Eine Beschränkung der Leistungen nach dem AsylbLG kann nicht darauf gestützt werden, dass sich ein Leistungsberechtigter, der die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen will, weigert, bei der für ihn zuständigen Botschaft eine Erklärung zu unterschreiben, er wolle freiwillig in sein Heimatland zurückkehren (sog. „Ehrenerklärung“) - Anschluss an BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302, Juris Rn. 25 ff., Fortführung Senatsurteil vom 22. Juli 2020 – L 4 AY 8/17, juris.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 2022 wie folgt geändert:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Februar 2022 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller weitere Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 154,58 Euro für März 2022 und in Höhe von 217,94 Euro monatlich für April bis einschließlich August 2022 zu zahlen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Straße, B-Stadt, für den Beschwerderechtszug bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes über höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), insbesondere noch über die Rechtmäßigkeit von Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. Abs. 3 i. V. m. § 1a Abs. 1 AsylbLG.
Der alleinstehende Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Mai 2016 in die Bundesrepublik ein und wurde am 1. September 2016 dem Antragsgegner nach § 50 Abs. 4 AsylVfG zugewiesen. Er bezog seit 2016 Leistungen nach dem AsylbLG und ist in einer Gemeinschaftsunterkunft in A-Straße, A-Stadt, untergebracht. Seinen am 19. Juli 2016 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 17. Februar 2017 (Bl. 38 Rs ff Ausländerakte des Antragsgegners – AA) ab. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main wies die hiergegen gerichtete Klage (Urteil vom 1. November 2018, Az. 3 K 1965/17.F.A (2)) als unbegründet ab (Bl. 2.24 VA). Die Abschiebung wurde angedroht. Ein Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 17. Februar 2017 lehnte das BAMF mit Bescheid vom 20. Februar 2019 ab (Bl. 149 AA), die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 25. Juni 2020, Az.: 3 K 765/19.F.A. – Bl. 184 Rs ff AA) ab. Die Abschiebung des Antragstellers wurde nach § 60a AufenthG wegen fehlender Reisedokumente für die Zeit vom 11. Februar 2019 bis 25. Februar 2019 (Bl. 143 Rs AA) ausgesetzt (Duldung), und in der Folgezeit mehrfach bis 10. Mai 2022 (Bl. 393 AA) verlängert.
Das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) teilte dem Antragsgegner unter dem 16. April 2019 (Bl. 159 AA) mit, der Antragsteller sei mehrfach aufgefordert worden, einen Passantrag auszufüllen oder Nachweise vorzulegen, dass er sich um die Ausstellung eines Nationalpasses kümmere. Weder habe er einen Passantrag ausgefüllt, noch einen Nachweis vorgelegt, dass er einen entsprechenden Antrag beim Generalkonsulat gestellt habe. Die Tatbestandsmerkmale des § 1a Abs. 3 AsylbLG seien erfüllt. Am 30. April 2020 (Bl. 176 AA) und 12. November 2020 (Bl. 200 Rs AA) teilte das RP dem Antragsgegner mit, dass sich der Sachverhalt nicht geändert habe, der Antragsteller sei zur Ausreise verpflichtet. Abschiebemaßnahmen seien wegen fehlender Reisedokumente mangels Mitwirkung des Antragstellers nicht eingeleitet worden (Bl. 176 AA). Am 7. Oktober 2020 gab der Antragsteller bei der Ausländerbehörde des Antragsgegners an, dass er des Öfteren gegen das iranische Konsulat demonstriere und deshalb dort keinen Pass beantragen könne, eine Beantragung/Vorsprache sei zu gefährlich. Die Ausländerbehörde händigte ihm den „Hinweis zur Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ (Bl. 210 AA) aus, mit dem der Antragsteller auf seine Verpflichtungen gemäß § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG hingewiesen wurde. Im Rahmen einer Verlängerung der Duldung vermerkte die Ausländerbehörde unter dem 18. Februar 2021 (Bl. 217 AA), der Antragsteller zeige weiterhin keine Bemühungen und weigere sich, beim Konsulat vorzusprechen. Der Antragsteller wurde weiterhin unter dem 18. Februar 2021, 8. Juni 2021, 10. Juni 2021, 9. September 2021 zur Vorlage eines Identitätsnachweises (z. B. Nationalpass, ID-Card, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde) aufgefordert (Bl. 218, 249 AA), unter dem 10. Juni 2021 wurde er mündlich (Bl. 250 AA) auf die Passpflicht hingewiesen