L 18 AL 25/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AL 112/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 25/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. März 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die 1978 geborene vietnamesische Klägerin hat mit ihrem Ehemann, der als Änderungsschneider selbstständig tätig ist, drei – in den Jahren 2004, 2011 und 2012 – geborene Kinder. Sie stand vom 13. Januar 2015 bis 12. Januar 2017 in einem Beschäftigungsverhältnis als Zimmermädchen im Hotel G  B. Die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit betrug zunächst 30 Stunden pro Woche und erhöhte sich ab 1. Juli 2015 auf 40 Stunden pro Woche.

 

Am 3. November 2016 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitsuchend und gab als gewünschte Arbeitszeit „Teilzeit 20 Stunden pro Woche“ an. Am 12. Januar 2017 meldete sie sich mit Wirkung vom 14. Januar 2017 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte mit dem von ihr unter dem 17. Januar 2017 unterschriebenen Antrag die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg). Im Antragsformular gab sie unter Ziffer 2e eine zeitliche Einschränkung wegen Kinderbetreuung an und vermerkte unter Ziffer 2g als mögliche Arbeitszeit höchstens 20 Stunden pro Woche.

 

Die Beklagte bewilligte der Klägerin unter Zuordnung zur Lohnsteuer Klasse V u.a. für die Zeit vom 1. Februar 2017 bis 18. Januar 2018 zunächst vorläufig (Bescheide vom 8. Februar 2017 und 24. Februar 2017) und sodann endgültig (Bescheid vom 28. Februar 2017) Alg in Höhe von (iHv) täglich 14,70 € nach einem Bemessungsentgelt iHv täglich 32,04 €. Der Bescheid vom 8. Februar 2017 enthielt folgenden Hinweis:

 

„Sie wollen nicht mehr die im Bemessungszeitraum angefallenen durchschnittlichen Arbeitsstunden leisten. Das Bemessungsentgelt vermindert sich daher entsprechend dem Verhältnis der Ihnen aktuell möglichen wöchentlichen Arbeitsstunden (20,00 Stunden) zu den früher geleisteten (40,00 Stunden).“

 

Im Rahmen einer Vorsprache bei der Beklagten am 27. Februar 2017 schlug die Arbeitsvermittlerin (AV) der Klägerin vor, sie künftig wegen eines erhöhten Integrationsbedarfs durch das „Team INGA“ intensiver betreuen zu lassen. Zu diesem Gespräch wurde im elektronisch geführten Vermittlungs- und Beratungsinformationssystem der Beklagten (VerBIS) u.a. Folgendes eingetragen:

 

„Frau T. stellt sich der AV in TZ 20 Wochenstunden im AZR ca. 10.00 – 15.00 Uhr (wegen 3 Kindern) als Helferin Küche im TPB 20 km zur Verfügung….Frau T. ist auch offen für andere Tätigkeiten, würde z.B auch als Kosmetikerin arbeiten wollen (Nageldesign, Wimpernstyling), eine entsprechende Quali. liegt nicht vor, aufgrund des eingeschränkten AZR u. üblichen AZ im Bereich Kosmetik Förderung in diesem Bereich nur bei konkreter Einstelloption in Aussicht gestellt….“.

 

Mit Änderungsbescheid vom 7. April 2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin endgültig Alg für 360 Tage und setzte unter Zuordnung der Klägerin zur Lohnsteuerklasse III für die Zeit vom 27. Januar 2017 bis 18. Januar 2018 nach einem Bemessungsentgelt iHv täglich 32,04 € sowie einem Leistungsentgelt iHv täglich 25,31 € Leistungsbeträge iHv 16,96 € täglich fest. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin, mit dem sie anwaltlich vertreten vortrug, sie könne die Berechnung der Beklagten nicht nachvollziehen, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2017 zurückgewiesen. Die Klägerin habe im Bemessungszeitraum vom 1. Februar 2016 bis 31. Dezember 2016 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt iHv 21.017,14 € erzielt, woraus sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt) iHv 64,08 € ergebe. Das Bemessungsentgelt vermindere sich indes nach § 151 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) auf täglich 32,04 €, weil die Klägerin ihre Arbeitsbereitschaft wegen der Betreuung ihrer Kinder auf wöchentlich 20 Stunden eingeschränkt habe. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge errechne sich ein Leistungsentgelt iHv von 25,31 €. Nach § 149 SGB III sei bei ihr ein erhöhter Leistungssatz von 67 % zu berücksichtigen, sodass das Alg täglich 16,96 € betrage.

