L 6 VG 2740/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 VG 2012/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 2740/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Gegen das Bestehen einer schädigungsbedingten PTBS spricht, wenn der Geschädigte im Strafverfahren ohne Weiteres ausführliche Angaben zum Tathergang machen konnte und sich damit der stärksten denkbaren psychsichen Belastung, der direkten Konfrontation mit dem Täter und dem damit verbundenden Ereignis im Gerichtssaal, stellen konnte.
2. Die Nichtinanspruchnahme einer psychiatrischen oder psychischen Behandlung ist ein gewichtiges Zeichen dafür, dass eine Schädigungsfolge zur Ausheilung gekommen ist.
3. Die Wiederaufnahme einer Behandlung nach einem Hinweis des Gerichts hinsichtlich der Bedeutung einer Therapie für Versorgungsansprüche, legt Versorgungswünsche als eigentlichen Grund für die Wiederaufnahme der Behandlung nahe.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Tatbestand


Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren nach zwischenzeitlicher Unterbrechung von 2008 bis 2016 noch die erneute Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) i. V. m. dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG) nach einem Grad der Schädigung (GdS) von 30 aufgrund einer am 1. September 2006 versuchten Vergewaltigung.

Sie ist 1957 geboren. Nach Abschluss der Hauptschule machte sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau und später zur Industriefachwirtin, in diesem Beruf arbeitet sie überwiegend im Einkauf. Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber ist sie seit März 2004 beschäftigt. 1982 hat sie geheiratet, die Ehe wurde im April 2005 geschieden, ihr ehemaliger Ehemann wohnt mit ihr noch im selben Haus. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, die ebenso noch im selben Haus wohnen (vgl. Sachverständigengutachten des W und des S). 

Am 16. April 2007 stellte die Klägerin beim Landratsamt O (LRA) einen ersten Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Als zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen gab sie eine Beeinträchtigung der Rotation und Abduktion der linken Schulter, Schmerzen in der rechten Schulter und psychische Beschwerden an. Ursächlich hierfür sei ein Überfall, eine versuchte Vergewaltigung am 1. September 2006, bei dem an ihrer linken Schulter das Labrum zerrissen sei, es habe genäht und fixiert werden müssen.

Zur Vorlage kam das Urteil des Amtsgerichts Schwäbsich Gmünd (AG) vom 20. Dezember 2006 – 3 Ls 16 Js 19149/06 HW – durch das der damals achtzehnjährige Schädiger wegen sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden war. Hieraus ergab sich, dass der Schädiger am 1. September 2006 gegen 19.20 Uhr, als er mit dem Fahrrad unterwegs gewesen sei, die Klägerin beim Joggen angetroffen habe. Er habe diese zunächst heftig und schon in sexueller Absicht auf das Gesäß geschlagen, die Klägerin habe zu ihm gesagt, er solle sich „verpissen“. Hierauf habe er sich zunächst von dieser entfernt, sei dann aber zurückgekehrt und habe die sich heftig wehrende Klägerin in den Straßengraben gezerrt und gestoßen. Er habe sich auf diese gelegt und ihr die Hand auf Mund und Nase gepresst, um ihre Schreie zu verhindern. Nachdem er der Klägerin an deren Brustwarzen geleckt und erfolglos einen Zungenkuss versucht hatte, setzte er sich rücklings auf sie, öffnete seine Hose und forderte diese auf, sein Geschlechtsteil in die Hand zu nehmen. Als zufällig ein Passant vorbeigekommen sei, habe er von der Klägerin abgelassen und gegenüber diesem angegeben, die Klägerin habe von ihm Sex gegen 10 € verlangt. Die Klägerin habe Hautabschürfungen und Prellungen im Gesichtsbereich, am Hals und der Schulter sowie Kratzer am Rücken erlitten. Sie sei zwei Wochen arbeitsunfähig gewesen, habe sich wegen Schmerzen an der Schulter einer Operation unterziehen und wegen psychischer Beschwerden in ärztliche Behandlung begeben müssen. Sowohl bei dieser Strafverhandlung wie bei der nachfolgenden Berufungsverhandlung machte die Klägerin als Nebenklägerin ausführliche Angaben zum Tatablauf.

Aus der fachärztlichen Bescheinigung des J (Gemeinschaftspraxis J, V), , ergab sich die erstmalige Vorstellung der Klägerin am 27. September 2006 und die operative arthroskopische Versorgung der linken Schulter am 18. Oktober 2016, bei der eine Labrumläsion festgestellt worden sei. Von einem Dauerschaden i. S. e. eingeschränkten Abduktion und Außenrotation sei auszugehen. Ein traumatisches Ereignis habe die Klägerin nicht angegeben.

Der K berichtete von der Behandlung der Klägerin am 11. September 2006, bei der sie von einer tätlichen Auseinandersetzung am 1. September 2006 erzählt habe, bei der ihre rechte Schulter verletzt worden sei. Aus der klinischen und radiologischen Untersuchung habe sich eine schmerzhafte Distorsionsverletzung der rechten Schulter ohne Hinweis auf eine knöcherne Verletzung ergeben.

Die H teilte die Behandlung der Klägerin seit dem 6. September 2006 mit, die als Notfall nach einer versuchten Vergewaltigung aufgenommen worden sei. Beim Erstkontakt sei eine akute Belastungsreaktion, inzwischen eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert worden.

Die Heilmittelverordnung bereits vom 22. Dezember 2005 über eine Elektrotherapie und Massagen nannte als Diagnose eine adhäsive Entzündung der linken Schultergelenkkapsel.

J teilte mit, die Beweglichkeit der Schultergelenke habe am 15. Oktober 2007 Abduktion/Adduktion links 120-0-20°, rechts 110-0-20° und Außenrotation/Innenrotation (adduzierter Arm) links 40-0-90°, rechts 30-0-90° betragen.

Versorgungsärztlich führte W1 aus, im linken Schultergelenk habe ein Vorschaden bestanden, der durch das schädigende Ereignis verschlimmert worden sei. Nach der Prellung bzw. Verstauchung des rechten Schultergelenks bestünden noch Schmerzen, die erfahrungsgemäß weiter abklängen. Bei einer psychoreaktiven Störung erfolge seit dem 6. September 2006 bis wahrscheinlich Ende 2007 eine psychotherapeutische Behandlung. Zusammenfassend könne ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Beeinträchtigung sowie den beidseitigen Schulterschmerzen mit dem schädigenden Ereignis bejaht werden. Für die psychoreaktive Störung werde die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 vom Hundert (v. H.), für das rechte Schultergelenk mit 10 v. H. und für das linke Schultergelenk mit 20 v. H., wobei der Verschlimmerungsanteil 10 v. H. betrage, geschätzt. Die Gesamt-MdE sei mit 20 v. H. zu bewerten.

Durch Erstanerkennungsbescheid vom 25. März 2008 stellte das LRA fest, dass die Klägerin am 1. September 2006 Opfer einer Gewalttat i. S. d. OEG geworden sei und erkannte als Schädigungsfolgen eine psychoreaktive Störung und schmerzhafte Bewegungseinschränkungen im rechten sowie im linken Schultergelenk an. Der dadurch bedingte GdS betrage 20, ein Anspruch auf Beschädigtengrundrente bestehe demnach nicht. Für die anerkannten Schädigungsfolgen habe die Klägerin einen Anspruch auf Heilbehandlung.

Gegen die Feststellung eines GdS von 20 erhob die Klägerin Widerspruch, der GdS sei zu gering bewertet, er müsse mindestens 30 betragen.

Im Widerspruchsverfahren kam insbesondere die nervenfachärztliche Stellungnahme der N vom 23. Juni 2008 zu Vorlage, wonach die PTBS nicht hinreichend bewertet worden sei. Es handele sich um eine bereits mehr als sechs Monate andauernde Störung, die mit Nachhalleffekten, „flash-backs“, ausgeprägter Störanfälligkeit und Ängstlichkeit im öffentlichen Verkehr einhergehe. Die Klägerin könne den Ort der Tat kaum passieren, ohne wieder in Angst und Panik zu verfallen; bedrohlich sei auch, dass der Täter bald aus dem Gefängnis entlassen werde, und die Klägerin nicht wisse, wie er reagieren werde.

Versorgungsärztlich schlug G2 für die psychischen Beeinträchtigungen bis zum Abschluss der Psychotherapie im April 2008 einen GdS von 25 und damit einen Gesamt-GdS von 30 vor.

Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2008 bezeichnete der Beklagte die festgestellten Schädigungsfolgen als „Psychoreaktive Störung. Schmerzhafte Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk – hervorgerufen -“ und „Schmerzhafte Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk“ i. S. der Verschlimmerung. Der GdS betrage vom 1. September 2006 bis zum 30. April 2008 30 und ab dem 1. Mai 2008 20. Über die im Zeitraum vom 1. September 2006 bis zum 30. April 2008 zustehenden Leistungen erhalte die Klägerin vom LRA einen entsprechenden Bescheid.

