L 10 R 3505/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 631/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3505/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25.09.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.


Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der im Jahr 1966 geborene Kläger absolvierte von August 1982 bis Juli 1985 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer im Fahrzeugbereich, die er mit der Gesellenprüfung abschloss. Im Anschluss hieran war er bis 1989 als Auto- und Industrielackierer versicherungspflichtig beschäftigt. Von Januar bis Juni 1992 absolvierte er eine Umschulung zum Kunststoffformgeber und war als solcher von 1993 bis 1997 versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss hieran war er als Industrielackierer und Abteilungsleiter bis zum Jahr 2004 und sodann von 2004 bis Februar 2015 als Außendienstmitarbeiter für Autolacke versicherungspflichtig beschäftigt. Der Kläger ist seit Dezember 2014 arbeitsunfähig. Nach Bezug Aussteuerung von Krankengeld bezog er ab Juli 2016 Arbeitslosengeld und zwischenzeitlich SGB II-Leistungen.

Der Kläger beantragte am 16.03.2017 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und begründete dies vor allem mit psychischen Beschwerden.

Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte veranlasste die Beklagte die Begutachtung des Klägers. Der B diagnostizierte nach Untersuchung des Klägers am 24.04.2017 eine leichtgradige depressive Episode, chronisch rezidivierende Lumboischialgien und Adipositas Grad II und gelangte zu der Einschätzung, der Kläger sei sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter wie auch für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Nachtschicht, keine schweren Tätigkeiten und keine Tätigkeiten in Zwangshaltungen) leistungsfähig. Der Arzt für M diagnostizierte nach gutachterlicher Untersuchung des Klägers am 03.07.2017 rezidivierende Lumboischialgien rechts bei Status nach Bandscheibenvorfall L4/5 im Jahr 2009, aktuell ohne wesentliche Funktionseinschränkungen oder Hinweis für ein Wurzelkompressionssyndrom, ein rezidivierendes Zervikalsyndrom mit muskulären Dysbalancen und leichter Funktionseinschränkung der HWS und ohne Hinweis für ein Wurzelkompressionssyndrom, Knick- Senk-Füße beidseits. Er gelangte zu der Einschätzung, der Kläger sei sowohl als Außendienstmitarbeiter als auch in Bezug auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine schweren Tätigkeiten, keine lang andauernden Wirbelsäulenzwangshaltungen, keine Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft) vollschichtig leistungsfähig.

Gestützt auf diese Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 25.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2018 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 01.02.2018 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der K hat mitgeteilt, beim Kläger sei eine Anpassungsstörung und ein chronischer Schmerz sowie ein Wirbelsäulensyndrom diagnostiziert worden. Der Schwerpunkt liege am ehesten auf psychiatrischem Fachgebiet. Mit Ausnahme von längeren Zwangshaltungen würden die gesundheitlichen Leiden des Klägers eine körperlich leichte Berufstätigkeit in einem Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich nicht ausschließen.

Der S hat mitgeteilt, dass die Beschwerden der Wirbelsäule eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden nicht ausschließen.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des M1 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 03.08.2018 ein chronisches Lumbalsyndrom bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L4/5 und kleineren Bandscheibenprotrusionen der Nachbarsegmente, eine Spondylose bzw. Osteochrondrose im Bereich der unteren BWS, chronisch-rezidivierende Interskapulago und Zervikalgien, ein supacromiales Impingement im Bereich der rechten Schulter, Knick-Senk-Füße beidseits und Lymphödeme an beiden Unterschenkeln diagnostiziert hat und zu der Einschätzung gelangt ist, der Kläger könne noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (kein Heben und Tragen schwerer Lasten, kein häufiges Bücken, kein Arbeiten in Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, Tätigkeiten nur im Wechselrhythmus zwischen Stehen, Gehen und Sitzen mit regelmäßigen Pausen im Abstand von ca. zwei Stunden) verrichten. Die Gesundheitsschäden im Bereich der oberen und unteren Extremitäten würden sich einschränkend auf die Mobilität und Belastbarkeit auswirken. Indes sei trotz dieser Einschränkungen die Zurücklegung von ortsüblichen Strecken bis zur Arbeitsstelle (zwei Kilometer zu Fuß, 30 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln) zumutbar. Auch könne der Kläger viermal täglich eine Gehstrecke von 500 Metern in einem zumutbaren Zeitaufwand zurücklegen.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des E, Uklinikum F, eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 29.11.2018 eine „depressive Episode mit somatischem Syndrom (schwere depressive Episode) im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung“ diagnostiziert hat und zu der Einschätzung gelangt ist, der Kläger könne Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes selbst unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen allenfalls noch drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich verrichten, „wahrscheinlich sogar nur noch weniger als drei Stunden“.

