1. Das Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung während eines Krankenhausaufenthalts erstreckt sich auch auf Arzneimittel, deren Therapieziel nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst ist, die zur umfassenden vollstationären Behandlung des Versicherten aber erforderlich sind. 2. Zum Verschulden des Vertragsarztes bei Ausstellung der Verordnung, wenn sich aus der Patientenkartei Anzeichen für eine noch andauernde stationäre Behandlung ergeben.
Die Berufung der Beigeladenen zu 2. gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 9. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 2. trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1., die diese selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.211,47 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht die Feststellung eines sonstigen Schadens aufgrund einer vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung während einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Beigeladene zu 2. ist eine ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) eines Facharztes und einer Fachärztin für Urologie, die an der vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in L. teilnahmen. Am 24. September 2013 verordnete der Arzt für den bei der klagenden Krankenkasse gesetzlich versicherten Waldemar W. (Versicherter) das Arzneimittel Zytiga 250 mg Tabletten. Die Verordnung wurde drei Tage später in einer Apotheke in M. eingelöst. Hierdurch sind der Klägerin Kosten iHv 4.221,47 Euro (netto nach Abzug von Apotheken-, Hersteller- und sonstigen Rabatten) entstanden.
Im Oktober 2014 stellte die Klägerin bei der Prüfungsstelle Niedersachsen den Antrag, einen Regress wegen eines sonstigen Schadens gegen die Beigeladene zu 2. festzusetzen. Als Begründung führte sie an, dass sich der Versicherte in der Zeit vom 3. September bis 5. Oktober 2013 im Roten-Kreuz-Krankenhaus (RKK) M. in vollstationärer Behandlung befunden habe. Durch die Verordnung sei ihr ein Schaden in Höhe der Nettoverordnungskosten entstanden, da die notwendige Arzneimittelversorgung grundsätzlich vom Krankenhaus sicherzustellen gewesen und mit der Vergütung abgegolten sei.
Auf die ihr eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme (Schreiben der Prüfungsstelle vom 13. Oktober 2014) wandte die Beigeladene zu 2. ein, dass der Versicherte ohne ihr Wissen ins Krankenhaus eingewiesen worden sei. Er habe sich am 23. September 2013 telefonisch in der Praxis gemeldet und einen Termin und ein Rezept erbeten. Hierbei habe er keine Angaben oder Andeutungen zu seinem Aufenthaltsort oder einem stationären Aufenthalt gemacht. Aufgrund einer Bewegungsbeeinträchtigung des Versicherten seien Rezepte bereits in der Vergangenheit und so auch in diesem Fall von seiner Tochter abgeholt worden. Eine persönliche Vorstellung des Versicherten bei einem der Ärzte sei nicht erforderlich gewesen, weil sein Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt gewesen sei. Ein Verschulden der BAG liege nicht vor. Der Schaden sei vielmehr allein durch das Verhalten der Klinik entstanden, weil diese in Kenntnis der Vormedikation die Versorgung des Versicherten mit Zytiga nicht fortgesetzt habe. Jedenfalls aber könnten im Hinblick auf die Packungsgröße (120 Tabletten) nicht die vollen Kosten zulasten der BAG gehen. Denn der Patient habe seit der Belieferung bis zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus für maximal neun Tage die Tabletten genommen, wobei täglich vier Tabletten hätten genommen werden müssen. Zur Unterstützung ihrer Ausführungen legte die Beigeladene zu 2. Befundunterlagen und Ausdrucke bzw Kopien ihrer Patientenkartei vor.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2015 setzte die Prüfungsstelle einen Regress iHv 4.221,47 Euro gegen die Beigeladene zu 2. fest. Durch die Verordnung sei der Klägerin ein Schaden in dieser Höhe entstanden, weil sich der Versicherte zum Zeitpunkt der Verordnung in vollstationärer Krankenhausbehandlung befunden habe und die Verordnung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung deshalb ausgeschlossen gewesen sei. Da die Verordnung nicht dem Patienten persönlich ausgestellt worden sei, könne sich der Arzt nicht auf eine fehlende Kenntnis von dem stationären Aufenthalt berufen, da nicht nach einem stationären Aufenthalt gefragt worden sei. Würden Verordnungen nicht durch den Patienten selbst erbeten, müsse der verordnende Arzt oder das ausführende Personal gezielt nach dessen Gesundheitszustand fragen. Aufgrund der allgemein bekannten Möglichkeit, dass Patienten sich insbesondere in stationärer Behandlung befinden können, wenn Verwandte oder andere beauftragte Personen eine Verordnung erbitten, sei auch nach einem stationären Aufenthalt zu fragen. Hiervon dürfe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden; solche Ausnahmen seien hier nicht ersichtlich.
