L 3 R 799/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 859/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 799/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.08.2017 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Entscheidungsgründe:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 00.00.1959 geborene Klägerin hat zunächst den Beruf „Einzelhandelskaufmann“ erlernt und im Mai 1990 eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau erfolgreich beendet. Anschließend war die Klägerin als Verkäuferin, Näherin und ab 1978 als Versicherungsangestellte tätig. In der Zeit vom 01.05.2001 bis zum 31.08.2004 bezog die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ab Januar 2007 war die Klägerin wieder erwerbstätig und zwar als Schadenssachbearbeiterin im Innendienst bei dem U a.G. (nachfolgend: U Versicherung).

Am 20.04.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, wegen Problemen im Bereich der Wirbelsäule nicht mehr erwerbstätig sein zu können. Aufgrund der Einführung der papierlosen Aktenbearbeitung habe sich ihre Arbeitsbelastung geändert.

Die Beklagte holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, nämlich des Facharztes für Orthopädie N vom 23.04.2015 und des Facharztes für Allgemeinmedizin A vom 03.05.2015.

Sodann ließ die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie S begutachten. Dieser untersuchte die Klägerin am 25.06.2015 und diagnostizierte in seinem Gutachten vom 29.06.2015 wiederkehrende bewegungs- und belastungsabhängige Rechts-Lumboischialgien bei verschleißbedingten Veränderungen der LWS, Kniegelenksverschleiß links ohne funktionelle Einschränkung, funktionelles Halswirbelsäulensyndrom mit muskulären Verspannungen und Senk-Spreizfuß beidseits. Er hielt die Klägerin für in der Lage, arbeitstäglich eine körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden und mehr zu verrichten. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten mit Wirbelsäulenzwangshaltung, ausschließlich im Stehen oder Sitzen, verbunden mit gebückter oder sonstig fixierter Rumpfhaltung und einseitigen Hebe- und Tragebelastungen, im Akkord, am Fließband oder mit sonstigen Maschinentakt. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen und der Möglichkeit, die Körperhaltung selbst frei wählen zu können, könne die Klägerin die Tätigkeit einer Versicherungskauffrau sechs Stunden und mehr ausüben.

Gestützt auf das Ergebnis dieser Untersuchung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.07.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die Klägerin sei noch in der Lage mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Es bestehe auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe es Tätigkeiten, die die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Dies sei ihr aufgrund ihres beruflichen Werdegangs zumutbar. Daher sei sie nicht berufsunfähig.

Die Klägerin legte am 23.07.2015 Widerspruch ein. Der Sachverständige habe festgestellt, dass sie die Möglichkeit haben müsse, die Körperhaltung frei wählen zu können. Dies sei ihr als Versicherungskauffrau bei der U Versicherung nicht möglich. Sie habe alle anfallenden Tätigkeiten an dem für sie eingerichteten „papierlosen Bildschirmarbeitsplatz“ zu verrichten. Die Arbeitsbelastung habe sich durch die „papierlose Aktenbearbeitung“ erheblich geändert. Die Arbeitszeiten seien jedoch gleich geblieben. Der geforderte freie Wechsel der Arbeitsposition könne nicht umgesetzt werden. Die Arbeit sei unter ständigen monotonen, stereotypischen Rumpfhaltungen und Rumpfbewegungen auszuführen. Durch die sitzende Körperhaltung und erhöhte Anzahl der ausnahmslos am PC zu erledigenden Arbeiten sei es zu einer Befundverschlechterung gekommen. Zur Stützung ihres Begehrens legte die Klägerin eine Bescheinigung des A vom 01.09.2015 vor.

Die Beklagte holte einen weiteren Befundbericht des A vom 27.09.2015 ein, dem weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren.

In einer Stellungnahme vom 08.10.2015 führte S aus, dass sich nach Auswertung der nun vorgelegten Unterlagen keine Änderung der bisherigen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung ergebe. Sämtliche Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen seien erfasst und beurteilt worden.

