L 9 SO 136/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SO 98/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 136/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 07.03.2019 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 10.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 verpflichtet, in den Monaten Juli 2016, August 2016 und September 2016 für den verstorbenen E. B. Hilfe zur Pflege ohne Berücksichtigung des Bestattungsvorsorgevermögens iHv 5.000 € nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten der Kläger und ihres Rechtsvorgängers in beiden Rechtszügen zu 3/5 zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger sind die Erben des am 00.10.2019 verstorbenen, seit 2014 verwitweten ursprünglichen Klägers E. B. (E.B.) und begehren als dessen Rechtsnachfolger Hilfe zur Pflege in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Versorgung von E.B. Umstritten ist zwischen den Beteiligten der Einsatz eines Bestattungsvorsorge-Treuhandvermögens iHv 5.000 € als anspruchsausschließendes Vermögen.

Der 1931 geborene E.B. lebte seit 2014 bis zu seinem Tod im Altenwohnheim M Stift in F (Heimvertrag vom 27.02.2014). Im Mai 2016 war bei E.B. die Pflegstufe 2 festgestellt worden. E.B. verfügte im streitigen Zeitraum über Renteneinkommen iHv monatlich zuletzt 844,33 € netto. Die jetzigen Kläger sind seine durch einen Erbvertrag eingesetzten Erben (Erbvertrag vom 19.03.1984). Die Klägerin zu 2) C hatte im Februar 2017 gegenüber der Beigeladenen ein Schuldanerkenntnis über 5.000 € für von E.B. nicht geleistete Heimpflegekosten abgegeben. Die Klägerin zu 2) fordert von den anderen Klägern Ausgleich für diese Verbindlichkeit. Eine Zahlung aufgrund des Schuldanerkenntnisses ist bislang nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 17.03.2020 haben die Kläger den Rechtsstreit des verstorbenen E.B. aufgenommen.

Für das M Stift bestehen ein Versorgungsvertrag und eine Vergütungsvereinbarung. Ab April 2016 kostete der Heimplatz insgesamt 4.338,50 €/Monat. Heimträger ist die Beigeladene.

E.B. war ursprünglich zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer eines Hausgrundstücks in F. Mit notariellem Vertrag vom 04.05.1998 übertrugen die Eheleute das Eigentum dem Kläger zu 1). Als „Gegenleistung“ räumte der Kläger zu 1) ein dingliches persönliches Wohnrecht gem. § 1093 BGB ein, das bis zum Tode des Längstlebenden gelten sollte. Der Kläger zu 1) verpflichtete sich gegenüber seinen Eltern zur Leistung von Verpflegung und Versorgung bei Krankheit und Gebrechlichkeit. Das Wohnrecht sollte „ruhen“, sofern die Eltern sich nicht in ihrer Wohnung aufhalten, ein Geldersatz stand den Eltern nur zu, wenn der Aufenthalt in den dem Wohnrecht unterliegenden Räumen für die Eltern aus Gründen, die in der Person des Klägers zu 1) liegen, unzumutbar war. Unter der Überschrift „Beerdigung“ vereinbarten die Parteien: „Nach dem Tode der Eltern trägt der Übertragungsnehmer die Kosten der Bestattung, einschließlich all dessen, was auch in kirchlicher Hinsicht für ein Grabmal und eine angemessene Grabpflege in der Zukunft und auf die Dauer des Bestehens des Grabes erforderlich ist. Dafür stehen dem Übertragungsnehmer auch die Sterbegelder pp zu.“

E.B. hatte zunächst eine kapitalbildende Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert iHv insgesamt 4.876,58 €, die zugunsten des „Bestattungsinstituts R“ abgetreten war. Diese löste er im September 2015 auf. Am 20.05.2015 schloss er einen „Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag“ mit der „Z Bestattungsvorsorge Treuhand AG“ ab. Die Klägerin zu 2) zahlte 5.000 € an diese Gesellschaft, die aus der aufgelösten Lebensversicherung stammten. Der Treunehmer erteilte E.B. eine Treuhand-Police über 5.000 €, treuhänderisch auszuzahlen an das Bestattungsinstitut A KG. Außerdem schloss E.B. am 01.04.2015 einen „Bestattungsvorsorgevertrag“ mit dem Bestattungsunternehmen A ab.

