1. Die Unzulässigkeit eines mit einfacher E-Mail eingelegten Widerspruchs wird nicht dadurch geheilt, dass die Widerspruchsbehörde über ihn in der Sache entscheidet. 2. Zur Gefahrtarifveranlagung sogenannter Bake-off- oder Backstationen. 3. Richtet sich die Klage sowohl gegen die Gefahrtarifveranlagung als auch gegen die daraus folgende Beitragsfestsetzung, steht einer Addition der Streitwerte die wirtschaftliche Identität beider Streitgegenstände entgegen (Abgrenzung gegen BSG, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - B 2 U 116/18, juris).
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 55.168,61 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif für die Jahre 2008 bis 2013 und die darauf gestützten Beitragsfestsetzungen.
Die Klägerin - die bis zum September 2011 unter dem Namen „J.“ firmierte - führt in K. ein Franchise-Unternehmen mit Selbstbedienungsläden, die ua mit Backwaren beliefert werden, die dort erhitzt und zum Kauf angeboten werden. Franchisegeberin ist gegenwärtig die L. in M.. Im Jahr 2008 betrieb die Klägerin drei und von 2009 bis 2013 fünf derartige Geschäfte, die die Bezeichnung „N.“ führten.
Die Beklagte hatte mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. Juli 2003 ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin festgestellt. Auf der Grundlage ihrer bis 2007 geltenden Gefahrtarife wurde die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt zu der Gefahrtarifstelle veranlagt, die für den „Vertrieb von Lebensmitteln“ gebildet worden war (nach dem ab 2005 geltenden Gefahrtarif: Gefahrklasse 3,0). Nachdem die Vertreterversammlung der Beklagten mit Wirkung vom 1. Januar 2008 einen neuen Gefahrtarif beschlossen hatte, der keine Gefahrtarifstellen für den Vertriebsbereich mehr vorsah, gab die Klägerin in einem Fragebogen unter dem 19. März 2008 ua an, in ihrem Betrieb würden keine Teige hergestellt und gebacken, jedoch Teigrohlinge aufgebacken. Auf das Aufbacken von Teigrohlingen entfielen 15 % der Arbeitszeit der Beschäftigten, auf den Verkauf von aufgebackenen bzw verfeinerten Backwaren 20 %, auf die Zubereitung von Speisen und Getränken und deren Verkauf über die Ladentheke 15 % und auf den Verkauf von Speisen und Getränken zum Verzehr vor Ort 10 % der Arbeitszeit. 10 % nähmen der Verkauf fremdbezogener Waren und 30 % Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten ein.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2008 veranlagte die Beklagte die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 2008 zur Gefahrtarifstelle 1 – Bäckereien/Konditoreien – mit der Gefahrklasse 5,2 und den Bürobereich zur Gefahrtarifstelle 19 mit der Gefahrklasse 0,5.
Hiergegen legte die Klägerin am 18. Juni 2008 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ua ausführte, sie sei kein handwerklich produzierendes Unternehmen und stelle eigenständig keine Backwaren her. Ihre Haupttätigkeit bestehe im Verkauf von Backwaren und Snacks, wobei sie lediglich von einem Fremdunternehmen gelieferte Teigrohlinge aufbacke; der größte Teil ihres Sortiments werde sogar nur aufgetaut und anschließend in den Verkauf gegeben. Sie sei deshalb der Ansicht, für sie sei die Berufsgenossenschaft für Handel und Warendistribution (BGHW) zuständig. Am 9. Juli 2009 beantragte sie bei der Beklagten ausdrücklich die Überweisung an diese Berufsgenossenschaft.
Der Beratungs- und Prüfdienst der Beklagten befragte am 24. September 2009 den damaligen Geschäftsführer der Klägerin und besichtigte eine Verkaufsfiliale. Auf der Grundlage der dabei getroffenen Feststellungen kam er zum Ergebnis, Unternehmensschwerpunkte der Klägerin seien die Bearbeitung und der Verkauf von Bäckerei- und Konditoreiwaren. Der Verzehr selbst hergestellter Waren und die Abgabe von Getränken und Speisen an die Gäste vor Ort nähmen demgegenüber eine untergeordnete Rolle ein. Übergeordnet sei der Verkauf selbst bearbeiteter Bäckerei- und Konditoreiwaren über die Ladentheke an den Kunden. In den Verkaufsfilialen würden Teilfertigungsprozesse von Back- und Konditoreiwaren vorgenommen, da Teiglinge vor Ort durch das Personal aufgebacken würden (Prüfbericht vom 4. Februar 2010).
Zur Frage des zuständigen Unfallversicherungsträgers beantragte die Beklagte gegenüber der BGHW ein Schiedsstellenverfahren bei der Schiedsstelle für Katasterfragen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung eV (DGUV). Dieses endete mit dem Votum vom 13. Oktober 2010, wonach die Beklagte für die Klägerin zuständig sei.
Unter Zugrundelegung der Gefahrklasse 5,2 setzte die Beklagte für 2008 mit Bescheid vom 8. April 2009 einen Gesamtbeitrag in Höhe von 11.407,08 Euro fest. Mit Bescheid vom selben Datum bezifferte sie den Beitragsvorschuss für das Jahr 2009 auf 10.847,24 Euro. Gegen beide Bescheide legte die Klägerin mit Schreiben vom 27. April 2009 Widerspruch ein.
In gleicher Weise setzte die Beklagte mit Bescheid vom 11. April 2010 den Gesamtbeitrag für das Jahr 2009 endgültig auf 17.526,26 Euro und den Beitragsvorschuss für 2010 mit Bescheid vom selben Tag auf 17.754,14 Euro fest. Auch hiergegen legte die Klägerin – mit E-Mail vom 29. April 2010 – Widerspruch ein. Am 10. April 2011 erließ die Beklagte den Beitragsbescheid für 2010, den sie mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 änderte. Der Gesamtbeitrag für dieses Jahr wurde danach endgültig auf 23.549,72 Euro festgesetzt. Mit weiteren Bescheiden vom 13. Oktober 2014 setzte die Beklagte auch endgültig die Beiträge für 2011, 2012 und 2013 fest (iHv 33.099,80, 35.245,14 bzw 35.369,89 Euro).