und unter dem 9. Dezember 2021 zur Vorlage von Nachweisen über die Passbeschaffung beim nächsten Termin (Ablaufdatum der Duldung) aufgefordert und darauf hingewiesen, dass eine Erwerbstätigkeit nicht weiter erlaubt werde, sollte der Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen werden (Bl. 372 AA). Zu einer Belehrung über die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG verweigerte der Antragsteller die Unterschrift (Bl. 377f AA). Nach dem Vorsprachevermerk vom 1. März 2022 (Bl. 394 AA) wurde der Antragsteller aufgefordert, bis zum nächsten Termin (am 30. Mai 2022) einen Nachweis über eine Terminvereinbarung beim zuständigen Konsulat sowie über die Terminwahrnehmung über die erfolgte Passbeantragung vorzulegen, schriftlich wurde er darüber hinaus zur Vorlage eines Identitätsnachweises, eine Bescheinigung des Konsulats über die die Passbeantragung und eines Shanasnameh [iranische Personenstandsurkunde] aufgefordert (Bl. 395 f AA). Erneut verweigerte der Antragsteller am 1. März 2022 Unterschrift zu der Belehrung über die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG, sowie zu der Belehrung „Ihre Verpflichtungen gemäß § 60 b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Aufenthaltsgesetz“ (Bl. 398 ff AA).
Mit Bescheiden vom 3. Dezember 2019, 20. Mai 2020, 8. Dezember 2020 und 16. Juni 2021 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller wegen fehlender Mitwirkung bei der Aufenthaltsbeendigung gekürzte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis 31. Mai 2020, vom 1. Juni 2020 bis 30. November 2020, vom 1. Dezember 2020 bis 31. Mai 2021 und vom 1. Juni 2021 bis 30. November 2021 (Bl. 3.113, 3.115, 3.128, 3.145 VA).
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 (Bl. 3.152 VA) erhob der Antragsteller Widerspruch und beantragte die Überprüfung des Bescheids vom 20. Mai 2020 und aller weiteren bestandskräftigen Bescheide nach § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2021 (Bl. 3.154 VA) gewährte der Antragsgegner für die Zeit ab Juni 2021 bis Januar 2022 rückwirkend Leistungen nach § 2 AsylbLG.
Nach schriftlicher Anhörung vom 19. Januar 2022 (Bl. 3.162 VA) – ohne Stellungnahme des Antragstellers – gewährte der Antragsgegner mit Bescheid vom 9. Februar 2022 dem Antragsteller wegen fehlender Mitwirkung bei der Aufenthaltsbeendigung Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG in Höhe von 474,00 Euro für März 2022 und befristete die Leistungskürzung gem. § 1a AsylbLG auf den Zeitraum vom 1. März 2022 bis 31. August 2022 (Bl. 3.165 VA). Hierbei wurde der notwendige Bedarf in Höhe von 174 Euro und Kosten der Unterkunft in Höhe von 300 Euro berücksichtigt. Auf den Berechnungsbogen Bl. 32 Gerichtsakte (GA) wird verwiesen. Hiergegen legte der Antragsteller am 21. Februar 2022 Widerspruch mit der Begründung ein, dass er nur einen iranischen Pass erhalte, wenn er eine sogenannte Freiwilligkeitserklärung unterschreibe. Nach der Rechtsprechung des BSG stelle die Verweigerung der Abgabe der Freiwilligenerklärung keine Verletzung der Mitwirkung dar (Bl. 3.168 VA).
Der Antragsteller hat am 10. März 2022 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Frankfurt am Main gestellt und vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG i. V. m. SGB XII in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 begehrt. Er hat vorgetragen, er könne einen iranischen Pass nur dann beantragen, wenn er eine sogenannte Freiwilligkeitserklärung unterschreibe, also erkläre, freiwillig in den Iran zurückkehren zu wollen. Hierzu habe das BSG bereits im Urteil vom 30. Oktober 2013, B 7 AY 7/12 R entschieden, dass eine Beschränkung der Leistungen nach dem AsylbLG auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene nicht darauf gestützt werden könne, dass sich ein Leistungsberechtigter, der die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen will, weigert, bei der für ihn zuständigen Botschaft eine Erklärung zu unterschreiben, er wolle freiwillig in sein Heimatland zurückkehren. Die Abgabe einer Erklärung, freiwillig in das Herkunftsland zurückkehren zu wollen, könne nicht als Mitwirkungspflicht verlangt werden. Dem Antragsteller seien zudem Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Ein gemeinsames Wirtschaften mit den übrigen Bewohnern der Einrichtung finde tatsächlich nicht statt.
