L 2 U 140/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 281/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 140/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt auch dann, wenn der dritte Tag ein Feiertag ist oder auf das Wochenende fällt. Die dem entgegen stehende Rechtsprechung des BFH verkennt den Wortlaut des Gesetzes und den Willen des Gesetzgebers.
2. Der Postaufgabevermerk muss nicht mit dem Namenskürzel des Mitarbeiters der Poststelle versehen sein, wenn sich der Tag der Aufgabe zur Post anderweitig, z.B. durch Darlegung des Ablaufs der Postversendung und der ergriffenen Maßnahmen durch die Behörde, nachweisen lässt.
3. Der Postaufgabevermerk muss von einem Mitarbeiter der Behörde angebracht werden, der auch zuverlässig das Datum der Überführung in den Verantwortungsbereich der Post dokumentieren kann. Dieser Mitarbeiter muss nicht zwingend Mitarbeiter der Poststelle gewesen sein.
4. Dass das Poststück nicht von der Post selbst, sondern von einem Subunternehmen der Post abgeholt wird, macht für die Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X keinen Unterschied.
5. Für ein substantiiertes Bestreiten des sich aus der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebenden Bekanntgabezeitpunkts reicht es nicht aus, nur die weitere/zusätzliche Möglichkeit eines Zugangs nach diesem Zeitraum aufzuzeigen.
6. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist nur dann widerlegt, wenn ein Zugang für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist durch substantiierte Angaben bestritten und erschüttert wird.
7. Der Eingangsstempel einer Rechtsanwaltskanzlei reicht für ein substantiiertes Bestreiten des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Zugangsdatums nicht aus; ein anwaltlicher Eingangsstempel hat eine förmliche Beweiskraft, anders als ein Eingangsstempel eines Gerichts oder einer Behörde, nicht.
8. Eigene Ermittlungen des Gerichts dahingehend, ob andere, noch nicht vorgetragene Umstände dazu verwendet werden könnten, die Dreitagesfiktion substantiiert zu bestreiten, verbieten sich. Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X verlangt ein Vorbringen des Adressaten, das nicht durch Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen ersetzt werden kann.
9. Zur Wiedereinsetzung in die Klagefrist durch das Berufungsgericht.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.03.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begeht die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 10.02.2010 mit einer daraus resultierenden Lärmschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen sowie dessen Entschädigung in Form von Verletztengeld, Heilbehandlung und Verletztenrente durch die Beklagte.

Der Kläger ist im Jahr 1966 geboren und war am 10.02.2010 (Mittwoch) als Fräser bis zur (fristlosen, hilfsweise ordentlichen) Arbeitgeberkündigung am 16.02.2010 bei der S GmbH tätig.

Am 12.02.2010 (Freitag) stellte sich der Kläger bei seinem Hausarzt vor und gab an, am vorhergehenden Donnerstag während der Arbeit auf Anordnung seines Chefs die Ohrschützer für etwa drei Stunden abgenommen zu haben; seither habe er insbesondere beim Fernsehen Ohrgeräusche rechts bemerkt. Am 16.02.2010 suchte der Kläger den HNO-Arzt H auf und gab diesem gegenüber an, dass er am 10.02.2010 um 10:00 Uhr Gewinde geschnitten und diese mit Druckluft ausgeblasen habe. Dabei habe sich - so der Kläger - ein sehr hohes und lautes Pfeifen entwickelt. Der Kläger habe angegeben, ohne Ohrstöpsel gearbeitet zu haben; 30 Minuten nach beendeter Arbeit habe er Ohrenschmerzen und später noch Ohrgeräusche bekommen. Der HNO-Arzt stellte bei normalem Hörvermögen bei der audiometrischen Untersuchung die Diagnose "Tinnitus aurium - Verdacht auf der rechten Seite nach Lärmeinwirkung". Am 01.03.2010 wurde vom Arbeitgeber des Klägers eine Unfallanzeige aufgenommen. Am 16.02.2010 sei - so in der Unfallanzeige - dem Arbeitgeber erstmals ein angeblicher Arbeitsunfall am 10.02.2010 durch den Kläger bekannt gegeben worden. Gegenüber Kollegen sei von Seiten des Klägers die Aussage erfolgt, aus der Fa. S möglichst viel herauszuholen. Der "Hörschaden" sei angeblich verursacht durch Pressluft. Der Kläger habe Zugang zu Gehörschutz gehabt und diesen während der Arbeitszeit auch ständig in Gebrauch gehabt. Nach Angaben von Kollegen an benachbarten Arbeitsplätzen seien keine Vorkommnisse bzw. Äußerungen bezüglich einer Verletzung aufgefallen.

Mit Bescheid vom 05.04.2012 lehnte die Beklagte nach ausführlichen Ermittlungen, bei denen auch die polizeilichen Ermittlungsakten zu den gegenseitigen Strafanzeigen des Klägers und seines ehemaligen Arbeitgebers beigezogen worden waren, den "Entschädigungsanspruch aus Anlass der Erkrankung vom 10.02.2010" ab. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalles setze voraus, dass das Unfallereignis mit Gewissheit bewiesen sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt.

Den anschließend vom Kläger mit mehreren (inhaltsgleichen) Schreiben vom 23. und 24.04.2012 erhobenen und von seinen anwaltlichen Bevollmächtigten bestätigten und weiter begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 zurück. Das Zuleitungsschreiben an die Bevollmächtigten des Klägers samt dem als Anlage beigefügten, an den Kläger adressierten Widerspruchsbescheid wurde mit einfachem Brief per Post versandt. Auf allen Schreiben - sowohl den in der Akte der Beklagten befindlichen Entwürfen als auch den von den Bevollmächtigen des Klägers später vorgelegten Kopien - ist ein Stempelaufdruck "Zur Post gegeben am 08. Nov. 2012" (Donnerstag) angebracht.

Mit Schriftsatz vom 12.12.2012 (Mittwoch) haben die Bevollmächtigten des Klägers am gleichen Tag Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 dazu zu verurteilen, eine berufliche Lärmschwerhörigkeit einschließlich eines Ohrgeräusches anzuerkennen und zu entschädigen sowie einen Arbeitsunfall vom 10.02.2010 anzuerkennen und zu entschädigen, und zwar in Form von Verletztenrente, gegebenenfalls von Übergangsleistungen und insbesondere von Heilbehandlung. Beigefügt war eine Kopie des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012, versehen mit einem Eingangsstempel der Kanzlei vom 12.11.2012 (Montag).

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.03.2013 als unzulässig, soweit die Anerkennung einer beruflich bedingten Lärmschwerhörigkeit im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung begehrt worden sei, weil insofern kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei, und im Übrigen als unbegründet, weil ein Arbeitsunfall am 10.02.2010 nicht nachgewiesen sei, abgewiesen.

Gegen den ihnen am 25.03.2013 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 05.04.2013, eingegangen am 08.04.2013, Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Es haben ein umfangreicher Schriftwechsel, Ermittlungen in der Sache und am 04.10.2017 ein Erörterungstermin stattgefunden.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 28.03.2022 ist die Beklagte unter Hinweis auf den sowohl auf dem Zuleitungsschreiben der Beklagten an die Bevollmächtigten des Klägers vom 07.11.2012 als auch auf dem Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 angebrachten Stempelaufdruck "Zur Post gegeben am: 08.Nov. 2012" um Beantwortung der folgenden Fragen gebeten worden:

"1. Gab es bei der Beklagten im Jahr 2012 eine Poststelle, die sich um die Aufgabe von Schreiben der Beklagten zur Post kümmerte oder machten dies die jeweiligen Sachbearbeiter?

2. Wer bei der Beklagten bringt Postaufgabevermerke wie den vom 08.11.2012 an? Der Sachbearbeiter des Verfahrens oder ein Mitarbeiter der Poststelle?

3. Was bedeutet der Postaufgabevermerk "Zur Post gegeben am: 08.Nov. 2012" auf dem Widerspruchsbescheid?

Ist damit dokumentiert, dass am 08.11.2012 der Sachbearbeiter den Widerspruchsbescheid intern auf den Weg zu der Stelle bei der Beklagten (Poststelle) auf den Weg gebracht hat, die sich dann um die Aufgabe zur Post kümmert

oder

wird mit dem Vermerk zum Ausdruck gebracht, dass der Widerspruchsbescheid am 08.11.2012 (von der Poststelle der Beklagten) in den Verantwortungsbereich der Deutschen Post gegeben worden, also bei der (Deutschen) Post aufgegeben worden ist?

4. Wenn damit die Aufgabe zur (Deutschen) Post dokumentiert werden soll - wie gestaltet sich diese Aufgabe? Wurde der Widerspruchsbescheid am 08.11.2012 in einen Briefkasten der (Deutschen) Post eingeworfen oder bei einer Postfiliale abgegeben oder von einem Mitarbeiter der (Deutschen) Post abgeholt?

5. Wenn ein Einwurf in einen (täglich zu leerenden) Briefkasten der Post erfolgt ist:

Wurde dieser Briefkasten der Post üblicherweise täglich geleert?

Ist eine Aussage dazu möglich, ob der Widerspruchbescheid vor der (täglichen) Leerung in den Briefkasten eingeworfen worden ist oder ist er eventuell erst am Folgetag von der Post abgeholt worden?

6. Gibt es ein Postaufgabebuch für das Jahr 2012? Wenn ja - bitte legen Sie eine Kopie vor, in dem die Postaufgabe vom 08.11.2012 dokumentiert ist."

Mit einem weiteren gerichtlichen Schreiben ebenso vom 28.03.2022, dem auch das gerichtliche Schreiben vom selben Tag an die Beklagte beigelegt worden ist, sind die Bevollmächtigten des Klägers auf Folgendes hingewiesen worden:

"... als neuer, nunmehr für das Verfahren zuständiger Berichterstatter ist mir ein Gesichtspunkt aufgefallen, der bislang im gerichtlichen Verfahren nicht diskutiert worden ist - und zwar die Frage, ob die Klage zum SG fristgerecht erhoben worden ist.
Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 (Mittwoch) ist mit einfachem Brief an Sie übermittelt worden. Das Zuleitungsschreiben (genauso wie der Widerspruchsbescheid selbst) enthalten folgenden Hinweis/Postaufgabevermerk: "Zur Post gegeben am: 08.Nov. 2012".

Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zugrunde gelegt wäre damit von einer Bekanntgabe am 11.11.2012 (Sonntag) auszugehen.

Klage erhoben worden ist aber erst am 12.12.2012 (Mittwoch).

Es liegt nahe, dass die Klage zum SG verfristet war.

Mit Blick darauf, dass der Rechtsstreit alsbald zur mündlichen Verhandlung geladen werden soll, bitte ich zum aufgezeigten Gesichtspunkt um Stellungnahme bis

spätestens 12.04.2022 (Eingang bei Gericht).

Sollte Ihnen noch der Briefumschlag vorliegen, mit dem Ihnen der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 übermittelt worden ist, legen Sie diesen bitte binnen vorgenannter Frist vor."

Zum gerichtlichen Schreiben vom 28.03.2022 hat die Beklagte mit Schreiben vom 05.04.2022 Folgendes mitgeteilt:

"Es wurden ausschließlich Bescheide/Widerspruchsbescheide, die dem Rentenauschuss/Widerspruchsausschuss zur Entscheidung vorgelegt worden sind mit dem Vermerk: "Zur Post gegeben am: Datum" versehen, um die Frist der Zugangsfiktion nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X wirksam in Gang zu setzen (vgl. hierzu Kommentierung Bereither-Hahn/Mertens Anm. 3, G 514, BSG 28.11.2006 B 2 U 33/05 R). Hierzu war es erforderlich, dass der Tag der Aufgabe zur Post in der Behördenakte vermerkt wurde.

