S 11 KG 1/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KG 1/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Der Bescheid vom 18.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für August 2019 204,00 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Berufung wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger ab August 2019 Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat.

Der 1999 geborene Kläger stammt aus Afghanistan. Er verließ 2013 sein Heimatland und reiste im Juni 2015 nach Deutschland ein. In seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 13.01.2017 gab der Kläger unter anderem das Folgende an:

Vor seiner Abreise habe er bei seinen Eltern gewohnt. Er habe drei Brüder und drei Schwestern. Diese lebten bei den Eltern. Der Vater sei vor etwa vier Monaten verstorben. Er rufe bei seinem Onkel an und habe so Kontakt zu seiner Mutter. Des Weiteren lebten noch mehrere Onkel und Tanten im Heimatland. Die Mutter lebe beim Onkel.

Nach seinem ersten Antrag vom 30.01.2018 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26.03.2018 Kindergeld nach dem BKGG für den Zeitraum November 2017 bis Juli 2019.

Bis Juli 2019 besuchte der Kläger die Berufsintegrationsklasse der Staatlichen Berufsschule in A-Stadt und beantragte mit Schreiben vom 03.12.2019 bei der Beklagten die Weiterbewilligung der Leistungen. Ab dem 01.10.2019 ging der Kläger einer Ausbildung zum Beton- und Stahlbetonbauer nach.

Der Kläger gab im Rahmen der Antragstellung an, dass seine Mutter nach der Tötung des Vaters geflüchtet sei. Seitdem gebe es mit ihr keinen Kontakt mehr. Sie müsse irgendwo in Afghanistan leben. Die alte Rufnummer der Mutter sei nicht mehr aktiv. Seit ca. Oktober 2017 sei ihm der Aufenthalt der Mutter nicht mehr bekannt.

Mit Bescheid vom 18.12.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld die Zeit ab August 2019 ab. Es seien keine Bemühungen des Klägers dargelegt worden, den Aufenthalt der Mutter zu ermitteln.

Mit Schreiben der damaligen Rechtsanwältin vom 20.01.2020 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.12.2019. Die Mutter sei mit den drei Schwestern geflüchtet und bis heute nicht auffindbar. Seit ca. zwei Wochen wisse der Kläger, dass seine zwei kleinsten Brüder wieder am ehemaligen Wohnort der Familie A. aufgetaucht seien. Sie würden wohl vom ehemaligen Nachbarn des Klägers versorgt. Mit dem Nachbarn und den Brüdern habe der Kläger telefonischen Kontakt. Der zweitälteste Bruder sei von den ehemaligen Nachbarn kurz gesehen worden, sei aber wieder verschwunden. Wie es dem Kläger möglich sein solle, den Aufenthaltsort der Mutter zu finden, könne nicht nachvollzogen werden. Eine Botschaft gebe es nicht. Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts werde beantragt, den Bescheid vom 18.12.2019 aufzuheben und rückwirkend bis einschließlich August 2019 dem Kläger Kindergeld auszuzahlen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.02.2020 als unbegründet zurückgewiesen. Vom Kind seien zunächst die ihm möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um den konkreten Aufenthaltsort der Eltern in Erfahrung zu bringen. Das Kind müsse die auf der Hand liegenden und sich aufdrängenden Möglichkeiten nutzen. Ein Unterlassen sei ein missbräuchliches sich verschließen. Der Kläger habe auch nicht angegeben, ob die Brüder Angaben zum Aufenthalt der Brüder machen könnten. Er habe nicht alle zumutbaren Anstrengungen unternommen.

Mit seiner Klage vom 01.04.2020 hat sich der Kläger, vertreten durch seine damalige Prozessbevollmächtigte, an das Sozialgericht Landshut gewandt. Zur Begründung der Klage werde auf die Widerspruchsbegründung verwiesen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 18.12.2019 in Form des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab August 2019 Kindergeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
 
Sie verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihre bisherigen Ausführungen.