Der Antragsgegner hat die Ansicht vertreten, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen. Bei einer Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG seien nur noch die Bedarfe nach Abteilung 1 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren), Abteilung 6 (Gesundheitspflege/anteilig) und Abteilung 13 (Körperpflege) als notwendiger und notwendiger persönlicher Bedarf zu berücksichtigen. Der Antragsteller sei der Leistungssatzgruppe 2 zuzuordnen. Hieraus errechne sich der an den Antragsteller ausgezahlte Betrag in Höhe von 174,00 Euro. Nach der Rechtsprechung des BVerwG stelle die Freiwilligkeitserklärung eine zumutbare Mitwirkungshandlung dar (Hinweis auf Urteil des BVerwG vom 10. November 2009, Aktenzeichen 1 C 19/08).
Mit Beschluss vom 26. April 2022 hat das Sozialgericht den Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 10. März 2022 bis 31. August 2022 über die bewilligten Leistungen hinaus weitere 19 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag des Antragstellers abgelehnt. Dem Antragsteller seien vorläufige Leistungen nach § 1a Abs. 3 in Verbindung mit § 1a Abs.1 AsylbLG unter Zugrundlegung der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 193 Euro statt 174 Euro zuzüglich der Kosten der Unterkunft zu gewähren. Die Leistungsgewährung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG sei nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Der Antragsteller sei als Inhaber einer Duldung leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG. Die durch den Bescheid vom 9. Februar 2022 verfügte Leistungskürzung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG werde mit der mangelnden Mitwirkung bei der Identifizierung und Passbeschaffung begründet. Der Antragsteller sei am 9. Dezember 2021 durch das Amt für Sicherheit und Ordnung, Migration und Integration des Antragsgegners über die Passpflicht und die Folgen bei der fehlenden Mitwirkung belehrt worden. Zudem sei er ausweislich der Belehrung aufgefordert, der gesetzlich auferlegten Passpflicht binnen sechs Wochen nachzukommen (Bl. 2.50 R VA). Eine Unterschrift unter die Deutsch-Persische Belehrung habe der Antragsteller nach dem Aktenvermerk zwar verweigert. Es sei aber weder vorgetragen noch ersichtlich, dass er vom Umfang seiner Passbeschaffungspflicht keine Kenntnis habe.
Die Rechtsordnung mute es dem Ausländer zu, seiner Ausreisepflicht von sich aus nachzukommen. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließe die Obliegenheit für den Ausländer ein, sich auf die Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden. In diesem Rahmen sei es für einen ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich rechtlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht nur willens und bereit zu sein, sondern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine Erklärung dahin abzugeben, freiwillig in das Herkunftsland ausreisen zu wollen. Ein entgegenstehender innerer Wille des Ausländers, der die Erklärung mangels Bildung eines entsprechenden Willens als unwahr empfindet, sei aufenthaltsrechtlich regelmäßig unbeachtlich. Der Ausländer sei nicht dazu gezwungen, die „Freiwilligkeitserklärung“ als unwahre Bekundung bzw. als „Lüge“ abzugeben. Die Freiwilligkeit könne in dem Sinne erklärt werden, dass der betroffene Ausländer ausreisepflichtig sei und er dieser Pflicht nachzukommen gedenke, um der zwangsweisen Abschiebung zuvor zu kommen (Hinweis auf: BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19/08 – juris Rn. 14, 16; SächsOVG, Urteil vom 3. Juli 2014 – 3 A 28/13 – juris Rn. 21). Das BSG habe im Urteil vom 30. Oktober 2013 (Az.: B 7 AY 7/12 R) die gegenteilige Ansicht vertreten und ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Abgabe einer solchen „Ehrenerklärung“ die Intimsphäre des betroffenen Ausländers als unantastbarem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG berühre. Näher dargelegt werde diese Auffassung allerdings nicht. Nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens stehe unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG steht (Hinweis auf Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – L 8 AY 8/21 B ER –, Rn. 40, juris). Zwar sei es menschlich nachvollziehbar, dass der Antragsteller um seinen Verbleib in Deutschland zu sichern, wenig geneigt sei, eine Freiwilligkeitserklärung abzugeben. Dass diese Erklärung allerdings in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen solle, sei wiederum mit dem Prinzip der Rechtstreue nicht zu vereinbaren. Denn das Verhalten des Antragstellers sei widersprüchlich. Er verweigere die Passbeschaffung unter Hinweis auf die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung und berufe sich zum anderen darauf, dass der Tatbestand des § 1a Abs. 3 AsylbLG nicht vorläge, obwohl er die Ausstellung des Passes selbst in den Händen habe. Der Antragsteller habe das Fehlen eines Passes, Passersatzes oder Rückreisedokuments als den Grund, der seine Ausreise hindere, selbst zu vertreten, da er nicht daran mitgewirkt habe, die notwendigen Rückreisedokumente zu erlangen.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 9. Februar 2022 stehe auch nicht entgegen, dass der Antragsteller in der Zeit vom 1. Dezember 2019 bis 31. Mai 2021 bereits verminderte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG gewährt worden seien. Gemäß § 14 Abs. 2 AsylbLG sei im Anschluss die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden. Vorliegend habe der Antragsteller der im Termin am 9. Dezember 2021 beim Amt für Sicherheit und Ordnung, Migration und Integration des Antragstellers ausgesprochenen Mitwirkungsverpflichtung zur Passbeschaffung binnen 6 Wochen nicht Folge geleistet, so dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 9. Februar 2022 eine erneute Pflichtverletzung vorgelegen habe.
Es bestünden jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit hinsichtlich der Leistungshöhe, da die Leistungsgewährung nach der Regelbedarfsstufe 2 erfolge. Der Antragsgegner, der in einer Gemeinschaftseinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG i. V. m. § 53 Abs. 1 AsylG untergebracht sei, stütze sich hierzu auf §§ 2 Abs. 1 Satz 4, 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG. Die Auslegung der Norm sei in der Rechtsprechung streitig. Nach der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts sei im Einzelfall zu prüfen, ob eine „tatsächliche und nachweisbare finanzielle Beteiligung an der (gemeinsamen) Haushaltsführung“ im Sinne der Konzeption des RBEG vorliegt (d.h. ob der Leistungsberechtigte mit anderen zusammenlebe und wirtschafte (z.B. gemeinsame Einkäufe und Essenszubereitung) und hierdurch geringere Bedarfe etwa an Lebensmitteln, aber auch an Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestünden. Zweifel gingen zu Lasten des Leistungsträgers nach dem AsylbLG (Träger der objektiven Beweislast) (Hinweis auf: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. April 2021 – L 4 AY 3/21 B ER –, Rn. 51, juris). Da ein gemeinsames Wirtschaften des Antragstellers mit anderen Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft nicht ersichtlich sei und im Hinblick auf die Höhe der Leistungseinschränkung gegenüber Leistungen nach § 3 AsylbLG, übe die Kammervorsitzende das aus § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG folgende Ermessen dahingehend aus, dass der Antragsgegner vorläufig verpflichtet werde, dem Antragsteller monatliche Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 193 Euro als notwendigen Bedarf für den Zeitraum ab Antragstellung bei Gericht bis 31. August 2022 zu erbringen.
Darüber hinaus verletze der Bescheid vom 9. Februar 2022 nicht das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum des Antragstellers. Ein weitergehender Leistungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner bestehe nicht, insbesondere nicht auf Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG.
Gegen den ihm am 2. Mai 2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 12. Mai 2022 über das Sozialgericht Beschwerde eingelegt.
