L 1 U 1409/19

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 1 U 739/18
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 1409/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 8 SGB VII, § 118 SGG, §§ 407 ff. ZPO

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Kausalität - Posttraumatische Belastungsstörung - Nachweis – retrograde Amnesie - , Verwaltungsgutachten, Urkundenbeweis, Tinnitus als Folge einer bei einem Verkehrsunfall erlittenen HWS-Distorsion, Hilfsbeweisantrag, Höhe der MdE bei einer posttraumatischen Belastungsstörung

1. Voraussetzung für die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist sowohl eine einzelfallbezogene positive Feststellung ihres Vorliegens als auch ihrer Verursachung nach der Bedingungstheorie.

2. Ein Tinnitus als Folge eines Schleudertraumas der Hals-Wirbelsäule ist nur dann wahrscheinlich, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde auftreten.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. September 2019 insoweit aufgehoben als als Folge des Arbeitsunfalles vom 14. Februar 2014 ein dekompensierter Tinnitus Grad IV anerkannt worden ist. Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wird das Urteil des Sozialgerichts  Nordhausen vom 17. September 2019 wie folgt neu gefasst:

Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2018 wird dahingehend abgeändert, dass als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 14. Februar 2014 eine mittelgradige depressive Episode, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine spezifische Phobie anerkannt wird. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 14. August 2015 bis zum 26. Februar 2016 und auf Dauer eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat in beiden Rechtszügen die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob weitere Gesundheitsstörungen Folge des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 14. Februar 2014 sind und ob der Kläger deswegen eine Verletztenrente auf Dauer nach einer MdE von 50 v. H. beanspruchen kann.

Der 1953 geborene Kläger befand sich am 14. Februar 2014 gegen 14:30 Uhr auf der B 247 auf der Rückfahrt von seiner Außendiensttätigkeit für seinen Arbeitgeber. Vor einer Ampel fuhr ein weiteres Fahrzeug derart auf das Fahrzeug des Klägers auf, dass dieses auf drei vor ihm stehende Fahrzeuge geschoben wurde. Deswegen befand sich der Kläger vom 14. bis 18. Februar 2014 in stationärer Behandlung im H1 Krankenhaus G. Diagnostiziert wurden ausweislich des Entlassungsberichts vom 18. Februar 2014 eine Gehirnerschütterung, eine akute Belastungsreaktion, eine HWS Distorsion, diverse Prellungen und Schürfwunden. Bezüglich der akuten Belastungsreaktion wurde nach psychiatrischer Beratung noch kein aktueller Behandlungsbedarf gesehen. Eine Besserung sei aus psychiatrischer Sicht am ehesten in der häuslichen Umgebung zu erwarten. Eine retrograde Amnesie hinsichtlich des Unfalls selbst und auftauchende Bilder im Zusammenhang mit dem Unfall wurden berichtet. Ausweislich eines CT-Befunds hinsichtlich des Kopfes vom 14. Februar 2014 ergab sich weder der Nachweis einer Fraktur noch einer intrakraniellen Blutung. Bezüglich der Halswirbelsäule fand sich ebenfalls kein Hinweis auf eine Fraktur. Am 13. März 2014 genehmigte die Beklagte dem W1 die Durchführung von bis zu 5 probatorischen Sitzungen. Mit Schreiben vom 17. März 2014 bestätigte der Arbeitgeber des Klägers, dass sich dieser am Unfalltag aus seinem Verkaufsgebiet zurück auf dem Weg zur Zentrale in G befunden habe. Der W1 schilderte in seinem Erstbericht vom 18. März 2014 die Probleme des Klägers dergestalt, dass er nicht mehr alleine Auto fahren könne, unter Konzentrations- und Angstzuständen leide und schlecht schlafe. Der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung wurde geäußert. Der Beratungsarzt und Facharzt für HNO H2 sah in einer Stellungnahme vom 9. Mai 2014 die Notwendigkeit einer Mitbehandlung durch einen HNO-Arzt. Hinsichtlich der Tinnitusproblematik beständen vielfältige Ansätze. Zu klären sei, ob weitere pathologische Befunde am Hör- oder Gleichgewichtsorgan zu sichern seien. Am 28. Juli 2014 erteilte die Beklagte eine Kostenzusage für 5 Stunden Fahrprobe in einer Fahrschule. Der Fahrlehrer teilte nach Durchführung dieser Probestunden mit, dass der Kläger noch nicht selbständig Auto fahren könne. Am 3. Februar 2015 wurde der Kläger stationär in die Klinik W2 in X1 aufgenommen. In einem Behandlungsbericht vom 12. März 2015 stellte die Klinik W2 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer spezifischen Phobie und einer mittelgradigen depressiven Episode. Die beratende Psychologin der Beklagten, M sah in einer Stellungnahme vom 18. März 2015 die Notwendigkeit einer gründlichen apparativen neurologischen Diagnostik.

Die stationäre Behandlung in der Klinik W2 wurde am 31. März 2015 beendet. In ihrem Abschlussbericht vom 7. April 2015 diagnostizierte die Klinik erneut eine posttraumatische Belastungsstörung, eine spezifische Phobie und eine mittelgradige depressive Episode.

Im Auftrag der Beklagten erstattete die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Z am 30. Juni 2015 ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung wurde gestellt. Die beklagten kognitiven Defizite wurden als Symptom dieser unfallabhängigen posttraumatischen Belastungsstörung eingeordnet. Anhaltspunkte für eine unfallunabhängige Genese im Sinne einer beginnenden Demenz oder sonstigen Erkrankung wurden nicht gesehen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i. H. v. 50 v. H. wurde vorgeschlagen. Diesen Feststellungen wiedersprach die beratende Psychologin der Beklagten, M, in einer Stellungnahme vom 17. Juli 2015. Das Unfallereignis sei als Mono-trauma nicht geeignet gewesen, eine komplexe Traumafolgestörung auszulösen. Hinsichtlich der hirnorganischen Auffälligkeiten müsse das gleichzeitige Bestehen neurologischer Erkrankungen ausgeschlossen werden. Eine umfangreiche Diagnostik sei vorzunehmen, insbesondere auch hinsichtlich des Ausschlusses entzündlicher hirnorganischer Erkrankungen, ggf. mit Lumbalpunktion.

