zum Auftraggeber stand. Gleiches gilt auch für ein versicherungspflichtiges Ausbildungs- bzw. Lehrverhältnis. Weder konnte der Senat einen schriftlichen, mündlichen oder konkludenten Vertrag über eine Ausbildung bzw. Lehre seitens des Klägers noch seitens der Erziehungsbehörde bzw. dem Amtsvormund noch eine tatsächliche Ausbildung bzw. Lehre feststellen oder als glaubhaft gemacht ansehen. Hinweise auf eine Ausbildung bzw. Lehre sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30. Januar 1963, 3 RK 36/59, BSGE 18, 246), dass die Tätigkeit klar auf das Ziel der Berufsausbildung ausgerichtet ist, die „Anleitung“ der Lehrlinge durch Lehrmeister erfolgt, die Lehrzeit festgelegt und so bemessen ist, dass nach ihrem Ablauf die Ablegung der Gesellenprüfung möglich ist. Hierfür bestehen nach dem Vortrag des Klägers und den Erkenntnissen aus der recherchierten Literatur keine Anhaltspunkte. Denn weder war die Tätigkeit auf eine Berufsausbildung gerichtet, zumal der Kläger schon vor dem möglichen Heimaufenthalt eine Ausbildung abgeschlossen hatte, noch erfolgte die Anleitung durch Lehrmeister, was auch der Kläger nicht behauptet hat. Ebenso war die Lehrzeit nicht festgelegt, die Tätigkeit war auch nicht auf Ablegung einer Gesellenprüfung gerichtet und auch nicht darauf, von der Handwerkskammer als ordnungsmäßig anerkannt und in die Lehrlingsrolle eingetragen zu werden. 

Darüber hinaus fehlt es auch an der zweiten Voraussetzung des § 286 Abs. 5 SGB VI, der Glaubhaftmachung der Beitragszahlung. Angesichts der Tatsache, dass die der Beklagten vorgelegten Versichertenkarten 01 und 02 schon vor dem Heimaufenthalt ausgestellt und dort Beitragszahlungen verzeichnet wurden und auch im Anschluss daran wieder, ist es extrem unwahrscheinlich, dass lediglich vergessen wurde, eine tatsächlich erfolgte Beitragszahlung während des Heimaufenthaltes zu verzeichnen. 

Damit konnte der Senat nicht feststellen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 286 Abs. 5 SGB VI vorliegen. 

Der Kläger kann sich hinsichtlich der Beitragszahlung auch nicht auf die Regelung in § 286 Abs. 6 i.V.m. § 203 Abs. 2 SGB VI stützen. Danach gilt ein Versicherungsbeitrag als gezahlt, wenn der Versicherte glaubhaft macht, dass der auf ihn entfallende Beitragsanteil vom Arbeitsentgelt abgezogen worden ist. Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen und es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Kläger ein entsprechend reduziertes Arbeitsentgelt erzielt haben könnte.

Eine rentenrechtliche Versicherungszeit für Jugendliche und Heranwachsende, die im Rahmen einer vormundschaftsgerichtlich angeordneten Unterbringung von der Fürsorgeeinrichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen herangezogen worden waren, ist im Ergebnis nicht allein daraus zu folgern, dass Geld- und Sachleistungen gewährt wurden (Anschluss an LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2017, L 8 R 1262/16, juris). 

Eine eigenständige Regelung zur Versicherungspflicht von beschäftigten Heimbewohnern, gab es im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Erst zu Beginn der 1970er Jahre wurden nahezu alle im Heim beschäftigten Jugendlichen durch das Berufsbildungsgesetz aus dem Jahr 1969 erfasst und zur Sozialversicherung angemeldet. Diese Änderungen begannen mit der Entscheidung des BSG vom 30. Januar 1963, 3 RK 36/59 (BSGE 18, 246). Im Anschluss daran wurden alle Jugendlichen, die in einem Lehrverhältnis standen und alle Anlernlinge rückwirkend ab 1. Dezember 1958 versichert und Beiträge abgeführt. Dies galt jedoch nicht für diejenigen Jugendlichen, die aus arbeitstherapeutischen Gründen beschäftigt wurden und bei denen allgemein erzieherische Belange im Vordergrund standen. Damit wurde viele Jugendliche, die im Rahmen einer Berufserprobung oder als Hilfsarbeiter beschäftigt waren, durch die Rechtsprechung des BSG nicht erfasst. Die erst 1975 eingefügten Regelungen der § 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a RVO und § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AVG, die die Versicherungspflicht von Personen, die vor Eintritt in das Erwerbsleben in Einrichtungen der Jugendhilfe durch Beschäftigung für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen, sofern sie nicht wegen der Beschäftigung versichert sind, galt im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht.

Pflichtbeitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Eine entsprechende Regelung, die den Heimaufenthalt des Klägers und seine damalige Beschäftigung erfassen würde, existiert nicht. 

