L 12 BA 3/20

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 8 BA 383/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 BA 3/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung des Arbeitslohns aus Anlass einer Betriebsveranstaltung bei nachträglicher Pauschalbesteuerung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialversicherungsentgeltverordnung SvEV- i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz EStG-).

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29.1.2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die nicht zu erstatten sind.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 60.043,17 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 60.043,71 €. Strittig ist dabei, ob eine nachträgliche Pauschalbesteuerung von Arbeitsentgeltbestandteilen zu deren Beitragsfreiheit geführt hat.

Die Klägerin führte am 5.9.2015 anlässlich eines Firmenjubiläums eine Betriebsveranstaltung durch, an der auch ihre Arbeitnehmer teilnahmen. Es entstanden Kosten i.H.v. 214.502,36 € (einschließlich Umsatzsteuer). Bei der Lohnsteueranmeldung für September 2015 vom 8.10.2015 berücksichtigte sie diese Kosten zunächst nicht. Am 31.3.2016 übermittelte sie dem Finanzamt Vechta dann eine korrigierte Lohnsteueranmeldung. Mit dieser meldete sie die Lohnsteuer auf den Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung, soweit er den Freibetrag i.H.v. 110,00 € je Teilnehmer überstieg, mit einem Pauschalsteuersatz von 25 % an. Auf den sich daraus ergebenden Betrag führte sie keine Sozialversicherungsbeiträge ab.

Im August 2017 bemerkte die Beklagte im Rahmen einer Betriebsprüfung die korrigierte Lohnsteueranmeldung vom 31.3.2016. In diesem Zusammenhang übersandte ihr die spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Stellungnahme, mit der sie geltend machte, der Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung sei nicht sozialversicherungspflichtig gewesen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 der mit Wirkung zum 21.5.2015 geänderten Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) seien die dort genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nämlich nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie vom Arbeitgeber lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert würden. Vom Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen könne die Lohnsteuer gem. § 40 Abs. 2 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erhoben werden, soweit die Zuwendung an den Arbeitnehmer 110,00 € je Veranstaltung übersteige (§ 19 Abs. 1 Nr. 1a Satz 3 EStG). In den Entgeltabrechnungen für September 2015 seien die Arbeitslöhne aus Anlass der Betriebsveranstaltung zwar zunächst nicht erfasst worden, da deren Höhe noch nicht festgestanden habe und angenommen worden sei, dass der Freibetrag nicht überschritten werde. Später sei aber eine berichtigte Lohnsteueranmeldung abgegeben worden. Diese Berichtigung sei auch noch nach dem 28.2.2016 möglich gewesen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV sei zwar die bloße Möglichkeit der Pauschalversteuerung nicht ausreichend für die Beitragsfreiheit. Dem Wortlaut der Norm könne aber nicht entnommen werden, wie sich Berichtigungen auswirkten. In der Gesetzesbegründung werde insofern lediglich ausgeführt, dass eine nachträglich geltend gemachte Pauschalbesteuerung nicht dazu führe, dass für steuer- und beitragspflichtig abgerechnete Arbeitsentgeltbestandteile Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten seien, wenn der Arbeitgeber die vorgenommene steuerpflichtige Erhebung nicht mehr ändern könne. Diese Begründung betreffe aber nicht den hier zu beurteilenden Sachverhalt. Am 20.4.2016 hätten der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund und die Bundesagentur für Arbeit erstmalig die Auswirkungen nachträglicher Änderungen der lohnsteuerrechtlichen Behandlung systematisiert. Nach dem Besprechungsergebnis solle eine Änderung in Anlehnung an § 41b EStG nur dann zu einer Änderung der Arbeitsentgeltbeurteilung führen, wenn sie bis Ende Februar des Folgejahres vorgenommen worden ist. Auch diese Ausführungen gingen hier aber ins Leere. In den Abrechnungen für September 2015 seien ursprünglich weder Angaben zu pauschal besteuerten noch zu steuerfreien Bezügen enthalten gewesen. Es handele es sich daher nicht um eine Änderung, sondern um die erstmalige Erfassung des Vorgangs. Nach § 41b Abs. 6 EStG werde pauschal besteuerter Arbeitslohn gerade nicht bescheinigt. Folglich bestehe für dessen erstmalige Erfassung nicht die für Lohnsteuerbescheinigungen geltende zeitliche Berichtigungssperre. Im Übrigen sei es angesichts der bis zur Besprechung der Spitzenverbände am 20.4.2016 unklaren Rechtslage unbillig, gestützt auf das Besprechungsergebnis das Arbeitsentgelt aus Anlass einer früheren Betriebsveranstaltung als sozialversicherungspflichtig zu behandeln.

