L 3 R 341/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 13 R 1378/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 341/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 R 7/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.03.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auch für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 22.02.2016.

Die Klägerin, seit November 2008 Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer Köln sowie im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande NRW (Beigeladene), war vom 01.10.2010 bis zum 14.03.2017 bei der U Versicherungen AG (nachfolgend: U) tätig.

Ihren Antrag vom 07.12.2010, sie für diese Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.05.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2011 ab, da die Klägerin keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Ihre Tätigkeit setze objektiv nicht zwingend die Qualifikation als Volljuristin voraus. Durch Urteil vom 30.10.2012 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin ab dem 01.10.2010 Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren. Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 3 R 1047/12 LSG NRW) hat der Senat durch Urteil vom 26.06.2019 das Urteil des Sozialgerichts Köln abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe in einem festen Dienst- und Anstellungsverhältnis bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber gestanden. Eine anwaltliche Berufsausübung sei in dieser äußeren Form der Beschäftigung nicht möglich und könne dem Berufsfeld des Rechtsanwalts von vornherein nicht zugeordnet werden. Der Senat hat auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 – B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R Bezug genommen. Der zwischenzeitlich hinsichtlich der rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwältin für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 30.12.2016 erteilte Bescheid vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 sei nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden (BSG, Urteil vom 28.06.2018 – B 5 RE 2/17). Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundessozialgericht durch Beschluss vom 26.06.2019 – B 5 RE 12/19 B als unzulässig verworfen:

Im Laufe des Berufungsverfahrens L 3 R 1047/12 teilte die Klägerin in ihrem an das Landessozialgericht gerichteten Schriftsatz vom 30.03.2016 mit, dass sie innerhalb der Frist des § 231 Abs. 4b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) am 23.03.2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin beantragt habe. Aufgrund des bereits gestellten Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 SGB VI sei ihres Erachtens bereits die „rückwirkende Befreiung“ nach § 231 Abs. 4b letzter Satz SGB VI fristgerecht beantragt. Der Antrag auf Befreiung gemäß § 6 SGB VI und der Antrag auf rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI seien als bereits gestellt anzusehen. Rein vorsorglich werde sowohl der Antrag auf Befreiung gemäß § 6 SGB VI als auch der Antrag auf rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI für die weiterhin ausgeübte Tätigkeit gestellt. Dieser Schriftsatz ging per Fax am 31.03.2016 beim Landessozialgericht ein. Mit gerichtlicher Verfügung vom 01.04.2016 wurde der Schriftsatz an die Beklagte weitergeleitet und ging dort am 06.04.2015 ein.

Mit Bescheid vom 28.12.2016 und Zulassungsurkunde vom selben Tag wurde die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin gemäß § 46 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) für ihre Tätigkeit bei der U zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

Mit Bescheid vom 07.02.2017 befreite die Beklagte die Klägerin für ihre bei der U ausgeübten Beschäftigung ab dem 31.12.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit Bescheid vom 18.04.2017 lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 30.12.2016 ab. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung sei nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 01.04.2016 gestellt worden. Der beim Sozialgericht gestellte Antrag sei nicht fristwahrend erfolgt. Das Sozialgericht sei keine zur Entgegennahme von Anträgen bezeichneten Stelle im Sinne des §§ 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I).

Die Klägerin legte am 23.05.2017 Widerspruch ein und wies auf mehrere anhängige Verfahren hinsichtlich der Frage, ob der für die gleiche Tätigkeit gestellte Antrag auf Befreiung nach § 6 SGB VI auch für die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI ausreichend sei, hin. Ergänzend machte sie geltend, dass ein Fall des § 96 SGG vorliege. Der hier streitgegenständliche Bescheid sei Gegenstand des Klageverfahren (Anm.: gemeint war das Berufungsverfahren L 3 R 1047/12) geworden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie wiederholte im Wesentlichen ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.