Bereits 2015 hatte E.B. Pflegewohngeld nach dem APG NRW beantragt. Er hatte Vermögen iHv ca. 16.000 € angegeben. Der Beklagte hatte zunächst auch geprüft, ob der Ablösebetrag des dinglichen Wohnrechts nach Verkauf des Hauses als Vermögen anzurechnen sei, dies aufgrund der o.a. Klausel in § 2 des Übertragungsvertrags dann aber im Ergebnis verneint. Der Beklagte hatte die Klägerin zu 2) als damalige Vertreterin des E.B. aber darauf hingewiesen, dass der Bestattungsvorsorgevertrag als Vermögen anzurechnen sei und deshalb kein Anspruch auf das Pflegewohngeld bestehe, weshalb der Antrag auf Pflegewohngeld im Dezember 2015 zurückgenommen wurde. 

Am 13.05.2016 beantragte E.B. erneut Pflegewohngeld und erstmals Hilfe zur Pflege. Seine Vertreterin, die Klägerin zu 2), gab an, aufgrund der hohen Heimkosten sei das im letzten Jahr noch vorhandene Vermögen nunmehr aufgebraucht. Außer der Bestattungsvorsorge sei kein nennenswertes Vermögen mehr vorhanden. Tatsächlich war neben der Bestattungsvorsorge ein Sparbuch mit einem Vermögen iHv durchgehend 2.608 € vorhanden. Außerdem befanden sich auf einem Girokonto Beträge, mit denen am 17.05.2016 eine Heimrechnung iHv 2.373 € abgebucht werden konnte. Die Heimrechnung für Juni 2016 wurde vom Girokonto in zwei Raten am 30.06.2016 und am 03.08.2016 beglichen.

Nach umfangreichen Ermittlungen zur Einkommens- und Vermögenssituation bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 10.11.2016 ab 01.09.2016 Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme von nicht gedeckten Heimpflegekosten im M Stift F iHv 142,36 €/Tag. Für September 2016 müsse aus dem Vermögen ein Kostenbeitrag iHv 201,49 € entrichtet werden.

E.B. legte am 13.12.2016 Widerspruch ein. Der Übertragungsvertrag vom 04.05.1998 stehe einer Verschonung der Bestattungsvorsorge gem. § 90 Abs. 3 SGB XII nicht entgegen. Durch diese rein schuldrechtliche Verpflichtung sei nicht sichergestellt, dass die ordnungsgemäße Bestattung auch tatsächlich erfolge. Dies hänge vom Überleben und allein dem Willen des Verpflichteten ab. Eine solche Unsicherheit sei einem Hilfesuchenden nicht zuzumuten.  Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Anerkennung der Bestattungskostenvorsorge als geschütztes Vermögen scheide angesichts des Vertrags vom 04.05.1998 aus.

Hiergegen richtet sich die von E.B. am 18.04.2017 bei dem Sozialgericht Münster erhobene Klage, mit der E.B. die Bewilligung von Hilfe zur Pflege unter Außerachtlassung der Bestattungsvorsorge begehrt hat. Er hat ergänzend auf den Beschluss des SG Detmold vom 12.05.2016 – S 8 SO 198/14 und das Urteil des SG Stade vom 24.01.2018 – S 18 SO 35/15 berufen

E.B. hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 zu verurteilen, ihm ab dem 13.05.2016 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege ohne Vermögenseinsatz nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 07.03.2019 (zugestellt am 10.04.2019) hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der grundsätzlich für die Bestattungsvorsorge anzuerkennende Vermögensschutz entfalle, weil sich der Sohn des E.B. mit dem notariellen Vertrag vom 04.05.1998 verpflichtet habe, im Falle des Todes des Klägers diesen standesgemäß zu bestatten. Eine weitergehende finanzielle Absicherung der Bestattung sei nicht notwendig. Die gewisse Unsicherheit, ob sich der zur Bestattung verpflichtete Vertragspartner an seine Verpflichtung halte, sei dem Hilfesuchenden als allgemeines Lebensrisiko zuzumuten.