Er trägt vor, eine sog. „Freiwilligkeitserklärung“ nicht abgeben zu wollen, weil er nicht freiwillig in den Iran zurückkehren wolle. Die Entscheidung des Sozialgerichts stelle sich gegen die Rechtsprechung des BSG, nach der eine solche Erklärung nicht verlangt werden könne, sofern ein entsprechender Wille, freiwillig ins Heimatland zurückzukehren, nicht bestehe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 2022 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig ab Antragstellung Leistungen nach § 2 AsylbLG i. V. m. SGB XII in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, der Beschluss des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden, es sei einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich zuzumuten, eine sogenannte Freiwilligkeitserklärung abzugeben, dies ergebe sich aus der aufenthaltsrechtlichen Pflicht, das Land freiwillig zu verlassen. Das BSG habe sich mit der entgegenstehenden Auffassung des BVerwG nicht auseinandergesetzt, es bleibe daher offen, weshalb durch die Abgabe einer „Ehrenerklärung“ die Intimsphäre betroffen sei und ob gegebenenfalls Argumente für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung spreche. Es sei anzunehmen, dass der unantastbare Kernbereich der Persönlichkeit durch die Abgabe einer solchen Erklärung jedenfalls so lange nicht betroffen sei, wie dem Ausländer nicht über die Pflicht hinaus, sich rechtstreu zu verhalten, die Bildung eines entsprechenden inneren Willens im Sinne eines Heimreisewunsches abverlangt werde. Nach § 48 Abs. 3 AufenthG bestehe die Verpflichtung, im Rahmen der Beschaffung der Heimreisedokumente die von der Vertretung des Heimatlandes geforderten und mit deutschem Recht in Einklang stehenden Erklärungen abzugeben, es handele sich um eine Obliegenheit, die aus der Ausreisepflicht selbst folge.
II.
Die form- und fristgereicht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist statthaft. Der Wert der Beschwer übersteigt die Grenze des § 172 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Streitgegenständlich ist Anspruchseinschränkung für den Zeitraum 10. März 2022 bis 31. August 2022, die sich – nachdem nur der Antragsteller Beschwerde eingelegt hat – auf den Unterschiedsbetrag zwischen der begehrten Leistung nach § 2 AsylbLG i. V. m. SGB XII in Höhe des sich nach Regelbedarfsstufe 1 ergebenden Regelbedarfs von 449 Euro monatlich und dem durch die erstinstanzliche Entscheidung um 19 Euro erhöhten Betrag von 174 Euro monatlich, den der Antragsteller dem Beklagten mit Bescheid vom 9. Februar 2022 bewilligt hat, beläuft, mithin auf 256 Euro monatlich. Ausgehend vom streitgegenständlichen Zeitraum beläuft sich der Wert des Beschwerdegegenstandes danach auf 1.461,68 Euro (256 Euro monatlich für den Zeitraum April bis August 2022 und 181,68 Euro anteilige Leistungen für die Zeit vom 10. bis 31. März 2022) und übersteigt mithin 750 Euro.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Antrag des Antragstellers ist nach sachgerechter Auslegung zulässig. Der Antrag hätte vom Sozialgericht als Kombination eines Antrages nach § 86b Abs. 1 und § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgelegt werden müssen. Denn mit der Konzeption der Leistungsabsenkung (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 Asylbewerberleistungsgesetz <AsylbLG> und § 14 AsylbLG i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes vom 31. Juli 2016, BGBl I 2016, 1939) sind die Verfügungssätze der Feststellung der Pflichtverletzung und der Einschränkung des Leistungsanspruchs einerseits und der Verfügung der leistungsrechtlichen Umsetzung andererseits zu unterscheiden. Da der Widerspruch gegen die Feststellung der Einschränkung des Leistungsanspruchs keine aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG), wäre der Senat ohne Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs am Erlass einer einstweiligen Anordnung gehindert, mit der Leistungen in einer die festgestellte Einschränkung übersteigenden Höhe gewährt werden. Umgekehrt ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht hinreichend, da es in dieser Konstellation keine Leistungsbewilligung in beanspruchter Höhe gibt, die wiederaufleben könnte Statthaft ist daher allein eine Kombination beider Anträge (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 – L 4 AY 14/19 B ER –, Rn. 4, juris). Der Antrag des Antragstellers ist - trotz anwaltlicher Vertretung - aufgrund der Bezugnahme auf die Widerspruchseinlegung am 21. Februar 2022 und der insgesamt auf die Abwehr der Leistungsabsenkung und die Durchsetzung des Anspruchs auf Leistungen nach § 2 AsylbLG gerichteten Begründung einer solchen Auslegung zugänglich.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 9. Februar 2022 war nach summarischer Prüfung anzuordnen, da der Bescheid die dem Antragsteller zu gewährenden Leistungen unter das verfassungsrechtlich gebotene Niveau absenkt.