Es war Aufgabe des jeweiligen Vortragenden im Widerspruchsauschuss (Sachbearbeiter) - nach der jeweiligen Ausschusssitzung - den Tag der Aufgabe zur Post auf der Aktenkopie des Widerspruchsbescheides mit Stempel zu vermerken und dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Bescheide des Sitzungstages gesammelt zur hausinternen Poststelle gelangen, damit die Bescheide pünktlich am ausgewiesenen Datum (hier 08.11.2012) an den Postdienstleister übergeben werden können.

Die hausinterne Poststelle hatte die Aufgabe, die jeweiligen Behördenschreiben/Bescheide zu kuvertieren und zu frankieren, bevor Sie - täglich von Montag bis Freitag zur vereinbarten Uhrzeit, z. B. um 14:30 Uhr - gesammelt an ein Subunternehmen der Deutschen Post übergeben wurden zum Weitertransport an eine offizielle Verteilungsstelle der Deutschen Post. Die hausinterne Poststelle ist insoweit vergleichbar mit einem Briefkasten, der täglich (Mo - Fr) z. B. um 14:30 Uhr geleert wurde. Damit gelangten die Briefe in den Verantwortungsbereich der Post.

Ein Postaufgabebuch aus dem Jahr 2012 existiert nicht. Das Anbringen des Postaufgabevermerks auf dem Dokument und die rechtzeitige Weiterleitung zur internen Poststelle war aber - wegen der Fristenregelung - so eingeführt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Stempel "zur Post gegeben am 08.11.2012" ein zuverlässiger Beleg dafür ist, dass der Bescheid auch am 08.11.2012 zur Post ging bzw. in den Verantwortungsbereich der Post gelangt ist (siehe oben)."

Die Bevollmächtigten des Klägers haben nach Erhalt eines Abdrucks des Schreibens der Beklagten vom 05.04.2022 auf das gerichtliche Schreiben vom 28.03.2022 am 08.04.2022 wie folgt geantwortet: Die Klage sei mitnichten verfristet erhoben worden. Der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 sei am 08.11.2012 laut Angaben der Beklagten zur Post gegangen, wie sich dies auch auf dem bei den Bevollmächtigten vorliegenden Exemplar zu lesen finde. Gemäß dem Eingangsstempel der Bevollmächtigten sei der Widerspruchsbescheid am 12.11.2012 eingegangen. Dieser Eingangsstempel finde sich gleichermaßen auf dem Übersendungsschreiben vom 07.11.2012 wie auch dem Widerspruchsbescheid selbst. Der 08.11.2012 sei ein Donnerstag gewesen, der 09.11.2012 entsprechend ein Freitag. Dass der Widerspruchsbescheid weder am Samstag (10.11.2012) noch am Sonntag (11.11.2012) habe zugestellt werden können, ergebe sich schon daraus, dass an diesen Tagen das Büro nicht geöffnet sei. Samstags und sonntags sei das Büro geschlossen. Zustellungen würden nicht erfolgen. Mithin sei absolut nicht nachvollziehbar und anhand des Eingangsstempels der Kanzlei belegt, dass der Widerspruchsbescheid am 12.11.2012, einem Montag, in der Kanzlei eingegangen sei. Dass diese Frage nach zehn Jahren Prozesslaufzeit nunmehr aufkomme, erscheine erstaunlich. Die Bevollmächtigten haben zudem angefragt, ob die Originale des Widerspruchsbescheides und des Anschreibens der Beklagten vorgelegt werden sollten.
Den Briefumschlag, mit dem der Widerspruchsbescheid an die Bevollmächtigten übersandt worden war, haben sie nicht beigelegt.

Am 12.04.2022 ist für den 11.05.2022 zur mündlichen Verhandlung geladen worden.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 14.04.2022 ist die Anfrage der Bevollmächtigten des Klägers hinsichtlich des Erfordernisses einer Vorlage der Originale des Widerspruchsbescheides und des Anschreibens der Beklagten dahingehend beantwortet worden, dass die bereits vorgelegten Kopien ausreichend seien.

Insgesamt fünf Verlegungs- bzw. Vertagungsanträge der Bevollmächtigten des Klägers bzw. des Klägers vom 19.04., 04.05., 10.05. und zweimal vom 11.05.2022 sind abschlägig mit Beschlüssen vom 26.04., 05.05. und vom 11.05.2022 verbeschieden worden; auf die Begründung der jeweiligen Beschlüsse wird verwiesen.

An der mündlichen Verhandlung am 11.05.2022 hat der Kläger teilgenommen; seine Bevollmächtigten sind nicht erschienen.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.03.2013 sowie den Bescheid vom 05.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 aufzuheben, einen Arbeitsunfall vom 10.02.2010 festzustellen sowie die Beklagte zur Gewährung von Verletztengeld, Heilbehandlung und Verletztenrente zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen worden sind die Akte des SG sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage war aber nicht erst unbegründet, sondern schon wegen Verfristung unzulässig.

Die von den Bevollmächtigten des Klägers gegen den Bescheid vom 05.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 erhobene Klage ist erst nach Ablauf der Klagefrist eingereicht worden.

1.  Feststellungen zum Sachverhalt

Der Senat geht von folgenden, auf den glaubwürdigen Angaben der Beteiligten beruhenden bzw. sich aus den Akten ergebenden Tatsachen aus, die zu seiner Überzeugung zweifelsfrei, also im Vollbeweis nachgewiesen sind.

1.1. Zur Versendung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 durch die Beklagte

Bei der Beklagten ist es, wie sich ihrem Schreiben vom 05.04.2022 entnehmen lässt, ständige Verwaltungspraxis (gewesen), Widerspruchsbescheide durch Übermittlung durch die Post mittels einfachen Briefes bekannt zu geben. Um Sicherheit hinsichtlich des Bekanntgabetages infolge der Zugangsfiktion (Anmerkung des Senats: Treffender wäre der Begriff der "Bekanntgabefiktion" [BSG, Urteil vom 10.03.2022, B 1 KR 6/21 R], wie er aber nur ganz vereinzelt gebraucht wird; der Senat verwendet daher in der Folge weiter den gebräuchlichen Begriff der "Zugangsfiktion") nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu haben, wurden die Widerspruchsbescheide mit dem Vermerk: "Zur Post gegeben am: Datum" versehen. Es war Aufgabe des jeweiligen Vortragenden im Widerspruchsauschuss, also des Sachbearbeiters, nach der Sitzung des Widerspruchsausschusses den Tag der Aufgabe zur Post auf der Aktenkopie des Widerspruchsbescheides mit Stempel zu vermerken und dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Bescheide des Sitzungstages gesammelt zur hausinternen Poststelle gelangten, damit die Bescheide pünktlich an dem mit dem Postausgangsstempel angegeben Datum an den Postdienstleister übergeben werden konnten. Die hausinterne Poststelle der Beklagten hatte dabei die Aufgabe, die Widerspruchsbescheide zu kuvertieren und zu frankieren und sie anschließend gesammelt an ein Subunternehmen der Deutschen Post zum Weitertransport zu einer offiziellen Verteilungsstelle der Deutschen Post zu übergeben. Dies erfolgte täglich von Montag bis Freitag zu der mit dem Postdienstleister vereinbarten Uhrzeit.

Mit der bei der Beklagten praktizierten Vorgehensweise ist daher sichergestellt, dass mit dem Vermerk: "Zur Post gegeben am: Datum" auch rechtssicher und im Wege des Vollbeweises gesichert nachgewiesen ist, dass an dem im Vermerk dokumentierten Datum der Widerspruchsbescheid in den Machtbereich der Deutschen Post gelangt ist. Mit dem in dem Vermerk: "Zur Post gegeben am: Datum" festgehaltenen Datum wird also der Tag wiedergegeben, an dem das Schreiben in den Verantwortungsbereich der Post gelangt ist.

Dieser bei der Beklagten etablierten Vorgehensweise folgend wurde zur Überzeugung des Senats im streitgegenständlichen Fall der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 am folgenden Tag, dem 08.11.2012, wie er sich aus dem auf dem Widerspruchsbescheid und dem Zuleitungsschreiben angebrachten Postaufgabevermerk ergibt, über die Poststelle der Beklagten zur Abholung durch die Deutsche Post, die sich zur Abholung eines Subunternehmens bediente, so fertig gemacht, dass dann die Abholung auch am 08.11.2012 erfolgte.

1.2. Zum Arbeiten in der Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers:

Die Bevollmächtigten des Klägers betreiben, wie sie mit Schreiben vom 08.04.2022 mitgeteilt haben, eine Rechtsanwaltskanzlei, die an Samstagen und Sonntagen nicht geöffnet ist und in der an diesen Wochenendtagen nicht gearbeitet wird, also auch der Briefkasten der Kanzlei nicht gelehrt und Post nicht gesichtet wird.

Dies zugrunde gelegt ist der streitgegenständliche Sachverhalt wie folgt rechtlich zu bewerten:

2.  Zugang des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 aufgrund der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am 11.11.2012

Der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 ist durch die Abholung durch ein Subunternehmen der Post am 08.11.2012 in den Verantwortungsbereich der Post gelangt. Daran bestehen keine vernünftigen Zweifel. Die Abholung am 08.11.2012 erfüllt den Tatbestand der "Aufgabe zur Post" im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X (vgl. Pattar, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., Stand: 21.12.2020, § 37, Rdnr. 97). Diese Aufgabe ist mit dem auf dem Zuleitungsschreiben und dem Widerspruchsbescheid angebrachten Vermerk: "Zur Post gegeben am: Datum" dokumentiert (vgl. oben Ziff. 1.1.) und zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei, also im Vollbeweis nachgewiesen. Mit der Abholung am 08.11.2012 hat somit der Dreitageszeitraum der Zugangsfiktionsregelung - die Frage, ob die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X wie auch des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO eine (widerlegbare) Fiktion oder (widerlegbare) Vermutung enthält (vgl. z.B. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 11.2021, § 122, Rdnr. 48; Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 37, Stand 2022, Rdnr. 28; Pattar, a.a.O., Rdnr. 92), braucht als lediglich rechtstheoretische Frage vorliegend keiner Diskussion - des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu laufen begonnen.

Eine Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X begegnet auch unter den folgenden Gesichtspunkten keinen Bedenken:

2.1. Der Umstand, dass der fingierte Zugangstag am 11.11.2012 einen Sonntag darstellt, steht der in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X festgeschriebenen Zugangsfiktion nicht entgegen.

