L 14 AL 102/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 1290/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 102/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einem Verschieben des Anspruchsbeginns müssen die Voraussetzungen für einen Anspruch zum Zeitpunkt des Beginns vorliegen. 

Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann eine erloschene Arbeitslosmeldung nicht fingiert werden.

Für das Vorliegen einer vertraglichen Abbruchvereinbarung nach § 139 Abs. Nr. 2 SGB III ist eine vertragliche Regelung zwischen dem Maßnahmeträger und dem Arbeitslosen erforderlich, die nicht nur die Kündigungsmöglichkeit aus einem wichtigen Grund nach § 626 BGB wiederholt. 

 

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über den Beginn des Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung von Arbeitslosengeld, und zwar über einen Beginn ab dem 1. April 2018.

Die Klägerin wurde im Jahr 1981 geboren und schloss ihr Studium an der Universität P mit der Diplomprüfung (Diplom-Kauffrau) im Januar 2006 ab.

Sie war in der Zeit vom 1. August 2006 bis zum 31. Dezember 2017 bei der DB Station & Service AG tätig, dies zeitweise in der Funktion einer Geschäftsführerin und zuletzt als Projektleiterin. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörten u.a.: Unternehmensstrategie, Finanzen und Controlling, Budget- und Jahresplanung, Akquisition von neuen Standorten, Angebotsgestaltung, Personalbetreuung bzw. -entwicklung, Marketing- bzw. Kommunikationsstrategie und Repräsentanz der Gesellschaft. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 28. November 2017 mit Ablauf des 31. Dezember 2017. Die Klägerin erhielt von ihrem ehemaligen Arbeitgeber eine Abfindung u.a. in Höhe von 70.000,- Euro für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Sie meldete sich am 29. November 2017 persönlich bei der Beklagten arbeitslos und teilte mit, dass sie vom 8. Januar 2018 bis voraussichtlich 2. März 2018 in K privat an einer Weiterbildung zur Vorbereitung einer selbständigen Tätigkeit teilnehmen werde. Im Rahmen der Meldung beantragte die Klägerin zum 1. Januar 2018 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Im Rahmen eines am 30. November 2017 bei der Beklagten geführten Gesprächs teilte die Klägerin ausweislich des von der Beklagten gefertigten Vermerks mit, dass sie sich selbständig mit einer Weinbar incl. Weinhandlung machen wolle. Hierfür habe sie sich zur Weiterbildung angemeldet. Die Kosten trage sie selbst. Ebenfalls wies die Klägerin darauf hin, dass sie eine Abfindung von ihrem Arbeitgeber erhalten habe. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 193 der Verwaltungsakte verwiesen.

Die Beklagte teilte ihr laut dem in den Akten befindlichen Vermerk vom 30. November 2017 daraufhin mit, dass sie ab dem 8. Januar 2018 aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet werde und sich umgehend nach dem Ende ihrer Weiterbildung wieder arbeitslos melden müsse. Die Klägerin gab hiernach an, dass sie sich ab März 2018 wieder arbeitslos melden werde.

Weiterhin schloss die Beklagte mit der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung am 30. November 2017 ab. Hieraus ergab sich das Ziel für die weitere Vermittlung: Arbeitsaufnahme oder Selbständigkeit als Geschäftsführerin oder berufsadäquat in Vollzeit – vorerst im Tagespendelbereich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarung auf Blatt 98 der Gerichtsakte verwiesen.

Die Klägerin bestätigte mit dem schriftlichen Antrag auf Arbeitslosengeld (unterschrieben am 28. Dezember 2017), dass sie das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von dem Inhalt Kenntnis genommen habe.

Sie nahm in der Zeit vom 8. Januar 2018 bis zum 2. März 2018 erfolgreich beim Gastronomischen Bildungszentrum K am Kurs zum „IHK-Geprüften Sommelier Fachrichtung Gastronomie und Handel“ teil. Der Kurs erfolgte in Vollzeit und in Präsenz. Laut Schreiben des Bildungszentrums vom 20. Mai 2020 handelte es sich um eine Weiterbildung, es habe für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, den Kurs ohne Angabe eines Grundes abzubrechen. Die Kosten für diesen Kurs beliefen sich auf insgesamt 4.290,- Euro (laut Rechnung vom 21. November 2017).

Dem Vertrag lagen Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zugrunde, welche u.a. die folgenden Regelungen zur Kündigung von Lehrgängen enthielten:

Am 3. Mai 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein zur Heranführung an eine selbständige Tätigkeit als Sommelier und Anbieter von Sommelier-Seminaren.