Mit Bescheid vom 4.12.2017 machte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Nachforderung i.H.v. 60.043,71 € geltend. Sie führte aus, nach §§ 14 und 17 SGB IV i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Zuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen bei Betriebsveranstaltungen gehörten zum Arbeitsentgelt im Sinne des EStG, soweit sie den Freibetrag überstiegen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG). Es bestehe zwar die Möglichkeit, den übersteigenden Betrag gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG pauschal zu versteuern. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV seien die dort genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen aber nur dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber tatsächlich lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert worden seien. Eine unzutreffende steuer- und beitragsfreie Behandlung könne grundsätzlich nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, also längstens bis Ende Februar des Folgejahres (§ 41b EStG), durch eine nachträgliche Pauschalbesteuerung geändert werden. Die Klägerin habe am 5.9.2015 eine Betriebsveranstaltung durchgeführt. Es sei aber zunächst keine lohnsteuerrechtliche Behandlung des Sachverhalts erfolgt. Erst am 31.3.2016 habe sie einen Betrag i.H.v. „160.892,96 €“ (gemeint wohl: 162.892,96 €) der pauschalen Lohnsteuer unterworfen. Die endgültige Abrechnung der Betriebsveranstaltung wäre jedoch spätestens am 4.11.2015 (Zahlung des letzten Rechnungsbetrages) möglich gewesen. Da die Klägerin die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt habe, habe die Beitragshöhe nicht bzw. nicht ohne unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand festgestellt werden können. Die Beiträge seien daher nach § 28f Abs. 2 SGB IV anhand der Summe der gezahlten Arbeitsentgelte ermittelt worden (Summenbeitragsbescheid). Hierbei sei der Bemessung der pauschal versteuerte Gesamtbetrag von 162.892,96 € zu Grunde gelegt worden. Darüber hinaus sei berücksichtigt worden, dass ein Teil der Arbeitnehmer bereits die Jahresarbeitsentgelt- bzw. die Beitragsbemessungsgrenze überschritten habe. Insofern seien in der Kranken- und Pflegeversicherung 143.634,68 € und in der Renten- und Arbeitslosenversicherung 156.473,53 € zur Beitragsberechnung herangezogen worden.

Am 28.12.2017 erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Im weiteren Verlauf wiederholte sie, inzwischen vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, im Wesentlichen deren Vorbringen vom 15.9.2017. Sie bestritt ausdrücklich nicht die Aussage der Beklagten, dass im Oktober 2015 keine lohnsteuerrechtliche Behandlung des Sachverhaltes erfolgt sei, und folgerte, dass es sich gerade deshalb bei der später geltend gemachten pauschalen Besteuerung um eine erstmalige, berichtigende Beurteilung und nicht um eine Änderung gehandelt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.5.2018 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück und betonte nochmals, dass in der ursprünglichen Lohnsteueranmeldung vom 8.10.2015 der Sachverhalt steuerlich nicht behandelt worden sei. Gleichzeitig lehnte sie die Aussetzung der Vollziehung ab.

Am 29.6.2018 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Sie hat erneut geltend gemacht, es liege keine Änderung einer bereits vorgenommenen Abrechnung vor. Denn mit Abgabe der berichtigten Lohnsteueranmeldung sei der Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung erstmalig der Pauschalbesteuerung zugeführt worden.

Die Beklagte hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen.