Mit der Frage, ob die gesetzliche Zugangsfiktion auch dann gilt, wenn der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post ein Samstag, Sonntag oder Feiertag ist, hat sich das BSG bereits wiederholt zum einen für die Übermittlung per eingeschriebenem Brief - die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz entspricht § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X - (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.1957, 10 RV 609/56), aber auch betreffend die Übermittlung per einfachem Brief durch die Post, wie sie hier erfolgt ist, geäußert. Zu letzterer Konstellation hat das BSG mit Urteil vom 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, ausführlich wie folgt argumentiert:

"Gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid wurde hier, wie auf der Rückseite des in der Akte der Beklagten befindlichen Exemplars vermerkt, am 26.9.2007 zur Post gegeben (zum Erfordernis eines solchen Vermerks in den Behördenakten vgl BSGE 97, 279 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2, jeweils RdNr 15). Dass er dem Bevollmächtigten der Klägerin tatsächlich bereits am 28.9.2007 zugegangen ist, ist unerheblich. Nach der gesetzlichen Zugangsfiktion ist allein maßgeblich der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post (vgl zu § 4 Verwaltungszustellungsgesetz <VwZG> BSGE 5, 53, 55). Der Tag, an dem der Brief zur Post gegeben wird, ist nach der gemäß § 26 Abs 1 SGB X für Fristen und Terminsbestimmungen geltenden Vorschrift des § 187 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch nicht mitzuzählen (vgl BSG aaO). Dritter Tag im Sinne der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X ist damit der 29.9.2007.

Dem steht nicht entgegen, dass dieser Tag ein Samstag war. Die Fiktion der Bekanntgabe greift auch dann ein, wenn der für die Bekanntgabe maßgebende dritte Tag nach der Aufgabe zur Post auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt. Die Vorschrift des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X enthält keine Einschränkung dergestalt, dass die Frist erst mit dem Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn das Ende der Frist auf einen Sonnabend fällt (vgl Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 37 RdNr 12; Krasney in KassKomm, Stand Januar 2010, § 37 RdNr 6; Waschull in LPK-SGB X, 2. Aufl 2007, § 37 RdNr 11; Marschner in Pickel/ Marschner, SGB X, Stand Februar 2010, § 37 RdNr 23; für die Parallelvorschrift des § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz <VwVfG> Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl 2008, § 41 RdNr 44; aA Recht in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Februar 2010, K § 37 RdNr 16; für § 41 VwVfG Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl 2010, § 41 RdNr 35 sowie U. Stelkens in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 41 RdNr 133). Auch die Vorschriften des § 41 VwVfG, die als Vorbild diente (BT-Drucks 8/2034 S 33), und des § 17 Abs 2 VwZG (BGBl I 1952, 379), auf die wiederum bei Schaffung des VwVfG zurückgegriffen wurde (BT-Drucks VI/1173 S 49), enthalten keine Einschränkung der Bekanntgabe auf einen Werktag (anders etwa die Vorläufervorschrift von § 4 VwZG, § 1 der Postzustellungsverordnung vom 23.8.1943 <RGBl I S 527>; vgl BSGE 5, 53, 54, 55).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 26 Abs 3 Satz 1 SGB X bzw § 64 Abs 3 SGG. Danach endet eine Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X regelt aber keine Frist im Sinne dieser Vorschriften. Es wird kein Zeitraum bezeichnet, in dem ein bestimmtes Tätigwerden erforderlich ist. Ebenso wenig wird ein Zeitraum umschrieben, in dem die Rechtswirkung der Bekanntgabe eintritt, sondern der vermutete Tag der Bekanntgabe und damit ein genauer Zeitpunkt für den Eintritt einer Rechtswirkung markiert, der für den Lauf der Klagefrist maßgeblich ist (vgl bereits die Gesetzesbegründung zu § 31 VwVfG <Bekanntgabe des Verwaltungsakts> BT-Drucks VI/1173 S 49: "... Zeitpunkt bestimmt, in dem die Bekanntgabe als bewirkt gilt"; zu § 4 Abs 1 VwZG vgl BSG Urteil vom 9.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R; Loytved, Kann die Zustellung eines Widerspruchsbescheides mittels eingeschriebenen Briefes auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fallen?, SGb 1997, 253, 254).

Auch eine analoge Anwendung des § 26 Abs 3 Satz 1 SGB X bzw § 64 Abs 3 SGG kommt nicht in Betracht. Es fehlt bereits an einer Regelungslücke. Auch nach Sinn und Zweck besteht kein Bedürfnis für eine Ausweitung dieser Regelungen auf die Fälle des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X. Die Vorschrift dient ebenso wie § 4 Abs 1 VwZG dazu, das Verfahren der Bekanntgabe kostengünstig und einfach handhabbar zu gestalten. Im Interesse der Sparsamkeit und Vereinfachung sollen Ermittlungen über den genauen Tag der Bekanntgabe unterbleiben. Die Berechnung des Zustellungstages nach einem festen Maßstab entspricht am ehesten dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Verwaltungsvereinfachung (vgl BSGE 5, 53, 56). Die Verschiebung des Zustellungsdatums auf den nächsten Werktag, wenn der dritte Tag ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist, würde die Notwendigkeit der Überprüfung in jedem Fall durch die Behörde begründen (vgl Loytved aaO). Bei der strikten Berechnung des Zustellungstages fällt eine solche Überprüfung hingegen nur an, wenn der Adressat den Empfang überhaupt bestreitet oder den Zugang nach Ablauf des gesetzlich vermuteten Zustellungstages behauptet.

Der Adressat eines Verwaltungsaktes wird auch nicht in unzumutbarer Weise belastet, wenn der vermutete Zugangstag ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass anders als bei der Frist im engeren Sinne im Fall der Bekanntgabe kein Tätigwerden eines Beteiligten erwartet wird. Der Verschiebung des Fristendes von einem Sonnabend, Sonntag oder Feiertag auf den nächsten Werktag liegt in erster Linie die Überlegung zugrunde, dass die Abgabe einer Erklärung bzw die Vornahme einer Handlung an diesen Tagen typischerweise Schwierigkeiten bereitet. Dem Adressaten eines Verwaltungsaktes wird durch die Zugangsfiktion aber nicht zugemutet, eine ihm obliegende Handlung an einem arbeitsfreien Tag zu bewirken (vgl Loytved aaO; zu § 41 VwVfG vgl OVG NW, NVwZ 2001, 1171, 1172). Für den Postlauf wurde ein relativ großzügiger Zeitraum angesetzt. Zu den Feiertagen Ostern, Pfingsten und Weihnachten mögen sich in Verbindung mit Wochenendtagen problematische Konstellationen ergeben können (vgl Recht aaO, K § 37 RdNr 16), diese sind jedoch hinreichend dadurch berücksichtigt, dass die Zugangsfiktion gemäß § 37 Abs 2 Satz 2 SGB X dann nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (vgl LSG Saarland, Urteil vom 27.4.2007 - L 7 R 52/06 -: Bekanntgabe am Karsamstag). Durch die Ausnahmeregelung ist sichergestellt, dass dem Adressaten keine Nachteile entstehen, wenn die Bekanntgabe entgegen der Fiktion tatsächlich erst später erfolgt, zumal im Zweifel die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Es ist daher im Fall einer vermuteten Bekanntgabe an einem Sonnabend, Sonntag oder Feiertag auch keine Verkürzung der Handlungsfrist des Beteiligten zu besorgen. Das LSG hat insofern zu Recht darauf hingewiesen, dass der Fall der Klägerin vielmehr zeigt, dass die gesetzliche Vermutung infolge kürzerer Postlaufzeiten häufig zu einer Verlängerung der Frist im Vergleich zu anderen Zustellungsarten führt, weil ein tatsächlicher früherer Zugang nicht berücksichtigt wird (vgl BSGE 5, 53, 56; Loytved, aaO, 254; zu § 41 VwVfG OVG Nds, NVwZ-RR 2007, 78)."

Bei seiner Entscheidung war dem BSG bewusst, dass es damit nicht der seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14.10.2003, IX R 68/98, geltenden Rechtsprechung des BFH folgt, der bei der Anwendung der vergleichbaren Regelung zur Zugangsfiktion in § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) einen (fingierten) Zugang am Wochenende ausschließt. Begründet hat das BSG dieses Nichtbefolgen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung - das BSG sieht darin ausdrücklich keine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH, die gemäß § 2 Abs. 1 Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes erforderlich gemacht hätte, wie im Übrigen in gleicher Weise der BFH keine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG sieht, wenn er später, nämlich mit Beschluss vom 05.05.2014, III B 85/13, in Kenntnis des Urteils des BSG vom 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, bei seiner eigenen Rechtsprechung bleibt, nach der sich "die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner Bekanntgabe bis zum folgenden Werktag verlängert, wenn das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt" (Leitsatz nach Juris), und gleichwohl die Rechtsfrage nicht dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorlegt - in seinem Urteil vom 06.05.2010 wie folgt:

"Der Senat weicht damit nicht von der Rechtsprechung des BFH zu § 122 Abs 2 Nr 1 AO ab (BFHE 203, 26 ff; seither stRspr; kritisch Jäger, jurisPR-SteuerR 12/2006 Anm 1), wonach jedenfalls eine entsprechende Anwendung von § 108 Abs 3 AO, der den Ablauf einer Frist auf den nächstfolgenden Werktag vorsieht, wenn das Ende einer Frist sonst auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, für geboten erachtet wird. Der BFH hat in seiner Entscheidung auf die von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Erschütterung der Zugangsvermutung abgestellt (vgl für das Sozialverwaltungsverfahren BSG SozR 4-2600 § 115 Nr 2 RdNr 20 ff; Engelmann aaO RdNr 13) sowie auf die besondere Situation im Steuerrecht mit der dort üblichen Vertretung durch Bevollmächtigte steuerberatender Berufe, die ihre Postfächer an Sonnabenden generell nicht leerten. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es den Zweck der Zugangsvermutung herangezogen, für das steuerrechtliche Massenverfahren eine wenig verwaltungsaufwändige, praktikable, möglichst rechtssichere und möglichst streitvermeidende Form der Bekanntgabe von Verwaltungsakten zu eröffnen. Es würden eine Reihe von Problemen vermieden, mit denen die Rechtsprechung wiederholt befasst worden sei und die für die Beteiligten sachlich nicht erforderliche Zugangsschranken für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bildeten. Diese Argumentation ist auf das Sozialrecht bereits deshalb nicht übertragbar, weil dort jedenfalls eine Bevollmächtigung der Sozialleistungsempfänger - etwa durch Rechtsanwälte - schon im Verwaltungsverfahren nicht die Regel ist (vgl BSG Urteil vom 9.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R - RdNr 12). Dass insofern im Steuerrecht in weitaus größerem Umfang als im Sozialrecht Streitfragen mit spezifisch berufsrechtlicher Fragestellung auftauchen, zeigen die vom BFH in Bezug genommenen zahlreichen höchstrichterlichen Entscheidungen zu diesem Thema, die sämtlich Fälle der Vertretung durch einen Bevollmächtigten betreffen (BFHE 203, 26, 31)."

Das BSG folgt damit der früheren Rechtsprechung des BFH, nach der es für die Anwendung der Dreitagesfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ohne Bedeutung war, ob der dritte Tag ein normaler Wochentag oder ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag war (vgl. BFH, Urteile vom 05.03.1986, II R 5/84, vom 13.03.1991, I R 39/90, vom 26.06.1996, X R 97/95, vom 17.06.1997, IX R 79/95, und vom 09.12.1999, III R 37/97, Beschlüsse vom 22.04.1996, XI B 2/96, vom 12.08.1998, IV B 145/97, vom 18.12.1998, X B 147/98, und vom 30.06.1999, IX B 53/99; so auch die ständige verwaltungsgerichtliche Rspr, vgl. z.B. Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 07.12.2021, M 10 S 21.4517 - m.w.N.).

