L 6 SB 2083/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 3308/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2083/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung einer Krebserkrankung (Gebärmutterhalskrebs) von 50 auf 30 ab dem 23. März 2019 streitig.

Die am 29. Juli 1968 geborene Klägerin ist als Sonderschullehrerin tätig.

Am 3. Mai 2013 stellte sie einen Erstantrag auf Feststellung des GdB. Sie gab als Gesundheitsstörung, wegen der der Antrag gestellt werde, eine Krebserkrankung am Gebärmutterhals an.

Die Klägerin fügte dem Antrag den Bericht des S über die stationäre Behandlung vom 14. bis zum 15. März 2013 bei, aus dem sich als Diagnose PAP IVa (Portiokonus mit Carcinoma in situ vom Plattenepithel und in den Quadranten von 12 bis 3 Uhr mäßig differenziertes Plattenepithelcarziniom G2 mit einer Infiltrationstiefe von 0,4 mm und einer horizontalen Ausdehnung von 0,3 mm) ergab und als Therapie eine Konisation und fraktionierte Abrasio. Die Histologie habe die TNM Klassifikation pT1a1 pNX G2 pLO pVO ergeben. Die Entlassung der Klägerin sei am Folgetag nach Tamponadenentfernung und unauffälligem Verlauf erfolgt. Das histologische Ergebnis habe leider ein Plattenepithelcarzinom der Cervix in einem kleinen Areal ergeben, Einbrüche in Blut- und Lymphgefäße seien nicht dokumentiert worden, dennoch sei eine weitere Therapie angezeigt. Die Klägerin habe sich am 21. März 2013 nochmals ambulant zur Nachuntersuchung vorgestellt, bis auf eine minimale Schmierblutung postoperativ habe sich der Portiokonus mit Schorf bedeckt gezeigt. Über den negativen histologischen Befund sei sie ausführlich aufgeklärt worden, auch, dass Folgemaßnahmen erforderlich seien.

Im Weiteren legte die Klägerin den Bericht des S1 vor, aus dem sich Protiokonus mit Carcinoma in situ von Plattenepithel, Reserevezelltyp, Entwicklung eines mäßig differenzierten Plattenepithel-Carcinoms, unauffälliges Plattenepithel von der Cervix, funktionsarmes Endometrium ergab.      
 
Die D bewerte die Erkrankung der Gebärmutter (in Heilungsbewährung) mit einem Einzel-GdB von 50, der dem Gesamt-GdB entsprach. Der GdB könne seit dem 15. März 2013 als nachgewiesen angesehen werden, eine Nachprüfung sei im März 2018 erforderlich.

Das Landratsamt E stellte daraufhin durch Bescheid vom 14. Juni 2013 einen GdB von 50 seit dem 15. März 2013 fest.

Am 20. April 2018 leitete das nach einem Wohnsitzwechsel der Klägerin nunmehr zuständige Landratsamt K (LRA) das Nachprüfungsverfahren ein.

Die Klägerin gab in dem ihr deshalb übersandten Vordruck als bei der Feststellung des GdB zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen Gebärmutterhalskrebs, chronische Rückenschmerzen/-beschwerden und Störungen des Verdauungstraktes an. Sie führte aus, dass ein stationärer Aufenthalt in einer orthopädischen oder psychosomatischen Klinik geplant sei, hierzu fänden noch mehrere Arzttermine statt. Auch nach der Aussage ihres Frauenarztes bestehe eine seelische Belastung, es werde noch ein Termin bei einer Psychiaterin stattfinden. Eine Zurückstufung des GdB habe auch Auswirkungen auf ihr Deputat als vollbeschäftigte Sonderschullehrerin, was bis zum Ende des Schuljahres zu schwierigen Veränderungen im Stundenplan führe. 

Ergänzend legte sie den Bericht des W über die Untersuchung am 14. Dezember 2017 vor, aus dem sich die Diagnose Z. n. Zervixcarzinom (T1A1, ED März 2013) ergab. Es habe ein unauffälliger gynäkologischer Untersuchungsbefund bei nahezu fehlender Zervix vorgelegen (PAP I, kolposkopisch unauffälliger Zervixstumpf, nativ Mischflora mit deutlicher Entzündungsreaktion, Pilzkultur negativ). Der vaginale Ultraschall habe einen unauffälligen Uterus, Restzervix sowie eine Adnexregion beidseits gezeigt. Nach nunmehr knapp fünf Jahren nach Primärtherapie habe sich ein unauffälliger Organbefund ergeben und es sei zu keinem Progress des Grundleidens gekommen. Die Klägerin sei nach wie vor durch die Malignomerkrankung erheblich belastet.      

Auf Anfrage des LRA führte der W ergänzend zu seinen Angaben in seinem bereits zur Vorlage gekommenen Bericht aus, dass eine durchgeführte Ultraschalluntersuchung keinen Hinweis auf ein lokales oder lokoregionäres Rezidiv erbracht habe. Die Klägerin leide nach wie vor sehr deutlich unter einer psycho-onkologischen Belastungsreaktion, eine Teilhabe am normalen Leben sei möglich, die Belastungsreaktion sei in der Bewertung nach dem Schwerbehindertengesetz nach wie vor gegeben.

