1. Wenn ein Leistungsberechtigter gegenüber seinem Vermieter die Unterkunftskosten mindert, sind dies gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlich zu berücksichtigenden laufenden Unterkunftskosten, sofern die Mietminderung nicht offensichtlich unwirksam ist.
2. Wenn später in einem wegen der Mängel der Wohnung geführten Gerichtsverfahren festgestellt wird, dass dem Mieter kein Minderungsrecht oder jedenfalls kein Minderungsrecht in der geltend gemachten Höhe zugestanden hat, und es zu Nachforderungen kommt, gehören diese dann einmalig geschuldeten Zahlungen als weiterer einmaliger Unterkunftsbedarf im Rahmen der Kostenangemessenheit zum aktuellen Bedarf des Monats, in dem die Nachforderung rechtskräftig und damit fällig geworden ist.
3. Der Zeitpunkt der Fälligkeit der Mietforderung des Vermieters einerseits und der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Übernahme einer Nachzahlung gegenüber einem Jobcenter andererseits können auseinanderfallen.
4. Wenn der Gesetzgeber einem Mieter die Möglichkeit eröffnet, prozessrechtlich aktiv einen Rechtsstreit in einem Mietrechtsverhältnis gerichtlich klären zu lassen (hier im Rahmen einer Feststellungsklage), ist es einem Jobcenter verwehrt, den Mieter darauf zu verweisen, sich in dem Mietrechtsstreit prozessrechtlich passiv zu verhalten.
5. Eine Verjährung tritt nicht durch Zeitablauf "automatisch" ein, sie muss vielmehr geltend gemacht werden.
6. Eine grundsicherungsrechtliche Verpflichtung eines Leistungsberechtigten, gegenüber dem Vermieter die Einrede der Verjährung zugunsten eines Jobcenter zu erheben, ist nicht erkennbar.
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S 17 AS 4670/16 Dresden
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Sächsisches Landessozialgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Z....
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte B....
gegen
Jobcenter Dresden, vertreten durch den Geschäftsführer, Budapester Straße 30, 01069 Dresden
- Beklagter und Berufungskläger -
hat der 3. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2022 in Chemnitz durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. Scheer, die Richterin am Landessozialgericht Schneider, den Richter am Landessozialgericht Höhl und die ehrenamtlichen Richter Herr Seel und Herr Straub für Recht erkannt:
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. April 2021 wird zurückgewiesen.
Nummer 1 des Tenors des Urteils vom 16. April 2021 wird wie folgt gefasst:
Der Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2016 werden aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 23. Dezember 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Mai 2015 verpflichtet, dem Kläger für den Monat März 2015 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.080,45 EUR zu bewilligen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung des Beklagten, ihm für den Monat März 2015 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu bewilligen.
Der Kläger bewohnt seit dem 1. August 2010 eine Wohnung in der Y.... -Str. in A….. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. April 2011 zeigten der Kläger und seine zwischenzeitlich verstorbene Ehefrau dem Vermieter Mängel der Wohnung an. Als mietmindernde Umstände machten sie eine Schimmelbildung in der Küche (15 %), nicht nutzbare Mülltonnen (3 %) und Lärmbelästigung (5 %) geltend.
Der Beklagte berücksichtigte die Kosten der Unterkunft (Grundmiete) in Höhe des geminderten Betrages.
Der Kläger beantragte am 9. Dezember 2014 die Weiterbewilligung von Leistungen. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger, der Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit und einer Rente bezog, für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bedarf für Unterkunft und Heizung) in Höhe von 108,21 EUR. Der Kläger legte dagegen am 26. Januar 2015 Widerspruch ein.
Am 9. Februar 2015 reichte der Kläger das Endurteil des Amtsgerichts A.... vom 2. Februar 2015 (Az.: 141 C 4651/13) zur Verwaltungsakte. Mit dieser Entscheidung verurteilte das Amtsgericht auf die Klage des Mieters, des Klägers, den Vermieter, die Schimmelbildung in der Küche des Mieters zu beseitigen, und stellte fest, dass die Bruttomiete für den Zeitraum von Mai 2011 bis April 2012 und ab Januar 2013 bis zur Beseitigung des Mangels um 10 % gemindert war. Hinsichtlich der übrigen geltend gemachten Mängel wies das Amtsgericht die Klage ab und erklärte das Urteil gegen Sicherheitsleistung von 3.000,00 EUR für vorläufig vollstreckbar.
