S 10 SF 58/21 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 10 SF 58/21 E
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Auch bei einer Untätigkeitsklage kommt eine Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis in Betracht.
Erkennt die Behörde die Untätigkeitsklage als zulässig an und räumt den Anspruch der Klägerin ein, ohne jedoch bereits den begehrten Bescheid zu erlassen, handelt es sich um die Abgabe eines Anerkenntnisses. Nimmt die Klägerseite dieses Anerkenntnis vor Bescheiderteilung an, erledigt sich das Verfahren durch angenommenes Anerkenntnis iSd § 101 Abs. 2 SGG, wodurch die fiktive Terminsgebühr anfällt.

Auf die Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 18.11.2021 werden die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Verfahrens S 4 R 70/21 auf 437,33 Euro festgesetzt.

Die Erinnerungsgegnerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.
 
Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren S 4 R 70/21 vor dem Sozialgericht Marburg. Im Streit steht die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung im Hinblick auf die Entstehung einer (fiktiven) Terminsgebühr.

Bei dem genannten Ausgangsverfahren handelte es sich um eine Untätigkeitsklage. 
Nach Klageeingang teilte die Beklagte und jetzige Erinnerungsgegnerin mit Schriftsatz vom 11.06.2021 mit, dass sie die Untätigkeitsklage vom 11.05.2021 als zulässig anerkenne und die notwendigen außergerichtlichen Kosten auf Antrag in vollem Umfang erstatten werde (Kostenanerkenntnis dem Grunde nach). Mit Schreiben vom 14.05.2021 sei die Klägerin gebeten worden, ihr Angaben zum Hinzuverdienst ab 01.10.2019 zu machen. Eine entsprechende Antwort der Klägerin liege bisher nicht vor, so dass über den Widerspruch vom 04.05.2021 noch nicht entschieden werden könne.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin schrieb hierauf, dass das Anerkenntnis der Beklagten angenommen und die Klage für erledigt erklärt werde. Weiter teilte er mit, dass die Klägerin die angeforderten Unterlagen bereits Anfang Juni an die Beklagte versendet hätte, so dass der Entscheidung nichts mehr im Wege stehe.
Der Vorsitzende trug das Verfahren als erledigt durch angenommenes Anerkenntnis aus.

Am 27.07.2021 beantragte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin die Kostenfestsetzung in Höhe von insgesamt 437,33 Euro. Im Einzelnen machte er die folgenden Positionen (nebst Zinsen) geltend:

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG 180,00 Euro
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG 167,50 Euro
Post- u. Telekom.-Pauschale gem. Nr. 7002 VV RVG    20,00 Euro
Zwischensumme 367,50 Euro
Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG   69,83 Euro
Summe 437,33 Euro


Diese Kostenrechnung übersandte er ebenfalls der Beklagten, die jedoch eine Kostenübernahme in der beantragten Höhe ablehnte. Mit einem ausführlichen Schreiben vom 26.08.2021 wandte sie sich gegen die Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr und gegen die Ansetzung einer Terminsgebühr. Letztere sei nicht angefallen, da der Erlass des begehrten Bescheides und die Abgabe einer Erledigungserklärung nach § 88 Abs. 1 SGG nicht als angenommenes Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG zu werten sei. Zum Beleg hierfür listete sie eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen auf, die ihre Auffassung stützen würden. Ihrer Ansicht nach ergebe sich die folgende Ausgleichung:

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG 120,00 Euro
Post- u. Telekom.-Pauschale gem. Nr. 7002 VV RVG   20,00 Euro
Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG   26,60 Euro
Summe 166,60 Euro


Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erließ mit Datum 18.11.2021 den Kostenfestsetzungsbeschluss und setzte die der Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Verfahrens auf 238,00 Euro nebst Zinsen fest. Dabei wich sie von dem Kostenfestsetzungsantrag insoweit ab, als sie die Terminsgebühr absetzte. Hierzu führte sie aus, eine Terminsgebühr sei nicht zu entschädigen bzw. festzusetzen gewesen, da in Untätigkeitsklagen die Erledigung bzw. Aufhebung der Untätigkeit nicht als Anerkenntnis zu werten sei. Damit seien die Kriterien der Ziffer 3106 nicht gegeben.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.11.2021 hat die Klägerin Erinnerung eingelegt. Sie trägt vor, die Terminsgebühr sei hier aufgrund des gesonderten Anerkenntnisses angefallen. Eine Widerspruchsentscheidung sei erst nach dem Anerkenntnis ergangen. Insofern liege hier der Sonderfall vor, dass die Terminsgebühr zu berücksichtigen sei.

Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß,

den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Marburg vom 18.11.2021 dahingehend abzuändern, dass die Beklagte ihr als außergerichtliche Kosten für das Klageverfahren S 4 R 70/21 vor dem Sozialgericht Marburg insgesamt 437,33 Euro zu erstatten hat.