 

Am 5. Mai 2017 sprach die Klägerin, die am 19. April 2017 in die „Rundumbetreuung“ INGA (= Interne ganzheitliche Integrationsberatung) der Beklagten übernommen worden war, bei der Beklagten zur „Standortbestimmung“ vor. Zu diesem Gespräch wurde im VerBIS von ihrer Integrationsberaterin (IB) u.a. Folgendes vermerkt:

„Auch fragt sie IB, warum sie nicht mehr AlgI erhält, da sie VZ tätig war: IB sichtet Profil und die Erklärung, nur TZ 20 h wöchentlich Arbeit zu suchen ist Ursache für das geringe AlgI. Diesen Umstand habe ihr niemand verständlich erklärt. Auf Nachfrage IB erklärt sie, wegen Kinderbetreuung/Lernen nur TZ-Tätigkeiten suchen zu können.“

 

Vom 9. Mai 2017 bis 21. Mai 2017 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Im VerBIS- Vermerk der IB vom 19. Juni 2017 heißt es zur Vorsprache an diesem Tag:

 

„Kundin legt auf Nachfrage IB dar, dass es ihr gesundheitlich besser gehe, aber die Leistungsfähigkeit noch nicht wieder hergestellt ist; hinzu kommt, dass Ehemann aktuell ebenfalls gesundh. eingeschränkt ist und in seiner selbständigen Tätigkeit pausiert/nur zeitlich begrenzt arbeitet; Kundin lernt weiterhin nachts (n.e.A. nach Mitternacht, wenn familiär keine Verpflichtungen bestehen) Deutsch und Recht für den Erwerb des Führerscheins….IB unterstützt die positive Entwicklung der Kundin in Zuversicht und Hoffnung……Deutschkenntnisse scheinen merklich verbessert; Satzverbindungen bereiten weiter große Mühe“.

 

 

Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 bewilligte das Jobcenter T der Klägerin ergänzend Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis 31. Oktober 2017. Am 7. September 2017 sprach die Klägerin bei der Beklagten erneut vor. Dem hierzu gefertigten VerBIS-Vermerk vom selben Tag ist u.a. Folgendes zu entnehmen:

„Die Integrationsberaterin hat der Kundin in einfachen und verständlichen Worten die Sachlage erläutert und konkret gefragt, ob sie die Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt in der wöchentlichen Arbeitszeit erhöhen möchte.

Die Kundin erklärte, dass sowohl die Kinderbetreuung als auch die Unterstützung des Ehemannes sehr wichtig sind.

Unter Berücksichtigung der Kinderbetreuungszeiten ist die Verfügbarkeit tgl. von 10 – 14 Uhr gegeben. Das entspricht den Grundlagen des aktuellen Arbeitslosengeld I-Bezuges.

Sie erklärt ebenfalls Bedarfe zur Sprachförderung Deutsch und damit zusammenhängend tgl. Lernzeiten. Für den FS-Erwerb lernt sie weiterhin und sobald die Deutschkenntnisse und die theoretischen Kenntnisse zum FS verbessert sind, kann sie sich dem Arbeitsmarkt auch in erhöhter Stundenzahl zur Verfügung stellen. Vorerst bleibt sie bei Verfügbarkeit von wöchentlich 20 h.“

 