Die Klägerin meldete sich im Anschluss an einen E-Mail-Kontakt mit ihrer Arbeitsvermittlerin am 7. Mai 2018 erneut persönlich bei der Beklagten arbeitslos.

Mit Bescheid vom 18. Mai 2018 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 7. Mai 2018 bis zum 5. Mai 2019 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Zahlbetrag in Höhe von 66,99 Euro.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juni 2018 Widerspruch ein. Sie führte zur Begründung aus, dass Arbeitslosengeld auch für die Zeit der ersten Arbeitslosmeldung bis zum 6. Mai 2018 zu gewähren sei. Die Post sei täglich durch ihren Ehemann geöffnet worden und daher liege auch für diesen Zeitraum ihre Erreichbarkeit vor.

Mit Bescheid vom 27. September 2018 stellte die Beklagte ein Ruhen des Anspruchs der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 31. März 2018 aufgrund der vom ehemaligen Arbeitgeber gewährten Abfindung fest.

Die Klägerin teilte im Rahmen einer Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Berlin (Az.  S 52 AL 1079/18) mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 mit, dass der Widerspruch insoweit aufrechterhalten werde, soweit Leistungen nicht ab dem 1. April 2018 gewährt worden seien.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 hob die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab dem 15. Oktober 2018 auf, da die Klägerin eine Beschäftigung aufgenommen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass ein Anspruch erst ab dem 7. Mai 2018 bestehe. Der Anspruch ruhe wegen der Entlassungsentschädigung für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 31. März 2018. Nach Ablauf des Ruhenzeitraums zum 1. April 2018 mangele es am Vorliegen einer Arbeitslosmeldung. Die vorherige Meldung sei wegen der Teilnahme an der Weiterbildung nach § 141 Abs. 2 des Dritten Buches – Sozialgesetzbuch (SGB III) erloschen, da die Klägerin für die Zeit der Weiterbildung nicht erreichbar gewesen sei. Eine persönliche Arbeitslosmeldung liege erst am 7. Mai 2018 vor.

Mit ihrer am 11. November 2018 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren fortgeführt.

Mit Urteil vom 9. August 2019 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 18. Mai 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2018 verurteilt, der Klägerin ab dem 1. April 2018 Arbeitslosengeld zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin bei verständiger Würdigung der von ihr im Beratungsgespräch am 30. November 2017 geschilderten Situation von ihrem Recht nach § 137 Abs. 2 SGB III Gebrauch gemacht und den Beginn des Arbeitslosengeldanspruchs auf die Zeit nach dem Kurs in Koblenz verschoben habe. Dieses Verständnis des Verhaltens der Klägerin liege nahe, da hiermit eine Unterbrechung nach § 141 Abs. 2 SGB III habe vermieden werden können. Eine diesbezügliche Beratung durch die Beklagte hätte nahe gelegen und die Wahl des späteren Beginn-Zeitpunkts hätte sich geradezu aufgedrängt. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung sei insoweit ohne Bedeutung, da diese hätte weitergeführt werden müssen. Im Ergebnis würden die Voraussetzungen für einen Anspruch ab dem 1. April 2018 vorliegen.

Gegen das ihr am 23. August 2019 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 10. September 2019 Berufung ein. Sie führt zur Begründung aus, dass die Klägerin sich zum 1. Januar 2018 arbeitslos gemeldet habe und zu diesem Zeitpunkt das Stammrecht auf Arbeitslosengeld entstanden sei. Auf dem Antrag auf Arbeitslosengeld habe die Klägerin angegeben, dass keinerlei Ansprüche gegenüber ihrem vormaligen Arbeitgeber bestehen würden. Lediglich aus der Arbeitsbescheinigung vom 22. Januar 2018 sei ersichtlich gewesen, dass eine Entlassungsentschädigung gewährt worden sei.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei eine Verschiebung des Anspruchsbeginns nicht möglich gewesen. Eine Beratung habe lediglich anhand der erkennbaren Umstände unter Berücksichtigung der normalen und durchschnittlichen Interessenlage erfolgen können. Weiterhin mangele es an einer Kausalität zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und dem Nachteil der Klägerin. Zuletzt könne mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch die persönliche Arbeitslosmeldung nicht ersetzt werden. Das Dispositionsrecht nach § 137 Abs. 2 SGB III setze voraus, dass die Arbeitslosmeldung weiterhin wirksam gewesen sei. Im konkreten Fall sei die Meldung aber gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III aufgrund der mehr als sechswöchigen Ortsabwesenheit erloschen.