Der Kläger ist vom 11.12.2018 bis 15.01.2019 in der psychosomatischen Abteilung der MediClin B1kliniken im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unter den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Hypothyreose, chronisches LWS-Syndrom/rezidivierende Lumboischialgie rechts, Gelenkschmerz in der Schulterregion und Migräne behandelt worden. Von dort ist er mit einem Leistungsvermögen als Außendienstmitarbeiter für Lacke und Farben unter drei Stunden arbeitstäglich und für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen, ohne Nachtschicht, ohne erhöhte Stressbelastung, ohne Haltungskonstanz) mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr entlassen worden. Hierzu hat E unter dem 18.06.2019 Stellung genommen und ausgeführt, dass es tendenziell aus seiner Sicht eher bei der Einschätzung in seinem Gutachten verbleibe.

Mit Urteil vom 25.09.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage sei, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung bestimmter qualitativer Einschränkungen sechs Stunden täglich zu verrichten. Zur Begründung hat es sich auf das Gutachten des M1 sowie auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderten Tagesablauf und dessen Eindruck gestützt. Auf Grund Letzteres ist es dem Gutachten von E nicht gefolgt. Insoweit hat es dargelegt und begründet, warum die Leistungseinschätzung von E in seinem Gutachten nicht überzeugt. Der Kläger habe noch nicht alle möglichen Mittel zur Leidensminderung unternommen, insbesondere befinde er sich nicht in fachärztlicher Behandlung, auch seien konsequente Therapieoptionen nicht wahrgenommen worden, worauf selbst E hingewiesen habe. Ein ungewöhnlicher Pausenbedarf oder eine Einschränkung der relevanten Wegefähigkeit des Klägers sei nicht gegeben.

Der Kläger hat am 16.10.2019 gegen das - ihm am 04.10.2019 zugestellte - Urteil Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung auf das Gutachten von E verwiesen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25.09.2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab dem Monat der Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat von Amts wegen das Gutachten des S1 eingeholt, der nach persönlicher Exploration und Untersuchung des Klägers am 23.09.2020 eine depressive Episode, gegenwärtig remittiert und eine Dysthymie diagnostiziert hat. Er ist zu der Einschätzung gelangt, der Kläger sei in der Lage, ohne unmittelbar Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche auszuüben. Hierbei seien Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten mit häufig wechselnder Schicht, mit besonderer Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung zu vermeiden. Psychiatrischerseits lägen lediglich leichte Funktionsstörungen vor, mit denen eine Leistungserbringung möglich sei. Darüber hinaus wären diese leichteren Funktionsstörungen unter Intensivierung der ambulanten Behandlung in einem überschaubaren Zeitraum deutlich zu bessern. Die therapeutischen Maßnahmen habe der Kläger bislang nicht ausgeschöpft.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.


II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 25.07.2017 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2018, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnte. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG).

Das SG hat die Klage - jedenfalls im Ergebnis - zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihm steht daher weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, GS 2/75 u.a., zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, weil er zur Überzeugung des Senats trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, jedenfalls leichte berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung der von den gerichtlichen Sachverständigen M1 und S1 sowie der von den B und M - deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet - sowie der von den behandelnden Ärzten im Reha-Entlassungsbericht vom Januar 2019 und von den, den Kläger ambulanten behandelnden Ärzten genannten (oben im Tatbestand wiedergegebenen) qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die maßgeblichen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers betreffen das psychiatrische und orthopädische Fachgebiet.