Am 10. November 2017 sprach die Klägerin erneut bei der Beklagten vor und gab an, durch Belastungen in der Familie (3 Kinder, 2 davon Kita) sowie durch Lernen (Deutsch/Fahrschule) beeinträchtigt zu sein. Sie suche unbedingt einen Job, da das Zuhausesein sie zusätzlich beeinträchtige. Sie erhielt einen Vermittlungsvorschlag für eine Teilzeittätigkeit als Küchenhilfe. Bei ihrer Vorsprache am 18. Januar 2018 teilte die Klägerin mit, sie habe die theoretische Prüfung für den Führerschein bestanden und habe sich für Fahrstunden angemeldet. Hierzu merkte die IB im VerBIS-Vermerk an, mit dem Lernen für den Erwerb des Führerscheins seien die Sprachkenntnisse deutlich besser geworden. Die hohen Anforderungen/Erwartungen durch die Familie und die Sprachbarriere bei Behördenkontakten hätten die Klägerin zweitweise überdurchschnittlich belastet. Am 22. März 2018 nahm die Klägerin eine Beschäftigung im Umfang von 180 Monatsstunden bei der sog. „Sushi-Bars“ betreibenden E GmbH auf.

Mit ihrer bereits am 26. Mai 2017 erhobenen Klage hat die Klägerin vortragen lassen: Sie sei aus einer Vollzeitbeschäftigung gekommen und habe auch nach der Arbeitslosigkeit weiterhin in einer Vollzeitbeschäftigung gearbeitet. Sie sei missverstanden worden. Sie habe bei der Antragstellung lediglich bekundet, auch für eine Halbtagsbeschäftigung zur Verfügung zu stehen, was ihr nichts ausmachen würde, weil sie dann mehr Zeit für die Betreuung ihrer Kinder hätte. Entsprechendes habe sie nochmals am 5. Mai 2017 bei einem Termin bei der Beklagten bekundet. Bei diesem Termin habe die Mitarbeiterin der Beklagten ihr empfohlen, „es bei der Teilzeitjobsuche jetzt zu belassen“. Damit sei sie wegen des Lernens und der Betreuung ihrer Kinder grundsätzlich einverstanden gewesen; es sei aber falsch, wenn im Protokoll aufgenommen worden sei, sie könne nur Teilzeittätigkeiten suchen. Die Erklärung der Einschränkbarkeit der Verfügbarkeit habe sie so nie abgeben wollen. Sie werde hilfsweise wegen Erklärungsirrtums angefochten. Hätte sie sich tatsächlich generell ablehnend gegenüber einer Vollzeitbeschäftigung geäußert, dann wäre sie mit Sicherheit darüber belehrt worden, dass § 151 Abs. 5 SGB III eine entsprechende Verminderung des Bemessungsentgelts für die Zeit der Einschränkung vorsehe. Ihre Deutschkenntnisse seien begrenzt. Sie könne sich zwar ausdrücken, aber wenn sie den Inhalt nicht verstehe, lächle sie und nicke der Höflichkeit halber. Sie sei nach wie vor bereit, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. In Ludwigsfelde wohnten Hunderte Vietnamesen, die sich alle gegenseitig unterstützten. Es sei kein seltener Fall, dass Kinder anderer Familien von vietnamesischen Freunden mitbetreut würden, wenn deren Eltern arbeiten müssten.

 

Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die Beklagte mit Urteil vom 9. März 2021 unter Änderung des Änderungsbescheides vom 7. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2017 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 27. Januar 2017 bis 18. Januar 2018 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 64,08 € in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klägerin habe Anspruch auf Alg nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 64,08 €. Es sei von einer ungeminderten Arbeitsbereitschaft der Klägerin auszugehen. Die Klägerin habe nur sehr mangelhafte Deutschkenntnisse und habe in der mündlichen Verhandlung gestellte Fragen nur mit Hilfe ihrer Bevollmächtigten beantworten können. Zu einer anderen Einschätzung komme das Gericht auch nicht unter Berücksichtigung der VerBIS-Vermerke vom 3. November 2016 und 7. September 2017.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil und trägt vor: Die Klägerin habe mehrfach unmissverständlich erklärt, der Arbeitsvermittlung im Umfang von 20 Stunden wöchentlich zur Verfügung zu stehen. Sie müsse sich an den Folgen ihrer Erklärungen festhalten lassen. Ausländische Antragsteller müssten, wenn sie der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig seien, sich über den Inhalt amtlicher Schriftstücke – zu denen auch der Antrag auf Alg gehöre – mit Hilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen. Insbesondere am 5. Mai 2017 sei sie auch persönlich über die Folgen ihrer Erklärung zum Umfang der Verfügbarkeit aufgeklärt worden. Ein Widerruf beziehungsweise eine Anfechtbarkeit der Erklärung scheide aus.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. März 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt voraussichtlich,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sei verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor: Sie habe 2007 oder 2008 einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 absolviert. Sie vergleiche ihr Sprachniveau mit demjenigen eines Kindergartenkindes. Sie sei dazu in der Lage, sich im Alltag zu verständigen und die wichtigsten Dinge auch im Berufsalltag zu verstehen. Wenn es allerdings um die rechtlich bedeutenden Fragen und die Auswirkungen einer Frage des Sich-zur–Verfügung-Stellens handle, könne sie das nicht mehr erfassen. Der Mitarbeiterin der Beklagten habe sie dahingehend vertraut, dass sie schon das Richtige ankreuzen werde. Im Übrigen hätte es der Mitarbeiterin bekannt sein müssen, dass es in ihrem Kulturkreis unhöflich sei, die Aussagen einer Behördenmitarbeiterin zu hinterfragen.