Nachdem die Beklagte zunächst auch den Beitrag für 2014 auf der Grundlage der Veranlagung der Klägerin zur Gefahrtarifstelle 1 (Gefahrklasse 5,63 nach dem ab 2014 geltenden Gefahrtarif) berechnet hatte, änderte sie mit Bescheid vom 25. November 2015 die Veranlagung der Klägerin mit der Maßgabe, dass diese nunmehr in die Gefahrtarifstelle 3 (Gaststätten, Beherbergungsunternehmen; Gefahrklasse 3,87) eingestuft wurde. Grundlage hierfür war eine erneute Betriebsprüfung am 28. Mai 2015, bei der der Prüfdienst zum Ergebnis gekommen war, Umsatzschwerpunkt (79,8 %) sei nunmehr der Vertrieb gastronomischer Produkte, während auf Bäckereiprodukte nur noch 15,7 % entfielen (Bericht vom 19. August 2015).
Die Widersprüche vom 16. Juni 2008, 27. April 2009 und 29. April 2010 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015 zurück, wobei sie die Auffassung vertrat, dass auch die Beitragsbescheide für 2010, 2011, 2012 und 2013 Gegenstand des Widerspruchverfahrens geworden seien. Das Aufbacken von Teigrohlingen und der anschließende Verkauf hätten in dem betroffenen Zeitraum das Hauptunternehmen der Klägerin gebildet. Das Aufbacken von Teigrohlingen sei eine herstellende Tätigkeit und Bestandteil des Backens von Bäckereiwaren; auch der anschließende Verkauf sei unmittelbar der Produktion zuzurechnen. Diesen Tätigkeiten hätten rund 35 bis 40 % der Arbeitszeit der bei der Klägerin Beschäftigten gedient. Auch das Votum im Schiedsstellenverfahren vom 13. Oktober 2010 habe die Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen der Klägerin festgestellt. Das Gepräge des Franchise-Konzepts habe sich erst mit der Zeit geändert; dem sei durch die Änderung der Veranlagung ab 1. Januar 2014 Rechnung getragen worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 7. Januar 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Beklagte habe bereits ihre Zuständigkeit zu Unrecht angenommen. Sie sei zwar auch für Neben- oder Hilfsunternehmen einer Bäckerei zuständig, soweit die Bäckerei den Unternehmensschwerpunkt bilde; dies sei bei ihr aber nicht der Fall. Die Klägerin sei nicht in die Gruppierung des produzierenden Gewerbes einzustufen, weil sie lediglich zu einem geringen Teil halbfertige Produkte aufbacke und auch keinen Bäckermeister beschäftige, jedoch schwerpunktmäßig frisch zubereitete Snacks sowie durch ungelernte Arbeitskräfte Getränke anbiete. Hierzu hat sie eine Aufstellung der Warengruppenumsätze 2008 bis 2013 vorgelegt. Sie sei damit als selbstständige Verkaufsstelle von Backwaren ein Handelsunternehmen, sodass die Zuständigkeit der BGHW gegeben sei. Auch die Veranlagung zur Gefahrklasse 5,2 für die Jahre 2008 bis 2013 und die daraus resultierenden Beitragsbescheide seien rechtswidrig und verletzten sie in ihren Rechten. Denn auch für diesen Zeitraum sei bereits die niedrigere Gefahrklasse für Gaststätten zutreffend, weil das Zubereiten von Backwaren (Aufbacken von fertigen Teigrohlingen) nicht den Unternehmensschwerpunkt gebildet habe. Es seien auch weder Back- und Konditoreiwaren noch Grundteige, Teiglinge oder Hefeklöße selbst hergestellt worden. Die aufgebackenen Teigrohlinge hätten auch schon vor 2014 nur einen geringen Teil des Sortiments dargestellt; der größte Teil des Sortiments sei dagegen nur aufgetaut und anschließend in den Verkauf gegeben worden. Damit sei ihr Unternehmen von Beginn der Tätigkeit an dem Gewerbezweig „Gaststätten, Beherbergungsunternehmen“ zuzuordnen gewesen. Im späteren Verfahren hat die Klägerin hervorgehoben, dass es in ihren Filialen keinen „Backprozess“ gebe, vielmehr Brot nur „erwärmt“ und die Produkte der Gruppen „Kleingebäck“ und „Feingebäck“ nur noch „gebräunt“ würden.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2020 abgewiesen. Die Beklagte sei aufgrund ihres bestandskräftigen Bescheides vom 2. Juli 2003 der für die Klägerin zuständige Unfallversicherungsträger. Die gefahrtarifliche Zuordnung des Betriebs im Zeitraum 2008 bis 2013 sei nicht zu beanstanden. Dabei umfasse der Gewerbezweig „Bäckereien und Konditoreien“ auch den Unternehmensbereich Vertrieb und diesen habe die Beklagte in ihrem Gefahrtarif unter dem Oberbegriff „Herstellung von Backwaren“ auch erfassen wollen. Nach den Ergebnissen der von der Beklagten durchgeführten Betriebsbesichtigung habe das Aufbacken von Teigrohlingen und der anschließende Verkauf im Zeitraum 2008 bis 2013 auch den wirtschaftlichen Schwerpunkt des Unternehmens gebildet, wonach das Aufbacken von tiefgekühlten Teigrohlingen auch nicht lediglich als „Bräunungsprozess“, sondern als Backvorgang zu bewerten sei. Der später vollzogene Wandel im Unternehmenskonzept sei nach der Homepage von O. auf das Jahr 2013 datiert worden.
