L 16 KR 318/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 63 KR 1528/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 318/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.02.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten für eine dendritische Zelltherapie streitig.

Die Klägerin ist die Ehefrau des im Jahr 1942 geborenen und 2021 verstorbenen N (Versicherter), der bei der Beklagten krankenversichert war.

Bei dem Versicherten wurde im Februar 2014 ein funktionell aktiver neuroendokriner Tumor (NET) des Dünndarms mit Lebermetastasierung diagnostiziert, weswegen er seit Februar 2014 eine biochemische Behandlung mittels Somatostatin-Analoga (Sandostatin) als Dauertherapie erhielt und sich zwischen März und September 2014 im A Krankenhaus in E einer konventionellen Chemotherapie nach dem FOLFIRI-Protokoll unterzog. Am 06.06.2014 wurde aufgrund eines vermutlich durch das Tumorwachstum ausgelösten Darmverschlusses der Tumor im Dünndarm operativ entfernt. Im Mai 2014 ist im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung ein Rücklauf der vorbeschriebenen Leberrundherde festgestellt worden; im September und Dezember 2014 sowie im März und April 2015 bezeichneten die behandelnden Ärzte des A Klinikums E die Krankheit als stabil.

Am 05.06.2015 beantragte der Versicherte unter Vorlage einer Stellungnahme des Arztes S vom 26.05.2015 die Übernahme der Kosten einer Immuntherapie mittels autologer dendritischer Zellen, die als ultima ratio dringend erforderlich sei. 

Am 11.06.2015 unterzeichnete der Versicherte einen „Auftrag zur Herstellung dendritischer Zellen und Einwilligungserklärung“ bezüglich der streitigen Behandlung durch S und lies diese noch am gleichen Tag durchführen. Letzterer berechnete dem Versicherten mit Rechnung ebenfalls vom 11.06.2015 für die Herstellung/Laborkosten als auch die Injektion Gesamtkosten in Höhe von 6.681,34 €.

Der von der Beklagten um Stellungnahme gebetene Sozialmedizinische Dienst (SMD) kam zu dem Ergebnis, es handele sich um eine nicht nach EBM abrechenbare neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vorliege und deren Zusatznutzen gegenüber den zur Verfügung stehenden, vertraglichen Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere gegenüber der Sandostatin-Therapie, nicht erkennbar sei.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 30.07.2015 ab.

Seinen am 17.08.2015 hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Versicherte unter Verweis auf § 2 Abs. 1a SGB V damit, dass die begehrte Therapie Aussicht auf einen kurativen Behandlungserfolg biete und damit über den mit Mitteln der Schulmedizin erreichbaren palliativen Nutzen hinausgehe. Bei der dendritischen Zelltherapie werde das körpereigene Immunsystem für die Bekämpfung der Krebserkrankung eingesetzt und die Therapie sei nebenwirkungsärmer als die verfügbaren Standardtherapien.

Der erneut um Stellungnahme gebetene SMD blieb bei seiner Auffassung, dass bei Fortführung der Sandostatin-Therapie kein zusätzlicher Benefit durch die dendritische Zelltherapie zu erwarten sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten zurück.

Hiergegen hat der Versicherte am 18.11.2015 Klage zum Sozialgericht Dortmund erhoben, mit der er den Anspruch auf Kostenerstattung weiterverfolgt hat. Die durchgeführte Operation und Chemotherapie habe insbesondere in Bezug auf die lebensbedrohliche Lebermetastasierung nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Er sei schulmedizinisch austherapiert gewesen. Die dendritische Zelltherapie sei als ultima ratio einzig noch in Betracht gekommen. Nach deren Durchführung sei ein deutlicher Rückgang der Metastasen zu verzeichnen gewesen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Therapie zurückzuführen gewesen sei. Es liege die von der Rechtsprechung für eine Kostenerstattung geforderte, auf Indizien gestützte und nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vor.

Der Versicherte hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2015 zu verurteilen, ihm die Kosten der Durchführung der dendritischen Zelltherapie gemäß Rechnung vom 11.06.2015 in Höhe von 6.681,34 € zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten. Die dendritische Zelltherapie sei begleitend zu anderen Therapiemaßnahmen durchgeführt worden, so dass ein besonderer Heileffekt keinesfalls eingleisig zu beurteilen wäre. Auch nach Abbruch/Beendigung der Therapie sei es nicht zu einer Verschlechterung gekommen.