 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 11. Mai 2022 Bezug genommen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

 

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

 

Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der streitgegenständliche Änderungsbescheid vom 7. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Alg als es ihr bewilligt worden war.

 

Die Klägerin kann für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 17. Januar 2017 bis zum 18. Januar 2018 Alg (dem Grunde nach) beanspruchen. Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit hat nach § 137 Abs. 1 SGB III, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

 

Diese Voraussetzungen hat die Klägerin erfüllt. Sie war im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitslos i.S.v. § 137 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 138 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB III, weil sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, sich bemühte, diese Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stand. Letzteres ist im Hinblick auf § 138 Abs. 5 SGB III zu bejahen, weil die Klägerin eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben konnte und durfte (§ 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III), Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah gemäß § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III Folge leisten konnte, bereit war, nach Nr. 3 dieser Vorschrift jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben und i.S.v. Nr. 4 der Vorschrift an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.

 

Sie hatte sich ferner entsprechend § 141 SGB III am 12. Januar 2017 mit Wirkung zum 14. Januar 2017 arbeitslos gemeldet. Außerdem hat sie die Anwartschaftszeit erfüllt, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Zimmermädchen innerhalb der vom 14. Januar 2015 bis zum 13. Januar 2017 währenden Rahmenfrist mindestens zwölf Monate, d.h. mindestens 360 Kalendertage (§ 339 Satz 2 SGB III), in einem Versicherungspflichtverhältnis stand (§ 142 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 SGB III in der vom 1. April 2012 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden, hier maßgeblichen Fassung).

 

Die Beklagte hat auch die Höhe des Alg rechtmäßig festgesetzt. Das Alg beträgt nach § 149 Nr. 1 SGB III u.a. für Arbeitslose, die – wie die Klägerin – mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

 

Bemessungsentgelt ist gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB III).

 

Zutreffend hat die Beklagte das Arbeitsentgelt iHv 21.017,14 €, das die Klägerin innerhalb des vom 13. Januar 2016 bis 12. Januar 2017 reichenden Bemessungsrahmens in den abgerechneten Zeiträumen von Februar 2016 bis Dezember 2016 erzielt hat, zugrunde gelegt und mittels Division durch die darin enthaltenen 328 Kalendertage auf der Grundlage des § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein tägliches Bemessungsentgelt von 64,08 € errechnet. Nach § 151 Abs. 5 Satz 1 SGB III ist, wenn die Arbeitslose nicht mehr bereit oder in der Lage ist, die im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Zahl von Arbeitsstunden zu leisten, das Bemessungsentgelt für die Zeit der Einschränkung entsprechend dem Verhältnis der Zahl der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden, die die Arbeitslose künftig leisten will oder kann, zu der Zahl der durchschnittlich auf die Woche entfallenden Arbeitsstunden im Bemessungszeitraum zu vermindern. Dabei trägt der Leistungsträger die objektive Beweislast für die Behauptung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Minderung des Bemessungsentgelts nach § 151 Abs. 5 SGB III gegeben sind (vgl. Brackelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 151 SGB III <Stand: 29.01.2019>, Rn.37).