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hatte in seiner Empfehlung vom 26. November 2008 (BT-Drs. Nr. 16/11102) ein Tätigwerden des Gesetzgebers bzw. von Bund, Ländern, Kommunen und sonstigen (Heim-)Trägern angeregt. Der dieser Ausschussempfehlung nachfolgende „Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ hat diese Anregung aufgenommen und unter dem Stichwort „Finanzielle Maßnahmen zugunsten einzelner Betroffener“ ausgeführt (Abschlussbericht des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, Berlin 2010, S. 55): „Finanzielle Maßnahmen sollen immer individuell, anknüpfend an heute noch vorhandenen Folgeschäden, gewährt werden. Als Ausgangspunkte von Leistungen kommen in Betracht: Minderung von Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge („Rentenersatzfonds“). Daraus resultierende Leistungen sind nach den Regeln der Sozialversicherung zu klären und ggf. – eventuell durch Einmalzahlungen – zu erbringen. Maßgebend dabei ist, ob die damalige Arbeit nach heutigem Verständnis sozialversicherungspflichtig gewesen wäre.…“. Der Runde Tisch hat zur Finanzierung dieser Maßnahmen vorgeschlagen, einen bundesweiten Fonds oder eine bundesweite Stiftung für ehemalige Heimkinder zu gründen, in den bzw. in die Bund, Länder, Kommunen, Kirchen und ggf. betroffene Wohlfahrtsverbände einzahlen und der entsprechende Anträge der Betroffenen auf Leistungen bearbeitet und bescheiden würde (Abschlussbericht des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, Berlin 2010, S. 57). Die Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ und „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ bestanden von 2012 bis 2018 als ergänzende Hilfesysteme für ehemalige Heimkinder. Sie sollten die Betroffenen mit niedrigschwelligen und unbürokratischen Hilfen dabei unterstützen, während der Heimunterbringung erfahrenes Leid und Unrecht aufzuarbeiten, Folgeschäden abmildern und zur Befriedung und Genugtuung beitragen (BT-Drs. 19/12420 S. 3). Hierbei ging es auch um die Gewährung von Zahlungen in den Fällen, in denen es wegen seinerzeit nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge zu einer Minderung von Rentenansprüchen gekommen ist. Der Abschlussbericht hält dazu fest: „Eine weit verbreitete Methode war die so genannte Arbeitserziehung. Im Westdeutschland der Nachkriegszeit war es auch außerhalb der Heime gang und gäbe, dass Kinder und Jugendliche in familieneigenen Betrieben oder in der Landwirtschaft zur täglichen Arbeit herangezogen wurden. Allerdings mussten die Betroffenen in den Heimen im Rahmen der Arbeitserziehung oft deutlich härter und länger arbeiten. Durch die Arbeit sollten die Zöglinge zu seelischer und körperlicher Tüchtigkeit erzogen und zu „produktiven Mitgliedern der Gesellschaft“ geformt werden. Jungen wurden oft in der Landwirtschaft, bei Bauarbeiten oder wie in D. im Torfabbau eingesetzt. Mädchen sollten mit Tätigkeiten in Wäschereien, Küchen, Nähstuben oder als Haushaltshilfe auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Die Arbeit der Heimkinder diente oftmals auch oder sogar vordergründig der Finanzierung der Heime. Die Jugendlichen wurden dafür nicht oder nur sehr gering entlohnt. (…)  Für die gewerblichen Tätigkeiten der Jugendlichen wurden in Ost- und Westdeutschland in der Regel keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, so dass den Betroffenen nicht nur ein angemessener Lohn vorenthalten wurde, sondern auch die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, weswegen sie heute für die geleistete Arbeit keinen Anspruch auf Rente haben (Abschlussbericht der Lenkungsausschüsse, S. 33). Im Rahmen der Aufarbeitung der Heimerziehung in Ost- und Westdeutschland stellte sich die Frage, ob die Arbeiten in den Heimen als Zwangsarbeit einzustufen sind. Für Westdeutschland hat der Runde Tisch dies verneint, da der Begriff durch den Nationalsozialismus geprägt war und die Arbeit in den Heimen nicht der gezielten Existenzvernichtung diente, auch wenn viele Jugendliche die erzwungene Arbeit in den Heimen als „Zwangsarbeit“ empfunden haben (Abschlussbericht der Lenkungsausschüsse S. 34).“ Zu einer Entschädigung durch Einmalzahlung an die Träger der Rentenversicherung zum Ausgleich von Beitragslücken kam es jedoch nicht. Der Lenkungsausschuss West entschied, dass für „Lücken“ in den Rentenversicherungsverläufen (also Zeiten ohne Beitragszahlung), die in Zeiträume der Heimunterbringung fielen, Rentenersatzleistungen gezahlt werden konnten, wenn die Betroffenen glaubhaft darlegten, dass sie während dieser Zeiten erzwungene Arbeiten geleistet hatten. Der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ schloss sich dieser Regelung an.

Letztlich kommt eine Anerkennung des streitgegenständlichen Zeitraums als Anrechnungs- oder Ersatzzeit nach §§ 58, 250 oder 252 SGB VI nicht in Betracht, da die dort genannten Voraussetzungen für die Anerkennung einer solchen Zeit offensichtlich nicht vorliegen.

Mithin hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung der vorliegend streitigen Zeiten als Beitragszeit und auch nicht als sonstige rentenrechtliche Zeiten i.S.d. § 54 Abs. 1 SGB VI. Damit hat auch das Begehren nach Berücksichtigung des Heimaufenthaltes in D. bei der Rentenberechnung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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