Der vorliegend erkennende Senat folgt der Rechtsprechung des BSG, wie sie im Urteil vom 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, nochmals bestätigt mit Beschluss vom 06.05.2015, B 14 AS 41/15 B, zum Ausdruck kommt. Auch er betrachtet die neuere Rechtsprechung des BFH als lediglich der Vermeidung praktischer Schwierigkeiten (vgl. BFH, Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98: "Wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 für den Fall auf den nächsten Werktag verlängert, dass der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist, so können beide Verfahrensbeteiligte auf einfache, leicht nachprüfbare und rechtssichere Weise den fiktiven Bekanntgabetag errechnen, an dem die Rechtsbehelfsfrist beginnt. Dadurch werden eine Reihe von Problemen vermieden, mit denen die Rechtsprechung wiederholt befasst worden ist, und die für die Beteiligten unvorhergesehene und sachlich nicht erforderliche Zugangsschranken für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bilden.") geschuldet, ohne dass eine überzeugende rechtliche Begründung dafür erkennbar wäre. Denn die gesetzlichen Regelungen zur Zugangsfiktion (sowohl im SGB X als auch in der Abgabenordnung) sehen gerade keine Differenzierung danach vor, ob der fingierte Tag des Zugangs auf einen Wochentag oder auf ein Wochenende bzw. einen Feiertag fällt. Hätte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass Rechtsanwalts- oder Steuerberatungskanzleien am Wochenende oft - ist davon heute tatsächlich noch auszugehen? - nicht besetzt sind, daher eine Möglichkeit zur Kenntnisnahme erst am nachfolgenden Wochentag möglich ist und deshalb die Dreitagesfiktion dann auf eine Vier-(oder Mehr-)tagesfiktion auszudehnen wäre, hätte er dies im Rahmen seines gesetzgeberischen Ermessens durchaus tun können - hat dies aber eben gerade nicht getan. Vielmehr hat der Gesetzgeber, obwohl ihm bewusst war, dass mit Samstag und Sonntag an zwei von sieben Tagen der Woche entweder Post nicht oder nur eingeschränkt befördert wird oder eingegangene Post möglicherweise - nämlich bei fehlendem Kanzleibetrieb am Wochenende, aber auch bei freizeitbedingter Abwesenheit von Privatpersonen am Wochenende - erst am nachfolgenden ersten Werktag geöffnet wird, keinen Anlass gesehen, die gesetzlichen Vorschriften zur Dreitagesfiktion einzuschränken (vgl. auch BFH, Urteil vom 05.03.1986, II R 5/84, der damals darauf hingewiesen hatte, dass der Gesetzgeber sogar für die Fälle, bei denen, wie z.B. an Pfingsten, Ostern und Weihnachten, zwei Feiertage und ein Samstag in den Dreitageszeitraum fallen können, keinen Anlass gesehen hat, die Zugangsvermutung insoweit einzuschränken).

Eine Auslegung der Dreitagesfiktionsvorschrift, wie sie der BFH zu § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO praktiziert, führt dazu, dass die gesetzliche Regelung zu einem "Teilzeitparagraphen" degradiert wird. Denn nach der Rechtsprechung des BFH kommt § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nur dann zur Anwendung, wenn die Aufgabe zur Post durch die Behörde, in der typischerweise am Samstag und Sonntag nicht gearbeitet wird, am Montag, Dienstag oder Freitag erfolgt; bei einer Aufgabe zur Post am Mittwoch und Donnerstag würde die Dreitagesfiktion zu einem (fingierten) Zugang am Wochenende führen, was der BFH ablehnt. Dass dies tatsächlich der Vorstellung des Gesetzgebers bei Erlass der gesetzlichen Regelungen zur Dreitagesfiktion entsprochen haben sollte, kann sich der Senat nicht vorstellen.

Im Übrigen gibt es auch keine gesetzliche Regelung, die für den Eintritt der Bekanntgabe abhängig davon, dass diese an einem Wochenende oder einem Feiertag erfolgt, eine Verlegung des rechtlich für den Beginn des Laufs von Fristen maßgeblichen Bekanntgabedatums auf einen späteren Zeitpunkt vorsehen würde. Eine solche Regelung gibt es nur für das Fristende (vgl. z.B. § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X, § 64 Abs. 3 SGG, § 193 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), nicht aber für den Fristbeginn. Wenn der BFH demgegenüber den Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als eine Frist im Sinne des § 108 Abs. 3 AO betrachtet (vgl. BFH, Urteile vom 14.10.2003, IX R 68/98, und vom 04.11.2003, IX R 4/01) und dies aus der Vorschrift des § 193 BGB ableiten will, kann dies nicht überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass die Vorschrift des § 193 BGB nur für Termine und das Fristende gilt und daher nicht für den Fristbeginn anzuwenden ist, da dieser "keine Frist darstellt" (Becker, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 01.05.2020, § 193, Rdnr. 22 - m.w.N.), hat der BFH selbst zum Fristbegriff in früheren Entscheidungen darauf hingewiesen, "daß als "Frist" im Rechtssinne nur ein solcher Zeitraum verstanden werden soll, dessen Einhaltung rechtliche Folgen hat" (BFH, Urteil vom 11.05.1955, II 177/54 U). Davon kann bei dem Dreitageszeitraum, wie er in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO genauso wie in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X geregelt ist, keine Rede sein. Denn die Einhaltung oder Nichteinhaltung der sich aus § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bzw. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebenden Fiktion - was auch immer darunter verstanden werden könnte - zieht keinerlei rechtlichen Folgen nach sich. Erst die (Nicht-)Einhaltung der sich an die Fiktionswirkung anschließenden Frist hat rechtliche Folgen. Dieses Verständnis entspricht auch dem Fristbegriff in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. So hat beispielsweise der Bayer. Verwaltungsgerichtshof - VGH - im Urteil vom 03.08.2009, 11 B 08.294, zu der Regelung in Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetz, die § 108 Abs. 3 AO entspricht, zwischen verfahrensrechtlichen Fristen, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben oder auf hoheitlicher Anordnung bzw. Rechtsgeschäft beruhen und sich ihrer Bedeutung nach auf den Ablauf eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens beschränken, und materiell-rechtlichen Fristen, die das das Bestehen eines Rechts bzw. einer Pflicht zum Gegenstand haben, differenziert. Zu keiner Art der vorgenannten Frist kann aber der Dreitageszeitraum mit der sich daraus ergebenden Fiktionswirkung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bzw. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gezählt werden. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung findet daher auch in gesetzgeberischen Erwägungen und Grundgedanken, wie sie in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommen, keine Stütze.

Schließlich hält der Senat die vom BFH vorgenommene Auslegung der Regelung zur Dreitagesfiktion auch wegen des Verstoßes gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, wegen des Fehlens einer Regelungslücke samt entsprechend anzuwendender Rechtsgedanken und der daher fehlenden Möglichkeit zu einer analogen Abweichung vom Gesetzeswortlaut für gesetzeswidrig. Selbst wenn die vom BFH in einer dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Anwendungsweise praktizierte Auslegung der Dreitagesfiktion dazu geeignet wäre, manche Rechtsprobleme zu vermeiden und die Arbeit der Gerichte zu erleichtern, sowie für den betroffenen Bürger auch günstig wäre, berechtigt dies die Gerichte nicht, einen aus Sicht des BFH vermeintlich bestehenden Korrekturbedarf der gesetzlichen Vorschriften selbst umzusetzen. Denn wegen des Gewaltenteilungsprinzips ist dies nicht Sache der Gerichte, sondern allein der Legislative. Im Übrigen ist eine ohne Rechtsgrundlage angenommen Verschiebung des Zeitpunkts der Zugangsfiktion schon mangels Rechtsklarheit kaum geeigneter, Rechtsstreit zu vermeiden, als die klare Anwendung der gesetzlichen Regelung.

Auch verkennt die finanzgerichtliche Rechtsprechung den Begriff des Zugangs, wenn sie meint, dass erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme der Zugang fingiert werden kann, nicht aber schon mit dem "Zugang in den Machtbereich des Empfängers" (BSG, Urteil vom 01.02.1979, 12 RK 33/77; vgl. auch BSG, Beschluss vom 28.09.2012, B 14 AS 34/11 BH). Denn es gibt keinen Grundsatz, wonach Zugang mit tatsächlicher Kenntnisnahme gleichzusetzen wäre. Eine Gleichsetzung von Zugang und tatsächlicher Kenntnisnahme ist nur dann der Fall, wenn der Weg einer Zustellung mittels Empfangsbekenntnis gewählt wird (vgl. BSG, Urteile vom 19.03.1980, 4 RJ 83/77, vom 10.11.1993, 11 RAr 47/93, und vom 13.05.1998, B 10 LW 11/97 R). Diese Gleichsetzung von Zugang und Kenntnisnahme ist aber der Besonderheit der Zustellung mittels Empfangsbekenntnis geschuldet, weil bei dieser Bekanntmachungsart kein anderer Anknüpfungstatbestand für die Annahme des Zugangs vorliegt als der der vom Empfänger bescheinigten Kenntnisnahme. Verallgemeinert werden kann dieser Grundsatz daher auf andere Arten der Bekanntmachung nicht.

Auch über die Regelung des § 130 BGB kann eine Verschiebung des Zeitpunkts des Eintritts der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht bewirkt werden. Zwar ist nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Abwesenheit des Adressaten von einem Zugang erst dann auszugehen, wenn die Willenserklärung so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 03.11.1976, VIII ZR 140/75). Ein Rückgriff auf die Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist aber erst dann zulässig, wenn nicht in den Verfahrensregelungen des Sozialverwaltungs- oder -gerichtsverfahrens eine Regelung dazu enthalten ist, ob und wann eine Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten als wirksam gilt (vgl. auch BSG, Beschluss vom 07.10.2004, B 3 KR 14/04 R). Dies ist aber mit § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X der Fall, so dass der Rechtsgedanke des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zur Anwendung kommt und es bei dem sich aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebenden Bekanntgabezeitpunkt verbleibt. Dies ist auch aus dem Grund plausibel, da mit dem Inlaufsetzen der Einmonatsfrist für die Klage kein unmittelbarer zeitgebundener Handlungsdruck für den Adressaten entsteht und - wie bereits ausgeführt - der Gesetzgeber eben gerade keine Relativierung der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X für die Fälle vorgesehen hat, in denen der fingierte Zugang auf ein Wochenende oder einen Feiertag fällt.