Die Beigeladene zu 2. erhob am 5. Juni 2015 Widerspruch und wandte ein, dass keine ihr vorwerfbare Pflichtverletzung vorliege. Gemäß § 15 Abs 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) sei die Verordnung zulässig gewesen. Der Versicherte habe sich bei der Praxis in laufender Behandlung befunden und sich dort regelmäßig, zuletzt am 22. August 2013, vorgestellt. Dementsprechend sei sein gesundheitlicher Zustand bekannt gewesen. Es treffe auch nicht zu, dass ein Angehöriger die Verordnung erbeten hätte; das Telefonat am 23. September 2013 sei vom Versicherten selbst geführt worden. Hierbei seien weder Hinweise auf die stationäre Behandlung erfolgt noch habe sich ein Anhalt dafür ergeben, dass sich der der Praxis bekannte Gesundheitszustand des Patienten geändert hätte. Der Umstand, dass die Tochter des Versicherten die Verordnung abgeholt habe, habe keinen Anlass zur Annahme gegeben, dass sich der Versicherte in stationärer Behandlung befinden könnte. Bei älteren und in ihrer Mobilität eingeschränkten Patienten sei es eher die Regel als die Ausnahme, dass Rezepte von Angehörigen in der Praxis abgeholt werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte seien Vertragsärzte nicht verpflichtet, vor der Ausstellung einer Arzneimittelverordnung nach einer stationären Behandlung zu fragen. Die Fortführung der bereits angefangenen Therapie mit Zytiga 250 mg Tabletten sei auch medizinisch indiziert gewesen.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2017 hat der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen zu 2. stattgegeben und den Bescheid der Prüfungsstelle vom 5. Mai 2015 aufgehoben. Zwar sei die Verordnung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung während des Krankenhausaufenthalts des Versicherten eigentlich ausgeschlossen gewesen. Die Beigeladene zu 2. habe jedoch nicht gewusst, dass sich der Versicherte bei der Medikamentenbestellung in stationärer Behandlung befunden habe. Dieser sei ihr aus der laufenden Behandlung bekannt und am 22. August 2013 letztmalig in der Praxis gewesen. Positive Kenntnis von dem stationären Aufenthalt zum Verordnungszeitpunkt sei nicht nachweisbar, und eine konkrete Nachfragepflicht gegenüber der abholenden Person sei nicht ersichtlich. Damit sei ein Verschulden der Beigeladenen zu 2. zu verneinen und der festgesetzte Regress aufzuheben.
Am 7. Juni 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und dort geltend gemacht, dass der Beklagte die in der Patientenakte der Beigeladenen zu 2. zweifelsfrei dokumentierte vollstationäre Behandlung schlichtweg ignoriert habe. Bereits im Verfahren vor der Prüfungsstelle habe sie darauf hingewiesen, dass in der Karteikarte unter dem 13. September 2013 der Aufenthalt des Patienten im RKK dokumentiert sei, unter dem 23. September 2013 (mithin einen Tag vor Ausstellung der Verordnung) der Eingang eines Arztbriefes dieses Krankenhauses erwähnt werde und unter dem 1. Oktober 2013 vermerkt sei, der Patient befinde sich noch immer im Krankenhaus. Allein aus diesen Einträgen gehe hervor, dass die Ärzte positive Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt gehabt hätten. Jedenfalls aber habe alle Veranlassung bestanden, die Frage der stationären Behandlung äußerst sorgfältig zu hinterfragen. Hinzu komme, dass die Weiterverordnung des Arzneimittels Zytiga laut Fachinformation nur nach regelmäßiger Bestimmung der Serum-Transaminasen zulässig sei. Eine Verordnung „auf Zuruf“ ohne vorherige Feststellung der Laborwerte sei insoweit nicht zulässig gewesen.
Die Beigeladene zu 2. hat hierauf entgegnet, dass das erstmals im Juni 2013 verordnete Zytiga nach den dokumentierten Angaben des Patienten gut vertragen worden sei. Diese Angaben seien durch wiederholte Laborkontrollen - zuletzt vom 13. August 2013 - bestätigt worden. Am 23. September 2013 habe der Patient selbst in der Praxis angerufen und dabei auch um einen kurzfristigen Termin bei Frau N. gebeten. Dieser sei ihm zugesagt, aber noch nicht vereinbart worden. Aufgrund des angekündigten kurzfristigen Termins sei Herr O. bei Ausstellung des gewünschten Rezepts davon ausgegangen, dass der Patient aus dem Krankenhaus entlassen sei. Bei dem in ihrer elektronischen Patientenakte dokumentierten Datum „23.09.2013“ handele es sich um das im Entlassungsbericht des RKK angegebene Datum. Dieses sei jedoch offenkundig falsch, weil in diesem Arztbrief über den bis zum 5. Oktober 2013 andauernden stationären Aufenthalt des Versicherten berichtet werde. Der Brief sei ausweislich des darauf angebrachten Eingangsstempels am 8. Oktober 2013 bei dem Hausarzt P. eingegangen, der den Brief am 11. Oktober 2013 per Telefax an sie, die Beigeladene zu 2., weitergeleitet habe. Bei diesem Sachverhalt liege kein Pflichtenverstoß der Beigeladenen zu 2. vor.
