- Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II wegen des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung greift nicht nur, wenn der Betreffende in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht ist, sondern auch dann, wenn es sich um eine andere Einrichtung handelt, in der der Betreffende sich im Rahmen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehungen befindet (hier: Einrichtung zur Drogentherapie). Auf die Dauer des Aufenthalts kommt es nicht an.
- Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gebietet, dass bei einer höchstrichterlichen Klärung einer schwierigen Rechtsfrage die Entscheidung nicht nur ergangen, sondern auch veröffentlicht ist und sie zur Kenntnis genommen werden kann.
L 19 AS 330/22 B ER PKH
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 2022 wird zur Vermeidung von Wiederholungen aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen, § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
1. a. Das Vorbingen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gegen die Sachentscheidung des Sozialgerichts vermag eine andere Entscheidung als die vom Sozialgericht getroffene nicht zu rechtfertigen. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde erneut geltend macht, er befinde sich nicht länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung, ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich hier, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, weiterhin um den Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung handelt, nicht etwa um einen Krankenhausaufenthalt im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Aus diesem Grund kommt es von vornherein nicht darauf an, wie lange sich der Antragsteller in der Suchtklinik aufhalten mag. Denn der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II, nach dem Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhält, greift nicht nur, wenn der Betreffende in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht ist, sondern auch dann, wenn es sich, wie hier, um eine andere Einrichtung handelt, in der der Betreffende sich im Rahmen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehungen befindet.
Auf die Dauer einer Unterbringung kommt es nicht an. Denn die Rückausnahme von § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II (verkürzt: kein Leistungsausschluss bei Krankenhausaufenthalten von unter sechs Monaten) bezieht sich nur auf Satz 1, nicht auf den hier einschlägigen Ausschlussgrund des Satz 2 des § 7 Abs. 4 SGB II.
b. Da die Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers abzulehnen, § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Hinreichende Erfolgsaussichten sind anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für zumindest vertretbar hält (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, Rn. 7, 7a zu § 73a).
a. Stellen sich rechtlich schwierige Fragen, ist Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren, wenn sich die entscheidungserheblichen Fragen im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder durch die Auslegungshilfen bereits ergangener Rechtsprechung unschwer beantworten lassen oder diese Fragen höchstrichterlich schon geklärt sind, sie sind dann nicht "schwierig" im Sinne des Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl. Bundesverfassungsgericht, wohl zuletzt Beschluss vom 22. März 2021 – 2 BvR 353/21 –; s. a. Beschlüsse vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 1813/18 –; vom 28. August 2014 – 1 BvR 3001/11 – und vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -; jeweils Juris). Vorliegend hat das Bundessozialgericht mit seinem Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 58/20 R – die Rechtslage bereits zureichend deutlich geklärt, das Sozialgericht hat in seinem Beschluss zutreffend auf die Entscheidung hingewiesen.
b. Die Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit gebietet ferner weiter, dass die höchstrichterliche Klärung der als "schwierig" erscheinenden Rechts- oder Tatsachenfrage nicht nur ergangen, sondern auch veröffentlicht ist. Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers annimmt, vor der erwähnten Entscheidung sei die Rechtsfrage noch nicht (prozesskostenhilferechtlich) ausreichend geklärt gewesen und es komme auf die höchstrichterliche Auslegung an, ist die erforderliche „Karenzzeit“ bis zur Veröffentlichung der höchstrichterlichen Entscheidung verstrichen. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist am 5. August 2021 ergangen; bis zu dem Beschwerde- und Prozesskostenhilfeantrag vom 30. März 2022 sind fast acht Monate ins Land gegangen.
Damit war die Begründung, als der Antragsteller seinen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat, für ihn zugänglich. Denn die Entscheidungen des Bundessozialgerichts werden zeitnah auf der Homepage des Gerichts sowie zusätzlich nach kurzer Zeit auch in juristischen Datenbanken veröffentlicht. Der Antragsteller hätte darauf zurückgreifen können. Zudem ist die Entscheidung in der Fachpresse zu finden (etwa: NZS 2022, 154; Sozialrecht aktuell 2022, 30). Überdies ist die Entscheidung auch vom Sozialgericht zitiert worden, so dass der Antragsteller sie schon deshalb finden und nachvollziehen konnte, dass und wie zwischen dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung im Sinne von Satz 1 des § 7 Abs. 4 SGB II und einer Einrichtung zum Vollzug richterlicher Freiheitsentziehungen nach Satz 2 der Bestimmung abzugrenzen ist.
2. Mit der gleichen Begründung ist auch die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zurückzuweisen. Das Sozialgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt. Hinreichende Erfolgsaussichten bestanden nicht (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Rechtslage zu der in Rede stehenden Frage mag vor längerer Zeit (möglicherweise) prozesskostenhilferechtlich schwierig gewesen sein und sich nicht hinreichend deutlich aus dem Gesetz ergeben haben. Mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 5. August 2021 – B 4 AS 58/20 R –, die schon ergangen war, bevor der Antragsteller um gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht hat, war dies aber jedenfalls überholt. Aus dem höchstrichterlichen Urteil haben sich insoweit auch keine neue Zweifelsfragen ergeben; in einem solchen Fall bliebe die Sache trotz scheinbarer höchstrichterlicher Klärung weiterhin prozesskostenhilferechtlich schwierig. Dies ist hier jedoch, wie dargelegt, nicht der Fall.
Die Anfang August 2021 ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts war schließlich auch bereits verfügbar. Dies ergibt sich schon aus dem Zeitablauf. Denn der erstinstanzliche Antrag ist erst gute sieben Monate, nachdem die Entscheidung ergangen war, gestellt worden, nämlich am 15. März 2022.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 und 193 SGG bzw. auf § 73a Abs. 1 Satz SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundesozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.