Weiter sieht der Senat Wertungswidersprüche in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, wenn diese bei grundsätzlicher Anwendbarkeit der Dreitagesfiktion die Zugangsfiktion auf einen späteren Tag verlegt, sofern am Ende des Dreitageszeitraums das Wochenende oder ein Feiertag liegt, andererseits aber keinerlei Probleme damit hat, dass eine Zustellung mittels Postzustellungsurkunde auch bei einer Steuerberatungs- oder Anwaltskanzlei durchaus am Samstag möglich ist, nämlich durch Einlegen in den Briefkasten der Kanzlei (vgl. bei Zustellung an einen Steuerberater: BFH, Beschluss vom 02.08.2004, V B 75/04: "Der Umstand, dass das Urteil an einem Samstag zugestellt worden ist und die Möglichkeit besteht, dass der Kläger die Sendung erst am darauffolgenden Montag zur Kenntnis genommen hat, weil die Kanzlei am Samstag nicht besetzt war, lässt die Wirksamkeit der Zustellung unberührt."; vgl. auch BFH, Urteil vom 11.12.1985, I R 352/83: "Der Umstand, daß die Einspruchsentscheidung an einem Samstag zugestellt worden ist und der Kläger sie wegen vorzeitiger Schließung des Postamtes erst am darauffolgenden Montag abholen konnte, läßt die Wirksamkeit der Zustellung im Zeitpunkt der Niederlegung unberührt (vgl. auch Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 27.Juli 1970 5 AZR 166/70, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1970, 1894; Beschluß des Oberverwaltungsgerichts --OVG-- Münster vom 8.September 1981 16 B 796/81, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1982, 564; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2.Aufl., § 182 ZPO Anm.B I; Zöller, Zivilprozeßordnung, 14.Aufl., § 182 Anm.4)."). In einer derartigen Konstellation wird, soweit den juristischen Datenbanken zu ersehen ist, von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung nicht infrage gestellt, dass der Zugang am Samstag erfolgt ist. Dies müsste aber, der rechtlichen Begründung des BFH zur Verlängerung des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO mit daraus resultierender Fiktion bei der Übermittlung mittels normalen Briefs durch die Post entsprechend, auch im Fall der Zustellung mittels Postzustellungsurkunde gelten. Denn die Möglichkeit zur tatsächlichen Kenntnisnahme besteht auch bei einer am Samstag erfolgten Zustellung mittels Postzustellungsurkunde erst am darauffolgenden Montag, wenn die Kanzlei am Wochenende nicht besetzt ist.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des BSG für die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ohne Bedeutung ist, ob der Empfänger Rechtsanwalt ist oder nicht. So war beispielsweise auch der Empfänger, der sich die Zugangsfiktion entgegenhalten lassen musste, im Verfahren des BSG mit dem Aktenzeichen B 14 AS 12/09 R ein Rechtsanwalt, keine Privatperson.

Ebenfalls lediglich der Vollständigkeit merkt der Senat an, dass er auch kein praktisches Bedürfnis erkennen kann, das die vom BFH praktizierte Vorgehensweise begründen könnte. Denn dem Adressaten eines durch die Post übermittelten Bescheides steht mit der Möglichkeit des substantiierten Bestreitens eines Zugangs innerhalb des Dreitageszeitraums ein taugliches und nicht mit großen Anforderungen verbundenes Mittel zur Verfügung, die Dreitagesfiktion im Einzelfall zu widerlegen.

2.2. Der Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X steht nicht entgegen, dass der Postaufgabevermerk nicht mit einem Namenskürzel versehen ist.

Sofern vereinzelt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.12.2015, L 13 AS 34/12; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.08.2019, L 11 SB 156/18) gefordert wird, dass der Postaufgabevermerk mit dem Namenskürzel des Behördenmitarbeiters versehen sein müsse, der das behördliche Schreiben dem Postdienstleistungsunternehmen zur Beförderung übergeben hat, stellt dies keine Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X dar. So ist ein Postaufgabevermerk schon gar nicht zwingend erforderlich. Der Nachweis der Aufgabe zur Post an einem bestimmten Tag kann auch dadurch geführt werden, dass von Seiten der Behörde dargelegt wird, "wie der Ablauf der Postversendung gestaltet war und welche Maßnahmen ergriffen worden waren" (vgl. BFH, Urteil vom 09.12.2009, II R 52/07 - m.w.N.). Wenn ein Namenskürzel für den Postaufgabevermerk gefordert wird, soll damit nur sichergestellt werden, dass später eine Rückverfolgung dahingehend möglich ist, dass der Postaufgabevermerk nicht vom Sachbearbeiter angebracht worden ist, als er das Schreiben in den hausinternen Postlauf gegeben hat - dies würde nicht ausreichen, da dann für die Anwendung der Zugangsfiktion schon deshalb kein Raum wäre, weil diese auf der üblichen Postlaufzeit aufbaut, in die die hausinterne Beförderungszeit nicht einzurechnen ist -, sondern von einem Mitarbeiter der Postauslaufstelle, der für die Übergabe des Schreibens in den Verantwortungsbereich der Post verantwortlich ist. Für das Erfordernis eines Namenskürzels besteht daher dann kein Bedürfnis, wenn sich der Tag der Aufgabe zur Post anderweitig nachweisen lässt.

Ein Abgrenzungsproblem, wie es der vorstehend aufgezeigten landessozialgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde gelegen hat, stellt sich aber im vorliegenden Verfahren nicht. Denn mit dem Postaufgabevermerk, dem dort angebrachten Datum und den Erläuterungen der Beklagten zum Ablauf der Versendung, wie sie in ihrem Schreiben 05.04.2022 gemacht worden sind, ist der Nachweis dafür erbracht, dass an diesem Tag (08.11.2012) das Schreiben zur Post aufgegeben worden ist. Die bei der Beklagten im Allgemeinen - und zur Überzeugung des Senats auch im streitgegenständlichen Fall - praktizierte Vorgehensweise schließt es aus, dass ein Postaufgabevermerk schon dann angebracht worden ist, als der Widerspruchsbescheid lediglich in den hausinternen Postlauf gegeben worden ist, und dass das Datum des Postaufgabevermerks nicht den Tag der tatsächlichen Aufgabe zur Post wiedergibt.

2.3. Einer Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X steht auch nicht entgegen, dass der Postaufgabevermerk nicht von einem Mitarbeiter in der Postauslaufstelle der Beklagten angebracht worden ist, sondern von dem Vortragenden im Widerspruchsausschuss.

Nach der bei der Beklagten allgemein und zu Überzeugung des Senats auch im vorliegenden Fall praktizierten Vorgehensweise ist gewährleistet, dass der Postaufgabevermerk samt dem dabei angebrachten Datum den Tag wiedergibt, an dem der Widerspruchsbescheid zur Post aufgegeben worden ist. Welche Funktion die den Widerspruchsbescheid aufgebende Person der Beklagten hat, ist insofern irrelevant. Entscheidend ist allein, dass der Postaufgabevermerk von dem Mitarbeiter der Beklagten angebracht wird, der auch zuverlässig das Datum der Überführung des Widerspruchsbescheides in den Verantwortungsbereich der Post dokumentieren kann.

Im Übrigen - darauf weist der Senat nur der Vollständigkeit halber hin - darf bei Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Postaufgabevermerk nicht übersehen werden, dass ein solcher Postaufgabevermerk nicht die einzige Möglichkeit ist, die für die Anwendung der Fiktionsregelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X als Tatbestandsmerkmal erforderliche "Aufgabe zur Post" nachzuweisen. So kann bei Fehlen eines Postaufgabevermerks auch auf andere Weise der Nachweis der Postaufgabe an einem bestimmten Tag geführt werden, beispielsweise durch Darlegung, wie der Ablauf der Postversendung gestaltet war und welche Maßnahmen ergriffen worden waren (vgl. BFH, Urteil vom 09.12.2009, II R 52/07 - m.w.N). Sollte im vorliegenden Fall der Begriff des Postaufgabevermerks - anders als dies der Senat tut - sehr förmlich verstanden und daher als nicht erfüllt betrachtet werden, würde dies vorliegend nichts daran ändern, dass eine Postaufgabe am 08.11.2012 im Vollbeweis nachgewiesen ist. Denn aufgrund der allgemeinen Vorkehrungen betreffend die Versendung von Widerspruchsbescheiden, wie sie die Beklagte im Schreiben vom 05.04.2022 geschildert hat, zusammen mit dem auf dem Widerspruchsbescheid und dem Begleitschreiben angebrachten Datumsstempel ist zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei nachgewiesen, dass der Widerspruchsbescheid am 08.11.2012 im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zur Post aufgegeben worden ist.

2.4. Ob der Widerspruchsbescheid von der Post selbst oder einem Subunternehmen der Post abgeholt worden ist, ist unerheblich.

Die Tatbestandsvoraussetzung "Aufgabe zur Post" in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist nicht gleichzusetzen mit "Übergabe an die Deutsche Post AG" (vgl. BFH, Beschlüsse vom 07.12.2010, X B 212/09, und vom 18.04.2013, X B 47/12 - zur vergleichbaren Regelung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Abholung durch ein Subunternehmen der Deutschen Post steht daher weder der Anwendbarkeit des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X entgegen noch wird dadurch der Aufgabetag im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X hinausgeschoben (vgl. BFH, Beschluss vom 18.04.2013, X B 47/12, und Urteil vom 14.06.2018, III R 27/17; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.03.2015, 1 L 313/11).

Lediglich dann, wenn der Beförderungsauftrag durch einen privaten Postdienstleister, der kein Universaldienstleister ist und somit nicht an die Pflichten des § 2 Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) für die Briefbeförderung gebunden ist, könnte die Anwendbarkeit des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X diskutiert werden (vgl. BFH, Beschluss vom 23.02.2018, X B 61/17). Vorliegend hat aber die Deutsche Post die Abholung und Beförderung des Widerspruchsbescheides übernommen und verantwortet. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Pflichten aus § 2 PUDV gilt damit unabhängig davon, welchen Personals sich die Post bei der Abholung bedient hat und ob dabei ein Subunternehmer eingeschaltet worden ist.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt der am 08.11.2012 zur Post gegebene Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, somit am 11.11.2012 (Sonntag) als bekannt gegeben.

3.  Kein substantiiertes Bestreiten des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Bekanntgabedatums

Die für den 11.11.2012 fingierte Bekanntgabe haben die Bevollmächtigten des Klägers nicht substantiiert bestritten.

3.1. Anforderungen an das Bestreiten der Zugangsfiktion

Wenn - wie hier - sich die Bevollmächtigten auf einen späteren Zugang als den, wie er sich aus der Zugangsfiktion ergibt, berufen wollen, reicht dafür ein bloßes Bestreiten nicht aus. Erforderlich ist vielmehr "ein substantiiertes Bestreiten in der Weise, dass der Betreffende einen abweichenden Geschehensablauf schlüssig vorträgt" (BSG, Urteil vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, und vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R), also Tatsachen darlegt, aus denen "schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass ein Zugang des Verwaltungsakts erst nach dem von § 37 Abs. 2 Satz 1 HS. 1 SGB X vermuteten Zeitpunkt erfolgte" (Pattar, a.a.O., § 37, Rdnr. 106 - m.w.N.), "und dadurch zumindest Zweifel begründet" (BSG, Urteil vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R), dass der Zugang des Widerspruchsbescheides innerhalb des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Zeitraums erfolgt ist. Dieser Zweifel muss ein "berechtigter Zweifel" (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 24.04.1987, 5 B 132/86; Thüringer LSG, Urteil vom 26.06.2008, L 5 VG 801/05) sein (vgl. auch BGH, Urteil vom 13.02.1992, IX ZR 105/91; BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R), oder in anderen Worten: ein "ernsthafter Zweifel" (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.11.2014, OVG 10 N 27.12; vgl. BFH, Urteile vom 05.12.1974, V R 111/74, und vom 03.05.2001, III R 56/98). Denn wenn ein substantiiertes Bestreiten nicht verlangt würde, wäre die Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X wertlos (vgl. BFH, Urteil vom 05.03.1986, II R 5/84; BSG, Urteile vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, und vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R). Vage, unsubstantiierte Angaben und ein bloßes Bestreiten ohne weitere Angaben sind somit nicht geeignet, die Vermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zu widerlegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 14.02.2012, V S 1/12 (PKH); BVerwG, Beschluss vom 24.04.1987, 5 B 132/86; BSG, Urteile vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, und vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, Bayer. LSG, Beschluss vom 17.03.2011, L 19 R 443/10 B PKH). Zu berücksichtigten ist dabei, dass die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt werden dürfen, um nicht den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und damit den Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 14.05.1985, 1 BvR 370/84, und vom 23.08.1999, 1 BvR 1138/97; BSG, Urteile vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, und vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R). Von berechtigten/ernsthaften Zweifeln im vorgenannten Sinne ist daher bei der gebotenen klägerfreundlichen Auslegung schon dann auszugehen, wenn berechtigte/ernsthafte "Bedenken" oder eine "schwankende Ungewissheit" (https://www.duden.de/rechtschreibung/Zweifel, abgefragt am 10.05.2022; vgl. auch Hess. LSG, Urteil vom 09.03.2005, L 6 AL 1276/03) bestehen (strenger: Hess. VGH, Beschluss vom 04.05.2021, 10 B 2745/20: "An das Vorliegen eines derartigen Zweifelsfalls sind strenge Anforderungen zu stellen, da andernfalls der Zweck der Regelung verfehlt würde;").