Den von A ebenfalls vorgelegte Krankenhausentlassungsbericht über eine stationäre Behandlung vom 18.06. bis zum 24.06.2015 in der Abteilung für Innere Medizin des V-Hospitals, F, wertete der Internist und Sozialmediziner B der Abteilung Sozialmedizin aus. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass sich weitere Diagnosen, die zu einer Einschränkung der bisherigen Leistungsbeurteilung führten, nicht ergäben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2015 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 01.12.2015 Klage erhoben. Sie leide unter wiederkehrenden Blockierungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Eine Schmerzverstärkung träte nach längerem Sitzen ein, aber auch beim Hocken und Bücken sowie längerem Stehen. Im Oktober 2015 sei auf Grund massiver Verspannung der Muskulatur und Blockade am Übergang HWS/BWS ein Hörsturz mit Ohrgeräusch und Hörminderung festgestellt worden. Ihre Tätigkeit habe sie zwischenzeitlich aufgegeben.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 15.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ausgehend von einem Leistungsfall im April 2015 bei ihr teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer anzunehmen und Rentenleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert sei.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandelnden Orthopäden N vom 01.04.2016 und einen Bericht der Fachpraxis für Schmerztherapie und Bewegung nach Liebscher und Bracht Z, F, vom 20.07.2016 sowie Behandlungsunterlagen des A eingeholt.

Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Arbeitgebers, der U Versicherung, eingeholt. Die Klägerin sei als Sachbearbeiterin Schaden eingesetzt gewesen. Die Arbeiten hätten eine Lehre oder Anlernzeit vorausgesetzt. Die Klägerin habe an fünf Tagen in der Woche vier Stunden gearbeitet. Es habe sich um eine körperlich leichte Tätigkeit gehandelt, die überwiegend im Sitzen verrichtet worden sei. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Auskunft Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M und den Facharzt für Chirurgie L mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. M hat die Klägerin am 14.03.2017 untersucht und unter Einbeziehung des Ergebnisses der Untersuchung durch L vom 02.11.2016 folgende Diagnosen gestellt:

  • Anamnestisch benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
  • endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit einer leichten segmentalen Lockerung im Segment C4/C5 ohne motorische oder sensible Defizite
  • rezidivierende Blockierung im Bereich des linken Iliosakralgelenkes ohne Zeichen einer Nervenwurzelreizsymptomatik, ohne motorische oder sensible Defizite bei radiologisch altersentsprechender Darstellung der Lendenwirbelsäule
  • Zustand nach Reizzustand linkes Kniegelenk vor einem Jahr, zum Zeitpunkt der jetzigen Untersuchung klinisch stumm
  • leichte Spreizfußbildung.

Die Klägerin könne körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, mit kurzfristigem Tragen bis max. 15 kg, mit Treppensteigen und Besteigen von Regalleitern, an laufenden Maschinen, in Wechsel- und Nachtschicht, mit ständigem Publikumsverkehr und mit zeitlichen Anforderungen im Sinne der Notwendigkeit, festgelegte Termine einzuhalten, verrichten. Nicht zumutbar seien Arbeiten im Knien, Hocken, Bücken, über Kopf- und über Schulterhöhe, in Zwangshaltungen, auf Gerüsten oder Leitern, unter besonderen Einflüssen wie Kälte, Zugluft, starken Temperaturschwankungen, Nässe, im Akkord oder am Fließband. Die Klägerin sei geistig mittelschwierigen Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die geistigen Fähigkeiten der Konzentration, Reaktion, Übersicht, Aufmerksamkeit, an das Verantwortungsbewusstsein, die Zuverlässigkeit und die geistige Beweglichkeit gewachsen. Bildschirmarbeit sei möglich. Die umgangssprachliche Verständigung sei nicht beeinträchtigt. Es sei ausreichend, wenn die Haltung gelegentlich gewechselt werden könne. Die Klägerin könne noch arbeitstäglich sechs Stunden und mehr regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es sei von einer durchschnittlichen Umstellungsfähigkeit auszugehen. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nicht beeinträchtigt.

L hat ergänzend ausgeführt, anlässlich der von ihm gefertigten Röntgenaufnahmen habe er festgestellt, dass doch deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule vorlägen und eine leichte segelmentale Instabilität bestehe. Aufgrund dieser Befunde bestehe eine verminderte Belastbarkeit der Halswirbelsäule. Da Bildschirmarbeiten mit zu starken einseitigen Belastungen einhergingen, sollten der Klägerin diese nur für eine kurze Zeit (nicht länger als 10 Minuten an einem Stück) zugemutet werden.