Das Gericht hat den letzten Leistungsbescheid vom Jobcenter A-Stadt für das Jahr 2019 eingeholt. Später wurde ab Oktober 2019 wegen der Aufnahme der Ausbildung der Bescheid vom Jobcenter A-Stadt aufgehoben.
Bemerkenswert ist, dass das Jobcenter A-Stadt das Kindergeld auch für die Zeit nach Juli 2019 angerechnet hatte, obwohl die Leistungen von der Beklagten bereits eingestellt waren.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2022 hat der Kläger unter anderem angegeben:
"Vor August 2019 habe ich meinen damaligen Nachbarn angerufen, der wusste nicht wo meine Mutter ist. Meine kleinen Geschwister wussten es auch nicht.
Von den Geschwistern, die wohl bei meiner Mutter lebten, habe ich keine Handynummer gehabt. Die Handynummer meiner Mutter war nicht mehr zu erreichen. Meine Geschwister waren auch noch so jung, dass sie kein eigenes Handy hatten.
Meinen Onkel konnte ich nicht mehr kontaktieren, weil ich seine Nummer verloren habe.
Als die zwei Brüder wieder beim Nachbarn aufgetaucht sind, habe ich nicht mit den Brüdern persönlich gesprochen, sondern der Nachbar hat mir gesagt, sie wüssten auch nicht, wo die Mutter ist."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die Klage ist, soweit sie teilweise zulässig ist, begründet.

Der Kläger begehrt die Zahlung von Kindergeld für den Zeitraum ab August 2019. Er hat seinen Antrag in der Klage für die Zukunft nicht beschränkt.

A. Der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid vom 18.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 wurde, soweit er die den Zeitraum ab September 2019 betraf, bestandskräftig. Insoweit ist die Klage unzulässig.

Allgemein anerkannt ist, dass eine Teilaufhebung von Verwaltungsakten möglich ist. Entsprechend sind Teilanfechtungen von Verwaltungsakten möglich. Von der Teilbarkeit eines Verwaltungsaktes gehen auch die Vorschriften des Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über das Sozialverwaltungsverfahren aus, wenn es etwa in § 39 Abs. 2 SGB X heißt, "ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen ... ist." Eine ähnliche Regelung findet sich in § 45 Abs. 1 SGB X, in der es heißt, "Soweit ein Verwaltungsakt, ... rechtswidrig ist, darf er, ... zurückgenommen werden." Voraussetzung ist allerdings, dass der Verwaltungsakt teilbar ist. Das ist der Fall, wenn einzelne Teile selbstständig und unabhängig voneinander stehen bleiben oder aufgehoben werden können, wenn sie nicht in einem derartigen Zusammenhang zueinanderstehen, dass das Schicksal des einen Teils unabdingbar mit dem anderen Teil verbunden ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 131 Rn. 3b).

Nach diesen Grundsätzen besteht der Ablehnungsbescheid vom 18.12.2019 aus mehreren selbstständigen Teilen, die grundsätzlich eine Teilanfechtung möglich machen. Es wird darin der Anspruch in jedem Monat abgelehnt. Der von einer Rechtsanwältin vertretene Kläger hat mit seinem Widerspruch vom 20.01.2020 die Anfechtung des Ablehnungsbescheides ausdrücklich auf die Zeit "bis einschließlich August 2019" beschränkt. Auch in der Klagebegründung wird erneut auf die Widerspruchsbegründung verwiesen.
Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Diese in § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestimmte Bestandskraft eines Verwaltungsaktes findet auch Anwendung auf teilweise angefochtene Bescheide. Besteht ein Verwaltungsakt aus mehreren selbstständigen und damit eigenständig anfechtbaren Teilen (s. o.) und wird ein solcher teilbarer Verwaltungsakt nur teilweise angefochten, so treten hinsichtlich der nicht angefochtenen Teile die Folgen ein, die bei einer Nichtanfechtung insgesamt eintreten, nämlich die Bindungswirkung gemäß § 77 SGG. Dies folgt aus der Teilanfechtbarkeit von Verwaltungsakten, § 77 SGG und dem hinter dieser Vorschrift stehenden Gebot der rechtlichen Befriedung gegenüber der materiellen Gerechtigkeit, die auch dann den Vorzug verdient, wenn in einem teilbaren Bescheid selbstständige Bestandteile unanfechtbar geworden sind. Dem Befriedungsgebot und der damit vom Gesetzgeber gewollten Rechtssicherheit in der Fortgeltung getroffener und nicht angefochtener Entscheidungen würde entgegenlaufen, dass in teilbaren Bescheiden nicht angegriffene Teile zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen und gegebenenfalls aufgehoben werden (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. Januar 2003 - L 6 KA 18/02 -, Rn. 24 - 27 m. w. N.).
Wegen des Zeitraums nach August 2019 kann sich der Kläger im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X wenden. Hier kann offenbleiben, ob ein solcher Antrag nicht bereits in der Klage vom 01.04.2020 zu sehen ist.