Der Kläger leidet zur Überzeugung des Senats an einer Dysthymie und litt an einer leicht bis mittelgradigen depressiven Episode, die jedenfalls nach der stationären Reha-Maßnahme im Januar 2019 bis zur gutachterlichen Untersuchung im September 2020 remittiert war. Dies stützt der Senat auf das schlüssige Gutachten des S1, dass dieser unter Berücksichtigung der in den ärztlichen Befundberichten dokumentierten und von ihm bei der Untersuchung erhobenen Befunde erstattet hat. Bei der Begutachtung haben sich - wie S1 dargelegt hat - (nur) leichtere psychische Auffälligkeiten (Befund: bewusstseinsklar und orientiert; wirkt etwas schwunglos und erschöpft, keine Durchschlafstörungen - Angabe eines acht- bis neunstündigen Nachtschlafes -; nicht direkt antriebsarm oder gehemmt; scheint verbittert, unzufrieden und etwas bedrückt, keinesfalls tiefer deprimiert; affektives Schwingungsvermögen - je nach Thema - eingeschränkt, aber nicht aufgehoben; Gedankengang zusammenhängend, Denken ausgerichtet auf seine Lage und das Verhältnis zur Ex-Frau und geprägt von Grübelneigung; keine auffälligen Denkinhalte; keine intellektuellen Einschränkungen; ungestörte Konzentration und Aufmerksamkeit während der zweistündigen Begutachtung; erhaltene Fähigkeit zur Interaktion und Kommunikation; keine Suizidgedanken; scheinbare Rückzugstendenz, jedoch weniger aus psychiatrischen, sondern eher aus ökonomischen Gründen und Schamgefühl; tiefer gehender Leidensdruck und echte Therapie- und Veränderungsmotivation lassen sich nicht erfassen; Beschwerdeschilderung im Kern glaubhaft bei Aggravation körperlicher Störungen; Eindruck einer verstärkten narzisstischen Kränkbarkeit) gezeigt, die in erster Linie geprägt gewesen sind von einer Verbitterung nach einen Scheidungskonflikt und auch einer so vom Kläger erlebten Kränkung, der nach Entlassung aus der Reha-Klinik im Jahr 2015 aus der gemeinsamen Wohnung im Haus der Schwiegereltern ausziehen musste und der von seiner Ex-Frau bei bis heute spürbarer Verbitterung und Kränkung keinerlei Hausratsgegenstände, keine Möbel und auch nicht das ihm vom Familiengericht zugestandene Geld erhielt und der zusätzlich den Eindruck hatte, dass ihm die Ex-Frau das Auto „geklaut“ habe. Die von S1 im Ausprägungsgrad nur als leicht diagnostizierte psychische Erkrankung spiegelt sich in dem vom Kläger bei der Begutachtung geschilderten Tagesablauf (je nach Bettgehzeit Aufstehen zwischen 6.00 Uhr und 9.30 Uhr; Rückenübungen machen, am PC spielen, fernsehen, ab und zu abends eine Runde laufen gehen, zwischen 22.00 Uhr und 24.00 Uhr zu Bett gehen), der vor allem eine Tagesstruktur erkennen lässt, wieder. Soweit der Kläger gegenüber S1 bezüglich seines Tagesablaufs keine weiteren Angaben gemacht hat, lässt sich hieraus nicht schließen, dass keine weiteren Aktivitäten erfolgen, hat er doch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärt, dass er morgens nach dem Kaffeetrinken den PC anmache und im Internet liest, sich danach um den Haushalt kümmert, tagsüber spazieren und in den umliegenden Supermärkten einkaufen geht, nachmittags den Fernseher einschaltet und gern Dokumentationen und Filme ansieht, er drei Mal im Monat freitags bis sonntags Besuch von seinen drei Kindern bekommt, mit ihnen oft Gesellschaftsspiele spielt und er sie manchmal montags zur Schule fährt, er gern liest - zur Zeit einen Roman - und sich jeden Monat ein Buch für seinen eReader ausleiht.

Unter Zugrundelegung all dessen bestehen auf Grund der Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet zur Überzeugung des Senats lediglich leichtere Funktionsstörungen, die qualitative Leistungseinschränkungen (keine Akkord- und Fließbandarbeiten, kein häufiger Schichtwechsel, keine Arbeiten mit besonderer Verantwortung und besonderer geistiger Beanspruchung) für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht jedoch eine zeitliche Leistungslimitierung bedingen. Zu diesem Ergebnis ist S1 für den Senat in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar gelangt.

