Zulässigkeit einer Wiederaufnahmeklage
1. Zuständiges Gericht für eine Wiederaufnahmeklage ist dasjenige Gericht, das zuletzt eine Sachentscheidung getroffen hat.
2. Zulässigkeitsvoraussetzung einer Wiederaufnahmeklage ist die schlüssige Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes, § 179 SGG i. V. m. §§ 579 ff. ZPO. Ist ein solcher nicht schlüssig dargelegt so ist die Wiederaufnahmeklage zu verwerfen.
Die Wiederaufnahmeklage des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 19. Februar 2003 - L 1 U 50/99 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des Verfahrens L 1 U 50/99, in dem um die Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung und die Gewährung einer Verletztenrente gestritten wurde.
Er leistete von November 1971 bis Mai 1973 seinen Grundwehrdienst in einem Flakregiment der Nationalen Volksarmee (NVA). Im Jahre 1990 beantragte er die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Mit Bescheid vom 31. August 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Es liege weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit nach den Bestimmungen der ehemaligen DDR vor. Nach erfolglosem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 1995) beantragte der Kläger nach Ablauf der Klagefrist die „Wiederaufnahme des Klageverfahrens“. Dies wurde durch die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gewertet und durch Bescheid vom 31. August 1995 abgelehnt. Nach erfolglosem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 16. September 1998) erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Altenburg, welches die Klage mit Urteil vom 21. Januar 1999 abgewiesen hat. Das Thüringer Landessozialgericht wies die von dem Kläger eingelegte Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2003 zurück (L 1 U 50/99). Die vom Kläger geltend gemachte Erkrankung sei nicht durch Ausübung des Dienstes bei der NVA entstanden. Aus dem nervenfachärztlichen Gutachten von B vom 9. August 2000 ergebe sich, dass die vom Kläger geschilderten belastenden Bedingungen des Armeedienstes nicht geeignet gewesen seien, als überwiegender Faktor für die Verursachung der schizophrenen Psychose gelten zu können. Es fehle bereits der zu fordernde zeitliche Zusammenhang. B stellte ferner fest, dass die typische Symptomatik einer schizophrenen Psychose erst 1975 und damit mit deutlichem zeitlichen Abstand zum Wehrdienst ausgebrochen sei. Auch die Feststellungen des gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragten Sachverständigen F stünden dem nicht entgegen. Das BSG verwarf eine Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG mit Beschluss vom 19. Mai 2003 als unzulässig (B 2 U 114/03 B).
Der Kläger hat mit am 4. November 2021 beim Thüringer Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz wörtlich eine „Neuaufnahme“ des Verfahrens beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass es zur Entscheidung im Verfahren L 1 U 50/99 folgende Korrekturen seinerseits gebe. Seine Erkrankung sei nicht schicksalhaft, sondern wehrdienst- und amphetaminbedingt gewesen. Retrospektiv sei seine Erkrankung eindeutig wehrdienstbedingt zu werten. Seit Juli 1990 betrage die MdE 100 von Hundert. Das Gericht habe das Gutachten von F von der TU M bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 19. Februar 2003 aufzuheben, das Berufungsverfahren L 1 U 50/99 wiederaufzunehmen, das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 21. Januar 1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juli 1998 und des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1998 zu verpflichten, den bestandskräftigen Bescheid vom 31. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 1995 zurückzunehmen, die schizophrene Psychose als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 von Hundert und ab 1990 von 100 von Hundert zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen.
Es liege keine schlüssige und hinreichend belegte Begründung für eine Wiederaufnahmeklage vor.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Das Begehren des Klägers ist als Wiederaufnahmeklage nach §§ 179ff. SGG auszulegen. Schriftsätze des rechtsunkundigen Klägers sind in seinem wohlverstandenen Interesse auszulegen, wobei auf das vernünftigerweise „Gewollte“ bzw. darauf abzustellen ist, was nach Lage der Sache in Betracht kommt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, vor § 60 Rn. 11 a). Der Kläger hat wörtlich „Neuaufnahme“ des Verfahrens beantragt und ausgeführt, warum aus seiner Sicht die Entscheidung im Verfahren L 1 U 50/99 zu korrigieren ist. Damit hat er hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er die Rechtskraft des Urteils des Thüringer Landessozialgerichts vom 19. Februar 2003 im Verfahren L 1 U 50/99 nicht akzeptieren und das damalige Begehren, also die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung und die Gewährung einer Verletztenrente im gerichtlichen Verfahren weiterverfolgen will.
Zuständig für eine Wiederaufnahmeklage ist dasjenige Gericht, das zuletzt in der Sache entschieden hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Juni 2021 - L 13 SB 5/21, zitiert nach juris). Das war hier das Thüringer Landessozialgericht, welches mit Urteil vom 19. Februar 2003 eine Sachentscheidung getroffen hat. Der nachfolgende Beschluss des BSG vom 19. Mai 2003 stellte dabei keine Sachentscheidung dar, da die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG als unzulässig verworfen wurde.
Der Senat entscheidet über die Wiederaufnahmeklage in der regulären Besetzung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGG mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern.
Die Wiederaufnahmeklage ist unzulässig und entsprechend zu verwerfen.
Zulässigkeitsvoraussetzung einer Wiederaufnahmeklage ist die schlüssige Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes (vgl. BSG, Beschluss vom 23.04.2014 - B 14 AS 368/13 B, juris Rn. 9; Beschluss vom 10.07.2012 - B 13 R 53/12 B, juris Rn. 10; LSG NRW, Beschluss vom 06.05.2015 - L 11 KA 75/13 WA, juris Rn. 12; Schmidt, a.a.O., Rn. 7, 9). Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 579 f. der Zivilprozessordnung (ZPO), § 179 Abs. 2 SGG oder § 180 SGG werden jedoch nicht vorgetragen und erst recht nicht schlüssig dargelegt. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Vorbringen des Klägers, der Rechtsstreit L 1 U 50/99 berücksichtige nicht, dass seine Erkrankung nicht schicksalhaft, sondern wehrdienst- und amphetaminbedingt gewesen sei, erfüllt die an eine schlüssige Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes zu stellenden Anforderungen nicht. Der Kläger beschränkt sich auf den alleinigen Vortrag der Unrichtigkeit der Entscheidung und verkennt die besonderen Voraussetzungen, die an eine Wiederaufnahmeklage zu stellen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.