 

Die Voraussetzungen für eine solche Herabbemessung des Bemessungsentgelts liegen vor. Die Klägerin hat zwar im Klageverfahren über ihren damaligen Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, sie habe bei der Antragstellung keineswegs ihre Arbeitsbereitschaft eingeschränkt, sondern lediglich bekundet, auch für eine Halbtagsbeschäftigung zur Verfügung zu stehen. Zutreffend weist die Beklagte indes darauf hin, dass sich aus den Angaben in dem von der Klägerin unterschriebenen Antrag auf Alg vom 17. Januar 2017 unmissverständlich ergibt, dass die Klägerin wegen „Kinderbetreuung“ höchstens 20 Stunden pro Woche zu arbeiten bereit war. Bei dieser Erklärung handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um eine – gegebenenfalls anfechtbare – Willenserklärung, sondern um eine Erklärung über das Vorliegen einer (subjektiven) Tatsache als Voraussetzung der Verfügbarkeit, welche es auf der Grundlage der objektiven Umstände zu objektivieren gilt (vgl. BayLSG, Urteil vom 30. September 2015 - L 10 AL 278/14 -, juris Rn. 16). Diese Erklärung im Formblattantrag vermag zwar keine Tatbestandswirkung mit der Folge entfalten, dass sie der Klägerin ohne weiteres leistungsbegrenzend entgegengehalten werden könnte, ihr ist aber zumindest eine indizielle Wirkung für das Vorliegen einer Einschränkung der Arbeitsbereitschaft beizumessen. Vorliegend lassen auch die tatsächlichen Umstände nicht den Schluss zu, dass die Klägerin entgegen ihrer Erklärung im Antrag auf Alg zu irgendeinem Zeitpunkt während ihres Alg-Bezugs – an der Herabbemessung kann nicht mehr festgehalten werden, sobald die Arbeitslose wieder bereit ist, die im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallene Zahl von Arbeitsstunden zu leisten (vgl. Gagel/Rolfs, 84. EL Dezember 2021, SGB III § 151 Rn. 39) – ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer mehr als höchstens 20 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung zu beenden. Soweit die die zuvor in einer Vollzeitbeschäftigung tätige Klägerin mit der Klageschrift vom 25. Mai 2017 unter Bezugnahme auf ihre Vorsprache am 5. Mai 2017 sich dahingehend eingelassen hat, dass sie ihre Arbeitsbereitschaft nicht auf maximal 30 Stunden pro Woche eingeschränkt habe und sie „nach wie vor bereit“ sei, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, ist der Senat überzeugt, dass es sich hierbei nur nur um eine verfahrensangepasste Darstellung des damaligen, bereits im Widerspruchsverfahren tätigen Prozessbevollmächtigten und nicht um eine Klarstellung der Klägerin im Hinblick auf eine schon immer bestehende bzw. um eine nunmehr erklärte uneingeschränkte Arbeitsbereitschaft gehandelt hatte. Dies erhellen sowohl das vorherige Verhalten der Klägerin und des Prozessbevollmächtigten wie auch die im VerBIS von der AV sowie der IB festgehaltenen Äußerungen der Klägerin anlässlich ihrer Vorsprachen bei der Beklagten bis zur Erschöpfung des Alg-Anspruchs am 18. Januar 2018.

 

