L 2 AS 468/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 174/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 468/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.03.2022 abgeändert und der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe für die Zeit ab dem 06.03.2022 bis zum 31.05.2022 zu gewähren, abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

 

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde noch gegen die vorläufige Verpflichtung zur Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung für die die Zeit vom 06.03.2022 bis zum 31.05.2022.

Der am 00.00.1982 geborene Antragsteller zu 1) ist der Ehemann der am 00.00.1990 ge­borenen Antragstellerin zu 2). Die Antragsteller zu 3) bis 5) sind die minderjährigen Kin­der der Antragsteller zu 1) und 2). Sie bewohnen gemeinsam ein Haus zur Miete im B-Straße 29 in U. Hierfür sind eine monatliche Kaltmiete von 940,- €, Kosten für die Miete eines Stellplatzes in Hö­he von 60,- € sowie Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 140,- € zu zahlen, ferner Vorauszahlungen für Heizkosten in Höhe von 120,- Euro und für Wasser in Höhe von 93,- Euro.

Die Antragsteller beantragten am 22.12.2020 erstmalig die Gewährung von Leistungen bei dem Antragsgegner. Dieser bewilligte ihnen zunächst jeweils vorläufig Leistungen nach dem SGB II die Zeiträume vom 01.12.2020 bis 31.05.2021 sowie vom 01.06.2021 bis zum 30.11.2021 unter Berücksichtigung von Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von 1.353,- € monatlich. Dieser Betrag wurde – auf entsprechende Bitte des Antragstellers zu 1) vom 21.01.2021 – insgesamt an den Vermieter gezahlt. Mit Schrei­ben vom 24.06.2021 wies der Antragsgegner darauf hin, dass die anfallenden Unter­kunfts- und Heizkosten unangemessen seien und forderte die Antragssteller zur Kostensenkung bis zum 01.01.2022 auf. Angemessen seien nach der Gesamtange­messenheitsgrenze lediglich 984,64 €.

Am 06.12.2021 beantragten die Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 30.12.2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2021 bis 31.05.2022, wobei er ab dem 01.01.2022 lediglich noch Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 984,64 € berücksichtigte. Gleichwohl wurde dem Vermieter der Antragsteller weiterhin ein Betrag von 1.353,- Euro gezahlt.

Mit Schreiben vom 22.02.2022 beantragten die Antragsteller nach einer Stromsperre durch den Energieversorger die darlehensweise Übernahme von Energieschulden, welche der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.02.2022 ablehnte.

Mit Bescheid vom 04.03.2022 bewilligte der Antragsgegner endgültig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2021 bis 31.05.2022. Dabei berücksichtigte er Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.01.2022 weiterhin in Höhe von 984,64 Euro. Der Vermieter der Antragsteller wurde wiederum als Zahlungsempfänger für die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe von 1.353,- Euro ausgewiesen, die den Antragstellern bewilligten Regelbedarfe in entsprechend geringerer Höhe ausgezahlt. Hiergegen legten die Antragsteller am 06.03.2022 Widerspruch ein.

Am 06.03.2022 haben die Antragsteller bei dem Sozialgericht Detmold (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung bean­tragt, mit der sie die Gewährung eines Darlehens für Stromschulden in Höhe von 1.024,80 Euro und die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe begehrt haben. Zur Begründung haben sie u.a. ausgeführt, ihnen seien gem. § 67 Abs. 3 SGB II die tat­sächlichen Unterkunftskosten fortlaufend zu gewähren.

Demgegenüber hat der Antragsgegner u.a. die Auffassung vertreten, die Antragsteller seien zur Senkung ihrer Unterkunftskosten verpflichtet gewesen. Eine Kostensenkung sei auch nach § 67 SGB II möglich. Nach § 67 Abs. 3 S. 2 SGB II sei nach Ablauf des Zeitraumes von sechs Monaten, in denen die Angemessenheit der Unterkunftskosten fingiert werde, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II anzuwenden mit der Maßgabe, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht anzurechnen sei. Dies bedeute, dass die tatsächlich anfallenden unangemessenen Unterkunftskosten für einen Zeitraum von 12 Monaten zu übernehmen seien.