Gegen diese ihr am 4. Mai 2020 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 22. Mai 2020 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sei auch in der Zeit von 2008 bis 2013 für die Zuordnung zu bestimmten Gefahrklassen der Unternehmensschwerpunkt der Klägerin maßgeblich gewesen, der nicht im Bereich des „gefährlicheren“ Bäckereihandwerks gelegen habe. Schwerpunkt sei vielmehr der Bereich der Systemgastronomie mit einem ganz überwiegenden Abverkauf von vorgefertigten Produkten über die Ladentheke. Das dabei umgesetzte Brot sei bereits durchgebacken angeliefert worden und in den Filialbetrieben der Klägerin lediglich erwärmt worden. Klein- und Fertiggebäck seien als vorgebackene Tiefkühl-Rohlinge geliefert und im Backofen lediglich gebräunt worden, sie seien bereits fertig gebacken gewesen. Insgesamt seien 85 % des Gesamtumsatzes der Klägerin nicht auf Backwaren im engeren oder im weiteren Sinne entfallen, sondern hätten sich zB aus kalten Getränken, Eis, warmen Getränken, Milchmixgetränken, Snack-Artikeln, Salaten, Desserts, vorproduzierten Obstbechern, Belegware und vorverpackten Keksen sowie Zeitungen zusammengesetzt. Keinesfalls seien von 2008 bis 2013 ca 35 bis 40 % der Arbeitszeit der vor Ort tätigen Beschäftigten auf das Aufbacken von Teigen bzw Teigrohlingen entfallen. Im Übrigen seien sämtliche Mitbewerber der Klägerin sowie alle übrigen Franchisenehmer nicht der Beklagten, sondern – als reine Handelsunternehmen – der BGHW zugewiesen.
Die Klägerin beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. März 2020 aufzuheben,
- die Bescheide vom 28. Mai 2008, 8. April 2009, 11. April 2010 und 13. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2015 abzuändern,
- die Beklagte zu verpflichten, sie für den Zeitraum von 2008 bis 2013 zur Gefahrtarifstelle 3, Gewerbestelle 16, Gefahrklasse 3,7 zu veranlagen und die Beiträge für 2008 bis 2013 auf dieser Grundlage festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sei nach dem insoweit maßgeblichen Beschluss des Bundesrats vom 21. Mai 1885 für Bäckereien und gastronomische Betriebe zuständig. Dies sei auch von der Schiedsstelle mit Votum vom 13. Oktober 2010 eindeutig bestätigt worden. Das Vorbringen der Klägerin sei widersprüchlich, wenn sie einerseits vortrage, einen Handel mit fremdbezogener Ware zu betreiben - mit der Folge der Zuständigkeit der BGHW -, andererseits aber zur Gastronomie zu veranlagen sei. Die Entscheidung der Beklagten sei unter Berücksichtigung des Prüfberichts vom 4. Februar 2010 rechtmäßig. Erst im Rahmen der erneuten Betriebsprüfung 2015 sei festgestellt worden, dass sich das Unternehmen zur Selbstbedienungsgastronomie entwickelt habe. Soweit die Klägerin schließlich wiederholt vorgetragen habe, sie würde fertig angelieferte Produkte lediglich erwärmen bzw bräunen, stelle dies ein Erhitzen einer Tiefkühlware im Backofen und damit einen Teilfertigungsprozess dar, der gemeinhin als „Aufbacken“ bezeichnet werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG Hannover hat die Klage vom 7. Januar 2016 zu Recht abgewiesen.
I. Die Klage ist überwiegend zulässig.
1. Sie richtet sich ausweislich der Klageschrift vom 7. Januar 2016 zunächst gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2008, mit dem die Klägerin ua zur Gefahrtarifstelle 1 (Gewerbezweige: Bäckereien/Konditoreien) mit der Gefahrklasse 5,2 veranlagt worden ist und nicht – wie von ihr angestrebt – zur Gefahrtarifstelle 3 (Gaststätten/Beherbergungsunternehmen) mit der Gefahrklasse 3,7.
Mit dem weiterhin im Klagantrag aufgeführten Bescheid vom 8. April 2009 ist die Festsetzung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für 2008 angefochten, die auf der Grundlage des genannten Veranlagungsbescheids erfolgt ist. Ebenfalls unter dem 8. April 2010 war außerdem der Bescheid über den Beitragsvorschuss für 2009 erlassen und mit Widerspruch der Klägerin angegriffen worden. Dieser Bescheid ist im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens jedoch durch den - ebenfalls streitbefangenen - endgültigen Beitragsbescheid für 2009 vom 11. April 2010 ersetzt und damit auf sonstige Weise erledigt (vgl § 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>) worden (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 11/13 R, SozR 4-2700 § 161 Nr 1; Urteil vom 10. August 2021 – B 2 U 15/20 R, SozR 4-1300 § 44 Nr 42). Dies gilt auch für den Beitragsvorschussbescheid für 2010 (ebenfalls unter dem 11. April 2010 erlassen), der zunächst durch den endgültigen Beitragsbescheid vom 10. April 2011 ersetzt worden ist. Dieser ist wiederum durch den Beitragsbescheid vom 13. Oktober 2014 geändert worden, gegen den sich die Klage ebenfalls richtet. Dass sich die Klägerin darüber hinaus gegen alle Bescheide vom 13. Oktober 2014 wendet, also den gesamten Zeitraum von 2010 bis 2013 meint, ergibt sich aus der Klagebegründung im Schriftsatz vom 23. Juni 2016 (dort S 6), in der alle aus der Veranlagung zur Gefahrklasse 5,2 resultierenden Beitragsbescheide für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2013 angegriffen worden sind.
2. Die gegen die Bescheide vom 28. Mai 2008, 8. April 2009, 11. April 2010 und 13. Oktober 2014 - in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2015, vgl § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - gerichtete Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG statthaft.