Die O/N gaben an, die Klägerin habe sich bei ihnen nur zweimal in Behandlung befunden, sie könnten deshalb die Fragen des LRA nicht beantworten.

B – berichtete von einer bei der Klägerin bestehenden Reizdarmsymptomatik. Die Klägerin habe über häufig dünne Stühle, viel Luft im Bauch, eine unregelmäßige Verdauung und wechselnde abdominelle Beschwerden geklagt. Der Allgemein- und Ernährungszustand seien gut gewesen, eine Magen- und Darmspiegelung mit entnommenen Gewebeproben habe einen unauffälligen Befund erbracht, eine Laktoseintoleranz, eine Fruktosemalabsorption, Nahrungsmittelallergien und eine bakterielle Enteritis hätten ausgeschlossen werden können, ebenso habe kein Anhalt für eine Histaminintoleranz bestanden. Unter einer Therapie mit Probiotika sei es zu einer passageren Besserung gekommen.

Der G gab an, die Klägerin habe wiederholt über Nackenschmerzen geklagt. Es hätten wiederholt druckdolente Triggerpunkte der Trapeziusmuskulatur und des Musculus levator scapulae rechts bei endgradig eingeschränkter Halswirbelsäulenbeweglichkeit vorgelegen. Auch habe die Klägerin über zunehmende rechtsbetonte Brustwirbelsäulenschmerzen geklagt. Er habe sie zur Durchführung eines stationären Heilverfahrens bei Verdacht auf eine begleitende psychovegetative Erschöpfung ermutigt.

B1 bewertete versorgungsärztlich eine seelische Störung/psychovegetative Störungen mit einem Einzel-GdB von 20, Verdauungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 und die Folgen nach Uteruserkrankung mit einem weiteren Einzel-GdB von 10; die muskulären Verspannungen seien nicht mit einem Einzel-GdB von mindestens 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB habe 20 betragen.

Das LRA hörte die Klägerin daraufhin zur Herabsetzung des GdB an. Den Feststellungen im Bescheid vom 14. Juni 2013 habe ein Tumorleiden im Stadium der Heilungsbewährung zugrunde gelegen. Bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigten, sei für einen bestimmten Zeitraum (Zeitraum der Heilungsbewährung) die Feststellung eines höheren GdB gerechtfertigt als bei isolierter Betrachtung der tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigung zutreffend wäre. Nach Ablauf dieses Zeitraums sei deshalb eine Nachprüfung der gesundheitlichen Verhältnisse vorzunehmen. Wenn die Nachprüfung ergebe, dass kein Rezidiv aufgetreten sei und auch keine Hinweise auf das Weiterbestehen des Grundleidens vorlägen, sei der GdB nur noch nach den tatsächlichen Verhältnissen zu bemessen. In den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellungen im Bescheid vom 14. Juni 2013 maßgebend gewesen seien, sei eine wesentliche Änderung insofern eingetreten, als dass bezüglich des Tumorleidens die fünfjährige Heilungsbewährung eingetreten sei und auch kein Rezidiv oder ein sonstiger pathologischer Befund, der auf das Weiterbestehen des Grundleidens hinweise, vorliege. Als Funktionsbeeinträchtigungen lägen eine seelische Störung, psychovegetative Störungen, Verdauungsstörungen und Folgen nach Uteruserkrankung vor. Der Gesamt-GdB betrage 20. Die von der Klägerin geltend gemachten muskulären Verspannungen bedingten keinen Einzel-GdB von 10. Es sei deshalb beabsichtigt, einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid zu erteilen.

Nachdem sich die Klägerin im Anhörungsverfahren nicht geäußert hatte, hob das LRA durch Bescheid vom 18. März 2019 den Bescheid vom 14. Juni 2013 insofern auf, als der GdB ab dem 23. März 2019 nur noch 20 betrage. Zur Begründung bekräftigt das LRA seine Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben.

Die Klägerin erhob deshalb Widerspruch, zu dessen Begründung sie ärztliche Berichte vorlegte.

Aus dem medizinischen Attest des W vom 2. Mai 2019 ergaben sich die bereits mitgeteilten, bei der letzten Untersuchung der Klägerin am 14. Dezember 2017 erhobenen Befunde. Die Klägerin sei nun sechs Jahre nach der Erkrankung rezidivfrei. Sie leide jedoch nach wie vor sehr deutlich unter einer psycho-onkologischen Belastungsreaktion, eine Teilhabe am normalen Leben sei zwar gegeben, die Belastungsreaktion sei jedoch in der Bewertung nach dem Schwerbehindertengesetz nach wie vor zu berücksichtigen.

G führte aus, er habe bei der Klägerin als Diagnosen ein chronisches myofasziales Schmerzsyndrom thorakal und cervikal links, chronische Myotendinosen Schulter-Nackensyndrom, eine rezidivierende Blockierung CTU, einen Z. n. CTS beidseits, eine Daumenatrophie rechts nach Karpaldachspaltung, ein chronisches Schmerzsyndrom und einen Hallux valgus beidseits erhoben.