Die Erinnerungsgegnerin beantragt,

die Erinnerung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Urkundsbeamtin habe zu Recht eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG als nicht erstattungsfähig angesehen. Sie verweise auf ihren Schriftsatz vom 26.08.2021.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Darüber hinaus wird die beigezogene Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg (Az. S 4 R 70/21) in Bezug genommen. Beide Akten haben der Entscheidungsfindung zugrunde gelegen.


II.
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Marburg vom 18.11.2021 ist gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingegangen.

Die Erinnerung ist daneben auch begründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat zu Unrecht einen zu geringen Erstattungsbetrag festgesetzt, da vorliegend eine fiktive Terminsgebühr angefallen ist. Die angefochtene Entscheidung war daher insoweit zu Lasten der Erinnerungsgegnerin zu korrigieren und die Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG hinzuzusetzen.

Erstattungsfähig sind gemäß § 193 Abs. 2 SGG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Zu den letztgenannten zählt die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts (§ 193 Abs. 3 SGG). Diese bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Bei dem Ausgangsverfahren handelte es sich um ein Klageverfahren mit einer kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 Satz 1 SGG, so dass die Anwendung des GKG gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ausscheidet. 

Welche Arten von Gebühren anfallen, bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). Für die Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten gilt deren Teil 3. Daneben kommen noch die Allgemeinen Gebühren des Teils 1 zum Ansatz (vgl. Vorbemerkung 1). Die Maßstäbe zur Bestimmung der angemessenen Höhe einer einzelnen Gebühr lassen sich der Regelung des § 14 RVG entnehmen. 

Die zwischen den Beteiligten im vorliegenden Fall allein streitige Terminsgebühr setzt nach der Vorbemerkung 3 VV RVG grundsätzlich die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen oder außergerichtlichen Terminen voraus. Daran fehlt es hier. Gemäß Nr. 3106 VV RVG entsteht sie jedoch auch, wenn

1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nummer 1000 geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist,

2. nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann oder

3. das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Für das Klageverfahren S 4 R 70/21 kommt insofern ausschließlich die Nr. 3 in Betracht, auf die sich die Erinnerungsführerin auch stützt.
Dessen Voraussetzungen sind hier erfüllt, da das Verfahren durch ein angenommenes Anerkenntnis geendet hat. hat. Nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache. Bei dem Anerkenntnis handelt es sich dabei um das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht. Der Beklagte gibt „ohne Drehen und Wenden“ zu, dass sich das Begehren des Klägers aus dem von ihm behaupteten Tatbestand ergibt. (vgl. B. Schmidt, in: Meyer/Ladewig, u. a., SGG-Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 101 Rn. 20).
Dabei bedeutet alleine der Umstand, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine Untätigkeitsklage gehandelt hat, nicht, dass die Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis nicht in Betracht käme. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass in der Konstellation, dass die Beklagtenseite lediglich den begehrten Bescheid erlässt und die Untätigkeit damit beseitigt, kein (konkludentes) Anerkenntnis gegeben ist. Es handelt sich in einer solchen Konstellation um die Herbeiführung der Erledigung in der Hauptsache, die das Rechtsschutzbedürfnis der Klage entfallen lässt. Erklärt die Klägerseite anschließend das Verfahren für erledigt, so handelt es sich um eine übereinstimmende Erledigungserklärung, die dem angenommenen Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG nicht gleichsteht.
Diese Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, worauf der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin auch zurecht hinweist. Vorliegend hat die Beklagte nicht den Bescheid erlassen und damit das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lassen, sondern die Untätigkeitsklage als zulässig anerkannt und den Anspruch der Klägerin auf die begehrte Bescheidung sowie die Kostentragungspflicht eingeräumt. Diese Erklärung, die – mangels Mitteilung eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung – nur als uneingeschränktes Zugeständnis gewertet werden kann (vgl. insoweit auch LSG Hamburg, Urteil vom 30.09.2019, L 4 AS 249/19 Juris), erfolgte vor Erteilung des Widerspruchsbescheides. Die Hauptsache war zu diesem Zeitpunkt nicht erledigt, vielmehr hat die Beklagte mit ihrem Schreiben ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs.  2 SGG abgegeben, welches die Klägerin auch angenommen hat.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung, da die von ihr aufgeführten Entscheidungen nur den – hier nicht einschlägigen – Regelfall der Erledigung der Untätigkeitsklage durch Bescheiderteilung betreffen (vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.05.2008, L 19 B 24/08 AS und Beschluss vom 13.11.2008, L 20 B 59/08 SO, beides zitiert nach Juris; ebenso BSG, Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, in: NJW 2021, 1342).

Demzufolge ist die fiktive Terminsgebühr entstanden und die Gebühren waren wie von der Erinnerungsführerin beantragt in Höhe von 437,33 Euro festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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