Ob der Vortrag des die Fiktion bestreitenden Beteiligten geeignet ist, ernsthafte/berechtigte Zweifel an dem sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Bekanntgabetag zu wecken, also dass die nicht entfernt liegende Möglichkeit besteht, dass der tatsächliche Zugang erst nach dem von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X fingierten Zeitpunkt erfolgt ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung und Überzeugungsbildung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG im konkreten Fall (vgl. BFH, Beschlüsse vom 31.03.2008, III B 151/07, und vom 11.07.2008, III B 141/07; Hess. LSG, Urteil vom 19.09.2005, L 9 AL 81/04; Sächs. LSG, Urteil vom 24.01.2013, L 3 AL 112/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2022, L 4 P 3924/20; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.01.2020, 2 LB 2/19).

Ein substantiiertes Bestreiten verlangt vom Empfänger, "die Zugangsvermutung für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist durch substantiierte Angaben zu erschüttern" (BFH, Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98).

3.2. Kein (substantiiertes) Bestreiten durch die Bevollmächtigten des Klägers

Vorliegend haben die Bevollmächtigten des Klägers den sich aus der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebenden Zugang nicht einmal in geeigneter Weise bestritten, geschweige denn dies substantiiert getan.

3.2.1. Der Vortrag der Bevollmächtigten des Klägers beinhaltet schon kein Bestreiten einer Bekanntgabe innerhalb des Dreitageszeitraums des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, sondern zeigt nur die weitere/zusätzliche Möglichkeit eines Zugangs nach diesem Zeitraum auf.

Die Bevollmächtigen des Kläger haben Folgendes vorgetragen:
"Gem. unseres Eingangsstempels ging der Widerspruchsbescheid hier am 12.11.2012 ein.
...
Dass der Widerspruchsbescheid weder am Samstag, den 10.11.2012 noch am Sonntag, den 11.11.2012 zugestellt werden konnte, ergibt sich schon daraus, dass an diesen Tagen das Büro nicht geöffnet ist.
Samstags und sonntags ist das Büro geschlossen. Zustellungen erfolgen nicht.
Mithin ist absolut nachvollziehbar und anhand des Eingangsstempels unserer Kanzlei belegt, dass der Widerspruchsbescheid am 12.11.2012, einem Montag, hier eingegangen ist."

Den Grundsätzen der Logik folgend wird mit dem Vorbringen der Bevollmächtigten schon kein ernsthafter/berechtigter Zweifel an dem sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Bekanntgabetag geweckt, weil damit ein Zugang innerhalb des Dreitageszeitraum des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht bestritten wird. Der Vortrag eines Beteiligten, er habe den Verwaltungsakt erst nach Ablauf des Dreitageszeitraums erhalten, ist nämlich nur dann zur Erschütterung der Zugangsvermutung geeignet, wenn der Empfänger damit die Zugangsvermutung "für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist" (BFH, Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98) (durch substantiierte Angaben) bestreitet und erschüttert. Dieser Vorgabe wird das Bestreiten der Bevollmächtigten nicht gerecht.

Ein substantiiertes Bestreiten eines Eingangs am Freitag (09.11.2012), dem ersten Tag des Dreitageszeitraums, durch die Bevollmächtigten des Klägers liegt schon deshalb nicht vor, weil die Bevollmächtigten des Klägers überhaupt nicht (substantiiert) vorgetragen haben, dass am Freitag der Widerspruchsbescheid nicht in den Briefkasten der Kanzlei eingeworfen worden ist. So haben die Bevollmächtigten nichts dazu vorgetragen, ob und - wenn ja - wann an diesem Tag der Briefkasten der Kanzlei geleert worden ist und ob sichergestellt war, dass nach einem - nicht vorgetragenen - Entleeren des Briefkastens am Freitag kein weiterer Einwurf durch die Post erfolgt ist. Allein der Vortrag, dass der Widerspruchsbescheid erst am nachfolgenden Montag aus dem Briefkasten der Kanzlei entnommen worden sei, beinhaltet kein (substantiiertes) Bestreiten eines Eingangs am Freitag. Denn eine Entnahme am Montag schließt einen Einwurf am Freitag nicht aus, wenn der Briefkasten am Freitag nicht oder noch vor dem Zeitpunkt des (regelmäßigen) Einwurfs durch die Post geleert worden ist. Eine solche Leerung des Briefkastens der Kanzlei haben die Bevollmächtigten aber nicht vorgetragen. Ein (substantiiertes) Bestreiten der Zugangsfiktion scheitert daher schon daran, dass für den ersten Tag der Dreitagesfrist kein (substantiiertes) Bestreiten durch die Bevollmächtigten des Klägers erfolgt ist.

Aber selbst dann, wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen würde, dass der Widerspruchsbescheid jedenfalls am Freitag (09.11.2012) nicht in der Kanzlei eingegangen ist, weil dies einen Eingangsstempel vom 09.11.2012 nach sich gezogen hätte, ist jedenfalls ein Eingang am 10.11.2012 von den Bevollmächtigten des Klägers nicht (substantiiert) bestritten worden. Denn mit der Behauptung, die Kanzlei sei am Wochenende nicht besetzt, wird ein Einwurf in den Briefkasten der Kanzlei am Wochenende nicht ausgeschlossen.

Der oben zitierte Vortrag der Bevollmächtigten des Klägers ist bereits in sich widersprüchlich. Die zunächst aufgestellte Behauptung, der Widerspruchsbescheid sei am 12.11.2012 in der Kanzlei eingegangen, wird von dem weiteren Vorbringen der Bevollmächtigten nicht gestützt und ist somit auch nicht substantiiert. Denn sie haben vorgetragen, dass am Wochenende (10./11.11.2012) die Kanzlei nicht besetzt gewesen und somit auch der Briefkasten der Kanzlei nicht geleert worden sei. Allein aus dem sich daraus ergebenden und als wahr unterstellten Vortrag, dass der Umschlag mit dem Widerspruchsbescheid erst am Montag (12.11.2012) dem Briefkasten entnommen und geöffnet worden sei, ergibt sich aber noch kein ernsthafter/berechtigter Zweifel daran, dass der Widerspruchsbescheid nicht schon vor dem Montag, nämlich am (Freitag oder) Samstag, in den Briefkasten der Kanzlei eingeworfen worden ist. Denn die am Samstag eingeworfene Post ist - dem Vortrag der Bevollmächtigten folgend - auch erst am Montag entnommen worden, wobei die Bevollmächtigten nichts dazu vorgetragen haben, dass bei der Leerung des Briefkastens am Montag eine Differenzierungsmöglichkeit (z.B. infolge zweimaliger Leerung am Montag vor und nach dem montäglichen Posteingang) bestanden hätte, ob die Post schon am Samstag oder erst am Montag eingeworfen worden wäre. Damit wird aber nicht ein Posteingang innerhalb der Dreitageszeitraums des § 37 Abs. 2 Satz 1 bestritten und ein Einwurf in den Briefkasten der Kanzlei erst am Montag (12.11.2012), also nach dem sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Tag (11.11.2012), behauptet, wie es nötig wäre, um die Zugangsfiktion zu bestreiten, sondern nur die alternative Möglichkeit vorgetragen, dass neben einem Einwurf am Samstag auch ein Einwurf am Montag denkbar wäre. Das Bestreiten eines Zugangs am Samstag ist damit nicht verbunden.

3.2.2. Sofern die Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 08.04.2022 angegeben haben, dass der Widerspruchsbescheid weder am Samstag, den 10.11.2012, noch am Sonntag, den 11.11.2012, habe zugestellt werden können, da in diesen Tagen das Büro nicht geöffnet sei und daher keine Zustellungen erfolgen würden, wird damit keine nicht entfernt liegende Möglichkeit dargelegt, wonach nicht zumindest am Samstag, den 10.11.2012, ein Zugang des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 erfolgt ist. Der Umstand, dass am Wochenende die Kanzlei nicht besetzt ist und damit an diesen Tagen auch der Briefkasten nicht geleert wird, steht einem Einwurf des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 am Samstag, dem 10.11.2012, in den Briefkasten der Kanzlei nämlich nicht entgegen. Denn die Bevollmächtigten des Klägers haben nicht vorgetragen, dass am Wochenende nicht nur die Kanzlei nicht besetzt sei, sondern auch der Briefkasten der Kanzlei verschlossen werde, um den Einwurf von Post zu verhindern, wobei sich in einem solchen Fall die Frage stellen würde, ob dies nicht den Fall einer für die Zugangsfiktion unschädlichen Annahmeverweigerung darstellen würde (vgl. BSG, Beschluss vom 28.09.2012, B 14 AS 34/11 BH).

Zudem ist es für die Übermittlung von Schriftstücken durch die Post an die Kanzlei in der Form, dass Poststücke in den Briefkasten eingeworfen werden, nicht erforderlich, dass die Kanzlei auch personell besetzt ist. Persönliche Anwesenheit von Mitarbeitern in der Kanzlei und Briefeinwurf in den Briefkasten der Kanzlei sind voneinander unabhängig. Für den Eintritt der Fiktionswirkung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist es unmaßgeblich, wann der Briefkasten gelehrt wird (vgl. Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2022, § 37, Rdnr. 29) (vgl. auch oben, Ziff. 2.1., dort die Ausführungen zu § 130 BGB [S. 18]).

Einen Sachverhalt dahingehend, dass der Briefkasten der Kanzlei am Montag vor Austragen der (ersten) Post an diesem Tag geleert worden wäre, um festzustellen, welche Post am Samstag eingeworfen worden ist, haben die Bevollmächtigten des Klägers nicht vorgetragen. Ermittlungen/Nachfragen des Senats dahingehend, wann der Briefkasten der Kanzlei am Montag geleert wurde - schon vor Einwurf der Montagspost oder erst danach -, waren nicht anzustellen. Das substantiierte Bestreiten des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Zeitpunkts obliegt der Darlegungslast des Empfängers und ist nicht durch Ermittlungen von Amts wegen ins Blaue hinein zu ersetzen.

3.2.3. Auch der auf dem Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 in gleicher Weise wie auf dem Zuleitungsschreiben vom selben Tag angebrachte Eingangsstempel der Kanzlei, der das Datum des 12.11.2012 ausweist, stellt kein (substantiiertes) Bestreiten des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Zugangsdatums dar.