Das LRA gewährte der Klägerin durch Ausführungsbescheid vom 30. Oktober 2008 daraufhin ab dem 1. September 2006 bis zum 30. April 2008 eine Beschädigtengrundrente nach einem GdS von 30.
Am 21. November 2008 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Ulm (SG – S 8 VG 4090/08) Klage, mit der sie die Gewährung einer Beschädigtengrundente nach einem GdS von 30 über den 1. Mai 2008 hinaus verfolgte.

Das SG erhob bei W aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 27. Januar 2010 ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten. Bei der Klägerin habe eine Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen ängstlich-depressiven Symptomatik vorgelegen und zudem eine diskrete Restsymptomatik einer PTBS, die durch den tätlichen Angriff vom 1. September 2006 verursacht worden seien. Die psychoreaktive Störung sei ab dem 1. September 2006 mit einem GdS von 30, ab dem Ende der Psychotherapie zum 1. Mai 2008 mit einem GdS von 10 zu bewerten. Unter Berücksichtigung des anerkannten GdS für das rechte Schultergelenk und des GdS von 10 für die Verschlimmerung des linken Schultergelenks betrage der Gesamt-GdS 10. Ein fachärztlich-orthopädisches Sachverständigengutachten sei erforderlich, da bislang lediglich Auskünfte des behandelnden Orthopäden vorlägen.

Während der Schilderung des Tathergangs sei es immer wieder zu Weinausbrüchen gekommen, die Klägerin müsse noch häufig an die Tat denken, der Täter wohne eine Ortschaft weiter, mehrmals habe sie schon seinen Vater gesehen. Der Täter sei bis zum 23. Dezember 2008 in Haft gewesen. Nachdem er im Juli 2009 die Lebensgefährtin seines Vaters mit einer Kettensäge angegriffen habe, sei er wieder in Haft. Manchmal träume sie von der Tat, sei insgesamt sehr schreckhaft, in der Konzentration massiv gemindert und fühle sich insgesamt nicht mehr so belastbar. Eine psychologische Behandlung mache sie aktuell nicht mehr, sie sei der Überzeugung, man müsse den Täter therapieren. Sie habe ein Vermeidungsverhalten entwickelt, begebe sich nicht mehr in Gefahr und versuche, Absicherungsmaßnahmen zu treffen, führe etwa beim Nordic Walking ein Pfefferspray mit sich. Sie stehe um 5:45 Uhr auf und fahre nach dem Frühstück zu ihrer Arbeitsstelle. Abends habe sie gegen 17:00 Uhr Feierabend und erledige dann manchmal Einkäufe und bewältigte ihren Haushalt. Im Sommer gehe sie schwimmen, sie habe eine Saisonkarte für das Freibad, mache zwischenzeitlich auch Nordic Walking wieder, laufe jedoch eine andere Wegstrecke, die Angst laufe immer mit. Die Klägerin sei wach, zur Person, Ort und Zeit sowie Situation orientiert gewesen, Störungen der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses hätten nicht bestanden. Die Stimmungslage sei leicht zum depressiven Pol hin herabgestimmt, die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten gewesen. Es habe ein etwas erhöhtes Anspannungs- und Erregungsniveau bestanden. Die sozialen Kontakte der Klägerin seinen intakt gewesen, eine Partnerbeziehung sei sie seit der Tat nicht eingegangen, da sie misstrauisch gegenüber Männern geworden sei. In Zusammenschau von Exploration, Untersuchung und Verhaltensbeobachtung seien die beklagten psychischen Beschwerden nachvollziehbar und glaubhaft gewesen, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hätten sich jedoch keine wesentlichen Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens und der sozialen Partizipation durch die vorliegende leicht- bis mittelgradige depressive-ängstliche Symptomatik gezeigt.

Im Weiteren erhob das SG das Sachverständigengutachten des K1 auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 26. August 2010. Als Folgen der Schädigung sei es zu einem Muskelfaserriss Muskelbau des M. supraspinatus und zu einem Abriss im Bereich des oberen Labrums an der Schulterpfanne i. S. e. SLAP II-Läsion gekommen. Der GdS für die schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter habe vom 1. September 2006 bis zum 30. November 2006 10 und ab dem 1. Dezember 2006 0 und für die schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der linken Schulter ab dem 1. September 2006 auf Dauer 10 betragen, der Gesamt-GdS unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens des W vom 1. September 2006 bis zum 30. April 2008 30 und ab dem 1. Mai 2008 auf Dauer 10. Die Beweglichkeit der Schultergelenke sei Arm seitw./körperw. aktiv rechts 160-0-30°, links 165-0-30°, Arm rückw./vorw. aktiv rechts 40-0-165°, links 40-0-165°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm anliegend) rechts 45-0-95°, links 55-0-95°, Arm ausw./einw. (Oberarm 90° seitw. abgeh.) rechts 45-0-45°, links 45-0-60° gewesen. Von der Tat unabhängig habe im Bereich der rechten Schulter eine erhebliche Degeneration sowie ein chronisches Impingement-Syndrom bestanden. Die tatunabhängigen Vorschäden hätten wesentlich überwogen. Die Folgen der Schädigung seien aufgrund ihrer Lokalisation als zeitweise vorübergehende Verschlimmerung der Vorschäden zu beurteilen, in diesem Zeitraum von längstens drei Monaten mit einem Anteil von 50 v. H..

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhob das SG im Weiteren das fachorthopädische und rheumaorthopädische Sachverständigengutachten des S1 vom 25. Februar 2011. Demnach habe die Klägerin aufgrund des tätlichen Angriffs am 1. September 2006 einen Defektzustand der linken Schulter nach traumatischer Läsion des Labrum glenoidale i. S. e. SLAP II-Läsion sowie eine partielle Zerreißung des M. supraspinatis mit nachfolgender operativer Versorgung und Labrumrefixation sowie einen Verdacht auf (V. a.) eine Labrumläsion der rechten Schulter erlitten. Der GdS für die Schädigung der linken Schulter betrage 20 und für die der rechten Schulter 10, jeweils ab dem 1. September 2006, der Gesamt-GdS 20 ab dem 1. September 2006. Die von der Tat unabhängige verschleißbedingte Veränderung des Schultereckgelenks sowie die Tendinose der Rotatorenmanschette einschließlich der relativen subacrominalen Enge, welche bei über 90 % aller im MRT untersuchten Personen diagnostiziert werde, sei für die Bewertung des bestehenden Zustands nicht relevant. Die Beweglichkeit der Schultergelenke habe Arm seitw./körperw. rechts 120-0-30°, links 120-0-30°, Arm rückw./vorw. rechts 40-0-130°, links 40-0-130°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm anliegend) rechts 40-0-95°, links 45-0-95°, Arm ausw./einw. (Oberarm 90° seitw. abgeh.) rechts 45-0-45°, links 45-0-60° betragen. Ergänzend führte S1 nach Auswertung der MRT der rechten Schulter vom 5. Mai 2011 aus, dass an der rechten Schulter eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur mit beginnender muskulärer Atrophie und medialer Sehnenretraktion bestehe, der GdS betrage demnach 30 wie auch der Gesamt-GdS.

Aus dem von S1 veranlassten radiologischen Zusatzgutachten des H1 ergab sich eine Beurteilung der MRT der rechten Schulter vom 5. Mai 2011 dahingehend, dass der Abriss der Supraspinatussehne keine unmittelbare Folge der Gewalteinwirkung am 1. September 2006 sei; sehr wahrscheinlich sei aber eine gedeckte Binnenruptur der vorgeschädigten und im Folgezeitraum weiter degenerativ belasteten Faserzüge, die dann zum vollständigen Abriss geführt habe. Die Beschwerden der Klägerin seien demnach in beträchtlichem Umfang auf die Gewalteinwirkung am 1. September 2006 zurückzuführen.

Zur Vorlage kam im Weiteren der Entlassungsbericht der M-Fachkliniken H2 aus dem sich die Diagnosen Rotatorenmanschettenruptur rechts und Z. n. Arthroskopie und Arthrolyse der rechten Schulter am 26. Juli 2011 entnehmen ließen. Die linke Schulter sei normal beweglich, an der rechten Schulter sei die aktive Abduktion und Adduktion bis 120° und der Schürzengriff möglich gewesen, der Nackengriff habe nicht vollständig ausgeführt werden können.