Mit Urteil vom 29.1.2020 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Zuwendungen an die Arbeitnehmer der Klägerin aus Anlass der Betriebsveranstaltung seien nicht sozialversicherungspflichtig gewesen, weil sie der pauschalen Lohnsteuer unterworden worden seien. Die Pauschalbesteuerung sei auch noch nach dem 28.2.2016 möglich gewesen. Denn nach § 41b Abs. 6 EStG gelte das Erfordernis der Lohnsteuerbescheinigung bis Ende Februar des Folgejahres nicht für die pauschal besteuerten oder lohnsteuerfrei belassenen Bestandteile des Arbeitsentgelts. Beide würden in der Lohnsteuerbescheinigung nicht aufgeführt. Die Voraussetzungen der allgemeinen Korrekturvorschriften lägen wiederum vor: Grundsätzlich erfolge die Lohnsteueranmeldung zwar monatsweise bis zum Zehnten des Folgemonats. Eine Korrektur-Anmeldung sei jedoch möglich. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seiner Entscheidung vom 13.11.2012 (VI R 38/11) betont, dass der tatsächliche Lohnsteuerabzug im Zusammenhang mit einer Lohnsteueranmeldung nicht von Bedeutung sei. Denn bei der mit der Anmeldung festgesetzten Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers handele es sich um den gesetzlichen „Sollbetrag“, nicht um den durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug bestimmten „Istbetrag“. Die Steueranmeldung gelte als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 Abgabenordnung - AO). Solange der Vorbehalt wirksam sei, könne sie geändert werden (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). Eine Steuerfestsetzung oder ihre Änderung sei erst dann nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist von vier Jahren abgelaufen sei (§ 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Am 31.3.2016 sei der Vorbehalt demzufolge noch wirksam gewesen. Das Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 20.4.2016 binde die Gerichte nicht.

Am 17.2.2020 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Berichterstatter des Senats hat die weiteren von einem Beitragseinzug betroffenen Sozialversicherungsträger von dem Verfahren und der Möglichkeit einer Beiladung auf Antrag (§ 75 Abs. 2b SGG) benachrichtigt. Mit Beschluss vom 18.10.2021 hat er die im Rubrum genannten Sozialversicherungsträger auf deren Antrag beigeladen. 

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass eine steuer- und beitragsfreie Behandlung von Arbeitsentgeltbestandteilen nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, also längstens bis Ende Februar des Folgejahres (§ 41b EStG), durch eine nachträglich Pauschalversteuerung geändert werden könne. Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV seien bereits abgeführte Sozialversicherungsbeiträge nicht an den Arbeitgeber zu erstatten, wenn dieser erst später eine Pauschalbesteuerung geltend mache. Wenn jedoch bereits derjenige, der die betroffenen Arbeitsentgeltbestandteile steuer- und beitragspflichtig abgerechnet habe, keine Beitragsfreiheit herbeiführen könne, könne erst recht nicht durch eine nachträgliche Pauschalbesteuerung zuvor nicht steuer- und beitragspflichtig abgerechneter Arbeitsentgeltbestandteile Beitragsfreiheit erlangt werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte erklärt, angesichts der zuletzt von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht mehr zu bezweifeln, dass das Finanzamt die korrigierte Lohnsteueranmeldung akzeptiert habe.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29.1.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,        

          die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt im Wesentlichen das Vorbringen vom 15.9.2017 und verweist auf ihre Klagebegründung sowie das Urteil des SG. Sie betont, dass nicht die Erstattung bereits geleisteter Beiträge streitgegenständlich sei. Die lohnsteuerliche Behandlung im März 2016 sei die erstmalige Erfassung des Sachverhalts und keine Änderung gewesen. Auf Nachfrage des Berichterstatters hat sie mitgeteilt, aus einer beigefügten Auskunft zur Abfrage des Steuerkontos vom 28.2.2022 sei zu erkennen, dass das Finanzamt die Berichtigung vom 31.3.2016 akzeptiert habe. Zudem dokumentiere ein Bericht des Finanzamts vom 3.9.2018, dass die pauschalierte Lohnsteuer ordnungsgemäß sei. Außerdem habe es inzwischen mit Bescheid vom 26.9.2018 den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Die Beigeladene zu 1. hat erklärt, die rechtliche Auslegung durch die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zu teilen. Die weiteren Beigeladenen haben keine Stellungnahmen abgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf das Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung am 24.3.2022 sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben. 