Am 31. März 2015 überwies der Kläger den sich aus dem Urteil des Amtsgerichts errechnenden Fehlbetrag in Höhe von 1.080,45 EUR unter Angabe des Verwendungszwecks „Mietrückstände" an den Vermieter.
Mit Änderungsbescheid vom 12. Mai 2015 bewilligte der Beklagte unter anderem für den Monat März 2015, eine fehlerhafte Einkommensbereinigung im Bewilligungsbescheid vom 23. Dezember 2014 korrigierend, 10,04 EUR mehr als zuvor. Damit werde dem Widerspruch des Klägers vom 26. Januar 2015 in vollem Umfang entsprochen.
Am 23. Mai 2015 beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, die aus dem Urteil des Amtsgerichts A.... vom 2. Februar 2015 resultierende Nachforderung in Höhe von 1.080,45 EUR, die sofort fällig gewesen sei, zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2016 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Übernahme des Nachzahlungsbetrages ab. Bei dem Urteil des Amtsgerichts habe es sich um ein Feststellungsurteil gehandelt. Eine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Vermieter hinsichtlich der zu viel einbehaltenen Beträge ergebe sich aus dem Urteil nicht.
Den Widerspruch vom 5. Juli 2016 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2016 zurück. Die Nachzahlung an den Vermieter sei freiwillig erfolgt. Eine vermieterseitige Forderung sei nicht ersichtlich. Der Vermieter habe selbst keine Zahlungsklage erhoben. Im Übrigen seien die Zahlungen des Klägers auch über die Verjährungsfrist hinaus erfolgt.
Auf die Klage des Klägers vom 28. Oktober 2016 hat das Sozialgericht den Beklagten mit Urteil vom 16. April 2021 verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen nach dem SGB II in Form von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.080,45 EUR zu "gewähren". Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A.... vom 2. Februar 2015 sei bindend festgestellt worden, dass der Kläger in den fraglichen Zeiträumen nicht berechtigt gewesen sei, Mietminderungen wegen Lärmemissionen und überfüllter Mülltonnen vorzunehmen. Daher habe eine Rechtspflicht bestanden, den rechtswidrig vorenthaltenen fälligen Mietzins in Höhe von 1.080,45 EUR nachträglich an den Vermieter zu zahlen. Die Ansprüche des Vermieters seien noch nicht verjährt. Zwischen dem Kläger und seinem Vermieter habe seit Mai 2011 Streit über die zulässige Höhe der Mietzahlungen bestanden. Dabei handele es sich um – die Anspruchsverjährung hemmende – Verhandlungen im Sinne von § 203 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Vor diesem Hintergrund habe das Amtsgericht auch eine (teilweise) Unzulässigkeit der Feststellungsklage wegen verjährter Ansprüche nicht festgestellt.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 26. April 2021 zugestellte Urteil am 20. Mai 2021 Berufung eingelegt. Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils sei unklar. So sei nicht klar, ob „gewähren“ mit „zu zahlen“ oder mit einer Neubescheidung für einen Monat, wenn ja, welchen, gleichzusetzen sei. Auch sei die Entscheidung des Amtsgerichts ein reines Feststellungsurteil. Er, der Beklagte, könne daraus keine Zahlungsverpflichtung für die Monate Februar 2015 oder März 2015 erkennen. Eine Überprüfung der Leistungsmonate Mai 2011 bis April 2012 und ab März 2013 habe der Kläger nicht begehrt. Er könne dies im Rahmen der Klage auch nicht fristgerecht nachholen. Die freiwillige Zahlung im Monat März 2015 erhöhe den Bedarf nicht. Aktivpartei im Zivilprozess sei der Kläger, nicht der Vermieter gewesen. Im Ergebnis seien die Mietforderungen verjährt gewesen. Da der Kläger sich effektiv jedoch nie einer Forderung seitens des Vermieters ausgesetzt gesehen habe, müsse sich der Beklagte auch keiner Bedarfserhöhung „unterwerfen“; auch nicht, wenn man die freiwillige Zahlung im Monat März 2015 zugrunde lege.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. April 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und die vom Beklagten dagegen vorgetragenen Bedenken für nicht stichhaltig.