3. In Hinblick auf die Beitragsbescheide für 2010 bis 2013 ist die Klage jedoch unzulässig, weil die entsprechenden Bescheide bestandskräftig (§ 77 SGG) geworden sind. Die damit (auch) eingetretene formelle Bestandskraft führt zur Unanfechtbarkeit der Bescheide (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 77 Rn 2) und infolgedessen zur Unzulässigkeit der dagegen erhobenen Klage (Binder in: Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 77 Rn 11).
a) Die Beitragsbescheide vom 13. Oktober 2014, mit denen die endgültigen Beiträge zur Unfallversicherung für die Jahre 2010 bis 2013 festgestellt worden sind, sind unanfechtbar, weil die Klägerin hiergegen keinen Widerspruch eingelegt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese Bescheide auch nicht gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, das den Veranlagungsbescheid vom 28. Mai 2008 betrifft. Denn die Beitragsbescheide haben den Veranlagungsbescheid weder geändert noch ersetzt, wie dies in § 86 SGG vorausgesetzt wird (BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 – B 2 U 32/03 R, SozR 4-2700 § 157 Nr 2). Soweit der Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015 eine durch die Anwendung von § 86 SGG veranlasste Zurückweisung von Widersprüchen enthält, geht er deshalb ins Leere.
b) Für 2010 ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass sich die Klägerin unter dem 29. April 2010 gegen den Beitragsvorschussbescheid für dieses Jahr gewandt hat. Aus § 86 SGG folgt an sich zwar, dass der Verwaltungsakt über die endgültige Beitragsfestsetzung Gegenstand des gegen den Vorschussbescheid anhängigen Widerspruchsverfahrens wird (vgl BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 11/13 R, SozR 4-2700 § 161 Nr 1), wie dies in Hinblick auf den Vorschussbescheid für 2009 und den diesen im Widerspruchsverfahren ersetzenden endgültigen Bescheid der Fall gewesen ist. Anders als der diesbezügliche Widerspruch vom 27. April 2009 war der gegen den Vorschussbescheid 2010 gerichtete Widerspruch aber formunwirksam. Denn das Schreiben vom 29. April 2010 ist lediglich per E-Mail versandt worden, wie sich eindeutig aus der Verwaltungsakte der Beklagten (dort Bl 92 f) ergibt. Gemäß § 84 Abs 1 S 1 SGG muss der Widerspruch aber schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) oder zur Niederschrift bei der Stelle eingereicht werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Eine Einlegung in elektronischer Form, die den Anforderungen des § 36a Abs 2 SGB I nicht genügt, ist demnach nicht ausreichend, weil sie weder die in der genannten Vorschrift angeführte qualifizierte elektronische Signatur enthält noch ein Fall ist, der einen der in § 36a Abs 2 SGB I angeführten Tatbestände zur Ersetzung der Schriftform erfüllt (unstr; vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. Juni 2007 – L 8 SO 60/07 ER, juris; B Schmidt aaO, § 84 Rn 3 mwN; Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG - Stand: 15. Juli 2017 -, § 84 Rn 14 mwN).
Hieran ändert nichts, dass die Beklagte nach dem Wortlaut ihres Widerspruchsbescheids auch den gegen den Vorschussbescheid 2010 gerichteten Widerspruch vom 29. April 2010 in der Sache geprüft und als unbegründet zurückgewiesen hat. Denn eine Behörde kann nicht über eine gesetzlich vorgegebene Formvorschrift verfügen und damit selbst darüber entscheiden, ob ihr Verwaltungsakt formell bestandskräftig und damit unanfechtbar wird (Becker in: Beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1. Februar 2022, § 84 SGG Rn 31; Binder aaO, § 84 Rn 6). Dem steht auch nicht entgegen, dass der Widerspruchsbehörde nach ständiger Rechtsprechung (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 27. Februar 1963 – V C 105.61, BVerwGE 15, 305 <310>; BSG, Urteil vom 12. Oktober 1979 – 12 RK 19/78, SozR 1500 § 84 Nr 3) die Befugnis eingeräumt wird, über einen nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegten Widerspruch in der Sache zu entscheiden und damit den Klageweg trotz Verfristung zu eröffnen. Denn während die Rechtsbehelfsfrist nur dazu dient, die Behörde bei Versäumung der Frist von der Verpflichtung zu befreien, den Verwaltungsakt aufgrund eines Widerspruchs sachlich zu überprüfen (BSG aaO), dient das Formerfordernis der Rechtssicherheit, indem damit sichergestellt wird, dass das Widerspruchsschreiben der Person des Widerspruchsführers zugeordnet werden kann und damit verlässlich dessen Wille zum Ausdruck kommt, den Widerspruch mit diesem Inhalt in den Rechtsverkehr zu bringen. Hinsichtlich dieser Fragen der Identität und Authentizität steht der Widerspruchsbehörde keine Sachherrschaft zu (Binder aaO). Dies steht einer Gleichstellung mit den Fällen einer Versäumung der Widerspruchsfrist entgegen (aA <ohne Begründung>: B. Schmidt aaO, Rn 7).
II. Die ansonsten zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann weder verlangen, für die Jahre 2008 bis 2013 zur Gefahrtarifstelle 3 des Gefahrtarifs der Beklagten vom 6. Juli 2007 veranlagt zu werden (im Folgenden: 1.), noch einen darauf basierenden geringeren Beitrag für die Beitragsjahre 2008 und 2009 zu zahlen (2.).
1. Der Bescheid vom 28. Mai 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat die Beklagte sie zur Gefahrtarifstelle 1 (Bäckereien/Konditoreien) mit der Gefahrklasse 5,2 veranlagt.
a) Dabei kann die Klägerin von vornherein nicht mit ihrem Einwand gehört werden, die Beklagte sei für sie nicht zuständig, weil wirtschaftlicher Schwerpunkt ihres Unternehmens der Handel mit Fremdware und deswegen die Zuständigkeit der BGHW gegeben sei. Denn die Beklagte hat mit Bescheid vom 2. Juli 2003 bestandskräftig ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin festgestellt. Im hier primär vorliegenden Veranlagungsstreit ist Prüfgegenstand demnach nicht die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers, sondern allein die Frage, ob der Gefahrtarif zutreffend angewandt worden ist (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 3/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr 18).