Durch Beschluss vom 11.03.2022 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II für Stromschulden bei der E GmbH in Höhe von 1.024,80 € darlehensweise zu gewähren und diesen Betrag direkt an die E GmbH auszuzahlen sowie ihnen Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe für die Zeit ab dem 06.03.2022 bis zum 31.05.2022 zu gewähren. Im Übrigen hat das SG Antrag abgelehnt, soweit die Antragsteller höhere Leistungen auch für den Zeitraum vor Antragstellung im Eilverfahren und unbefristet gestellt haben. In der Begründung hat das SG u.a. ausgeführt, die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe, denn aus § 67 Abs. 3 SGB II folge, dass die Kosten als angemessen gelten. Unter Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck sei § 67 Abs. 3 SGB II dahingehend auszulegen, dass während der Gültigkeitsdauer der Norm keine Kostensenkung zu erfolgen habe.

Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 16.03.2022 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab 01.04.2022, gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), aufgehoben. In Umsetzung des Beschlusses des SG würden ab dem 06.03.2022 die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Hierüber ergehe ein gesonderter Bescheid. Mit Änderungsbescheid vom 16.03.2022, betreffend den Zeitraum 01.03.2022 bis zum 31.03.2022 hat der Antragsgegner den Antragstellern sodann mitgeteilt, in Umsetzung des Beschlusses des SG würden ab dem 06.03.2022 Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, es errechne sich eine Nachzahlung in Höhe von 306,67 Euro. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 17.03.2022, betreffend den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2022 bis zum 31.05.2022, hat der Antragsgegner den Antragstellern höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt, dies unter Verweis auf § 41a SGB II vorläufig, da die zu berücksichtigenden Unterkunftskosten zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststünden. Zudem hat er zur Tilgung des mit Bescheid vom 16.03.2020 gewährten Darlehens für Stromschulden ab dem 01.04.2022 gegen laufende Leistungen monatlich in Höhe von 80,80 Euro aufgerechnet.

Am 24.03.2022 hat der Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss des SG eingelegt mit dem ursprünglichen Begehren, den Beschluss des SG vom 11.03.2022 insgesamt aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. In der Begründung hat er u.a. weiterhin die Auffassung vertreten, § 67 Abs. 3 SGB II setze die Verpflichtung, Maßnahmen zur Kostensenkung zu treffen, zunächst sechs Monate aus. Nach Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten für die Dauer von sechs Monaten gelte jedoch wieder die Frist des § 22 Abs. 1 SGB II mit der Folge, dass nach Durchführung eines Kostensenkungsverfahrens nach Ablauf weiterer sechs Monate eine Absenkung auf die angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung möglich sei. Es bestehe trotz erfolgter vorläufiger Zahlung auch ein Rechtsschutzbedürfnis, denn dies entfallle nicht dadurch, dass er der ihn belastenden einstweiligen Anordnung nachgekommen sei. Im Falle eines Obsiegens im Rahmen des Beschwerdeverfahrens stehe ihm direkt ein Anspruch auf Rückabwicklung zu, ohne den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten zu müssen. Die Beschwerde gegen die im Beschluss des SG ausgesprochene Verpflichtung zur darlehensweisen Gewährung eines Betrages in Höhe von 1.024,80 Euro für Stromschulden hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 06.05.22 zurückgenommen.