Die E1 berichtete von der Vorstellung der Klägerin in ihrer Sprechstunde. Anamnestisch habe diese angegeben, seit circa einem Jahr unter Erschöpfungszuständen, depressiven Verstimmungen, Ängsten und innerer Unruhe zu leiden. Ursachen seien private und berufliche Faktoren, auch in der Vergangenheit seien bereits ähnliche Beschwerden aufgetreten gewesen. Als psychopathologischen Befund habe sie ein klares Bewusstsein, orientiert, eine beeinträchtigte Konzentration, eine ungestörte Auffassung, Merkfähigkeit und Gedächtnis, inhaltliches und formales Denken unauffällig, eine ungestörte Wahrnehmung, keine Ich-Störung, in der Affektivität deprimiert bei einem unauffälligen Antrieb erhoben. Es hätten Ängste und eine verminderte Belastbarkeit vorgelegen. Als Diagnosen habe sie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (ICD-10 F33.0), chronische Rückenschmerzen und einen Z. n. Uterus-Ca. gestellt. Es handele sich diagnostisch um eine leichte depressive Episode, auf organische Ursachen des Störungsbildes habe es keinen Hinweis gegeben. Durch die beschriebene Symptomatik sei die Klägerin in ihrer Gestaltungsfähigkeit und Belastbarkeit eingeschränkt.

G teilte auf Anfrage des LRA mit, die Klägerin sei bei ihm seit Oktober 2011 in regelmäßiger orthopädischer Behandlung. Bereits zu Beginn habe sie über immer wieder bestehende Nackenschmerzen geklagt, die in beide Hände kombiniert mit Kribbeln und Pelzigkeit ausstrahlten. Die Schultergelenke selbst zeigten keine arthrotischen Veränderungen. Im Jahr 2011 sei eine Karpaltunneldachspaltung beidseits bei Nachweis eines CTS beidseits erfolgt. Des Weiteren habe die Klägerin über rezidivierende cervikale und thorakale Schmerzen, am ehesten im Sinne von Verspannungen geklagt; cervikal bedingte neurologische Ausfälle hätten nicht vorgelegen. Auch habe sie unter rezidivierenden Vorfußschmerzen gelitten. Er behandle sie regelmäßig mit schmerztherapeutischen Maßnahmen. 

G1 bewertete nunmehr versorgungsärztlich eine seelische Störung/Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 30 und Verdauungsstörungen, Folgen nach Uteruserkrankung und muskuläre Verspannungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 10. Der Gesamt-GdB betrage 30. Aufgrund der nun vorliegenden psychiatrischen und ausführlichen orthopädischen Befundberichte könne für das psychosomatische Störungsbild ein Einzel-GdB von 30 vergeben werden.

Das LRA hörte die Klägerin zur beabsichtigten Feststellung eines GdB von 30 an. Die Klägerin erwiderte hierauf, ihr Zustand habe sich gegen Ende des Schuljahres verschlimmert. Sie sei nicht schmerzfrei und habe unter den psychischen Belastungen des Lehrerberufs zu leiden, die sich in seelischen Störungen, Schlafstörungen, Verdauungsstörungen und starken muskulären Verspannungen äußerten. Deshalb benötige sie die Nachteilsausgleiche, die ihr als Schwerbehinderte zustünden, um den Lehrerberuf auch in den nächsten Jahren ausüben zu können.

Durch Widerspruchsbescheid vom 18. September 2019 stellte der Beklagte einen GdB von 30 über den 23. März 2019 hinaus sowie ab diesem Zeitpunkt eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinn des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Nachdem kein Rezidiv der malignen Grunderkrankung aufgetreten sei, bedinge diese Funktionsbeeinträchtigung nicht mehr wie zuvor einen Einzel-GdB von 50, sondern nur noch von 10. Unter Berücksichtigung der weiteren bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen betrage der Gesamt-GdB 30.

Mit der am 10. Oktober 2019 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin sinngemäß die Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 verfolgt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

Aus der sachverständigen Zeugenaussage des G haben sich regelmäßige Behandlungen der Klägerin im Zeitraum vom 10. Oktober 2011 bis zum 20. Dezember 2019 ergeben. Diese leide unter einer mittelgradigen Epicondylitis humeri ulnaris und radialis links und einem mittelgradigen myofaszialen Schmerzsyndrom thorakal, dessen Schmerzsymptomatik von Juni 2013 bis September 2019 zugenommen habe. Hinsichtlich der rezidivierenden Vorfußschmerzen bei bekanntem Hallux valgus links mehr als rechts sowie initialem Hallux rigidus habe durch eine Einlagenversorgung und regelmäßige physikalische Therapie über die Jahre eine Progredienz der Beschwerden verhindert werden können. Das myofasziale Schmerzsyndrom cervikal und thorakal sei mit einem Einzel-GdB von 30 und die Epicondylitis humeri ulnaris und radials links mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage 30. G hat ergänzend seine Behandlungsberichte vorgelegt. Hieraus ließ sich unter anderem am 30. Juli 2019 eine freie Beweglichkeit der linken Schulter und des rechten Ellenbogens, am 18. Februar 2019 eine Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) von Links-/Rechtsrotation 70-0-65° und am 18. September 2018 eine freie Beweglichkeit beider Schultern in allen Ebenen entnehmen.