Hiergegen richtet sich die am 12.04.2019 erhobene Berufung des E.B., mit der dieser die Änderung des Urteils des SG und antragsgemäße Verurteilung des Beklagten begehrt hat. Die Kläger haben den Rechtsstreit nach dem Tod des E.B. aufgenommen. Aufgrund eines Hinweises des Senats machen die Kläger nur noch Leistungen für Juli 2016, August 2016 und September 2016 geltend. Sie berufen sich weiterhin auf die o.a. Rechtsprechung und ergänzend auf das Urteil des VG Münster vom 20.02.2020 – 6 K 53/20. Sie haben erklärt, dass der Kläger zu 1) das Hausgrundstück 2015 veräußert hat, hieraus kein Vermögen mehr vorhanden ist und der Kläger zu 1) sich an den Beerdigungskosten iHv ca. 6.000 € nicht beteiligt hat.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 07.03.2019 zu ändern und den Beklagten unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 10.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 zu verurteilen, für die Monate Juli 2016, August 2016 und September 2016 für E. B. Hilfe zur Pflege ohne Berücksichtigung des Bestattungsvorsorgevermögens iHv 5.000 € nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung des Senats am 10.03.2022 das Schuldanerkenntnis der Klägerin zu 2) als Leistung an Erfüllungs statt iSd § 364 Abs. 1 BGB angenommen und anerkannt, dass das Schuldverhältnis mit E.B. bzw. dessen Erben als beendet anzusehen ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

1. Streitgegenstand des Verfahrens ist, nachdem die Kläger im Berufungsverfahren den Antrag entsprechend beschränkt haben, ein Anspruch der Kläger auf Zahlung der Kosten für die Pflege des E.B. durch die Beigeladene in den Monaten Juli 2016, August 2016 und September 2016 unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 10.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017. Die Kläger verfolgen ihren Anspruch zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG).

2. Die vom ehemaligen Kläger E.B. durch dessen Prozessbevollmächtigten eingelegte Berufung wirkt von Gesetzes wegen ohne ausdrückliche Erklärung für und gegen die Rechtsnachfolger. Die Vollmacht zur Durchführung des Berufungsverfahrens endete nicht mit dem Tod des früheren Klägers (§ 73 SGG iVm § 86 ZPO) und eine Unterbrechung des Verfahrens ist im Hinblick auf die Fortgeltung dieser Prozessvollmacht nicht eingetreten (§ 202 SGG iVm § 246 Abs. 1 ZPO). Im Berufungsverfahren ist zulässigerweise mit dem Beteiligtenwechsel auf der Klägerseite eine subjektive Klageänderung vorgenommen worden (BSG Urteil vom 02.02.2012 – B 8 SO 15/10 R).

3. Die Kläger sind die Rechtnachfolger des E.B. und insoweit befugt, das vorliegende Verfahren zu führen.

a) Die Kläger machen einen vererblichen Anspruch geltend. Ein Sozialhilfeanspruch ist nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I grundsätzlich dann vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat. Dabei steht der Fall, dass im Zeitpunkt des Todes wegen einer bereits vor dem Tod durch den Leistungserbringer gedeckten Bedarfslage noch Schulden gegenüber diesem bestehen, die aus dem Nachlass zu begleichen sind, dem Fall der Vorleistung in Geld durch einen Dritten gleich. Denn die Erben haben die hierdurch entstandenen Verbindlichkeiten zu begleichen. Diese Fallgestaltung unterscheidet sich substanziell nicht von der Fallgestaltung, in der der spätere Erbe schon vor dem Tod des Hilfebedürftigen die Verbindlichkeiten (im Vorgriff auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe) erfüllt oder der Leistungserbringer die Forderung im Vertrauen auf den Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers stundet. Der ursprüngliche Anspruch auf Sachleistungsverschaffung wandelt sich in einen Geldleistungsanspruch (Erstattungsanspruch), soweit die Erben bereits selbst vorgeleistet haben, oder in einen Anspruch auf Freistellung von der Schuld, wenn die Verbindlichkeit gegenüber dem vorleistenden Dritten noch besteht (BSG Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 4/16 R mwN).