Zum einen ist mit dem Eingangsstempel vom Montag nur belegt, dass das Poststück an diesem Tag geöffnet worden ist. Ein Rückschluss darauf, wann der Brief in den Briefkasten der Kanzlei eingeworfen worden ist, ist damit nicht möglich, jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Kanzlei am Wochenende davor nicht besetzt gewesen ist. Denn in einem solchen Fall werden am Montag alle Schriftstücke geöffnet und mit dem Montagsdatum abgestempelt, die am Samstag und am Montag in den Briefkasten eingeworfen worden sind. Aus dem Eingangsstempel kann daher nicht auf den Einwurftag rückgeschlossen werden.

3.2.4. Aber selbst dann, wenn der Hinweis auf den Eingangsstempel (am Montag) als Bestreiten des Zugangs (innerhalb der am Sonntag endenden Dreitagesfiktion) betrachtet würde, würde insofern kein substantiiertes Bestreiten vorliegen. Denn ein am 12.11.2012 angebrachter Eingangsstempel kann angesichts der geschilderten Kanzleiabläufe lediglich als Beleg dafür angesehen werden, dass der entsprechende Briefumschlag an diesem Tag geöffnet worden ist, nicht aber als Hinweis darauf, dass der Brief nicht am Samstag, an dem die Kanzlei nicht besetzt war und daher der Briefkasten nicht geleert wurde, oder am Freitag, für den überhaupt keine Angaben zur Leerung des Briefkastens der Kanzlei gemacht worden sind, in den Briefkasten eingeworfen worden ist. Denn wenn - wie hier nach dem eigenen Vortrag der Bevollmächtigten - die Kanzlei am Wochenende nicht geöffnet ist, bedeutet dies zwingend, dass auch die am Samstag (10.11.2012) eingeworfene Post am Montag geöffnet und mit dem Eingangsstempel vom Montag (12.11.2012) versehen wird. Dass der am 12.11.2012 als eingegangen abgestempelte Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 nicht bereits am 10.11.2012 eingegangen ist, wird dadurch nicht naheliegend gemacht, zumal bei den üblichen Postlaufzeiten ein Eingang zwei Tage nach der Aufgabe zur Post und somit am 10.11.2012 zur Überzeugung des Senats immer noch weit wahrscheinlicher ist als ein Posteingang erst am 12.11.2012. Da Eingang der Post durch Einwurf in den Briefkasten der Kanzlei und Öffnen der Briefpost an einem Arbeitstag nicht zwingend auf den gleichen Tag fallen, kann allein mit dem Eingangsstempel der Kanzlei ein sich aus der Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebender Bekanntgabetag nicht substantiiert bestritten werden, zumindest dann, wenn - wie hier - sich das Auseinanderfallen der beiden Tage zwanglos mit den Arbeitszeiten der Kanzlei erklären lässt.

Wenn in einer vergleichbaren Situation das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 29.08.2019, L 6 U 3728/18, den Eingangsstempel einer anwaltlichen Kanzlei als Nachweis des konkreten Zugangs gesehen hat, weil dieser Stempel "als Erklärung eines Organs der Rechtspflege ... die Beweiskraft des § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO" habe, kann der Senat dem nicht folgen. Der anwaltliche Eingangsstempel hat eine solche (förmliche) Beweiskraft, anders als ein Eingangsstempel eines Gerichts oder einer Behörde (vgl. BFH, Urteil vom 17.10.1972, VIII R 36/69; BGH, Beschluss vom 30.10.1997, VII ZB 19/97, Urteil vom 07.07.1998, VIII R 83/96) nicht (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 17.03.2011, L 19 R 443/10 B PKH; Oberlandesgericht München, Urteil vom 11.03.2009, 15 U 4982/08). Denn der anwaltliche Eingangsstempel stellt, anders als ein anwaltliches Empfangsbekenntnis (vgl. BGH, Urteil vom 07.06.1990, III ZR 216/89), keine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO mit dem einer solchen Urkunde nach § 418 Abs. 1 ZPO zukommenden Beweiswert dar.

Zudem lässt im vorliegenden Fall der Eingangsstempel auch nicht den Rückschluss darauf zu, wann das Poststück in den Briefkasten der Kanzlei eingeworfen worden ist. Vielmehr wird mit dem Eingangsstempel ("Eingegangen 12. Nov. 2012") nur der Nachweis dafür geführt, wann der Brief geöffnet worden ist. Dieser Zeitpunkt mag zwar, wenn davon ausgegangen wird, dass der Briefkasten der Kanzlei täglich gelehrt und der entnommene Brief auch am Tag der Entnahme aus dem Briefkasten geöffnet wird, in der Regel identisch sein mit dem Eingang der Post. In einem Fall wie hier, an dem der Briefkasten am Wochenende aber nicht geleert wird und daher - mangels anderweitigen Vortrags der Bevollmächtigten - davon auszugehen ist, dass die Post vom Samstag entweder zusammen mit der Post vom Montag entnommen wird oder - bei zweimaliger Leerung des Briefkastens - in jedem Fall der Eingangsstempel des Montags angebracht wird, kann aber mit dem Eingangsstempel weder der (zweifelsfreie) Nachweis eines späteren Zugangs als an dem Tag, wie er sich aus der Zugangsfiktion ergibt, geführt werden noch stellt der bloße Hinweis auf den Eingangsstempel ein substantiiertes Bestreiten dar, wie es zur Erschütterung der Zugangsfiktion erforderlich wäre.

3.2.5. Entsprechend den obigen Ausführungen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wenn sich daraus eine Bekanntgabe am Wochenende ergibt (vgl. oben Ziff. 2.1.), weist der Senat darauf hin, dass vorliegend auch unter dem Gesichtspunkt des substantiierten Bestreitens des sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Bekanntgabezeitpunkts die Tatsache, dass die Aufgabe zur Post an einem Donnerstag erfolgt ist, rechtlich irrelevant ist. Der Senat ist sich zwar bewusst, dass an dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, einem Sonntag, ein Austragen der Post nicht erfolgt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass nicht trotzdem bereits zuvor ein Zugang erfolgt ist. Der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X liegt nämlich die Annahme zugrunde, dass nach den üblichen Erfahrungswerten über die Postlaufzeit spätestens am dritten Tag nach der Aufgabe der Zugang erfolgt ist. Die weit überwiegende Zahl der Postsendungen wird bereits früher, also vor dem dritten Tag, in den Briefkasten eingeworfen. Es ist nämlich regelmäßig davon auszugehen, dass im Bundesgebiet eine an einem Werktag aufgegebene Postsendung am folgenden Werktag (vgl. BSG, Beschlüsse vom 27.11.2018, B 2 U 17/18 B, und vom 16.12.2021, B 9 V 10/21 B) ausgeliefert wird, und zwar selbst dann, wenn aufgrund konkreter Umstände allgemein mit einem erhöhten Postaufkommen zu rechnen ist (ständige Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 18.07.2007, XII ZB 32/07, und vom 20.05.2009, IV ZB 2/08 - jeweils m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.12.2013, 8 C 25/12, das von "üblichen Postlaufzeiten von ein bis zwei Werktagen" ausgeht). Entsprechendes ergibt sich auch aus der PUDLV, die für die regelmäßigen Postlaufzeiten Mindeststandards verbindlich vorgibt. Nach § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV müssen von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen - mit Ausnahme der Sendungen, die eine Mindesteinlieferungsmenge von 50 Stück je Einlieferungsvorgang voraussetzen - im Jahresdurchschnitt mindestens 80 v.H. an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag und 95 v.H. bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden. Diese Vorgabe lässt den Rückschluss auf die Einhaltung der Postlaufzeiten zu (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2009, IV ZB 2/08).

Damit resultiert aus dem Umstand, dass am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post kein Austragen der Post erfolgt ist, lediglich die sehr unwahrscheinliche Möglichkeit, dass die Postsendung den Adressaten nicht innerhalb des Dreitageszeitraums erreicht hat. Denn es ist - mit 95%iger Wahrscheinlichkeit (vgl. oben) - weitaus wahrscheinlicher, dass die Post bereits innerhalb der ersten beiden Tage nach der Aufgabe zur Post den Empfänger erreicht, sodass vorliegend keine vernünftigen Zweifel an einem Zugang innerhalb des sich aus der Dreitagesfiktion ergebenden Zeitraums bestehen; ein Einwurf in den Briefkasten der Kanzlei erst am Montag, den 12.11.2012, stellt zur Überzeugung des Senats lediglich eine ganz fernliegende Möglichkeit dar, die keinen berechtigten/ernsthaften Zweifel an einer sich aus der Zugangsfiktion ergebenden Bekanntgabe am 11.11.2012 weckt. Der Annahme einer substantiierten Erschütterung der Dreitagesfiktion könnte der Senat erst dann nähertreten, wenn innerhalb des Dreitageszeitraums mehr als ein Tag liegen würde, an dem keine Postbeförderung stattfindet. Dies war vorliegend aber nicht der Fall.

3.2.6. Den Briefumschlag, mit dem der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 samt Zuleitungsschreiben vom selben Tag an die Bevollmächtigten des Klägers gesandt worden ist, haben diese trotz gerichtlicher Aufforderung im Schreiben vom 28.03.2022 nicht vorgelegt. Somit ist es nicht möglich, aus dem auf dem Briefumschlag angebrachten Poststempel Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob die Post die Sendung verspätet bearbeitet hat und daher ein Posteingang erst am 12.11.2012 mehr als nur ganz unwahrscheinlich wäre. Ein substantiiertes Bestreiten der Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wie sie u.U. mit dem Briefumschlag, in dem der Widerspruchsbescheid transportiert worden ist, möglich gewesen wäre, ist daher vorliegend nicht erfolgt.

3.2.7. Irgendwelche weiteren Gesichtspunkte, die für einen Einwurf des Widerspruchsbescheides erst nach Ablauf des Dreitageszeitraums des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X sprechen würden, haben die Bevollmächtigten des Klägers nicht vorgetragen. Weder haben sie mit einem substantiierten Vortrag einen Zugang innerhalb des Dreitagezeitraums bestritten noch haben sie Umstände vorgetragen, aus denen sich - auch ohne Einbindung in ein substantiiertes Bestreiten - Gesichtspunkte ergeben würden, die berechtigte/ernsthafte Zweifel an einem Zugang innerhalb des Dreitagezeitraums wecken würden. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um die Dreitagesfiktion erschüttern zu können

3.2.8. Eigene Ermittlungen des Senats dahingehend, ob andere, noch nicht vorgetragene Gesichtspunkte oder Umstände dazu verwendet werden könnten, die Dreitagesfiktion substantiiert zu bestreiten, verbieten sich. Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X verlangt ein Vorbringen des Adressaten, das nicht durch Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen ersetzt werden kann. Fehlt es an einem solchen Vorbringen, ist das Gericht an die gesetzlich angeordnete Fiktionswirkung gebunden (vgl. BFH, Urteil vom 05.03.1986, II R 5/84; BSG, Urteile vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, und vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R; Thüringer OVG, Beschluss vom 07.02.2002, 4 ZKO 1252/97).

3.2.9. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Dafür, dass der Umstand, dass die Post bei der Beklagten nicht von einem Mitarbeiter der Deutschen Post selbst, sondern von einem Subunternehmer abgeholt worden ist, zu einer verzögerten Übermittlung außerhalb der Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X hätte führen können, spricht nichts. Denn es macht keinen Unterschied, ob sich die Post zur Abholung eines arbeitsvertraglich gebundenen Mitarbeiters oder eines vertraglich gebundenen (Sub-)Unternehmens bedient. Anders als in einem vom BFH entschiedenen Fall (vgl. BFH, Beschluss vom 18.04.2013, X B 47/12) hat im vorliegenden Verfahren nämlich die Beklagte mit der Abholung der Post die Deutsche Post beauftragt, nicht einen privaten Postdienstleister, der dann das Schriftstück erst an die Deutsche Post zu übergeben hatte - so der Fall des BFH.