E1 hat als sachverständige Zeugin angegeben, sie behandle die Klägerin seit dem 17. Mai 2018. Im Jahr 2018 seien alle acht Wochen Behandlungen und außerdem acht psychotherapeutische Sitzungen erfolgt, im Jahr 2019 eine Behandlung im April und bislang im Jahr 2020 eine Behandlung im Januar. Als Diagnosen habe sie eine gesicherte rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (ICD-10 F33.0), und Angst und depressive Störung erhoben. Der psychopathologische Befund sei klares Bewusstsein, orientiert, beeinträchtigte Konzentration, ungestörte Auffassung, Merkfähigkeit und Gedächtnis, inhaltliches und formales Denken unauffällig, ungestörte Wahrnehmung, keine Ich-Störung, in der Affektivität deprimiert bei unauffälligem Antrieb gewesen. Es hätten Ängste und eine verminderte Belastbarkeit vorgelegen. Die depressiven Verstimmungen, die Konzentrationsstörungen und die verminderte Stresstoleranz seien leichtgradig und die Ängste mittelgradig ausgeprägt. Auf ihrem Fachgebiet betrage der Einzel-GdB 20, der Gesamt-GdB liege bei 30.

Zuletzt hat der W ausgeführt, die Klägerin seit dem Jahr 2012 zu behandeln. Als Gesundheitsstörungen lägen ein Z. n. Gebärmutterhalskrebs und Trachelektomie (nahezu vollständige Entfernung des Gebärmutterhalses), eine fortbestehende Belastungsstörung infolge einer Karzinomerkrankung mittleren Grades und eine Hormonstörung durch Wechseljahrsituation (unter Therapie leichtgradig ausgeprägt) vor. Die Gebärmutterhalskrebserkrankung sei auch sieben Jahre nach der primären Diagnose und Behandlung als eine Erkrankung mit einem nicht auszuschließenden Progress anzusehen. Auch die postonkologische Belastungsstörung mit Schlafstörungen und Selbstzweifeln, die teilweise einer depressiven Verstimmung entspreche, sei fortbestehend. Der Gesamt-GdB betrage mindestens 30 bis 40. Die Klägerin betrachte sehr differenziert ihre Krankheitsgeschichte und stehe dieser mit großer Sorge gegenüber. Sämtliche Termine, Therapievorschläge und Empfehlungen habe sie sehr sorgfältig und reflektiert umgesetzt. Zuletzt habe sie angegeben, dass sie momentan wieder auf der Suche nach einer neuen psychotherapeutischen Begleitung und Hilfe sei. Seinen Rat, eine stationäre Therapie anzugehen, habe sie sehr offen aufgenommen. Ergänzend legte der W seine bereits im Verwaltungsverfahren zur Akte gelangten Berichte, den Operationsbericht vom 14. März 2013 (zystologisch Pap IVa, Messerkonisation, fraktionierte Abrasio), den Bericht über die makroskopische und mikroskopische Begutachtung des Institut für Pathologie und Molekularpathologie P (Kollumkarzinom Ia1, kein Nachweis von Restanteilen des klinischerseits angegebenen Kollumkarzinoms) und den Bericht des S2 Klinikum über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 4. bis zum 6. April 2013 (Diagnosen: Collum-Ca [TNM: pT1a1, pNx, G2, pL0, pV0]; Therapie: Trachelektomie und Corpusabrasio, Z. n. Konisation bei PAP IVa am 14. März 2013 endocervical knapp im Gesunden entfernt) vor.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2020 abgewiesen. Zur Recht habe der Beklagte ab dem 23. März 2019 nur noch einen GdB von 30 festgestellt. Unter Berücksichtigung des psychosomatischen Befundes sei bei Zusammenschau aller vorliegender Gesundheitsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf die allgemeine funktionale Lebensgestaltung sowie den Einschränkungen der Erlebnisfähigkeit ein Gesamt-GdB in dieser Höhe zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides angemessen und ausreichend gewesen. Das SG hat sich auf die sachverständigen Zeugenaussagen gestützt. Im Funktionssystem „weibliche Geschlechtsorgane“ betrage der Einzel-GdB aufgrund der Folgen der Tumorresektion allenfalls 10. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ sei der Einzel-GdB mit 30 einzustellen. Bei der Klägerin liege laut G aufgrund des myofaszialen Schmerzsyndroms bereits eine stärker behindernde Störung vor, die zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führe. Nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides aufgetretene Funktionsbeeinträchtigungen seien im Rahmen einer Klage gegen die Herabsetzung des GdB unbeachtlich, womit die von der Klägerin geltend gemachten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre Psyche seit frühestens Februar 2020 unbeachtlich seien.                