Daraufhin stellte die Beklagte durch Bescheid vom 6. August 2015 mit Ablauf des 13. August 2015 die Zahlung des Verletztengeldes ein. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, die fehlenden diagnostischen Untersuchungen bei S in K1 durchführen zu lassen. Dem widersprach der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 12. November 2015. Im Verfahren beigezogen wurde des Weiteren ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie X2 vom 8. November 2015 für die Deutsche Rentenversicherung Bund. Dieser diagnostizierte eine chronifizierte, mindestens mittelschwere depressive Episode. Die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung seien rückläufig. Im Auftrag der Beklagten erfolgte beim Kläger im Zeitraum vom 15. bis 26. Februar 2016 eine umfangreiche Diagnostik in der Klinik für Neurologie des Unfallkrankenhauses B. In der angefertigten Bildgebung ergaben sich keine Anhaltspunkte für intrakranielle Traumafolgen. Festgestellt wurde ein maximal 5 mm großes Mediagabelaneurysma. Ein posttraumatischer Tinnitus wurde diagnostiziert und eine zweiwöchige stationäre Infusionstherapie empfohlen. Die Konzentrationsstörungen seien auf die psychische Belastung zurückzuführen. Das Vorliegen hirnorganisch bedingter Störungen könne nicht sicher ausgeschlossen werden. Aus psychiatrischer und psychotraumatologischer Sicht bestehe dringend weiterer Therapiebedarf. Die neuropsychologische Untersuchung zeige massive kognitive Leistungsminderungen. Nach Einschätzung der Klinik war von einer erheblichen psychischen Fehlverarbeitung des Unfalls und seiner Folgen auszugehen. Die beratende Psychologin M führte daraufhin in einer Stellungnahme vom 21. März 2016 aus, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, dass die derzeitige psychische Symptomatik unfallbedingt ist. Der Psychologe X3 legte in einer Stellungnahme vom 25. Mai 2016 dar, dass durch den Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung verursacht worden sei. Die MdE bezifferte er ab dem 27. Februar 2016 auf 10 v.H. Es liege nur noch eine Restsymptomatik vor, die mit Willensanstrengung kompensiert werden könne.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2016 das Ereignis vom 14. Februar 2014 sinngemäß als Arbeitsunfall und als Folgen des Arbeitsunfalls eine „vorübergehende posttraumatische Belastungsstörung in Form von Fahrängsten und Fehlverarbeitung des Unfalls, ab dem 27. Februar 2016 als leichtgradig und im Wesentlichen kompensiert“ an. Nicht als Folge des Arbeitsunfalls wurden anerkannt „eine mittelgradige depressive Episode mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, ausgeprägte Konzentrations- und Gedächtnisstörungen“. Für den Zeitraum 14. August 2015 bis 26. Februar 2016 wurde eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. bewilligt. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Hiergegen legte der Kläger am 27. Juni 2016 Widerspruch ein. Die MdE von 20 v. H. berücksichtige die Unfallfolgen nicht hinreichend. Bestimmte Folgen des Arbeitsunfalles würden gar nicht berücksichtigt. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden Psychologen H3 vom 12. Dezember 2016 ein.  Auf der Grundlage eines Monotraumas könne eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung nicht diagnostiziert werden. Die im Bescheid vom 10. Juni 2016 enthaltenen Unfallfolgen seien korrekt aufgeführt. Insbesondere sei die Depression zu Recht nicht als Unfallfolge eingeordnet worden. Zur MdE könne ohne Begutachtung des Patienten nicht Stellung genommen werden. Daraufhin beauftragte die Beklagte den Facharzt für Nervenheilkunde und Psychiatrie K2 mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 10. Juli 2017 eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2). Sowohl die Voraussetzungen nach dem ICD-10 als auch nach den DSM-5 seien erfüllt. Hinweise auf eine hirnorganische Läsion fänden sich nicht. Ebenfalls sei eine cerebrale Läsion durch bildgebende Befunde ausgeschlossen worden. Ein hirnorganisches Psychosyndrom sei somit nicht zu diskutieren. Auffälligkeiten im Beschwerdevalidierungstest seien nicht als negative Antwortverzerrung einzuordnen. Bereits bei der unfallchirurgischen Erstbehandlung sei ein seelischer Erstschaden festgestellt worden. Die MdE sei auf nervenärztlichem Fachgebiet mit 70 v. H. zu beziffern. Ein Erstschadensbild auf HNO-ärztlichem Fachgebiet sei nicht gegeben, sodass es gewichtige Argumente gebe, den Tinnitus als unfallunabhängig einzustufen. Deshalb sei allerdings eine HNO-ärztliche Zusatzbegutachtung veranlasst. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juli 2017 hat K2 darauf hingewiesen, dass die exakte Einordnung eines depressiven Syndroms dem Facharzt für Psychiatrie vorbehalten sein sollte. Aus dem gesamten Krankheitsverlauf ergäben sich eindeutige Belege dafür, dass bei dem Kläger eine schwere Depression vorliege. Die beschriebene schwere depressive Symptomatik sei als Folgeschaden der posttraumatischen Belastungsstörung anzusehen. Hinweise auf eine akzentuierte Persönlichkeitsstörung als konkurrierende Kausalität im Sinne einer Schadensanlage seien nicht gegeben. Im Auftrag der Beklagten erstattete anschließend der Chefarzt der HNO-Klinik E1, E2, am 28. Dezember 2017 ein Zusatzgutachten. Darin legte dieser dar, dass aus seiner Sicht der Tinnitus als Unfallfolge anzusehen sei. Dieser sei sofort nach dem Unfall als neu aufgetretenes Ereignis beschrieben worden. Vor dem Unfall habe der Versicherte noch nie einen Tinnitus gehabt. Die MdE sei mit 30 v. H. zu beziffern. Daraufhin schätzte K2 am 15. Februar 2018 die Gesamt-MdE mit 80 v. H ein. Der HNO-Arzt E3 äußerte in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12. März 2018 erhebliche Zweifel an dem Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Tinnitus. Ein Tinnitus ohne unfallbedingte Schwerhörigkeit könne nicht als unfallbedingter Tinnitus angesehen werden. Die beratende Psychologin M stimmte den Ausführungen von K2 in einer Stellungnahme vom 13. April 2018 zu. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19. September 2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Schwere des Unfalls nicht ausreiche, um derartige Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet auszulösen. Es fehle an einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß. Auch die schwere depressive Episode sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalls. Aufgrund der vorübergehenden posttraumatischen Belastungsstörung könne bis zum 26. Februar 2016 eine MdE von 20 v. H. anerkannt werden.

