L 6 SB 1767/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 2893/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1767/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die höhere Erstfeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 40.

Sie ist 1966 in der Türkei geboren, hat dort die Grundschule besucht, keinen Beruf erlernt und in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet. 1991 hat sie in der Türkei geheiratet und lebt seit 1994 mit ihrem Ehemann in der Bundesrepublik Deutschland (BRD), wo sie nach der Geburt der drei Kinder 1994, 1995 und 1997 untervollschichtig als Reinigungskraft gearbeitet hat. Sie bewohnt mit ihrem Ehemann und zwei der drei Kinder eine 105 qm große Eigentumswohnung.

Am 9. Dezember 2016 beantragte sie bei dem Landratsamt B (LRA) erstmals die Feststellung des GdB und legte den Entlassungsbericht der Klinik für Neurologie des Uklinikums T über ihre stationäre Behandlung vom 6. bis 7. Juli 2016 vor. Darin wurde ein Zustand nach Coil-Embolisation eines ACI-Aneurysmas rechtsseitig am 3. Juli 2015 beschrieben. Als Nebendiagnosen bestünden chronische Kopfschmerzen, chronischer Schwankschwindel und eine Depression. Die Klägerin sei in leicht reduziertem, adipösen Ernährungszustand gewesen, wach und zu allen Qualitäten voll orientiert. Sie spreche kein Deutsch, von der Psyche her wirke sie, soweit beurteilbar, depressiv verstimmt. Die Untersuchung der Hirnnerven habe keine Auffälligkeiten ergeben. Bei beschriebenen leichten Schmerzen an diversen Körperstellen habe kein klarer neurologischer Bezug bestanden. Es fänden sich keine sensorischen Defizite. Die Kontrollangiographie habe einen regelrechten Befund gezeigt.

U1 sah versorgungsärztlich einen GdB von 20 für das Kopfschmerzsyndrom und das operierte Aneurysma, den das LRA mit Bescheid vom 26. Juni 2017 ab dem 9. Dezember 2016 feststellte.

Im Widerspruchsverfahren erhob das LRA den Befundschein des Ö, der angab, dass die Klägerin depressiv sei und eine antidepressive Medikation erfolge. Daneben bestünden ein Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom und ein chronisches Schmerzsyndrom. Ergänzend legte er Befundberichte über die Behandlung des Aneurysma 2015, den Bericht des G vom 20. September 2016 (Beweglichkeit des Halses eingeschränkt), des B1 vom 31. Oktober 2016 (Zervikalsyndrom mit Parästhesien der Arme), des S vom 24. Juli 2017 (Beweglichkeit der HWS in der Rotation nach rechts eingeschränkt) und der S1 vom 1. August 2017 (episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp, depressive Einbrüche sowie Ein- und Durchschlafstörungen) vor.

Weiter wurde der Entlassungsbericht der Rklinik K über die stationäre Rehabilitation vom 28. Oktober bis 18. November 2015 vorgelegt. Danach sei die Klägerin wach, zu Zeit, Ort und zur eigenen Person voll orientiert bei ausgeglichener Stimmungslage gewesen. Das Verhalten sei situationsgemäß und freundlich. Sie habe motorisch verlangsamt sowie nicht umstellungserschwert bei normaler Schwingungsfähigkeit gewirkt. Das formale und inhaltliche Denken sei normal, ebenso die Erinnerungs- und Merkfähigkeit. Während der Maßnahme habe die Klägerin Fortschritte gemacht, was das sichere Gehen betreffe. Sie habe sich stabilisiert, fühle sich erholt und wieder besser belastbar. Einschränkungen der Aktivitäten und Teilhabe bestünden ausschließlich unter maximaler körperlicher Anstrengung, überwiegend am Nachmittag oder in den Abendstunden. Das Leistungsvermögen wurde auf drei- bis unter sechs Stunden eingeschätzt.

B2 bewerte versorgungsärztlich nunmehr das Kopfschmerzsyndrom mit einem Teil-GdB von 30 und die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20.

Mit Teil-Abhilfebescheid vom 5. März 2018 stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 9. Dezember 2016 fest.