Die Klägerin hat zwar schon in ihrem Widerspruchsschreiben vom 16. Juni 2008 zum Ausdruck gebracht, dass sie sich der BGHW anschließen möchte und zudem mit Schreiben vom 3. Juli 2009 bei der Beklagten formell die Überweisung zur BGHW beantragt. Hierüber hat die Beklagte jedoch nicht entschieden, und nachdem die Schiedsstelle für Katasterfragen der DGUV am 13. Oktober 2010 für die Zuständigkeit der Beklagten votiert hat, ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin ihren Antrag auf Überweisung weiterverfolgt hat. Selbst wenn die Beklagte ihre diesbezügliche Entscheidung – nach § 136 Abs 1 S 4 SGB VII – noch nachholen würde, änderte sich für den hier umstrittenen Zeitraum von 2008 bis 2013 an ihrer Zuständigkeit für die Klägerin nichts. Denn nach § 137 Abs 1 S 1 SGB VII bleibt es auch im Fall einer Zuständigkeitsüberweisung bis zum Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Entscheidung über das Ende der Zuständigkeit des bisherigen Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Unternehmen bindend wird, dabei, dass der anfängliche Unfallversicherungsträger für das Unternehmen zuständig bleibt.
b) aa) Gesetzliche Grundlage für die Veranlagung zu den Gefahrklassen sind die §§ 157, 159 Abs 1 S 1 SGB VII. Gemäß § 157 Abs 1 S 1 SGB VII setzt der Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest, in dem zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen sind. Der Gefahrtarif wird gemäß § 157 Abs 2 S 1 SGB VII nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden. Die Gefahrklassen werden sodann nach § 157 Abs 3 SGB VII aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Nach § 159 Abs 1 S 1 SGB VII veranlagt der Unfallversicherungsträger schließlich die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen.
Grundlage des hier maßgeblichen Gefahrtarifs vom 6. Juli 2007 ist die Gliederung nach Gewerbezweigen (sogenanntes Gewerbezweigprinzip, vgl BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 – B 2 U 21/02 R, SozR 4-2700 § 157 Nr 1; Urteil vom 11. April 2013 – B 2 U 8/12 R, SozR 4-2700 § 157 Nr 5). Ein solcher gewerbezweigorientierter Gefahrtarif findet seine Rechtfertigung in der Gleichartigkeit der Versicherungsfallrisiken und der Präventionserfordernisse in den Betrieben. Die Gefährdungsrisiken werden ihrerseits durch die hergestellten Erzeugnisse, die Produktionsweise, die verwendeten Werkstoffe, die eingesetzten Maschinen und die sonstige Betriebseinrichtung sowie die gesamte Arbeitsumgebung geprägt (BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 – B 2 U 32/03 R, SozR 4-2700 § 157 Nr 2; Urteil vom 11. April 2013 aaO). Dies setzt in der Regel voraus, dass die in einer Tarifstelle zusammengefassten Unternehmen strukturelle, technologische und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten aufweisen (BSG, Urteil vom 11. April 2013 aaO). Die notwendig mit einer Generalisierung verbundene Bildung von Gefahrklassen nach dem Gewerbezweigprinzip hat allerdings zur zwangsläufigen Folge, dass es innerhalb der Gewerbezweige nicht nur gewerbetypische, sondern auch vom Durchschnitt der Gruppe mehr oder weniger deutlich abweichende Unternehmen und Unternehmensarten gibt (BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sind Anknüpfungspunkte für Definition und Zuschnitt eines Gewerbezweigs demnach Art und Gegenstand der zu veranlagenden Unternehmen (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 aaO; Urteil vom 5. Juli 2005 aaO; Urteil vom 11. April 2013 aaO).
bb) Prägend für die von der Beklagten unter der Gefahrtarifstelle 1 festgelegten Gewerbezweige „Bäckereien, Konditoreien“ ist die Herstellung von Back- und Konditoreiwaren (BSG, Urteil vom 11. April 2013 aaO). Dies ergibt sich aus der Umschreibung der der Gefahrtarifstelle 1 zugeordneten Gewerbegruppe 11, die die „Herstellung von Back- und Konditoreiwaren, soweit nicht in Gefahrtarifstelle 2 genannt“ und die „Herstellung von Grundteigen, Teiglingen und Hefeklößen“ aufführt.
Mit der Herstellung von Backwaren war das Unternehmen der Klägerin im hier fraglichen Zeitraum befasst. Dabei kann unter dem „Herstellen“ nicht nur der gesamte Produktionsvorgang vom Vorbereiten des Teiges bis zur Entnahme des fertigen Backwerks aus dem Ofen verstanden werden. Vielmehr gehören hierzu auch einzelne Abschnitte der Produktion, was schon aus der Gleichstellung mit der Herstellung von Grundteigen und Teiglingen folgt. Damit zählt auch das Fertigbacken („Aufbacken“) von ungebackenen oder vorgebackenen Vorstufen des Backwerks zu deren Herstellung (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2015 – L 3 U 3466/12, juris).