Durch Urteil vom 16.08.2017 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin ausgehend von einem Leistungsfall im April 2015 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

„Die Klägerin leidet an Erkrankungen und Beschwerden in Form einer endgradigen Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, anamnestisch rezidivierenden Blockierung im Bereich des linken Iliosakralgelenks, einem Zustand nach Reizzustand des linken Kniegelenks, einer leichten Spreizfußbildung sowie einem gutartigen Lagerungsschwindel.

...

Bei diesem Gesundheitszustand kann die Klägerin noch regelmäßig körperlich leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten. Sie kann dabei Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausführen. Arbeiten mit Tragen und Heben von schweren Lasten ist nicht möglich, kurzfristiges Tragen bis maximal fünfzehn Kilogramm ist zumutbar. Tätigkeiten im Knien, Hocken und Bücken sind nicht möglich. Überkopf- und Überschultertätigkeiten können nicht ausgeführt werden. Arbeiten in Zwangshaltungen sind zu vermeiden, ebenso wie Gerüst- und Leiterarbeiten. Arbeiten mit Treppensteigen und Besteigen von Regalleitern kann die Klägerin ausüben. Die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände ist gegeben. Tätigkeiten können im Freien (mit Witterungsschutz) als auch in geschlossenen Räumen unter Vermeidung besonderer Einflüsse wie Kälte, Zugluft, starker Temperaturschwankungen oder Nässe ausgeübt werden. Arbeiten an laufenden Maschinen sind der Klägerin möglich, ebenso wie Arbeiten mit der Notwendigkeit, festgelegte Termine einzuhalten. Tätigkeiten in Wechsel- und Nachtschicht sowie Akkord- oder Fließbandarbeit sollten gemieden werden. Die Klägerin kann Arbeiten mit Publikumsverkehr ausführen. Geistig mittelschwere Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Konzentration, Reaktion, Übersicht und Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und geistige Beweglichkeit sind zumutbar. Bezüglich des Seh- und Hörvermögens bestehen keine Einschränkungen. Die Klägerin kann Fußwege von vier mal 500 Metern und geringfügig mehr zurücklegen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist möglich. Die Klägerin ist im Besitz sowohl eines Führerscheins als auch eines Pkw.

In der Leistungsbeurteilung des Klägers folgt die Kammer wiederum den schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Beurteilungen und Ausführungen der Sachverständigen  L und M.

Die Klägerin ist berufsunfähig im Sinne des § 240 SGB VI.

Als bisheriger Beruf der Klägerin, das heißt als zuletzt und nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung, ist die Tätigkeit als Versicherungskauffrau für die U Versicherung anzusehen. Der qualitative Wert des bisherigen Berufs als Versicherungskauffrau ist der einer Facharbeiterin. Aufgrund qualifizierten Berufsschutzes ist die Klägerin nicht auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Die Klägerin ist nach Auffassung der Kammer aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, den erlernten und zuletzt ausgeübten Beruf einer Kauffrau für Versicherungen auszuüben.

Die Tätigkeit einer Kauffrau für Versicherungen sind die Arbeitsbedingungen im Einzelnen geprägt durch Bildschirmarbeit, Arbeit in Büroräumen, aber auch unregelmäßige Arbeitszeiten, häufig wechselnde Aufgaben und Arbeitssituationen, Kundenkontakt und Verantwortung für Sachwerte (vgl. Darstellung des Berufsbildes durch die Bundesagentur für Arbeit unter www.berufenet.de, letzter Aufruf: 16.08.2017). Diesen Anforderungen kann die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht genügen. Die Tätigkeit als Kauffrau für Versicherungen erfordert grundsätzlich unregelmäßige Arbeitszeiten, Tätigkeiten können auch abends oder am Wochenende erforderlich sein. Die Tätigkeit umfasst ebenfalls, dass Zeitdruck entsteht, etwa wenn Termine zeitlich nah bei einander. Dies ist der Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr zumutbar. Nach Auskunft des Sachverständigen L sind ihr Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht nicht zu empfehlen. Zwar kann die Klägerin Arbeiten mit zeitlichen Anforderungen im Sinne der Notwendigkeit, festgelegte Termine einzuhalten, ausführen. Jedoch ist ihr Arbeit unter Zeitdruck nicht mehr zumutbar entsprechend der Ausführungen der Sachverständigen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die Tätigkeit als Kauffrau für Versicherungen nicht mehr verrichten kann.

Eine der Klägerin objektiv und subjektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ist nicht gegeben, wurde von der Beklagten auch nicht benannt.

Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass auch die von der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.08.2017 überreichten Unterlagen aus dem Berufsgruppenkatalog der Gruppe VI zu der Tätigkeit „Kauffrau/Kaufmann für Versicherungen und Finanzen“ keine andere Wertung nach sich ziehen. Soweit in diesen Unterlagen eine Unterscheidung hinsichtlich der Tätigkeit im Innendienst und im Außendienst vorgenommen wird, ist die Kammer der Auffassung, dass die Klägerin die Tätigkeit weder im Innen- noch im Außendienst zumutbar ist. Denn auch nach den von der Beklagten überreichten Unterlagen entstehen im Rahmen der Tätigkeit einer Kauffrau für Versicherungen Termin- und Zeitdruck sowie Leistungsdruck, die für die Klägerin auszuschließen sind. Im Außendienst sind – der Klägerin ebenfalls unzumutbar – unregelmäßige Arbeitszeiten und einseitige Körperhaltungen bei langen Autofahrten Bestandteil der berufstypischen Anforderungen.“

Gegen das ihr am 06.09.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.09.2017 Berufung eingelegt. Der Sachverständige auf neurologisch psychiatrischem Fachgebiet M habe Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet ausgeschlossen. Auch aus neurologischer Sicht hätten zum Untersuchungszeitpunkt keine Defizite oder Reizerscheinungen bestanden. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht seien Tätigkeiten mit zeitlichen Anforderungen im Sinne der Notwendigkeit, festgelegte Termine einzuhalten, möglich. Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und geistige Beweglichkeit seien zumutbar, ebenso Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die geistigen Fähigkeiten der Konzentration, Reaktion, Übersicht und Aufmerksamkeit. Es sei somit nicht verständlich, warum die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen Tätigkeiten „unter Zeitdruck“ nicht ausführen könne. Die Verrichtung von Bildschirmarbeit habe M für möglich erachtet.

Aus welchen Gründen auf Grund des von L erhobenen Befundes (deutlich degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit einer leichten Segmentinstabilität) Bildschirmarbeit nur noch 10 Minuten am Stück möglich sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Bildschirmarbeiten werde aus beratungsärztlicher Sicht den Erläuterungen des Sachverständigen M gefolgt. Die Ausführungen des Sozialgerichts, dass unregelmäßige Arbeitszeiten, häufig wechselnde Aufgaben und Arbeitssituationen, Kundenkontakt und Verantwortung für Sachwerte nicht mehr erfüllt werden könnten, seien nicht nachvollziehbar. Auch unregelmäßige Arbeitszeiten seien den Gutachten zufolge denkbar, wobei Wechselschichten und Nachtschichten ausgeschlossen sein sollten. Eine Tätigkeit als Versicherungskauffrau im Innendienst könne die Klägerin weiterhin ausüben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16.08.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass sie eine Tätigkeit als Versicherungskauffrau nicht mehr verrichten könne.

Der Senat hat die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin C mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat die Klägerin am 15.02.2018 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:

  • wiederkehrendes HWS-, BWS-, LWS-Syndrom mit zeitweiligen Nervenwurzelreizerscheinungen bei Degenerationen, Bandscheibenveränderungen, statischer Fehlhaltung, beginnende Gefügestörung und wiederkehrenden Blockierungen, zeitweilige Cervicocephalgien, Cervikobrachialgien, Dorsalgien, Lumboischialgien, benigner paraoxysmaler Lagerungsschwindel
  • beginnende Verschleißerscheinungen der großen und kleinen Gelenke der Extremitäten
  • wiederkehrende Beschwerden und Reizzustände der Schultergelenke, Periarthropathia humeroscapularis/Impingementsymptomatik
  • wiederkehrende Beschwerden und Reizzustände der Kniegelenke bei degenerativen Veränderungen der ossären und meniskalen Strukturen

Nebenleiden:

  • Herz-Kreislaufstörungen
  • Schilddrüsenveränderungen
  • HNO-Leiden
  • Augenveränderungen
  • Nierenveränderungen
  • Magen-Darm Veränderungen.