Hiermit übereinstimmend und unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde für den Senat überzeugend sind auch der B (Befund: Kontaktaufnahme und Rapport problemlos möglich; bewusstseinsklar; zeitlich, örtlich und zur Person orientiert; leichte depressive Grundstimmung; affektive Schwingungsfähigkeit erhalten; Antrieb, Auffassungsgabe, Konzentration und Merkfähigkeit ungestört; formaler Gedankengang geordnet, keine Hinweise auf inhaltliche Denkstörungen) und die in der Reha-Klinik im Jahr 2018/2019 behandelnden Ärzte zu der Einschätzung gelangt, dass mit der psychischen Erkrankung des Klägers keine quantitative Leistungseinschränkung, sondern lediglich qualitative Leistungseinschränkungen (namentlich keine Nachtarbeit, keine erhöhte Stressbelastung) verbunden sind. Überdies findet eine fachärztliche psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung des Klägers nicht statt, weshalb der Senat - wie S1 - auch nicht von einem ausgeprägten Leidensdruck des Klägers überzeugt ist.

Soweit die Ärzte der Reha-Klinik im Jahr 2018/2019 eine rezidivierende depressive Störung mit einer Episode mittelgradiger Ausprägung diagnostiziert haben, ist der Senat von einer mittelgradigen Ausprägung nicht überzeugt. S1 hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass im Beck-Depressions-Inventar zum Aufnahmezeitpunkt 27 Punkte und zum Entlassungszeitpunkt ein Wert von 45 Punkten und damit ein Extremwert - so S1 - erreicht worden ist, der normalerweise auf einer Depressionsaufnahmestation eines psychiatrischen Krankenhauses erwartet wird. Gleichzeitig ist aber - so S1 weiter - im Entlassungsbericht betont worden, dass der Kläger in Abweichung zu seinen Kreuzen auf dem Fragebogen stets gleich krank und depressiv gewirkt hat und damit eine erkennbare, derart gravierende Verschlechterung gerade nicht erkennbar war. S1 hat - und auch dies ist für den Senat überzeugend - dargelegt, dass damit die völlige Beliebigkeit der Kreuze in einem solchen Fragebogen ausgedrückt wird und dies vor allem auch vor dem Hintergrund des zu diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Klageverfahrens vor dem SG - mit dem Zielt einer Rentengewährung - zu sehen ist.

Soweit darüber hinaus in der Reha-Klinik auch eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert worden ist, hat S1 diese aus für den Senat nachvollziehbaren Gründen nicht bestätigt. S1 hat zutreffend dargelegt, dass Voraussetzung für eine solche Störung unter anderem ist, dass die Betroffenen häufig und wechselnd Ärzte aufsuchen, um die organische Ursache ihrer Beschwerden abklären zu lassen und vor allem auch um speziell schmerztherapeutische Behandlungen nachsuchen, was beim Kläger nicht der Fall ist. Zudem hat S1 dargelegt, dass der Kläger sich lediglich themenabhängig - immer wieder bei der Besprechung des Verhältnisses zu seiner Ex-Frau - im Stuhl etwas aufgerichtet und das Gesicht verzogen hat, als wenn er Rückenschmerzen hätte und dass eine solche klare Korrelation zu als belastend empfundenen Lebensumständen (hier die Scheidungsauseinandersetzung) nicht die Kriterien einer eigenständigen somatoformen Störung erfasst. Dies ist für den Senat überzeugend.

Im Übrigen sind Art und Anzahl der gestellten Diagnosen nicht maßgeblich. Im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung kommt es gerade nicht auf eine bestimmte Diagnosestellung oder Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Dem entsprechend kommt es auch auf die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht an (BSG, a.a.O.). Derartige schwerwiegende Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet, die Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen haben könnten, haben indes weder der Gutachter im Verwaltungsverfahren B noch der gerichtliche Sachverständige S1 sowie die Ärzte der Reha-Klinik zu objektivieren vermocht.