Hiergegen hat der Kläger bereits am 14. Mai 2018 vor dem Sozialgericht Nordhausen eine Untätigkeitsklage erhoben. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2018 hat er am 4. Oktober 2018 mitgeteilt, dass der Rechtsstreit fortgeführt werde. Das Sozialgericht hat den Sachverständigen K2 mit der Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme beauftragt. In dieser hat er am 20. Februar 2019 ausgeführt, dass die Kriterien des DSM-5 ab Mai 2013 anzuwenden gewesen seien. Das Unfallereignis sei geeignet gewesen, eine PTBS auszulösen. Der erforderliche zeitliche Zusammenhang liege vor. Beim Kläger seien zeitnah erhebliche psychoreaktive Störmuster im Vollbeweis gesichert. Eine hirnorganische Läsion oder eine neurodegenerative Erkrankung liege beim Kläger nicht vor. Hinsichtlich der in der Akte zunächst dokumentierten Amnesie sei darauf hinzuweisen, dass es initial nach einer tiefgreifenden Traumatisierung zu einer sogenannten peritraumatischen Überflutung komme und aus dieser Tatsache sich eine Amnesie erkläre. Dies sei der Grund dafür, dass im ICD-10 auch ein verzögerter Beginn einer posttraumatischen Belastungsstörung anerkannt werde, wenn die Symptome einer PTBS mit einer Latenz von bis zu sechs Monaten auftreten würden. Dieser Einschätzung hat der Beratungsarzt der Beklagten K3 in einer Stellungnahme vom 13. Mai 2019 widersprochen. Nach den maßgeblichen Standardwerken zu neurowissenschaftlichen Begutachtungen setze eine PTBS voraus, dass es sich um ein Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß handeln müsse. Eine mittelgradige depressive Episode beim Kläger sei nicht unfallbedingt.

Durch Urteil vom 17. September 2019 hat das Sozialgericht Nordhausen den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2018 dahingehend abgeändert, dass als weitere Folge des Unfalls vom 14. Februar 2014 eine schwere Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung und ein dekompensierter Tinnitus Grad IV anerkannt wird und zugleich dem Kläger auf Dauer eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. gewährt. Die Beklagte habe die Unfallfolgen nur teilweise zutreffend festgestellt. Sie habe nur eine vorübergehende PTBS in Form von Fahrängsten und einer Fehlverarbeitung des Unfalls anerkannt. Daneben seien aber auch eine PTBS sowie eine schwere Depression und ein dekompensierter Tinnitus Grad IV als Folge des Unfallgeschehens anzuerkennen. Sowohl eine PTBS als auch eine schwere Depression seien vollbeweislich gesichert. Das streitige Ereignis sei durchaus geeignet, eine PTBS zu verursachen. Ausweislich der Verkehrsunfallanzeige sei der Kläger mit seinem Fahrzeug das 4. Fahrzeug in einer Reihe gewesen, auf das ein anderer Verkehrsteilnehmer mit seinem Fahrzeug aufgefahren sei. Aus den Lichtbildern ergebe sich eine erhebliche Beschädigung des Fahrzeuges des Klägers auf beiden Seiten. Bereits dem Entlassungsbericht des Klinikums G vom 18. Februar 2014 sei eine akute Belastungsreaktion zu entnehmen. Nach allen anerkannten Diagnosesystemen sei daher eine PTBS zu bejahen. Auch ansonsten folge das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen K2. Ebenso sei die depressive Episode als Unfallfolge einzuordnen. Die Unfallbedingtheit des Tinnitus folge aus dem Gutachten des E2 vom 28. Dezember 2017. Die MdE sei mit 50 v. H. zu beziffern. Der Kläger erreiche nicht das Vollbild der Einschränkungen, welche bei einer schweren chronifizierten Störung, massiv eingetrübter Stimmung und deutlicher Minderung der Konzentration nach den Erfahrungswerten vorgesehen sei. Hinzu kämen jedoch zusätzliche Ängste und bestimmten Verhaltensweisen sowie der Tinnitus, sodass von einer Gesamt-MdE von 50 v.H. auszugehen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Weder die PTBS noch die schwere Depression und der Tinnitus seien als Unfallfolge anzuerkennen. Die Diagnose einer PTBS sei nicht belegt. Je länger das Verfahren dauere, umso genauer könne sich der Kläger an den Unfallhergang erinnern. Angesicht der am Fahrzeug vorhandenen Beschädigungen könne nicht von einer außergewöhnlichen Belastungssituation ausgegangen werden. Dem psychopathologischen Befund aus der Anfangszeit könne nicht das spezifische Bild einer PTBS entnommen werden. Konkurrenzursachen würden nicht ausreichend gewürdigt. Es habe auch in der Vergangenheit des  Klägers  belastende  Ereignisse,  wie einen Herzinfarkt mit Stentimplantation und eine Hauterkrankung, gegeben. Daher bestünden keine Anhaltspunkte für eine rentenberechtigende MdE über den 26. Februar 2016 hinaus. Ein unfallunabhängiges Schlafapnoesyndrom beeinträchtige den Kläger zusätzlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. September 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

ein Kfz-Sachverständigengutachten zu der Frage in Auftrag zu geben, mit welcher Geschwindigkeit der Kläger und insbesondere das hinter ihm und vor ihm fahrende Kraftfahrzeug fuhren und welche Kräfte einwirkten.