 

Die Klägerin sei der Lage, eine körperlich leichte und zumindest gelegentlich/kurzfristig mittelschwere Tätigkeit in einem gewissen Wechsel der Körperposition (ein gelegentlicher Positionswechsel wäre einmal in der Stunde z.B. im Rahmen der persönlichen Verteilzeit anzuempfehlen), mit Heben und Tragen von Lasten von 7,5 kg bis 10 kg (anteilig auch höher), mit gelegentlichem Besteigen von haushaltsüblichen Regalleitern, im Wesentlichen im Tag- und Einschichtsystem arbeitstäglich sechs Stunden und mehr (vollschichtig) regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsblichen Bedingungen zu verrichten. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten mit überwiegenden oder lang andauernden Zwangshaltungen und einseitigen Körperpositionen, in andauernder Rumpfvorbeugehaltung, mit ständigen Überkopfarbeiten und/oder ständig knienden und hockenden Zwangspositionen, in ständiger Armvorhalteposition oder auch mit der Notwendigkeit des Bedienens schwer- und schwerstgängiger Hebel- und Steuereinrichtungen, regelhaft auf Leitern und Gerüsten, mit höherwertigen Umwelteinflüssen, in regelhafter Nachtschichtarbeit oder Wechselschicht, im Akkord, am Fließband. Zudem sollten Tätigkeiten, verbunden mit der Notwendigkeit aus der liegenden Position schnell aufstehen zu müssen, nicht mehr abverlangt werden. Die Klägerin sei in der Lage, geistig einfache Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten zur verrichten. Die Klägerin könne vollschichtig unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Sie sei in der Lage, ortsübliche Wegstrecken in einem Ausmaß von deutlich mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen, dieses auch in Regelmäßigkeit und deutlich häufiger als viermal täglich, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und auch einen Pkw zu führen. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei weder für die Grobmotorik noch für die Kraftentfaltung, die differenzierten Griff- und Greiffunktionen oder die Feinmotorik eingeschränkt. Die Klägerin sei in der Lage, eine Computertastatur zu bedienen. Eine Einschränkung des Hörvermögens liege nicht vor. Die Klägerin habe die Umgangssprache korrekt verstanden und auf unerwartetes Ansprechen von hinten seien keine Nachfragen erfolgt.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.02.2019 zu Einwendungen der Klägerin hat die Sachverständige C ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage sei, Tätigkeiten überwiegend im Sitzen (mehr als 90 % der Arbeitszeit) zu verrichten, wobei ein gelegentlicher Positionswechsel ca. einmal in der Stunde im Rahmen der persönlichen Verteilzeit anzuempfehlen sei.

Der Senat hat er einen Befundbericht der Augenärztin E vom 17.07.2018 eingeholt.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat D mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 09.01.2020 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:

  • wiederholte Blockierungen im Bereich der Halswirbelsäule bedingt durch Verschleißerscheinungen im Atlantik-Axial-Gelenk und der unteren Halswirbelsäule in den Segmenten Halswirbelkörper 4/5,5/6 und insbesondere Halswirbelkörper 6/7 mit Abnutzung der betroffenen Bandscheiben und der kleinen Zwischenwirbelgelenke
  • wiederholte Blockierungen im Bereich der Lendenwirbelsäule bei Abnutzungserscheinungen im Bereich der Zwischenwirbelgelenke und der unteren Lendenwirbelsäulen
  • ausgeheilte Entzündung des linksseitigen Kreuz-Darmbein-Gelenkes
  • linkes Knie: symptomfreier degenerativer Innenmeniskus Hinterhornriss und Knorpelverschleiß im gesamten Kniegelenk Grad I - II

Nebendiagnosen

  • warmer Knoten Schilddrüse
  • gutartige Lagerungsschwindel, in Stresssituationen
  • temporärer Tinnitus.

 