Das Sozialgericht hat zunächst Patientenunterlagen des Hausarztes des Versicherten, der behandelnden Onkologen und Chirurgen in verschiedenen Krankenhäusern und des S angefordert.

Sodann hat es ein Sachverständigengutachten des V, Direktor der Inneren Klinik (Tumorforschung) des Universitätsklinikums F, eingeholt. In seinem Gutachten vom 09.05.2017 hat dieser ausgeführt, aufgrund der ausgedehnten Lebermetastasierung habe beim Versicherten keine kurative Behandlungsoption bestanden. Die bekannten Lebermetastasen zeigten radiologisch keine Progredienz in Anzahl und Größe, der Gewichtsverlust und die Flush-Symptomatik seien jedoch Hinweise auf einen trotz medikamentöser Therapie funktionell aktiven und nicht optimal kontrollierten Tumor. Es habe verschiedene zugelassene Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Die dendritische Zelltherapie stelle hingegen kein durch international akzeptierte Leitlinien empfohlenes Behandlungsverfahren für Patienten mit metastasierten NET dar, sondern sei ein experimentelles Verfahren der tumorimmunologischen Forschung. Für die gegenständliche Tumorerkrankung lägen in der wissenschaftlichen Fachliteratur keine Veröffentlichungen mit ausreichendem Evidenzniveau vor.  Ein therapeutischer Nutzen der dendritischen Zelltherapie bei der Erkrankung des Versicherten könne durch öffentlich zugängliche, wissenschaftliche Daten mit ausreichendem Evidenzniveau nicht belegt werden. An erstattungsfähigen weiteren Behandlungsoptionen habe im Juni 2015 die Möglichkeit einer weiteren Chemotherapie, z.B. mit Capecitabine und Oxaliplatin sowie lokoablativer bzw. lokoregionaler Verfahren bestanden.

Auf Antrag des Versicherten hat das Sozialgericht gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe B (Praxisgemeinschaft für Zelltherapie, C) eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 27.06.2018 ausgeführt, dass es sich bei der Erkrankung des Versicherten um eine schwerwiegende und potentiell lebensbedrohliche Erkrankung gehandelt habe und die Lebenserwartung schon zum Zeitpunkt der Diagnosestellung deutlich reduziert gewesen sei. Leitliniengerecht sei – da ein operativer Eingriff zur Entfernung der Lebermetastasen aufgrund der hohen Tumorlast in beiden Leberlappen nicht möglich gewesen sei – eine medikamentöse Therapie mit Somatostatin-Analoga und eine Ileumsegmentresektion durchgeführt worden. Bei der angewandten Chemotherapie habe es sich um einen Therapieversuch basierend auf den Erfahrungen bei der Behandlung anderer Tumorentitäten gehandelt, die auf den vorliegenden Fall übertragen worden seien. Eine deutliche Befundänderung habe sich hiernach bis Juni 2015 nicht gezeigt, es habe sich um einen stabilen Erkrankungsverlauf gehandelt; ein Rückgang der Lebermetastasen sei nicht zu verzeichnen gewesen. Ein kurativer Behandlungsansatz habe mittels der zur Verfügung stehenden zugelassenen Therapieverfahren nicht bestanden. Eine weitere Chemotherapie wäre mit nahezu 100%-iger Sicherheit insbesondere im Hinblick auf die Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit unter weitestgehender Beibehaltung der Lebensqualität wenig wirksam gewesen. Unter Berücksichtigung der Publikationen, die den Einsatz dendritischer Zellen im Menschen beträfen, sei bereits im Jahr 2015 durch hunderte von Publikationen die potentielle Wirksamkeit der Immuntherapie mit dendritischen Zellen bei der Behandlung bösartiger solider Tumore unterschiedlicher Herkunft eindeutig belegt gewesen. Mittlerweile seien mehrere tausend Patienten mit verschiedenartigen, auch neuroendokrinen Tumoren behandelt worden. Dabei habe es sich hauptsächlich um Phase I/II Studien sowie Kasuistiken gehandelt. Den Gutachten des SMD und des V hinsichtlich der Immuntherapie mit dendritischen Zellen stimme er nicht zu.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20.02.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V stehe bereits entgegen, dass sich der Versicherte die Leistung am 11.06.2015 und damit vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten beschafft habe. Es habe sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt, so dass ein Abwarten der Entscheidung zumutbar gewesen sei. Darüber hinaus habe kein Sachleistungsanspruch auf die begehrte dendritische Zelltherapie bestanden. Auch die Voraussetzung des § 2 Abs. 1a SGB V seien vorliegend nicht erfüllt gewesen, da dem Versicherten nach dem Gutachten des V vertragliche Behandlungsmethoden zur Verfügung gestanden hätten. Dem Gutachten des B sei nicht zu folgen. Selbst wenn dessen Auffassung zuträfe, dass eine weitere Chemotherapie de facto nicht möglich gewesen wäre, hätten dem Versicherten die von ihm als Dauertherapie durchgeführte medikamentöse Behandlung sowie lokoablative Verfahren als Standardtherapien zur Verfügung gestanden.