Das SG wies die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung am 30. März 2012 ab. In Übereinstimmung mit dem schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten des W seien die psychischen Beeinträchtigungen mit einem GdS von 10 zu bewerten. Die sowohl von K1 als auch von S1 erhobenen Bewegungsmaße der Schultergelenke rechtfertigten lediglich einen GdS von jeweils 10.

Hiergegen erhob die Klägerin am 29. Mai 2012 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung (L 6 VG 2248/12).

Sie legte den Befundbericht der W2 vor, wonach sich die Klägerin bei dieser seit dem 20. Juni 2012 in psychologsicher Behandlung befunden habe. Als Diagnose habe sie eine PTBS mit chronischem Verlauf gestellt. Die Klägerin leide unter Angstzuständen, Vermeidungsverhalten, unangemessener Schreckhaftigkeit, bedeutsamen Schlafstörungen, massiven körperlichen Beeinträchtigungen beider Schultern und Kontaktängsten gegenüber Männern.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts führte die Klägerin aus, die psychotherapeutische Behandlung bei H habe zum 30. April 2008 geendet, auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sei vom 8. Oktober bis zum 5. November 2008 eine Rehabilitationsmaßnahme mit spezieller Traumatherapie in der B-Klinik K2 erfolgt, im Jahr 2009 habe sie sich bei der G3 um eine psychotherapeutische Behandlung bemüht, die nach einem für sie nicht akzeptablen Therapieansatz beendet worden sei. Bis zur Aufnahme der Behandlung bei der W2 sei keine weitere Behandlung erfolgt. Bereits seit 2008 nehme sie mehrmals wöchentlich Bromazepam ein.

Zur Verfahrensbeendigung schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach der Beklagte bis zum 5. November 2008 (Entlassung der Klägerin aus der B-Klinik K2) einen GdS von 30 feststellte und der Klägerin bis zum 30. November 2008 eine Beschädigtengrundrente gewährte.

Das LRA erließ daraufhin den Ausführungsbescheid vom 13. Februar 2013, der bis zum 30. November 2008 ein GdS von 30 und ab dem 1. Dezember 2008 ein GdS von 20 feststellte. Ab dem 1. Mai 2008 bestehe weiterhin ein Anspruch auf Beschädigtengrunde nach einem GdS von 30, ab dem 1. Dezember 2008 bestehe ein Rentenanspruch nicht mehr, der GdS betrage ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mindestens 25.

Im Verfahren S 15 SB 3378/13, dessen Gegenstand die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50 war, erhob das SG das nervenärztliche Sachverständigengutachten des D aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 13. Januar 2015. Dieser diagnostizierte auf seinem Fachgebiet eine PTBS (mittelschwer ausgeprägt), ein Karpaltunnelsyndrom rechts (leicht ausgeprägt) und ein Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit (leicht ausgeprägt). Den GdB schätze er auf 30, es handele sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, jedoch ohne signifikante soziale Anpassungsstörungen. Die Klägerin habe ausgeführt, seit Herbst 2013 bei G1 in psychiatrischer Behandlung zu sein, zuvor sei im Februar oder März 2013 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in B1 erfolgt. Abends nehme sie 25 mg Valdoxan und bei Bedarf 25 mg Promethazin. Seit dem 24. Februar 2014 fände bei S2 eine Psychotherapie statt. Sie leide seit der Tat unter erheblichem Vermeidungsverhalten, gehe etwa nicht allein zu Konzerten oder Veranstaltungen, auch das Einkaufen, insbesondere bei Dunkelheit, bereite ihr Probleme; wenn sie allein sei, führe sie immer ein Pfefferspray mit sich. Immer habe sie Träume von und Erinnerungen an die Tat, insbesondere auch deshalb, weil sie täglich am Tatort vorbeikomme. Die Klägerin sei bewusstseinsklar, allseits orientiert, freundlich, zugewandt mit lebhafter Mimik und Gestik bei vielen spontanen Ergänzungen über sich und ihre Vorgeschichte gewesen. Die Grundstimmung sei leicht zum depressiven Pol hin verschoben gewesen, beim Gespräch über die Tat sei eine starke affektive Beteiligung aufgetreten. Geschildert habe sie anhaltende Symptome erhöhter psychischer Sensitivität mit Schlafstörungen, Hypervigilanz und Schreckhaftigkeit. Eine Anhedonie habe nicht bestanden, sie sei durchaus in der Lage gewesen, auf eine freundliche Umgebung oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren.

Durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. November 2015 verurteilte das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 seit dem 13. März 2013 und wies die weitergehende Klage ab. Nach dem ausführlichen und überzeugenden Sachverständigengutachten des D seien die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Nach den von J in seiner sachverständigen Zeugenaussage mitgeteilten Bewegungsmaßen der rechten Schulter von Abduktion/Adduktion 80-0-20° und Außenrotation/Innenrotation (adduzierter Arm) 10-0-80° betrage der diesbezügliche Einzel-GdB 20, so dass der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten sei.

Die beim LSG erhobene Berufung (L 3 SB 569/16) nahm die Klägerin zurück.

Am 29. Dezember 2016 beantragte die Klägerin – vorliegend streitgegenständlich – beim LRA die höhere Bewertung der durch die Tat vom 1. September 2006 anerkannten Schädigungsfolgen. Sie leide auch weiterhin schwer unter den psychischen Folgen der Tat, es bestünden weiterhin ausgeprägte Nachhallerinnerungen sowie ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, ebenso leide sie unter einer ausgeprägten Schreckhaftigkeit, ihre sozialen Kontakte seien deutlich reduziert. Der sie behandelnde G1 bestätige das Vorliegen einer PTBS und einer mittelgradigen depressiven Episode. Zusätzlich erfolge eine psychologische Beratung und Betreuung durch die W2, die eine starke Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung festgestellt habe. Daneben bestünden erheblich verschlechterte gesundheitliche Einschränkungen in beiden Schultergelenken.

Die S3 teilte mit, die Klägerin seit dem 24. Februar 2014 psychotherapeutisch unter den Diagnosen einer PTBS und einer mittelschweren depressiven Episode zu behandeln. Im Januar 2017 sei die Diagnose einer PTBS mittels geeigneter Testverfahren nochmals bestätigt worden, die Klägerin erfülle alle Kriterien einer PTBS (ausgeprägtes Hyperarousal, ausgeprägtes Vermeidungsverhalten), die letztlich auch Auslöser für die depressive Symptomatik seien. Es werde eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt.

G1 führte aus, eine PTBS sei diagnostisch gesichert, zusätzlich sei eine depressive Symptomatik aufgrund einer Verbitterung wegen nicht ausreichender Entschädigung eingetreten. Ausschließliche Ursache der PTBS sei die versuchte Vergewaltigung am 1. September 2006. Die Klägerin habe Ängste in Parkhäusern und am Bahnhof in Dunkelheit, vor allem, wenn viele Leute dort seien, weil sie befürchte, belästigt zu werden, auch Joggen schaffe sie wegen ihrer Angst nur selten. Sie sei ausgeprägt schreckhaft und habe Durchschlafstörungen. Die Klägerin sei wach und orientiert bei leicht gedrückter Stimmung und deutlicher Verbitterung bei dem Thema Traumafolgen gewesen, der Antrieb sei gemäß ihren anamnestischen Angaben leicht reduziert gewesen, die Psychomotorik unauffällig. 
Der Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 13. Februar bis zum 19. März 2013 in der M1 R Klinik B1 führte als Diagnosen eine PTBS, eine leichte depressive Episode, einen Z. n. Rotatorenmanschettenruptur rechter Oberarm, ein Impingementsyndrom der linken Schulter und ein Cervicobrachialsyndrom auf. Das arbeitstägliche Leistungsvermögen der Klägerin wurde sowohl für die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Einkäuferin als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt mit sechs Stunden und mehr beurteilt. Die Klägerin habe ausgeführt, seit dem Überfall schreckhaft zu sein, unter Angstzuständen zu leiden und Vermeidungsverhalten entwickelt zu haben; sie gehe allem, was gefährlich sein könnte, aus dem Weg, gehe abends nicht mehr raus und walke auch nicht mehr. Sie fühle sich nicht mehr sicher und habe kein Vertrauen mehr zu Männern; auch leide sie unter Schlafstörungen und Albträumen. Im körperlichen Befund sei die Klägerin in einem guten Allgemein- und adipösen Ernährungszustand bei freier Beweglichkeit der Extremitäten gewesen. Als psychischer Befund habe sie sich wach, bewusstseinsklar, vollständig orientiert, mit ausreichendem Aufmerksamkeits- und Konzentrationsniveau, formal geordnetem Denken, depressiven Tendenzen im Affekt mit Weindurchbrüchen und Verbitterung über das ihr widerfahrene Unrecht gezeigt. Es hätten rezidivierende Angstzustände sowie Nachhallerinnerungen in Bezug auf das erlittene Trauma bestanden, in dessen Folge die Klägerin ein Vermeidungsverhalten entwickelt habe, im Antrieb habe sich eine erhöhte Erschöpfbarkeit sowie eine verminderte Belastbarkeit gezeigt.

