L 9 AS 2101/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 408/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2101/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Kläger haben am 31.12.2018 vier Klagen beim Sozialgericht (SG) Dortmund gegen den Beklagten als das ehemals bis zu ihrem Umzug im Jahr 2016 für sie zuständige Jobcenter erhoben (S 53 AS 67/19, S 53 AS 29/19, S 53 AS 6571/18 und S 53 AS 6582/18).
 
Mit der Klage S 53 AS 67/19 begehrt die Klägerin eine Nachzahlung für „spätestens die Monate November 2015, Dezember 2015 und Januar 2016“. Daneben werde auch rein prophylaktisch Widerspruch sowie auch rückwirkend für die jeweiligen ergangenen Bescheide zum 01.01.2019 und sämtliche zuvor ergangenen Bescheide erhoben. Sollte die Regierung nach der harschen Kritik der UN am Hartz 4-System aktuell und oder rückwirkend höhere Regelsätze und höhere Zahlungen beschließen, würden schon jetzt entsprechende Nachzahlungen für den gesamten Zeitraum seit den Erstantragstellungen beantragt. Die Klage ist trotz entsprechender Ankündigung nicht weiter begründet worden, ein Klageantrag ist nicht gestellt worden. Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 05.02.2019 an das SG Reutlingen verwiesen und dort unter dem Aktenzeichen S 5 AS 408/19 geführt worden.

Mit der Klage S 53 AS 29/19 begehrt die Klägerin darüber hinaus eine Nachzahlung für die Monate November 2014 bis Oktober 2015. Die mit Beschluss vom 05.02.2019 an das SG Reutlingen verwiesene Klage ist darüber hinaus weder begründet noch ist ein entsprechender Klageantrag gestellt worden. Das Verfahren ist nach Verweisung beim SG Reutlingen unter dem Aktenzeichen S 5 AS 409/19 geführt worden.

Mit der Klage S 53 AS 6571/18 begehrt der Kläger eine Nachzahlung für die Monate „spätestens ab November 2014 bis Oktober 2015“. In dem Zeitraum seit November 2015 habe er in derselben Lebenssituation wie die Klägerin gelebt bei denselben Kosten der Unterkunft nebst Heizung und Wasser. Die Nachzahlung i.H.v. 77,22 € für Januar 2016 reiche insoweit nicht. Die Klage ist mit Beschluss vom 05.02.2019 an das SG Reutlingen verwiesen und dort unter dem Aktenzeichen S 5 AS 410/19 geführt worden.
 
Mit der Klage S 53 AS 6582/18 begehrt der Kläger Nachzahlungen für die Monate November 2015, Dezember 2015 und Januar 2016. Zur Begründung hat er ausgeführt, er gehe davon aus, dass er – auch nach den Gerichtsbeschlüssen der Sozialgerichte Dortmund und Reutlingen und des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg – immer noch zu geringe Zahlungen für Miete und sonstige Wohnkosten erhalten habe. Die Klage ist mit Beschluss vom 05.02.2019 an das SG Reutlingen verwiesen und dort unter dem Aktenzeichen S 5 AS 411/19 geführt worden.

Der Beklagte ist den Klagen entgegengetreten und hat ausgeführt, die Kläger hätten bis zu ihrem Umzug im Januar 2016 im Leistungsbezug beim Beklagten gestanden. Mit Berufungsurteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 11.07.2018 (L 3 AS 100/18) seien der Klägerin für November 2015 208,96 €, für Dezember 2015 137,80 € und für Januar 2016 weitere 40,32 € zugesprochen worden. Diese Beträge seien ihr zwischenzeitlich ausgezahlt worden. Mit weiterem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11.07.2018 (L 3 AS 101/18) seien dem Kläger für den Monat Januar 2016 weitere 77,22 € zugesprochen worden. Diese seien dem Kläger zwischenzeitlich ausgezahlt worden. Die Kläger-Seite möge Bescheide, Urteile etc. benennen oder Beträge beziffern bzw. darlegen, ob es um abgeschlossene Widerspruchs- oder Gerichtsverfahren gehe. Die angekündigte Begründung mit Beweisunterlagen stehe aus. Die Anforderungen an die hinreichende Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien mit dem substantiierten Klagevortrag nicht erfüllt. Soweit prophylaktisch und rückwirkend Widerspruch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Regelbedarfe erhoben werde, sei die vorliegende Klage nicht statthaft.