E.B. ist gegenüber dem Heimträger Verbindlichkeiten (die Zahlung der Vergütung für seine Unterbringung gemäß Heimvertrag vom 27.02.2014) eingegangen, die aus dem Nachlass zu begleichen sind. Die Klägerin zu 2) hat zudem mit dem Schuldanerkenntnis gegenüber der Beigeladenen noch zu Lebzeiten des E.B. dessen Bedarf auf Finanzierung der stationären Unterbringung gedeckt. Sie hat gegen ihre Geschwister einen Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 Abs. 1 BGB), weshalb auch aus diesem Gesichtspunkt auch die Kläger zu 1) und zu 3) noch zu Lebzeiten des E.B. eine finanzielle Verpflichtung zur Bedarfsdeckung des E.B. eingegangen sind. 

b) Die Kläger sind Gesamtgläubiger des streitigen Anspruchs iSd § 428 Satz 1 BGB.

c) § 19 Abs. 6 SGB XII, wonach der Anspruch des Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen nach dem Tode des Berechtigten demjenigen zuseht, der die Leistung erbracht hat, ist aufgrund des an Erfüllungs statt iSd § 364 Abs. 1 BGB von der Beigeladenen angenommenen Schuldanerkenntnisses der Klägerin zu 2) nicht mehr einschlägig. Die Vorschrift regelt zum Schutz der in Vorleistung für den Sozialhilfeträger tretenden Einrichtungen oder der Pflegeperson einen besonderen Fall der Sonderrechtsnachfolge im Sinne einer cessio legis. Durch einen Forderungsübergang nach § 19 Abs. 6 SGB XII scheidet ein kraft Erbfolge übergehender Anspruch aus (Coseriu/Filges in JurisPK SGB XII § 19 Rn. 85). Bei dem M Stift handelt es sich um eine Einrichtung iSd § 19 Abs. 6 SGB XII (§ 13 Abs. 2 SGB XII). Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt § 19 Abs. 6 SGB XII aber voraus, dass der Anspruch der Einrichtung noch nicht erfüllt ist. Denn nur dann hat sie ein schutzwürdiges Vertrauen (Coseriu/Filges in JurisPK SGB XII § 19 Rn. 88). Ist der Anspruch nicht nach § 19 Abs. 6 SGB XII übergegangen, steht er den vorleistenden Erben zu (Coseriu/Filges in JurisPK SGB XII § 19 Rn. 77).

II. Die Berufung ist begründet.

1. Der beklagte Landkreis ist als örtlicher Träger der Sozialhilfe passivlegitimiert (§ 3 Abs. 2 SGB XII). Eine abweichende landesrechtliche Bestimmung liegt nicht vor, mit § 2a AG-SGB XII NRW in der bis zum 31.12.2017 gF hat der Landesgesetzgeber die Anwendung von § 97 Abs. 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 gF ausgeschlossen.

2. Die Beteiligten streiten um eine Geldleistung iSd § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG, weshalb der Senat ein Grundurteil erlassen hat.

