L 1 KR 108/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 69/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 108/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

I.

 

Im Streit ist ein Anspruch auf Krankengeld.

 

Der 1965 geborene Kläger war als Beschäftigter bei der Beklagten krankenversichert. Ab dem 3. Februar 2016 erkrankte er und war arbeitsunfähig. Die Fachärztin für Innere Medizin und Geriatrie H stellte an diesem Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) mit der Diagnose K 40.9-RV (Hernia Inguinales = Leistenbruch) aus. Das Arbeitsverhältnis des Klägers als Lagerhelfer wurde durch den Arbeitgeber zum 8. April 2016 gekündigt.

 

Die Arbeitsunfähigkeit (AU) wurde in der Folgezeit durchgängig bescheinigt Vom 20. April 2016 bis zum 23. April 2016 befand er sich in stationärer Behandlung. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 27. Mai 2016 Krankengeld ab dem 16. März 2016 in Höhe von 22,27 € kalendertäglich brutto.

 

Am 20. Juni 2016 attestierte die Fachärztin für Innere Medizin K in einer Erstbescheinigung AU vom 21. Juni 2016 bis 28. Juni 2016 mit den Diagnosen 54.86, M 54.82, G 47.0 sowie F 43.0.

 

Auf Veranlassung der Beklagten gab der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 23. Juni 2016 eine Stellungnahme ab mit dem Ergebnis, dass der Kläger ab 29. Juni 2016 (wieder) arbeitsfähig sei, auch für Lagerhelfertätigkeiten. Die Beklagte beschied den Kläger daraufhin mit Bescheid vom 23. Juni 2016, die Zahlung von Krankengeld werde zum 28. Juni 2016 eingestellt.

 

Die Ärztin K stellte unter dem 28. Juni 2016 eine weitere AU-Bescheinigung aus bis voraussichtlich 12. Juli 2016. Die Folgebescheinigung des Facharztes für Orthopädie B datierte dann erst vom 15. Juli 2016 und bescheinigte AU bis 18. Juli 2016 mit der Diagnose M 54.2. Eine weitere AU-Bescheinigung erfolgte am 19. Juli 2016 durch den Facharzt für Orthopädie Dr. S bis 15. August 2016.

 

Mit Schreiben vom 15. Juli 2016 teilte die Beklagte dem Kläger erneut mit, dass ab dem 29. Juni 2016 keine weitere AU anerkannt werde.

 

Der Kläger erhob unter dem Betreff „Schreiben der AOK Potsdam vom 2. August 2016“ Widerspruch. Er sei nach wie vor arbeitsunfähig und könne keine schwere körperliche Arbeit verrichten. Er habe Dauerschmerzen, die sich vom Rücken bis in die Beine zögen und zusätzlich Kopfschmerzen. Er sei bis 15. Dezember 2016 krankgeschrieben. Er sei in Deutschland erkrankt, in Polen habe er nie Probleme mit der Wirbelsäule gehabt. Polen wolle diese Krankheit nicht anerkennen, weil sie in Deutschland entstanden sei.

 

Am 15. August 2016 stellte sich der Kläger bei der Fachärztin für Neurochirurgie Dr. T vor. Diese stellte keine AU-Bescheinigung aus. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. J attestierte am 17. August 2016 in einer Erstbescheinigung AU ab 17. August 2016 bis 31. August 2016 (Diagnose: M 51.1). Die nächste Folgebescheinigung datierte vom 1. September 2016, ausgestellt von Dr. S und bescheinigte AU bis 6. September 2016 (Diagnose M 54.99). Dr. S stellte sodann am 8. September 2016 eine neue Erstbescheinigung mit der Diagnose M 51.1 aus bis 28. September 2016.

 

Die Beklage wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Juni 2016 mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2016 zurück.

 

Mit Schreiben vom 15. Februar 2017 teilte der Kläger mit, seine polnischsprachige Hausärztin habe ihm im Sommer 2016 nicht die volle Information gegeben, wie er vorzugehen habe, um weiterhin Krankengeld zu erhalten. Er habe von dem Orthopäden in S nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub weitere AU-Bescheinigungen erhalten sowie eine Überweisung zu einer Neurochirurgin.

 

Er hat am 13. März 2017 Klage beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben.

 

Nachdem sie erneut den MDK eingeschaltet hatte, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 erklärt, nunmehr für die Zeit über den 28. Juni 2016 hinaus bis zum 1. August 2017 von durchgehender AU des Klägers auszugehen. Sie hat anerkannt, Krankengeld bis einschließlich 12. Juli 2016 zu zahlen. Danach allerdings könne eine AU des Klägers erst wieder am 15. Juli 2016 festgestellt werden.

 

Der Kläger hat vorgebracht, er habe am 12. Juli 2016 Frau Dr. K aufgesucht. Diese sei aber nicht bereit gewesen, ihn weiter arbeitsunfähig zu schreiben. Sie habe ihn zu einem Orthopäden geschickt. Er – der Kläger – habe dann erst am 15. Juli 2016 einen Termin bei dem Orthopäden Dr. B erhalten. Aufgrund eines Hinweises der Kammervorsitzenden, dass die Behandlerin K dem Kläger wohl aufgrund des damaligen Schreibens des MDK eine AU-Bescheinigung verweigert habe, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 30. Januar 2019 anerkannt, dem Kläger auch für den Zeitraum 13. Juli 2016 bis einschließlich 18. Juli 2016 Krankengeld zu gewähren. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch auf Krankengeld habe hier aufgrund der Bescheinigung des Dr. B am 15. Juli 2016 nur bis einschließlich 18. Juli 2016 bestanden. Die nächste AU habe sich der Kläger nämlich erst am 19. Juli 2016 attestieren lassen. Der Kläger habe auch nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan, um rechtzeitig eine erneute AU-Feststellung zu erlangen und sei daran auch nicht durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert worden.