Die Klägerin könne körperlich leichte Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Gewichten von ca. 5 kg, in wechselnder Körperhaltung (nach 30 Minuten Sitzen sollte ein Wechsel der Körperhaltung erfolgen), in Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht) verrichten. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten im Knien, Hocken, Bücken, über Kopf- und über Schulterhöhe (das Einordnen von einigen Aktenordnern, im Sinne von Überschulterarbeiten, sei möglich), auf Gerüsten und Leitern (Treppensteigen, das Steigen auf Regalleitern ohne zusätzliche Lasten sei möglich), ohne Umwelteinflüsse, in Nachtschicht, mit häufigem Publikumsverkehr. Die Klägerin könne geistig einfache bis mittelschwierige Tätigkeiten mit geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten verrichten. Derartige Tätigkeiten könne die Klägerin drei bis sechs Stunden (eher sechs als drei Stunden) verrichten. Unter Berücksichtigung der ausschließlichen Ausübung leichter Tätigkeiten bis zu sechs Stunden täglich ohne Zwangshaltungen mit regelmäßiger wechselnder Körperhaltung (nicht länger als 30 Minuten Sitzen) und einer zusätzlichen halbstündigen Arbeitspause könne die Klägerin diese Tätigkeiten verrichten. Die Klägerin könne insgesamt viermal etwas mehr als 500 m in jeweils weniger als 20 Minuten zurücklegen und ca. 60 Minuten zur Hauptverkehrszeit Bus fahren. Aus medizinischen Gründen sei eine Kraftfahrzeugbenutzung für ca. 60 Minuten möglich. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin für den Arbeitsweg pro Tag zwei Stunden im Auto/öffentliche Verkehrsmittel sitze, was ebenfalls als Zwangshaltung zu werten sei. Eine nahezu achtstündige Arbeits- und Wegezeit, davon zwei Stunden mindestens in sitzender Zwangshaltung, lasse sich unter den genannten Voraussetzungen realisieren. Entgegen den Gutachten von S, L und C halte er Tätigkeiten statt für mehr als 6 Stunden für 3-6 Stunden für möglich, da zu der eigentlichen Arbeitszeit auch zweimal täglich 1 Stunde Arbeitsweg hinzuzurechnen seien.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.07.2020 hat die Sachverständige C ausgeführt, die in dem Gutachten des D mitgeteilten Untersuchungsbefunde und insbesondere die dokumentierten Funktionen entsprechend der Messbögen wiesen einen weitgehend altersentsprechenden Untersuchungsbefund auf, sodass mit den dokumentierten Befunden eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden nicht nachzuvollziehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten  Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verurteilt. Der Bescheid der Beklagten vom 15.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin ist nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit, da sie ihre zuletzt verrichtete Tätigkeit noch verrichten kann.

Nach §§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) haben Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 02.01.1961 geboren sind, Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie - neben den allgemeinen und besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 S 1 Nr. 2 und 3 SGB VI - berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit körperlich, geistig und seelisch gesunder Versicherter mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift ist ein Versicherter nur dann, wenn er weder seinen bisher versicherungspflichtig ausgeübten Beruf - seinen Hauptberuf - noch eine ihm sozial zumutbare andere Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klägerin nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit, denn sie ist noch in der Lage, ihren bisher versicherungspflichtig ausgeübten Beruf mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen M und C. Die Sachverständigen sind als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie als Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin in der Lage, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen und daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leistungsvermögen festzustellen. Die Sachverständigen sind aufgrund eigener Untersuchung der Klägerin und sorgfältiger Anamnese- und Befunderhebung unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu ihrer Beurteilung gelangt. Ihre Einschätzungen des Restleistungsvermögens der Klägerin sind vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde schlüssig, in sich widerspruchsfrei und überzeugend.

Danach liegen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor:

  • paroxysmaler Lagerungsschwindel
  • wiederkehrendes HWS-, BWS-, LWS-Syndrom mit zeitweiligen Nervenwurzelreizerscheinungen bei Degenerationen, Bandscheibenveränderungen, statischer Fehlhaltung, beginnende Gefügestörung und wiederkehrenden Blockierungen, zeitweilige Cervicocephalgien, Cervikobrachialgien, Dorsalgien, Lumboischialgien
  • beginnende Verschleißerscheinungen der großen und kleinen Gelenke der Extremitäten
  • wiederkehrende Beschwerden und Reizzustände der Schultergelenke, Periarthropathia humeroscapularis/Impingementsymptomatik)
  • wiederkehrende Beschwerden und Reizzustände der Kniegelenke bei degenerativen Veränderungen der ossären und meniskalen Strukturen
  • Herz-Kreislaufstörungen
  • Schilddrüsenveränderungen
  • HNO-Leiden
  • Augenveränderungen
  • Nierenveränderungen
  • Magen-Darm Veränderungen.