Der Kläger beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil.

Der Senat hat bei dem Neurologen und Psychiater Y ein nervenärztliches Gutachten eingeholt. Y legt in seinem Gutachten vom 11. Juni 2021 dar, dass bei dem Kläger eine PTBS vollbeweislich gesichert vorliege. Diese sei auf das Unfallereignis zurückzuführen. Es entspreche der aktuellen Leitlinie zur PTBS, dass unmittelbar nach dem als traumatisierend einzustufenden Ereignis nach initialen Symptomen seelischer Traumatisierung zu suchen sei. Diese seien im Fall des Klägers ausführlich und umfassend dokumentiert, was ein wegweisendes Argument für ein Stattfinden der Traumatisierung sei. Die entsprechende Symptomatik sei im gesamten Zeitraum nach dem Unfallereignis bis heute immer wieder dokumentiert. Zwar bedeute ein seelischer Gesundheitserstschaden noch nicht eine seelische Traumatisierung, da nicht jede Traumafolgestörung nach der Symptomkonstellation der PTBS ablaufen müsse. Das Ereignis sei von seinem Ablauf her geeignet gewesen, zu einer seelischen Traumatisierung zu führen. Ein und dasselbe Störungsbild, wenn es einmal auf eine seelische Traumatisierung zurückzuführen sei, könne nur unter ganz besonders schlagenden Argumenten auf andere Kausalbeziehung zurückzuführen sein. Eine sogenannte Verschiebung der Wesensgrundlage könne nur dann angenommen werden, wenn sich die Symptomkonstellation z. B. sehr maßgeblich verändert habe oder ein Vorschaden bewiesen sei, welcher sich weiter entwickelt habe. Dafür bedürfe es aber wirklich handfester Argumente, die hier nicht vorlägen. Hierfür reiche es insbesondere nicht aus, wenn sich die Symptomatik zwischendurch verbessert habe. Ein Vorschaden sei nicht gesichert. Hinsichtlich des Herzinfarktes aus dem Jahr 2005 oder der Hauterkrankungen seien keine psychischen Störungen mit Krankheitswert dokumentiert. Auch die mittelschwere depressive Episode sei auf das Unfallgeschehen zurückzuführen, ebenso wie die spezifische Phobie. Die Gesamt-MdE sei mit 50 v. H. einzuschätzen. Zu berücksichtigen sei hier die Herabsenkung der psychosozialen Funktionen des Klägers. Dem stehe auch nicht die auffällige Verhaltensweise bei der Bearbeitung von Tests entgegen. Eine schwerwiegende seelische Störung sei daher ausreichend gesichert. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. August 2021 hat Y an seinen Ausführungen festgehalten. Er habe nunmehr die in der Akte enthaltenen Unfallbilder wahrgenommen. Nach erneuter Durchsicht der Akte seien sowohl das A-Traumakriterium der PTBS nach ICD-10 als auch das entsprechende Kriterium des DSM-5 erfüllt. Die subjektiv erlebte Bedrohung des Klägers im Unfallerleben werde auch objektiv belegt. Zudem habe die Beklagte eine posttraumatische Belastungsstörung bereits anerkannt. Lediglich zu Unrecht sei sie von deren Abklingen ausgegangen. Es sei zutreffend, dass eine therapieresistente depressive Störung im Sinne der depressiven Episode leitliniengerecht, psychopharmakologisch und psychotherapeutisch in Kombination zu behandeln wäre. Dass der Kläger seit Juli 2017 nicht mehr in psychiatrischer Behandlung sei, könne zwar durchaus ein gewichtiges Argument gegen die Schwere seiner Störung darstellen. Dem stünden aber die plausiblen aktenkundigen Vorbefunde entgegen, die belegten, dass nicht unerhebliche Einbußen im täglichen Leben vorlägen. Zur Unfallbedingtheit des Tinnitus könne er nicht Stellung nehmen. Der Tinnitus habe sich auf die Gesamt-MdE von 50 v. H. im Ergebnis nicht ausgewirkt. Vielmehr sei dieser in den angenommenen psychogenen Störungen aufgegangen. Die vorgeschlagene MdE von 50 v. H. bewege sich im oberen Bereich gutachtlichen Ermessens. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 3. Januar 2022 hat Y ausgeführt, dass der Kläger bei der hiesigen Begutachtung vornehmlich durch eine deutliche depressive Herabsenkung der Stimmung und Einschränkung der Affektivität, Antriebsstörung und affektiv emotionalen Labilisierung aufgefallen sei. Dieses Störungsbild sei durch ein Schlafapnoesyndrom nicht hervorzurufen oder zu erklären. Eine Depression könne nur dann unabhängig von der PTBS zu bewerten und damit nicht als Traumafolgestörung anzusehen sein, wenn sie als Vorschaden vollbeweislich gesichert wäre, was hier nicht der Fall sei. Daher habe das Schlafapnoesyndrom keine Auswirkung auf die Höhe der MdE. Zwecks Einschätzung der Schwere des Ereignisses sei es nicht notwendig, die Geschwindigkeiten beim Unfallereignis am 14. Februar 2014 zu ermitteln. Es gehe hierbei nicht um biologische/physikalische Kräfte, sondern um die seelische Beeindruckung, die der Kläger im Ereigniserleben habe hinnehmen müssen. Diese werde für hoch erachtet.