Die Klägerin hat am 29.09.2017 Klage erhoben. Die streitgegenständlichen Bescheide seien gemäß § 96 SGG Gegenstand des beim Landessozialgericht anhängigen Verfahrens L 3 R 1047/12 geworden. Das Datum der Befreiung für die Zukunft sei unrichtig. Die Befreiung müsse vom Datum des Antragseingangs bei der Rechtsanwaltskammer auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin ausgesprochen werden. Sie verweise auf die Neuregelung des § 46 Abs. 4 Nr. 2 BRAO. Die Beklagte gehe fälschlicherweise davon aus, dass für die rückwirkende Befreiung ein eigenständiger Antrag erforderlich sei. Es handele sich nicht um unterschiedliche Streitgegenstände. Dies ergebe sich aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 19.07.2016 (1 BvR 2584/14) und 22.07.2016 (1 BvR 2534/14) Es sei unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage die Befreiung auszusprechen sei.

Mit Bescheid vom 30.11.2017 befreite die Beklagte die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der U unter Beachtung des § 46 Abs. 4 Nr. 2 BRAO auch für die Zeit vom 23.03.2016 bis zum 30.12.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Bescheid vom 07.02.2017 behalte weiterhin seine Gültigkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 zu verpflichten, sie  für den Zeitraum vom 01.10.2010 bis zum 22.03.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung gewesen, dass der Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht rechtzeitig gestellt worden sei.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Durch Urteil vom 21.03.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

„Die Klage ist nicht infolge doppelter Rechtshängigkeit unzulässig. Der angefochtene Bescheid vom 18.04.2017 trifft eine Regelung hinsichtlich der begehrten Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund der Zulassung als Syndikusrechtsanwältin. Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 3 R 1047/12 ist hingegen die abgelehnte Befreiung als Rechtsanwältin. Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den rechtlichen Ausführungen des Bundessozialgerichts im Beschluss vom 22.03.2018, Az. B 5 RE 12/17 B, Rn. 24 ff. an.

Danach war vorliegend eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung des Beklagten, eine rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI abzulehnen, eröffnet, aber auch auf eine etwaige Befreiung nach dieser Vorschrift beschränkt.

Der Bescheid vom 18.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus §231 Abs. 4b S. 1, 4 SGB VI auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.10.2010 bis 30.12.2016.

Ein solcher Anspruch scheitert schon daran, dass die Klägerin die rückwirkende Befreiung nicht rechtzeitig beantragt hat. Eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI setzt materiell-rechtlich einen gesonderten Antrag - und zwar spätestens bis zum Ablauf 01.04.2014 - voraus. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Sätze 1 und 6 der Vorschrift als auch aus dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/5201, S. 46). Die Klägerin hat die rückwirkende Befreiung erst am 06.04.2014 beantragt.

Auch unter Berücksichtigung des im Sozialrecht grundsätzlich zu berücksichtigenden Meistbegünstigungsprinzips hat die Klägerin einen entsprechenden Willen - gerichtet auf eine an die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin anknüpfende rückwirkende Befreiung - erstmals durch ihren Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 30.03.2016 im Berufungsverfahren L 3 R 1047/12 zum Ausdruck gebracht. Dieser Schriftsatz ist bei dem Landessozialgericht am 04.04.2016 und bei der Beklagten am 06.04.2016 - und damit nach Ablauf des 01.04.2016 - eingegangen.

Ein Antrag auf rückwirkende Befreiung ist insbesondere noch nicht im Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin bei der Rechtsanwaltskammer Köln am 23.03.2016 zu sehen. Ungeachtet des Umstandes, dass der Eingang bei der Rechtsanwaltskammer Köln schon nicht nach § 16 Abs. 2 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) fristwahrend wäre, kann dem bloßen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nicht der Wille zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht entnommen werden.

Erst recht liegt ein Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI nicht schon im vor Inkrafttreten der Norm gestellten Befreiungsantrag nach der alten Rechtslage. Denn der Gesetzgeber hat die Regelungen zur Zulassung als Syndikusrechtsanwalt in §§ 46 ff. BRAO sowie die Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI gezielt geschaffen, um im Wesentlichen die bis zu den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 geübte Verwaltungspraxis herzustellen. Es handelt sich hierbei um Sachverhalte, bei denen regelmäßig in der Vergangenheit bereits nach der alten Rechtslage Befreiungsanträge bei den Rentenversicherungsträgern gestellt wurden. In Kenntnis dieses Umstandes hat der Gesetzgeber die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI antragsabhängig ausgestaltet.