Am 3. Juli 2020 hat die Klägerin gegen den ihren Prozessbevollmächtigen am 5. Juni 2020 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Zur Berufungsbegründung führt die Klägerin aus, das SG habe zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der GdB betrage auch über den 23. März 2019 hinaus 50. Sie habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides sehr deutlich unter einer psycho-onkologischen Belastungsreaktion gelitten und leide darunter auch noch heuteE1 habe in ihrem ärztlichen Befundbericht vom 18. April 2019 seit einem Jahr bestehende Erschöpfungszustände, depressive Verstimmungen, Ängste und eine innere Unruhe beschrieben. Ihre Konzentration sei beeinträchtigt gewesen und sie habe deprimiert gewirkt, ihre Gestaltungsfähigkeit und Belastbarkeit seien eingeschränkt. Auch habe der W unmissverständlich dargelegt, dass sie zwar rezidivfrei sei, aber immer noch sehr deutlich unter einer psycho-onkologischen Belastungsreaktion leide. Er sei von einem GdB von mindestens 30 bis 40 ausgegangen und habe die Prüfung durch einen Fachgutachter angeregt, dieser Anregung sei das SG nicht gefolgt. Im Weiteren habe das SG nicht beachtet, dass der W zu einer stationären Therapie geraten habe. G habe insbesondere von den Diagnosen eines chronischen myofaszialen Schmerzsyndroms thorakal und cervical links und chronischen Myotendinosen Schulter-Nackensyndrom berichtet. Auch diese Diagnosen seien nur unzureichend berücksichtigt worden.

Die Klägerin beantragt – sinngemäß –,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2020 sowie den Bescheid vom 18. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 aufzuheben,
hilfsweise, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,
         
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren zwinge nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der W habe eine Rezidivfreiheit bestätigt, die Heilungsbewährung sei damit zweifelsfrei abgelaufen. Die vorliegenden psychischen Auswirkungen der Krebserkrankung seien mit einem Einzel-GdB von 30 als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausreichend bewertet. Schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten seien nicht dokumentiert; dies auch im Hinblick auf die Behandlungsfrequenz, da nach Auskunft der E1 vom 14. August 2020 die Klägerin bei ihr nur alle acht Wochen vorstellig sei.

Erörterungstermine am 21. Januar und 25. März 2021 haben aufgrund von Verhinderungen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht stattfinden können. Im Erörterungstermin am 21. April 2021 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Verfahren wohl der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids sei und demnach eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin, insbesondere eine im Jahr 2020 beabsichtigte stationäre Behandlung der Klägerin, die Corona-bedingt erst im Jahr 2021 stattfinden solle, wohl nicht von Bedeutung sei. Hinsichtlich der vom Berichterstatter angeregten Rücknahme der Berufung hat die Klägerin zunächst mit der Schwerbehindertenvertretung des Schulamts Rücksprache halten wollen. Nachdem diese Rücksprache erfolgt war, hat die Klägerin am 3. Mai 2021 mitgeteilt, die Berufung bleibe aufrechterhalten.       

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 29. Mai 2020, mit dem das SG die von der Klägerin sinngemäß erhobene isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen den Bescheid vom 18. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 (§ 95 SGG), durch den der Beklagte den GdB ab dem 23. März 2019 von 50 auf 30 herabgesetzt hat, abgewiesen hat. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 33), vorliegend demnach der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 18. September 2019.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 18. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019, durch den der Beklagte den Bescheid vom 14. Juni 2016, der ab dem 15. März 2013 einen GdB von 50 festgestellt hat, ab dem 23. März 2019 teilweise aufgehoben und nur noch einen GdB von 30 festgestellt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Zu Recht hat somit auch das SG die hiergegen gerichtete isolierte Anfechtungsklage durch Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2020 abgewiesen.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist auszugehen, wenn aus dieser eine Veränderung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, juris, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat im maßgeblichen Vergleichsbescheid vom 14. Juni 2013 einen GdB von 50 ab dem 15. März 2013 festgestellt. In der dieser Feststellung zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage ist eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Maßgeblich für den festgestellten GdB von 50 war eine Krebserkrankung der Gebärmutter in Heilungsbewährung. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist eine wesentliche Änderung eingetreten, wegen der zur Überzeugung des Senats der GdB unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen – seelische Störung/Schmerzstörung, Verdauungsstörungen, Folgen nach Uteruserkrankung und muskuläre Verspannungen – ab dem 23. März 2019 nicht mehr als 30 beträgt.  

Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung des GdB richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind nach § 2 Abs. 2 SGB IX im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung ­­– VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, juris, Rz. 14). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2, c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben.
Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2, e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (VG, Teil A, Nr. 3, a). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG, Teil A, Nr. 3, c). Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VG, Teil A, Nr. 3, d).

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Einzel- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 17/97 R –, juris, Rz. 13). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Einzel-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin ab dem 23. März 2019 nicht mehr einen GdB von 50 – wie ihn das LRA durch den Bescheid vom 14. Juni 2013 ab dem 15. März 2013 festgestellt hatte –, sondern nur noch einen solchen von 30 rechtfertigen.