Mit Urteil vom 9. Oktober 2019 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2017 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, gegenüber der Beigeladenen zu 2. einen Regress iHv 4.211,47 Euro festzusetzen. Der Bescheid des Beklagten sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Während eines stationären Aufenthalts obliege dem Krankenhaus grundsätzlich auch die Arzneimittelversorgung des Versicherten. Entsprechende Leistungen seien mit der Vergütung abgegolten, die von der Krankenkasse für den Krankenhausaufenthalt entrichtet werde. Daher führe eine während dieses Aufenthalts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt ausgestellte Verordnung - sobald sie in der Apotheke eingelöst werde - zu zusätzlichen Kosten der Krankenkasse, die nicht erforderlich geworden wären, wenn der Vertragsarzt die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Verordnung beachtet hätte. Hierdurch entstehe der betroffenen Krankenkasse ein Schaden in Höhe der von ihr zu tragenden Verordnungskosten. Dies treffe auch auf die hier ausgestellte Verordnung zu. Insoweit sei unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls auch von einem Verschulden der Beigeladenen zu 2. auszugehen. Zwar handele es sich um eine wiederkehrende Rezeptausstellung aus einer laufenden Behandlung. Zudem bestehe keine generelle Verpflichtung des Vertragsarztes, sich vor Ausstellung einer Verordnung zu vergewissern, dass der Versicherte sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer stationären Krankenhausbehandlung befindet. Vorliegend bedürfe keiner Entscheidung, ob die Beigeladene zu 2. Kenntnis vom stationären Aufenthalt des Versicherten hatte. Denn jedenfalls hätten sich aus der Patientendokumentation konkrete Anhaltspunkte für einen stationären Aufenthalt des Versicherten ergeben, sodass sich eine Nachfrage für die Beigeladene zu 2. habe aufdrängen müssen. Dabei berücksichtige die Kammer insbesondere den Umstand, dass zwischen der dokumentierten Kenntnis über das Bestehen eines Krankenhausaufenthalts und der Rezeptanforderung nur wenige Tage gelegen hätten. Einem Versicherten bei dieser Sachlage allein aufgrund einer telefonischen Rezeptanforderung verbunden mit der Vereinbarung eines zügigen Folgetermins ohne weitergehende Nachfrage eine Verordnung auszustellen, verletze die im Verkehr gebotene Sorgfaltspflicht. Auf die schuldhafte Pflichtverletzung könne auch ein konkreter Schaden der Klägerin zurückgeführt werden. Dieser sei bereits zum Zeitpunkt der Einlösung der Verordnung eingetreten. Darauf, dass das Arzneimittel nicht während des Krankenhausaufenthalts vollständig verbraucht worden sei, könne sich die Beigeladene zu 2. nicht berufen. Maßgebend sei insoweit der normative Schadensbegriff. Aus den hierzu entwickelten Grundsätzen lasse sich nicht pauschal ableiten, dass die Prüfgremien oder die Gerichte Feststellungen zum tatsächlichen Verbrauch der eingelösten Verordnungen treffen müssten. Derartige Feststellungen würden in einer Vielzahl der Fälle mit einem unverhältnismäßigen Aufwand einhergehen, der dann rein tatsächlich den Geltungsanspruch der betroffenen Normen beeinträchtigen würde. Zudem könnte bei einer solchen Betrachtung der (rechtswidrige) Verbrauch von Medikamenten aus vorangegangenen Verordnungen nicht bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 18. Oktober 2019 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 2. am 18. November 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie vertritt nunmehr die Auffassung, dass eine Versorgung des Versicherten mit dem Arzneimittel Zytiga durch das RKK zur Behandlung des metastasierten Prostatakarzinoms nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses gedeckt gewesen wäre. Neben der Erkrankung an dem Prostatakarzinom habe der Versicherte an einer Rheumaerkrankung gelitten und deshalb in der Behandlung eines Rheumatologen gestanden, der ihn wegen akuter Knochenschmerzen - und nicht aus urologischen oder uro-onkologischen Gründen - in die Klinik für Internistische Rheumatologie des RKK eingewiesen habe. Neben dieser Klinik verfüge das RKK zwar über weitere Abteilungen und Kliniken; im streitigen Zeitraum habe es dort jedoch weder eine Klinik für Urologie noch eine Klinik für Onkologie gegeben. Damit gehöre die Behandlung urologischer Tumoren weder zum Leistungsspektrum noch zum Versorgungsauftrag des RKK. Abgesehen von Notfällen sei ein Krankenhaus aber nur im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Behandlung gesetzlich versicherter Patienten berechtigt und verpflichtet; es habe dementsprechend auch nur dann einen Anspruch auf Krankenhausvergütung gegen die Krankenkasse, wenn die Behandlung vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst ist. Aus diesem Grund habe das RKK Zytiga zur Behandlung des metastasierten Prostatakarzinoms gar nicht verordnen bzw abgeben dürfen. Dem hätte auch entgegengestanden, dass die regelmäßigen Laborkontrollen im Rahmen eines nur vorübergehenden stationären Krankenhausaufenthalts naturgemäß nicht hätten erfolgen können. Im Übrigen fehle es am Verschulden der Beigeladenen zu 2.; die diesbezügliche Argumentation des SG überzeuge nicht. Insbesondere könne aus dem Eintrag des Arztbriefes unter dem 23. September 2013 nichts für eine Nachfrageverpflichtung der Beigeladenen zu 2. bei Ausstellung der Verordnung am Folgetag hergeleitet werden. Wenn die Beigeladene zu 2. am 13. September 2013 Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt des Patienten gehabt und das Rezept am 24. September 2013 ausgestellt habe, hätten dazwischen elf und nicht „nur wenige Tage“ gelegen. Sie habe daher viel eher davon ausgehen können, dass der Krankenhausaufenthalt wegen akuter Knochenschmerzen beendet war, zumal der Patient gleichzeitig um einen Behandlungstermin gebeten habe.
Die Beigeladene zu 2. beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 9. Oktober 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte stellt keinen Antrag. Er hält seinen Bescheid weiterhin für rechtmäßig.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beigeladenen zu 2. ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2017 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, gegenüber der Beigeladenen zu 2. einen Regress iHv 4.211,47 Euro festzusetzen.