Auf die Herabbemessung und den Grund dafür war die Klägerin nämlich bereits im Bescheid vom 8. Februar 2017 hingewiesen worden. Es hätte deshalb im Falle einer uneingeschränkten Arbeitsbereitschaft nahegelegen, bereits auf diesen Bescheid hin bzw. spätestens mit dem Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 7. April 2017 die Beklagte auf ein etwaiges Missverständnis hinzuweisen und damit die bei Antragstellung abgegebene Erklärung klarzustellen bzw. zu berichtigen. Stattdessen hatte sich die Klägerin, mit der ausweislich des VerBIS-Vermerks der AV vom 27. Februar 2017 an diesem Tag über den eingeschränkten AZR (= Arbeitszeitrahmen) sowie bestimmte Teilzeitbeschäftigungen (Küche, Kosmetik) gesprochen worden war, nur für eine Teilzeitbeschäftigung zur Verfügung gestellt. Etwas Anderes war auch nicht den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 7. April 2017 zu entnehmen, welcher sich darauf beschränkte, nur ganz allgemein die Nichtnachvollziehbarkeit der Berechnungsgrundlagen zu monieren. Entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten in der Klageschrift lässt sich auch dem VerBIS-Vermerk vom 5. Mai 2017 nicht entnehmen, dass die Klägerin bei der Vorsprache an diesem Tag erklärt hatte, dass sie bereit wäre, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Vielmehr hat sie auf Nachfrage der IB erklärt, dass sie wegen der Kinderbetreuung und wegen „Lernen“ – gemeint war die Fahrschule und der damit erforderliche Erwerb besserer deutscher Sprachkenntnisse (vgl. auch VerBIS-Vermerk vom 19. Juni 2017) – nur „TZ Tätigkeiten suchen“ könne. Auch aus den Vorsprachen der Klägerin bei der Beklagten am 7. September 2017 und 10. November 2017 sowie am 18. Januar 2018 ergibt sich kein anderes Bild. Am 7. September 2017 hatte sie auf Befragen der IB nochmals deutlich gemacht, dass es wegen der Kinderbetreuung und des Lernens, aber auch wegen der Unterstützung des Ehemannes vorerst bei einer Verfügbarkeit von wöchentlich 20 Stunden bleiben solle. Auch anlässlich dieser Vorsprache wies sie – was ohne weiteres nachvollziehbar erscheint – wiederum auf ihre familiären und sonstigen Belastungen hin.

 