Den Widerspruch im Übrigen wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2018 zurück. Nach den medizinischen Unterlagen leide die Klägerin an einem episodischen Spannungskopfschmerz sowie an depressiven Einbrüchen mit Ein- und Durchschlafstörungen. Es sei eine konservative Behandlung mit Krankengymnastik sowie eine medikamentöse Behandlung der Schlafstörungen eingeleitet worden. Eine engmaschige fachpsychiatrische Behandlung der geltend gemachten Depression finde nicht statt. Das Kopfschmerzsyndrom sei in Verbindung mit der depressiven Verstimmung, den funktionellen Organbeschwerden und dem operierten Aneurysma mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Zusätzlich bestehe ein Wirbelsäulenleiden mit einem Schulter-Arm-Syndrom, das einen Teil-GdB von 20 rechtfertige. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen könnten keinen höheren GdB als 40 begründen.

Am 5. Juni 2018 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und den Befundbericht des D über das Schädel-MRT vom 6. Juli 2018 vorgelegt. Danach habe sich ein Zustand nach Coil-Embolisation des ACI Aneurysmas rechts am C2 Segment gezeigt.

Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte erhoben.

Der S hat Beschwerden im Bereich der rechten Schulter mit angegebener Belastungseinschränkung bekundet. Die HWS-Beweglichkeit sei in der Rotation beidseits eingeschränkt, Nacken- und Schürzengriff seien weitgehend altersentsprechend frei. Das Röntgen der HWS habe eine verringerte HWS-Lordose ergeben, ohne wesentlich verschmälerten Zwischenwirbelraum. Die Gesundheitsstörungen seien als leicht zu bewerten. Es bestünden geringgradige Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten.

Die S1 hat einen Kopfschmerz vom Spannungstyp und eine bekannte Depression beschrieben. Die Depression sei nach der Untersuchung als leicht zu bewerten, seit dem 31. Juli 2017 habe sich die Klägerin nicht mehr bei ihr vorgestellt.

Die Klägerin hat das Sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 19. Oktober 2018 vorgelegt, wonach eine leichte kognitive Störung, eine Anpassungsstörung und eine ausgeprägte vegetative Labilität bestehe, weshalb die Erwerbsfähigkeit für die Tätigkeit als Reinigungskraft 15 Stunden pro Woche erheblich gefährdet und eine stationäre Rehabilitation unbedingt erforderlich sei.

Das SG hat weiter das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des A mit testpsychologischem Zusatzgutachten der B3 aus dem parallelen Rentenverfahren S 24 R 6025/16 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 20. Juli 2017 unter Hinzuziehung eines Dolmetschers beigezogen. Danach habe die Klägerin angegeben, dass eine Bedarfsmedikation mit Surafen 400 mg bestehe und keine Therapien stattfänden. Da ihre Wohnung nicht mehr sauber geputzt sei, lade sie Freunde nicht mehr zu sich ein, allerdings werde sie häufiger von Nachbarn eingeladen, manchmal gehe sie mit diesen oder mit ihrer Nichte spazieren. Die Familie habe zwei Autos, mit denen sie auch selbst fahre. Abends sehe sie gerne Filme im Fernsehen und gehe vor 23 Uhr zu Bett, damit sie wenigstens etwas schlafen könne. Sie freue sich, wenn ihre Nichte mit deren Kindern komme. Im vergangenen Jahr habe sie eine Urlaubsreise in die Türkei unternommen, eine solche sei in Kürze wieder geplant, worauf sie sich sehr freue. Berichtet worden sei über pulsierende Kopfschmerzen ein- bis zweimal im Monat, die manchmal von Übelkeit begleitet würden. Darüber hinaus komme es drei- bis viermal im Monat zu Schwindelattacken. Psychopathologisch sei die Klägerin bewusstseinsklar und in allen Qualitäten voll orientiert gewesen, dabei freundlich zugewandt und kooperativ. Die Grundstimmung sei indifferent bei sehr gut ausgeprägter affektiver Schwingungsfähigkeit gewesen. Antrieb und Psychomotorik hätten sich nicht beeinträchtigt gezeigt, im Verlauf des ausführlichen Anamnesegespräches hätten sich keine relevanten Störungen von Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit feststellen lassen. Inhaltliche oder formale Denkstörungen hätten nicht bestanden. Im Rahmen der Verhaltensbeobachtung während der neuropsychologischen Untersuchung habe sich die Klägerin ängstlich, jedoch durchaus schwingungsfähig und auch humorvoll gezeigt. Es habe eine im Vergleich zur Altersnorm niedrige intellektuelle Leistungsfähigkeit sowie eine vorsichtige und langsame Bearbeitung der Testverfahren bestanden. Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit hätten sich nicht gezeigt. In der Zusammenschau sei objektiv keine relevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit erkennbar. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besondere Anforderungen an sprachliche Fähigkeiten und ohne besondere Verantwortung seien der Klägerin sechs Stunden und mehr zuzumuten. Die beschriebene Schwindelsymptomatik sei nicht zu objektivieren und in der Verhaltensbeobachtung bei Ablenkung auch nicht feststellbar gewesen. Aus dem vollständig ausgeschalteten Aneurysma persistierten keine neurologischen Residuen und auch keine kognitiven Störungen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Im neuropsychologischen Zusatzgutachten ist zusammenfassend dargelegt, dass keine Leistungsdefizite in den Leistungsbereichen der Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit bestünden. Die beobachtete, sehr vorsichtige und ängstliche Herangehensweise an die gestellten einfachen Aufgaben lasse sich aus neuropsychologischer Sicht abbauen, wenn die Klägerin in eine einfache berufliche Tätigkeit eingegliedert werde, sobald dies aus fachärztliche sicher möglich sei.