 

Gegen diese am 5. März 2019 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 1. April 2019.

 

Auf ein Hinweisschreiben des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. April 2020 erklärt, den Krankengeldanspruch nunmehr auch für den Zeitraum vom 19. Juli 2016 bis 15. August 2016 anzuerkennen.

 

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 3. Mai 2020 die Beklagte u. a. aufgefordert, die Empfehlung des Senats umzusetzen. Zur Berufungsbegründung hat er ergänzend ausgeführt, zu Unrecht sei die Krankschreibung von Dr. B vom 19. Juli 2016 nicht berücksichtigt worden. Sein Gesundheitszustand sei unverändert. Ihm seien alle Rechte genommen worden.

 

Er beantragt der Sache nach,

 

das Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Januar 2019 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 25. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 sowie der Teilanerkenntnisse vom 30. Januar 2019 und vom 29. April 2020 zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld über den 15. August 2016 hinaus zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen

 

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

 

II.

 

Der Senat konnte die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen. Er hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 8. Oktober 2021 hingewiesen worden.

 

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Der streitgegenständliche Bescheid in der Fassung der – angenommenen – Anerkenntnisse ist rechtmäßig, soweit Krankengeld über den 15. August 2016 hinaus abgelehnt wird. Der Kläger wird dadurch nicht in seinen Rechten verletzt.

 

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch ein Krankengeldanspruch für die Zeit ab 16. August 2016. Hinsichtlich des Zeitraumes 19. Juli 2016 bis 15. August 2016 hat sich der Rechtsstreit durch angenommenes Teilanerkenntnis erledigt. In seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2020 ist die Annahme des Teilanerkenntnisses enthalten. Denn der Kläger fordert die Beklagte zur Umsetzung des entsprechenden Senatshinweises auf. Der Kläger verwahrt sich lediglich dagegen, Ansprüche gegen ihn selbst anzuerkennen.

 

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der ab dem 23. Juli 2015 geltenden hier maßgeblichen Fassung der Vorschrift bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von dem Beginn der Behandlung an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist demnach Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld außerhalb eines stationären Aufenthalts. Das gilt auch für die Verlängerung einer bereits bestehenden und von der Krankenkasse bestätigten Arbeitsunfähigkeit, die von dem Arzt nur abschnittsweise (d.h. bis zu einem konkreten Zeitpunkt) bescheinigt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) blieb die Versicherung durch einen bereits entstandenen Krankengeldanspruch ohne Unterbrechung aufrechterhalten, solange die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeldbewilligungsabschnitts jeweils erneut ärztlich festgestellt wurde (BSG, Urt. v. 10. Mai .2012 - B 1 KR 19/11 R – juris Rn. 18; Urt. v. 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R- juris Rn. 20). Mit Wirkung ab dem 23. Juli 2015 hat der Gesetzgeber durch die Einfügung der Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich zur Voraussetzung für den Fortbestand des Krankengeldanspruches erklärt, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit jeweils abschnittsweise bestätigt wird, spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass nicht die Geltung der vom BSG entwickelten Grundsätze für die Verlängerung des Krankengeldanspruchs in Frage gestellt, sondern den Versicherten ein Tag mehr Zeit für die Einholung der Anschlussbescheinigung eingeräumt werden sollte.

 

Hier besteht danach aber am 16. August 2016 eine Lücke. Die AU-Bescheinigung des Dr. S vom 19. Juli 2016 bescheinigt AU lediglich bis (Montag) den 15. August 2016. Die nachfolgende AU-Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. J vom 17. August 2016 attestiert AU erst ab diesem Tag.

 

Es konnte hier auch keine ausnahmsweise rückwirkende AU-Bescheinigung anerkannt werden. Eine rückwirkende AU-Bescheinigung ist nämlich von Dr. J nicht ausgestellt worden. Zuvor hatte bereits die Neurochirurgin Dr. T keine AU attestiert. Beim Termin des Klägers bei ihr wurde nur ein etwaiger neurochirurgischer Eingriff abgeklärt.

 

Am 17. August 2016, dem Tag der Ausstellung der weiteren Erst-AU-Bescheinigung, war der Kläger nicht mehr aufgrund eines fortbestehenden Krankengeldanspruches mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Die ursprüngliche Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch aufgrund der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V hat sich nur während des anschließenden Bezugs von Krankengeld mit Krankengeldanspruch nach § 192 Abs.1 Nr. 2 SGB V fortgesetzt.

 

Ein Anspruch auf Krankengeld ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des nachgehenden, sich an die Beendigung des Krankengeldbezuges anschließenden Versicherungsschutzes. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt zwar, dass, sofern die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, ein Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft besteht, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Auch ein nachwirkender Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft aus § 19 Abs. 2 SGB V liegt hier aber nicht vor. § 19 Abs. 2 SGB V verdrängt nur dann eine Versicherung ohne Krankengeldanspruch, wenn bei prognostischer Betrachtung am letzten Tag der bisherigen Mitgliedschaft davon auszugehen ist, dass spätestens nach Ablauf eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall (mit Krankengeldanspruch) erlangt werden wird (BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 19/11 RBSGE 111, 9 bis 18, Rn. 34 zur Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V). Eine solche Prognose konnte die Beklagte hier nicht treffen. Es war hier angesichts der fortlaufenden AU überhaupt nicht, geschweige denn klar ersichtlich, dass der Kläger innerhalb eines Monats ab dem 16. August 2016 wieder sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein oder Arbeitslosengeld I beziehen würde.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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