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben. Diese sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Arbeitslöhne, die die Klägerin ihren Arbeitnehmern aus Anlass der Betriebsveranstaltung zuwendete, unterlagen nicht der Sozialversicherungspflicht.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SvEV sind Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, sofern diese – wie § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV in der seit dem 22.4.2015 geltenden Fassung (n.F.) ausdrücklich bestimmt – vom Arbeitgeber oder von einem Dritten für den jeweiligen Abrechnungszeitraum lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert werden. Es kommt also auf die tatsächliche lohnsteuerfreie bzw. pauschalbesteuernde Behandlung an. Zu den Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG zählt u.a. Arbeitslohn, den der Arbeitgeber aus Anlass von Betriebsveranstaltungen zahlt (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG), soweit er den Freibetrag von 110,00 € (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG) übersteigt. Dass die Veranstaltung vom 5.9.2015 eine Betriebsveranstaltung in diesem Sinne darstellte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Arbeitslohns aus Anlass von Betriebsveranstaltungen richtet sich demnach – worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat – nach dem Steuerrecht. Dieser Zusammenhang entspricht damit der Vorgabe in der Verordnungsermächtigung für die SvEV, der zufolge eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen ist (§ 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). In der amtlichen Begründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV n.F. wird darüber hinaus ausdrücklich betont, durch die neue Formulierung werde „klargestellt, dass es auf die tatsächliche Erhebung der Lohnsteuer ankommt“, die bloße Möglichkeit der steuerfreien oder pauschalbesteuerten Erhebung also nicht ausreicht, um Beitragsfreiheit zu begründen (BT-Drs. 18/3699, S. 48). Entscheidend ist demnach, ob der den Freibetrag von 110,00 € übersteigende Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung am 5.9.2015 tatsächlich pauschal besteuert worden ist.

Zutreffend ist zwar der Hinweis in der Niederschrift zur Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 20.4.2016 auf die Gesetzesbegründung, der zufolge „eine erst im Nachhinein geltend gemachte Steuerfreiheit beziehungsweise Pauschalbesteuerung … nicht dazu (führe), dass für steuer- und beitragspflichtige Arbeitsentgeltbestandteile Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten sind, wenn der Arbeitgeber die vorgenommene steuerpflichtige Erhebung nicht mehr ändern kann“ (BT-Drs. 18/3699, S. 48). Über einen solchen Fall ist indes vorliegend nicht zu entscheiden. Zum einen macht die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen geltend, sondern wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Zum anderen konnte die vorgenommene steuerpflichtige Erhebung noch geändert werden. Die Gesetzesbegründung erlaubt daher eher den Umkehrschluss, dass auch eine nachträglich vorgenommene Pauschalbesteuerung sozialversicherungsrechtlich relevant ist, solange der Arbeitgeber die vorgenommene steuerpflichtige Erhebung noch ändern kann.

Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Auskunft zur Abfrage des Steuerkontos vom 28.2.2022, Bericht des Finanzamts vom 3.9.2018, Bescheid des Finanzamts vom 26.9.2018) ist die vom Finanzamt akzeptierte Pauschalbesteuerung des den Freibetrag übersteigenden Arbeitslohns aus Anlass der Betriebsveranstaltung inzwischen nachgewiesen. Auch die Beklagte hat die Akzeptanz der Berichtung durch das Finanzamt zuletzt nicht mehr angezweifelt. Wenn aber § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV das Tatbestandsmerkmal einer tatsächlich erfolgten lohnsteuerfreien Belassung oder pauschalen Besteuerung der genannten Einnahmen, Zuwendungen oder Leistungen aufstellt, ist dieses Merkmal bei einer vom Finanzamt bestätigten Pauschalbesteuerung erfüllt. Insofern sind die Rentenversicherungsträger an die Entscheidung der Finanzverwaltung gebunden. Schon deshalb war die Entscheidung der Beklagten, auf den Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, rechtswidrig.

Unabhängig von dieser vom Finanzamt akzeptierten Pauschalbesteuerung findet die im Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung und von der Beklagten vertretene Auffassung, eine Pauschalbesteuerung könne stets nur bis Ende Februar des Folgejahres geltend gemacht werden, keine hinreichende Stütze im Gesetz. Insbesondere ist diese zeitliche Grenze entgegen der Auffassung der Beklagten nicht § 41b EStG zu entnehmen. In dessen Absatz 1 Satz 4 heißt es zwar, soweit der Arbeitgeber nicht zur elektronischen Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung verpflichtet sei, habe er eine Lohnsteuerbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Muster auszustellen und an das Finanzamt bis zum letzten Tag des Monats Februar des auf den Abschluss des Lohnkontos folgenden Kalenderjahres zu übersenden. Eine entsprechende Regelung findet sich in Absatz 3 Satz 2 für Arbeitgeber ohne maschinelle Lohnabrechnung, die ausschließlich Arbeitnehmer in ihrem Privathaushalt geringfügig beschäftigen. Die Beklagte misst der Lohnsteuerbescheinigung aber eine Bedeutung bei, die ihr für die Beantwortung der hier streitgegenständlichen Frage nicht zukommt.