In der Zeit vom 6. Februar bis 13. März 2019 ist eine stationäre Rehabilitation in der M-Klinik durchgeführt worden. Der Entlassungsbericht hat als Diagnosen eine mittelgradige depressive Episode, eine dissoziative Störung, nicht näher bezeichnet, eine Migräne, nicht näher bezeichnet, Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet, eine Lordose, nicht näher bezeichnet, sowie Schwindel und Taumel benannt. Die Leistungsfähigkeit ist als Reinigungskraft auf unter drei Stunden, für den allgemeinen Arbeitsmarkt auf sechs Stunden und mehr eingeschätzt worden. Zum Tagesablauf hat die Klägerin berichtet, dass sich dieser unregelmäßig gestalte. Sie versuche, einige leichte häusliche Arbeiten zu erledigen, beim Kochen und Putzen müsse sie Pausen einlegen. Zu ihren Verwandten bestehe nur wenig Kontakt, die meiste Zeit des Tages ziehe sie sich zurück und verbringe die Zeit liegend im Bett. Die Klägerin sei im Aufnahmegespräch wach, örtlich, zeitlich, zur Person und situativ voll orientiert gewesen. Auffassung und Gedächtnis seien nicht beeinträchtigt. Merkfähigkeit und Konzentration schienen beeinträchtigt. Im Affekt sei sie depressiv und ängstlich gewesen, jedoch sei die affektive Schwingungsfähigkeit noch in Grenzen erhalten und auslenkbar. Die Ängste bezögen sich vor allem auf ihre Zukunft, es bestünden außerdem Hinweise auf Ängste bezüglich ihrer körperlichen Schmerzen. Deutliche Hinweise hätten sich auf Beeinträchtigungen von Antrieb und Psychomotorik ergeben, aber kein Anhalt für eine manifeste Zwangsstörung. Der formale Gedankengang sei geordnet, es fielen keine Störungen des Ich-Erlebens oder der Wahrnehmung auf. Günstige Bewältigungsstrategien hätten nicht erlernt werden können, die Angst vor Verschlimmerung der Erkrankungen, die chronischen Schmerzen sowie die fehlende berufliche Perspektive trügen zur Aufrechterhaltung der depressiven Symptomatik bei. Hinsichtlich der testpsychologischen Befunde stimme die Verschlechterung der Entlassungswerte nicht mit dem klinischen Eindruck überein. Diese sei möglicherweise auf die Ängste bezüglich der Alltagsbewältigung zurückzuführen. In den Einzelgesprächen sei eine Konzentration auf eine weitgehende Stabilisierung und einen Ressourcenaufbau erfolgt. In der muttersprachlich geführten Einzel- und Gruppentherapie habe sich die Klägerin etwas öffnen und von ihren kritischen Lebens-ereignissen berichten können. Die depressive Stimmung habe sich etwas gebessert, weiterhin werde der Aufbau angenehmer Aktivitäten, die Aufrechterhaltung der Tagesstruktur sowie die Stärkung der Selbstwirksamkeit, des Selbstwertes und der Selbstfürsorge angestrebt. Aus somatischer Sicht sei der Verlauf ohne Komplikationen gewesen. Durch eine medikamentöse Umstellung auf Sertralin und Amitriptylin habe eine ausreichende Reduktion der depressiven Symptomatik erzielt werden können. Weitere psychiatrische Kontrollen seien empfehlenswert. Durch den Kontakt mit den Mitrehabilitanden habe sich der soziale Rückzug gebessert, ebenso die depressive Symptomatik. Die Klägerin sei mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung nicht einverstanden gewesen, sondern sehe sich als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht leistungsfähig an.