Im Auftrag des LRA erstattete S nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 9. Juni 2017 ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten. Demnach habe weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet eine Gesundheitsstörung bestanden. Abgesehen von dem Eingangskriterium – der Vorfall am 1. September 2006 sei grundsätzlich geeignet gewesen eine PTBS herbeizuführen – sei keines der diagnostischen Kriterien einer PTBS erfüllt gewesen. Bei allen Untersuchungen habe die Klägerin sehr ausführlich über den Vorfall ohne Hinweise auf die weiteren Diagnosekriterien einer PTBS berichtet. Für eine Anpassungsstörung hätten sich ebenso keine Hinweise ergeben, insbesondere nicht für eine abnorme psychische Reaktion. Ein Mensch dürfe auf ein Ereignis, wie es der Klägerin widerfahren sei, psychisch reagieren, das stelle aber keine psychische Erkrankung dar, das Ausbleiben einer psychischen Reaktion sei im Gegenteil abnorm. Insofern sei das wiederholte Auftreten von Nachhallerinnerungen, das Erleben von Aggressionen gegenüber dem Täter und die Angst, ihm oder ähnlichen Personen erneut zu begegnen, durchaus nachvollziehbar, aber kein Zeichen einer psychischen Erkrankung. Wesentlich sei auch, dass eine psychische Erstreaktion nicht vorgelegen habe.

Als psychische Beschwerden habe die Klägerin Depressionen, Schlafstörungen, ein Vermeidungsverhalten, eine Schreckhaftigkeit, eine Anspannung und eine verminderte Belastbarkeit angegeben. Im psychischen Befund sei sie bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen, habe während der Untersuchung ungezwungen Kontakt zum Untersucher aufgenommen und habe überraschend ausführlich über die Tat berichtet. Bei der detaillierten Berichterstattung über die Tat sei es weder zu einem dissoziativen Verhalten, zu einem Flashback noch zu Intrusionen oder abnormen körperlichen oder psychischen Reaktionen gekommen.

Im Weiteren erhob das LRA bei W3 aufgrund der klinischen Untersuchung der Klägerin am 29. Juni 2017 ein orthopädisch-unfallchirurgisches Sachverständigengutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass nennenswerte Schädigungsfolgen durch das Ereignis am 1. September 2006 nicht eingetreten seien. Die Verschlimmerung im Bereich beider Schultergelenke durch die Prellungen und Distorsionen seien vorübergehend gewesen und spätestens nach einem Zeitraum von drei bis vier Monaten ausgeheilt. In beiden Schultergelenken hätten Funktionsstörungen mit einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit (Arm seitw./körperw. rechts 115-0-35°, links 120-0-40°, Arm rückw./vorw. rechts 40-0-120°, links 45-0-125°, Arm ausw./einw. drehen <Oberarm anliegend> rechts 35-0-100°, links 45-0-110°, Arm ausw./einw. drehen <Oberarm 90° seitw. abgeh.> rechts 65-0-50°, links 95-0-60°) vorgelegen, die ganz überwiegend auf anlagebedingten Verschleißerscheinungen beruhten, wie sie bereits in den zeitnahen MRT`s nach dem Ereignis am 1. September 2006 festgestellt worden seien und in der Zeit nach dem Ereignis bis zu den kernspintomografischen Untersuchungen im September und Oktober 2006 nicht hätten entstehen können. Nach den Angaben der Klägerin habe sie auch bereits vor dem Überfall unter Beschwerden im linken Schultergelenk gelitten, nicht aber am rechten Schultergelenk. In diesem Zusammenhang sei das einen Ursachenzusammenhang bejahende radiologische Zusatzgutachten des H1 nicht überzeugend, da eine traumatische Sehnenruptur unmittelbar nach dem Ereignis am 1. September 2006 zu einer erheblichen Funktionsbeeinträchtigung des Gelenks hätte führen müssen, was vorliegend in keiner Weise dokumentiert sei. Im Operationsbefund des linken Schultergelenks seien dort ganz überwiegend degenerative Veränderung adressiert und operiert worden.

Die P stimmte den gutachterlichen Ausführungen zu, weder auf neurologisch-psychiatrischem noch auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet bestehe ein GdS.
 
Mit Schreiben vom 27. September 2017 hörte das LRA die Klägerin aufgrund der gutachterlichen Feststellungen zur Aufhebung des Erstanerkennungsbescheides vom 25. März 2008 sowie der Ausführungsbescheide vom 30. Oktober 2008 und vom 13. Dezember 2013 an. Die anerkannten Schädigungsfolgen lägen nicht mehr vor. Das bedeute auch, dass der Antrag vom 29. Dezember 2016 auf Neufeststellung und Erhöhung des GdS wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustands abzulehnen sei.

Die Klägerin erwiderte hierauf, dass das Sachverständigengutachten des S nicht nachvollziehbar sei, es stehe im krassen Gegensatz zur Ansicht der sie behandelnden Fachärzte. Auch den Ausführungen des W3 sei nicht zu folgen, dieser gehe bereits rechtsfehlerhaft davon aus, dass zeitnah nach dem Ereignis keine traumatischen Veränderungen festgestellt worden seien. J habe hingegen zeitnah eine Labrumläsion diagnostiziert. Auch S1 sei in seinem Sachverständigengutachten für das SG von einer Labrumläsion ausgegangen.

In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme führte die P aus, dass auch in Kenntnis des Vorbringens der Klägerin im Anhörungsverfahren die erhobenen Sachverständigengutachten überzeugend seien. S habe zutreffend die diagnostischen Kriterien einer PTBS verneint, die abweichenden Äußerung der behandelnden Ärzte der Klägerin seien nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin am 11. September 2006 beim Orthopäden K eine Verletzung der rechten Schulter nach dem Überfall angegeben habe, schädigungsbedingte Verletzungen der linken Schulter, an der bei der Operation im Oktober 2006 eine Labrumläsion festgestellt worden sei, habe sie weder bei K noch bei V am 27. September 2006 beklagt. In allen radiologischen Befunden und Operationsberichten beider Schultergelenke würden ausgeprägte degenerative Veränderungen beschrieben.

Das LRA lehnte durch Bescheid vom 3. Januar 2018 den Antrag der Klägerin vom 29. Dezember 2016 auf Erhöhung des GdS ab und hob den Erstanerkennungsbescheid vom 25. März 2008 und die Ausführungsbescheide vom 30. Oktober 2008 und vom 13. Februar 2013 auf, da die anerkannten Schädigungsfolgen „Psychoreaktive Störung. Schmerzhafte Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk – hervorgerufen –“ und „Schmerzhafte Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk“ i. S. e. Verschlimmerung derzeit nicht mehr vorlägen. Ein Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung bestehe damit nicht mehr.

Den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Anhörungsverfahren bekräftigte, wies der Beklagte, nachdem die P in einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme die erhobenen Sachverständigengutachten für zutreffend erachtet hatte, durch Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2018 zurück. Nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei ein Bescheid aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Eine wesentliche Änderung sei insofern eingetreten, als derzeit keine Schädigungsfolgen mehr bestünden.         

Am 15. Juni 2018 hat die Klägerin Klage beim SG erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 und die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von 30 ab dem 29. Dezember 2016 verfolgt hat.

Das SG hat ihre behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und bei M2 ein psychiatrisches sowie bei K3 ein orthopädisch-unfallchirurgisches Sachverständigengutachten erhoben.

Als sachverständiger Zeuge hat der G1 von der erstmaligen Behandlung der Klägerin am 30. September 2013 berichtet, zuletzt habe er die Klägerin am 26. Juli 2018 behandelt, die Behandlungen erfolgten in Abständen von zwei bis drei Monaten. Die Klägerin leide unter einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode, zusätzlich bestehe die Teilsymptomatik einer PTBS. Die PTBS sei auf die versuchte Vergewaltigung zurückzuführen, die depressive Symptomatik und die Verbitterung der Klägerin seien zusätzlich Ausdruck der aus ihrer Sicht nicht ausreichenden Entschädigung für das Trauma. Die PTBS habe sich weder verschlechtert noch verbessert, auch die depressive Symptomatik sei in etwa gleich geblieben, zuletzt sei es zu einer leichten Verschlechterung im Juli 2018 vor dem Hintergrund einer drohenden Kündigung gekommen. Psychotherapeutische Maßnahmen im engeren Sinne würden von ihm nicht durchgeführt, er berate die Klägerin, führe stützende Gespräche und versuche, einer Chronifizierung der Verbitterung entgegenzuwirken. Die Klägerin nehme das Antidepressivum Valdoxan in einer Dosis von 25 mg ein.