Die Filialen des klägerischen Unternehmens sind 2008 bis 2013 in dieser Weise mit dem Herstellen von Backwaren befasst gewesen. Dies ergibt sich zunächst aus den Eigenangaben der Klägerin in dem zur Veranlagung zu den Gefahrklassen ausgefüllten Fragebogen vom März 2008. Darin hat sie ausdrücklich angegeben, dass in ihrem Betrieb Teigrohlinge aufgebacken werden und dies 15 % der Arbeitszeit aller Beschäftigten des Gesamtbetriebs ausmacht. Diese Angaben werden durch die Feststellungen des Beratungs- und Prüfdienstes der Beklagten im Prüfbericht vom 4. Februar 2010 bestätigt. Danach bezogen die Filialen der Klägerin von Lieferanten von Brot, Klein- und Feingebäck Teiglinge in gekühlter oder tiefgekühlter Form als Halbfertigprodukte. Dies umfasste im Einzelnen ca 15 Brotsorten, weiterhin Brötchen, Baguettes, Mehrkornbrötchen etc (Kleingebäck) und als Feingebäck Berliner, Amerikaner, Blätterteig, Plunder, Croissants, Hefezöpfe etc. Die entsprechenden Teiglinge wurden vor Ort aus Gründen der Qualität und Frische aufgebacken und verkaufsfertig hergestellt.
Soweit die Klägerin im gerichtlichen Verfahren betont, die genannten Arbeiten seien ein bloßes „Bräunen“ oder „Erwärmen“, folgt hieraus nichts anderes. Denn zum einen ist hierin der Versuch des bewussten und klagezielorientierten Bagatellisierens des Aufbackprozesses zu sehen. In gleicher Weise hatte die Klägerin schon im Verlauf des Vorverfahrens versucht, ihre ursprünglichen Angaben im Fragebogen vom März 2008 zu revidieren, indem sie in einem Schreiben vom 29. Januar 2009 die ursprünglich bejahte Frage verneint hat, ob in ihrem Betrieb Teigrohlinge aufgebacken werden. Hieran hatte ihr Geschäftsführer bei der Betriebsbesichtigung durch den Beratungs- und Prüfdienst der Beklagten am 24. September 2009 aber schon nicht festgehalten. Zum anderen würde auch ein „Bräunen“ von Klein- und Feingebäck und ein „Erwärmen“ von Broten zur Fertigstellung und damit zur Herstellung von Backwaren gehören. Denn diese Vorgänge dienen dem Zweck, den Eindruck frischer Backwaren mit einem den Appetit anregenden Aroma zu erwecken (zu diesem Marketingkonzept vgl die Ausführungen des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit <LAVES> zu „Backwaren in Bake-off-Stationen“, abrufbar unter https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/lebensmittel/lebensmittelgruppen/getreide_getreideerzeugnisse/-73172.html). Auf entsprechende Ausführungen der damaligen Homepage der Gruppe O. hat auch der Prüfdienst der Beklagten in seinem Bericht vom 19. August 2015 hingewiesen („Die Selbstbedienung stellt … hohe Anforderungen an das Frischeerlebnis der Backsnacks: Sehen sie nicht perfekt aus, bleiben sie liegen … Frische und Qualität sind oberstes Gebot für N.“). Dafür, dass es sich bei den genannten Vorgängen um bäckereitypische Verfahren handelt, spricht schließlich entscheidend, dass sie mithilfe von Aufbackstationen und Backöfen durchgeführt werden. Derartige Geräte hat der Prüfdienst der Beklagten bei der Betriebsbesichtigung einer Filiale der Klägerin am 24. September 2009 vorgefunden.
Die im Unternehmen der Klägerin hergestellten Backwaren zählen auch nicht zu den in Gefahrtarifstelle 2 (Herstellung von Speiseeis, Süßwaren, Dauerbackwaren) genannten Waren. In Betracht kommen hierbei allenfalls die in der Gewerbegruppe 19 aufgeführten Produkte. Die dort genannten Lebensmittel - Dauerbrezeln, Honigkuchen, Keks, Knäckebrot, Leb- oder Pfefferkuchen uä - werden von der Klägerin jedoch nicht hergestellt.
cc) Wenn die in den Filialen der Klägerin fertiggestellten Backwaren dort auch verkauft worden sind, gehört auch dies unstreitig zu den für Bäckereien typischen Tätigkeiten, zumal mit dem Verkauf selbst erzeugter Waren ein dem Produktionsbereich dienender Zweck verfolgt wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2015 aaO).
Zu Recht macht die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht geltend, dass die Auflösung der im früheren Gefahrtarif der Beklagten vom 2. Juli 2004 (für die Jahre 2005 bis 2007) noch enthaltene Gefahrtarifstelle 19 (Vertrieb von Lebensmitteln, ua in Unternehmen der Gefahrtarifstelle 1, Gefahrklasse 3,0) und deren Eingliederung in die Gefahrtarifstelle 1 im vorliegend entscheidenden Gefahrtarif vom 6. Juli 2007 rechtswidrig wäre. Die Rechtmäßigkeit der Vereinigung beider Gefahrtarifstellen ist von der Rechtsprechung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2015 – aaO – und Thüringer LSG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – L 1 U 1487/1, juris) überzeugend unter Hinweis darauf gebilligt worden, dass nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG-Urteil vom 29. Oktober 1981 – 8/8a RU 34/80, SozR 2200 § 734 Nr 1) kein Anspruch auf Zuweisung abgrenzbarer Unternehmensteile zu einer besonderen Gefahrtarifstelle bzw Klasse besteht.
dd) Auch der Umstand, dass ein erheblicher Anteil der schon 2008 bis 2013 in den Filialen der Klägerin veräußerten Produkte nicht aus Backwaren bestand, ändert nichts an ihrer Zugehörigkeit zum Gewerbezweig „Bäckereien, Konditoreien“.