Es sei auch die Arbeitslosmeldung vom 29. November 2017 aufgrund der Fortbildung in Koblenz, welches 500 km entfernt von dem Wohnort der Klägerin in Berlin ist, erloschen. Die Klägerin sei in diesem Zeitraum nicht in der Lage gewesen, Einladungen der Beklagten täglich Folge zu leisten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Erreichbarkeitsordnung habe der Arbeitslose sicherzustellen, dass er an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt durch Briefpost erreicht werden könne. Hierbei habe die Klägerin sich einer Mittelsperson bedienen müssen, da die Dauer für eine Fahrt mit dem ICE von K nach B und zurück 11 Stunden betrage. Es habe daher einer erneuten Arbeitslosmeldung bedurft, welche nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden könne.

Auch unter Beachtung der Regelung in § 139 Abs. 3 SGB III liege eine Verfügbarkeit der Klägerin nicht vor, da es am Nachweis einer mit dem Träger der Maßnahme vereinbarten uneingeschränkten jederzeitigen Abbruchbereitschaft fehle. Aus den AGB ergebe sich nur ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde. Ein solches Recht sei nicht mit einer nach § 139 Abs. 3 SGB III erforderlichen Vereinbarung vergleichbar. Eine entsprechende Vereinbarung könne auch nicht durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden.

Darüber hinaus fehle es auch an einer Zustimmung der Beklagten zur Teilnahme am Lehrgang. Die Klägerin hätte auch keinen Anspruch auf eine solche Zustimmung gehabt. Laut der Eingliederungsvereinbarung sei die Klägerin verpflichtet gewesen, sich einer Aufnahme einer Tätigkeit im Tagespendelbereich zur Verfügung zu stellen. Diese Verfügbarkeit sei durch die Weiterbildung in Koblenz nicht gegeben gewesen. Die Weiterbildung selbst habe ausschließlich der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gedient und nicht die Vermittelbarkeit der Klägerin gefördert, welche nach den Verwaltungsvorgängen eine Tätigkeit als Geschäftsführerin oder Projektleiterin angestrebt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus, dass ein Beratungsfehler der Beklagten vorliege und sie daher nicht habe abwägen können, wann ein Beginn des Arbeitsgeldbezuges sinnvoll gewesen sei. Eine Beratungspflicht habe sich zumindest ab Kenntnis der Entlassungszahlung spätestens ab dem 31. Januar 2018 ergeben. Eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und ihrem Nachteil sei gegeben. Die Beklagte habe ihr nämlich nicht mitgeteilt, dass eine Abmeldung aus der Arbeitsvermittlung erfolgt sei. Hiervon habe sie erst im Mai erfahren. Es sei zu berücksichtigen, dass sie im Zeitraum Januar 2018 bis Mai 2018 mehrmals nach dem Sachstand gefragt habe. Weiterhin sei sie im Zeitraum der Fortbildung zwischen B und K gependelt. Die öffentliche Verkehrsverbindung lasse ein tägliches Erreichen von B zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2018 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab dem 1. April 2018 Arbeitslosengeld zu gewähren.

A. Gegenstand des Verfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2019 und der dem Verfahren zugrundeliegende Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2018. Ihr Begehren auf Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. April 2018 bis zum 6. Mai 2018 verfolgt die Klägerin zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

B. In der Sache ist der angefochtene Bescheid nicht aufzuheben, da die Beklagte mit ihm zutreffend einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld für den hier streitigen Zeitraum ablehnte und die Klägerin nicht beschwert ist (vgl. § 54 Abs. 2 SGG).

Die Klägerin hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Arbeitslosengeld.

Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 137 Abs. 1 SGB III in den ab 1. April 2012 geltenden und vorliegend anwendbaren Fassungen hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt (Nr. 3).

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts mangelt es für den streitigen Zeitraum an einer wirksamen Arbeitslosmeldung.

I. Zwar meldete sich die Klägerin am 29. November 2017 bei der Beklagten persönlich arbeitslos. Diese Meldung ist aber erloschen nach § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung (a.F.). Hiernach erlischt die Wirkung der Meldung bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit.