Da es sich bei § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI um eine gesetzliche Ausschlussfrist hat, kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, § 27 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zweck der Antragsfrist in § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI ist es, zügig Rechtssicherheit hinsichtlich des vom Gesetzgeber geschaffenen Übergangsrechts zu schaffen (vgl. zum Ausschluss der Wiedereinsetzung nur Franz in Schlegel/Voelzke: juris-PK SGB X, 2. Aufl. 2017, Stand 01.12.2017, § 21 Rn. 49 mit weiteren Nachweisen). Jedenfalls sind Wiedereinsetzungsgründe nicht ersichtlich.“

Gegen das ihr am 01.04.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.05.2019 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass ein neuer Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht erforderlich gewesen sei. Das Bundesverfassungsgericht gehe in seinen Beschlüssen vom 19.07.2016 und 22.07.2016 erkennbar von einem einheitlichen Streitgegenstand aus. Es habe Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Gesetzgeber durch eine neue gesetzliche Regelung das Rechtsschutzziel der Beschwerdeführer ermöglicht habe. Im Übrigen habe sie beim Landessozialgericht einen formlosen Antrag auf rückwirkende Befreiung gestellt. Diesbezüglich sei der Rechtsgedanke des § 91 SGG heranzuziehen. Auch habe die Beklagte keinen Hinweis darauf gegeben, dass auch ein erneuter Antrag in Fällen erforderlich sei, in denen ein noch offenes Verwaltungsverfahren laufe. § 16 SGB I gelte nur für den Fall, dass erstmals Leistungen bei einem Rentenversicherungsträger beantragt würden. Der formlos gestellte Antrag habe lediglich zur Klarstellung gedient.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.03.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in Gestalt des Bescheides vom 30.11.2017 zu verurteilen, die Klägerin für ihre Tätigkeit bei der U Versicherungen AG vom 01.10.2010 bis zum 22.03.2016 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Vorprozessakte L 3 R 1047/12, LSG NRW und der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten  Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen.

 

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der angefochtene Bescheid vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens L 3 R 1047/12, LSG NRW, geworden, da der dort streitgegenständliche Bescheid vom 10.05.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2011 zu einer Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusanwältin nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ergangen ist. Dies ist ein anderer Regelungsgegenstand als die vorliegend streitgegenständliche Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin nach § 231 Abs. 4b SGB VI (vgl. BSG, Beschluss vom 22.03.2018 – B 5 RE 12/17 B -).

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in Gestalt des Bescheides vom 30.11.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn sie hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit bei der U Versicherungsgruppe AG in der Zeit vom 01.10.2010 bis zum 22.03.2016.

Die Klägerin hat den Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht rechtzeitig gestellt.

Nach § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI in der Fassung vom 21.12.2015 wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird.

Die Befreiung wirkt frühestens ab dem 01.04.2014 (S. 3). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden (S. 6).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b S.1 SGB VI ging erst am 06.04.2016 bei der Beklagten ein.

Der Eingang dieses Antrages beim Landessozialgericht am 31.03.2016 in dem Verfahren L 3 R 1047/12 wahrt die Frist nicht. Die Voraussetzungen des § 16 SGB I sind nicht erfüllt.

Nach § 16 Abs. 1 SGB I sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegen genommen.

Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, sind unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt zugestellt, in dem er bei einer der in S. 1 genannten Stellen eingegangen ist (Abs. 2).

Ein beim Landessozialgericht im Rahmen eines Streitverfahrens gestellter Antrag an einen Leistungsträger gilt nicht als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er beim Landessozialgericht eingegangen ist. Das Landessozialgericht ist kein Leistungsträger i.S.d. Sozialgesetzbuches. Nach § 12 SGB I sind zuständig für die Sozialleistungen die in den §§ 18-29 genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden (Leistungsträger). Das Landessozialgericht ist weder eine Körperschaft, noch eine Anstalt noch eine Behörde und wird auch nicht in den §§ 18-29 SGB I genannt. Das Landessozialgericht ist auch keine Gemeinde oder eine Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland.

Der Antrag gilt auch nicht nach § 91 Abs. 1 SGG als rechtzeitig gestellt. Diese Vorschrift findet keine Anwendung.

Nach § 91 Abs. 1 SGG gilt die Frist für die Erhebung der Klage auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist.