Der Kläger hat den Ausführungen des Sachverständigen Y zugestimmt.

Die Beklagte geht nach wie vor davon aus, dass über die bescheidmäßig anerkannten Unfallfolgen hinaus keine weiteren anzuerkennen seien. Sie ist der Auffassung, dass ein Kfz-Sachverständigengutachten zur Höhe der Geschwindigkeit beim Unfallereignis am 14. Februar 2014 einzuholen sei. Bei einem Verkehrsunfall, der zu keinen wesentlichen chirurgischen Verletzungen geführt habe und mit einem stationären Aufenthalt von 4 Tagen verbunden gewesen sei, sei es nicht ausreichend, dass für die Frage, ob ein Ereignis im Sinne des ICD-10 F43.1 vorliege, Fotos der beschädigten Fahrzeuge und die subjektive Schilderung des Klägers zugrunde gelegt werden. Heranzuziehen seien objektive Kriterien. Die Revision sei im Übrigen zuzulassen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und der beigezogene Verwaltungsvorgang waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG),  hat aber nur in dem tenorierten Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2018 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 SGG), als er Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und auf Gewährung einer Verletztenrente i. H. v. 50 v.H. ab dem 14. August 2015 bis zum 26. Februar 2016 und darüber hinaus auf Dauer hat. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid das Ereignis vom 14. Februar 2014 als Arbeitsunfall mit der Folge einer vorübergehenden PTBS in Form von Fahrängsten und einer Fehlverarbeitung des Unfalls und einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. vom 14. August 2015 bis zum 26. Februar 2016 bejaht. Darüber hinausgehend hat das Sozialgericht zu Recht die bei dem Kläger vorliegende posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere Depression als Unfallfolge festgestellt und dem Kläger auf Dauer eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. gewährt. Soweit das Sozialgericht als weitere Folge des Unfallereignisses vom 14. Februar 2014 einen dekompensierten Tinnitus Grad IV anerkannt hat, hat die Berufung hingegen Erfolg.

Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und „Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R -). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R -; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -). Dabei hat die Prüfung getrennt nach 2 Stufen, nämlich zunächst auf einer naturwissenschaftlich-medizinischen und anschließend auf einer rechtlichen Ebene zu erfolgen. Ist auf der ersten Stufe der notwendige naturwissenschaftlich-medizinische Zusammenhang gesichert, hat auf der zweiten Stufe eine Prüfung der rechtlichen Wesentlichkeit zu erfolgen (Spellbrink, Die Aufgabenverteilung zwischen (medizinischem) Sachverständigen und Richter bei der Kausalitätsprüfung im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, MEDSACH 2017, 51-56). Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 6/15 R –, BSGE 123, 24-35; BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R – zitiert nach Juris). Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet. Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks des jeweils begründeten Versicherungstatbestandes zu beurteilen (vgl. Spellbrink, jurisPR-SozR 5/2022 Anm. 2).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass über die durch Bescheid vom 10. Juni 2016 festgestellten Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 14. Februar 2014 hinaus weitere Unfallfolgen festzustellen sind. Die von dem Kläger als weitere Unfallfolge geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung und die mittelschwere Depression sind vollbeweislich gesichert und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Insoweit folgt der Senat den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Y in seinem Gutachten vom 11. Juni 2021 und den nachfolgenden ergänzenden Stellungnahmen. Dort führt dieser im Einklang mit den Ausführungen des im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen K2 (vgl. dessen Gutachten vom 10. Juli 2017) aus, dass nach Würdigung des Sachverhalts davon auszugehen ist, dass es bei dem Unfallereignis vom 14. Februar 2014 bei dem Kläger zu einer nachhaltigen seelischen Beeindruckung gekommen ist, die zum Ingangsetzen eines traumatischen Prozesses geführt hat. Das Unfallereignis ist geeignet gewesen, bei dem Kläger eine Traumafolgestörung auszulösen. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung kann gestellt werden. Soweit der Senat bei der Entscheidung Erkenntnisse des Gutachtens des K2 vom 10. Juli 2017 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Februar 2019 miteinfließen ließ, hat er dieses im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. der Zivilprozessordnung - ZPO). Verwaltungsgutachten können nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sogar alleinige Entscheidungsgrundlage sein, wenn das Gutachten in Form und Inhalt den (Mindest-)Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 2 U 25/17 R, Rn. 14 m.w.N., nach Juris). Das ist bei dem vorliegenden Gutachten des K2 vom 10. Juli 2017  gegeben. Es erfüllt die förmlichen und inhaltlichen Anforderungen eines ordnungsgemäßen Sachverständigengutachtens, stellt insbesondere den Krankheitsverlauf dar. Insbesondere werden Art und Ausmaß der hier in Streit befindlichen gesundheitlichen Verhältnisse auf psychiatrischem Fachgebiet festgestellt, weiter wird der Ursachenzusammenhang erörtert.  Gründe, die gegen die Verwertung dieses Gutachtens sprechen sind nicht ersichtlich.  Auch die Besonderheiten des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO), wie z.B. die fehlende Verantwortlichkeit des Verwaltungsgutachters gegenüber dem Gericht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 404a, 407a ZPO), die fehlende Strafandrohung der §§ 153 ff. des Strafgesetzbuches (StGB) und die fehlende Möglichkeit der Beeidigung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 410 ZPO), das fehlende Ablehnungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 ZPO) und insbesondere das fehlende Fragerecht (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO; § 62 SGG) stehen einer Verwertung nicht entgegen.

