L 9 BK 15/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 75 BK 78/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 BK 15/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.06.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand         

Der Kläger begehrt Kinderzuschlag für drei Kinder für Juni 2016 und Juli 2016.

Der 1967 geborene Kläger ist Vater von vier Kindern. Die drei jüngeren Kinder N, A und Z, mit denen der Kläger im streitigen Zeitraum in einem Haushalt wohnte,  sind 2006 bzw. 2010 geboren. Der Kläger ist mit der 1979 geborenen F  verheiratet, die die Mutter der drei Kinder ist und ebenfalls in dem Haushalt wohnt. Der Kläger ist für die Kinder kindergeldberechtigt. Die Familie wohnte im streitigen Zeitraum in einer Mietwohnung, für die insgesamt monatlich 814,10 € aufzubringen waren, und erhielt Wohngeld.

Der Kläger war bis Mai 2016 als Betriebsschlosser bei der Fa. K GmbH tätig. Die Ehefrau arbeitete 2016 durchgehend bei der Fa. V. Dem Kläger floss von der K zuletzt im Mai 2016 Gehalt zu. Nach Prüfung der Einkommensverhältnisse bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 01.02.2016 dem Kläger Kinderzuschlag von Januar 2016 bis Mai 2016 für die drei Kinder iHv insgesamt 415 € monatlich (420 € Höchstbetrag [140 * 3] abzüglich 5 € Elterneinkommen).

Im Juni 2016 war der Kläger als Industriemechaniker bei der Fa. S GmbH beschäftigt. Dort verdiente er brutto 2.500 €/netto 1.882,37 €. Dieses Gehalt floss ihm am 04.07.2016 zu. Ab dem 01.07.2016 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld iHv täglich 37,09 € (monatlich 1112,70 €). Die Ehefrau verdiente bei der Fa. V im Mai 2016 brutto 604,99 €/netto 443,45 €, die ihr im Juni 2016 ausgezahlt wurden. Im Juni 2016 verdiente sie brutto 592,90 €/netto 437,51 €, dieses Gehalt wurde ihr im Juli 2016 ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 09.08.2016 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag für Juni 2016 ab. Die Mindesteinkommensgrenze werde nicht erreicht. Die Familie verfüge nur über das Einkommen der Ehefrau iHv brutto 604,99 €. Die Beklagte wies den Kläger auf die Möglichkeit, einen Leistungsantrag nach dem SGB II zu stellen, hin. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Mit einem weiteren Bescheid vom 09.08.2016 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag für Juli 2016 ab, da in diesem Monat der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft gedeckt sei. Das Bruttoeinkommen im Juli 2016 betrage 4.205,60 € (Arbeitseinkommen Kläger 2.500 €, Arbeitseinkommen Ehefrau  592,90 €, Arbeitslosengeld Kläger 1.112,70 €). Nach Abzug der Freibeträge verbleibe ein anzurechnendes Einkommen iHv 2.876,65 €, der Bedarf der Familie liege bei 1.743,10 €. Die Familie sei damit nicht hilfebedürftig iSd SGB II und könne keinen Kinderzuschlag beanspruchen.

Ausdrücklich nur gegen den Ablehnungsbescheid für Juli 2016 erhob der Kläger am 12.09.2016 Widerspruch. Die Zahlungsverschiebungen zwischen Juni 2016 und Juli 2016 könnten sich nicht zu Lasten seines Anspruchs auf Kinderzuschlag auswirken. Vom grundsätzlich geltenden Zuflussprinzip müsse in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ausnahme gemacht werden.

Ab August 2016 erhielt der Kläger wieder Kinderzuschlag.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2016 (zugestellt am 14.10.2016) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Zufluss des Einkommens im Juli 2016 schließe Hilfebedürftigkeit iSd SGB II und damit einen Anspruch auf Kinderzuschlag aus.