1. Während der Weiterbildung in K war die Arbeitslosigkeit der Klägerin unterbrochen, da sie in diesem Zeitraum den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung stand. Nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III setzt das Bestehen von Arbeitslosigkeit u.a. voraus, dass die Arbeitnehmerin den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung steht. Solches setzt wiederum u.a. nach § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III voraus, dass den Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge geleistet werden kann. Hierzu ermächtigte der Gesetzgeber die Beklagte nach § 164 Nr. 2 SGB III, durch Anordnung Näheres zu bestimmen. Nach der hierauf basierenden Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeits-Anordnung – EAO) ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO, dass der Arbeitslose sicherzustellen hat, dass die Beklagte ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichen kann. Diese Voraussetzung erfüllte die Klägerin während der Fortbildung in K nicht, da sie nicht persönlich an ihrer Wohnanschrift erreichbar war. Auch die Tätigkeit ihres Ehemannes als Mittelsperson ist nicht ausreichend, da die persönliche Erreichbarkeit gefordert wird (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juni 2001 – B 11 AL 10/01 R –, Rn. 24, juris).

Auch unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 2 EAO ergibt sich im konkreten Fall keine Verfügbarkeit der Klägerin für die Zeit der Weiterbildung vom 8. Januar 2018 bis zum 1. März 2018 in K. Hiernach wird über Ausnahmen von diesem Grundsatz im Rahmen der nachfolgenden Vorschriften entschieden. Nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 und 2 EAO steht eine auf Grund einer Ortsabwesenheit bedingte fehlende Erreichbarkeit der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen. Nach Maßgabe von § 3 Abs. 3 EAO kann die Drei-Wochenfrist tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden. Wenn sich allerdings der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will, finden gemäß § 3 Abs. 4 EAO die Regelungen in § 3 Abs. 1 und 2 EAO keine Anwendung (zum eindeutigen Wortlaut siehe Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. März 2022 – L 3 AS 1157/21 B ER –, Rn. 35, juris).

2. Ein Sonderfall der Verfügbarkeit nach § 139 Abs. 3 SGB III liegt ebenfalls nicht vor. Hiernach ist die Verfügbarkeit nicht ausgeschlossen, wenn eine leistungsberechtigte Person an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teilnimmt, für die die Voraussetzungen nach § 81 SGB III nicht erfüllt sind: (1.) die Agentur für Arbeit der Teilnahme zustimmt und (2.) die leistungsberechtigte Person ihre Bereitschaft erklärt, die Maßnahme abzubrechen, sobald eine berufliche Eingliederung in Betracht kommt, und zu diesem Zweck die Möglichkeit zum Abbruch mit dem Träger der Maßnahme vereinbart hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind aus mehreren Gründen nicht erfüllt.

(1.) Zunächst fehlt es an der erforderlichen Zustimmung der Beklagten. Eine solche wurde von der Beklagten vor Antritt der Weiterbildung nicht erteilt. Es kann offenbleiben, ob im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Zustimmung fingiert werden kann (dafür LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. April 2021 – L 18 AL 41/20 –, Rn. 18, juris und Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand: 02/2020, § 139 Rn. 86), da die Voraussetzung für eine solche Fiktion nicht vorliegen. Der Klägerin stand nämlich kein Anspruch auf Zustimmung der Beklagten zur Teilnahme an der Weiterbildung zu. Ein Anspruch besteht, wenn der verfolgte gesetzliche Zweck des Vorrangs der jederzeitigen Vermittelbarkeit des Arbeitslosen in eine neue Beschäftigung durch die Teilnahme an der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme nicht wesentlich beeinträchtigt wird; dies ist im Wege einer Prognose zu prüfen (SG Berlin, Urteil vom 15. März 2013 – S 70 AL 6080/12 WA -, Rn. 31, juris und Baldschun, in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 12/2021, § 139 Rn. 129). Aufgrund der erheblichen Aufwendungen der Klägerin für die Weiterbildungsmaßnahme und der großen Entfernung des Ortes der Weiterbildung zum Wohnort konnte eine solche Prognose nicht gestellt werden, da sich aus diesen Umständen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Vermittelbarkeit während der Weiterbildungsmaßnahme nicht jederzeit gewährleistet war.