Anschließend hat das SG von Amts wegen das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des V aufgrund ambulanter Untersuchung vom 28. Mai 2019 unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erhoben. Diesen gegenüber hat die Klägerin angegeben, dass ihr wegen der Kopf- und Augenschmerzen das Lesen schwer falle, auch Fernsehen sei schwierig. Früher habe sie viele Freunde gehabt, inzwischen so gut wie keine mehr. Sie werde zu Hochzeiten eingeladen, gehe auch hin, bleibe aber nicht allzu lange. Nach der Rehabilitation hätten sich die Kopfschmerzen noch intensiviert, sie lege sich hin und könne nicht aufstehen. Die Schmerzen seien im ganzen Kopf lokalisiert, es bestehe dann eine Lärm-, aber keine Lichtempfindlichkeit. Sie bemerke eine Sehschwäche, wegen der sie nicht mehr Auto fahren könne. Die Medikation aus der Klinik sei fortgeführt, die letzten zwei Tage aber nicht eingenommen worden, da sie zu Müdigkeit führe. Jeden Tag werde ein Medikament gegen die Kopfschmerzen eingenommen, mutmaßlich Ibuprofen. Eine physikalische Therapie werde nicht absolviert, die Psychiaterin alle 15 Tage besucht. Sie stehe um 10 oder 11 Uhr auf, nachdem sie am frühen Morgen nochmals etwas geschlafen habe und frühstücke dann. Es sei ihr schon passiert, dass sie das Wasser auf dem Herd vergessen habe, es habe Brandgefahr bestanden. Anschließend sitze sie oder bemühe sich zu kochen. Sie räume das Wohnzimmer auf und versuche, die Küche sauber zu machen. Ihr Mann oder ihre Nichte begleiteten sie zum Einkaufen. Sie habe Angst und könne nicht mehr Auto fahren, obwohl Hausarzt und Therapeut ihr dazu rieten. Ansonsten langweile sie sich über den Tag, sie schaue zwar fern, aber eher so, als wie wenn sie auf einen leeren Bildschirm schaue. Nach dem Abendessen sehe sie erneut fern und liege auf der Couch. 2017 sei sie zum letzten Mal in der Türkei gewesen, die AOK erlaube ihr nicht zu reisen, weil sie derzeit Krankengeld erhalte und ihr die Leistungen gekürzt würden, wenn sie verreise.

Im psychischen Befund sei der Kontakt zurückhaltend gewesen, die Fragen seien oft zögerlich beantwortet worden. Ihre Stimmung habe sie als wechselhaft beschrieben, gelegentlich könne sie sich aber auch freuen. Die emotionale Schwingungsfähigkeit erschiene nur leicht eingeschränkt. Bei der Frage nach Zwängen oder Halluzinationen habe sich eine offensichtliche Suggestibilität ergeben. Hinsichtlich Zwängen habe die Klägerin berichtet, immer wieder Handtasche und Herd kontrollieren zu müssen, dies zunächst nur ein bis zweimal, dann schließlich zahlreiche Kontrollen nacheinander angegeben, deren Anzahl sie nicht mehr habe nennen können. Bei der psychischen Befunderhebung hätten ebenfalls Hinweise auf eine Suggestibilität bestanden. So seien optische Halluzinationen sehr wechselnder Ausprägung beschrieben worden. Die Klägerin habe von Menschen berichtet, die sie in der Wohnung sehe, wenn sie alleine sei, dann von großen Tieren, zuletzt von kleinen Ameisen, die sie auf Büchern sehe. Die Schilderungen seien mit optischen Halluzinationen nicht vereinbar. Die beschriebenen wechselnden Symptome seien weder für Zwänge noch für Halluzinationen typisch. Der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome sei hochgradig auffällig für eine betonende Darstellung der Beschwerden oder eine Aggravation gewesen. Bei der körperlichen Untersuchung habe die Klägerin eine durchgehende Wechselinnervation bei der Prüfung der Kraft sowohl an den oberen als auch unteren Extremitäten demonstriert, was als Betonung der Beschwerden oder Aggravation zu werten sei.