A. Die allein gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses gerichtete Klage (vgl dazu Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 16/10 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 31, Rn 10 mwN) ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Bei der Entscheidung über die Feststellung eines sonstigen Schadens auf der Grundlage von § 48 BMV-Ä sind den Prüfgremien keine Beurteilungs- oder Ermessensspielräume eingeräumt. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Schadensregresses treffen sie mithin eine gebundene Entscheidung. Vor diesem Hintergrund ist (in Abgrenzung zu einer auf die Verurteilung des Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichteten <Neu->Bescheidungsklage) die Verpflichtungsklage in Form der auf eine Verurteilung des Beklagten zur Festsetzung eines Regresses in bestimmter Höhe gerichteten Vornahmeklage statthaft (zu der Abgrenzung vgl auch Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 Rn 6a).
B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 9. Mai 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Festsetzung eines Regresses gegen die Beigeladene zu 2. wegen eines sonstigen Schadens iHv 4.211,47 Euro.
I. Rechtsgrundlage für die Feststellung eines sonstigen Schadens ist § 48 Abs 1 BMV-Ä iVm § 32 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2010 (Prüfvereinbarung) vom 3. Mai 2010.
Nach § 48 Abs 1 BMV-Ä wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) festgestellt. Nach der damit korrespondierenden Regelung in § 32 Abs 1 Prüfvereinbarung haben die Prüfungsstelle oder der Beschwerdeausschuss auf Antrag einer Krankenkasse auch den sonstigen Schaden nach § 48 Abs 1 BMV-Ä bzw § 44 Arzt-Ersatzkassen-Vertrag (EKV) festzustellen.
Zur Abgrenzung von den Verordnungsregressen, für die (bereits) eine originäre Zuständigkeit der Prüfgremien nach § 106 SGB V besteht, es einer vertraglichen Kompetenzzuweisung gemäß § 48 Abs 1 BMV-Ä also nicht bedarf, und um Sinn und Zweck von § 48 Abs 1 BMV-Ä (unwirtschaftliche Verordnungsweisen mit Blick auf den hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots möglichst effektiv zu verhindern) zur Geltung zu bringen, ist die Vorschrift so zu interpretieren, dass den Prüfgremien eine Schadensfeststellungskompetenz in solchen Fallgruppen zugewiesen ist, in denen die unzulässige Verordnung von Leistungen in Rede steht und sie nicht bereits (unmittelbar) Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V ist (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 19). Unter § 48 Abs 1 BMV-Ä fallen danach Verordnungen, bei denen Fehler infrage stehen, welche die Art und Weise ihrer Ausstellung betreffen (und nicht die Verordnung selbst oder ihre inhaltliche Ausrichtung); aus welchem Rechtsgrund die Verordnung unzulässig ist, ist dabei ohne Bedeutung (BSG aaO; Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 5/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 28, Rn 25).
Ein solcher Fehler kann in Betracht kommen, wenn ein Vertragsarzt eine Verordnung für einen Patienten ausstellt, der sich zur Zeit der Verordnung in der stationären Behandlung eines Krankenhauses befindet (vgl BSG, Urteile vom 5. Mai 2010 und 29. Juni 2011 aaO).
II. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses wegen eines sonstigen Schadens liegen vor.
1. Die von der Beigeladenen zu 2. vorgenommene Verordnung von Zytiga 250 mg Tabletten während des stationären Aufenthalts des Versicherten im RKK vom 3. September 2013 bis 5. Oktober 2013 verstieß gegen das Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung und war aus diesem Grunde unzulässig.
a) Nach § 3 Abs 1 S 1 BMV-Ä umfasst die vertragsärztliche Versorgung keine Leistungen, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind oder deren Sicherstellung anderen Leistungserbringern obliegt.
Von diesem Ausschlusstatbestand wird grundsätzlich auch eine vertragsärztliche Verordnung von Arzneimitteln während eines stationären Krankenhausaufenthalts erfasst, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Denn insoweit obliegt dem Krankenhaus als anderem Leistungserbringer iSd § 3 Abs 1 S 1 BMV-Ä die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung. Soweit es zur Leistung verpflichtet ist, besteht ein grundsätzliches Verbot vertragsärztlicher Parallelbehandlung (vgl BSG, Urteil vom 12. November 2013 - B 1 KR 22/12 R, SozR 4-2500 § 69 Nr 9, Rn 17 mwN). Dies folgt aus § 39 Abs 1 S 3 SGB V (idF des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG> vom 22. Dezember 2011, BGBl I, 2983) und den Regelungen des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG).
Gemäß § 39 Abs 1 S 3 Halbs 1 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere (auch) die Versorgung mit Arzneimitteln. § 2 Abs 1 S 1 KHEntgG (idFd Gesetzes zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen <PsychEntgeltgesetz - PsychEntgG> vom 21. Juli 2012, BGBl I 1613) bestimmt, dass auch die Versorgung mit Arzneimitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind, zu den Krankenhausleistungen nach § 1 Abs 1 KHEntgG gehört. Die in diesem Sinne notwendige Arzneimittelversorgung ist mithin grundsätzlich vom Krankenhaus sicherzustellen und mit der Vergütung abgegolten, die von der Krankenkasse gemäß dem KHEntgG und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz für den Krankenhausaufenthalt entrichtet wird (vgl hierzu § 1 Abs 1 KHEntgG). Daher führt eine Verordnung, die während dieses Aufenthalts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt ausgestellt wird, sobald sie in der Apotheke eingelöst wird, zu zusätzlichen Kosten der Krankenkasse, die nicht erforderlich geworden wären, wenn der Vertragsarzt die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Verordnung beachtet hätte. Hierdurch ist der betroffenen Krankenkasse ein Schaden in Höhe der von ihr zu tragenden Verordnungskosten entstanden (vgl zu alledem BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 13 f).
b) Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hat das SG zutreffend angenommen, dass die Verordnung von Zytiga 250 mg Tabletten durch die Beigeladene zu 2. aufgrund des stationären Krankenhausaufenthalts des Versicherten ausgeschlossen war.
aa) Dabei besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit darüber, dass die Verordnung bzw die Gabe des Arzneimittels Zytiga 250 mg Tabletten für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig war. Indikation und Notwendigkeit der Versorgung des Versicherten mit dem Arzneimittel ergeben sich aus dem Vorbringen der Beigeladenen zu 2. und der hierzu vorgelegten Patientendokumentation; dies ist von der Klägerin und dem Beklagten auch nicht in Frage gestellt worden. Ausweislich des auf den 23. September 2013 datierten Arztbriefs des RKK ist die Medikation mit Abirateron (Zytiga) 250 mg während des Krankenhausaufenthalts auch fortgeführt worden.
bb) Unerheblich ist, dass die Versorgung des Versicherten mit dem Präparat der Behandlung einer solchen Erkrankung (hier: des metastasierten Prostatakarzinoms) diente, die - zumindest nach der Einschätzung des einweisenden Arztes - nicht Anlass der stationären Krankenhausbehandlung war (Aufnahmediagnose: Polymyalgia rheumatica). Denn das Krankenhaus, das einen Versicherten zu einer vollstationären Behandlung aufgenommen hat, ist zu einer umfassenden und einheitlichen Gesamtleistung verpflichtet und darf sich nicht einzelnen Leistungen - etwa aus Kostengründen - entziehen (vgl BSG, Urteil vom 12. November 2013 - B 1 KR 22/12 R, SozR 4-2500 § 69 Nr 9, Rn 16 mwN). Wenn und solange es die vollstationäre Behandlung durchführt, ist es auch zur Erbringung solcher Leistungen im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen verpflichtet, die es von vornherein nicht mit eigenen personellen und sachlichen Mitteln, sondern nur durch Dritte erbringen kann (BSG aaO).
Schon aus diesen Gründen kann der Einwand der Beigeladenen zu 2., eine Versorgung mit dem Arzneimittel Zytiga sei nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses gedeckt gewesen, von vornherein nicht greifen. Die vom Krankenhaus zu erbringende einheitliche, komplexe Gesamtleistung kann nicht in die Einzelleistungen aufgeteilt werden, aus denen sie besteht (vgl dazu Wahl in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, Stand: 2. März 2021, § 39 Rn 93 mwN). Selbst wenn in der Klinik für Internistische Rheumatologie oder einer anderen Abteilung des RKK nicht die Expertise für die (Weiter-)Behandlung auch des metastasierten Prostatakarzinoms mit Zytiga bestanden hätte, hätte dieser Umstand das Krankenhaus nicht von der Verpflichtung auch zu dieser Behandlung entbunden. Es hätte dann zB konsiliarisch die Beigeladene zu 2. oder einen anderen urologisch oder onkologisch verantwortlichen Arzt hinzuziehen und die Leistung insoweit durch einen Dritten erbringen können und sogar müssen. An der Verpflichtung des Krankenhauses zur Bereitstellung der notwendigen Arzneimittel aus eigenen Mitteln hätte dies nichts geändert.
cc) Von dem Verbot vertragsärztlicher Parallelbehandlung bei vollstationärer Krankenhausbehandlung ausgenommen ist allein die hier nicht betroffene Dialyse unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 2 S 3 KHEntgG (vgl BSG aaO, Rn 17 zur inhaltsgleichen Regelung in § 2 Abs 2 S 3 Bundespflegesatzverordnung <BPflV). Hingegen lässt sich aus § 2 Abs 2 KHEntgG keine weitere Ausnahme für solche Verordnungen herleiten, die nicht „für die Versorgung im Krankenhaus notwendig“ sind. Diese Regelung eröffnet keinen weiteren Raum für eine Parallelbehandlung, sondern trifft - abgesehen von der Dialyse - lediglich eine zeitliche Abgrenzung: Fälle, in denen sich der Verordnungsbedarf auf einen Zeitraum außerhalb der vollstationären Krankenhausbehandlung erstreckt, sind entsprechend den allgemeinen Grundsätzen vorrangig vertragsärztlich zu behandeln (vgl BSG aaO mwN <zu § 2 Abs 2 BPflV>; demgegenüber noch im Ergebnis offen gelassen von BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 14). Insoweit unterscheidet sich die voll- von der vor- und nachstationären Behandlung (BSG, Urteil vom 12. November 2013 aaO).
Dass die von Herrn O. als Mitglied der Beigeladenen zu 2. ausgestellte Verordnung auf den Verordnungsbedarf des Versicherten nach dessen Entlassung aus der stationären Krankenhausbehandlung gerichtet gewesen wäre - mit der Folge, dass die Frage der Zulässigkeit der Verordnung in einem solchen Fall anders zu beurteilen sein könnte (jeweils offen gelassen von BSG, Beschluss vom 30. September 2020 - B 6 KA 26/19 B sowie Clemens in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, Stand: 31. Oktober 2016, § 106 Rn 139) -, wird von der Beigeladenen zu 2. selbst nicht geltend gemacht, und dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Hiervon zu unterscheiden ist die - im Ergebnis zu verneinende - Frage, ob ein zumindest teilweise erst nach der Entlassung aus der stationären Behandlung erfolgter Verbrauch schadensmindernd berücksichtigt werden könnte (vgl dazu nachfolgend unter III.).