Die S3 hat mitgeteilt, sich im Mutterschutz zu befinden und deshalb die Beweisfragen nicht beantworten zu können.

V hat ausgeführt, die Klägerin seit dem 20. Juli 2015 regelmäßig mindestens zwei- bis dreimal im Quartal zu behandeln. An den Schultergelenken habe er als Diagnosen eine SLAP-Läsion rechts, eine Impingementsyndrom rechts, eine Blockierung C3 bis C5 rechts, eine cervikale Osteochondrose, eine ACG-Arthrose rechts, eine Sternoclaviculargelenk-Arthrose rechts mehr als links, eine Rotatorenmanschettenläsion mit Defektarthropathie und einen Z. n. nach Arthroskopie der linken Schulter mit Impingementsyndrom der Schulter, SLAP Refixation, subcrominale Dekompression gestellt. Für die rechte Schulter habe sich eine Beweglichkeit von Adduktion/Abduktion 20-0-100°, Außenrotation/Innenrotation 50-0-20°, Elevation 110°, für die linke Schulter von Adduktion/Abduktion 20-0-100°, Innenrotation/Außenrotation 50-0-20°, Elevation 90° gezeigt. Die Schulterbeschwerden seien auf den tätlichen Angriff im Jahr 2006 zurückzuführen. Die Schmerzsymptomatik und die damit verbundenen Einschränkungen hätten sich seit 2008 deutlich verschlechtert.
Ergänzend hat V den Entlassungsbericht der B-Klinik, Abteilung Psychosomatik, über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin vom 8. Oktober bis zum 5. November 2008 vorlegt, aus dem sich die Diagnosen PTBS, Impingementsyndrom der Schulter, Zervikobrachialsyndrom und Hypercholesterinämie ergeben haben. Der Allgemein- und Ernährungszustand seien gut und der Bewegungsapparat frei beweglich gewesen. Als Folge der versuchten Vergewaltigung habe die Klägerin Stimmungsschwankungen, Hilflosigkeit, Grübeln, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Ängste, Vermeidungsverhalten und Misstrauen gegenüber Männern berichtet. Es hätten sich keine Auffälligkeiten hinsichtlich Auffassung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis gezeigt, das Bewusstsein sei klar, der Antriebslage und die affektive Schwingungsfähigkeit normal gewesen. Inhaltlich habe eine Haftung am Themenkreis Trauma bzw. Entschädigung vorgelegen.    

Dem aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 26. April 2019 von M2 erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachten haben sich die Diagnosen Angst und Depression, gemischt, sowie eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung entnehmen lassen. Der GdS betrage 20 ab dem 1. Dezember 2016, es handele sich um einen Dauerzustand, der durch den tätlichen Angriff am 1. September 2006 bedingt sei. Bereits im Jahr 2008 habe eine PTBS im Vollbild nicht mehr vorgelegen, zuvor habe ab September 2006 eine solche bestanden, aus dem Entlassungsbericht der B-Klinik in K2 über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 8. Oktober bis zum 5. November 2008 lasse sich jedoch nicht mehr das Auftreten von Phänomen der Wiedererinnerung entnehmen. Entgegen den Ausführungen des S habe die Klägerin infolge des Ereignisses vom 1. September 2006 zunächst eine akute Belastungsreaktion und dann eine PTBS entwickelt. Die verbliebene Restsymptomatik sei als Angst und Depression, gemischt, sowie als sonstige Reaktion auf schwere Belastung zu bezeichnen. Das psychosoziale Funktionsniveau der Klägerin sei insgesamt gut, ihre objektivierbaren Angaben hinsichtlich Berufsausübung, Beziehungsgestaltung sowie Freizeitverhalten ließen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten nachvollziehen, eine Bewertung mit einem GdS von 20 sei deshalb angemessen.

Die Klägerin habe angegeben, nach einer Operation des Fußes seit Herbst 2018 arbeitsunfähig erkrankt zu sei, es sei geplant, dass sie im Sommer 2019 freigestellt werde, 2020 könne sie in Rente gehen. Auch trotz der Krankschreibung habe sie einen festen Tagesablauf. Sie stehe gegen 7 oder 7:30 Uhr auf, trinke Kaffee, versorge ihren Kater und die Katzen ihrer Söhne und frühstücke dann. Anschließend gehe sei bei Bedarf einkaufen, koche dann regelmäßig das Mittagessen für ihre Mutter. Nachmittags erledige sie Garten- oder Hausarbeiten, abends esse sie häufig mit ihren im selben Haus lebenden Söhnen zusammen. Der familiäre Zusammenhalt sei sehr gut, sonntags sei regelmäßig ihre Mutter zu Besuch zum Mittagessen, wegen der Versorgung ihrer Mutter habe sie auch täglichen Kontakt mit ihren beiden Schwestern. Als Hobbys habe sie ihren Rosengarten, sei kulturell interessiert, habe ein Abonnement für ein Veranstaltungshaus, und gehe regelmäßig mit ihren Söhnen walken, für die Freibadsaison wolle sie sich eine Dauerkarte kaufen.

Im psychischen Befund sei die Klägerin bewusstseinsklar und orientiert gewesen, ohne Beeinträchtigung des Gedächtnisses, der Konzentration und der Auffassungsgabe. Bei der Exploration der versuchten Vergewaltigung habe sie immer wieder geweint, wobei sie auch hierbei Fragen detailliert habe beantworten könne, ohne dass Zeichen einer psychovegetativen Unruhe aufgetreten wären. Erkennbare Dissoziationen seien nicht erkennbar, die affektive Schwingungsfähigkeit sei vorhanden gewesen, die affektive Auslenkbarkeit habe zu jedem Zeitpunkt der Untersuchung bestanden und eine psychomotorische Unruhe sei nicht aufgetreten. Sie habe Ängste in der Dunkelheit, die Unmöglichkeit der Bewältigung ihrer früheren Laufstrecke, eine vermehrte Schreckhaftigkeit und eine mangelnde Entspannungsfähigkeit geschildert.

Vergleichsweise hat der Beklagte angeboten, die mit Erstanerkennungsbescheid vom 25. März 2008 anerkannten Schädigungsfolgen neu als „Psychoreaktive Störung“ zu bezeichnen und mit einem GdS von 20 zu bewerten. Die Klägerin hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen und weiterhin als Schädigungsfolge die Funktionsbeeinträchtigungen beider Schultergelenke geltend gemacht.

Daraufhin hat das SG das orthopädisch-unfallchirurgische Sachverständigengutachten des K3 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 15. Januar 2020 erhoben. Dieser hat sich dem Sachverständigengutachten des W3 angeschlossen; die bei der Klägerin in den Schultern bestehenden Gesundheitsstörungen seien nicht durch den tätlichen Angriff vom 1. September 2006 verursacht oder verschlimmert worden. In der Kernspintomographie der rechten Schulter am 24. Oktober 2006 sei eine sichere Strukturschädigung als Folge der Tat nicht beschrieben. Die MRT der linken Schulter vom 14. September 2006 habe Verletzungszeichen im linken Schultergelenk gezeigt, die SLAP II-Läsion sei aber nach erfolgreicher Refixation folgenlos ausgeheilt, womit kein GdS bestehe, zumal selbst eine traumatisch bedinge SLAP-Läsion in der Gutachterliteratur maximal mit einem GdS von 10 bewertet werde. Die Beweglichkeit der Schultergelenke sei Arm seitw./körperw. rechts 120-0-20°, links 130-0-20°, Arm rückw./vorw. rechts 50-0-160°, links 60-0-170°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm anliegend) rechts 45-0-80°, links 50-0-90°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm 90° seitw. abgeh.) rechts 90-0-80°, links 90-0-90° gewesen.  

Durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 2. Juli 2021 hat das SG den Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 aufgehoben, soweit die Feststellung der Schädigungsfolgen und die Feststellung eines GdS von 20 aufgehoben worden ist, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Aufhebung der Schädigungsfolgen sei rechtswidrig gewesen, eine wesentliche Änderung i. S. d. § 48 SGB X habe nicht vorgelegen, eine Umdeutung in eine Rücknahme nach § 45 SGB X sei nicht möglich, da eine solche eine Ermessenentscheidung erfordere, der Beklagte habe aber kein Ermessen ausgeübt. Hingegen habe der Beklagte zu Recht die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt, da die Klägerin nach den nachvollziehbaren Ausführungen der M2 nicht an einer PTBS leide und die bestehende psychoreaktive Störung, insbesondere im Hinblick auf den festen Tagesablauf der Klägerin, mit keinem höheren GdS als 20 zu bewerten sei. Im Bereich beider Schultergelenke sei keine wesentliche Verschlimmerung eingetreten. Nach den erhobenen Bewegungsmaßen sei für die Bewegungseinschränkung der rechten und der linken Schulter jeweils ein GdS von 10 angemessen.    