In der Untersuchung hätten sich keine Hinweise auf ausgeprägte kognitive oder mnestische Defizite ergeben. Die Auffassung erscheine ungestört, der Antrieb habe nicht reduziert gewirkt. Die Psychomotorik sei ruhig, die Klägerin erscheine nicht schmerzgeplagt. Sie berichte von Ängsten vor dem Alleinsein, sonstige Ängsten verneine sie. Es ergäben sich keine eindeutigen Hinweise auf eine Wahn- oder Ich-Störung oder eine Sinnestäuschung, Suizidgedanken verneine sie. In der psychischen Untersuchung habe sich nur eine leicht eingeschränkte emotionale Schwingungsfähigkeit gezeigt. Immer wieder sei es der Klägerin möglich gewesen zu lächeln.

Eine schwere depressive Erkrankung liege sicher nicht vor. Da eine Betonung der Beschwerden unübersehbar gewesen sei, könne die Ausprägung der depressiven Störung nur unsicher beurteilt werden. Sie erscheine leicht, allenfalls mittelgradig ausgeprägt. Der neurologische Befund hinsichtlich der geklagten Kopfschmerzen sei unauffällig gewesen, gleichfalls das EEG. Die Diagnose sei nur aus der Schilderung der Beschwerden abgeleitet worden. Der Verschluss des Aneurysmas habe zu keinen residuellen Störungen geführt. Die rezidivierende depressive Störung sei mit einem GdB von 30 zu bewerten. Nach Angaben der Klägerin liege ein sozialer Rückzug mit Aufgabe des Freundeskreises vor. Der Gesamt-GdB sei auf 40 einzuschätzen. In diagnostischer Hinsicht ergäben sich keine wesentlichen Abweichungen zu den Beurteilungen der behandelnden Ärzte. Die M-Klinik berichte eine mittelgradige depressive Episode, daneben auch eine dissoziative Störung. Eine solche sei jetzt nicht mehr auffällig gewesen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. April 2020 abgewiesen. Für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ sei von einem Teil-GdB von 40 auszugehen, da die Klägerin unter einer rezidivierenden depressiven Störung leide, die leicht bis allenfalls mittelgradig ausgeprägt sei sowie einem Kopfschmerzsyndrom. Aufgrund der wechselnden Ausprägung der depressiven Erkrankung und der Kopfschmerzen sowie der aggravierenden Angaben lasse sich insgesamt allenfalls ein GdB von 40 rechtfertigen. Schwankungen im Gesundheitszustand sei mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Schwierigkeiten bei der Beweiserhebung bei ausgeschöpften Ermittlungsmöglichkeit, die aus den zweifelhaften Angaben der Klägerin resultierten, seien im Rahmen der Regeln der materiellen Beweislast dieser zuzurechnen. Neurologische Einschränkungen aufgrund des 2015 operierten Aneurysmas bestünden nicht. Schulterbeschwerden könnten nicht berücksichtigt werden, da S eine altersentsprechende Beweglichkeit beschrieben habe. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Ein höherer Gesamt-GdB als 40 ergebe sich daher nicht.