Ausschlaggebend für die Herabbemessung des GdB durch den Beklagten war die eingetretene Heilungsbewährung der Krebserkrankung der Gebärmutter, die in Auswertung der diesbezüglichen ärztlichen Befunde auch zur Überzeugung des Senats vorliegt. Im dafür maßgebenden Funktionssystem „Geschlechtsapparat“ beträgt der Einzel-GdB zur Überzeugung des Senats nach Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren nicht mehr 50, sondern nur noch 10.

Das LRA hat bei Erlass des maßgeblichen Vergleichsbescheids vom 14. Juni 2013 eine Krebserkrankung der Gebärmutter in Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 50 berücksichtigt. Die Klägerin hat, wie der Senat dem Bericht des S vom 22. März 2013, den er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet, entnimmt, an einem Portikonus mit Carcinoma in situ vom Plattenepithel gelitten, darüber hinaus hatte sich in den Quadranten von 12 bis 3 Uhr ein mäßig differenziertes Plattenepithelcarziniom G2 mit einer Infiltrationstiefe von 0,4 mm und einer horizontalen Ausdehnung von 0,3 mm entwickelt. Das Tumorstadium war pT1a1 pNX G2 pLO pVO. Am 14. März 2013 war deshalb, wie sich aus dem vom W im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten und vom Senat urkundsbeweislich verwerteten Operationsbericht ergibt, eine Messerkonisation und eine fraktionierte Abrasio erfolgt.   

Nach den VG, Teil B, Nr. 1, c) ist nach der Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum beträgt in der Regel fünf Jahre; kürzere Zeiträume werden in der GdB-Tabelle vermerkt. Die Heilungsbewährung beginnt ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann; eine zusätzliche adjuvante Therapie hat keinen Einfluss auf den Beginn der Heilungsbewährung. Der aufgeführte GdB bezieht den regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden ein. Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung ­– z. B. lang dauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie – sind zu berücksichtigen. Bei den im Folgenden nicht genannten malignen Geschwulstkrankheiten ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Bis zum Ablauf der Heilungsbewährung – in der Regel bis zum Ablauf des fünften Jahres nach der Geschwulstbeseitigung – ist in den Fällen, in denen der verbliebene Organ- oder Gliedmaßenschaden für sich allein keinen GdB von wenigstens 50 bedingt, im allgemeinen nach Geschwulstbeseitigung im Frühstadium ein GdB von 50 und nach Geschwulstbeseitigung in höheren Stadien ein GdB von 80 angemessen. Bedingen der verbliebene Körperschaden oder die Therapiefolgen einen GdB von 50 oder mehr, ist der bis zum Ablauf der Heilungsbewährung anzusetzende GdB entsprechend höher zu bewerten. Ein Carcinoma in situ (Cis) rechtfertigt nach den VG, Teil B, Nr. 1, d) grundsätzlich kein Abwarten einer Heilungsbewährung. Ausgenommen hiervon sind das Carcinoma in situ der Harnblase und das Carcinoma in situ der Brustdrüse (intraduktales und lobuläres Carcinoma in situ), bei denen wegen klinischer Besonderheiten bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen das Abwarten einer Heilungsbewährung begründet ist. Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, d. h. rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zu Grunde gelegen haben (vgl. BSG, Urteile vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R –, juris, Rz. 15 und vom 12. Februar 1997 – 9 RVs 12/95 –, juris, Rz. 14). Somit begründet schon der rein rezidivfreie Zeitablauf den Eintritt der Heilungsbewährung und die wesentliche Änderung. Eine Beschwerdefreiheit oder eine folgenlose Ausheilung der Erkrankung wird nicht vorausgesetzt. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob eine leitliniengerechte Therapie einen längeren Zeitraum für Kontrolluntersuchungen vorsieht oder mit Rezidiven jederzeit zu rechnen ist.

Gemessen hieran war die maßgebliche Heilungsbewährung von zwei Jahren – und nicht wie vom Beklagten angenommen von fünf Jahren – am 23. März 2019, dem Zeitpunkt der Herabsetzung des GdB, abgelaufen. Nach den VG, Teil B, Nr. 14. 2 beträgt der GdB 50 während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach der Entfernung eines Zervixtumors (Mikrokarzinom) im Stadium T1a NO MO, wie es bei der Klägerin vorgelegen hat. Der Zeitraum der Heilungsbewährung beträgt nur dann fünf Jahre nach den VG, Teil B, Nr. 14.2, wenn ein höheres Stadium des Tumors (T1b bis T2a N0 M0) bestanden hat. 

Die Erstdiagnose des Portikonus mit Carcinoma in situ vom Plattenepithel und des in den Quadranten von 12 bis 3 Uhr mäßig differenzierten Plattenepithelcarziniom G2 mit einer Infiltrationstiefe von 0,4 mm und einer horizontalen Ausdehnung von 0,3 mm und dessen operative Entfernung war im März 2013. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herabsetzung des GdB am 23. März 2019 hat, wie sich für den Senat aus dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten medizinischen Attest des W vom 2. Mai 2019 ergibt, ein unauffälliger gynäkologischer Tastbefund bei einem Z. n. Zervixkarzinom bestanden. Es hat sich ein Pap I, damit ein unauffälliger Befund, ergeben; eine Ultraschalluntersuchung hat keinen Hinweis auf ein Rezidiv der Krebserkrankung erbracht.    