Zu Recht hat das SG hervorgehoben, dass zwischen der Lohnsteueranmeldung und der Lohnsteuerbescheinigung zu unterscheiden ist. Die Steueranmeldung ist eine besondere Form der Steuererklärung (Oellerich, in: Gosch, AO/FGO, Stand: 1.5.2018, § 168 AO, Rn. 21; 46). Sie steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Abs. 1 AO). Ihr kommt damit dieselbe Rechtswirkung wie einem entsprechenden Steuerbescheid zu; sie stellt einen fingierten Verwaltungsakt dar (Oellerich, a.a.O., Rn. 26; 36), der den “Sollbetrag“ der zu entrichtenden Steuern bestimmt (BFH, Urteil vom 13.11.2012 – VI R 38/11 – juris, Rn. 16). Der Anmeldeverpflichtete muss die angemeldete Steuer einbehalten und an das Finanzamt abführen (Oellerich, a.a.O., Rn. 31). Der fingierte Verwaltungsakt bleibt solange wirksam, bis das Finanzamt einen Steuerbescheid erlässt, der an seine Stelle tritt (Oellerich, a.a.O., Rn. 22). Der Vorbehalt der Nachprüfung gilt zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen (Oellerich, a.a.O., Rn. 36). Grundsätzlich sind auf Steuerfestsetzungen die §§ 155 ff. AO anwendbar (Oellerich, a.a.O., Rn. 27). Solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Steuer-pflichtige kann die Aufhebung oder Änderung jederzeit beantragen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 AO).

Dagegen betrifft die Lohnsteuerbescheinigung den „Istbetrag“ des erfolgten Lohnsteuerabzugs (BFH, a.a.O.). Sie ist ein Beweismittel im Sinne des § 92 Satz 1 Nr. 3 AO und beweist, wie der Lohnsteuerabzug tatsächlich durchgeführt worden ist, nicht aber, wie er richtig gewesen wäre (Eisgruber, in: Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl. 2022, § 41b, Rn. 1). Der Lohnsteuerabzug darf vom Arbeitgeber gemäß § 41c Abs. 3 EStG grundsätzlich nur bis zur Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung geändert werden, da ansonsten deren Inhalt unrichtig würde (BFH, Urteil vom 13.12.2007 – VI R 57/04 – juris, Rn. 15 f.; Eisgruber, a.a.O., § 41c, Rn. 8; Krüger, in: Schmidt, EStG, 40. Aufl. 2021, § 41c, Rn. 5).

Die Lohnsteueranmeldung kann dagegen nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch noch nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung geändert werden. Denn der durch die Lohnsteuerbescheinigung belegte tatsächliche Lohnsteuerabzug („Istbetrag“) ist im Zusammenhang mit der durch die Lohnsteueranmeldung oder einen Bescheid des Finanzamts festgesetzten Entrichtungssteuerschuld („Sollbetrag“) nicht von Bedeutung. Daher ist eine Änderung der letztgenannten Schuld nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der AO möglich, insbesondere solange noch der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 Satz 1 AO) besteht (BFH, Urteil vom 13.11.2012, a.a.O., Rn. 16 f.; Urteil vom 30.10.2008 – VI R 10/05 – juris, Rn. 9 f.; Heuermann, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: Oktober 2021, § 41a EStG, Rn. 24; ders., a.a.O., § 41c EStG, Rn. 24; Krüger, a.a.O.) – hier also auch noch am 31.3.2016, als die Klägerin dem Finanzamt die korrigierte Lohnsteueranmeldung übermittelte.

Die zitierte Rechtsprechung hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, § 41c Abs. 3 EStG mit Wirkung ab dem 31.7.2014 um die Sätze 4 bis 6 zu ergänzen (dazu BT-Drs. 18/1529, S. 58; BR-Drs. 184/1/14, S. 13 f.; BT-Drs. 18/1995, S. 105). Danach ist eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung nur noch dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitsgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde; in einem solchen Falle hat er die bereits übermittelte Lohnsteuerbescheinigung zu berichtigen. Mit dieser Ergänzung hat der Gesetzgeber insbesondere verhindern wollen, dass die festgesetzten und die bescheinigten Beträge voneinander abweichen (BT-Drs. 18/1995, S. 105; Heuermann, a.a.O., § 41c EStG, Rn. 25). Da aber die erstmalige Anmeldung des pauschal besteuerten Arbeitslohns aus Anlass der Betriebsveranstaltung keine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer zur Folge hat, sind die Sätze 3 bis 4 des § 41c Abs. 3 EStG vorliegend nicht einschlägig. Insofern bleibt die Änderung der Steueranmeldung nach den allgemeinen Korrekturbestimmungen der AO möglich.