(2.) Weiterhin liegt eine vertraglich geregelte Abbruchvereinbarung nicht vor. Eine solche Abbruchvereinbarung ist nämlich ebenfalls Voraussetzung für diesen Sonderfall der Verfügbarkeit (BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 – B 11 AL 8/18 R –, Rn. 21, juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass allein das Vorliegen eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund, wie es sich aus den dem Vertrag zugrunde gelegten AGB ergibt, die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines jederzeitigen Maßnahmeabbruchs im Sinne von § 139 Abs. 3 Nr. 2 SGB III nicht erfüllt (zu den Voraussetzungen vgl. Bienert, in: NZS 2020, 692 (696f.)). Es bedarf vielmehr hierfür einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Träger (vgl. auch Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand: 2/20, § 139 Rn. 87, Brand, in: Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 139 Rn. 17, Kallert, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, SGB III, 7. Auflage 2021, § 139 Rn. 13 und Baldschun, in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 12/21, § 139 Rn. 130). Zur Ausgestaltung dieser Möglichkeit wird teilweise gefordert, dass die Vereinbarung den jederzeitigen bedingungslosen Abbruch enthalten muss (vgl. Baldschun, in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 12/21, § 139 Rn. 131). Für dieses Verständnis spricht zumindest der Wortlaut, wonach ein jederzeitiger Abbruch der Maßnahme möglich sein muss. Im konkreten Fall kann dieser Umstand offenbleiben, da es bereits an einer vertraglichen Regelung fehlt. Das in den AGB erwähnte Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 626 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Dienstvertrag, wobei der Weiterbildungsvertrag der Klägerin als Dienstvertrag einzuordnen ist. Hiernach kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist unter Berücksichtigung weiterer Voraussetzungen gekündigt werden. Diese gesetzliche Regelung ist zwingendes Recht (vgl. Weth, in: juris-PK-BGB, 9. Auflage 2020, § 626 Rn. 55), so dass ohnehin nicht die Möglichkeit besteht durch Individualvertrag oder über die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwas Abweichendes zu vereinbaren. Im Ergebnis wird in den AGB diese gesetzliche Vorgabe lediglich wiederholt und gerade keine vertragliche Vereinbarung über den Abbruch getroffen.

Auch die Regelung über eine Teilvergütung nach Nr. 7.2 der AGB entspricht den gesetzlichen Regelungen. Nach § 628 Abs. 1 BGB kann der Verpflichtete im Falle der Kündigung einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Diese gesetzlichen Regelungen können zwar die Vertragsparteien abbedingen (vgl. Weth, in jurisPK-BGB, 9. Auflage 2020, § 628 Rn. 4). Jedoch wiederholen die AGB lediglich die Pflicht zur Teilvergütung.

Vielmehr bedarf es einer Vereinbarung darüber, welche vertraglichen Regelungen im Falle des Abbruchs gelten, zum Beispiel eine Verschiebung der Fortbildung auf einen späteren Zeitraum oder auch eine Fortführung der Maßnahme in Teilzeit (eventuell berufsbegleitend) für den Fall der Vermittlung in Teil- bzw. Vollzeit innerhalb des Zeitraums der geplanten Weiterbildung usw. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nämlich, dass der Gesetzgeber die Befürchtung hatte, dass bei einem Arbeitslosen, der bereits erhebliches persönliches Engagement und finanzielle Aufwendungen in die Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme investiert hat, das Interesse an der Beendigung der Maßnahme hoch ist und die Bereitschaft zur Annahme einer Arbeit im Zeitraum der Weiterbildung gering ist (vgl. BT-Drs. 15/1515, S. 83). Hieraus wird erkennbar, dass sich aus der Vereinbarung zumindest ergeben muss, dass an einen Maßnahmeabbruch keine erheblichen Sanktionen für den Arbeitslosen geknüpft sind, wobei Aufwendungen für bereits erbrachte Leistungen solche Sanktionen nicht darstellen (vgl. Bienert, in: NZS 2020, 692 (696f.)). Auch reicht eine Kündigungsmöglichkeit lediglich aus „wichtigem Grund“ nicht aus, weil völlig unklar ist, wie dieser unbestimmte Rechtsbegriff auszufüllen ist, was wiederum einen zusätzlichen Druck gegen die Beendigung der Maßnahme entfaltet.