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 2. August 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. August 2021 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Zur Berufungsbegründung führt sie aus, das Urteil des SG sei unzutreffend, soweit die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt worden sei. Das SG habe zu Recht festgestellt, dass sie unter einer psychoreaktiven Störung leide, zu diskutieren sei allenfalls, ob diese mit einem GdS von 20 oder von 30 zu bewerten sei. Aber auch die Beschwerden an beiden Schultergelenken seien als Schädigungsfolgen zu berücksichtigen, wie sich u. a. aus dem Sachverständigengutachten des S1 ergebe. Sie habe wiederholt deutlich gemacht, dass sie vor dem Ereignis vom 1. September 2006 unter keinen Auswirkungen einer angenommenen Arthrosevorerkrankung gelitten habe und dass sich im Ergebnis daher die jetzigen Befunde in beiden Schultergelenken ebenfalls als Folge der Tat darstellten. Sie seien deshalb entgegen der Auffassung des SG auch GdS-erhöhend zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Juli 2021 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 zu verurteilen, ihr ab dem 29. Dezember 2016 eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigung von 30 zu gewähren. 

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. Eine schädigungsbedingte Verschlechterung der Schulterbeschwerden sei nicht eingetreten. Im Hinblick auf den Tagesablauf der Klägerin sei die psychische Situation nicht mit einem höheren GdS als 20 zu bewerten, eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehe nicht. 

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte, auch die der Verfahren S 8 VG 4090/08, L 6 VG 2248/12, S 15 SB 3378/13, L 3 SB 569/16, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 2. Juli 2021 insoweit, als das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) der Klägerin auf Verurteilung zur Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von 30 ab dem 29. Dezember 2016 unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 (§ 95 SGG) – soweit der Beklagte hierdurch sinngemäß die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt hat – abgewiesen hat. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist hingegen das Urteil des SG vom 2. Juli 2021, soweit das SG den Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 insoweit aufgehoben hat, als der Beklagte die Feststellung der Schädigungsfolgen und die Feststellung eines GdS von 20 aufgehoben hat. Denn der Beklagte hat selbst weder Berufung- noch Anschlussberufung erhoben. Das Urteil des SG vom 2. Juli 2021 ist damit hinsichtlich dieses abtrennbaren Streitgegenstands rechtskräftig geworden (§ 141 SGG).

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der vorliegenden Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).

Die Begründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 ist in dem im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin auf deren Antrag vom 29. Dezember 2016 eine Beschädigtengrundrente zu gewähren. Der Senat konnte sich, ebenso wie das SG, nach Auswertung der erhobenen Sachverständigengutachten, insbesondere der Sachverständigengutachten der M2 und des K3, wie auch der im Weiteren zur Vorlage gekommenen medizinischen Unterlagen und ärztlichen Meinungsäußerungen nicht davon überzeugen, dass die Klägern infolge des schädigenden Ereignisses vom 1. September 2006 unter gesundheitlichen Schädigungsfolgen leidet, die ab dem maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags vom 29. Dezember 2016 mit einem rentenberechtigenden GdS zu bewerten sind und demnach einen Anspruch auf Beschädigtengrundrente begründen.


Rechtsgrundlage des von der Klägerin gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Anspruchs ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als MdE bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13 –, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).

Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG i. V. m. dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):

Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG i. V. m. § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist. Nach dieser Maßgabe erhalten Versorgung auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist (§ 10a Abs. 1 Satz 2 OEG).

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff i. S. d. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz. 23 ff.).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R –, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem „Glaubhafterscheinen“ i. S. d. § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), (VG, Teil C, Nrn. 1 bis 3; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 17).

Gemessen an diesen gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, hat der Beklagte zu Recht durch Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2018 auf den Antrag der Klägerin vom 29. Dezember 2016 die Bewilligung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt. Die Klägerin leidet weder im Funktionssystem (VG, Teil A, Nr. 2, e) „Gehirn einschließlich Psyche“ noch im Funktionssystem „Arme“ unter ab dem 29. Dezember 2016 bestehenden Funktionsstörungen infolge des Ereignisses vom 1. September 2006, das ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG war, die mit einem rentenberechtigenden GdS zu bewerten sind.

Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats zum vorliegenden maßgeblichen Zeitpunkt des 29. Dezember 2016 nicht an einer Schädigungsfolge gelitten, die mit einem höheren GdS als 20 zu bewerten ist. Eine PTBS hat nicht vorgelegen, nicht entscheidungserheblich ist, ob zuvor eine PTBS bestanden hat. Die Klägerin hat ab dem 29. Dezember 2006 an Angst und Depression, gemischt und an einer sonstigen Reaktion auf schwere Belastung gelitten. Der Senat stützt sich insoweit auf das im erstinstanzlichen Verfahren bei M2 erhobene Sachverständigengutachten und das im Verwaltungsverfahren von S erstattete Sachverständigengutachten, das er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung <ZPO>). Nicht überzeugen konnten den Senat hingegen die abweichenden medizinischen Unterlagen und ärztlichen Meinungsäußerungen, insbesondere die Berichte der S3 und des G1 im Verwaltungsverfahren, nach denen auch am 29. Dezember 2006 die Klägerin (noch) an einer PTBS gelitten haben soll.

Auch aus Rechtsgründen ist bei der Bewertung des GdS nicht von dem Bestehen einer PTBS auszugehen. Durch den Bescheid vom 25. März 2008 hat der Beklagte im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ eine psychoreaktive Störung als Schädigungsfolge und nicht ausdrücklich eine PTBS anerkannt. Dieser Bescheid ist (weiterhin) bindend (§ 77 SGG), nachdem das SG erstinstanzlich rechtskräftig den Bescheid vom 3. Januar 2018 insoweit aufgehoben hat, wie dieser wiederum die Feststellung von Schädigungsfolgen aufgehoben hat (vgl. oben). Im Übrigen könnten selbst dann, wenn eine PTBS als Schädigungsfolge anerkannt worden wäre, aus dieser unrichtigen Anerkennung
entsprechend dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 3 SGB X keine weitergehenden Ansprüche hergeleitet werden (vgl. Senatsurteil vom 24. April 2022 – L 6 VS 420/21 –, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen).

Die Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, hat sich nach der Rechtsprechung des BSG und dem folgend des Senats (vgl. Senatsurteile vom 27. August 2015 – L 6 VS 4569/14 –, juris, Rz. 34 und vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 58 ff.) an den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der ICD-10 und der DSM zu orientieren. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG SozR 4-2700 § 200 Nr. 3). Das DSM lag bis 2013 in seiner vierten Ausgabe (DSM-IV-TR) vor und kann neben der ICD-10 herangezogen werden. Dagegen bestehen gegen die zwischenzeitlich seit Mai 2013 als Nachfolgerin des DSM-IV-TR in deutscher Sprache vorliegende 5. Auflage (DSM-V) Bedenken hinsichtlich ihrer Validität (vgl. im Einzelnen Senatsurteil vom 27. August 2015 – L 6 VS 4569/14 –, juris Rz. 40 ff.).

Nach ICD-10 F43.1 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Nach DSM-IV gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der PTBS ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als „flashbacks“ bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, welche die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten PTBS (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen PTBS (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der PTBS mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer PTBS beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.

Die nach den beiden Klassifikationssystemen notwendigen Kriterien bzw. dafür erforderlichen Unterkriterien müssen im Vollbeweis feststehen, um die Diagnose einer PTBS stellen zu können. Hinsichtlich der medizinischen Voraussetzungen (Kriterien B bis D, ggfs. E und F) bezieht sich diese Anforderung auf den aktuellen Gesundheitszustand des Geschädigten.

Insbesondere, wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht bereits unmittelbar nach dem Ende der Traumatisierung auftreten oder seitdem ununterbrochen bestehen, es also an Brückensymptomen fehlt, muss die Zusammenhangfrage besonders sorgfältig geprüft werden und ist nur anhand eindeutiger objektiver Befunde zu bejahen, was sich auch aus Anforderungen der früheren AHP ergibt. Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang ist erst dann zu stellen, wenn die Diagnose positiv feststeht (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – B 9 VH 3/09 B –, Rz. 14, juris; Beschluss vom 16. Februar 2012 – B 9 V 17/11 B –, Rz. 16, juris).