 

Ausgehend von diesen Gesundheitsstörungen ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats seit Antragstellung noch in der Lage, eine körperlich leichte und zumindest gelegentlich/kurzfristig mittelschwere Tätigkeit mit Heben und Tragen von Lasten von 7,5 kg bis 10 kg, anteilig auch höher, mit gelegentlichem Besteigen von haushaltsüblichen Regalleitern, mit der Notwendigkeit, feste Termine einzuhalten, in Tagschicht zu verrichten. Die Klägerin kann zu über 90% im Sitzen arbeiten. Ein gelegentlicher Wechsel der Körperposition sollte jedoch möglich sein. Nicht zumutbar sind Tätigkeiten mit überwiegenden oder lang andauernden Zwangshaltungen und einseitigen Körperpositionen, in andauernder Rumpfvorbeugehaltung, mit ständigen Überkopfarbeiten und/oder ständig knienden und hockenden Zwangspositionen, in ständiger Armvorhalteposition oder auch mit der Notwendigkeit des Bedienens schwer- und schwerstgängiger Hebel- und Steuereinrichtungen, regelhaft auf Leitern und Gerüsten, mit höherwertigen Umwelteinflüssen, in regelhafter Nachtschichtarbeit oder Wechselschicht, im Akkord und am Fließband. Die Klägerin ist geistig mittelschwierigen Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die geistigen Fähigkeiten der Konzentration, Reaktion, Übersicht, Aufmerksamkeit, an das Verantwortungsbewusstsein, die Zuverlässigkeit und die geistige Beweglichkeit gewachsen. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen des Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, der eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet nicht feststellt.

Die Klägerin kann unter Beachtung der beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr tätig sein. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen der Sachverständigen M, L und C. Die Einschätzung des D zum zeitlichen Leistungsvermögen der Klägerin überzeugt den Senat nicht. Sie ist unschlüssig. Der Sachverständige hält die Klägerin für in der Lage noch drei bis unter sechs Stunden, eher sechs als drei Stunden, tätig zu sein. Anschließend führt er aber aus, eine nahezu achtstündige Arbeits- und Wegezeit, davon zwei Stunden mindestens in sitzender Zwangshaltung ließen sich für die Klägerin realisieren. Er vermischt insoweit die Fragen nach der quantitativen Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen.

Mit diesem Leistungsvermögen kann die Klägerin in ihrem erlernten Beruf als Versicherungskauffrau tätig sein.

Ausgangspunkt für die Prüfung von Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der „bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ist dies die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (BSG, Urteil vom 05. April 2001 – B 13 RJ 61/00 R –).

Nach diesen Grundsätzen ist der bisherige Beruf der Klägerin der einer Versicherungskauffrau im Bereich der Schadenssachbearbeitung wie sie ihn zuletzt bei der U Versicherungen ausgeübt hat. Diese Tätigkeit hat die Klägerin von Dezember 1978 bis Dezember 2015 (unterbrochen durch eine Zeit des Rentenbezuges von Mai 2001 bis August 2004) ausgeübt. Die frühere Verrichtung einer höherwertigeren Tätigkeit ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

Schadenssachbearbeiter/Versicherungssachbearbeiter nehmen laut Beschreibung im Berufenet z.B. Schutzbriefschäden auf oder Leistungsfälle aus Bereichen mit der Reise-, Kranken-, Kfz- unter Schadenversicherung auf. Sie prüfen Rechnungen, Leistungsansprüche und Erstattungssätze, z.B. für Medikamente, berechnen Entschädigungsleistungen, weisen fällige Zahlungen an und bearbeiten Regressfälle. Darüber hinaus organisieren sie gegebenenfalls erste Hilfsmaßnahmen für die Kunden, z.B. bei Fahrzeugschäden oder Schwierigkeiten im Urlaubsland. Es handelt sich um eine Arbeit in Büroräumen an Bildschirmgeräten, die im Sitzen ausgeübt wird.

Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin in der Lage, diese – auch nach Auskunft des letzten Arbeitgebers – überwiegend im Sitzen zu verrichtende Tätigkeit auszuüben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Klägerin mehr als 90% der Arbeitszeit im Sitzen absolvieren, wobei ein Wechsel der Körperhaltung im Rahmen der Verteilzeiten ausreicht. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen C.

Im Allgemeinen können für die persönliche Verteilzeit etwa 12% der regelmäßigen Arbeitszeit veranschlagt werden, sodass stündlich jedenfalls rund sieben Minuten, nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht sogar zehn Minuten zur Verfügung stehen (Ulrich Freudenberg  in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 43 SGB VI - Stand: 01.04.2021 - , Rn. 245). Beispiele für persönliche Verteilzeiten sind: Besprechungen und Rücksprachen in persönlichen Angelegenheiten (z. B. mit Personalreferat, Personalrat), persönliche Verrichtungen / Entspannungszeiten (z. B. Kaffeepausen oder private Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen) außerhalb der mit Dienstvereinbarung geregelten Pausenzeiten.