Eine dem § 139 Abs. 3 Nr. 2 SGB III genügende vertragliche Vereinbarung liegt nach allem nicht vor. Auch aus der vom Träger übersandten Bestätigung mit Schreiben vom 20. Mai 2020, dass die Klägerin jederzeit die Möglichkeit gehabt habe, ohne Angabe eines Grundes die Weiterbildung abzubrechen, ergibt sich keine Vereinbarung über den Maßnahmeabbruch. Diese Möglichkeit zum Abbruch einer Maßnahme steht jedermann offen, da sich aus einem Dienstvertrag für den Auftraggeber als wesentliche Hauptpflicht nur eine Vergütungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB ergibt. Die Inanspruchnahme der Dienste ist gerade keine vertragstypische Pflicht. Auch ersetzt eine nachträgliche Erklärung des Maßnahmeträgers nicht die erforderliche vertragliche Vereinbarung

Die vertragliche Abbruchvereinbarung kann nicht nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden. Vorliegend müsste nämlich ein tatsächlicher Umstand, dem eine gestaltende Entscheidung des Arbeitslosen zugrunde liegt, ersetzt werden. Die Ersetzung von tatsächlichen Gegebenheiten oder Umständen aus der Sphäre des Arbeitslosen ist aber regelmäßig ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 – B 11 AL 8/18 R –, Rn. 21, juris und Kallert, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, SGB III, 7. Auflage 2021, § 139 Rn. 13).

II. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der Anspruchsbeginn auf die Zeit nach dem Ende des Kurses am 2. März 2018 entsprechend § 137 Abs. 2 SGB III verschoben wird.

Es kann offenbleiben, ob der Erklärung der Klägerin bei der Antragstellung unter Beachtung des Meistbegünstigungsgrundsatzes ein solcher Inhalt entnommen werden kann oder ob im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Verschieben des Anspruchsbeginns möglich ist. Indes mangelt es zum Beginn des Anspruchs an dem Vorliegen der persönlichen Arbeitslosmeldung, da diese nach § 141 Abs. 2 SGB II a.F. erloschen ist.

Zwar würde das Stammrecht erst zu dem von der Klägerin gewählten Zeitraum, also vorliegend ab dem Ende des Kurses in K, entstehen, aber nur sofern die Anspruchsvoraussetzungen nach § 137 Abs. 1 SGB III zu diesem Zeitpunkt weiterhin vorliegen (vgl. Öndül, in: jurisPK-SGB III, 2. Auflage 2019, § 137 Rn. 30). Hieraus ergibt sich, dass das Dispositionsrecht des Arbeitslosen zeitlich beschränkt ist. Der zeitliche Abstand zwischen der Arbeitslosmeldung und dem gewünschten Entstehen des Stammrechts darf nicht mehr als drei Monate (§ 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III (a.F.)) betragen und die Arbeitslosmeldung darf auch nach § 141 Abs. 2 SGB III (a.F.) nicht erloschen sein (Steinmeyer/Greiner, in: Ascheid/Preis/Schmidt, SGB III, § 137 Rn.  und Baldschun, in Gagel, SGB II/SGB III, Stand: Dezember 2018, § 137 Rn. 24 f.).

Ein Erlöschen der Arbeitslosmeldung liegt hier jedoch nach § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. vor, da eine mehr als sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit gegeben ist, wie oben dargestellt.

Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist ebenfalls die Herstellung nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich, insbesondere muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Eine Grenze ist, dass die persönliche Arbeitslosmeldung unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht fingiert werden kann, da hierdurch gerade eine rechtswidrige Amtshandlung entstehen würde (vgl. Urteil vom 8. Juli 1993 – 7 RAr 80/92 –, Rn. 28, juris und Urteil vom 19. März 1986 – 7 RAr 17/84 –, Rn. 19, juris sowie mit einer anderen Begründung Hessisches LSG, Urteil vom 21. September 2007 – L 7/10 AL 185/04 –, Rn. 22 f., juris. An einer solchen persönlichen Arbeitslosmeldung mangelt es nunmehr gerade bei einem durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingierten Verschieben des Anspruchsbeginns auf den März 2018.

Jedenfalls ist eine denkbare fehlerhafte Beratung nicht kausal, weil ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer erneuten Arbeitslosmeldung laut den vorliegenden Akten im Gespräch am 30. November 2017 erfolgte und sich aus dem Merkblatt der Beklagten ergibt, welches der Klägerin überreicht wurde.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

D. Die Revision war nicht zuzulassen nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG. Es ist insbesondere keine grundsätzliche Frage klärungsbedürftig und -fähig, da die notwendigen Anforderungen an eine vertragliche Abbruchvereinbarung nach § 139 Abs. 3 Nr. 2 SGB III nicht streitentscheidend sind. Nach der Einschätzung des Senats liegt im konkreten Einzelfall überhaupt keine vertragliche Regelung vor. Es kommt somit auf die Anforderungen (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. April 2021 – L 18 AL 41/20 –, Rn. 18, juris) im Ergebnis nicht an.

 

 

Rechtskraft
Aus
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