Wegen der Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig aber unbegründet.
1. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Sozialgericht den Beklagten zur Bewilligung weiterer Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.080,45 EUR verpflichtet und den Bescheid vom 23. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2016 aufgehoben. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Übernahme der Mietnachzahlung in Höhe von 1.080,45 EUR im Leistungsmonat März 2015 zu.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung von Artikel 2 Nr. 31 i. V. m. Artikel 14 Abs. 3 des Gesetzes vom 24. März 2011 [BGBl I S. 453]). Bereits aus dem Gesetzeswortlaut folgt, dass danach nur solche Bedarfe zu berücksichtigen sind, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. Mindert ein Leistungsberechtigter gegenüber seinem Vermieter die Unterkunftskosten, sind dies gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlich zu berücksichtigenden laufenden Unterkunftskosten, sofern die Mietminderung nicht offensichtlich unwirksam ist (vgl. Bay. LSG, Urteil vom 14. Mai 2014 – L 11 AS 828/13 – juris Leitsatz 2; Schlesw.-Holst. LSG, Urteil vom 29. Oktober 2020 – L 6 AS 21/18 – juris; Berlit, jurisPR-SozR 26/2014 Anm. 1; Krauß in: Hauck/Noftz SGB II [1. Erg.-Lfg, 2021; Stand: Januar 2021], § 22 Rdnr. 54; Piepenstock, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [5. Aufl., 2020], § 22 Rdnr. 59).
Wenn später in einem wegen der Mängel der Wohnung geführten Gerichtsverfahren festgestellt wird, dass dem Mieter kein Minderungsrecht oder jedenfalls kein Minderungsrecht in der geltend gemachten Höhe zugestanden hat, und es zu Nachforderungen kommt, gehören diese dann einmalig geschuldeten Zahlungen als weiterer einmaliger Unterkunftsbedarf im Rahmen der Kostenangemessenheit (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) zum aktuellen Bedarf des Monats, in dem die Nachforderung rechtskräftig und damit fällig geworden ist. Denn erst zu diesem Zeitpunkt steht endgültig fest, dass die von dem Beklagten ursprünglich gezahlten Mietkosten nicht den (angemessenen) Bedarf des Klägers gedeckt haben (vgl. Schlesw.-Holst. LSG, Urteil vom 29. Oktober 2020, a. a. O., Rdnr. 22 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R – BSGE 104, 41 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 23 [zu Nachforderungen bei Heizkosten nach Abrechnung der tatsächlich verbrauchten Wärme]).
2. Die Einwände des Beklagten führen zu keinem anderen Ergebnis.
a) Soweit der Beklagte der erstinstanzlichen Entscheidung entgegenhält, der Urteilstenor lasse Zweifel aufkommen, zu was er eigentlich habe verurteilt werden sollen, und er könne über das Gewollte „nur rätseln", wirkt dies konstruiert.
Der Beklagte sinniert in seiner Berufungsbegründung darüber, ob der vom Sozialgericht gebrauchte Begriff „gewähren“ im Sinne von „zu zahlen" zu verstehen sei oder ob eine Neubescheidung für einen Monat, wenn ja welchen, gemeint sei. Dem vom Sozialgericht formulierten Tenor lässt sich jedenfalls entnehmen, dass die vom Kläger an den Vermieter nachgezahlte Miete vom Beklagten übernommen werden soll. Wenn der Beklagte nicht die Mietnachzahlung ohnehin weder gewähren noch zahlen noch bewilligen wollte, hätte er lediglich versuchen müssen, den sich aus dem unpräzisen Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung ergebenden Spielraum sinnvoll zu nutzen. Dies wäre ihm auch gelungen, denn mit dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 30. Juli 2021 hat der Beklagte unter anderem ausgeführt, er verstehe die erstinstanzliche Entscheidung nunmehr so, dass er 1.080,45 EUR für den Monat März 2015 gewähren solle.