B. Soweit die Klage wegen des Monats August 2019 zulässig ist, ist sie auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 ist bezogen auf die Ablehnung für den Monat August 2019 rechtswidrig, sodass der Kläger hierdurch beschwert ist im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

Der Kläger hat für August 2019 Anspruch auf Gewährung von Kindergeld nach Maßgabe des BKGG.
Jedenfalls im August 2019 liegen auch die Anspruchsvoraussetzungen vor.

1. Der Kläger war im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, § 1 Abs. 3 Nr. 2 BKGG.

2. Der Kläger erfüllt auch die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG.

Nach § 1 Abs. 2 S. 1 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger hatte im August 2019 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er lebt seit 2015 in Deutschland. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger in absehbarer Zeit beabsichtigt, nach Afghanistan zurückzukehren. Der Kläger ist auch nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen. Der Vater ist, soweit erkennbar, tot, die Mutter lebt jedenfalls nicht in Deutschland.

3. Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG: Zwar ist er nicht Vollwaise, aber er kennt den Aufenthalt seiner Eltern nicht.

Der Vater des Klägers ist, soweit ersichtlich, tot. Dies wird auch nicht von der Beklagten bezweifelt.

Ob die Mutter des Klägers noch lebt, ist unbekannt. Den letzten Kontakt zu ihr hatte der Kläger nach eigenen Angaben im Jahr 2017. Nach Überzeugung der Kammer hatte der Kläger jedenfalls im August 2019 keine Kenntnis vom Aufenthaltsort seiner Mutter. Dabei schließt zunächst lediglich positive Kenntnis des antragstellenden Kindes von dem Aufenthalt des Elternteils den Leistungsanspruch aus (grundlegend hierzu und zu dem hierbei anzuwendenden subjektiven Maßstab siehe Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 08. April 1992 - 10 RKg 12/91 -, SozR 3-5870 § 1 Nr.1). Dieser Rechtsprechung, die nach wie vor aktuell ist (siehe BSG, Urteil vom 05. Mai 2015 - B 10 KG 1/14 R -, BSGE 119, 33-43, SozR 4-5870 § 1 Nr. 4, Rn. 16), wird seitens der landessozialgerichtlichen und sozialgerichtlichen Rechtsprechung (soweit veröffentlicht), zumindest überwiegend geteilt (vgl. nur Landessozialgericht für das Land Niedersachsen, Urteil vom 20. Februar 2001 - L 8/3 KG 5/00 -; Sozialgericht (SG) Landshut, Beschluss vom 17. April 2012 - S 10 KG 1/12 ER -; SG Mainz, Urteil vom 22. September 2015 - S 14 KG 4/15 -; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016 - L 5 KG 1/15 -; Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 - L 2 KG 1/18 B ER -; SG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juli 2020 - S 19 KG 5/20 -). In der Entscheidung von 1992 hatte das BSG zugleich darauf hingewiesen, dass sich aus § 1 Abs. 2 (S. 1) Nr. 2 BKGG "in keinerlei Hinsicht" ein Verschuldensgrad entnehmen lasse, bei dessen Vorliegen eine positive Kenntnis unterstellt werden könne. Damit reicht es nicht aus, wenn das antragstellende Kind schuldhaft (grob fahrlässig oder vorsätzlich) Hinweisen über den Aufenthaltsort seiner Eltern (hier des Vaters) nicht nachgeht (BSG, Urteil vom 08.04.1992, a. a. O., Rn. 18). Lediglich bei "missbräuchlicher Nichtkenntnis" sei zu erwägen, ob dies einer Kenntnis im Sinne von § 1 Abs. 2 (S. 1) Nr. 2 BKGG gleichgestellt werden könne (a. a. O.). In diesem Zusammenhang hat das BSG auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zu § 852 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hingewiesen (a. a. O.). Diesen Gesichtspunkt hat das LSG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 23.06.2016 - L 5 KG 1/15 - aufgegriffen und hierzu ausgeführt (Rn. 36, 37):

Nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. hängt der Beginn der Verjährung von deliktischen Ansprüchen davon ab, dass der Verletzte - oder der Wissensvertreter - Schaden und Schädiger positiv kennen. Die Vorschrift wird auch dann angewendet, wenn der Verletzte die Kenntnis zwar tatsächlich nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen könnte. Denn der Verletzte soll es nicht in der Hand haben, die Verjährungsfrist einseitig dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt (Rechtsgedanke des § 162 BGB). Allerdings genügt eine grob fahrlässig verschuldete Unkenntnis der positiven Kenntnis nicht. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn der Geschädigte eine sich ihm ohne Weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit nicht wahrnimmt. Nur dann liegt ein Fall von missbräuchlichem sich Verschließen vor der Kenntnis vor, der mit einer positiven Kenntnis gleichzusetzen ist.

Kriterien für eine missbräuchliche Unkenntnis sind nach der Rechtsprechung des BGH: Das Verschließen der Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis oder die unterbliebene Wahrnehmung von sich anbietenden und auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeiten, deren Erlangen weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht. Dies ist der Fall, wenn etwa eine einfache Nachfrage genügen würde zur positiven Kenntniserlangung. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn lange und zeitraubende Telefonate oder umfangreiche Schriftwechsel erforderlich würden (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - VI ZR 61/83 -, Rn. 16). Ebenfalls keine missbräuchliche Kenntnis liegt vor, wenn der Geschädigte die aus seiner Sicht in Betracht kommenden Auskunftsstellen erfolglos um Mitteilung gebeten und erst durch eine verspätet gewährte Akteneinsicht Kenntnis erlangt hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985, a. a. O., Rn. 17).
Dem entsprechen die Hinweise des BSG in dem Urteil vom 08.04.1992 (a. a. O., Rn. 20), die auf die Erwägungen der Vorinstanz verweisen, wonach eine Nichtkenntnis des Kindes von dem Aufenthalt seiner Eltern dann nicht anzunehmen sei, wenn der Aufenthalt durch einfache Nachforschungen zu ermitteln sei; darüber hinausgehende Anforderungen, insbesondere der Nachweis fruchtloser Bemühungen bei den zuständigen Behörden des letzten Aufenthaltsstaates, könnten jedoch nicht verlangt werden.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass ein missbräuchliches "sich Verschließen" vorliegt, das der positiven Kenntnis gleichzusetzen wäre (zu dieser Formulierung LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O., Leitsatz 1).

Dem Kläger kann nicht widerlegt werden, dass er den aktuellen Aufenthalt seiner Mutter nicht kennt. Ausreichend ist auch nicht die bloße Vermutung des Klägers, die Mutter sei irgendwo in Afghanistan. Denn hierbei handelt es sich um keinen konkreten Aufenthaltsort im Sinne des Gesetzes. Vielmehr kommt es auf einen festen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (mit konkreter Adresse) an (SG Mainz, Urteil vom 22.09.2019 - S 14 KG 4/15 -). Hierfür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte.

Gegen ein missbräuchliches "sich Verschließen" spricht vorliegend zunächst, dass die Beklagte dem Kläger zuvor über Jahre hinweg Kindergeld nach dem BKGG gewährt hatte, ohne irgendwelche Anforderungen an den Kläger zu stellen (oder eigene Ermittlungen durchzuführen). Die Beklage hat auch im Rahmen des Weiterbewilligungsantrags den Kläger erstmals im Ablehnungsbescheid vom 18.12.2019 darauf hingewiesen, dass vom Kläger eigene, weitergehende Ermittlungen verlangt werden. Mangels vorheriger Aufforderung durch die Beklagte scheidet nach Überzeugung der Kammer missbräuchliches "sich Verschließen" aus, da sich der Kläger nicht zu weitergehenden eigenen Nachforschungen gedrängt sehen musste. Wenn die Beklagte dem Kläger missbräuchliches "sich Verschließen" durch fehlende Eigenbemühungen vorwirft, dürfte sich zudem die zur Amtsermittlung verpflichtete Beklagte selbst zu eigenen Nachforschungen gedrängt sehen. Eigene Ermittlungen der Beklagten sind der Akte jedenfalls nicht zu entnehmen.
 
Der Kläger hat folglich Anspruch auf Kindergeld für sich selbst für den Monat August 2019 in der damaligen gesetzlichen Höhe.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt das nur teilweise Obsiegen des Klägers. Gründe für die Zulassung der Berufung (der Beklagten) gemäß
§ 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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