Gegen das ihm am 22.03.2019 zugestellte Urteil ist vom Versicherten am 16.04.2019 Berufung eingelegt worden. Entgegen der Feststellungen des Sozialgerichts habe es keine Behandlungsalternativen im Sinne der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bzw. des § 2 Abs. 1a SGB V gegeben. Die Einschätzungen des V, auf die sich das Sozialgericht gestützt habe, seien stellenweise falsch bzw. ergänzungsbedürftig. Soweit dieser weitere Chemotherapien als Behandlungsoptionen benenne, verkenne das Gericht, dass nach den Ausführungen des B von einer „Chemoresistenz“ ausgegangen werden müsse. Daneben werde auf ebenfalls nicht zugelassene Behandlungsalternativen verwiesen, für die es an einer Empfehlung des GBA fehle. Gerade im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die – wie hier – keine kurative Therapiemöglichkeit zur Verfügung stehe, sei für die Beurteilung einer positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf die Vornahme einer Risiko-Nutzen-Analyse erforderlich. Die Behandlung mit dendritischen Zellen habe eine hinreichende Aussicht auf eine zumindest spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf des Versicherten, vielleicht sogar einen potentiell kurativen Ansatz geboten.

Nachdem der Versicherte am 00.05.2021 verstorben ist, führt die Klägerin das Verfahren als dessen Rechtsnachfolgerin fort.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.02.2019 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2015 zu verurteilen, ihr 6.681,34 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) statthafte Klage abgewiesen. Die als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes, mit dem sie in einem Haushalt gelebt hat (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I), aktivlegitimierte Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten vom 30.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2015 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der dendritischen Zelltherapie in Höhe von 6.681,34 € steht ihr nicht zu.

Ein Kostenerstattungsanspruch nach dem hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V besteht nicht. Nach dieser Vorschrift sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese notwendig war, von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt.) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (2. Alt.).

Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die streitige Behandlung nicht unaufschiebbar war (1. Alt.) und der Versicherte sich die begehrte Leistung (spätestens) am 11.06.2015 und damit bereits vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten (Bescheid vom 30.07.2015) beschafft hat, sodass die Kosten nicht durch diese verursacht worden sind (2. Alt.).

Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs mehr besteht und daher die Entscheidung der Krankenkasse nicht abgewartet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 30/15 R –, Rn. 16, SozR 4-2500 § 13 Nr. 34). Eine besondere Dringlichkeit im Falle des zweifelsohne schwer kranken Versicherten lag ausweislich der Unterlagen seiner behandelnden Ärzte nicht vor. So geht aus Arztberichten vom September 2014, Dezember 2014, März 2015 sowie April 2015 – und damit recht kurz vor der streitgegenständlichen Behandlung durch S – hervor, dass ein stabiler Krankheitsverlauf vorlag, der eine unverzügliche Behandlungsalternative nicht indizierte.

Aus dem Umstand, dass nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V zwischen Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung ein Ursachenzusammenhang bestehen muss, folgt die Notwendigkeit, dass die rechtswidrige Vorenthaltung der Naturalleistung durch die Beklagte wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung war (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R –, Rn. 29, SozR 4-2500 § 13 Nr. 20). § 13 Abs. 3 Satz 1  2. Alt. SGB V erfordert daher ein Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse, wobei es sich nicht um eine bloße Formalie handelt (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 6/16 R –, Rn. 17, SozR 4-2500 § 33 Nr. 51). Daran fehlt es hier, weil die Beschaffung der streitigen Leistung vor der Entscheidung der Beklagten erfolgt ist. Der „Auftrag zur Herstellung dendritischer Zellen und Einwilligungserklärung“ wurde am 11.06.2015 unterzeichnet. Ausweislich der Rechnung des S vom gleichen Tag sollen sowohl die Herstellung/Laborkosten als auch die Injektion (erst) an diesem Tag erfolgt sein. Selbst wenn man diese Angabe für zutreffend hält, was der Senat anhand der für die Blutentnahme, das anschließende Anzüchten der dendritischen Zellen und deren Injektion benötigten Zeit bezweifelt, hat der Versicherte sich die Leistung damit bereits 6 Tage nach Antragstellung und deutlich vor der Ablehnungsentscheidung der Beklagten beschafft.