2. Es liegt auch ein Verschulden der Beigeladenen zu 2. vor.
a) Die Feststellung eines sonstigen Schadens ist, obgleich der Wortlaut des § 48 Abs 1 BMV-Ä (anders als seine Vorgängerregelung in § 38 BMV-Ä) dies nicht mehr ausdrücklich ausweist, verschuldensabhängig (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 34 mwN). Der Anspruch auf Ersatz eines sonstigen Schadens ist vom Schadenersatzanspruch nach bürgerlichem Recht abgeleitet, der - wie dem Grunde nach alle Schadenersatzansprüche - ein Verschulden voraussetzt. Etwas anderes gilt nur für solche Schadenersatzansprüche, die - wie Verordnungsregresse, soweit sie nicht lediglich die Art und Weise der Ausstellung der Verordnung betreffen - unmittelbar dem Rechtsbereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V zugeordnet sind.
b) Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beigeladenen zu 2. ist hier zu bejahen.
aa) Die Beigeladene zu 2. als ehemals in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, auch als BGB-Gesellschaft bezeichnet) organisierte BAG konnte selbst nicht schuldhaft handeln (zur Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Außengesellschaft s Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff = juris). Sie muss sich aber in entsprechender Anwendung des § 31 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein schuldhaftes Verhalten ihrer Gesellschafter (vgl BGH, Urteil vom 24. Februar 2003 - II ZR 385/99, BGHZ 154, 88 = juris) und gemäß § 14 Abs 2 BMV-Ä auch ein solches ihrer angestellten ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter (vgl insoweit im Übrigen auch § 278 S 1 BGB) zurechnen lassen.
bb) Vorliegend kann nicht zur vollen Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass die Beigeladene zu 2. (bzw deren Mitglieder oder Personal) zum insoweit maßgebenden Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung durch Herrn O. am 24. September 2013 positive Kenntnis vom stationären Krankenhausaufenthalt des Versicherten hatte.
Zwar belegt der Inhalt des Ausdrucks der elektronischen Patientenkartei der Beigeladenen zu 2., dass in der Arztpraxis die Krankenhausbehandlung des Versicherten am 13. September 2013 bekannt gewesen ist. Denn unter diesem Datum findet sich der Eintrag „z.Zt. RKK wg rheumatischer Beschwerden, dort MRSA, Tel 5599552“. Das lässt aber für sich genommen nicht den Schluss darauf zu, dass auch am 24. September 2013 noch eine der Beigeladenen zu 2. zuzurechnende positive Kenntnis von der Fortdauer der stationären Krankenhausbehandlung vorgelegen hat. Die Karteieinträge aus der Zeit zwischen dem 13. und dem 24. September 2013 erbringen diesbezüglich keine weiteren Erkenntnisse; das gilt insbesondere für den Eintrag vom 23. September 2013 mit dem Inhalt „bekommt kurzfristig Termin bei Fr. N.“. An jenem Tag hatte sich der Versicherte persönlich telefonisch in der Praxis gemeldet und nach den unwidersprochen gebliebenen, teilweise dokumentierten und im Übrigen nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen zu 2. um einen kurzfristigen Termin sowie um Ausstellung der (Folge-) Verordnung von Zytiga 250 mg gebeten, ohne auf seinen Aufenthaltsort und die noch andauernde stationäre Krankenhausbehandlung hinzuweisen. Abgesehen davon, dass der Senat keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens hat, liegen insoweit keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten mehr vor; insbesondere kann der mittlerweile verstorbene Versicherte nicht mehr als Zeuge zum Inhalt des Telefonats gehört werden.
Dem weiteren unter dem 23. September 2013 erfolgten Eintrag („Arztbrief Q. Rotes-Kreuz-Krankenhaus“) lässt sich nicht einmal für diesen Tag und erst recht nicht für den Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung am darauffolgenden Tag eine Kenntnis der Beigeladenen zu 2. von der Fortdauer der stationären Behandlung entnehmen. Denn mit der Beigeladenen zu 2. und dem Beklagten geht der Senat davon aus, dass es sich bei dem Datum nicht um den Zeitpunkt der Eintragung in die Patientenkartei, sondern um das Datum des Arztbriefes des RKK handelt. Dieses Datum ist jedoch offensichtlich unrichtig, weil in dem Brief von der stationären Behandlung in der Zeit vom 3. September bis 5. Oktober 2013 berichtet wird. Angesichts des auf dem Brief angebrachten Eingangsstempels und den Angaben in der Telefaxzeile ist insoweit die Darstellung der Beigeladenen zu 2. ohne weiteres plausibel: Danach ist der an die Praxis R. /S. adressierte Brief am 8. Oktober 2013 in der Praxis des Hausarztes P. eingegangen und von dort am 11. Oktober 2013 per Telefax übermittelt worden. Jedenfalls aber kann er aufgrund seines Inhalts nicht bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung existent und damit der Beigeladenen zu 2. auch nicht bekannt gewesen sein. Anhaltspunkte für einen weiteren Arztbrief des RKK, der bereits am 23. September 2013 in der Praxis eingegangen sein könnte, liegen nicht vor.