Im Funktionssystem „Geschlechtsapparat“ sind somit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides ein Z. n. Gebärmutterhalskrebs, eine Trachelektomie (nahezu vollständige Entfernung des Gebärmutterhalses) und eine Hormonstörung durch Wechseljahrsituation (unter Therapie leichtgradige Ausprägung) verblieben. Dies ergibt sich für den Senat aus der erstinstanzlichen sachverständigen Zeugenaussage des W. Nach den VG, Teil B, Nr. 14.2 sind diese Funktionsbeeinträchtigung nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 10, wie ihn der Beklagte berücksichtigt hat, zu bewerten. Der Verlust der Gebärmutter und/oder Sterilität führen zu einem GdB von 0 und im jüngeren Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch zu einem GdB von 20. Dieses Ausmaß erreichen die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen jedoch nicht. Ebenso ist die Hormonstörung durch Wechseljahrsituation, die unter Therapie zumal nur leichtgradig ausgeprägt ist, nach den VG, Teil B, Nr. 14 nicht mit einem GdB bewertet.

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides führend waren bei der Klägerin die im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ bestehenden Funktionsstörungen, die nach Ansicht des Senats, wie auch des SG und des Beklagten, nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 30 zu bewerten sind. Die Klägerin hat in diesem Funktionssystem, wie der Senat den sachverständigen Zeugenaussagen der E1, des G und des W entnimmt, zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides an einer rezidivierenden depressiven Störung, damals leichte Episode, an Angst und depressiver Störung, an einer fortbestehenden Belastungsstörung infolge einer Karzinomerkrankung mittelmäßigen Grades und an einem myofaszialen Schmerzsyndrom cervikal und thorakal gelitten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das BSG in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris Rz. 42; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Orientiert an diesen Vorgaben hat bei der Klägerin zu Überzeugung des Senats zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) bestanden, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten war. Eine Ausschöpfung des diesbezüglichen Bewertungsrahmens mit einem GdB von 30 bis 40 hält der Senat jedoch im Hinblick auf die Auswirkungen der Funktionsstörungen nicht für angezeigt. Hiergegen spricht, dass nach den Ausführungen des W die Klägerin zwar sehr deutlich unter der von ihm diagnostizierten psycho-onkologischen Belastungsreaktion leidet, ihr eine Teilhabe am normalen Leben aber möglich ist. Die Klägerin war und ist in der Lage, auch wenn die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft zur einer Reduzierung ihres Deputats geführt hat, eine berufliche Tätigkeit als Sonderschullehrerin, mithin eine psychisch anspruchsvolle Tätigkeit auszuüben, was der Senat als maßgebliches Kriterium gegen die Höherbewertung der ­auch mit einem Einzel-GdB von 30 anerkannten stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wertet. Gegen eine Höherbewertung spricht auch der von E1 erhobene psychopathologische Befund, wonach die Klägerin bewusstseinsklar und orientiert war und sich der Antrieb, die Auffassung, die Merkfähigkeit, das Gedächtnis sowie das formale und inhaltliche Denken unauffällig gezeigt haben. Die Wahrnehmung war ungestört und es hat keine Ich-Störung bestanden. Die Konzentration war beeinträchtigt und in der Affektivität war die Klägerin deprimiert. Insofern hat für den Senat nachvollziehbar E1 den Einzel-GdB mit 20 bewertet. Unter Berücksichtigung des von G beschriebenen myofaszialen Schmerzsyndroms cervikal und thorakal rechtfertigt sich im Gesamten ein Einzel-GdB von 30, wie er ihn auch vorgeschlagen hat. Aufgrund der wesentlichen Überschneidungen des myofaszialen Schmerzsyndroms cervikal und thorakal mit der von E1 diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, und Angst und depressive Störung wird ein Einzel-GdB von 40 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nicht erreicht. Die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 40 hat auch keiner der die Klägerin behandelnden Ärzte vorgeschlagen. Der W hat den Einzel-GdB mit 30 bis 40 geschätzt.    

Gegen das Bestehen eines Einzel-GdB von mehr als 30 spricht im Weiteren, dass die Klägerin zwar von G schmerztherapeutisch behandelt worden ist, sie bei E1 im Jahr 2019 aber nur einmal im April in Behandlung und auch im Jahr 2018 bei einer Behandlungsfrequenz von alle acht Wochen keine engmaschige Behandlung erfolgt ist. Ebenso hat eine medikamentöse oder stationäre Behandlung nicht stattgefunden. Dieser Umfang und Art der fachärztlichen Behandlung spricht gegen das Vorliegen eines Leidensdrucks bei der Klägerin, der bei einer mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden stärker behindernden Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu erwarten wäre (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris Rz. 42; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31, wonach bei einer fehlenden ärztlichen Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt).

Die im Weiteren bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides bestehenden Funktionsstörungen sind nicht mit einem Einzel-GdB von mehr als 10 zu bewerten.