Der Antragsgegner beantragt nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.03.2022 abzuändern und den Antrag, ihn im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe für die Zeit ab dem 06.03.2022 bis zum 31.05.2022 zu gewähren, abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten die Entscheidung des SG für zutreffend. Es bestehe ein Anordnungsanspruch, denn die Bewilligungszeiträume der ihnen gewährten Leistungen nach dem SGB II erstreckten sich jeweils nur über sechs Monate, weshalb § 67 Abs. 3 Satz 2 für keinen der Zeiträume zur Anwendung komme. Bei Anwendung des § 67 Abs. 3 SGB II seien die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung bis zum 31.05.2023 anzuerkennen. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, denn ohne die begehrte Anordnung entstünden monatliche Mietrückstände in Höhe von 368,36 Euro und es drohe eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Mietrückständen in nur wenigen Monaten. Es sei ihnen auch nicht möglich, den Differenzbetrag anderweitig aufzubringen. Bereits vor dem Leistungsbezug hätten sie im Oktober und November 2020 ihre Miete nicht vollständig zahlen können, eine fristloste Kündigung habe verhindert werden können, da die Antragsteller Darlehen von Verwandten zur Begleichung der Mietrückstände erhalten hätten. Seitdem sei das Verhältnis zu dem Vermieter belastet, ebenso durch die zwangsweise Einstellung der Energieversorgung am 21.02.2022. Bei einem Zahlungsverzug mit der Miete bestehe die Gefahr von Obdachlosigkeit aufgrund einer möglichen ordentlichen Kündigung durch den Vermieter. Da diesem auch bekannt sei, dass der Antragsteller zu 1) insolvent sei, werde er vor einer Kündigung auch keine hohen Mietrückständen entstehen lassen. Zudem entstünden im Falle einer Räumungsklage zusätzliche Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Schließlich sei aufgrund der vorläufigen Bewilligung und Auszahlung der Leistungen an die Antragsteller bzw. den Vermieter kein Rechtsschutzbedürfnis seitens des Antragsgegners erkennbar.

 

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.  

1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, nachdem nur der Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 11.03.2022 eingelegt hat und er überdies die Beschwerde gegen die Verpflichtung zur Gewährung eines Darlehens für Stromschulden mit Schriftsatz vom 06.05.2022 zurückgenommen hat, nur noch dessen Verpflichtung, im Wege der einstweiligen Anordnung höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in dem vom Sozialgericht tenorierten Umfang an die Antragsteller zu erbringen.

2. Die Beschwerde des Antragsgegners ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 173 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 143, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Es mangelt der Beschwerde auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners. Zwar hat er den Beschluss des SG bereits umgesetzt und weitere Leistungen an die Antragsteller erbracht. Gleichwohl fehlt in einem solchen Fall jedenfalls dann nicht das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Behörde bei ihrem Obsiegen, ohne das Hauptverfahren abzuwarten, die vorläufig erbrachten Leistungen zurückfordern kann (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.10.2018, Az. L 9 AS 462/18 B ER, juris Rn. 19 m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 47 m.w.N.; Wahrendorf in: BeckOGK, SGG, Stand: 1.2.2022, § 172 Rn. 23 m.w.N.). Dies ist hier der Fall, denn der Antragsgegner hat in den Ausführungsbescheiden hinreichend deutlich gemacht, dass diese lediglich der Umsetzung des Beschlusses des SG vom 11.03.2022 dienen und die Bewilligung der Leistungen nicht endgültig erfolgen sollte.

3. Die Beschwerde ist auch begründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe für die Zeit ab dem 06.03.2022 bis zum 31.05.2022 zu gewähren.

Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt mithin neben einem Anordnungsanspruch – im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die beantragte Leistung – einen Anordnungsgrund – im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der vom Gericht zu treffenden Regelung – voraus. Eilbedürftigkeit in diesem Sinne liegt in der Regel nur dann vor, wenn gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende wesentliche Nachteile drohen, deren Eintritt durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut gemacht werden könnte, so dass ein weiteres Abwarten unzumutbar wäre. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Es fehlt hier bereits an einem Anordnungsgrund, so dass offen bleiben konnte, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Es besteht auch kein Anlass, die Anforderungen an einen Anordnungsgrund im vorliegenden Verfahren herabzusetzen. Dies kann nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geboten sein, wenn ohne weiteres und damit offensichtlich ersichtlich ist, dass ein Anordnungsanspruch besteht. In einem solchen Fall reicht eine gewisse Eilbedürftigkeit aus, weil bei einem offensichtlich bestehenden Leistungsanspruch jedenfalls in sozialrechtlichen Streitigkeiten mit Bezug zur Existenzsicherung ein weiteres Abwarten auch bei geringeren als wesentlichen Nachteilen wenig zumutbar erscheint. Entgegen der vom Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ist es jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ein Anordnungsanspruch besteht. Der Senat teilt bei der im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung der Rechtslage nicht die rechtliche Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts, in dem vorliegend streitbefangenen Zeitraum vom 06.03.2022 bis zum 31.05.2022 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung der Antragsteller aufgrund der Vorschrift des § 67 Abs. 3 SGB II in den ab 24.11.2021 geltenden Fassungen weiterhin als angemessen anzusehen und diese seien nicht zur Kostensenkung verpflichtet, weshalb Anspruch auf Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe bestehe.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung ist § 22 Abs. 1 SGB II. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Hei­zung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Ein­zelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtig­ten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu sen­ken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss gemäß § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbrin­genden Leistungen unwirtschaftlich wäre. § 22 SGB II wird durch die Regelung des § 67 SGB II über den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie mo­difiziert. Gemäß § 67 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2022 beginnen, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht. Gemäß § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II ist § 22 Abs. 1 SGB II mit der Maßgabe anzu­wenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Gemäß § 67 Abs. 3 S. 2 SGB II ist nach Ab­lauf des Zeitraumes nach Satz 1 § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II genannte Frist an­zurechnen ist. Dies bedeutet, dass bei Bewilligungszeiträumen, die im o.g. Zeitraum beginnen, für sechs Monate eine Angemessenheitsprüfung nicht vorzunehmen ist. Nach Ablauf der sechs Monate soll nach dem klaren Gesetzeswortlaut jedoch die allgemeine Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II wieder gelten, d.h. im Geltungszeitraum des § 67 SGB II ist ein Kostensenkungsverfahren nicht generell ausgeschlossen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21.04.2021, Az. L 16 AS 129/21 B ER, juris Rn. 45). Die Regelung gilt auch unabhängig davon, ob die Leistungen im Geltungszeitraum des § 67 für den Zeitraum von 6 Monaten oder 12 Monaten bewilligt worden sind. Entweder ist im 12-monatigen Bewilligungszeitraum die Splittung nach Abs. 3 S. 1 und 2 ohne Auswirkungen auf die Höhe der Leistung vorzunehmen oder es ist in dem sich an den Bewilligungszeitraum auf Grundlage des sich aus Abs. 1 ergebenden Zeitfensters die Leistung weiter zu bewilligen (Gagel/Knickrehm, 84. EL Dezember 2021, SGB II § 67 Rn. 30 f.). Wie der Antragsgegner zu Recht ausführt, liegt der erkennbare Regelungszweck dieser gesetzlichen Bestimmung (siehe dazu Bundestags-Drucksache 19/18107, Seite 25) darin, dass die von den Auswirkungen der Pandemie Betroffenen sich kurzfristig nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen. Von einem kurzfristigen Verlust dürfte jedoch nach über einem Jahr im SGB II-Leistungsbezug nicht mehr ausgegangen werden. Auch wenn die Geltungsdauer  des § 67 Abs. 3 SGB II mehrfach verlängert wurde, ist dem Wortlaut keine Verlängerung der Angemessenheitsfiktion auf den gesamten Geltungsbereich zu entnehmen. Auch insoweit weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass die in § 67 Abs. 3 benannte Frist von sechs Monaten faktisch ins Leere liefe, wenn man eine entsprechende Ausdehnung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf sämtliche Weiterbewilligungsanträge, die im Rahmen des Geltungsbereichs gestellt werden, annähme. § 67 SGB II ist grundsätzlich auf Erst- und Weiterbewilligungsanträge anwendbar, was zur Folge hat, dass die Norm auf alle Leistungsbezieher anwendbar ist und nicht nur solche betrifft, die aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten infolge der Corona-Pandemie erstmals Leistungen nach dem SGB II beantragen. Daraus folgt jedoch lediglich, dass neben der erstmalig in den Zeitraum des § 67 SGB II fallenden Erstbewilligung auch nur die erstmalig in den Zeitraum des § 67 SGB II fallende Weiterbewilligung vom Anwendungsbereich des § 67 SGB II erfasst ist (vgl. auch Beschluss des Senats vom 02.05.2022, Az. L 2 AS 395/22 B ER, zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen). Für einen weiteren Leistungsbezug ist eine Berufung auf die vereinfachten Regelungen mithin ausgeschlossen und eine Kostensenkung nach den allgemeinen Regelungen vorzunehmen.