Gegen den am 5. Mai 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5. Juni 2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Das Sachverständigengutachten aus dem Rentenverfahren habe dem Verfahren nicht zugrundegelegt werden dürfen, da die gutachterliche Fragestellung hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit ganz anderen Grundsätzen folge, als die gutachterliche Beurteilung des GdB. Zudem habe das SG ihr zur Last gelegt, dass sie bei dieser Begutachtung andere Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht habe. Er sei vollkommen normal, dass sich Gesundheitsstörungen im Lauf der Zeit ändern könnten. Das SG habe zudem überhaupt nicht berücksichtigt, dass sie der deutschen Sprache kaum mächtig sei, die Begutachtungssituation auch im Beisein eines Dolmetschers deutlich erschwerter wäre und sich hieraus erst recht unterschiedliche Angaben zum Gesundheitszustand und zu den Beschwerden ergeben könnten. Nach Häufigkeit, Intensität und Dauer sei die mit Spannungskopfschmerzen gemischte Migräne mit einem Teil-GdB von wenigstens 30 zu bewerten. Die Sachverständigengutachten von A und V berücksichtigten in keiner Weise die kulturellen und religiösen Besonderheiten von Migranten aus dem kleinasiatischen Raum, sondern interpretierten die kulturspezifische Besonderheiten in Verhalten und Ausdrucksweise vielmehr als Übertreibung bzw. Vortäuschung von Beschwerden. Aus diesem Grund komme dem Rehabilitationsbericht der M-Klinik, welche über ein spezielles Migrantenkonzept verfüge, besondere Bedeutung zu. Die dort erhobenen Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer dissoziativen Störung fänden bei V keine ausreichende Würdigung, ebenfalls fehle es an einer hinreichenden Begründung, warum deren Diagnostik nicht gefolgt werde.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 26. Juni 2016 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 5. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2018 einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 9. Dezember 2016 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verweist auf die seines Erachtens zutreffende angefochtene erstinstanzliche Entscheidung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 24. April 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB unter Abänderung des Bescheides vom 26. Juni 2017 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides (§ 86 SGG) vom 5. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 11. Mai 2018 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 26. Juni 2017 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 5. März 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie kann die Feststellung eines höheren GdB als 40, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat, nicht beanspruchen. Auch nach Überzeugung des Senats tragen weder die Ergebnisse der erhobenen Sachverständigengutachten noch der Entlassungsbericht der M-Klinik eine abweichende Einschätzung.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Soweit der Antrag sich auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 bezieht, richtet sich der Anspruch nach den in diesem Zeitraum geltenden gesetzlichen Vorgaben (vgl. §§ 69 SGB IX ff. a. F.), nach denen ebenso für die Bewertung des GdB die VersMedV und die VG die maßgebenden Beurteilungsgrundlagen waren.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB mit 40 nicht rechtswidrig zu niedrig festgestellt ist.

Soweit der Antrag ursprünglich unter Vorlage der Unterlagen über die Coil-Embolisation des Aneurysmas begründet worden ist, lässt sich im Funktionssystem „Herz und Kreislauf“ hieraus kein Teil-GdB von wenigstens 20 ableiten.

Nach den VG, Teil B, Nr. 9.2.2 ist der GdB nach größeren gefäßchirurgischen Eingriffen (z.B. Prothesenimplantation) mit vollständiger Kompensation einschließlich Dauerbehandlung mit Antikoagulantien ein GdB von 20 anzunehmen. Aneurysmen ohne oder mit nur geringer lokaler Funktionsstörung mit Einschränkung der Belastbarkeit sind mit einem GdB von 20 bis 40, große Aneurysmen mit einem GdB von 50 zu bewerten.

Dass bei der Klägerin bestehende ACI-Aneurysma konnte mittels Coil-Embolisation erfolgreich behandelt werden, wie der Senat dem Entlassungsbericht der Klinik für Neurologie des Uklinikums T entnimmt, den er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet. Eine medikamentöse Dauerbehandlung wird nicht beschrieben. Die Kontroll-MRT vom 5. Juni 2018 hat keinen abweichenden Befund ergeben, zuletzt hat der Sachverständige V residuelle Störungen infolge des Aneurysmas überzeugend ausgeschlossen. Weiter hat er herausgestellt, dass sich für die geklagten Kopfschmerzen, deren Intensität von der Klägerin stetig zunehmend beschrieben wird, weder ein neurologisches Korrelat fand noch Auffälligkeiten im EEG festzustellen gewesen sind. Da sich bei einem operierten Aneurysma die Beurteilung nach dem verbliebenen Zustand zu richten hat und nicht nach dessen ursprünglicher Größe (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2018 – L 8 SB 3021/17 –, juris, Rz. 35), kommt es auf die ursprüngliche Lage und Größe des Aneurysmas nicht an. Der Folgezustand rechtfertigt einen Teil-GdB von 20 jedenfalls nicht.

