S 24 AS 22/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Osnabrück (NSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 24 AS 22/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 2048,27 € zu erstatten.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Der Streitwert wird endgültig auf 2048,27 € festgesetzt.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Kostenerstattung nach § 36a SGB II.

Eine erwerbfähige und hilfebedürftige Person, die Leistungen nach dem SGB II erhielt und ursprünglich ihren gewöhnlichen Aufenthalt in D. hatte, war mit ihren beiden Kindern vom 30.04.2020 bis zum 12.06.2020 im Frauenhaus D.. Danach befand sie sich im Haushalt einer Freundin in A. und hielt sich schließlich mit ihren beiden Kindern in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 22.06.2020 bis 14.07.2020 im Frauenhaus A. auf.

Der Kläger meldete mit Schreiben vom 15.07.2020 bei der Beklagten eine Kostenerstattung nach § 36a SGB II an, da der gewöhnliche Aufenthalt der betreffenden Person bis zum Einzug ins Frauenhaus A. in D. gewesen sei. Dem Antrag lag eine Stellungnahme der betreffenden Person vom 02.07.2020 bei, in der diese erklärte, dass sie sich mit ihren Kindern in der Zeit zwischen dem Auszug aus dem Frauenhaus D. und dem Einzug in das Frauenhaus A. bei einer Freundin in A. aufgehalten habe. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 21.07.2020 die Kostenerstattung ab. Der Kläger führte mit Schreiben vom 28.07.2020 aus, dass kein gewöhnlicher Aufenthalt der betreffenden Person in A. begründet worden sei, da diese Personen nur vorübergehend bis zum Einzug ins Frauenhaus A. bei ihrer Freundin habe bleiben wollen. Die Beklagte lehnte das Begehren erneut mit Schreiben vom 04.08.2020 ab. Der Kläger wies mit Schreiben vom 10.08.2020 die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in A. erneut zurück.

Der Kläger hat am 25.01.2021 Klage erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der letzte gewöhnliche Aufenthalt vor dem Aufenthalt im Frauenhaus A. vom 22.06.2020 bis 14.07.2020 in D. gewesen sei und nimmt Bezug auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23.05.2012 (Az.: B 14 AS 190/11 R). Auf den Aufenthalt im Haushalt einer Freundin komme es nicht an.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2048,27 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt des Einzugs in das Frauenhaus A. keinen gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Zuständigkeitsbereich mehr gehabt habe, da sie mit ihrem Auszug am 12.06.2020 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in D. aufgegeben habe. Die betreffende Person sei mit der Absicht aus dem Frauenhaus D. ausgezogen, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in D. zu beenden. Ihr Lebensmittelpunkt habe nach dem 12.06.2020 in der Wohnung ihrer Freundin gelegen. Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes reiche es aus, wenn sich die betreffende Person an einem Ort „bis auf weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhalte. Dieser Ort sei nach dem 12.06.2020 in A. gewesen. Wenn kein gewöhnlicher Aufenthalt mehr besteht, sei eine Kostenerstattungspflicht nach § 36a SGB II ausgeschlossen. Die Beklagte nimmt Bezug auf die Stellungnahme des Frauenhauses D. vom 17.06.2021. Es sei ferner zu berücksichtigen, dass der Auszug aus dem Frauenhaus D. freiwillig erfolgt sei und nach dem Auszug erneut der Entschluss gefasst worden sei, wieder in ein Frauenhaus im Zuständigkeitsbereich eines anderen Leistungsträgers zu ziehen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die als reine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG im Gleichordnungsverhältnis ohne Vorverfahren und Klagefrist zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf 2048,27 € aus § 36a SGG II.

Nach § 36a SGB II ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, wenn eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten.

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht aus § 36a SGB II, da der letzte gewöhnliche Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten lag und durch den Aufenthalt in der Wohnung der Freundin in A. im Zeitraum vom 13.06.2020 bis 21.06.2020 kein gewöhnlicher Aufenthalt, sondern nur ein für den Anspruch unschädlicher tatsächlicher Aufenthalt begründet wurde. Das Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat nach § 30 Abs. 3 SGB I jemand dort, wo er oder sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er oder sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sind die objektiv gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Einzelfalles (BSG, 23.05.2012, B 14 AS 190/11 R).

Im vorliegenden Fall wurde durch den Auszug auf dem Frauenhaus D. und dem Aufenthalt in der Wohnung der Bekannten deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, da die betreffende Person in der Wohnung ihrer Freundin nur vorübergehen unterkommen wollte. Das ergibt sich aus der Stellungnahme vom 02.07.2020, in der die betreffende Person angibt, dass sie nach dem Auszug auf dem Frauenhaus D. bei ihrer Freundin in A. auf einen freien Platz im H. Frauenhaus gewartet habe.

Nicht bereits ein neuer tatsächlicher Aufenthalt, sondern erst die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts lässt die Kostentragungspflicht des kommunalen Trägers am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort entfallen.

Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 23.05.2012 mit dem Aktenzeichen B 14 AS 190/11 R [Rn. 19 nach Juris] offengelassen, ob die Kostentragungspflicht nach § 36a SGB II erst bei einem neuen gewöhnlichem oder auch bereits bei einem neuen tatsächlichen Aufenthalt entfällt.

Für ein Fortbestehen des Anspruchs bei lediglich neuen tatsächlichen Aufenthalt spricht zum einen der Wortlaut des § 36a SGB II, nachdem die Erstattungspflicht den kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort trifft. Danach ist es naheliegend, dass diese Erstattungspflicht auch erst bei Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltsortes entfällt.

Zum anderen würde es ansonsten darauf ankommen, ab welchem Zeitpunkt ein Platz in einem Frauenhaus frei ist, da ansonsten bei einer Unterbringung auch nur für einen Tag in einem Hotel oder bei Bekannten die Erstattungspflicht nicht entstehen würde. Dieses Ergebnis würde dem Sinn und Zweck der Kostenlastverteilung des § 36a SGB II zuwiderlaufen, die gewährleisten soll, dass eine Kommune, die ein Frauenhaus unterhält, auch von solchen Kosten freigestellt wird, die durch eine, wegen der Bedrohungssituationen typischen, weitergehenden Flucht entstehen können (siehe BT-Drucksache 16/1410 S. 27, wonach klargestellt wird, dass die Pflicht des bislang zuständigen Leistungsträgers zur Kostenerstattung sofort zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem die betroffene Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht, unabhängig davon, ob am Ort des Frauenhauses ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird).

Für diese Wertung spricht auch der Umstand, dass die Leistungen nach dem SGB II gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X bis zu einem Zeitpunkt nach Einzug in das Frauenhaus vom Beklagten weiter zu leisten waren.

Der Umfang der Erstattungsforderung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X sowie die Verjährungsfrist nach § 113 SGB X wurden eingehalten.

Ein Zinsanspruch – der vom Kläger auch nicht beantragt wurde – kommt nicht in Betracht, da § 108 Abs. 2 SGB X zwischen gleich geordneten Trägers als Anspruchsgrundlage ausscheidet und da Prozesszinsen bei Erstattungsansprüchen der Sozialleistungsträger untereinander auch nicht nach § 291 BGB analog zu entrichten sind (siehe BSG, 23.05.2012, B 14 AS 190/11 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. §§ 154 ff VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1, 3 Satz 1 GKG.

Die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulassungsbedürftige Berufung war nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Frage, ob ein Anspruch nach § 36a SGB II bis zur Begründung eines neuen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthaltes entstehen kann, grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtskraft
Aus
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