Schließlich gibt auch der Eintrag vom 1. Oktober 2013 nichts für eine mögliche Kenntnis von dem stationären Krankenhausaufenthalt am 24. September 2013 her. Denn dokumentiert ist dort lediglich, dass sich der Versicherte „immer noch im KH“ befand. Das belegt aber nur für den Zeitpunkt der Eintragung eine Kenntnis von der Fortdauer der Krankenhausbehandlung und lässt keine Rückschlüsse auf eine Kenntnis zum hier entscheidenden früheren Zeitpunkt der Verordnung zu.
cc) Es liegt auch keine Verletzung der in § 15 Abs 2 BMV-Ä normierten Pflichten vor, die sich nahezu inhaltsgleich in Abschnitt C § 8 Abs 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL <idFv 18. Dezember 2008/22. Januar 2009, BAnz Nr 49a, zuletzt geändert am 15. August 2013, BAnz AT 28.08.2013 B3>) finden.
Nach § 15 Abs 2 S 1 BMV-Ä dürfen Verordnungen vom Vertragsarzt nur ausgestellt werden, wenn er sich persönlich von dem Krankheitszustand des Patienten überzeugt hat oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Vorliegend hat die Beigeladene zu 2. nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass dem verordnenden Arzt der Zustand des Versicherten aus der laufenden Behandlung bekannt war; damit waren die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift erfüllt. Bestätigt wird dies durch den Inhalt der vorgelegten Behandlungsdokumentation, die eine Behandlung des Versicherten seit dem Jahr 2009, insbesondere aber regelmäßige Arzt-Patienten-Kontakte in den Wochen und Monaten vor der streitauslösenden Verordnung ausweist, und zwar zuletzt am 16. Mai, 13. Juni, 25. Juni, 18. Juli, 2. August und 22. August 2013. Dabei ist in Bezug auf die Versorgung mit dem erstmals am 25. Juni 2013 verordneten Arzneimittel Zytiga unter dem 18. Juli 2013 notiert worden, dass der Versicherte das Präparat gut vertrage. Anhaltspunkte dafür, dass sich hieran oder ansonsten an der Indikation der Arzneimittelversorgung und dem dafür maßgebenden Zustand des Versicherten in der Folgezeit etwas geändert haben könnte, haben die Klägerin oder die Prüfgremien nicht ermittelt, werden nicht geltend gemacht und sind auch von Amts wegen nicht ersichtlich.
dd) Es ist jedoch als schuldhafter Pflichtenverstoß anzusehen, dass sich Herr O. vor der Ausstellung der Verordnung am 24. September 2013 nicht danach erkundigt hat, ob sich der Versicherte weiterhin zur stationären Behandlung im RKK aufhält.
Zwar besteht mangels einer dahingehenden Rechtsgrundlage keine generelle Verpflichtung der Vertragsärzte, sich vor Ausstellung einer Arzneimittelverordnung zu vergewissern, dass der Versicherte, für den die Verordnung ausgestellt wird, sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer stationären Krankenhausbehandlung befindet (vgl BSG, Beschluss vom 28. September 2016 – B 6 KA 27/16 B, juris Rn 9). Dies schließt es jedoch nicht aus, dass Vertragsärzte im Einzelfall gehalten sein können, vor Ausstellung einer Verordnung abzuklären, ob dem ein stationärer Krankenhausaufenthalt des Versicherten entgegensteht. Dies gilt allerdings nur, sofern konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies der Fall sein könnte. Sucht der Versicherte die Praxis persönlich auf, kann der Vertragsarzt schon nach der Lebenswirklichkeit regelmäßig davon ausgehen, dass er nicht zeitgleich stationär aufgenommen wurde. Bei einem lediglich telefonischen Kontakt gilt dies zwar nicht ohne Weiteres. Aber auch wenn ein Versicherter lediglich telefonisch um Ausstellung einer Folgeverordnung für eine Dauermedikation bittet, bedarf es noch des Hinzutretens weiterer Gesichtspunkte - etwa eine vom Versicherten gegenüber dem Arzt geäußerte Absicht, sich stationär behandeln lassen zu wollen -, um eine Nachforschungspflicht des Vertragsarztes zu begründen (BSG aaO, Rn 10).
Derartige konkrete Anhaltspunkte für den stationären Krankenhausaufenthalt des Versicherten lagen zum Zeitpunkt der Verordnung am 24. September 2013 aber vor. Diese liegen zwar noch nicht allein in dem Umstand, dass der Versicherte nicht persönlich bei Herrn O. vorstellig geworden ist, nachdem er zuvor selbst in der Praxis angerufen und um das Rezept gebeten hatte. Denn nach dem schlüssigen und glaubhaften Vorbringen der Beigeladenen zu 2., dem auch die Klägerin nicht entgegengetreten ist, war der zum Zeitpunkt der Verordnung 70jährige Versicherte in seiner Mobilität stark eingeschränkt. Aus diesem Grunde hatte die Tochter des Patienten auch bereits in der Vergangenheit Verordnungen zu seinen Gunsten in der Praxis der Beigeladenen zu 2. abgeholt. Dementsprechend war der Umstand, dass auch jetzt anstelle des Versicherten dessen Tochter in der Praxis erschien, um das Rezept für ihn abzuholen, für sich allein betrachtet nicht ungewöhnlich; dieser Umstand musste den Arzt daher für sich genommen nicht zur Nachfrage nach dem stationären Aufenthalt veranlassen.