Aus Vorstehendem folgt gleichzeitig, dass eine Berücksichtigung der geklagten Kopfschmerzen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nicht in Betracht kommt. Dieses ist insgesamt nur mit einem Teil-GdB von maximal 30 zu bewerten.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Nach diesen Maßstäben liegt bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats keine mehr als im unteren Bereich des Bewertungsrahmens anzusiedelnde stärker behindernde Störung vor. Zwar nennt der im Wege des Urkundsbeweises zu verwertende Entlassungsbericht der M-Klinik als Diagnose eine mittelgradige depressive Episode, indessen lässt sich diesem aber auch entnehmen, dass dieser erfolgreich mit einer medikamentösen Behandlung begegnet werden und der geklagte soziale Rückzug durch die Teilnahme an den Therapiemaßnahmen abgebaut werden konnte. Somit ist deutlich zu Tage getreten, dass die Symptomatik jedenfalls einer Behandlung zugänglich gewesen ist. Korrespondierend hierzu hat die Klinik das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin auf mehr als sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschätzt und damit sogar besser als zuvor die Rklinik K, die dieses noch bei drei bis unter sechs Stunden gesehen hat. Während der Behandlung hat kein Anhalt für eine manifeste Zwangssymptomatik gesichert werden können, die testpsychologische Verschlechterung des Befundes zum Entlassungszeitpunkt war mit der klinischen Symptomatik nicht zu vereinbaren. Dementsprechend ist weiter festgehalten worden, dass die Klägerin mit der Leistungsbeurteilung nicht einverstanden war, sondern selbst für sich kein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sieht.

Die fehlende Objektivierbarkeit der geklagten Einschränkungen wird durch die Untersuchungsergebnisse des V nochmals unterstrichen. Dieser hat überzeugend herausgearbeitet, dass weder die geklagten Halluzinationen noch die geschilderten Zwangssymptome eine entsprechende Diagnosestellung gerechtfertigt haben, da diese unspezifisch, von Suggestibilität geprägt und zu den jeweiligen Krankheitsbildern nicht passend gewesen sind. Der strukturierte Fragebogen simulierter Symptome zeigte damit einhergehend hochgradige Auffälligkeiten, sodass V nachvollziehbar auf eine betonende Darstellung der Beschwerden bis hin zu einer Aggravation geschlossen hat. Was den eigentlichen psychischen Befund anbelangt, ist in seiner Untersuchung die Auffassung ungestört gewesen, der Antrieb wirkte nicht reduziert. Bei emotional eingeschränkter Schwingungsfähigkeit war es der Klägerin immer wieder möglich zu lächeln. Hinweise für ausgeprägte kognitive oder mnestische Defizite ergaben sich nicht. Hinsichtlich der Medikation hat die Klägerin zwar berichtet, diese nach der Rehabilitation fortgeführt, indessen zwei Tage vor der Untersuchung abgesetzt zu haben. Selbst unter pausierter Medikation hat der Sachverständige somit einen schwergradigen psychischen Befund ausdrücklich verneint. Daneben lassen die Angaben der Klägerin durchaus erkennen, dass diese ihren Tagesablauf strukturieren kann und zur Verrichtung von Haushaltstätigkeiten ebenso in der Lage ist wie mit dem Ehemann oder der Nichte Einkäufe zu erledigen. Dass gesundheitliche Gründe sie daran hindern sollten Auto zu fahren, ist in keiner Weise belegt, sondern schon deshalb nicht glaubhaft, da sie selbst erzählt hat, dass Hausarzt und Therapeut ihr dazu rieten, wieder Auto zu fahren. Daneben hat sie angegeben, tagsüber Fernsehen zu schauen, sodass eine Mediennutzung belegt ist. Letztlich lässt sich den Ausführungen entnehmen, dass sich die Klägerin keineswegs aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert sieht, eine Reise in die Türkei zu unternehmen, sondern lediglich deshalb, um den Krankengeldbezug von der Krankenkasse nicht zu gefährden. In diesem Zusammenhang entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des V nämlich, dass die AOK die Leistungen kürzt, wenn sie in Urlaub fährt, sie darauf nicht nur ihr Verhalten einstellen konnte, sondern dies der einzige Grund für ihr geändertes Urlaubsverhalten war. Denn gegenüber dem Sachverständigen A, dessen Sachverständigengutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, hat die Klägerin noch beschrieben, im letzten Jahr im Türkei-Urlaub gewesen zu sein und dass eine erneute Reise unmittelbar bevorstehe, worauf sie sich freue. Die gesundheitliche Fähigkeit der Klägerin zur Unternehmung von Fernreisen wird dadurch untermauert, was ebenfalls gegen eine Höherbewertung des Teil-GdB spricht.