Hinsichtlich der Kriterien der  posttraumatischen  Belastungsstörung  ist  von folgenden Grundsätzen auszugehen (vgl. Urteil des Senats vom 9. Juli 2015 - L 1 U 1495/13, zitiert nach Juris):

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung mit der Klassifikation ICD-10-GM-2015 F 43.1 beziehungsweise DSM-5-TR 309.81. Sie wird wie folgt beschrieben: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren, wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Hiervon abweichend wird nach DSM-5 verzichtet auf das sogenannte A2-Kriterium, d. h. auf eine initiale, psychopathologisch nachweisbare subjektive Beeindruckung durch das Ereignis in Form von intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen. Nach DSM-5 TR 309.81 gelten folgende Kriterien: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1).  Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als „Flashbacks“ bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2), absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E), und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher, beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.

Nach der AWMF-Leitlinie „posttraumatische Belastungsstörung“ Leitlinien-Register Nr. 051/010 ist die PTBS eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse (wie z. B. Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, auch in der Kindheit <sogenannter sexueller Missbrauch>, Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit), die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch:

·  sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Intrusionen)

            oder Erinnerungslücken (Bilder, Alpträume, Flashbacks, partielle Amnesie),

·  Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli),

·  Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit,

Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen) und

·  emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit).

Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z. T. mehrjähriger) Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (verzögerte PTBS).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist festzustellen, dass die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung in einem für die Führung des Vollbeweises erforderlichen Umfang festgestellt werden können. Y weist in seinem Gutachten vom 11. Juni 2021 darauf hin, dass sich bereits den Behandlungsberichten für die Zeit nach dem Unfallereignis vom 14. Februar 2014 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in nachvollziehbarer Weise entnehmen lässt. Bereits dem Bericht des H1 Klinikums G vom 18. Februar 2014 über die viertägige stationäre Behandlung des Klägers lässt sich entnehmen, dass zum damaligen Zeitpunkt eine deutliche Symptomatik einer akuten Belastungsreaktion zu sichern war. Die behandelnden Chirurgen haben bereits damals bei einem Andauern der Beschwerden eine eingehende psychiatrische Behandlung empfohlen. Bereits in diesem Bericht wird auch von immer wieder auftauchenden Bildern hinsichtlich des Unfallereignisses berichtet. Damit entwickelte der Kläger unmittelbar nach dem Unfallereignis nicht nur die anerkannte "akute Belastungsreaktion" (F 43.0 ICD-10), sondern nachfolgend eine PTBS. Angesichts dieser Feststellungen kann der Senat offenlassen, ob die Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge die Feststellung eines Erstschadens (einer sichtbaren Schreckreaktion) voraussetzt (vgl. zum Meinungsstand dazu Spellbrink, jurisPR-SozR 5/2022 Anm. 2).  Soweit zugleich in dem Behandlungsbericht vom 18. Februar 2014 von einer retrograden Amnesie die Rede ist, steht dies der Annahme einer PTBS nicht entgegen. Denn K2 hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Februar 2019 gegenüber dem Sozialgericht Gotha nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es in der Traumapsychologie bekannt ist, dass es initial nach einer tiefgreifenden Traumatisierung zu einer sogenannten peritraumatischen Überflutung kommen kann und sich aus dieser Tatsache eine Amnesie erkläre. Deshalb sei im ICD-10 auch ein verzögerter Beginn einer posttraumatischen Belastungsstörung anerkannt. Trotz der subjektiven Angabe der Amnesie ist daher von einer tiefgreifenden seelischen Traumatisierung des Klägers durch das Unfallereignis auszugehen. Das Unfallereignis war geeignet, eine PTBS auszulösen. Sowohl K2 als auch Y halten das Unfallereignis für geeignet, eine PTBS auszulösen. Zu Recht weisen beide Sachverständigen darauf hin, dass bei dem Kläger zeitnah erhebliche psychoreaktive Störmuster im Vollbeweis belegt sind. Dem kann die Beklagte insbesondere durch ihren Beratungsarzt K3 nicht entgegensetzen, dass dies so nicht der Fall sei. Dem widersprechen bereits die Ausführungen in dem Entlassungsbericht des Klinikums G und die anschließend unmittelbar einsetzende psychotherapeutische Behandlung. Darin haben die Sachverständigen K2 und Y typische Symptome einer zeitnahen Reaktionsform auf eine seelische Traumatisierung gesehen. Hinsichtlich der Geeignetheit des Ereignisses ist auch darauf hinzuweisen, dass K2 in seinem Gutachten ausdrücklich ausführt, dass bei dem Kläger eine eindeutige Todesangst festzustellen war. Entscheidend ist insoweit die Einschätzung des Sachverständigen K2, die auch von Y geteilt wird, dass die vom Kläger vorgetragene Todesangst im Unfallmoment von diesem tatsächlich erlebt worden ist. Auch die weiteren Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung sind erfüllt. Der Sachverständige Y hat festgestellt, dass der Kläger von vornherein mit den Zeichen einer seelischen Traumatisierung auf das Unfallereignis reagiert hat. Die nach der Leitlinie zur Diagnose und Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung erforderlichen initialen Symptome seelischer Traumatisierung sind durchweg gesichert. Y führt insoweit in seinem Gutachten vom 11. Juni 2021 aus, dass diese ausführlich und umfassend dokumentiert sind. Daher ist im Einklang mit Y festzuhalten, dass der Kläger durch das Unfallereignis seelisch tief beeindruckt wurde, was sich spätestens wenige Tage nach dem Unfall in einer vergleichsweise schwerwiegenden seelischen Symptomatik geäußert hat. Er wird seitdem auch bei vorausgehender seelischer Gesundheit durch eine vergleichsweise schwerwiegende depressive Symptomatik mit phobischen Symptomen beeinträchtigt. Anhaltspunkte dafür, dass dieses einmal gegebene Störungsbild auf andere Kausalbeziehungen zurückzuführen sein sollte, bestehen nicht. Y führt hierzu aus, dass ein Vorschaden in Form seelischer Erkrankungen nicht bestanden hat. Soweit von einem Herzinfarkt im Jahre 2005 und einer länger bestehenden Hauterkrankung berichtet wird, haben sich daraus keine behandlungsbedürftigen psychischen Symptomatiken ergeben. Damit steht fest, dass auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung der notwendige naturwissenschaftlich-medizinische Zusammenhang gesichert ist. Die rechtliche Wesentlichkeit ist ebenfalls zu bejahen. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einwirkung durch das Unfallereignis rechtlich unter Würdigung aller Umstände nicht die Realisierung einer in den Schutzbereich des Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Mitwirkende unversicherte Ursachen sind nicht feststellbar. Denn ein Vorschaden auf psychiatrischem Fachgebiet konnte nicht festgestellt werden.  Die PTBS ist daher rechtlich wesentlich durch das Unfallereignis vom 14. Februar 2014 verursacht worden.  Ebenso ist die mittelschwere depressive Episode als Unfallfolge anzuerkennen. Eine solche ist nach den Ausführungen der Sachverständigen K2 und Y vollbeweislich gesichert. Laut Y ist der psychopathologische Befund stimmig hierfür. Ihr Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen ist schlüssig dargelegt. Sie hat sich auf dem Boden der nachhaltigen seelischen Traumatisierung entwickelt. Nach der ergänzenden Stellungnahme des Y vom 3. Januar 2022 ist eine Depression als Traumafolgestörung schlüssig, wenn zwischen den einzelnen Störungsbildern sich überlappende Symptome, wie  im Fall des Klägers, vorliegen. Das gleiche gilt für die von der Beklagten bereits anerkannte Phobie. Ein Zusammenhang der Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet mit dem Schlafapnoesyndrom ist nach der ergänzenden Stellungnahme des Y vom 3. Januar 2022 auszuschließen. Dort legt Y dar, dass das Störungsbild beim Kläger durch ein Schlafapnoesyndrom nicht hervorgerufen werden kann.