Soweit der gerichtliche Sachverständige E zu der Einschätzung einer zeitlichen Leistungsminderung des Klägers gelangt ist, überzeugt diese den Senat nicht. Denn der von E erhobene Befund (verlangsamte Auffassungsgabe, reduzierte Konzentrationsfähigkeit, aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit, verminderte Antriebs mit Energie- und Lustlosigkeit, psychomotorische Hemmung mit Verlangsamung, gehemmter formaler Gedankengang mit Denkverlangsamung, Suizidgedanken, Ein- und Durchschlafstörungen), der ausschließlich auf den Angaben des Klägers beruht („Bei der Begutachtung schildert der Kläger…“, S. 7 des Gutachtens) und völlig konträr zu den zuvor von B und den danach von den Ärzten der Reha-Klinik und S1 ist, und aus dem er - in Kombination mit dem vom Kläger geschilderten Tagesablauf („Den Haushalt erledige er noch. Er bekomme nichts mehr auf die Reihe. Er habe sich von allem zurückgezogen.“, S. 4 des Gutachtens) die Diagnose einer rezidivierenden Störung mit einer depressiven Episode in schwerem Ausprägungsgrad abgeleitet und die er wiederum zur Begründung des von ihm angenommenen untervollschichtigen Leistungsvermögens angeführt hat, ist jedenfalls sowohl von den behandelnden Ärzten der Reha-Klinik als auch von dem gerichtlichen Sachverständigen S1 widerlegt worden, nachdem von diesen gerade kein solcher schwerwiegender psychopathologischer Befund erhoben worden ist. Die von E allenfalls erst „seit der Begutachtung“ bestehenden Einschränkungen (S. 14 des Gutachtens) waren damit jedenfalls nicht von Dauer, zumal auch B zuvor schon keinen schwerwiegerenden psychopathologischen Befund zu erheben vermochte. Der Senat merkt nur am Rande an, dass auch hier auffällig ist, dass der vom Kläger gegenüber E geschilderte Tagesablauf deutlich abweicht von jenem, den er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG geschildert hat.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet der Kläger an Erkrankungen der Wirbelsäule, namentlich einem chronischen Lumbalsyndrom bei Z.n. Bandscheibenvorfall L4/5 und kleineren Bandscheibenprotrusionen der Nachbarsegmente, einer Spondylose bzw. Osteochondrose der unteren BWS und einem chronisch-rezidivierenden Interskapulago und Zervikalgien sowie einem Engpass-Syndrom (Impingement) der rechten Schulter, Knick-Senk-Füßen und Lymphödemen beider Unterschenkel. Diese Erkrankungen bedingen zur Überzeugung des Senats lediglich leichte funktionelle und damit qualitative Einschränkungen (Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, kein Heben und Tragen schwerer Lasten, kein häufiges Bücken, keine - vor allem Wirbelsäulen- Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, keine Einwirkungen von Kälte, Nässe und Zugluft), nicht jedoch eine zeitliche Leistungseinschränkung. Dies stützt der Senat auf das gerichtliche Sachverständigengutachten des M1 und das Gutachten des Dr. Murray, die beide übereinstimmend angesichts der von ihnen erhobenen und im Wesentlichen übereinstimmenden körperlichen Untersuchungsbefunde (endgradig eingeschränktes Vornüberbeugen der LWS; mäßiger Stauchungs-, Druck- und Klopfschmerz über der LWS bzw. dem thorakolumbalen Übergang; antalgisch teilfixierte Haltung der HWS, kein Klopf- und Stauchungsschmerz; vereinzelt nachweisbare, segmentale Irritationspunkte als Zeichen von Segmentblockaden bei teilfixierter Halslordose mit endgradiger Bewegungseinschränkung; vereinzelt palpable Myegolosen und Muskelhartspann im Bereich der Nackenmuskulatur, der LWS und BWS; segmentweise eingeschränktes Bewegungsspiel der HWS; vereinzelt nachweisbare, segmentale Irritationspunkte und Druckschmerz als Zeichen von Segmentblockaden bei teilfixierter Lendenlordose; Dehnungsschmerz am lumbosakralen Übergang; kein sensomotorisches Defizit und keine radikulären Ausfälle in den Beinen; endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung rechte Schulter, inkompletter Nackengriff; zügiges und hinkfreies Gangbild, an beiden Hüften linksbetonter Rotationsschmerzen bei endgradig eingeschränkter Innenrotationsfähigkeit und ansonsten altersentsprechend guter Hüftgelenksbeweglichkeit mit stabilen Bandverhältnissen, seitengleiche freie Kniegelenksbeweglichkeit, deutliches Lymphödem beidseits ohne Stauungserythem) zu dem für den Senat schlüssigen Ergebnis eines Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche gelangt sind. Soweit M1 auf Grund der Beschwerden der Beine eine Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit beschrieben hat, wird dieser im Rahmen der Berücksichtigung einer Wechseltätigkeit zwischen Gehen, Stehen und Sitzen hinreichend Rechnung getragen. Er selbst hat ausdrücklich dargelegt, dass dem Kläger Wegstrecken zu Fuß bis zwei Kilometer und mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis zu 30 Kilometer zumutbar sind, was angesichts der von ihm dokumentierten, zuvor festgestellten, Befunde nicht zu beanstanden ist, so dass der Kläger noch in der Lage ist, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren und somit eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R, m.w.N.).