b) Soweit der Beklagte darauf verweist, dass das Urteil des Amtsgerichts A.... am 2. Februar 2015 ergangen ist und deshalb eine Zahlungsverpflichtung auch für den Monat Februar 2015 in Betracht kommt, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Die Entscheidung des Amtsgerichts war, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes oberhalb 600,00 EUR lag, innerhalb eines Monats mit der Berufung anfechtbar (vgl. § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 511 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Mangels Einlegung dieses Rechtsmittels wurde die Entscheidung in März 2015 rechtskräftig. Mit der Rechtskraft war die Höhe der vom Kläger im Zeitraum der Minderung geschuldeten Miete verbindlich festgestellt. Folgerichtig brachte der Kläger noch im Monat März 2015 den sich aus der amtsgerichtlichen Entscheidung ergebenden überschießenden Einbehalt zum Ausgleich.
Der Ausspruch des Amtsgerichtes unter Nummer 5 des Tenors des Urteils vom 2. Februar 2015 zur vorläufigen Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar findet nach § 704 ZPO die Zwangsvollstreckung aus Endurteilen, die rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind, statt. Vollstreckungsfähig ist aber nur ein Urteil mit einem vollstreckungsfähigen Inhalt. Hieran fehlt es bei einem Feststellungsurteil (vgl. Seibel in: Zöller, ZPO [34. Aufl., 2022], § 704 Rdnr. 2; zum SGG: Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 198 Rdnr. 3a), weil die feststellende Wirkung des Urteils mit der Rechtskraft des Urteils eintritt. Der Ausspruch unter Nummer 5 des Tenors des Urteils vom 2. Februar 2015 bezieht sich deshalb auf Nummer 1 des Urteilstenors, worin der Vermieter verpflichtet wurde, die Schimmelbildung in der Außenwand der Küche zu beseitigen, nicht aber auf Nummer 2 des Urteilstenors mit der Feststellung zur Höhe der Minderung der Bruttomiete.
c) Zu Unrecht wendet der Beklagte weiter ein, der Kläger wolle seinen Bedarf an Leistungen nach dem SGB II für Zeiträume in den Jahren 2011, 2012 und 2013 geklärt wissen. Er hätte daher die Überprüfung der betreffenden Leistungsmonate begehren müssen, was er aber nicht getan habe und auch im Rahmen der Klage nicht fristgerecht nachholen könne.
Wie bereits ausgeführt gehören einmalig geschuldete Zahlungen, die sich aus der nachträglichen Feststellung des (teilweisen) Nichtbestehens eines Mietminderungsrechts ergeben, als weiterer Unterkunftsbedarf zum aktuellen Bedarf des Monats, in dem die Nachforderung fällig geworden ist. Der Senat verkennt nicht, dass damit der Zeitpunkt der Fälligkeit der Mietforderung des Vermieters einerseits und der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Übernahme einer Nachzahlung gegenüber dem Beklagten andererseits auseinanderfallen. Dies beruht aber darauf, dass die zeitlichen Anknüpfungspunkte im Mietrecht und im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende auseinanderfallen.
Nach § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Mieter für die Zeit, während der die Tauglichkeit der Mietsache gemindert ist, nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Wenn darüber Streit besteht und das Amtsgericht nachträglich darüber zu entscheiden hat, in welchem Umfang die Mietsache beeinträchtigt war und/oder in welcher Höhe eine Herabsetzung der Miete bei feststehendem Mangel gerechtfertigt war, trifft es rückwirkend eine Entscheidung darüber, in welcher Höhe die Miete in den zurückliegenden Monaten – eigentlich – fällig war. § 22 Abs. 1 SGB II knüpft hingegen bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nicht daran an, in welcher Höhe Zahlungen des Mieters fällig sind. Vielmehr werden Bedarfe innerhalb der Angemessenheitsgrenzen (nur) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Maßgebend ist damit regelmäßig der Geldbetrag, der im jeweiligen Monat vom Mieter an den Vermieter gezahlt wird. Dieser Vorgabe hat der Beklagte zunächst entsprochen und Mietzahlungen des Klägers in ihrer tatsächlichen (geminderten) Höhe übernommen. Er setzt sich aber in Widerspruch zu dieser Regelung, wenn er den sich aus der Entscheidung des Amtsgerichts ergebenden Fehlbetrag nicht als Bedarf im Monat der tatsächlich erfolgenden Nachzahlung sondern als sich auf die Monate des Minderungszeitraums verteilenden Bedarf ansieht und sich auf den Standpunkt stellt, die betreffenden Zeiträume seien – wegen § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – einer Überprüfung nicht mehr zugänglich.