Darüber hinaus scheitert ein Kostenerstattungsanspruch am  Fehlen des erforderlichen Primärleistungsanspruchs. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG reicht der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007 – B 1 KR 25/06 R –,  Rn. 10, SozR 4-2500 § 116b Nr. 1). Er setzt – dies gilt  für  beide Tatbestände des § 13 Abs. 3  Satz 1 SGB V – voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 07.05.2013 – B 1 KR 8/12 R  – , Rn. 8, SozR 4-2500 § 27a Nr. 14; Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 17/16 R –, juris).

Einem Sachleistungsanspruch (§§ 2, 12, 27, SGB V) steht vorliegend entgegen, dass es sich bei der Therapie mit dendritischen Zellen um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V handelt (vgl. Urteile des Senats vom 26.04.2018 – L 16 KR 115/14 – und 24.09.2015 – L 16 KR 193/13), weil sie auf der Überlegung beruht, dass zur Erkennung von Fremdkörpern (Antigenen) sogenannte antigenpräsentierende Zellen benötigt werden. Diese antigenpräsentierenden Zellen sollen das Immunsystem auf den Eindringling aufmerksam machen und andere Immunzellen aktivieren, ihn mit unterschiedlichen Mitteln zu bekämpfen. Damit zeichnet sie ein neues, selbstständiges Behandlungskonzept aus, welches hinsichtlich des medizinischen Nutzens, möglicher Risiken und in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit wesentliche, bisher nicht vom GBA geprüfte Aspekte aufweist, sodass diese Behandlungsmethode dem Vorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V unterfällt  (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, a.a.O. Rn. 25). Zum Zeitpunkt der Behandlung war diese Therapie auch nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) aufgeführt, sodass sie nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zählt (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2010 – B 1 KR 10/09 R –, Rn. 21, juris).

Die sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Anforderungen sind bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann gewahrt, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Vorliegend fehlte es zum Behandlungszeitpunkt – und fehlt es auch nach wie vor – an einer positiven Empfehlung hinsichtlich der streitgegenständlichen Immuntherapie mit dendritischen Zellen.

Die Voraussetzungen eines der Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf, lagen im Falle des Versicherten nicht vor.

Vom Vorliegen eines Systemversagens, für dessen Beurteilung auf den Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung abzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, a.a.O., Rn. 57), kann nicht ausgegangen werden. Zu diesem Zeitpunkt gab es – wie auch weiterhin – keine wissenschaftlichen Erkenntnisse und keine gesicherte Datenbasis, nach denen sich die Überprüfung der Methode durch den GBA oder eine Verfahrenseinleitung durch die insoweit antragsberechtigten Institutionen hätte aufdrängen müssen. Soweit B in seinem Gutachten vom 27.06.2018 ausführt, die „potentielle“ Wirksamkeit der dendritischen Zelltherapie sei bereits 2015 durch hunderte Publikationen weltweit belegt gewesen, stellt dies keine gesicherte Datenbasis dar. So räumt der Sachverständige selbst ein, dass speziell für NET nur wenige Berichte (12-14) vorlägen, ohne dass ersichtlich ist, dass diese sich gerade auf den beim Versicherten vorliegenden Tumor, einen NET des Dünndarms, bezogen. Aus dem Gutachten des V geht hingegen hervor, dass eine Behandlung mit dendritischen Zellen im Juni 2015 nicht zu den durch internationale Leitlinien empfohlenen Behandlungsmethoden für an einem NET des Dünndarms leidende Patienten gehörte, sondern es sich um ein experimentelles Verfahren handelte. Für die streitgegenständliche Erkrankung lagen demnach in der wissenschaftlichen Fachliteratur keine Veröffentlichungen mit ausreichendem Evidenzniveau vor, die eine Anwendung außerhalb durch eine Ethikkommission genehmigter und durch das Paul-Ehrlich-Institut überwachter klinischer Studien rechtfertigten. Ein therapeutischer Nutzen der Therapie lässt sich nicht belegen.  Dementsprechend findet die dendritische Zelltherapie in der S2k-Leitlinie „Neuroendokrine Tumore“ keine Erwähnung. 