Insoweit hat der Strukturwandel, der in den letzten Jahrzehnten in der Brot- und Backwarenbranche eingetreten ist, ohnehin dazu geführt, dass an die Stelle der früher dominierenden Kleinbetriebe des Bäckereihandwerks mehr und mehr Filial- bzw Systembäckereien getreten sind, die sich dadurch auszeichnen, dass die Brot- und Backwaren in einer oder mehreren Zentrale(n) in industrieller Massenproduktion hergestellt oder vorgefertigt werden und sodann in einem Netz aus Verkaufsstätten und Filialen (fertiggebacken und) verkauft werden (vgl hierzu: Vorderwülbecke ua, Branchenanalyse Brot- und Backwarenindustrie, Reihe Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr 378, März 2018, S 21, 23 f). Dabei sind auch Snacks (zB belegte Brötchen) ein wichtiges und wachsendes Produktsegment (Vorderwülbecke aaO, S 24), ebenso wie zB der Kaffeeausschank.
In diesem Zusammenhang könnte allerdings fraglich sein, ob das diesbezügliche Angebot in den Filialen der Klägerin in den Jahren 2008 bis 2013 den für derartige Filialbäckereien noch typischen Umfang überschritten haben könnte, zumal hierzu nach den Feststellungen des Prüfdienstes der Beklagten und nach der im Klageverfahren von der Klägerin vorgelegten Umsatzübersicht auch Handelswaren wie Tageszeitungen, Kaltgetränke oder Convenience-Artikel gehörten. Dies kann aber offenbleiben. Denn auch wenn sich hieraus ergeben würde, dass im Unternehmen der Klägerin ein vom Durchschnitt des Gewerbezweigs „Bäckereien, Konditoreien“ erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko bestand, könnte daraus kein Anspruch auf Bildung eines eigenständigen Gewerbezweigs abgeleitet werden. Denn dies setzt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 5. Juli 2005 aaO; Urteil vom 21. März 2006 aaO; Urteil vom 11. April 2013 aaO) voraus, dass die der Unternehmensart zugehörigen Betriebe und Einrichtungen zusammengenommen eine Größenordnung erreichen, bei der sich eine gewerbetypische Unfalllast nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnen lässt. Eine derartige Größenordnung ist aber schon nach dem Vorbringen der Klägerin ausgeschlossen. Denn diese hat selbst dargelegt, dass die übrigen Franchisenehmer der Gruppe O. in anderen Bundesländern und auch alle ihre Konkurrenzunternehmen („der gesamte Mitbewerb“, vgl Schriftsatz vom 10. März 2020) der BGHW zugeordnet sind (Schriftsatz vom 23. Februar 2021). Mit der Klägerin vergleichbare Unternehmen, für die die Beklagte eine gesonderte Gefahrtarifstelle einrichten könnte, sind damit nicht ersichtlich.
c) Die Klägerin kann auch nicht beanspruchen, für den streitbefangenen Zeitraum zur Gefahrtarifstelle 3 („Gaststätten, Beherbergungsunternehmen“) veranlagt zu werden.
Nach dem Gefahrtarif vom 6. Juli 2007 gehören hierzu – als Bestandteil der Gewerbegruppe 16 – gastronomische Betriebe, auch Handels-, Verkehrs- und Fast-Food-Gastronomie, Küchen bzw Kantinenbetriebe, Bars, Cafés, Imbiss- und Verzehrstände und Imbisswagen. Dem Gewerbezweig war von 2008 bis 2013 die Gefahrklasse 3,7 zugeordnet.
Wie die Betriebsprüfung im Mai 2015 ergeben hat, entfielen im Jahr 2014 79,8 % des Ge- samtumsatzes in den fünf Filialen der Klägerin auf Produkte, deren Verkauf für Betriebe der Selbstbedienungs-Gastronomie typisch ist. Hierzu zählen – neben belegten Brötchen – etwa Laugenstangen, Pizza, Salate, Quarkspeisen und kalte und heiße Getränke. In der Filiale Lister Meile gab es einen großen Sitz- und Cafébereich, in dem die Speisen und Getränke an Ort und Stelle verzehrt werden konnten. Erläuternd hierzu war das Franchisekonzept auf der Homepage der Gruppe O. wie folgt beschrieben: „Vom Bäcker zum Snacker – Während in den Anfängen ausschließlich der Verkauf von zeitnah zubereiteten Backwaren im Fokus von N. stand, bilden heute laufend frisch zubereitete Snacks auf Backwarenbasis in einem backgastronomischen Lifestyle-Ambiente mit Selbstbedienung (SB) die tragende Säule der Geschäftsidee“. Hieraus hat die Beklagte nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass die Klägerin ab 1. Januar 2014 zur Gefahrtarifstelle 3 (mit der Gefahrklasse 3,87 gemäß dem ab 2014 geltenden Gefahrtarif vom 13. Juni 2013) zu veranlagen ist (Bescheid vom 25. November 2015).
Wenn die Klägerin vorliegend geltend macht, sie sei auch schon von 2008 bis 2013 als gastronomisches Unternehmen mit der Ausrichtung Selbstbedienungs-Gastronomie tätig gewesen, trifft dies nicht zu. Bei der Betriebsprüfung im September 2009 war nach den Angaben des Prüfdienstes der Beklagten zwar festzustellen, dass die besichtigte Filiale aus einer Selbstbedienungsstelle mit einem Café (Stehtische und ca 30 Sitzplätze) in räumlicher Einheit bestand. Auf den Verkauf von belegten Brötchen, Pizza und anderen Snacks sowie von Handelswaren (wie Kaltgetränke, Obstsalat, frische Salate, Milch etc) entfielen nach den damaligen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin aber lediglich 40 % des Gesamtumsatzes. Daraus hat der Prüfdienst in seinem Bericht vom 4. Februar 2010 zu Recht den Schluss gezogen, dass der Verzehr selbst hergestellter Waren und die Abgabe von Getränken und Speisen an die Gäste vor Ort eine untergeordnete Rolle einnimmt und eine Veranlagung als Café nach der Gefahrtarifstelle 3 nicht in Betracht kommt. Damit steht in Übereinstimmung, dass die Klägerin selbst bei Beantwortung des Fragebogens vom März 2008 die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten, die auf den Verkauf von Speisen und Getränken zum Verzehr vor Ort entfiel, auf lediglich 10 % geschätzt hat.