Die bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 Abs. 1 SGG gebotene Interessenabwägung muss sich auf alle öffentlichen und privaten Interessen erstrecken, die im Einzelfall von Bedeutung sind. Den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also namentlich der Rechtmäßigkeit beziehungsweise der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, kommt dabei, soweit sie sich im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung beurteilen lässt, erhebliche Bedeutung zu (vgl. zu dem im Einzelnen umstrittenen Maßstab für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung: Hessisches LSG, Beschluss vom 26. März 2007 – L 9 AS 387/07 ER – sowie Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12 ff.). So hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres zu erfolgen, wenn der Bescheid offensichtlich rechtswidrig (und die Klage zulässig) ist, während sie ausscheidet, wenn dieser offensichtlich rechtmäßig (oder die Klage offensichtlich unzulässig) ist. Insbesondere wenn die Erfolgsaussichten offen sind, hat eine umfassende Folgenabwägung stattzufinden, in deren Rahmen namentlich die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen sind, sofern sie durch die Entscheidung berührt werden. Schließlich ist die der gesetzlichen Anordnung des regelmäßigen Sofortvollzugs zu entnehmende Wertung zu beachten (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 – L 4 AY 14/19 B ER –, Rn. 8).
Diese Anforderungen sind sowohl für Anfechtungs- wie für Vornahmesachen im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 -, juris, Rn. 10 m. w. N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird.
Jedenfalls dann, wenn eine „eingehende“ oder „abschließende“ Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich ist und eine vollständige Sachverhaltsaufklärung des Gerichts mit einer Beweisaufnahme am Maßstab des Hauptsachverfahren allein deshalb nicht gelingt, weil Tatsachen, die in der Sphäre der beweisbelasteten Person liegen, mangels Mitwirkung unaufgeklärt bleiben, sind die Erfolgsaussichten nicht in der Weise „offen“, dass verfassungsrechtlich eine Folgenabwägung geboten wäre (vgl. BVerfG Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 2010 - 1 BvL 20/10 - juris, Rn. 2). Vielmehr verbleibt es bei der einfachgesetzlich vorgesehenen Prüfung am Maßstab der Erfolgsaussichten, wobei der Bedeutung von Art. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG beim Beweismaßstab Rechnung zu tragen ist.
Gemessen an diesem Maßstab ist der Widerspruch des Antragstellers in der Hauptsache mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend, denn die Leistungseinschränkung im Bescheid vom 9. Februar 2022 stellt sich als rechtwidrig dar.
Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Verwaltungsakt ist § 1a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 AsylbLG. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt.
Der Antragsteller ist Ausländer, der sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, und als Inhaber einer Duldung nach § 60a AufenthG nach § 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigt.
Die weiteren Voraussetzungen von § 1a Abs. 3 AsylbLG liegen jedoch nicht vor. Bei dem Antragsteller können zwar aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden, weil seine fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes die Vollziehung seiner bestandskräftigen Abschiebung (§ 58 AufenthG) als aufenthaltsbeendende Maßnahme i. S. des § 1a Abs. 3 AsylbLG verhindert. Eine Beschränkung der Leistungen nach dem AsylbLG kann jedoch sowohl nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R –, BSGE 114, 302, Juris Rn. 25 ff) wie auch des erkennenden Senats (Beschluss vom 18. Dezember 2013 – L 4 AY 16/13 B ER –, Rn. 9, juris; vgl. auch Senatsurteil vom 22. Juli 2020 – L 4 AY 8/17, juris) nicht darauf gestützt werden, dass sich ein Leistungsberechtigter, der die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen will, weigert, bei der für ihn zuständigen Botschaft eine Erklärung zu unterschreiben, er wolle freiwillig in sein Heimatland zurückkehren (sog. „Ehrenerklärung“).
Selbst wenn mit dem Sozialgericht und den in der mit der angegriffenen Entscheidung zitierten Rechtsprechung (Sächsisches LSG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – L 8 AY 8/21 B ER –, juris unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19/08 – juris Rn. 14, 16; SächsOVG, Urteil vom 3. Juli 2014 – 3 A 28/13 – juris Rn. 21) und Literatur (Berlit jurisPR-SozR 22/2014 Anm. 3; Cantzler in: AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 73) davon auszugehen wäre, dass die Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung zumutbar ist, wären die Erfolgsaussichten in der Hauptsache wegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) als jedenfalls offen zu beurteilen, weil in der Hauptsache die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen wäre.