Aus dem Vorliegen eines sogenannten Seltenheitsfalles kann ein Leistungsanspruch des Versicherten ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dafür darf das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 20/10 R – Rn. 14, SozR 4-2500 § 31 Nr. 20; Urteil vom 03.07.2012 – B 1 KR 25/11 R –, Rn. 19, SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, m.w.N.), wofür bei einem NET des Dünndarms Anhaltspunkte fehlen.

Der Versicherte hatte auch unter Berücksichtigung des durch Gesetz vom 22.12.2011 (BGBl I S. 2983) mit Wirkung vom 01.01.2012 eingefügten § 2 Abs. 1a SGB V keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V). Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

Zwar litt der Versicherte unzweifelhaft – dies führen beide Sachverständige übereinstimmend aus – an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit. Die Lebenserwartung war danach deutlich verkürzt. Allerdings fehlte es an einer Alternativlosigkeit der selbstbeschafften Behandlung und es handelte sich bei der vom Versicherten durchgeführten dendritischen Zelltherapie zur Behandlung seines NET des Dünndarms zudem um ein experimentelles Verfahren.

Bei der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der „Schulmedizin“ in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2016 – B 1 KR 24/06 R –, Rn. 31, SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Es muss festgestellt werden, ob es um die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden geht, ob eine Behandlung kurative oder palliative Ziele verfolgt. Ausgehend hiervon ist die Wirksamkeit der Therapie zu ermitteln und das Vorhandensein alternativer Methoden gerade hinsichtlich des mit ihr beabsichtigten Behandlungsziels abzufragen (vgl. Senat, Urteil vom 19.02.2015 – L 16 KR 637/13). Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, kommt die Alternativbehandlung  zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden – wie hier –, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, reichen hierfür nicht (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.03.2013 – 1 BvR 2045/12 –; Beschluss vom 23.03.2007 – 1 BvR 623/07 – sämtlich unter juris; BSG, Urteil vom 08.10.2019 – B 1 KR 3/19 R –, Rn. 22, 4-2500 § 2 Nr. 14).

V hat nachvollziehbar dargelegt, dass hinsichtlich des beim Versicherten bestehenden gering differenzierten Tumors, der ausgedehnten Lebermetastasierung und der ausgeprägten Symptomatik keine kurative Behandlungsoption mehr bestand. Für die somit schulmedizinisch nur noch palliativ mögliche Behandlung des Versicherten standen ausweislich seines Gutachtens jedoch weitere wissenschaftlich anerkannte Behandlungsoptionen zur Verfügung. Eine davon, nämlich die Somatostatin-Analogatherapie, hat der Versicherte ohnehin als Dauertherapie auch während der Behandlung durch S erhalten. Weitere der vorgeschlagenen Therapieoptionen hat er im Anschluss an die Therapie bei S am Universitätsklinikum Gießen Marburg durchführen lassen. Soweit B gegen die von V als weitere Alternative aufgeführte Chemotherapie eingewandt hat, dass es nach der maßgeblichen S2k-Leitlinie „Neuroendokrine Tumore“ beim NET des Dünndarms keine etablierte Chemotherapie gebe, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. In der Leitlinie heißt es in den Empfehlungen 5.23 weiter: „Bei NET G1/G2 des Dünndarms soll eine Chemotherapie erst nach jeweils Therapieversagen der gut evaluierten systemischen Therapieansätze mit Biotherapie (Somatostatin-Analoga, Interferon-Alpha), Radiorezeptortherapie und Everolimus in Erwägung gezogen werden.“. Die Kontraindikation einer weiteren Chemotherapie lässt sich dem gerade nicht entnehmen.

Unabhängig davon, dass damit im Juni 2015 für den Versicherten zumutbare Therapiemöglichkeiten bestanden, die er teilweise auch wahrgenommen hat, fehlte es hinsichtlich der in der Praxis des S durchgeführten dendritischen Zelltherapie zudem – was sich aus dem Sachverständigengutachten des V ergibt – an einer auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Ausführungen des B, der selbst lediglich von einer potentiellen Wirksamkeit der Therapie ausgeht und einräumt, dass es sehr wenige Berichte zur Behandlung von Patienten mit NET gebe. Soweit er auf in der Literatur im Zusammenhang mit der Immuntherapie beschriebene Partialremissionen und Komplettremissionen hinweist, ergeben sich daraus keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Kausalität der durchgeführten Therapie für diese Remissionen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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