Am 11.11.2016 hat der Kläger Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Er hat an seiner Auffassung festgehalten, vom grundsätzlich geltenden Zuflussprinzip müsse in seiner Fallkonstellation eine Ausnahme gemacht werden. Vielmehr sei von einem Durchschnittseinkommen auszugehen, um das Ergebnis von Zufälligkeiten unabhängig zu machen. Dies ergebe sich auch aus § 11 Abs. 5 BKGG iVm § 41a SGB II. In Anwendung dieser Bestimmungen habe die Beklagte für den Leistungszeitraum April 2017 – November 2017 ein Durchschnittseinkommen gebildet.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Am 20.01.2020 hat das Sozialgericht ein Protokoll über eine Kammersitzung ohne mündliche Verhandlung erstellt, in dem mit Unterschrift der Kammervorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter die Klage abgewiesen wird. Vor Absetzung des Urteils hat das Sozialgericht folgenden Sachverhalt festgestellt: Der Kläger hat im Juni 2019 (unter Beifügung eines Schreibens bereits aus November 2016) die Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 09.08.2016 betreffend den Monat Juni 2016 beantragt. Das im Juni 2016 erarbeitete Gehalt müsse für diesen Monat als Einkommen berücksichtigt werden. Mit Bescheid vom 27.06.2019 und Widerspruchsbescheid vom 07.01.2020 hat die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 09.08.2016 betreffend Juni 2016 abgelehnt, da sie zu Recht auf den (im Juni 2016 fehlenden) Zufluss des Einkommens abgestellt habe. Mit Schriftsatz vom 13.01.2020, der aufgrund der Verwendung eines fehlerhaften Aktenzeichens vom Sozialgericht irrtümlich zunächst als eigenständige Klage erfasst worden ist, hat der Kläger die Klage erweitert und auf den Bescheid vom 27.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2020 erstreckt.

Daraufhin hat das Sozialgericht das hiesige Verfahren fortgesetzt. Es hat die Fahrtkosten des Klägers und seiner Ehefrau zur Arbeitsstelle ermittelt.

Im Verhandlungstermin vom 26.06.2020 hat der Kläger beantragt,

„die Beklagte

  1. unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2016 zu verurteilen, ihm für den Monat Juli 2016 Kinderzuschlag in der gesetzlichen Höhe zu gewähren
  2. unter Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2020 und unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2016 die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Monat Juni 2016 in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.“

 

Die Beklagte hat beantragt,       

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Anwendung des Zuflussprinzips verteidigt und die Bildung eines Durchschnittseinkommens nicht für zulässig erachtet.

Mit Urteil vom 26.06.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klageerweiterung betreffend Juni 2016 sei unzulässig, weil sie weder sachdienlich sei noch die Beklagte eingewilligt habe. Die Klage hinsichtlich des Monats Juli 2016 sei zulässig aber unbegründet. Das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau überschreite die Höchsteinkommensgrenze iSd § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG in der 2016 gF und durch die Zahlung des Kinderzuschlags werde Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II nicht iSd § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG in der 2016 gF vermieden, da der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft durch das anzurechnende Einkommen gedeckt werde.

Gegen das am 16.07.2020 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.08.2020 erhobene Berufung des Klägers. Der Kläger meint, wegen der Einbeziehung auch des Monats Juni 2016 sei der Berufungsstreitwert erreicht. Die Klageerweiterung sei zulässig. Klage und Klagerweiterung seien begründet, denn in seinem Fall könne das Zuflussprinzip nicht greifen. Die Beklagte sei vielmehr verpflichtet, ein Durchschnittseinkommen, ggfs. unter Einbeziehung auch der Monate vor den streitigen Monaten, zu bilden. Die der Ablehnung des Anspruchs zugrundeliegende Rechtsauffassung führe zu einem unbilligen, nicht akzeptablen Ergebnis. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.11.2021 ausdrücklich darauf verzichtet, (hilfsweise) einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II geltend zu machen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.06.2020 zu ändern und