Der Senat kann daher offenlassen, ob und wie es sich auswirkt, dass die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2016 das Ereignis vom 14. Februar 2014 als Folgen des Arbeitsunfalls eine „vorübergehende posttraumatische Belastungsstörung“ bereits anerkannt hat. Eine derartige Diagnose enthält der ICD 10 nicht. Mangels einer entsprechenden Einordnung in den Diagnosesystemen scheidet jedoch eine Anerkennung einer vorübergehenden PTBS als Gesundheitsschaden und dem folgend als Unfallfolge schon deswegen aus. Hinzu kommt, dass auch der jeweilige Leistungsträger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht berechtigt ist, Gesundheitsschäden im Rahmen der Feststellung der Unfallfolgen als „folgenlos ausgeheilt“, „ohne Funktionseinschränkung“ etc. einschränkend festzustellen (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 2019 – L 1 U 1530/17, Rn. 33, Juris). Solches hat die Beklagte jedoch getan, indem sie eine „vorübergehende“ posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge festgestellt hat.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Nordhausen aber die Beklagte verurteilt, den dekompensierten Tinnitus Grad IV als Folge des Unfallereignisses vom 10. Februar 2014 anzuerkennen. Der Senat kann sich insoweit nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass der Tinnitus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 14. Februar 2014 zurückzuführen ist. Zwar leidet der Kläger an einem linksseitigen Tinnitus, der sich naturgemäß nicht objektivieren lässt, sich aber ausreichend sicher aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt (vgl. bereits Stellungnahme des HNO-Arztes und Beratungsarztes der Beklagten H2 vom 22. April 2014 und Gutachten E2 vom 28. Dezember 2017). Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass dieser Tinnitus auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich bedingt ist durch den Arbeitsunfall vom 14. Februar 2014. Wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen angeschuldigtem Ereignis und eingetretener Verletzungsfolge erforderlich ist, muss es mindestens hinreichend wahrscheinlich sein, dass das Unfallereignis ursächlich für den beim Kläger aufgetretenen Tinnitus geworden ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Gründe für eine solche Kausalität die dagegen sprechenden deutlich überwögen. Nach Auswertung aller fachärztlicher Stellungnahmen und Unterlagen gelangt der Senat jedoch zum gegenteiligen Ergebnis. Unter Berücksichtigung der in der unfallmedizinischen Literatur erarbeiteten Grund-sätze zu möglichen Störungen bei HWS-Distorsionen ist ein Tinnitus als Folge eines HWS-Traumas nur dann wahrscheinlich, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde auftreten, etwa eine messbare Hörstörung, objektivierbare Gleichgewichtsstörungen, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Ein Tinnitus als alleiniges Symptom lässt sich in der Regel nicht als Unfallfolge begründen (vgl. hierzu Feldmann, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 8. Auflage 2019, S. 391). Derartige objektivierbare pathologische Befunde wurden beim Kläger im Zusammenhang mit dem Unfallereignis gerade nicht gesichert. Sie lassen sich weder den ersten HNO-Befundberichten entnehmen, noch dem Gutachten von E2 vom 28. Dezember 2017. In diesem Gutachten wird die Kausalität wesentlich damit begründet, dass vor dem Unfallereignis noch kein Tinnitus bestanden habe. Dies genügt nicht den Beweisgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung. Damit kann bereits auf der 1. Stufe der Kausalitätsprüfung der notwendige naturwissenschaftlich-medizinische Zusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Soweit der Senat bei der Entscheidung auf die Erkenntnisse des Gutachtens des E2 vom 28. Dezember 2017 abstellte, hat er dieses eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. der Zivilprozessordnung - ZPO). Verwaltungsgutachten können nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch alleinige Entscheidungsgrundlage sein, wenn das Gutachten in Form und Inhalt den (Mindest-)Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 2 U 25/17 R, Rn. 14 m.w.N., nach Juris). Das ist bei dem vorliegenden Gutachten des E2 vom 28. Dezember 2017 gegeben. Es erfüllt die förmlichen und inhaltlichen Anforderungen eines ordnungsgemäßen Sachverständigengutachtens, stellt insbesondere den Krankheitsverlauf auf HNO-Gebiet dar. Insbesondere werden Art und Ausmaß der hier in Streit befindlichen gesundheitlichen Verhältnisse auf HNO-Gebiet festgestellt, weiter wird der Ursachenzusammenhang erörtert. Soweit der Senat der von E2 konkret vorgenommenen Kausalitätsbeurteilung nicht folgt, beruht dies darauf, dass seine Begründung den Beweisgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht genügt. Die medizinischen Anknüpfungstatsachen sind von ihm jedoch korrekt ermittelt und stellen eine ausreichende Grundlage dar, um dem Senat eine eigene Überzeugungsbildung zu ermöglichen. Gründe, die gegen die Verwertung dieses Gutachtens sprechen sind nicht ersichtlich.  Auch die Besonderheiten des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO), wie z.B. die fehlende Verantwortlichkeit des Verwaltungsgutachters gegenüber dem Gericht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 404a, 407a ZPO), die fehlende Strafandrohung der §§ 153 ff. des Strafgesetzbuches (StGB) und die fehlende Möglichkeit der Beeidigung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 410 ZPO), das fehlende Ablehnungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 ZPO) und insbesondere das fehlende Fragerecht (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO; § 62 SGG) begründen hier nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Nach Aktenlage bestand für die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens auf HNO-Gebiet wegen der Vorermittlungen der Beklagten keine Notwendigkeit.