Ursprünglich richtete sich das Begehren des E.B. auf eine Befreiung von den durch den Heimvertrag eingegangenen Verbindlichkeiten durch den Beklagten (Schuldbeitritt, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem Leistungserbringer). In einer solchen Konstellation ist nach der Rechtsprechung des BSG ein Grundurteil nicht zulässig, da es sich nicht um eine Leistung in Geld iSd § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG handele (so BSG Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 10/12 R). Diese Rechtsprechung überzeugt nicht. Das BSG begründet seine Auffassung mit einer Verweisung auf Rechtsprechung des BGH (BGH Urteil vom 30.01.1987 – V ZR 7/86), mit der der BGH auch im Zivilprozess die Unzulässigkeit eines Grundurteils bei einem Anspruch auf Schuldbeitritt ausgesprochen habe. Dies trifft indes nicht zu. In dem Urteil vom 30.01.1987 – V ZR 7/86 führt der BGH aus: „Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann nur bei einem nach Grund und Betrag streitigen Anspruch vorab über den Grund entschieden werden. Der Erlaß eines Grundurteils über einen unbezifferten Anspruch ist daher unzulässig. Das gilt auch für einen Anspruch auf Befreiung von einer Schuld, die ihrerseits nicht Gegenstand eines Grundurteils sein kann (BGH Urt. v. 12. Juni 1975, III ZR 34/73, NJW 1975, 1968), wie vorliegend die der Höhe nach unbestimmten Kosten, Spesen und Zinsen.“ Mit diesen Ausführungen hat der BGH nicht gemeint, dass ein Anspruch auf Befreiung von einer Schuld niemals Gegenstand eines Grundurteils sein kann, sondern nur, dass ein Grundurteil ausscheidet, wenn die Schuld, von der befreit werden soll, nach ihrer Natur nicht Gegenstand eines Grundurteils sein kann. Dies ergibt sich aus der weiteren Verweisung des BGH auf sein Urteil vom 12.06.1975 – III ZR 34/73. Dort hatte der BGH über einen Anspruch auf Naturalrestitution – Räumung eines Grundstücks – zu entscheiden. Für einen solchen Fall hatte der BGH ausgeführt: „Grundsätzlich können zwar Schuldbefreiungsansprüche Gegenstand eines Grundurteils sein (RG JW 1935, 2954). Das gilt aber mit der sich aus dem Wesen eines Grundurteils (§ 304 ZPO) ergebenden Einschränkung, daß der Anspruch auf die Befreiung von einer Schuld gerichtet sein muß, die ihrerseits Gegenstand eines Grundurteils sein kann. Der Anspruch, von dem ein Kläger befreit werden will, muß daher auf Zahlung von Geld oder die Leistung vertretbarer Sachen gerichtet sein.“ Der Anspruch, von dem der E.B. befreit werden wollte, war auf Zahlung von Geld (der Vergütung aus dem Heimvertrag) gerichtet. Im Zivilprozess wäre also ein Grundurteil zulässig. Es gibt keinen Grund, bei Anwendung des § 130 SGG hiervon abzuweichen. Im Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 4/16 R hat dementsprechend auch das BSG im Rahmen der Klage eines Pflegedienstes nach dem Tode des Leistungsempfängers einen Anspruch auf Kostenfreistellung als auf eine Geldleistung gerichtet angesehen, indem es ausgeführt hat: „Nachdem der Kläger die Hilfe zur Pflege in dem hier streitigen Zeitraum erbracht hat und nur noch die Verbindlichkeit ihm gegenüber als vorleistendem Dritten zu erfüllen ist, reduziert sich das Interesse des Berechtigten - hier der unbekannten Erben - auf Kostenfreistellung und Kostenerstattung, ist mithin auf eine Geldleistung gerichtet.“

Letztlich bedarf die Frage, ob auch bei einem Anspruch auf Kostenübernahme der Erlass eines Grundurteils zulässig ist, jedoch im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn nach Annahme des Schuldanerkenntnisses der Klägerin zu 2) als Leistung an Erfüllungs statt durch die Beigeladene ist das Schuldverhältnis der Kläger zur Beigeladenen erloschen (§ 364 Abs. 1 BGB). Der ursprüngliche Anspruch auf Schuldbeitritt und Schuldbefreiung hat sich in eine Anspruch auf Gelderstattung umgewandelt (BSG Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 4/16 R mwN), so dass nunmehr zweifellos ein Anspruch auf eine Leistung in Geld iSd § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG begehrt wird.