  1. den Bescheid vom 27.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2016 Kinderzuschlag für Juni 2016 zu bewilligen sowie
  2. den Bescheid vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für Juli 2016 Kinderzuschlag zu bewilligen.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Berufung für unstatthaft, da der Anspruch für Juni 2016 kein zulässiger Verfahrensgegenstand geworden sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist statthaft. Der Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (mehr als 750 €) ist erreicht. Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens und Gegenstand des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts ist ein Anspruch auf Kinderzuschlag für Juni 2016 und Juli 2016. Die Klageerweiterung hinsichtlich des Anspruchs für Juni 2016 hat das Sozialgericht zwar für unzulässig gehalten, dies ändert aber nichts daran, dass auch der Anspruch für diesen Monat Gegenstand der Entscheidung des Sozialgerichts ist und die Klageabweisung den Kläger entsprechend beschwert. Der maximale monatliche Gesamtkinderzuschlag beträgt – wenn er bestehen würde – für Juni 2016 420 € und für Juli 2016 480 € (Monatsanspruch/Kind gem. § 6a Abs. 2 Satz 1 BKGG in der bis zum 30.06.2016 gF 140 €; ab 01.07.2016 dann 160 €), so dass der Berufungsstreitwert bei 900 € liegt.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Kinderzuschlag für Juni und Juli 2016, den die Beklagte mit den Bescheiden vom 09.08.2016 abgelehnt hat. Demgegenüber ist ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht Gegenstand des Verfahrens, nachdem der Kläger darauf verzichtet hat, (hilfsweise) einen solchen Anspruch geltend zu machen. Daher ist auch die Beiladung des zuständigen Jobcenters gem. § 75 Abs. 2 Var. 2 SGG nicht erforderlich gewesen.

Die auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage hinsichtlich des Anspruchs für Juni 2016 abgewiesen. Die Klage hinsichtlich des Anspruchs für Juli 2016 hat das Sozialgericht auch mit einer zutreffenden Begründung abgewiesen.

Die Klageerweiterung hinsichtlich des Anspruchs für Juni 2016 war zulässig. Zwar hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.02.2020 in die Klageerweiterung nicht eingewilligt, sie ist jedoch sachdienlich iSd § 99 Abs. 1 SGG. Ob eine Klageänderung sachdienlich ist, ist unter prozessökonomischen Gründen zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob ein weiteres Verfahren zwischen den Beteiligten vermieden werden kann. Nicht sachdienlich ist eine Klageänderung, die zwar einen späteren Prozess voraussichtlich vermeidet, aber dafür ein bereits entscheidungsreifes Verfahren wegen einer nun erforderlichen Beweisaufnahme verzögert (Haupt/Wehrhahn in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl., § 99 Rn. 17 mwN). Vorliegend verhindert eine Einbeziehung des Anspruchs für Juni 2016 ein auf diesen Monat bezogenes eigenständiges Gerichtsverfahren und eine weitere Beweisaufnahme ist nicht erforderlich. Aufgrund des entscheidungserheblichen Sachverhalts sind die Ansprüche bzw. die Begründungen für ihre Ablehnung tatsächlich und rechtlich miteinander verknüpft. Auch die erweiterte Klage war zulässig, der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 07.01.2020 am 13.01.2020 rechtzeitige Klage (im Sinne der Klageerweiterung) erhoben.