Diese Vorschrift gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für die Einhaltung der Klagefrist. Aber auch eine analoge Anwendung auf an die Beklagte zu richtende Anträge scheidet aus.

§ 91 SGG dient allein dem Schutz rechtsunkundiger Kläger, für die die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erleichtert werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 - B 8 SO 23/16 R -). Eine vergleichbare Interessenlage besteht in Fällen wie vorliegend, in denen ein Prozessbevollmächtigter einen an die Verwaltung gerichteten Antrag einreicht, nicht.

Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheidet auch wegen Fehlens einer Regelungslücke aus. Der Gesetzgeber hat für an die Verwaltung gerichtete Anträge, die nicht bei dem zuständigen Leistungsträger eingereicht werden, eine Regelung in § 16 SGB I geschaffen.

Die Klägerin ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht rechtzeitig gestellt.

„Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 1415 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Demnach ist eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist, Anspruchsvoraussetzung. Zudem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (z.B. BSG, Urteil vom 16.03.2016 - B 9 V 6/15 R, m.w.N.). Als Rechtsgrundlage für den Herstellungsanspruch wird die in § 14 Satz 1 SGB I enthaltene Beratungspflicht herangezogen. In der Regel wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst. Aber auch wenn ein Beratungsbegehren wie hier nicht vorliegt, kann eine sog. spontane Beratungspflicht i.S.d. § 14 SGB I bestehen, wenn es darum geht, einen Versicherten auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde (ständige Rspr. seit BSG, Urteil vom 14.06.1962 - 4 RJ 75/60 - SozR Nr 3 zu § 1233 RVO; vgl. auch Urteile vom 23.03.1994 - 5 RJ 24/93 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 46 S 192, vom 07.11.1991 - 12 RK 22/91 - SozR 3-1200 § 14 Nr 5 S 7, vom 06.05.1992 - 12 RK 45/91 - SozR 3-1200 § 14 Nr 6 S 13 und vom 25.08.1993 - 13 RJ 43/92 - SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 7 S 31 jeweils mwN). Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, in noch nicht bestandskräftigen Befreiungsverfahren auf die rückwirkende Befreiungsmöglichkeit und die damit verbundene Frist hinzuweisen. Denn beides war dem Bevollmächtigten des Klägers, wie aus seinen eigenen Ausführungen im Schriftsatz vom 29.03.2016 hervorgeht, zu diesem Zeitpunkt bekannt, weswegen es auch an der erforderlichen Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung zu der unterlassenen Antragstellung fehlt. Denn der Kläger hat die rechtzeitige Antragstellung nicht deshalb unterlassen, weil ihm die Frist nicht bekannt gewesen wäre, sondern weil er die Vorschrift abweichend vom Wortlaut interpretiert hat“ (LSG Bayern, Urteil 17.03.2021 – L 13 R3 164/20). Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an.

Ein Antrag war auch nicht entbehrlich, weil am 01.04.2016 noch ein Verfahren bezüglich der Befreiung von der Versicherungspflicht nach altem Recht anhängig war und dieser auch als Antrag nach § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI zu werten war.

Weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201) sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine erneute Antragstellung in bestimmten Fällen nicht erforderlich ist.

Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach altem Recht, d. h. als Syndikusanwalt, kann nicht einen Antrag auf rückwirkende Befreiung als Syndikusrechtsanwalt ersetzen. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsfiguren und es ist nicht ersichtlich, dass der Antrag des Klägers vom 25.06.2012 auch eine erst zum 01.01.2016 geschaffene Rechtgrundlage umfasst. Dabei hat der Senat in seine Überlegungen einbezogen, dass für die rückwirkende Befreiung als Syndikusrechtsanwalt zumindest für Zeiten vor dem 01.04.2014 zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen (Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge) erfüllt sein müssen.

Nichts anderes ergibt sich aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 19.07.2016 (Az.: 1 BvR 2584/14) und vom 22.07.2016 (Az.: 1 BvR 2534/14). In diesen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verfahren nach § 231 Abs. 4b SGB VI um ein gesondertes Verfahren handelt, dessen Durchführung dem Beschwerdeführer auch zuzumuten sei, obgleich er nach dem Wortlaut der Norm unter den Ausschlusstatbestand des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI falle (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.03.2021 – L 13 R 364/20 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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