Die von M1 für erforderlich gehaltenen Pausen im Abstand von ca. zwei Stunden führen nicht zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes infolge betriebsunüblicher Bedingungen. In § 4 Satz 1 und 2 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) sind Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden vorgesehen, wobei die Ruhepausen in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden können. Dies bedeutet zwar, dass bei bis zu sechs Stunden Arbeit eine Ruhepause nicht vorgeschrieben ist. Allerdings geht der Gesetzgeber wie selbstverständlich davon aus, dass dringende persönliche Bedürfnisse während der Arbeitszeit verrichtet werden. Solche zusätzlichen Möglichkeiten der Arbeitsunterbrechung für Erholung und persönliche Bedürfnisse über die Arbeitszeitregelungen hinaus sind in betriebsüblichen Arbeitszeitregelungen nach Maßgabe tarifvertraglicher Vereinbarungen vorgesehen, sodass für den Fall der Erforderlichkeit jederzeit und kurzfristig kleine Pausen von nicht mehr als fünf bis sieben Minuten, z.B. zur Einnahme einer kleinen Zwischenmahlzeit, für persönliche Verrichtungen, Toilettengänge, Erholungs- und Entspannungszeiten außerhalb der Pausen, möglich sind (Senatsurteil vom 20.09.2018, L 10 R 230/17 m.w.N.; s. auch BSG, Beschluss vom 16.06.2016, B 13 R 119/14 B, in juris Rdnr. 15: weniger als 15 Minuten im öffentlichen Dienst). Dass dies beim Kläger nicht ausreichend sein soll, ist weder ersichtlich noch dargetan und ergibt sich gerade nicht aus den oben zitierten Ausführungen des Sachverständigen. Das Erfordernis von Pausen alle zwei Stunden steht somit einer vollschichtigen Arbeitstätigkeit im Sinne des Rentenrechts nicht entgegen.

Nicht zuletzt auch die behandelnden Ärzte des Klägers, K und S sind der Auffassung, dass auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von jedenfalls sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nicht ausgeschlossen sind.

Schließlich führt auch ein GdB des Klägers zu keiner anderen Beurteilung, denn dem kommt hinsichtlich der zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit eines Versicherten keinerlei Aussagekraft zu (BSG, Beschluss vom 19.09.2015, B 13 R 290/15 B).

Unter Zugrundelegung all dessen steht mithin auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass er nicht erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI).

Dabei ist es grundsätzlich unerheblich (BSG, Urteil vom 14.05.1996, 4 RA 60/94), ob dem Versicherten ein für ihn geeigneter, freier Arbeitsplatz angeboten werden kann. Denn das Risiko, ob ein Versicherter auch tatsächlich einen für ihn geeigneten und zumutbaren Arbeitsplatz erhält, fällt in den Bereich der Arbeitslosenversicherung und ist deshalb nicht von der Rentenversicherung zu tragen, die ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat. Dem entsprechend bestimmt das Gesetz für alle Erwerbsminderungstatbestände ausdrücklich, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer die jeweils zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann und dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Auf die Frage, ob der Kläger seinem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben kann, kommt es nicht an, da er auf Grund seines Geburtsjahrgangs keinen Berufsschutz (vgl. § 240 Abs. 1 SGB VI) hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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