Das Urteil des Sozialgerichts vom 26.06.2020 ist nicht etwa deshalb aufzuheben, weil der Rechtsstreit bereits ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 20.01.2020 entschieden worden wäre. Würde es sich bei der Entscheidung vom 20.01.2020 um ein wirksames Urteil handeln, wäre eine erneute Entscheidung in dem Rechtsstreit allerdings unstatthaft und aufzuheben. Indes handelt es sich bei der Entscheidung vom 20.01.2020 nicht um ein wirksames Urteil. Bei Urteilen, die nicht aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen, wird die Verkündung (§ 132 SGG) als Wirksamkeitsvoraussetzung durch Zustellung (§ 133 Satz 1 SGG) ersetzt (hierzu Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. § 132 Rn. 13 und § 133 Rn. 1). Die Bindungswirkung für das Gericht mit der Folge einer Nichtänderbarkeit tritt bei ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteilen nicht schon ein, nachdem die Mitglieder des Gerichts den Tenor beraten, abgefasst und unterschrieben haben, sondern erst, wenn das Urteil so in der Welt ist, dass das Gericht dies nicht mehr ungeschehen machen kann, dies ist erst der Fall, wenn das Urteil erstmals zum Zwecke der Zustellung von der Geschäftsstelle zur Post aufgegeben wurde (Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl.  § 133 Rn. 5 mwN). Vorliegend hatte die Geschäftsstelle die Entscheidung vom 20.01.2020 noch nicht zur Post gegeben, so dass das Sozialgericht zu Recht die Entscheidung als unwirksam angesehen und erneut – unter Einbeziehung der Klageerweiterung – entschieden hat.

Den Anspruch für Juli 2016 verfolgt der Kläger zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage. Der Anspruch für Juni 2016 ist über ein Verfahren nach § 44 SGB X zu verfolgen, insoweit hat der Kläger zulässig eine Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage erhoben (BSG Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R; abweichend aber vereinzelt geblieben BSG Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 24/05 R – Anfechtungs- und Feststellungsklage).

Die Klage und die erweiterte Klage sind unbegründet. Der Kläger hat weder für Juni 2016 noch für Juli 2016 einen Anspruch auf Kinderzuschlag für seine drei Kinder.

Hinsichtlich des Anspruchs für Juli 2016 hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat für diesen Monat keinen Anspruch auf Kinderzuschlag.

Rechtsgrundlage für den Anspruch ist § 6a BKGG in der ab Juli 2016 gF. Die Vorschrift lautete:

„Personen erhalten nach diesem Gesetz für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn

1. sie für diese Kinder nach diesem Gesetz oder nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben,

2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes und des Kindergeldes über Einkommen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in Höhe von 900 Euro oder, wenn sie alleinerziehend sind, in Höhe von 600 Euro verfügen, wobei Beträge nach § 11b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht abzusetzen sind,

3. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11 bis 12 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch verfügen, das höchstens dem nach Absatz 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrag zuzüglich dem Gesamtkinderzuschlag nach Absatz 2 entspricht, und

4. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vermieden wird. Bei der Prüfung, ob Hilfebedürftigkeit vermieden wird, bleiben die Bedarfe nach § 28 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch außer Betracht. Das Gleiche gilt für Mehrbedarfe nach den §§ 21 und 23 Nummer 2 bis 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, wenn kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch beantragt hat oder erhält oder alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum, für den Kinderzuschlag beantragt wird, auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch verzichten. In diesem Fall ist § 46 Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht anzuwenden. Der Verzicht kann auch gegenüber der Familienkasse erklärt werden; diese unterrichtet den für den Wohnort des Berechtigten zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Verzicht.“

Der Kläger erfüllte die Grundvoraussetzungen für den Anspruch. Er war kindergeldberechtigt für die drei Kinder, die weder verheiratet noch verpartnert waren, mit ihm in einem Haushalt lebten und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und er verfügte zusammen mit seiner Ehefrau über Einkommen iHv mindestens 900 €.

Zutreffend hat jedoch das Sozialgericht festgestellt, dass er sowohl die Höchsteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG aF überschritt als auch durch den Kinderzuschlag nicht Hilfebedürftigkeit iSd § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG aF vermieden wurde, weil der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft im Juli 2016 durch das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau überschritten wurde.

Die Höchsteinkommensgrenze richtet sich nach dem Eigenbedarf der Eltern iSd § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG aF zuzüglich dem Gesamtkinderzuschlag nach § 6a Abs. 2 Satz 2 BKGG aF. Sie entspricht damit der Höhe der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II oder des Sozialgeldes zu berücksichtigenden elterlichen Bedarfe zuzüglich des Gesamtkinderzuschlags. Dazu sind gem. § 6a Abs. 4 Satz 2 BGKK aF  die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (KdU) in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt.