Soweit die Klägerin - erstmals im gerichtlichen Verfahren - auf Verständnisschwierigkeiten wegen mangelhafter Deutschkenntnisse sowie ihren kulturellen Hintergrund hinweist, vermag dies ihrem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat ist zwar nach den insoweit glaubhaften Angaben der Klägerin sowie unter Berücksichtigung der zahlreichen VerBIS-Vermerke davon überzeugt, dass die Deutschkenntnisse der Klägerin im Zeitpunkt der Alg-Antragstellung und auch später gering waren und sie sich in dieser Sprache nur mit erheblichen – allerdings durch das Deutschlernen in Zusammenhang mit dem Führerscheinerwerb im Laufe der Zeit geringer werdenden – Schwierigkeiten verständigen konnte. Der Senat verkennt auch nicht, dass die kulturell bedingte Höflichkeit und der auch im Verhandlungstermin erkennbar gewordene Respekt gegenüber Amtspersonen der vietnamesischen Klägerin die Kommunikation mit der Beklagten dahingehend erschwerten, dass es auch im Rahmen der von der Beklagten angebotenen „Rundumbetreuung“ kein einfaches Unterfangen war, die „wahren“ Absichten der Klägerin zu erkennen. Der Senat nimmt es der Klägerin indes nicht ab, dass sie – wie sie es im Termin zur mündlichen Verhandlung immer wieder betont hat – bei den Gesprächen mit Mitarbeiterinnen der Beklagten anlässlich der Antragstellung und im Rahmen der Betreuung durch diese „nichts verstanden“ habe. Zur vollen Überzeugung des Gerichts steht bei der erforderlichen Gesamtbewertung der Umstände vielmehr fest, dass die Klägerin im gesamten hier streitigen Zeitraum entsprechend ihren Angaben bei Antragstellung nicht bereit war, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen. Gegen diese Annahme spricht nicht, dass die Klägerin vor und nach ihrer Arbeitslosigkeit in Vollzeit gearbeitet hat. Denn im hier streitigen Zeitraum lagen über die zu gewährleistenden Betreuung ihrer drei Kinder hinaus, deren zeitlichen Umfang die Klägerin in den diversen Vorsprachen bei der Beklagten mitteilte, weitere Belastungsfaktoren vor. Die Klägerin wollte nach ihrem Vorbringen ihren damals gesundheitlich eingeschränkten Ehemann unterstützen und war zudem mit dem Erwerb des Führerscheins beschäftigt, was wiederum verstärkte Bemühungen um eine Verbesserung der Deutschkenntnisse nach sich ziehen musste. Angesichts dieser beträchtlichen „zeitfressenden“ Anforderungen lag es für die Klägerin ohne weiteres nahe, vorübergehend die Bereitschaft zur Vermittlung in eine abhängige Beschäftigung zeitlich wie mit dem von der Klägerin unterschriebenen Antrag auf Alg dokumentiert zu beschränken. Die vorliegenden ausführlichen VerBIS-Vermerke über die zahlreichen Vorsprachen der Klägerin bei der Beklagten wie auch beim Grundsicherungsträger lassen erkennen, dass die Klägerin trotz ihrer sprachlichen Probleme und ungeachtet ihres speziellen Migrationshintergrunds zu einer durchaus komplexen Kommunikation mit Behörden und insbesondere mit ihrer IB vom Team INGA in der Lage war. Die Bedürfnisse und Bedarfe der Klägerin sind erkennbar im Rahmen der von der Beklagten angebotenen INGA-Rundumbetreuung erörtert, konkret abgefragt und schließlich auch von der Klägerin – insbesondere im Gespräch am 7. September 2017 – klar beantwortet worden. Nach diesen Vermerken spricht ferner nichts dafür, dass Mitarbeiterinnen der Beklagten für den Leistungsanspruch nachteilige Aussagen der Klägerin „in den Mund“ gelegt haben könnten. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zunächst behauptet hat, sie habe bei den Gesprächen mit den „immer netten und sehr höflichen Damen“ über den niedrigen Alg-Betrag, die Kinderbetreuung, den Führerschein und die Deutschkenntnisse „nichts“ verstanden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Behauptung ist angesichts der Gesprächsverläufe und insbesondere der dokumentierten Fragen und Antworten der Klägerin schlechthin nicht nachvollziehbar. Die Klägerin hat im Übrigen auf gerichtlichen Vorhalt in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass jedenfalls über die Kinderbetreuung gesprochen wurde und sie dabei ihre zeitlichen Vorstellungen dazu mitgeteilt hatte. Dies erhellt, dass die Klägerin entgegen ihrer stereotypen Behauptung, nichts verstanden zu haben, durchaus zu einem inhaltlichen Gespräch unter Darlegung ihrer Interessen und Wünsche in der Lage war. Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin bei Antragstellung ihre Arbeitsbereitschaft auf 20 Stunden wöchentlich beschränkt, diese Beschränkung nachfolgend aufrechterhalten und sogar mehrfach bekräftigt hat. Dass sie bei dieser Beschränkung der Arbeitsbereitschaft über die damit einhergehenden finanziellen Folgen zumindest zeitweise einer Fehlvorstellung unterlag und – aus ihrer Sicht nachvollziehbar – die Vorstellung hatte, aus ihrem mit einer Vollzeitbeschäftigung begründeten Alg-Anspruch müsse auch in jedem Fall ein Alg-Anspruch in voller Höhe resultieren, ist angesichts des klaren Wortlauts des § 151 Abs. 5 SGB III, der die Höhe des Alg-Anspruchs von der Verfügbarkeit der Arbeitslosen abhängig macht, und der insoweit auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, rechtlich nicht von Bedeutung.

 

 

 

Zur Ermittlung des Leistungsentgelts i.S.v. § 149 Nr. 1 SGB III hat die Beklagte das aufgrund der im Vergleich zur durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auf die Hälfte reduzierten Arbeitsbereitschaft von 20 Wochenstunden nach § 151 Abs. 5 SGB III herabzusetzenden Bemessungsentgelts iHv täglich 32,04 um pauschalierte Abzüge vermindert (§ 153 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Abzüge waren nach § 153 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB III eine Sozialversicherungspauschale iHv 21 % des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen auf Grund des § 51 Abs. 4 Nr. 1a Einkommensteuergesetz (EStG) bekannt gegebenen Programmablaufplan bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 lit. a bis c EStG zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt und der Solidaritätszuschlag. Damit ergab sich ein Leistungsentgelt iHv täglich 25,31 €, woraus unter Berücksichtigung des der Klägerin nach § 149 SGB III zustehenden erhöhten Leistungssatzes von 67 % ein tägliches Alg iHv 16,96 € errechnet. Berechnungsfehler der Beklagten sind insoweit weder von der Klägerin geltend gemacht noch anderweitig ersichtlich.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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