Dass der Verkauf gastronomischer Produkte und deren Einbindung in ein „backgastronomisches Lifestyle-Ambiente“ im hier fraglichen Zeitraum noch nicht prägend für das Unternehmen der Klägerin war, ergibt sich auch daraus, dass sie dies vor der Betriebsprüfung im Mai 2015 zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, sondern vielmehr die Meinung vertreten hat, ihre Tätigkeit falle in den Zuständigkeitsbereich der BGHW. Hätte sie damit eine bereits vor 2014 eingetretene Änderung in der Unternehmensausrichtung verschwiegen, läge sogar eine Verletzung ihrer Pflichten aus § 192 Abs 2 Nr 2 SGB VII vor, wonach Unternehmen Änderungen von Voraussetzungen für die Zuordnung zu den Gefahrklassen dem Unfallversicherungsträger innerhalb von vier Wochen mitzuteilen haben.
Auch aus den Angaben in dem Internet-Auftritt, auf den sich der Prüfdienst der Beklagten in seinem Bericht vom 19. August 2015 bezogen hat, folgt, dass für die Unternehmensgruppe O. anfänglich der Verkauf von „zeitnah zubereiteten Backwaren im Fokus“ stand. Der Umbau zur „Backgastronomie“ fand danach erst allmählich statt. Dies ergibt sich auch aus der Umsatzaufstellung, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hat und deren Auswertung zeigt, dass sich zB der Anteil kalter Snacks am Gesamtumsatz in den bereits 2008 bestehenden (drei) Filialen schrittweise von 16,8 %, 12,4 % und 23 % auf 28,4 %, 25,7 % und 31 % erhöht hat. Zum Unternehmensumbau ist in der Fachpresse berichtet worden, dass der Umbau im Jahr 2010 begonnen hat und bis 2015 abgeschlossen sein sollte (P. machen McDonald‘s Dampf, Wirtschaftswoche vom 22. November 2013).
Derartige allmähliche Umstrukturierungen können erst dann zu einer Umstufung führen, wenn die Änderung der Verhältnisse nachhaltig und wesentlich geworden ist (BSG, Urteil vom 31. Mai 1988 – 2 RU 62/87, juris; Molkentin in: Lauterbach, Unfallversicherung – SGB VII, Stand: April 2021, § 192 Rn 16). Dies war im streitbefangenen Zeitraum aber noch nicht der Fall. Die vorgelegten Umsatzzahlen belegen nicht, dass die für 2014 festgestellte Dominanz gastronomischer Produkte (Snacks, Getränke usw) gegenüber Bäckereiprodukten - ausweislich des Prüfberichts vom 19. August 2015: 79,8 % gegenüber 15,7 % - auch schon von 2008 bis 2013 bestand. Vielmehr ergibt die Auswertung der vorgelegten Umsatzzahlen, dass der Anteil von Brot, Klein- und Feingebäck in diesem Zeitraum – je nach Filiale – noch bei 32 % bis 62 % lag.
2. Auch die für die Jahre 2008 und 2009 (endgültig) ergangenen Beitragsbescheide vom 8. April 2009 und vom 11. April 2010 sind rechtmäßig.
Gemäß § 168 Abs 1 S 1 SGB VII teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Der Beitrag ergibt sich gemäß § 167 Abs 1 SGB VII aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß. Wie aus den Ausführungen zu 1. folgt, hat die Beklagte der Klägerin zu Recht die Gefahrklasse 5,2 (für die Gefahrtarifstelle 1) zugewiesen. Auch die Zuteilung der Gefahrklasse 0,5 für den Bürobereich begegnet auf der Grundlage des Gefahrtarifs vom 6. Juli 2007 (vgl dort die Gefahrtarifstelle 19 iVm Teil II 5) keinen Bedenken. Zu den übrigen Berechnungselementen der Beiträge werden seitens der Klägerin keine Einwände erhoben; Fehler sind insoweit auch von Amts wegen nicht ersichtlich.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei folgt der Senat der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach sich der Streitwert bei Klagen, die gegen eine Gefahrtarifveranlagung gerichtet sind, nach der sich aus dem angefochtenen Veranlagungsbescheid ergebenden Beitragsmehrbelastung für die Geltungsdauer des streitigen Gefahrtarifs bemisst (BSG, Urteil vom 11. April 2013 aaO; Beschluss vom 3. Dezember 2018 - B 2 U 116/18 B, juris). Geht man – wie von der Klägerin angestrebt – davon aus, dass sie mit der Gefahrklasse 3,7 anstelle der von der Beklagten angenommenen Gefahrklasse 5,2 zu veranlagen ist, ergibt sich hieraus - nach den auf der Grundlage des Gefahrtarifs erlassenen Beitragsbescheiden für die Jahre von 2008 bis 2013 - eine Beitragseinsparung von 55.168,61 Euro.
Da gleichzeitig auch die genannten Beitragsbescheide von der Klägerin zum Klagegegenstand gemacht worden sind, könnte vertreten werden, dass insoweit mehrere Streitgegenstände vorliegen, die gemäß § 39 Abs 1 GKG zusammenzurechnen sind (so auch BSG, Beschluss vom 3. Dezember 2018 aaO). Gegen eine dann vorzunehmende Verdoppelung des Streitwerts spricht jedoch, dass die Streitgegenstände der Gefahrtarifveranlagung und der Beitragsfestsetzung im vorliegenden Fall wirtschaftlich identisch sind und deshalb keine Addition nach § 39 Abs 1 GKG vorzunehmen ist (vgl Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom 16. Juli 2015 – IX ZR 136/14, juris; Bundesfinanzhof <BFH>, Beschluss vom 29. Januar 2016 – X B 93/15, juris; Elzer in: Touissaint, Kostenrecht, 51. Aufl 2021, § 39 GKG Rn 17 mwN).