Es ist darüber hinaus für den streitbefangenen Zeitraum jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Antragsteller wegen einer gegenwärtigen Notlage zur Vermeidung von erheblichen Nachteilen auf eine sofortige Bewilligung von höheren Grundsicherungsleistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung angewiesen sind, weil sie ihr Existenzminimum nicht auf andere Weise sicherstellen können und ein Abwarten bis zu einer  Klärung ihrer Ansprüche in einem Hauptsacheverfahren unzumutbar ist. Solche relevanten Nachteile können zwar nicht erst mit Rechtshängigkeit einer Räumungsklage angenommen werden. Im Rahmen einer wertenden Betrachtung ist vielmehr zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II über die Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherstellen soll und dazu auch gehört, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 25.09.2018 - L 2 AS 1430/18 B ER -, juris Rn. 3 m.w.N.). Eine konkrete Gefährdung der Unterkunft der Antragsteller ist jedoch nicht glaubhaft gemacht. Zum einen ist seit Senkung der bewilligten Unterkunfts- und Heizkosten ab Januar 2022 bislang keinerlei Mietrückstand entstanden. Eine Kündigung des Mietverhältnisses droht damit jedenfalls nicht unmittelbar. Es ist zudem in keiner Weise belegt, dass die Antragsteller sich um eine Senkung oder Stundung der Unterkunftskosten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache z.B. durch Verhandlungen mit dem Vermieter oder eine Untervermietung bemüht hätten. Zum anderen dürfte den Antragstellern gegenüber dem Antragsgegner für den Zeitraum ab dem 01.01.2022 ein Nachzahlungsanspruch in Höhe der nicht an sie ausgekehrten Regelleistungen zustehen, mit welchem sie jedenfalls für den im vorliegenden Eilverfahren streitigen Zeitraum den Vermieter befriedigen können. Denn der Antragsgegner war nicht befugt, zur Auszahlung der tatsächlichen gesamten Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Regelbedarf der Antragsteller zurückzugreifen. § 22 Abs. 7 SGB II bestimmt, dass Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen ist. Das Recht zur Direktzahlung an den Vermieter ist somit nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm auf die bei der Bedarfsberechnung berücksichtigten Unterkunftskosten beschränkt. Bei einer Direktzahlung höherer Beträge wird ein Teil der dem Hilfebedürftigen zustehenden Regelleistung an den Vermieter gezahlt, insoweit tritt dann keine schuldbefreiende Wirkung ein (vgl. Eicher/Luik/Harich, SGB II § 22 Rn. 311, beck-online; Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 22 (Stand: 12.01.2022), Rn. 258; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 1/2021, Rn. 386) mit der Folge, dass die Antragsteller den noch nicht an sie gezahlten Teil der Regelleistung von dem Antragsgegner fordern können. Eine schuldbefreiende Wirkung der Zahlung des Antragsgegners an den Vermieter ist auch nicht infolge der Bitte des Antragstellers zu 1) vom 21.01.2021, die gesamte Miete direkt an den Vermieter auszuzahlen, anzunehmen. Denn zum einen erfolgte diese Bitte zu einem Zeitpunkt, in dem noch die vollen Kosten der Unterkunft und Heizung anerkannt worden waren, die Voraussetzungen des § 22 Abs. 7 S. 1 SGB II mithin bezüglich der gesamten anfallenden Unterkunftskosten vorlagen und ein Rückgriff auf die Regelleistung nicht erforderlich war. Es ist bei der gebotenen Auslegung der Erklärung aus dem objektiven Empfängerhorizont (§ 133 BGB) nicht ersichtlich, dass der Antragsteller zu 1) eine Direktzahlung an den Vermieter auch über den Rahmen des § 22 Abs. 7 S. 1 SGB II hinaus zustimmen wollte. Im Übrigen ist eine einvernehmliche Direktzahlung der gesamten monatlichen Kosten unter Rückgriff auf Teile der Regelleistung nur denkbar, wenn dies in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Jobcenter und Leistungsempfänger geregelt würde und die Deckung des Lebensunterhalts sicher gestellt bliebe (vgl. Eicher/Luik/Harich, SGB II § 22 Rn. 311, beck-online). Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Unterliegen des Antragsgegners in erster Instanz im Hinblick auf die Darlehensgewährung für Stromschulden sowie die entsprechende Beschwerderücknahme.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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