Gemessen an diesen Vorgaben erfüllt das Ereignis am 1. September 2006 zwar das Kriterium A1; zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem 29. Dezember 2016, haben aber, wie für den Senat sowohl S als auch M2 gutachterlich schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet haben, die weiteren diagnostischen Kriterien einer PTBS nicht mehr vorgelegen. Die Klägerin hat gegenüber S ausführlich bei dessen ambulanter gutachterlicher Untersuchung am 9. Juni 2017 über das Ereignis vom 1. September 2006 berichten können, ohne dass es zu einem dissoziativen Verhalten, zu einem Flashback, zu Intrusionen oder zu abnormen körperlichen oder psychischen Reaktionen gekommen ist. Die Sachverständige M2 hat ebenso für den Senat überzeugend dargelegt, dass bereits 2008 eine PTBS im Vollbild nicht mehr bestanden hat, da sich aus dem Entlassungsbericht der B-Klinik in K2 über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin vom 8. Oktober bis zum 5. November 2008 nicht mehr das Auftreten von Wiedererinnerungen an die Tat ergeben hat. Hiermit korrespondierend hat auch der die Klägerin behandelnde G1 als sachverständiger Zeuge im erstinstanzlichen Verfahren ausgeführt, dass bei der Klägerin eine PTBS im Vollbild nicht mehr vorliegt, sondern nur noch entsprechende Teilsymptome bestehen.

Dagegen spricht auch, dass die Klägerin ohne Weiteres zweimal im Strafverfahren ausführliche Angaben zu dem Tathergang machen konnte, sich somit der stärksten denkbaren psychischen Belastung stellen konnte, nämlich der direkten Konfrontation mit dem Täter und den damit verbundenen Ereignissen im Gerichtssaal (vgl. dazu Urteil des Senats vom 21. Februar 2013 – L 6 VG 3324/12 –, juris, Rz. 53), ohne dies jemals danach zu thematisieren.

Die im Verwaltungsverfahren zur Vorlage gekommenen Berichte des G1 und insbesondere der S3, wonach auch noch im Januar 2017 eine PTBS im Vollbild vorgelegen haben soll, haben den Senat vor diesem Hintergrund nicht überzeugen können, denn – wie bereits ausgeführt – hat entgegen den Ausführungen der S3 insbesondere ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten nicht bestanden; die Klägerin war sowohl gegenüber S als auch gegenüber M2 in der Lage, ausführlich über das Ereignis vom 1. September 2006 zu berichten. Insoweit stützt sich der Senat auch auf das im Wege des Urkundsbeweises verwerteten, vom SG im Verfahren S 8 VG 4090/08 bei W erhobene Sachverständigengutachten, wonach bereits bei dessen ambulanter Untersuchung der Klägerin am 27. Januar 2010 nur noch eine diskrete Restsymptomatik einer PTBS vorgelegen hat.

Die erstinstanzliche Beweiswürdigung mangelt daran, dass überhaupt nicht gewürdigt wurde, dass die Klägerin von Ende 2008 bis Herbst 2013 überhaupt keine psychiatrische oder psychologische Behandlung in Anspruch nehmen musste, was ganz deutlich die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens von S unterstreicht und ebenso gegen die Schlüssigkeit der Ergebnisse der Sachverständigen M2 spricht. Denn das ist ein gewichtiger Umstand, der einer Erklärung bedurft hätte und zumindest die These stützt, dass die Schädigungsfolgen zur Ausheilung gekommen sind. Das gilt umso mehr, als die Wiederaufnahme der Behandlung zeitlich unmittelbar nach dem vorangegangenen Erörterungstermin des damals zuständigen Berichterstatters, in dem die Bedeutung von Therapien für Versorgungsansprüche ausdrücklich thematisiert wurde, stattfand. Das legt Versorgungswünsche als eigentlichen Grund für die Behandlung nahe, zumal die Klägerin immer wieder ihre Verbitterung darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass sie aus ihrer Sicht nicht ausreichend entschädigt worden ist. An einer anderen, insbesondere tragfähigen therapeutischen Begründung für die Aufnahme der Therapie fehlt es jedenfalls.

Letztlicht kann der Senat das aber dahinstehen lassen, denn nicht entscheidend ist, ob die Klägerin – so S – infolge des Ereignisses vom 1. September 2006 unter keinen Schädigungsfolgen im Funktionsgebiet „Gehirn einschließlich Psyche“ leidet ober ob – so M2 – als Schädigungsfolge Angst und Depression, gemischt und eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung vorliegen. Denn selbst wenn Schädigungsfolgen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ bestehen, sind diese nicht mit einem höheren GdS als 20 zu bewerten, wie der Senat dem insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten der M2 entnimmt.

Nach den insoweit maßgeblichen VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdS von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdS von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das BSG in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 –
B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdS-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V>) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdS-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Orientiert an diesen Vorgaben leidet die Klägerin infolge des Ereignisses vom 1. September 2006 nicht an einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), für die ein Bewertungsrahmen mit einem GdS von 30 bis 40 eröffnet ist. Bei ihr liegt zur Überzeugung des Senats, wenn überhaupt, eine leichtere psychovegetative Störung oder psychische Störung vor, die maximal mit einem GdS von 20 (Bewertungsrahmen von 0 bis 20) zu bewerten ist.

Gegen das Vorliegen einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit spricht zur Überzeugung des Senats maßgeblich ihre Vollzeitberufstätigkeit mit zusätzlicher Pflege ihrer Mutter. Daneben versorgt sie alleine ihre 125 qm Wohnung und ihren Rosengarten. Trotz zwischenzeitlicher krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer nicht schädigungsbedingten Operation des Fußes verfügt sie über einen hinreichend strukturierten Tagesablauf, wie dies der Senat dem bei M2 erhobenen Sachverständigengutachten entnimmt. Die Klägerin steht regelmäßig gegen 7 oder 7:30 Uhr auf, trinkt Kaffee, versorgt ihren Kater und die Katzen ihrer Söhne, kann damit Verantwortung übernehmen, geht bei Bedarf einkaufen und kocht anschließend Mittagessen für sich und ihrer Mutter, sie kann sich damit nicht nur selbständig versorgen, sondern auch noch eine weitere Person, nämlich ihre Mutter
versorgt. Nachmittags erledigt sie Garten- und/oder Hausarbeiten und isst abends häufig mit ihren Söhnen zusammen, hat also gut erhaltene soziale Kontakte zu ihren Söhnen und im Zusammenhang mit der Versorgung ihrer Mutter auch täglich zu ihren beiden Schwestern. Daneben pflegt die Klägerin vielfältige Hobbys wie ihren Rosengarten, ist kulturell interessiert, weswegen sie ein Abonnement für ein Veranstaltungshaus hat, und treibt Sport, sie geht regelmäßig mit ihren Söhnen walken und ins Freibad, hat insofern auch die Absicht, eine Dauerkarte zu erwerben, angegeben. Weiter verreist sie regelmäßig jedes Jahr mit ihren Freundinnen. Zu einer solchen hinreichenden Strukturierung des Tagesablaufs, der Pflege mehrerer sozialer Kontakte und der Vielzahl der weiteren Interessen wäre die Klägerin beim Vorliegen einer Funktionsstörung, die einen GdS von 30 bis 40 begründet, zur Überzeugung des Senats nicht in der Lage.

Darüber hinaus spricht gegen das Bestehen eines GdS von mehr als 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ die Behandlung der Klägerin. G1 hat als sachverständiger Zeuge angegeben, die Klägerin in Abständen von zwei bis drei Monaten, und damit nicht engmaschig, zu behandeln. Psychotherapeutische Maßnahmen im engeren Sinn werden von ihm nicht durchgeführt, d. h. eine psychotherapeutische Behandlung findet nicht statt; er berät die Klägerin lediglich und führt mit dieser stützende Gespräche, um einer Chronifizierung der Verbitterung entgegenzuwirken. Diese Verbitterung hat G1 aber nicht als Schädigungsfolge, sondern wie auch die von ihm diagnostizierte depressive Symptomatik, als Reaktion der Klägerin auf die von ihr als nicht ausreichend erachtete Entschädigung für das durch das Ereignis vom 1. September 2006 erlittene Trauma beschrieben. Mithin nimmt die Klägerin, wie der Senat der sachverständigen Zeugenaussage des G1 entnimmt, wegen der Folgen des Ereignisses vom 1. September 2006 derzeit bzw. hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 29. Dezember 2016 keine engmaschige fachärztliche Behandlung oder eine gleichgestellte psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen. Eine solche findet auch bei der S3 aufgrund deren Mutterschutzes nicht statt. Wie bereits ausgeführt, äußert sich nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Stärke des empfundenen Leidensdrucks aber auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 SGB V ) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdS-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Im Funktionssystem „Arme“ besteht kein GdS.