Die von B beschriebene Reizdarmsymptomatik, die im Funktionssystem „Verdauung“ zu berücksichtigen ist (VG, Teil B. Nr. 10.2.2), geht nicht mit stärkeren oder häufig rezidivierenden und anhaltenden Symptomen (z. B. Durchfällen oder Spasmen) einher, die einen Einzel-GdB von 20 rechtfertigten. Der Senat entnimmt den urkundsbeweislich verwerteten Ausführungen des B, dass die Klägerin zwar ü
ber häufig dünne Stühle, viel Luft im Bauch, eine unregelmäßige Verdauung und wechselnde abdominelle Beschwerden geklagt hat, der Allgemein- und Ernährungszustand aber gut gewesen ist. Eine Magen- und Darmspiegelung mit entnommenen Gewebeproben hat einen unauffälligen Befund ergeben; eine Laktoseintoleranz, eine Fruktosemalabsorption, Nahrungsmittelallergien und eine bakterielle Enteritis konnten ausgeschlossen werden, auch für eine Histaminintoleranz hat kein Anhalt bestanden. Unter eine Therapie mit Probiotika ist es zu einer passageren Besserung gekommen.

Im Funktionssystem „Rumpf“ haben ebenso keine Funktionsstörungen vorgelegen, die nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 mit einem Einzel-GdB von mehr als 10 zu bewerten gewesen sind. Das von G beschriebene myofasziale Schmerzsyndrom cervikal und thorakal hat der Senat im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ berücksichtigt (vgl. oben). Unter mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome), die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, hat die Klägerin nicht gelitten. G hat am 18. September 2019 die Beweglichkeit der HWS mit Links-/Rechtsrotation 70-0-65° und damit uneingeschränkt (Normalmaß: 60 bis 80-0-60 bis 80°) befundet.

Die im Funktionssystem „Arme“ zu berücksichtigende von G festgestellte Epicondylitis humeri ulnaris und radialis links hat dieser nachvollziehbar mit keinem Einzel-GdB von mehr als 10 (VG, Teil B, Nr. 18.13) bewertet. Den von ihm seiner sachverständigen Zeugenaussagen beigefügten Behandlungsberichten entnimmt der Senat im Weiteren eine freie Beweglichkeit beider Schultern in allen Ebenen, so dass sich auch insofern kein weiterer zu berücksichtigender Einzel-GdB ergibt.

Die zuletzt im Funktionssystem „Beine“ bestehenden rezidivierenden Vorfußschmerzen bei bekanntem Hallux valgus links mehr als rechts sowie initialem Hallux rigidus, deren Progredienz durch eine Einlagenversorgung und regelmäßige physikalische Therapie hat verhindert werden können, wie sich aus der sachverständigen Zeugenaussage des G ergibt, begründen nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 keinen Einzel-GdB von mindestens 10. Erst eine Versteifung des Großzehengrundgelenks in günstiger Stellung wäre mit einem Einzel-GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Die GdB-Werte schließen die üblicherweise bestehenden Schmerzen mit ein (VG, Teil A, Nr. 2, j). Auch G hat insofern eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 nicht vorgenommen.   

Wegen der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage (vgl. oben), demnach der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 18. September 2019, sind Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Klägerin, wie etwa die von ihr im erstinstanzlichen Verfahren angeführte Belastung durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie oder eine im Jahr 2020 beabsichtige stationäre Heilbehandlung, die wegen der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden konnte, und wegen deren Nichtdurchführung sich der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtert haben könnte, im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen.    

Dem Hilfsantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens musste der Senat nicht nachkommen. Unabhängig davon, dass der Antrag auf „Einholung eines Sachverständigengutachtens“ bereits kein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag darstellt (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Oktober 2015 – B 9 V 46/15 B –, juris, Rz. 8), haben die vorliegenden ärztlichen Unterlagen, ärztlichen Meinungsäußerungen und sachverständigen Zeugenaussagen dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Bei weiteren Sachverhaltsermittlungen würde es sich mithin um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln und um eine Ausforschung des Sachverhaltes, zu der der Senat nicht verpflichtet ist (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – B 9 V 20/18 B –, juris, Rz. 19).

Aus den vorliegenden Einzel-GdB-Werten von 30 („Gehirn einschließlich Psyche“) und jeweils 10 („Geschlechtsapparat“, „Verdauung“ „Rumpf“ und „Arme“) ergibt sich ein Gesamt-GdB von 30. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 3, c) in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen (VG, Teil A, Nr. 3, d), aa). Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken. Dies ist vor allem der Fall, wenn Funktionsbeeinträchtigungen an paarigen Gliedmaßen oder Organen – also z. B. an beiden Armen oder beiden Beinen oder beiden Nieren oder beiden Augen – vorliegen (VG, Teil A, Nr. 3, d), bb). Die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden (VG, Teil A, Nr. 3, d), cc) oder die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung werden durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt (VG, Teil A, Nr. 3, d), dd). Von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VG, Teil A, Nr. 3, d), ee). Unter Beachtung dieser Grundsätze wird ein höherer Gesamt-GdB als 30 nicht erreicht.

Die Berufung der Klägerin war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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