3. Der Grundanspruch des E.B. auf Hilfe zur Pflege richtet sich nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2016 gF. E.B., bei dem die Pflegestufe 2 festgestellt war (zur Bindungswirkung der Entscheidung der Pflegekasse vergl. § 62 aF SGB XII), erfüllte im streitbefangenen Zeitraum die Voraussetzungen dieser Vorschrift. Die Hilfe zur Pflege umfasst gem. § 61 Abs. 2 Satz 1 aF SGB XII die durch das M Stift erbrachte stationäre Pflege.

4. Gem. § 19 Abs. 3 SGB XII in der im streitigen Zeitraum gF wird Hilfe zur Pflege geleistet, soweit den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel – hier der Kosten des E.B. für die Pflege in der Einrichtung der Beigeladenen iHv mehr als 4.000 € monatlich - aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Gem. § 90 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2017 gF ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Vermögen sind alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen bzw Ansprüche gegen Dritte.

a) Das Bestattungsvorsorgevermögen ist kein verwertbares Vermögen.

Grundsätzlich ist ein Anspruch gegen den Unternehmer aus einem Bestattungsvorsorgevertrag Vermögen, dies gilt auch für alle aus dieser vertraglichen Beziehung resultierenden Rückabwicklungsansprüche nach Auflösung dieses Vertrags (BSG Urteil vom 18.03.2008 – B 8/9b SO 9/06 R Rn. 15 ff).

Zweifelhaft ist aber bereits, ob das Vermögen aus dem Bestattungsvorsorgevertrag oder das Vermögen aus dem Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag verwertbar ist. Der Vertrag sieht für den Fall der Kündigung keine Auszahlung des Geldes an den E.B. vor, sondern „die Auszahlung an den Vertragsbestatter“. Nur bei Freigabe durch den Vertragsbestatter „wird direkt an den Treugeber gezahlt“ (Ziffer 3 des Vertrags). Ein solcher Freigabeanspruch ergibt sich aus dem Bestattungsvorsorgevertrag indes nicht. Zwar kann nach § 648 Satz 1 BGB der Besteller eines Werkes den Werkvertrag bis zur Vollendung des Werkes jederzeit kündigen. Diese gesetzliche Regelung ist in dem Bestattungsvorsorgevertrag jedoch abbedungen worden, denn dort ist vereinbart: „Dieser Vertrag ist im gegenseitigen Einverständnis der Vertragspartner geschlossen worden und kann daher nur in gleicher Weise geändert oder aufgelöst werden“. Diese Klausel schließt eine einseitige Kündigungsmöglichkeit durch E.B. zu Lebzeiten aus. Sollten Zweifel an der Wirksamkeit dieser Klausel bestehen, ist jedenfalls eine Verwertung innerhalb angemessener Zeit fraglich, da nicht anzunehmen ist, dass der Bestatter freiwillig die Zahlung geleistet hätte.

Dies kann der Senat letztlich jedoch offen lassen, denn bei unterstellter Verwertbarkeit steht § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII einer Vermögensverwertung entgegen. Die Sozialhilfe darf hiernach nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dem Wunsch des Menschen, für die Zeit nach seinem Tod durch eine angemessene Bestattung und Grabpflege vorzusorgen, ist Rechnung zu tragen und Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag sowohl für eine angemessene Bestattung als auch für eine angemessene Grabpflege als Schonvermögen im Sinne der Härtefallregelungen anzusehen (BSG Urteil vom 18.03.2008 – B 8/9b SO 9/06 R unter Hinweis auf die bereits entsprechende Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG).