Soweit der Beklagte durch Bescheid vom 25. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2008 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk, die durch das Ereignis vom 1. September 2006 hervorgerufen worden sei, und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks i. S. e. Verschlimmerung anerkannt hat, führt allein diese unzutreffende Anerkennung nicht zu einem GdS (vgl. oben).

Unabhängig von der Frage, ob die bei der Klägerin in beiden Schultergelenken bestehende Einschränkung der Beweglichkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Ereignis vom 1. September 2006 zurückzuführen ist, mithin eine Schädigungsfolge ist, ist die Einschränkung der Beweglichkeit beidseits nicht in einem Umfang ausgeprägt, der mit einem GdS von mindestens 10 zu bewerten wäre.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.4 wird eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) bei einer noch möglichen Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdS von 10 bewertet, ist die Armhebung nur noch bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit möglich, beträgt der GdS 20.

Die Mobilität beider Schultergelenke der Klägerin war hingegen nicht in einem solchen Umfang limitiert, der einen GdS von mindestens 10 rechtfertigt. Aus dem erstinstanzlichen Sachverständigengutachten des K3 ergibt sich eine Beweglichkeit der Schultergelenke von
Arm seitw./körperw. rechts 120-0-20°, links 130-0-20°, Arm rückw./vorw. rechts 50-0-160°, links 60-0-170°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm anliegend) rechts 45-0-80°, links 50-0-90°, Arm ausw./einw. drehen (Oberarm 90° seitw. abgeh.) rechts 90-0-80°, links 90-0-90°.

Auch im Zeitraum ab der Antragstellung am 29. Dezember 2016 bis zur ambulanten gutachterlichen Untersuchung bei K3 am 15. Januar 2020 war die Beweglichkeit der Schultergelenke nicht in einem Umfang eingeschränkt, der mit einem GdS von mehr als 10 zu bewerten ist. Ebenso ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte, dass nach der Begutachtung durch K3 eine wesentliche Verschlechterung der Mobilität eingetreten wäre. Aus der sachverständigen Zeugenaussage des V hat sich für die rechte Schulter eine Beweglichkeit von Adduktion/Abduktion 20-0-100°, Außenrotation/Innenrotation 50-0-20° bei einer Elevation von 110° und für die linke Schulter eine Beweglichkeit von Adduktion/Abduktion 20-0-100°, Außenrotation/Innenrotation 50-0-20° bei einer Elevation von 90° ergeben. Da sich auch nach der sachverständigen Zeugenaussage des V sowohl für die Bewegungseinschränkung der rechten als auch der linken Schulter maximal ein GdS von jeweils 10 ergibt, musste sich der Senat nicht mit Nachvollziehbarkeit der von V festgestellten Bewegungsmaßen im Hinblick auf das Sachverständigengutachten des K3 und das vom Senat urkundsbeweislich verwertete, im Verwaltungsverfahren bei W3 erhobenen Sachverständigengutachten befassen. Aus diesem lässt sich ebenso eine weitaus bessere Beweglichkeit beider Schultergelenke (Arm seitw./körperw. rechts 115-0-35°, links 120-0-40°, Arm rückw./vorw. rechts 40-0-120°, links 45-0-125°, Arm ausw./einw. drehen <Oberarm anliegend> rechts 35-0-100°, links 45-0-110°, Arm ausw./einw. drehen <Oberarm 90° seitw. abgeh.> rechts 65-0-50°, links 95-0-60°) entnehmen. Für eine, nicht einen GdS von 10 bedingende Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke, die Ursächlichkeit des Ereignisses vom 1. September 2006 für die Bewegungseinschränkung unterstellt, spricht auch maßgeblich, die sich aus dem urkundsbeweislich verwerteten Bericht des J am 15. Oktober 2007 ergebende Beweglichkeit der Schultergelenke von Abduktion/Adduktion links 120-0-20°, rechts 110-0-20° und Außenrotation/Innenrotation (adduzierter Arm) links 40-0-90°, rechts 30-0-90°.   

Aber auch bei einer Bewertung mit einem GdS mit 10, würde sich nach den Grundsätzen über die Bildung des Gesamt-GdS (VG, Teil A, Nr. 3, d), ee), wonach von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen, und es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdS von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen, unter Berücksichtigung des im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ausgeurteilten Einzel-GdS von 20 kein rentenberichtigender Gesamt-GdS von mindestens 25 ergeben.

Darüber hinaus haben W3 und K3 für den Senat in den von ihnen erstellten Sachverständigengutachten unter Auseinandersetzung mit den abweichend vertretenen Ansichten des K1 und des S1 in deren im Verfahren S 8 VG 4090/08 erstellten Sachverständigengutachten und des H1 in dessen radiologischem Zusatzgutachten für den Senat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass das Ereignis vom 1. September 2006 letztlich an beiden Schultergelenken zu folgenlos ausgeheilten Prellungen und Distorsionen geführt hat und die zum Zeitpunkt der Antragstellung am 29. Dezember 2016 bestehenden Funktionsbehinderungen an beiden Schultergelenken nicht schädigungsbedingt sind. Etwas Anderes ergibt sich für den Senat auch nicht aus sachverständigen Zeugenaussage des V im erstinstanzlichen Verfahren, der ebenso einen ursächlichen Zusammenhang bejaht hat.

W3 hat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass die Bewegungseinschränkungen beider Schultergelenke degenerativ und damit nicht traumatisch verursacht sind, weil sich entsprechende Verschleißerscheinungen bereits aus den zeitnah zum Ereignis vom 1. September 2006 gefertigten MRTs ergeben. Die Klägerin hatte auch bereits vor dem Ereignis unter Beschwerden im linken Schultergelenk gelitten, wie sich aus der – urkundsbeweislich verwerteten – Heilmittelverordnung vom 22. Dezember 2005 über eine Elektrotherapie und Massagen aufgrund einer adhäsiven Entzündung der linken Schultergelenkkapsel ergibt. Ebenso hat W3 in Auseinandersetzung mit dem radiologischen Zusatzgutachten des H1 nachvollziehbar dargelegt, dass eine angenommene traumatische Sehnenruptur unmittelbar nach der Ruptur zu einer erheblichen Funktionsbeeinträchtigung hätte führen müssen, die nicht dokumentiert ist. Vielmehr hat die Klägerin erst drei Wochen nach dem Überfall
am 27. September 2006 einen Orthopäden konsultiert, also keinerlei Beschwerden gehabt, die ein sofortiges Eingreifen erforderlich gemacht hätten, was aber bei einer schwerwiegenderen Verletzung wie einer Ruptur zu erwarten gewesen wäre, und dabei noch nicht einmal ein traumatisches Ereignis berichtet, was der Senat dem damaligen Arztbrief entnimmt. Auch aus dem Operationsbericht des linken Schultergelenks haben sich ganz überwiegend degenerative Veränderungen ergeben. K3 hat für den Senat ebenso überzeugend gegen eine schädigungsbedingte Verursachung der Funktionsstörungen der Schultergelenke dargelegt, dass in der MRT der rechten Schulter am 24. Oktober 2006 eine sichere Strukturschädigung als Folge der Tat nicht beschrieben ist und die MRT der linken Schulter vom 14. September 2006 zwar Verletzungszeichen im linken Schultergelenks gezeigt hat, die SLAP II-Läsion aber nach erfolgreicher Refixation folgenlos ausgeheilt ist; zumal selbst eine traumatisch bedinge SLAP-Läsion in der Gutachterliteratur maximal mit einem GdS von 10 bewertet wird. Auch die Klägerin hat, wie der Senat dem urkundsbeweislich verwerteten Bericht des J über die Vorstellung der Klägerin am 27. September 2006 und damit unmittelbar nach dem Ereignis vom 1. September 2006 entnimmt, nicht von einer traumatischen Verursachung der Gesundheitsstörungen in der linken Schulter berichtet, hingegen hat sie gegenüber K am 11. September 2006 eine traumatische Verursachung angegeben.

Die
vorliegenden medizinischen Unterlagen, ärztlichen Meinungsäußerungen, sachverständigen Zeugenaussagen und erhobenen Sachverständigengutachten haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Weitere Ermittlungen waren deshalb nicht vorzunehmen. Es würde sich hierbei um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln, mithin um eine Ausforschung des Sachverhaltes, zu der der Senat nicht verpflichtet ist (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – B 9 V 20/18 B –, juris, Rz. 19).

Nach alledem ist der Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2015 in dem im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Recht auf den Antrag der Klägerin vom 29. Dezember 2016 die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt. Das SG hat die Klage insoweit demnach zu Recht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 2. Juli 2021 war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin im Berufungsverfahren.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.



 

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