L 9 SO 140/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 SO 85/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 140/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.03.2022 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

 

Die zulässige, insbesondere fristgemäß am 06.04.2022 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.03.2022, zugestellt am 24.03.2022, mit dem es den im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) sinngemäß gestellten und im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Antrag,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig weiter Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII – insbesondere für Kosten der Unterkunft – zu bewilligen,

abgelehnt hat, ist unbegründet.

1. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keinen Anordnungsanspruch gegen die Antragsgegnerin – also den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird – glaubhaft gemacht (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Die Entscheidung kann entweder auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache oder eine Folgenabwägung gestützt werden. Dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte ist Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfG Beschluss vom 13.04.2010 – 1 BvR 216/07). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 26.06.2018 - 1 BvR 733/18, vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13 und vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG Beschluss vom 14.03.2019 – 1 BvR 169/19).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er ist nicht hilfebedürftig iSv § 41 Abs. 1 SGB XII, denn er kann seinen notwendigen Lebensunterhalt aus seinem Vermögen bestreiten. Nach der Mitteilung des Amtsgerichts Recklinghausen vom 17.06.2022 ist dort weiterhin ein Betrag iHv 55.941,86 € für ihn hinterlegt, der aus der Zwangsversteigerung seiner ehemaligen Immobilien resultiert. Der Antragsteller ist allein empfangsberechtigt, dh er kann jederzeit die Auszahlung an sich verlangen, das ergibt sich auch bereits aus dem Schreiben des Amtsgerichts vom 10.03.2022.

Nach §§ 43 Abs. 1, 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen, das gilt auch für den hinterlegten Betrag. Der Freibetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII iVm § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII (in der ab dem 01.04.2017 geltenden Fassung) iHv 5.000 € wird weit überschritten und der Antragsteller macht keine Gründe geltend, die ihn an der Verwertung des Vermögens hindern. Insbesondere stellt sein Wunsch, die Zwangsversteigerung rückgängig zu machen, keinen solchen Grund dar.

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf § 141 Abs. 2 SGB XII berufen, wonach Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt wird. Offen bleiben kann, ob es sich bei dem Betrag von 55.941,86 € um ein erhebliches Vermögen iSd Vorschrift handelt, das die Anwendung ohnehin ausschließen würde. Dagegen spricht allerdings, dass nach den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) sowie ergänzende Regelungen (abrufbar unter arbeitsagentur.de) bei einer Einzelperson ein Betrag von 60.000 € noch nicht als erhebliches Vermögen anzusehen ist. Die Vorschrift in § 141 Abs. 2 SGB XII nicht anwendbar, weil die Nichtberücksichtigung von Vermögen (nur) für die Dauer von sechs Monaten gilt, beginnend mit dem ersten Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2022 (Groth in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 141 SGB XII [Stand: 30.05.2022], Rn. 19). Wenn dieser Zeitraum abgelaufen ist, kommt der erweiterte Vermögensschutz nicht mehr zum Tragen. Der Senat folgt damit nicht der Ansicht, dass die Aussetzung der Vermögensberücksichtigung jeweils für die ersten sechs Monate eines Bewilligungszeitraums sowohl für Erst- als auch für Weiterbewilligungsanträge und auch für mehrere Anträge hintereinander gilt (so LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.02.2022 – L 21 AS 66/22 B ER). Diesem Verständnis steht die Gesetzesbegründung zu der ursprünglichen Regelung entgegen, wonach nach Ablauf von sechs Monaten Leistungen unter Berücksichtigung von Vermögen nach den üblichen Vorschriften erbracht werden (vgl. BT-Drs. 19/18107, Seite 25). Zwar sind die Regelungen zwischenzeitlich mehrfach verlängert worden, aktuell bis zum 31.03.2022, es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dadurch von seinem ursprünglichen Plan abweichen wollte, den erweiterten Vermögensschutz nur für einen Zeitraum von sechs Monaten einzuräumen.

Der Antragsteller bezieht bereits seit dem 01.03.2018 durchgehend Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII von der Antragsgegnerin, so dass der durch § 141 Abs. 2 SGB XII geschützte Zeitraum am 01.03.2020 begann und am 31.08.2020 endete. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller die Leistungen nur als Darlehen erhalten hat. Denn der Zweck der Regelung in § 141 Abs. 2 SGB XII besteht darin, einen vereinfachten Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung zu eröffnen (vgl. BT-Drs. 19/18107, Seite 25). In Anbetracht dieses gesetzgeberischen Ziels muss auch eine darlehensweise Bewilligung ausreichen, um die Frist des § 141 Abs. 2 SGB XII laufen zu lassen.

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist aus den vorgenannten Gründen wegen fehlender Erfolgsaussichten im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO unbegründet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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