Daraus folgt das Erfordernis einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers. Mit Rücksicht auf die Betroffenheit des grundrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten soziokulturellen Existenzminimums des Antragstellers, welches im Falle der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 9. Februar 2020 zu Unrecht nur in Höhe der eingeschränkten Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG zur Deckung der Bedarfe an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung und Körper- und Gesundheitspflege gewährt würde, hat das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts zurückzutreten, weil im Falle der Rechtswidrigkeit der Antragsteller für die streitgegenständliche Dauer von annähernd sechs Monaten von Leistungen zur Deckung seiner existenziellen Bedarfe, insbesondere auch an Verkehr, Kommunikation, Freizeit, Kultur und Bildung ausgeschlossen bliebe, die im Falle der Erfolgs in der Hauptsache zwar durch eine Nachzahlung der entsprechenden Geldleistungen aber im streitgegenständlichen Zeitraum nicht tatsächlich nachgeholt werden können.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anordnungsanspruch ist § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Danach ist abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Dem 1985 geborenen Antragsteller, der sich seit seiner Einreise am 1. Mai 2016 ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhält und – nachdem ihm das Abschiebehindernis wie ausgeführt nicht vorwerfbar ist – die Dauer des Aufenthalts auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, stehen daher Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII zu.
Dabei findet wegen der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG § 28 SGB XII i. V. m. mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 SGB XII auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Abs. 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird.
Wie das Sozialgericht insoweit zutreffend in dem nur durch den Antragsteller mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, sind - unter Zurückstellung von Zweifeln hinsichtlich des Überschreitens der methodischen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung im einstweiligen Rechtsschutz - § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine tatsächliche oder nachweisbare finanzielle Beteiligung an der gemeinsamen Haushaltsführung im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 im Sinne der Konzeption des RBEG gegeben ist (vgl. hierzu ausführlich Senatsbeschluss vom 13. April 2021 – L 4 AY 3/21 B ER –, juris). Diese Voraussetzungen liegen nach der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vor, auf die Gründe des Beschlusses vom 26. April 2022 nimmt der Senat insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum ist der Anspruch aus § 2 AsylbLG wie folgt zu berechnen, wobei die nachfolgende Berechnung eine Bindungswirkung nur für dieses Eilverfahren beansprucht: Auszugehen ist von Regelbedarfsstufe 1 i. H. v. 449 Euro abzüglich zumindest faktischer Sachleistungsgewährung der Abteilung 4 EVS i. H. v. 38,06 Euro, grundsätzlich abzüglich etwaiger weiterer Sachleistungsgewährungen nach § 2 Abs. 2 AsylbLG. Nach der erstinstanzlichen Mitteilung des Antragsgegners vom 4. April 2022 (Bl. 31 GA) werden beim Antragsteller die Bedarfe der Abteilung 4 EVS (Wohnen, Energie und Haushaltsinstandhaltung) vollständig als Sachleistung gedeckt. Die vollständige Deckung weiterer Bedarfe durch Sachleistungsgewährung ist weder ersichtlich noch vom Antragsgegner dargetan.
Es ergibt sich daher unter Berücksichtigung der durch Bescheid gewährten monatlichen Leistungen in Höhe von 174 Euro und erstinstanzlich zuerkannter weiterer Leistungen in Höhe von 19 Euro ein Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von 217,94 Euro (449 Euro – 38,06 Euro – 174 Euro – 19 Euro = 217,94 Euro) monatlich für die Monate April, Mai, Juni und August 2022 sowie anteilig in Höhe von 154,58 Euro für die Zeit vom 10. bis 31. März 2022.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem existenzsichernden Charakter der mit dem Bescheid vom 9. Februar 2022 vorenthaltenen Leistungen.
Die Kostengrundentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 193 SGG, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Anrechnung der faktischen Sachleistungsgewährung der Abteilung 4 EVS nicht zu einem Teilunterliegen des Antragstellers führt.
Dem bedürftigen Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, § 73a SGG i. V. m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, weil hinreichende Erfolgsaussichten gegeben sind.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.