Darüber hinaus hat der Senat in seine Überlegungen einbezogen, dass bei einem Bildschirmarbeitsplatz - unterstellt in der Versicherungswirtschaft gibt es nur noch solche Arbeitsplätze - die Arbeitsstättenverordnung zu beachten ist.

Nach Ziff. 6.1 Abs. 2 der Anlage zur Arbeitsstättenverordnung hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die Tätigkeiten der Beschäftigten an Bildschirmgeräten insbesondere durch andere Tätigkeiten oder regelmäßige Erholungszeiten unterbrochen werden.

Die erforderlichen Positionswechsel kann die Klägerin somit im Rahmen der persönlichen Verteilzeiten und der Ziff. 6.1 Abs. 2 der Anlage zur Arbeitsstättenverordnung vorgesehen Arbeitsunterbrechungen bei Arbeiten am Bildschirm vornehmen.

Eine Begrenzung der Tätigkeit am Bildschirm auf 10 Minuten (L) oder 30 Minuten (D) ist nicht nachvollziehbar. Bei der Klägerin sind weder höherwertige Veränderungen an der Wirbelsäule noch Bewegungseinschränkungen feststellbar. Klinischerseits fanden sich bei der Untersuchung durch die Sachverständige C insgesamt endgradige, die Altersnorm nicht überschreitende funktionelle Defizite im Bereich der gesamten Wirbelsäule, Hinweise für akute Nervenreizzeichen oder neurologische Auffälligkeiten fanden sich nicht, auch war der gesamte Bewegungsablauf der Klägerin flüssig und sicher und nicht durch eine eigentliche Wirbelsäulenschonhaltung gekennzeichnet. In diesem Sinne waren auch sämtliche Provokationstests zum Nachweis einer möglicherweise kaschierten Nervenwurzelreizung negativ. Auch die von D festgestellten Bewegungsausmaße sind - den Ausführungen der Sachverständigen C folgend - altersentsprechend. Die von dem Sachverständigen L erhobenen Befunde vermögen seine Einschätzung, die Klägerin sei nur für 10 Minuten am Stück für eine Bildschirmtätigkeit belastbar, nicht überzeugend zu belegen. L konnte nur eine endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule feststellen. Motorische oder sensible Defizite lagen nicht vor. Im Bereich des linken Iliosakralgelenkes diagnostizierte er rezidivierende Blockierungen ohne Zeichen einer Nervenwurzelreizsymptomatik, ohne motorische oder sensible Defizite bei radiologisch altersentsprechender Darstellung der Lendenwirbelsäule.

Den Ausführungen des Sozialgerichts, die Tätigkeit als Kauffrau für Versicherungen erfordere grundsätzlich unregelmäßige Arbeitszeiten, Tätigkeiten könnten auch abends oder am Wochenende erforderlich sein und die Tätigkeit werde unter Zeitdruck verrichtet, etwa wenn Termine zeitlich nah beieinanderlägen, folgt der Senat für die hier zu beurteilende Tätigkeit einer Schadenssachbearbeiterin im Innendienst nicht. Die von dem Sozialgericht beschrieben Umstände betreffen den Versicherungskaufmann im Außendienst, der im Rahmen seiner Tätigkeit Kunden aufsuchen muss. Nach § 11 Nr. 1 des Manteltarifvertrages für das private Versicherungsgewerbe wird für die Angestellten im Innendienst die wöchentliche Arbeitszeit gleichmäßig auf die Tage Montag bis Freitag verteilt. Demgegenüber wird nach § 18 des Manteltarifvertrages für die Außendienstmitarbeiter eine bestimmte Arbeitszeit nicht festgelegt. Dies bedeutet, nur für die Außendienstmitarbeiter gibt es keine und damit möglicherweise unregelmäßige Arbeitszeiten.

Auch ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin eine Tätigkeit im Innendienst wegen Termin- und Zeitdrucks nicht gewachsen sein soll. Die Sachverständigen M und L, deren Gutachten dem Sozialgericht vorlagen, haben lediglich Arbeiten „unter Zeitdruck, wie z.B. mit Akkord- und Fließbandarbeit verbunden“ ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen haben sie zeitliche Anforderungen im Sinne der Notwendigkeit festgelegte Termine einzuhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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