Im Übrigen hat A bei seiner Untersuchung relevante Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ebenfalls verneint und ebenso wie V weder die geklagte Schwindelsymptomatik objektivieren können noch kognitive Störungen. Soweit die M-Klinik dissoziative Störungen lediglich als Diagnose benennt, sind schon keine tragenden Befunde mitgeteilt worden und solche konnten von V gerade nicht erhoben werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin war das Sachverständigengutachten des A uneingeschränkt zu verwerten, da es auf dessen medizinische Feststellungen ankommt und nicht auf seine Rückschlüsse, die er hieraus auf das berufliche Leistungsvermögen zieht. Es geht daher fehl, wenn die Klägerin meint, das Sachverständigengutachten könne deshalb nicht berücksichtigt werden, weil in der gesetzlichen Rentenversicherung andere Bewertungsmaßstäbe gelten würden.

Letztlich stellt der Senat nicht in Abrede, dass es im Laufe des Verfahrens zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen kann. Eine solche Verschlechterung muss jedoch durch medizinische Befunde objektiviert werden, um für die GdB-Einschätzung von Relevanz zu sein. Allein der Umstand, dass die Klägerin das Beschwerdevorbringen bis zur Unglaubwürdigkeit (vgl. das Sachverständigengutachten des V) ausweitet, belegt eine solche Verschlechterung nicht. Dass die Klägerin mit der Bewertung der Rklinik, die ihr ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert hat, nicht konform geht, belegt eine Verschlechterung ebenso wenig. Im Übrigen werden die Untersuchungsergebnisse der Sachverständigen, die diese aufgrund ihrer medizinischen Sachkunde erhoben haben, nicht dadurch relativiert, dass bei der Untersuchung ein Dolmetscher anwesend war um die Kommunikation bei der Untersuchung zu gewährleisten.

Daneben ist im Funktionssystem „Rumpf“ (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.9) kein höherer Teil-GdB als 10 gegeben, nachdem keine relevanten Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule beschrieben worden sind. Vielmehr hat der G nur eine eingeschränkte Beweglichkeit des Halses angegeben. S hat die Beweglichkeit der HWS lediglich in der Rotation nach rechts als eingeschränkt beschrieben und somit nur in eine Richtung. Eine wenigstens mittelgradige Funktionseinschränkung in einem Wirbelsäulenabschnitt folgt daraus nicht. Neurologische Auffälligkeiten konnte V bei seiner Untersuchung nicht sichern, sondern hat nur darauf hingewiesen, dass die demonstrierte Wechselinnervation bei der Prüfung der groben Kraft als Betonung der Beschwerden oder Aggravation zu werten ist.

Letztlich kommt im Funktionssystem „Arme“ kein weiterer Teil-GdB in Betracht, nachdem S eine altersentsprechen freie Beweglichkeit der Schultern befundet hat, sodass eine GdB-Relevanz (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.13) ausscheidet.

Der Gesamt-GdB ist daher aus dem Teil-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zu bilden und mit 40 somit keinesfalls rechtswidrig zu niedrig festgestellt. Selbst wenn im Funktionssystem „Herz und Kreislauf“ weiterhin von einem Teil-GdB von 20 ausgegangen würde (vgl. der versorgungsärztlichen Stellungnahmen der U1 und B2), ergäbe sich keine andere Bewertung, da ein Teil-GdB von 40 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ gerade nicht erreicht wird (vgl. oben).

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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