Die Verpflichtung aus dem Grundstücküberlassungsvertrag vom 04.05.1998 steht der Verschonung des Bestattungsvorsorgevermögens nicht entgegen. Der Kläger zu 1) ist gegenüber seinem Vater E.B. mit der entsprechenden Klausel des Grundstücksüberlassungsvertrags keine durch E.B. rechtlich durchsetzbare Verpflichtung eingegangen. Die Klausel greift erst „nach dem Tode der Eltern“, so dass diese selbst nicht Anspruchsinhaber sein können. Damit ist die Klausel rechtsverbindlich nur dahingehend auszulegen, dass der Kläger zu 1) ggfs. dritten Personen gegenüber, die (evtl. über § 8 BestG NRW) die Bestattung durchgeführt haben, kostenerstattungspflichtig ist. Sollten dies die weiteren Erben sein (also die Kläger zu 2 und zu 3), hätten diese die entsprechende Verpflichtung des Klägers zu 1) gem. § 1922 BGB geerbt, sollte dies eine andere Person sein, könnte es sich bei der Klausel um einen Vertrag zugunsten Dritter handeln. Keineswegs aber garantiert die Klausel für den Erblasser zu dessen Lebzeiten, dass jemand die angemessene Bestattung vornimmt. Die Dritten müssten sich darauf verlassen, dass der Kläger zu 1) sich ihnen gegenüber an seine Verpflichtung aus dem Grundstücküberlassungsvertrag hält und insoweit auch leistungsfähig (solvent) ist. Letztendlich sichert die Klausel aus Sicht des späteren Versterbenden zu dessen Lebzeiten nichts ab, was sich nicht auch aus § 8 BestG NRW iVm § 74 SGB XII bzw. aus § 1968 BGB ergibt, nämlich dass irgendjemand eine Beerdigung durchführt, ohne dass dies an den hierzu aufzubringenden Kosten scheitert. Der Senat lässt offen, ob dies bei einer Bestattungspflicht, die als Teil eines Altenteils dinglich gesichert ist (vgl. dazu OLG München Beschluss vom 10.08.2012 – 34 Wx 131/12; OLG Hamm Beschluss vom 17.06.2014 – I-15 W 33/14), anders zu beurteilen ist. Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor, denn es ist lediglich das Wohnrecht in das Grundbuch eingetragen worden, nicht jedoch die weiteren Rechte, die sich aus dem Übertragungsvertrag vom 04.05.1998 ergaben.

Anhaltspunkte dafür, dass das Vermögen in der Absicht, Sozialhilfeleistungen zu erlangen, geschmälert worden ist, liegen nicht vor. E.B. hatte schon deutlich vor dem Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit seine Lebensversicherung zugunsten einer Bestattungsvorsorge abgetreten.

Der Betrag von 5.000 € ist als angemessen anzusehen (eingehend hierzu OVG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 16.11.2009 – 12 A 1363/09 für einen Betrag iHv 6.000 €; in diesem Sinne auch das von den Klägern zuletzt in Bezug genommene Urteil des VG Münster vom 25.05.2020 – 6 K 53/20). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Betrag unangemessen hoch ist, weil am Bestattungsort deutliche niedrigere Beerdigungskosten ortsüblich sind, liegen nicht vor und sind von der Beklagten auch nicht behauptet worden.

Für die im Berufungsverfahren allein noch streitbefangenen Monate Juli 2016 bis September 2016 liegt kein bedarfsdeckendes Vermögen vor, da das Girokonto durch die Bezahlung der Heimrechnungen für Juni 2016 bereits geleert worden war. Der Umstand, dass noch etwas Vermögen über dem Freibetrag von 2.600 € vorhanden war, das aber nicht bedarfsdeckend war, steht einem Anspruch dem Grunde nach nicht entgegen (hierzu zuletzt BSG Urteil vom 16.02.2022 – B 8 SO 17/20 R, zitiert nach Terminsbericht BSG 5/22).

b) Das nach der Antragstellung zugeflossene Renteneinkommen ist als nicht bedarfsdeckendes Einkommen anzurechnen. Daher liegt ein Leistungsanspruch iSd § 130 SGG mit der für ein Grundurteil erforderlichen Wahrscheinlichkeit (dazu Haupt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl., § 130 Rn. 4) vor.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, das Verfahren bleibt für die Erben in der Berufungsinstanz kostenfrei (§ 183 Satz 2 SGG).

IV. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 SGG) die Revision zugelassen.

 

Rechtskraft
Aus
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