Der elterliche Eigenbedarf beträgt damit 2 * 364 € = 728 €  Regelleistung + KdU-Anteil (der sich nach dem letzten Existenzminimumsbericht richtet; hier 62,02%) iHv 504,90 € = Gesamt 1.232,90 €. Zuzüglich 480 € Gesamtkinderzuschlag beträgt die monatliche Höchsteinkommensgrenze 1.712,90 €. Das zu berücksichtigende Einkommen beträgt 2.876,86 €. Das zu berücksichtigende Einkommen liegt damit mit mehr als 1.000 € über der Höchsteinkommensgrenze. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Höchsteinkommensgrenze auch dann deutlich überschritten wird, wenn der KdU- Bedarf um die Garagenmiete iHv monatlich 50 € erhöht würde. Durch den Kinderzuschlag wird auch Hilfebedürftigkeit nicht iSd § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG aF vermieden. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft iSd SGB II liegt bei 1.743,10 € (Regelleistung 364 € + 364 € + 270 € + 270 € + 237 €  + KdU 814,10 € = 2.319,10 € – Kindergeld iHv 576 € = 1.743,10 €; ggfs zuzüglich Garagenmiete iHv 50 € monatlich). Das Gesamteinkommen liegt auch weit über diesem Wert.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist von dem hinsichtlich der Anrechnung des Einkommens zugrundeliegenden Zuflussprinzip keine Ausnahme zu machen. Insbesondere existiert keine Rechtgrundlage für die Zugrundelegung eines Durchschnittseinkommens, weder im Sinne eines Durchschnitts der letzten sechs Monate noch im Sinne eines Durchschnitts der Monate Juni 2016 und Juli 2016.

§ 6a BKGG stellt bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens uneingeschränkt auf den Einkommensbegriff des § 11 SGB II ab. Die gesetzliche Zielsetzung, das Aufeinander-bezogen-Sein und das sich wechselseitige Ausschließen der Leistungssysteme nach dem SGB II und nach § 6a BKGG in der seinerzeit geltenden Fassung erfordern eine Parallelität der Rechtsanwendung (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 30.10.2019 – B 4 KG 1/19 R mwN auf die vorherige Rechtsprechung des BSG; zu einer die Anrechnung von Wohngeld betreffende Ausnahme, die damit zugleich die grundsätzliche Anwendung des Zuflussprinzips bestätigt vergl. jetzt § 6a Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BKGG in der ab in der ab 01.01.2021 gF). Eine (vorübergehende) Rechtsgrundlage für die Bildung eines Durchschnittseinkommens war erst am 01.08.2016 in Kraft getreten und betraf auch nur die hier nicht vorliegende Konstellation einer vorläufigen Bewilligung (vergl. § 11 Abs. 5 BKGG in der vom 01.08.2016 bis zum 30.06.2019 gF).

Das Gebot einer Ausnahme vom Zuflussprinzip folgt für die vorliegende Fallgestaltung nicht aus dem Urteil des BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 35/16 R. Dort hat das BSG eine Ausnahme vom Zuflussprinzip für Nachzahlungen von Kinderzuschlag bei der Bedürftigkeitsprüfung nach dem SGB II anerkannt, indem es entschieden hat, dass ein Kinderzuschlag abweichend vom tatsächlichen Zufluss dem Monat als Einkommen zuzurechnen ist, für den er zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II iSd § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG aF erbracht worden ist. Rechtlich modifiziert im Sinne der modifizierten Zuflusstheorie ist die zeitliche Zurechnung des Kinderzuschlags zum Monat der Leistungsbestimmung nach dieser Entscheidung nicht wegen eines (besonderen) Leistungszwecks, sondern aufgrund von § 6a Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BKGG aF. Eine Anrechnung von Kinderzuschlag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erfolgt nicht, weil ein Parallelbezug beider Leistungen rechtlich ausdrücklich ausgeschlossen ist. Eine derartige rechtliche Ausschlusswirkung in Beziehung auf den Kinderzuschlag oder die Leistungen nach dem SGB II kommt indes weder dem Arbeitslosengeld noch dem Arbeitseinkommen zu (vergl. auch die Bestätigung des Zuflussprinzips für eine Nachzahlung von Wohngeld in Abgrenzung zu dem Urteil vom 25.10.2017 bei BSG Urteil vom 30.10.2019 - B 4 KG 1/19 R; hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.03.2021 – L 7 BK 6/19).