Das SG Reutlingen hat mit Beschluss vom 28.02.2019 die vier Klagen (S 5 AS 408/19, S 5 AS 409/19, S 5 AS 510/19 und S 5 AS 411/19) unter dem Aktenzeichen S 5 AS 408/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das SG Reutlingen hat die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 20.05.2021 abgewiesen. Die Klagen seien unzulässig. Soweit pauschale Nachzahlungen begehrt würden, seien sie nicht zulässig. Für eine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG sei erforderlich, dass ein Rechtsanspruch auf die Leistung geltend gemacht werde und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen brauche. Nachdem es vorliegend einer Entscheidung durch den Beklagten durch Verwaltungsakt hinsichtlich eines möglichen Leistungsanspruches für die streitgegenständlichen Zeiträume bedurfte, scheide eine echte Leistungsklage als statthafte Klageart aus. Dasselbe gelte insbesondere, soweit die Kläger insgesamt höhere Leistungen wegen zu geringer Bemessung der Regelsätze und Kosten der Unterkunft für die Zeit seit der 1. Antragstellung begehrten. Auch insoweit wäre eine Entscheidung des Beklagten durch Verwaltungsakt zunächst erforderlich, weshalb auch insoweit eine Leistungsklage ausscheide. Daneben seien die Leistungsansprüche der Klägerin für November 2015 bis Januar 2016 Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG Baden-Württemberg (L 3 AS 100/18) und die des Klägers Gegenstand des Verfahrens L 3 AS 101/18 gewesen. Insoweit sei über die streitgegenständlichen Zeiträume bestandskräftig entschieden. Dass darüber hinaus die Bestandskraft möglicherweise durchbrechende Entscheidungen nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) beantragt bzw. ergangen wären, sei nicht ersichtlich, weshalb mithin auch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nicht statthaft sei.

Gegen den am 21.05.2021 gestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 21.06.2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und dazu ausgeführt, sie hätten seinerzeit vom Jobcenter H mehrfach vergeblich eine sorgfältige Übersicht der erfolgten Zahlungen angefordert, die die Klägerin und ihr Sohn erhalten hätten. Es seien unterschiedliche Sachbearbeiterinnen für ihre Anträge zuständig gewesen, reine Willkür. So habe der Kläger 77,22 € zugesprochen erhalten, die Klägerin demnach anscheinend nicht. Das sei nur ein kleines Beispiel. Eine größere Ungerechtigkeit liege in der Tatsache begründet, dass die Klägerin für ihren Sohn ursprünglich nicht einmal die Blanko-Antragsformulare ausgehändigt bekam, und das sei schriftlich im Eingangsbereich des Jobcenters H von der dort zuständigen Sachbearbeiterin auf ihren Unterlagen vermerkt worden. Hierbei handele es sich um einen Betrag in Höhe von ca. 4500 Euro, der ihr seitens eines Gerichts zugesprochen worden sei.

Die den Klägern eingeräumte Frist zur Berufungsbegründung ist mehrfach verlängert worden, zuletzt bis 10.10.2021. Mit am 18.10.2021 eingegangenen E-Mail-Schreiben haben die Kläger in allen vier beim Landessozialgericht anhängigen Verfahren (L 9 AS 2098/21, L 9 AS 2099/21, L 9 AS 2100/21 und L 9 AS 2101/21) aus „gesundheitlichen, familiären und zeitlichen Gründen“ eine nochmalige Fristverlängerung bis 30.10.2021 beantragt, hierzu nochmals auf die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze sowie das aus ihrer Sicht rechtswidrige Verhalten der unterschiedlichen Sachbearbeiterinnen beim Jobcenter H im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung in den Jahren 2014-2016 hingewiesen. Auf Mitteilung des Gerichts, dass Gründe für eine nochmalige Fristverlängerung nicht dargetan sind bzw. nicht vorliegen, haben die Kläger mit weiterem am 19.10.2021 eingegangenen E-Mail-Schreiben erneut die aus ihrer Sicht rechtswidrige Bearbeitung ihrer Leistungsanträge beim Jobcenter H beanstandet.

Die Kläger haben keinen Sachantrag gestellt.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
ihnen höhere Leistungen für die Monate November 2014 bis Januar 2016 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Berufung wird gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Vorsitzenden Richter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet, nachdem der Senat keine Gründe feststellen konnte, die eine Entscheidung durch den ganzen Senat erforderlich machen und solche auch nicht in der Anhörung von den Beteiligten mitgeteilt wurden.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 18.05.2021, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet.