Allerdings kann eine Lohnsteuerbescheinigung einer nachträglichen Pauschalisierung entgegenstehen, wenn der Arbeitgeber zuvor – was bei Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltung in der Praxis äußerst selten vorkommen dürfte – schon im Regelbesteuerungsverfahren abgerechnet hat. Denn dann sind die betroffenen Arbeitsentgeltbestandteile als regelbesteuerter Arbeitslohn des jeweiligen Arbeitnehmers bereits in der (ab März des Folgejahres grundsätzlich nicht mehr zu ändernden) Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesen (Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.10.2014 – 4 K 1182/13; Revision dagegen zurückgewiesen: BFH, Urteil vom 24.9.2015 – VI R 69/14). Werden dagegen – wie im vorliegenden Fall – bislang unversteuerte, in der Lohnsteuerbescheinigung nicht ausgewiesene Arbeitsentgeltbestandteile erstmals erfasst, ist eine rückwirkende Anmeldung pauschaler Lohnsteuer nach § 40 Abs. 2 EStG möglich. Denn in diesen Fällen werden kein bereits vorgenommener Lohnsteuerabzug und keine Lohnsteuerbescheinigung geändert, sondern es wird eine pauschale Lohnsteuer auf bislang unversteuerten Arbeitslohn erstmals festgesetzt (Eisgruber, a.a.O., § 40, Rn. 25; § 41c, Rn. 8). Da dann auch keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren, stellt sich auch die Frage einer Erstattung nicht. Ebenso wenig kann ein Konflikt mit dem Grundsatz der Unveränderlichkeit des abgewickelten Versicherungs- und Beitragsverhältnisses entstehen. Der von der Beklagten gezogene Erst-Recht-Schluss von der Beitragspflicht von regelbesteuerten Arbeitsentgeltbestandteilen auf die Beitragspflicht von ursprünglich gar nicht und erst nachträglich pauschalbesteuerten Arbeitsentgeltbestandteilen liefe auf eine Sanktionierung der ursprünglichen unterbliebenen Besteuerung hinaus, die im Gesetz keine Stütze findet.

Dieses Ergebnis ist auch deshalb sachgerecht, weil nur bei einer Regelbesteuerung das auf den einzelnen Arbeitnehmer entfallende Arbeitsentgelt feststeht und ohne Weiteres der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterworfen werden kann. Es würde Sinn und Zweck des Pauschalisierungsverfahren, ein einfaches und ökonomisches Verfahren zu erlauben (Eisgruber, a.a.O., § 40, Rn. 4), widersprechen, müsste trotz einer erfolgten steuerrechtlichen Pauschalisierung das auf den einzelnen Arbeitnehmer entfallende Arbeitsentgelt für Zwecke der Beitragsbemessung bestimmt werden. Auch die Möglichkeit, auf eine solche Bestimmung zu verzichten und einen Summenbeitragsbescheid zu erlassen, würde keine befriedigende Lösung darstellen. Denn mit einem solchen wird jedenfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung das wesentliche Ziel der Beitragsentrichtung, nämlich zum Erwerb von individuellen Rentenanwartschaften zu führen (BSG, Urteil vom 17.12.1985 – 12 RK 30/83 – juris, Rn. 18), verfehlt.

Da mithin vorliegend der Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung sozialversicherungsfrei war und die angefochtenen Bescheide schon deshalb rechtswidrig waren, kann dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen für einen Summenbeitragsbescheid vorlagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Ein Grund für die Erstattung außergerichtlicher Kosten eines der Beigeladenen besteht nicht; insbesondere haben die Beigeladenen keine eigenen Anträge gestellt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 197b, Rn. 29).

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der streitentscheidenden Rechtsfrage, ob Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, wenn sie erst nach dem Februar des Folgejahres pauschal besteuert werden, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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