Der Hilfsbeweisantrag der Beklagten auf Einholung eines Kfz-Sachverständigengutachtens zu der Frage, mit welcher Geschwindigkeit der Kläger und insbesondere das hinter ihm und vor ihm fahrende Kraftfahrzeug aufeinander fuhren und welche Kräfte einwirkten, ist mangels Erheblichkeit abzulehnen. Entscheidend für die Einschätzung, ob das für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung erforderliche Ereignis vorliegt, ist nicht die Frage, welche biomechanischen Kräfte im Einzelnen auf den Kläger eingewirkt haben, sondern die Frage seiner seelischen Beeindruckung. Insoweit hat Y in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. Januar 2022 darauf hingewiesen, dass es darum geht, was der Kläger im Ereigniserleben hat hinnehmen müssen. Dies hat er als hoch eingestuft und sich dabei auf die aktenkundigen Schilderungen und Verhaltensweisen bezogen. Nach der feststehenden Unfallsituation ist eine seelische Beeindruckung des Klägers nicht von der Hand zu weisen. Dies hat auch K2 in seinem Gutachten im Verwaltungsverfahren eingehend dargelegt. Beide Sachverständige haben nach eingehender Exploration des Klägers festgestellt, dass die von diesem vorgetragene Todesangst im Unfallmoment von ihm tatsächlich erlebt worden ist.  Allein dies ist entscheidend. Das genaue Ausmaß der einwirkenden biomechanischen Kräfte ist hierfür unerheblich.

Des Weiteren hat das Sozialgericht die Beklagte zu Recht zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE i. H. v. 50 v. H. verpflichtet. Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus Anspruch auf Gewährung von Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R, zitiert nach Juris). Bei der Bewertung der MdE ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher maßgebend, sondern vielmehr der damit verbundene Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteile vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R und vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R, beide zitiert nach Juris). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86, zitiert nach Juris). Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R, zitiert nach Juris).

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. auf Dauer hat. Der Senat folgt insoweit der überzeugend begründeten Einschätzung des Sachverständigen Y in seinem Gutachten. Die MdE-Einschätzung hat aufgrund der anerkannten Unfallfolgen zu erfolgen. Unerheblich ist insoweit, dass der Tinnitus nunmehr durch den Senat nicht als Unfallfolge anerkannt worden ist. Denn Y hat bei seiner Einschätzung der MdE zwar den Tinnitus einbezogen, die insoweit durch den Sachverständigen beschriebenen Einschränkungen überlappen sich aber vollständig mit den vorliegenden Beeinträchtigungen des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet. Ausgehend von den von Y in seinem Gutachten konkret beschriebenen Beeinträchtigungen rechtfertigt dies auf psychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 50 v. H. Nach den Erfahrungswerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, 9. Auflage 2017, S. 170 ff.), ist bei einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten  eine MdE von 50 v. H. gerechtfertigt. Solche Symptome hat Y festgestellt.  Führend sieht er inzwischen die mittelschwere depressive Episode an. Das psychosoziale Funktionsniveau des Klägers ist deutlichst herabgesetzt. Der Kläger hat gegenüber dem Sachverständigen sehr plastisch die Einbußen in seiner Lebensgestaltung aufgezeigt. Er leidet unter erheblichen Störungen der Merkfähigkeit und der Gedächtnisleistung. Es bestehen Konzentrationsschwierigkeiten, eine depressive Herabsenkung der Stimmung und seine Eigeninitiative ist weitgehend aufgehoben. Eine willentliche Steuerung seiner Affekte ist nicht gegeben. Dem Kläger kann es nicht zum Nachteil gereichen, dass nach Beendigung der Behandlung zu Lasten der Beklagten eine weitere Behandlung der Unfallfolgen  unterblieb. Die von K2 vorgeschlagene MdE war deutlich überhöht. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Bezug.

Der Beginn der Verletztenrente folgt aus § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Da die Beklagte die Verletztengeldzahlung zum 13. August 2015 beendete, beginnt der Anspruch auf Verletztenrente am 14. August 2015.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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