Letztlich kommt es auf die vorstehend dargestellte rechtliche Bewertung der Dreitagesfiktion bei Einschaltung eines Subunternehmens aber ohnehin nicht an. Denn dieser Umstand hätte erst nach einem insofern substantiierten Vortrag des Klägers oder seiner Bevollmächtigten, der hier nicht erfolgt ist, Berücksichtigung finden könnte (vgl. oben Ziff. 3.2.8.). Dabei kann auch die Frage offenbleiben, wie weit die Substantiierungspflicht geht und ob nicht schon aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall ein Hinweis auf einen Umstand ausreicht, ohne diesen explizit in das substantiierte Bestreiten einzubauen (vgl. BFH, Urteil vom 14.06.2018, III R 27/17: "Der Kläger hat auf diese besonderen Umstände im Streitfall hingewiesen. Weitere Ausführungen, um die Zugangsfiktion zu erschüttern, sind nach Ansicht des Senats bei der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht erforderlich."). Denn den Umstand, dass in die von der Beklagten mit der Deutschen Post vereinbarte Abholung ein Subunternehmen eingebunden war, haben die Bevollmächtigten des Klägers nicht aufgegriffen, obwohl ihnen dieser Umstand nach am 07.04.2022 erfolgter Übermittlung des Schreibens der Beklagten vom 05.04.2022 bekannt war und sie sich anschließend mit Schriftsatz vom 08.04.2022 nochmals in der Sache geäußert haben.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass von der Klägerseite mit Blick auf die Zugangsfiktion bei strenger Betrachtung schon gar kein Vortrag erfolgt ist, der als Bestreiten der Zugangsfiktion betrachtet werden könnte. Aber selbst dann, wenn der Vortrag als ein Bestreiten gewertet würde, kommt der Senat bei Abwägung aller im Raum stehenden Gesichtspunkte im Rahmen der ihm zustehenden tatrichterlichen Überzeugungsbildung und Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass keine berechtigten/ernsthaften Zweifel daran vorliegen, dass der Zugang des Widerspruchsbescheides innerhalb des bis zum 11.11.2012 reichenden Dreitageszeitraums des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X erfolgt ist. Die Möglichkeit, dass der Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 erst am 12.11.2012 in den Briefkasten der Bevollmächtigten des Klägers eingeworfen worden sein könnte, hält der Senat für eine nur sehr fernliegende Möglichkeit. Somit ist für die Berechnung der Klagefrist von einer aus der Zugangsfiktion gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X resultierenden Bekanntgabe des streitgegenständlichen Widerspruchbescheides vom 07.11.2012 am 11.11.2012 auszugehen.

4.  Klagefrist versäumt

Die Klagefrist haben die Bevollmächtigten des Klägers mit der Klageerhebung am 12.12.2012 nicht eingehalten.

Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG ist die Klage bei - wie hier - Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides im Inland bei - wie hier - zutreffender Rechtsmittelbelehrung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Die Klage ist gemäß § 90 SGG bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben.

Ausgehend von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2012 am 11.11.2012 hat die Monatsfrist zur Einlegung der Klage am 11.12.2012, einem Dienstag, geendet (vgl. § 64 Abs. 1 und 2, Sätze 1 und 2 SGG). Die von den Bevollmächtigten des Klägers zum SG erhobene Klage ist dort aber erst am 12.12.2012, Mittwoch, und somit nach Ablauf der Klagefrist eingegangen.

5.  Keine Wiedereinsetzung

Die Verfristung der Klage ist nicht wegen Wiedereinsetzung gemäß § 67 SGG unschädlich.

5.1. Keine (konkludente) Wiedereinsetzung durch das SG

Eine konkludente/stillschweigende Wiedereinsetzung durch das SG dadurch, dass die Verfristung der Klage nicht beachtet worden ist und dass das SG, anstelle die Klage wegen Verfristung als unzulässig abzuweisen, in der Sache entschieden und die Klage als unzulässig aus anderen Gründen bzw. unbegründet abgewiesen hat, gibt es nicht (vgl. Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 67, Rdnr. 67). Das BSG hat insofern in einem gleichgelagerten Fall, wie ihn der Senat vorliegend zu entscheiden hat, im Beschluss vom 02.07.2007, B 2 U 41/07 B, Folgendes ausgeführt:

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 SGG). Eine solche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann jedoch nicht stillschweigend, sondern nur durch eine eindeutig verlautbarte Entscheidung gewährt werden (vgl für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerwGE 59, 302; BVerwG vom 22. November 1994 - 6 B 29/94 - NVwZ-RR 1995, 232). § 67 SGG verlangt in seinem Absatz 4 schon durch die Formulierung "entscheidet das Gericht" eine solche ausdrückliche, vom Willen des Gerichts getragene Entscheidung. Auch angesichts der Bedeutung der Entscheidung für das weitere Verfahren ist ein klare und eindeutig zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gerichts erforderlich, um jeden Zweifel darüber auszuschließen, dass das Gericht die Frage der Notwendigkeit einer Wiedereinsetzung erkannt und den Willen hatte, Wiedereinsetzung zu gewähren. Enthält die Entscheidung des SG keine Aussage zu einer möglichen Wiedereinsetzung, sei es, dass das SG die Fristversäumnis nicht bemerkt oder über die Wiedereinsetzung nicht entschieden hat, so kann in diesem Schweigen des SG keine Willensäußerung oder Entscheidung gesehen werden. Eine konkludente Wiedereinsetzung entsprechend der Ansicht des Klägers, weil das SG die Frage der Zulässigkeit der Klage nicht weiter erörtert, sondern in der Sache entschieden habe, scheidet damit aus."

Sofern das SG zu Beginn der Entscheidungsgründe formuliert hat "Die gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ... ist nur zum Teil zulässig.", belegt dies lediglich, dass das SG die Verfristung nicht bemerkt hat. In das Schweigen des SG zur Verfristung kann keine Willensäußerung oder Entscheidung des SG, Wiedereinsetzung zu gewähren, hineininterpretiert werden.

5.2.
Keine Wiedereinsetzung durch das LSG

Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist durch den Senat hat nicht zu erfolgen.

Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 SGG durch das Gericht zu treffen, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Dies wäre vorliegend das SG. Ausnahmsweise kann das Rechtsmittelgericht anstelle des eigentlich für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung zuständigen Gerichts entscheiden, wenn die Vorinstanz über die Wiedereinsetzung nicht entschieden hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.1992, 11 RAr 65/91). Dabei wird die Meinung vertreten, dass diese übergegangene Kompetenz nur zu einer positiven Entscheidung zur Wiedereinsetzung berechtigt, nicht aber zu einer Ablehnung der Wiedereinsetzung, wobei von diesem Grundsatz dann wieder eine Ausnahme gemacht wird, wenn das Wiedereinsetzungsgesuch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. Senger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 27.07.2021, § 67, Rdnr. 75).

Ganz abgesehen davon, dass trotz des ausführlichen gerichtlichen Hinweises im Schreiben vom 28.03.2022 ("Es liegt nahe, dass die Klage zum SG verfristet war.") bereits kein Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG gestellt worden ist, liegen auch die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 67 Abs. 4 SGG offensichtlich nicht vor, sodass eine Entscheidungskompetenz des erkennenden Senats besteht. Die Versäumung der Klagefrist resultiert offenkundig aus dem Verantwortungsbereich des Klägers und seiner Bevollmächtigten, sodass eine unverschuldete Versäumung der Klagefrist nicht nachgewiesen ist. Dem Vorbringen der Bevollmächtigten im Berufungsverfahren nach dem gerichtlichen Hinweis im Schreiben vom 28.03.2022 darauf, dass die Klagefrist versäumt sei, ist zu entnehmen, dass die Bevollmächtigten von der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung überzeugt waren und sind; offenbar haben sie der Berechnung der Klagefrist fälschlicherweise das Datum des in der Kanzlei angebrachten Eingangsstempels zugrunde gelegt. Dabei hätten sie sich bewusst sein müssen, dass bei der von der Beklagten gewählten Form einer Übermittlung des Widerspruchsbescheides durch die Post gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine Zugangsfiktion gilt, die, wenn sie - wie hier - nicht substantiiert bestritten wird, dazu führen kann, dass tatsächlicher Eingang bzw. erstmalige Kenntnisnahme in der Kanzlei und fingierter Zugang nicht identisch sind. Dieses Umstands hätten sich die Bevollmächtigten umso mehr bewusst sein müssen, als vorliegend der Widerspruchsbescheid - den Angaben der Bevollmächtigten folgend - an einem Montag aus dem Briefkasten entnommen worden ist und an den beiden Tagen zuvor der Briefkasten der Kanzlei durch Kanzleiangehörige nicht entleert und Post in der Kanzlei nicht abgestempelt worden ist. Auch war sowohl auf dem Widerspruchsbescheid als auch auf dem Zuleitungsschreiben an die Bevollmächtigten, die diese auch in Kopie dem Gericht vorgelegt haben, der Postaufgabevermerk der Beklagten ("Zur Post gegeben am 08. Nov. 2012") angebracht, sodass es für die Bevollmächtigten des Klägers zumutbar und ein Leichtes gewesen wäre, den Tag des fingierten Zugangs zu ermitteln. Dadurch, dass sie dies nicht beachtet haben, haben sie die Klagefrist offensichtlich verschuldet versäumt, sodass der Senat eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren hat.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben, da die Abweisung der Klage durch das SG im Ergebnis zu Recht erfolgt ist.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat auf Folgendes hin:

*  Die von den Bevollmächtigten des Klägers in der Form des Schriftsatzes vom 12.12.2012 erhobene Klage wäre - unabhängig von der Verfristung - auch deshalb überwiegend unzulässig gewesen, weil die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid keine Entscheidung über (konkrete) Leistungsansprüche des Klägers getroffen hat. Eine (pauschale) Leistungsablehnung, wie sie vorliegend im Bescheid vom 05.04.2012 mit den Worten "der Entschädigungsanspruch ... wird abgelehnt" erfolgt ist, hat keinen Regelungscharakter, wie er für einen Verwaltungsakt bezeichnend ist (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 16.03.2021, B 2 U 7/19 R, und vom 16.03.2021, B 2 U 17/19 R). Die auf "Entschädigung in Form von Verletztenrente, ggf. der Übergangsleistungen und der Heilbehandlung" (Klageschriftsatz vom 12.12.2012) gerichtete Klage war daher insofern wegen eines fehlenden Verwaltungsverfahrens unzulässig.

*  Mit der Frage, ob die Klage (auch) - wie das SG angenommen hat - unbegründet gewesen ist, hatte sich der Senat wegen der sich aus der Verfristung der Klageerhebung ergebenden Unzulässigkeit der Klage nicht zu befassen. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass auch die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2022 nicht zwingend den Rückschluss darauf zulässt, dass die Beklagte das vom Kläger angegebene Geschehen vom 10.02.2010 als Arbeitsunfall hätte anerkennen müssen.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG); die Frage der Auslegung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist höchstrichterlich mit dem Urteil des BSG vom 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R und nochmals mit dem Beschluss des BSG vom 06.05.2015, B 14 AS 41/15 B, geklärt.

 

Rechtskraft
Aus
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