Umgekehrt konnte aus dem persönlichen Anruf des Versicherten aber nicht gefolgert werden, dass er bereits aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Der Anruf eines Versicherten aus dem Krankenhaus stellt keinen derart ungewöhnlichen Umstand dar, mit dem regelmäßig nicht zu rechnen wäre. Zudem war hier der konkrete Krankenhausaufenthalt des Versicherten bereits am 13. September 2013 in der Praxis bekannt und zum Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung ohne weiteres aus der Patientenkartei ersichtlich. Unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Alters und der schweren Erkrankung des Versicherten erscheint ein Zeitraum von elf Tagen seit Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt auch nicht zu lang, um von konkreten Anhaltspunkten für eine Fortdauer der stationären Behandlung auszugehen. Dementsprechend hätten diese Umstände Anlass zu einer gezielten Nachfrage vor Ausstellung der Verordnung geben müssen. Dabei behauptet die Beigeladene zu 2. selbst nicht, dass der Inhalt der Patientenkartei Herrn O. bei Ausstellung der Verordnung nicht bekannt gewesen wäre; im Gegenteil impliziert ihr Vorbringen, Herr O. sei bei Ausstellung der Verordnung von einer zwischenzeitlichen Entlassung des Versicherten ausgegangen (Schriftsatz vom 13. Juni 2018), eine eigene Kenntnis des Arztes von der stationären Behandlung. Überdies war eine Einsichtnahme in die Patientenkartei vor Ausstellung der Verordnung ohnehin erforderlich, jedenfalls im Hinblick auf die Prüfung des Zeitpunkts der vorangegangenen Verordnung und der zuletzt verordneten Menge zwecks Beurteilung der Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der Folgeverordnung. Ob diese Prüfung innerhalb der Praxis auf die Mitarbeiter delegiert war oder von den Ärzten persönlich vorgenommen wurde, ist dabei ohne Belang; in beiden Fällen hätte der Eintrag auffallen und zur Nachfrage nach dem stationären Aufenthalt führen müssen. Mit dem Unterlassen der Nachfrage hat die Beigeladene zu 2. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt und damit fahrlässig gehandelt.
III. Durch die Ausstellung der Verordnung ist der Klägerin auch ein Schaden entstanden, und zwar in Höhe der von ihr zu tragenden (Netto-)Verordnungskosten.
Wie vorstehend (unter B.II.1.a) bereits dargelegt tritt der Schaden der Krankenkasse in Fällen der vorliegenden Art bereits mit der Einlösung der Verordnung in der Apotheke ein. Die Apotheke war aufgrund der zwischen ihr und der Klägerin geltenden vertraglichen Regelungen verpflichtet, das vertragsärztlich verordnete Arzneimittel Zytiga zugunsten des Versicherten abzugeben, und mit der Abgabe entstand kraft Gesetzes der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Klägerin (vgl BSG, Urteil vom 12. November 2013 aaO, Rn 19 mwN). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Apotheke ein zur Retaxierung berechtigender Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen unterlaufen wäre. Demzufolge musste die Klägerin aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung von Zytiga zusätzliche Kosten aufwenden, die ihr nicht entstanden wären, wenn die Beigeladene zu 2. die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Versorgung des Versicherten mit dem Arzneimittel beachtet und die Verordnung nicht ausgestellt hätte.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Klägerin sei tatsächlich gar kein Schaden oder nur ein Schaden in Höhe eines Teils der Verordnungskosten entstanden, weil die aufgrund der Verordnung vom 24. September 2013 von der Apotheke abgegebenen Tabletten (Packungsgröße: 120 Stück) bei ordnungsgemäßer, der ärztlichen Verordnung entsprechender Einnahme von vier Tabletten täglich während der Dauer der stationären Krankenhausbehandlung tatsächlich nicht mehr vollständig verbraucht werden konnten. Tatsächlich wäre danach zwar von einer Verwendung eines Teils der Arzneimittel in einem Zeitraum auszugehen, der wiederum der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuzuordnen ist. Im Vertragsarztrecht ist aber kein Raum, einen Verstoß gegen Gebote oder Verbote, die - wie das hier verletzte Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung - nicht bloße Ordnungsvorschriften betreffen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs oder einer Vorteilsausgleichung als unbeachtlich anzusehen. Denn damit würde das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem insofern relativiert, als es auf die Beachtung der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Bestimmungen nicht ankäme. Ebenso wie im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V gilt deshalb auch in Verfahren auf Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 48 BMV-Ä der normative Schadensbegriff (vgl BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 17/12 R, SozR 4-5540 § 48 Nr 2, Rn 36 ff mwN; Urteil vom 21. Juni 1995 - 6 RKa 60/94, SozR 3-2500 § 95 Nr 5, Rn 15). Das ist angesichts der komplizierten Vertragsverhältnisse im Vertragsarztrecht auch insgesamt sachgerecht, weil das System der vertragsärztlichen Versorgung dauerhaft nur funktionieren kann, wenn die dafür maßgeblichen Normen von den Beteiligten eingehalten werden.
Vor diesem Hintergrund bestand für die Klägerin und die Prüfgremien keine Veranlassung zu Ermittlungen hinsichtlich des Zeitpunkts des Verbrauchs der von der Beigeladenen zu 2. am 24. September 2013 verordneten Arzneimittel. Vielmehr ist die Entscheidung des SG auch in der Hinsicht zu bestätigen, dass Feststellungen zum (Zeitpunkt des) tatsächlichen Verbrauch(s) der eingelösten Verordnung auch im gerichtlichen Verfahren nicht zu treffen sind.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 und 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).