d) Bei seiner Auffassung, eine Übernahme der nachzuzahlenden Miete als Bedarf komme nur dann in Betracht, wenn ein „Titel des Vermieters“ vorliege, der zudem vorläufig vollstreckbar oder nach Rechtskraft vollstreckbar sein müsse, lässt der Beklagte die prozessrechtlichen Möglichkeiten in einem Mietrechtsstreit außer Acht.
Einerseits kann der Vermieter, wenn der Mieter eine Minderung der Miete vornimmt und keine oder nur eine geringere Miete zahlt, seinen vermeintlichen Anspruch auf die Miete oder den Restbetrag im Wege der Leistungsklage geltend machen (vgl. Spielbauer, in: Spielbauer/Schneider, Mietrecht [2. Aufl., 2018], § 536 BGB Rdnr. 123). Andererseits kann der Mieter im Wege der Feststellungsklage die Berechtigung zur Minderung dem Grunde und der Höhe nach feststellen lassen (vgl. Münch in: in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB [9. Aufl., 2020] § 536 BGB Rdnr. 255). Der Mieter kann zum Beispiel dann ein Feststellungsinteresse haben, wenn er mögliche Risiken ausschalten und durch ein Feststellungsurteil klären lassen will, dass seine Minderung berechtigt war, da ein Minderungsausschluss nicht eingreift (vgl. Spielbauer, a. a. O., Rdnr. 122). Wenn aber der Gesetzgeber einem Mieter die Möglichkeit eröffnet, prozessrechtlich aktiv einen Rechtsstreit in einem Mietrechtsverhältnis gerichtlich klären zu lassen, ist es einem Jobcenter verwehrt, den Mieter darauf zu verweisen, sich in dem Mietrechtsstreit prozessrechtlich passiv zu verhalten.
Zudem verkennt der Beklagte, dass sich die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der Miete aus dem mit dem Vermieter bestehenden Mietvertrag ergibt. Einfluss hat die Entscheidung des Amtsgerichts lediglich auf die Höhe des geschuldeten Mietzinses. Die vom Kläger getätigte Nachzahlung zuvor zu Unrecht einbehaltener Miete ist daher im Gegensatz zu der vom Beklagten vertretenen Auffassung keine „freiwillige Zahlung" sondern eine Vertragserfüllung.
e) Schließlich vermag der Beklagte auch nicht mit seiner Argumentation durchzudringen, dass der Kläger (als Mieter), nicht aber der Vermieter, Aktivpartei des Mietrechtsstreits gewesen sei, sodass „im Ergebnis […] die Mietforderungen verjährt gewesen“ seien.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (vgl. § 199 Abs. 1 BGB).
Zwar können demzufolge, betrachtet man nur die zeitlichen Umstände, Forderungen verjährt sein, die vor dem 1. Januar 2012 entstanden sind. Ob weitere Umstände, etwa Verhandlungen über den Mangel der Mietsache oder der vor dem Amtsgericht geführte Mietrechtsstreit unbeschadet der Tatsache, dass es sich um eine Klage des Mieters handelte, geeignet waren, die Verjährung zu hemmen, kann vorliegend indes offen bleiben.