Auch die Ablehnung des (spätestens) im Juni 2019 innerhalb der Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X gestellten Antrags auf Rücknahme der Ablehnung des Anspruchs für Juni 2016 ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides, denn dieser ist nicht rechtswidrig iSd § 44 SGB X.  Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kinderzuschlag für Juni 2016 da in diesem Monat die Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG in der bis zum 30.06.2016 gF (die ab 01.07.2016 nicht geändert worden ist) nicht erreicht worden ist. Im Juni 2016 ist nur das Einkommen der Ehefrau iHv 604,09 € zugeflossen. Die Mindesteinkommensgrenze von 900 € wird damit nicht erreicht (so auch für eine parallele Konstellation LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.03.2021 – L 7 BK 6/19).

Das Ergebnis – kein Anspruch für Juni 2016 wegen Nichterreichens der Mindesteinkommensgrenze, kein Anspruch für Juli 2016 wegen Überschreitens der Höchsteinkommensgrenze und der Bedarfsgrenze allein wegen der unterschiedlichen Auszahlungstermine des schwankenden Einkommens – ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Aus dem verfassungsrechtlichen Schutz des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 iVm Art 20 GG; hierzu BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a.) ergibt sich nichts anderes: Das Zuflussprinzip wirkt sich nicht per se zum Nachteil der Betroffenen aus. Es kann auch anspruchsbegründend wirken. Das menschenwürdige Existenzminimum ist zudem dadurch gesichert, dass bei Ablehnung eines Anspruchs auf Kinderzuschlag wegen Unterschreitens der Bedarfsgrenze nach dem SGB II ein Anspruch auf Grundsicherung nach diesem Gesetz besteht. Sieht ein Berechtigter im Hinblick auf einen Antrag auf Kinderzuschlag davon ab, einen Antrag auf Arbeitslosengeld II/Sozialgeld zu stellen, gilt seit dem 01.08.2006 die Regelung des § 40 Abs. 7 SGB II: § 28 SGB X, dh die Fiktion der SGB II-Antragstellung, gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung des Kinderzuschlags bindend geworden ist, nachzuholen ist. Zudem kann ein Antrag auf Kinderzuschlag evtl. auch als Antrag auf Grundsicherung nach dem SGB II auszulegen sein (hierzu Kühl NZS 2020, 362), allerdings nicht im vorliegenden Fall, da der Kläger dies ausdrücklich nicht wünscht. Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht ersichtlich, da das Abstellen auf tatsächlich zur Verfügung stehende Mittel ein sachgerechtes Differenzierungskriterium für die Frage ist, ob ein Anspruch besteht oder nicht (eingehend zu Art. 3 GG in diesem Zusammenhang auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.03.2021 – L 7 BK 6/19). Ungeachtet dessen hat der Gesetzgeber mit dem StaFamG ab dem 01.07.2019/01.01.2020 grundlegend reformiert. Das maßgebliche Einkommen wird nun nicht mehr auf die jeweiligen Anspruchsmonate bezogen, sondern es wird ein Durchschnittseinkommen der letzten sechs Monate vor dem Bewilligungszeitraum zugrunde gelegt (§ 6a Abs. 8 Satz 1 BKGG in der ab 01.07.2019 gF). Diese Reform vermeidet zwar die sich im vorliegenden Fall zeigenden Unstimmigkeiten, war jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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