Der Senat hat keine Veranlassung zur nochmaligen Verlängerung der Berufungsfrist in allen Verfahren gesehen. Den Klägern ist bei Einlegung der Berufungen (21.06.2021) eine angemessene Frist zur Berufungsbegründung gesetzt worden, die mehrmals verlängert worden ist, zuletzt bis 10.10.2021. Die von den Klägern zur Begründung der Fristverlängerungsgesuche in sämtlichen Klage- und Berufungsverfahren (wie schon im früheren Verfahren vor dem LSG Baden-Württemberg L 3 AS 102/18) durchgehend bemühte stereotype Formulierung „aus gesundheitlichen, familiären und zeitlichen Gründen“ gibt keinen Anlass zur nochmaligen Fristverlängerung. Dies umso mehr, als die Berufungen teilweise bereits begründet worden sind und das Vorbringen der Kläger, soweit es über die pauschale Rüge der Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen hinausgeht, sich insbesondere auf die Vorgänge im Jobcenter H in den Jahren 2014 bis 2016 bezieht, wie zuletzt im Schriftsatz vom 19.10.2021 ausgeführt. Das Jobcenter H ist aber nur in einem der vier jetzigen Berufungsverfahren (L 9 AS 2101/18) Beteiligter. Zudem waren diese Vorgänge bereits Gegenstand der früheren Verfahren vor dem LSG Baden-Württemberg (Urteile vom 11.07.2018 – L 3 AS 100/18 und L 3 AS 101/18 – und Beschluss vom 05.06.2018 – L 3 AS 102/18 -), in denen die Kläger bereits ausführlich Gelegenheit zur Äußerung hatten. Es ist nicht dargelegt oder sonst erkennbar, dass hierzu substantiell neuer Vortrag zu erwarten ist.

Das SG hat die Klagen zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Die Kläger können ihre Begehren nicht in Form einer reinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgen, da zwischen ihnen und dem Beklagten hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche kein Gleichordnungsverhältnis besteht. Die allgemeine, reine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zielt auf eine Verurteilung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen ab, wenn der Kläger einen Anspruch auf die Leistung hat und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 15.06.2010 - B 2 U 26/09 R - = juris Rn 15). Über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist allerdings grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Statthafte Klageart für die vorliegend geltend gemachten höheren Leistungen in Form von Zahlungs- und Nachzahlungsansprüchen der Kläger ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Form der Bescheidungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 2, § 56 SGG (vgl. BSG, Urteile vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 RBSGE 108, 86 ff. = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 = juris Rn. 26 ff. und vom 08.02.2017 - B 14 AS 22/16 R -, NJW 2017, 2493; Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I § 40 Rn. 60). Vorliegend fehlt es an entsprechenden (neuen), nicht bestandskräftigen Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand einer solchen Klage sein könnten. Entscheidungen des Beklagten über die geltend gemachten, in der Vergangenheit liegenden Ansprüche sind soweit ersichtlich nicht ergangen, weder als Bewilligungs- noch als Überprüfungsbescheide. Fehlt es aber nicht nur an der Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens als Prozessvoraussetzung, sondern bereits an einem anfechtbaren Verwaltungsakt als Klagegegenstand, so ist die Klage unstatthaft (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.03.2021 - L 12 AS 2102/19 – Juris). Damit sind die (verbundenen) Klagen wegen des Fehlens entsprechender Verwaltungsakte unzulässig.

Soweit die Kläger für zurückliegende Zeiträume Leistungen begehren, über die bereits früher bestands- oder gar rechtskräftig entschieden wurde, stehen außerdem die Bestandskraft dieser Bescheide (§ 77 SGG) bzw. die Rechtskraft der ergangenen gerichtlichen Entscheidungen (§ 141 SGG) der Zulässigkeit einer weiteren Klage entgegen. Dies gilt namentlich für den Zeitraum November 2014 bis September 2015, für den eine Entscheidung des SG Dortmund vom 08.03.2018 (S 19 AS 1646/15) vorliegt und für den Zeitraum November 2015 bis Januar 2016, für den rechtskräftige Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 11.07.2018 (a.a.O.) für beide Kläger ergangen sind. Die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidung führt zur Unzulässigkeit weiterer Klagen hinsichtlich desselben Streitgegenstands (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 141 Rn. 6).

Wegen der weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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