Denn gemäß § 214 Abs. 1 BGB ist ein Schuldner nach Eintritt der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. Sie tritt also nicht durch Zeitablauf "automatisch" ein, sie muss vielmehr geltend gemacht werden. Es handelt sich um eine peremptorische Einrede (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 30. Oktober 2007 – 28 U 46/07 – juris Rdnr. 24; Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB [9. Aufl., 2020] § 214 BGB Rdnr. 8), die nur zu berücksichtigen ist, wenn sich der Schuldner auf sie berufen hat. Der Schuldner muss also dem Gläubiger gegenüber erklären, dass er die Leistung aufgrund des Verjährungseintritts verweigert. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, steht im Ermessen des Schuldners (vgl. Peters/Jacoby, in: Staudinger [Neubearbeitung 2019] BGB § 214 Rdnr. 5; Lakkis, a. a. O., Rdnr. 6).
Vorliegend hat der Kläger die Einrede der Verjährung nicht erhoben. Aus welchen Erwägungen heraus er sich so verhalten hat, ist unerheblich. So könnte der Kläger zu der Einschätzung gelangt sein, dass die Voraussetzungen der Verjährung nicht vorliegen. Er könnte aber auch eine Abwägung dahingehend getroffen haben, dass der Verzicht auf eine mögliche Einrede der Verjährung im Hinblick auf die Fortführung des Mietverhältnisses vorteilhaft ist.
Jedenfalls ist eine grundsicherungsrechtliche Verpflichtung des Klägers, gegenüber dem Vermieter die Einrede der Verjährung zugunsten des Beklagten zu erheben, nicht erkennbar. Zwar besteht aus dem zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehenden Sozialrechtsverhältnis eine Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – B 14 AS 46/18 R – SozR 4-1300 § 63 Nr. 29 = juris, jeweils Rdnr. 25). Dass in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation das Interesse des Beklagten, den sozialrechtlich nicht verjährten Unterkunftsbedarf des Klägers nicht anerkennen zu müssen, dem Interesse des Klägers an der Vertragserfüllung gegenüber dem Vermieter vorgehen könnte, ist aber nicht zu erkennen (vgl. zur Nichterhebung der Verjährungseinrede bei einem Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2019, a. a. O., Rdnr. 26). Vielmehr geht das Interesse des Mieters, das durch den Rechtsstreit über die Minderung wohl ohnehin gestörte (Vertrags-) Verhältnis zum Vermieter nicht zusätzlich zu belasten, dem Interesse des Sozialleistungsträgers an Einsparungen vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. April 2016. In Bezug auf die Frage, ob es einem Leistungsberechtigten zumutbar ist, die Verjährungseinrede zu erheben, hat das Gericht darauf abgestellt, wie sich eine Person verhalten würde, deren Kosten der Unterkunft von ihr selbst getragen werden und die diese nicht aus Fürsorgeleistungen des Staates finanziert bekommt. Im Falle eines Mieters, der im Jahr 2016 von einem Vermieter aus einem seit Jahren beendeten Mietverhältnis wegen zum 31. Dezember 2013 beziehungsweise zum 31. Dezember 2014 verjährter Mietzinsforderungen in Anspruch genommen wurde, hat es die Auffassung vertreten, dass er bei wirtschaftlich vernünftiger Handlungsweise die Einrede der Verjährung gegen den früheren Vermieter erheben würde (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 6. April 2016 – L 6 AS 464/13 – juris Rdnr. 34). Im Falle des Klägers bestand aber das Mietverhältnis fort.
f) Damit erübrigen sich Erwägungen dahingehend, ob der Beklagte, wenn er schon die Ansprüche des Klägers zeitlich in den Leistungszeitraum ab Mai 2011 verortet und von einer zumindest teilweisen Verjährung ausgeht, den Kläger nicht hätte darauf hinweisen müssen, dass insoweit die Einrede der Verjährung erhoben werden sollte. Ferner kann dahinstehen, ob ein etwaiger Beratungsmangel Ansprüche nach dem Recht des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auslösen könnte.
II. Der Senat hat den Tenor zu 1. des Urteils des Sozialgerichts vom 16. April 2021 von Amts wegen sachgerecht neu gefasst. Dazu sind die zu ändernde(n) Verwaltungsentscheidung(en) bezeichnet und der Monat benannt worden, für den die weitere Leistung zu erbringen ist. Die vom Beklagten geltend gemachte Verwirrung über das geforderte weitere Vorgehen dürfte damit ausgeräumt sein.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.